LaVida-September-Dezember-2012
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Körperpsychotherapie - Die Sprache der Hände<br />
Dr. Tilmann Moser<br />
4<br />
In einer Reihe von nicht kassenzugelassener<br />
Psychotherapien ist Berührung eine Selbstverständlichkeit.<br />
Nicht so in den klassischen tiefenpsychologischen<br />
Verfahren bei Freud, Jung<br />
und Adler, aber auch in der Gesprächs- und<br />
Gestalttherapie. Da sind die Widerstände immer<br />
noch groß, weil Sexualisierung befürchtet<br />
wird. Es kommt aber darauf an, wie sicher die<br />
Therapeuten sich in ihrem Mutter- oder Vaterkörper<br />
fühlen.<br />
Diese Sicherheit führt zu einer neuen, liberaleren<br />
Form der Abstinenz, also dem Schutz<br />
vor jeder Art von Übergriffen und Missbrauch<br />
von Seiten des Therapeuten.<br />
Deshalb untersuche ich die Bedeutung der Hand<br />
für alle Therapieformen:<br />
Verliebt spielen Mütter und Väter mit den kleinen<br />
Händchen ihrer Babys und Kleinkinder. Sie<br />
genießen es, wenn sich die Fingerchen um den<br />
großen Daumen schließen, das Greifen lernen<br />
und Halt suchen für erste Übungen des Sich-<br />
Aufrichtens. Die elterlichen Hände bedeuten<br />
viel: Zufuhr von Wärme, Sicherheit und Geborgenheit,<br />
formgebende Massage; Turngeräte;<br />
Krangreifer zum Hochheben und Aufsammeln<br />
nach einem Sturz; Beruhigung in den Stürmen<br />
überstarker Gefühle. Sie sind Symbole der verschiedensten<br />
Formen von Nähe, des Festhaltens<br />
wie des Freigebens; außerdem für Werkzeuge<br />
des Strafens wie des Streichelns, der<br />
Zärtlichkeiten wie der Übergriffe. Elternhände<br />
spiegeln das ganze kindliche Beziehungsschicksal,<br />
vom ersten vorsichtigen Greifen bis<br />
zum Spazieren an der Hand, vom Loslassen<br />
bis zur eiligen Rückkehr zu haltendem Trost<br />
und zur zielstrebigen Führung.<br />
Patienten bringen ihre Hände mit in die Psychotherapie.<br />
In der klassischen Psychoanalyse<br />
bleiben sie unberührt, bis auf das meist kurze<br />
Handdrücken bei der Begrüßung oder dem<br />
Abschied. Man kann über die Hände sprechen,<br />
über frühes Glück und durch Hände zugefügtes<br />
Leid. Aber beim Gegenüber oder auf der Couch<br />
bleiben sie untätig, werden nicht mehr berührt,<br />
berühren nur noch den eigenen Körper, nesteln<br />
an der Kleidung, streichen Trost suchend über<br />
den eigenen Mund, halten die Wange oder<br />
den schweren Kopf, halten sich aneinander<br />
fest, geraten ins Schwitzen oder ins Frieren,<br />
umklammern mit Hilfe der Arme die eigenen<br />
Schultern oder schließen sich angestrengt<br />
und Halt gebend oder suchend um die eigene<br />
Brust, auch um Angst zu verbergen oder Trotz<br />
zu signalisieren.<br />
Das kann die unbewusste oder bewusstseinsnahe<br />
Überzeugung verstärken, der eigene Körper<br />
sei abstoßend, räudig oder sonstwie ekelhaft,<br />
und der Therapeut hüte sich aus diesem<br />
Grund vor jeder Berührung.<br />
Es gibt Patienten, die sich in ihrer unerfüllbaren<br />
Sehnsucht, aus elterlicher Kälte und Vernachlässigung<br />
entstanden, sogar mit den indischen<br />
„Unberührbaren“ identifizieren. Gerade<br />
Menschen, die Übergriffe oder Missbrauch<br />
erlebt haben, spüren genau, ob und wie viel