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Die Männer kommen direkt auf mich zu und
sehen mich etwas verwundert an, was sie aber nicht
ungefährlicher wirken lässt. Es sind insgesamt sechs
und ohne jeden Zweifel gehören sie zu den Les
Surenas.
Zwei von ihnen sind feiner angezogen, die
anderen sehen aus, als kämen sie direkt aus einer
Straßenschlacht. Sofort verstehe ich, warum die
Leute sagen, die Surenas wirken so brutal. Bei einem,
der lange glänzende Haare hat, die er zum Zopf trägt,
sieht man vorne am Hosengürtel den Halfter einer
Pistole, ich bin mir aber mehr als sicher, dass die
anderen ebenfalls bewaffnet sind. Ich versuche ruhig
zu bleiben, aber mein Herz schlägt bis zum Hals.
Meine Plaka am Handgelenk brennt auf meiner Haut.
Das Mädchen muss sie entdeckt haben, als ich das
Buch aus dem Regal holen wollte. Die Sechs bleiben
genau vor meinem Tisch stehen. Die zwei etwas
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feiner gekleideten Männer stehen in der Mitte, alle
scheinen mich einen Moment lang zu mustern. Ich
weiß, wie man sich solchen Männern gegenüber zu
verhalten hat. Das Wichtigste ist, keine Angst zeigen,
also halte ich ihrem Blick stand und bete innerlich
zum Himmel.
»Sieh mal an, als wir gehört haben, jemand von
den Trez Puntos sei auf unserem Gebiet, hätten wir
nicht mit ... so etwas gerechnet.« Einer der etwas
brutaler wirkenden, mit hellbraunen Haaren und
einer großen Narbe auf der Wange zeigt an mir
herunter. »Wie kommt es, dass du hier bist?«, fragt
einer der feiner angezogenen Männer. Er wirkt
etwas jünger als der andere, wobei mir auffällt, dass
die beiden sich sehr ähnlich sehen. Beide haben
schwarze kurze Haare, sehr dunkle Augen. Beide
sind groß und offenbar sehr breit gebaut und haben
ähnliche Gesichtszüge.
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»Ich lerne hier. Ich wusste nicht, dass sich die
Bibliothek schon auf eurem Gebiet befindet, ich
dachte, es gehört noch zum neutralen Teil«, gebe
ich zurück und bin erstaunt, wie sicher sich meine
Stimme anhört, im Gegensatz zu meinem Inneren,
wo ich zittere und hoffe, dass ich gut lüge.
»Hast du gehört, Paco? Sie lernt. Habt ihr in
eurem Teil keine Bibliothek?« Mein Herz setzt aus.
Nicht nur, dass ich auf Mitglieder der Les Surenas
treffe, nein, ich treffe gleich auf den Anführer. Der
Ältere der beiden wurde angesprochen, also ist
er Paco und der andere muss dann sein jüngerer
Bruder Rodriguez sein. Pacos Blick ruht ruhig auf
mir, er scheint mich ganz genau zu fixieren. Er wirkt
gelassen, aber in seinen Augen sehe ich, dass er
wirklich absolut tödlich sein kann. Ich stehe auf und
packe meine Bücher in die Tasche.
»Wohin so schnell?« Der mit der Narbe ist
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offensichtlich sehr angriffslustig im Gegensatz zu
den anderen, die sich noch ziemlich zurückgehalten
haben, er packt meinen Arm in der Bewegung
und hält ihn fest. Er schaut auf meine Hand. »Wo
ist deine verfluchte Punto-Plaka?« Egal wie viel
Angst ich in dem Moment spüre, ich habe noch nie
klein beigegeben und musste mich schon bei viel
gefährlicheren Typen durchsetzen. »Fass mich nicht
an«, zische ich ihm zu und es scheint zu wirken.
Zwar lässt er meinen Arm nicht los, aber er sieht
mich ungläubig an, anscheinend hört er nicht oft
Widerworte von einer Frau.
