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4 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 3<br />
Der gute Bergsteiger gibt nie auf, er<br />
plant nach vollbrachter Tat bereits die<br />
nächste Bergtour.<br />
Was haben wir nicht alles bewegt in<br />
diesen 20 Jahren. Es gab High- und<br />
Lowlights. Gleich nach der Fusion<br />
mussten wir Dutzende von Arbeitsplätzen<br />
im defizitären Kundendruck<br />
abbauen, um unternehmerische Fitness<br />
zu erlangen. Dann kündigten wir<br />
den Inserate-Pachtvertrag mit der Publicitas,<br />
ohne unsere Partner-Verlage in<br />
Olten und Zofingen rechtlich genügend<br />
abgesichert zu haben. Es brauchte ein<br />
paar Jahre, um das Vertrauen wieder<br />
herzustellen, was insbesondere dem<br />
damaligen Verwaltungsratspräsidenten<br />
Jürg Schärer gelang.<br />
Konzentrisches Wachstum<br />
Mit dem Start der «Mittelland Zeitung»<br />
(2<strong>001</strong>) zündeten wir eine weitere<br />
Wachstums-Rakete; Zofingen, Olten<br />
und Solothurn waren mit an Bord. Im<br />
Jahr 2005 konnten wir uns an der<br />
Vogt-Schild AG (Solothurner Zeitung)<br />
mit 17,5% beteiligen, zwei Jahre später<br />
erhöhten wir die Beteiligung auf 35%,<br />
mussten aber im Gegenzug erneut eine<br />
Pacht mit der Publicitas (P) eingehen,<br />
weil wir sonst nicht an das Aktienpaket,<br />
das diese an der Vogt Schild AG<br />
hielt, herangekommen wären. Nachdem<br />
die P einen ungenügenden Job gemacht<br />
hatte und wir deswegen mit einer<br />
Schadenersatzklage drohten, konnten<br />
wir die Inserate-Pacht vorzeitig beenden.<br />
Im Jahre 2007 lancierten wir<br />
den «Sonntag» (heutige «Schweiz am<br />
Sonntag»), womit wir nationale Bedeutung<br />
erreichten, weil das Blatt mehr<br />
«Andere machten den<br />
Schirm zu oder verkauften<br />
das Unternehmen.<br />
Wir aber drückten<br />
aufs Gaspedal und<br />
waren risikofreudig.»<br />
war als nur eine siebte Ausgabe. Im<br />
gleichen Jahr gelang es, auch noch die<br />
Basellandschaftliche Zeitung an Land<br />
zu ziehen. Die vollständige Übernahme<br />
der Vogt Schild AG erfolgte dann im<br />
Jahr 2009 (die Grafik finden Sie auf Seite<br />
17).<br />
In der ersten Hälfte der vergangenen<br />
20 Jahre haben wir mit voller Kraft auf<br />
Expansion gesetzt. Die Strategie war, in<br />
konzentrischen Kreisen zu wachsen.<br />
2008 kam die Zäsur mit dem Bankrott<br />
der Lehman Brothers und der darauffolgenden<br />
Finanz- und Verschuldungskrise.<br />
Die anschliessende Inserate-Flaute<br />
zwang alle Medienunternehmen zu<br />
happigen Restrukturierungs- und Sparmassnahmen.<br />
Nachdem wir dies überstanden<br />
hatten, setzten wir die Expansion<br />
fort mit dem Kauf von Tele Züri<br />
und Tele Bärn (2011) und der Übernahme<br />
von Radio 24 (2012). Den Abschluss<br />
dieser Expansionsphase in elektronische<br />
und digitale Medien bildete<br />
Fusion: Verleger Peter Wanner, AT-VR-Präsident Arthur Gross und der designierte Chefredaktor Franz Straub (von rechts). KEYSTONE<br />
Hotel Arte Spreitenbach: Hier trafen sich Vertreter von AT und BT zu geheimen Fusionsverhandlungen.<br />
die Lancierung des Online-Portals Watson<br />
(2013/2014).<br />
Zu Anfang der 10er-Jahre setzte spürbar<br />
der digitale Strukturwandel ein.<br />
Das Nutzungsverhalten nicht nur der<br />
jungen Leute begann sich zu ändern.<br />
Auch ältere Leute haben sich damit angefreundet,<br />
die Zeitung auf dem Tablet<br />
oder auf dem Smartphone zu lesen.<br />
Hinzu kommt eine um sich greifende<br />
Gratis-Kultur: Inhalte werden kostenlos<br />
angeboten, die Bezahlschranke funktioniert<br />
nur in den wenigsten Fällen. Parallel<br />
dazu gingen die Werbeerträge bei<br />
Print-Erzeugnissen, vor allem im Bereich<br />
der Stellen- und Immobilienanzeigen,<br />
massiv zurück. Dies alles<br />
machte und macht den Medienunternehmen<br />
