08.12.2012 Aufrufe

Neue Wege in der Psychiatrie - Barmherzige Brüder Schönfelderhof

Neue Wege in der Psychiatrie - Barmherzige Brüder Schönfelderhof

Neue Wege in der Psychiatrie - Barmherzige Brüder Schönfelderhof

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Der Schönfel<strong>der</strong><br />

Psichiatria Democratica<br />

<strong>Psychiatrie</strong>reform <strong>in</strong> Italien<br />

Psichiatria Democratia – <strong>in</strong>s Deutsche zu übersetzen<br />

mit „<strong>Neue</strong> <strong>Psychiatrie</strong>“, „Demokratische <strong>Psychiatrie</strong>“<br />

o<strong>der</strong> „Kritische <strong>Psychiatrie</strong>“ bezeichnet seit<br />

den 70er Jahren <strong>in</strong> Italien die Bewegung für e<strong>in</strong>e<br />

radikale Än<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Psychiatrie</strong>. Ziel war es,<br />

Macht und Gewalt <strong>der</strong> <strong>Psychiatrie</strong> entscheidend e<strong>in</strong>zudämmen,<br />

die traditionellen psychiatrischen Strukturen<br />

z.B. durch die Auflösung <strong>der</strong> psychiatrischen<br />

Anstalten aufzubrechen und parallel dazu alternative<br />

Strukturen zu entwickeln. Damit ist die italienische<br />

<strong>Psychiatrie</strong>reform zum Auslöser zahlreicher<br />

sozialpsychiatrischer Reformbewegungen <strong>in</strong> Europa<br />

geworden.<br />

Der Psychiater Franco Basaglia (†29.08.1980) gilt als<br />

Haupt<strong>in</strong>itiator des italienischen Reformgesetzes (“legge<br />

180”) und wird damit als eigentlicher Begrün<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> italienischen Reformbewegung angesehen. Basaglia<br />

übernimmt im Jahre 1961 die Leitung <strong>der</strong> psychiatrischen<br />

Anstalten Ospedale psichiatrico prov<strong>in</strong>ciale <strong>in</strong><br />

Gorizia und leitet hier den Aufbau <strong>der</strong> ersten therapeutischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er italienischen <strong>Psychiatrie</strong><br />

<strong>in</strong> die <strong>Wege</strong>. Damit gilt das Jahr 1961 fortan als<br />

offizieller Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> alternativen <strong>Psychiatrie</strong>.<br />

Se<strong>in</strong>e Kritik an <strong>der</strong> traditionellen Anstaltspsychiatrie<br />

formuliert Basaglia wie folgt: „Die Anstaltspsychiater<br />

und die an<strong>der</strong>en Psycho-Arbeiter haben den sozialen<br />

Auftrag als Gefangenenwärter und Anwalt <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

zu fungieren. Der Ausschluss <strong>der</strong> Kranken aus<br />

<strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Gesunden befreit auf diese Weise die<br />

Gesellschaft von ihren kritischen Elementen und bestätigt<br />

und sanktioniert zugleich die Gültigkeit des von<br />

ihr festgelegten Normbegriffs“¹.<br />

<strong>Psychiatrie</strong>kritik als<br />

Gesellschaftskritik<br />

Nach Ansicht Basaglias<br />

üben die psychiatrischen<br />

Anstalten die<br />

Funktion <strong>der</strong> Abschrekkung<br />

aus, <strong>in</strong>dem sie<br />

den „normalen“ Bürgern<br />

zeigen, was mit<br />

Normabweichern passiert,<br />

d.h. mit denjenigen<br />

die sich nicht an<br />

die gegebene gesellschaftliche<br />

Ordnung<br />

halten. Die Anstalten<br />

s<strong>in</strong>d demnach e<strong>in</strong>e<br />

14<br />

ordnungsschaffende Instanz <strong>der</strong> Gesellschaft zur Aufrechterhaltung<br />

<strong>der</strong> staatlichen Ordnung und zur Stärkung<br />

<strong>der</strong> staatlichen Autorität. Die Mitarbeiter dieser<br />

Institutionen mutieren folglich zu Wärtern <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Ordnung. Leidtragende <strong>in</strong> diesem psychiatrisch-gesellschaftlichen<br />

Kontext s<strong>in</strong>d folglich die<br />

Anstalts<strong>in</strong>sassen. Indem die traditionellen Anstalten<br />

ausschließlich die Verantwortung <strong>der</strong> Insassen übernehmen<br />

und ihnen jedwede Initiative und Eigenaktivität<br />

verweigern, verlieren diese ihre Selbstständigkeit<br />

durch die Entmündigung ihrer Person. Diese Formen<br />

<strong>der</strong> Verwahrung und „Korrektur“ werden außerdem<br />

als Ursache für sog. „Anstaltspsychosen“ gesehen,<br />

d.h. dass die untergebrachten Menschen psychische<br />

Verän<strong>der</strong>ungen und Hospitalisierungsschäden<br />

erleiden, die oftmals sehr viel schwerwiegen<strong>der</strong> als<br />

die ursprünglich bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weisung vorliegenden Störungen<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Ziele <strong>der</strong> <strong>Psychiatrie</strong>reform<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die genannte Kritik formulieren die Reformer<br />

die folgenden Ziele:<br />

• „Vergesellschaftung“ o<strong>der</strong> „Sozialisierung“ psychischen<br />

Leidens durch e<strong>in</strong>e radikal verän<strong>der</strong>te Gesellschaftsordnung<br />

• Überw<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> traditionellen psychiatrischen<br />

Anstalten<br />

• Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> herrschenden Gesellschaftsform<br />

• Schaffung neuer Möglichkeiten für das „Ausleben“<br />

des Wahns<strong>in</strong>ns<br />

• Wahrnehmung <strong>der</strong> psychiatrischen Versorgung vornehmlich<br />

durch Familie und jeweilige soziale Umgebung<br />

• Überwiegende Abschaffung <strong>der</strong> vielen Therapiearten.<br />

<strong>Neue</strong> Gesetze zur <strong>Psychiatrie</strong>reform<br />

Bis zur <strong>Psychiatrie</strong>reform im Jahre 1978 gilt das Giolitti-Gesetz<br />

(Gesetz Nr. 36) aus dem Jahre 1904. Hiernach<br />

musste jede Person, die fremd- o<strong>der</strong> selbstgefährdet<br />

o<strong>der</strong> für die Öffentlichkeit nicht tragbar war, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Anstalt untergebracht werden. Das Gesetz lässt<br />

ke<strong>in</strong>e freiwillige E<strong>in</strong>weisung zu und Zwangse<strong>in</strong>weisungen<br />

und die nach e<strong>in</strong>em Monat automatisch erfolgende<br />

Entmündigung werden zur Regel. Die Anstalten<br />

werden somit zum Sammelbecken für ungelöste soziale<br />

Problemfälle und dienen als Zucht- und Erziehungs<strong>in</strong>stanzen.<br />

Mit neuen Gesetzen wollen die Reformer<br />

<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> verbreiteten Auffassung über<br />

unheilbare und gefährliche „Geisteskranke“, die <strong>in</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!