»Lass sie los, Chico!« Mein Blick wandert zu Paco,
der den Befehl gegeben hat, seine Stimme ist rau und
dunkel. Chico lässt meine Hand los und grummelt
leise. »Sind alle Punto-Frauen so frech? Die armen
Trez Puntos, da tun sie mir ja mal richtig leid.« Chico
denkt wohl, er wäre witzig. Ich stemme meine Arme
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in die Hüften und funkele ihn böse an, was ihn nur
noch mehr zu amüsieren scheint. »Hübsch seid ihr
ja, das muss man euch schon lassen, aber dafür, dass
du hier auf unserem Gebiet bist, etwas zu mutig. Wir
können mit dir machen, was wir wollen und kein
Trez Punto darf dich rächen.«
Ich senke den Blick, er hat recht, aber ich weiß,
dass, wenn sie mich anfassen, Juan hier einfallen wird,
egal was das Abkommen sagt. Zum Glück scheinen
sie nicht zu ahnen, wer ich bin. »Lasst uns kurz
alleine, ich will mit ihr reden.« Paco redet mit seinen
Männern, lässt mich aber nicht eine Sekunde aus den
Augen. Man merkt, dass sie es nicht gerne tun, aber
die anderen ziehen sich zurück. Paco wendet seinen
Blick nicht von mir und ich starre zurück.
Seine Augen sind so dunkel, dass ich kurz das
Gefühl habe darin zu versinken. Ich schüttele leicht
den Kopf und packe meine Bücher weiter ein. »Wie
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heißt du? Und wieso bist du so verrückt hier zu
sein?« Im Gegensatz zu vorher wirkt seine Stimme
immer noch rau, aber schon etwas weicher als
vorhin. Ich trete hinter meinem Tisch hervor, bleibe
vor ihm stehen und hänge mir meine Tasche um, um
zu zeigen, dass ich gehen will ... wenn sie mich lassen.
»Ich wollte einfach nur lernen, hier gibt es viel
mehr Bücher als bei mir an der Uni und hier habe
ich meine Ruhe.« Ich hebe meine Hände. »Ich habe
keinen Anschlag auf euch vor, falls ihr das annehmt.«
Ich bin wirklich erstaunt, wie fest meine Stimme in
Anbetracht der gefährlichen Situation ist und wenn
man bedenkt, wer gerade vor mir steht.
Paco ist sicher anderthalb Köpfe größer als ich
und blickt auf mich herab. Ich stehe nah genug
bei ihm, um seinen würzigen männlichen Duft
einzuatmen. »Paco, hier ist Maria. Sie hat angerufen«,
lässt uns der jüngere Bruder Rodriguez wissen und
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tatsächlich steht das Mädchen von vorhin bei den
Jungs und grinst breit, als hätte sie die Welt vor
einem Weltuntergang bewahrt. Sie kommt ohne
die anderen Männer auf uns zu. »Paco, lange nicht
gesehen.« Man hört deutlich ihr Interesse und es
ist nicht verwunderlich. Paco wirkt unglaublich
gefährlich und sieht auch unwahrscheinlich gut aus,
selbst in meiner Situation ist mir das aufgefallen,
er hat genau die richtige Mischung, um alle Frauen
verrückt zu machen.
»Maria, ich kläre das gerade.« Paco wirkt nicht
sonderlich interessiert. »Ich wollte dir ihre Plaka
zeigen, sie trägt sie nicht dort, wo es üblich ist.«
Sie will an mich herantreten, doch ich begegne
ihrem Blick. »Denk nicht mal dran!« Sie hebt die
Augenbrauen und mein Blick fällt auf Paco, der
anfängt zu schmunzeln, als hätte er nichts anderes
von mir erwartet. »Tut mir leid, aber es ist meine
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Pflicht, einen Trez Punto zu melden, jeder würde das
tun.« Als würde ich ihr abkaufen, dass es ihr leidtut.