zu schaffen – und natürlich<br />
auch uns.<br />
PETER WANNER<br />
Und wie geht es jetzt weiter?<br />
Eigentlich könnten wir stolz sein auf<br />
das Erreichte. Andere machten den<br />
Schirm zu oder verkauften das Unternehmen,<br />
wir hingegen drückten aufs<br />
Gaspedal und waren risikofreudig. Mit<br />
250 Millionen Umsatz und gegen 1000<br />
Beschäftigten haben wir eine Unternehmensgrösse<br />
erreicht, die beachtlich<br />
ist; zudem sind wir breit diversifiziert,<br />
was von Vorteil ist. Doch was<br />
nützt uns dieses Schulterklopfen,<br />
wenn alle doch wissen möchten, wie<br />
es weitergeht?<br />
Man kann uns vorwerfen, wir hätten<br />
die digitale Revolution verschlafen. Mit<br />
der Herstellung von Inhalten könne<br />
man kein Geld mehr verdienen, nur<br />
noch mit Transaktionen auf digitalen<br />
Plattformen. Das heisst, wir hätten in<br />
Jobs- und Immobilienplattformen investieren<br />
müssen, mit denen man heute<br />
das grosse Geld macht. Die Kritik ist<br />
berechtigt. Nur wüsste ich nicht, woher<br />
wir das Geld hätten nehmen sollen.<br />
Wir hätten mindestens 100 bis<br />
200 Mio. Franken lockermachen müssen,<br />
und die waren einfach nicht vorhanden.<br />
Trotzdem darf man nicht einem unreflektierten<br />
Pessimismus verfallen.<br />
Mehr denn je sind Innovation und<br />
Kreativität gefragt. Es ist klar, dass sich<br />
Medien in Richtung digitale Plattformen<br />
bewegen müssen, auf denen mehr<br />
als nur News und Hintergrundberichte<br />
«Zeitungen werden<br />
nicht verschwinden,<br />
aber sie kommen<br />
nicht umhin, ihre<br />
Erscheinungsfrequenz<br />
zu ändern.»<br />
angeboten werden. Services, Produkte<br />
und Leserangebote aller Art müssen da<br />
feilgeboten werden, so wie früher die<br />
Zeitungen ganz selbstverständlich lokale<br />
Marktplätze waren.<br />
Und die Zeitungen selber? Sie werden<br />
nicht verschwinden, aber sie kommen<br />
nicht umhin, ihre Erscheinungsfrequenz<br />
zu ändern, d. h. sie werden<br />
nicht mehr jeden Tag erscheinen, weil<br />
die schnelle Information besser auf<br />
dem Tablet oder dem Smartphone zu<br />
haben ist. AZ Medien überlegen sich<br />
deshalb ernsthaft, an einem Tag nicht<br />
mehr als Print-Ausgabe zu erscheinen,<br />
dafür digital. Denn das Teure an der<br />
Herausgabe einer Zeitung ist nicht die<br />
Redaktion, sondern der Druck, das Papier<br />
und der Vertrieb.<br />
«Die Zukunft der Tageszeitung ist die<br />
Wochenzeitung»: Diese Aussage hat<br />
kurz vor seinem Tod der italienische<br />
Schriftsteller und frühere Journalist Umberto<br />
Eco in einem Interview mit der<br />
«Zeit» gemacht. Andernorts kommt<br />
man auf ähnliche Ideen. So hat kürzlich<br />
ein junger Medienwissenschafter, Andreas<br />
Moring aus Hamburg, gesagt: «Die<br />
gedruckte regionale Tageszeitung sollte<br />
ihre Erscheinungsweise umstellen auf<br />
zwei bis drei Tage in der Woche.»<br />
Bis es so weit ist, dürfte es noch einige<br />
Jahre dauern. Vielleicht geht es auch<br />
schneller. Es kommt ganz auf das Nutzungsverhalten<br />
der Leserinnen und Leser<br />
an. Möchten Sie noch lange eine<br />
Printausgabe in den Händen halten<br />
oder reicht es Ihnen, wenn Sie nur<br />
noch drei- oder viermal pro Woche die<br />
Zeitung im Briefkasten haben? Informieren<br />
Sie sich an anderen Tagen über<br />
digitale Geräte, womöglich mit personalisierten<br />
Push-Nachrichten?<br />
Die Reduktion der Erscheinungsfrequenz<br />
auf Papier heisst aber nicht,<br />
dass das Ende des Journalismus eingeläutet<br />
wird. Im Gegenteil! Nach wie vor<br />
sind Einordnung, Erklärung und Orientierung<br />
gefragt, journalistische Qualität,<br />
Haltung und Glaubwürdigkeit.<br />
Übersicht und Ehrlichkeit in der Information!<br />
In einer Welt, wo jedermann<br />
über Social Media seinen Senf verbreiten<br />
kann, bleibt dies die Kernaufgabe<br />
des Journalismus.