»Ich nicht, ich hätte das nicht getan«, entgegne ich
ihr kühl und meine es ernst. »Oder wirke ich so
bedrohlich? Hätte ich dich auf unserem Gebiet
entdeckt, hätte ich dich gebeten zu gehen, aber ich
hätte keine Männer gerufen. Es ist ja nicht so, dass
ich schwer bewaffnet hier gesessen und meine Plaka
hochgehalten habe, ich wollte nur lernen.«
Langsam wird mir das Ganze zu viel. Ich spüre,
wie ich meine äußere Fassade nicht mehr lange
aufrechterhalten kann. »Maria, ich kläre das«, geht
Paco dazwischen, bevor Maria auf meine Vorwürfe
reagieren kann. Ich sehe ihr hinterher, wie sie zu den
Jungs geht und wende mich dann wieder an Paco,
der lächelt. Ich muss mich beherrschen nicht zu
zwinkern, als ich sein unverschämt gutaussehendes
schiefes Grinsen entdecke, was seine weißen Zähne
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zeigt. Irgendwie scheine ich ihn zu amüsieren, auch
wenn mir gar nicht zum Lachen zumute ist.
»Also ... wie heißt du?« Die Frage ist heikel, ich kann
nur hoffen, dass er nicht weiß, wie die Schwester von
Juan heißt. Es ist eine Sache, ein Mitglied der Familia
zu sein, aber eine andere, wenn man auch noch die
Schwester des Anführers ist. Wenn sie mir nicht den
Kopf abreißen, tut Juan es. »Bella.« Diesmal klingt meine
Stimme nicht mehr so sicher. »Wie passend«, noch
immer grinst er. »Dir ist schon bewusst, was wir mit dir
machen könnten, weil du auf unserem Gebiet bist? Zeig
mir mal bitte deine Plaka.« Was bleibt mir für eine Wahl
und im Gegensatz zu den anderen bittet er mich darum.
Ich schiebe meine Strickjacke hoch und halte ihm mein
Handgelenk hin, er nimmt es in die Hand und streicht
mit seinem Daumen über die Plaka. »Warum hast du es
an dieser Stelle?« Ich ziehe mein Handgelenk weg und
schiebe die Strickjacke wieder herunter.
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Ich kann ihm diese Frage nicht beantworten und
nachdem er mich etwas länger als normal betrachtet
hat, wird sein Blick wieder härter. »Du hast Glück,
Bella, dass ich heute mit hier war, hätten die Jungs
dich alleine erwischt ...« Er stoppt. »Ich komme nicht
mehr her.« Wieder treffen sich unsere Augen. »Das
wäre besser für dich, das nächste Mal hast du sicher
nicht so ein Glück.« Diese Aussage war klar und
deutlich. Ich nicke und gehe in Richtung Ausgang,
innerlich kommen meine Tränen, doch ich schaue
stur zur Tür.
Die Jungs, die etwas weiter weg mit dieser Maria
stehen und sich unterhalten, schauen zu mir und
Chico will auf mich zukommen. »Lasst sie gehen!«
Ich drehe mich nicht mehr um. »Paco, was soll der
Scheiß? Lass uns doch etwas Spaß mit ihr haben, sie
ist heiß und das wäre doch mal ein Zeichen, dass
sich nicht noch einer von ihnen hierher verläuft.«
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Ein anderer lacht, doch offenbar hält Paco nichts
davon, denn ich kann raustreten und gehe schnell zu
meinem Auto.
Ohne zu halten, fahre ich die zwei Straßen bis zum
neutralen Gebiet und halte auf dem Parkplatz vor der
Uni. Dann erst setzt mein Verstand richtig ein und
mir wird bewusst, was für ein Glück ich da gerade
hatte, meine Tränen laufen mir die Wange herunter
und ich zittere.
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