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LaVida-September-Dezember-2012

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Körperpsychotherapie - Die Sprache der Hände<br />

Dr. Tilmann Moser<br />

4<br />

In einer Reihe von nicht kassenzugelassener<br />

Psychotherapien ist Berührung eine Selbstverständlichkeit.<br />

Nicht so in den klassischen tiefenpsychologischen<br />

Verfahren bei Freud, Jung<br />

und Adler, aber auch in der Gesprächs- und<br />

Gestalttherapie. Da sind die Widerstände immer<br />

noch groß, weil Sexualisierung befürchtet<br />

wird. Es kommt aber darauf an, wie sicher die<br />

Therapeuten sich in ihrem Mutter- oder Vaterkörper<br />

fühlen.<br />

Diese Sicherheit führt zu einer neuen, liberaleren<br />

Form der Abstinenz, also dem Schutz<br />

vor jeder Art von Übergriffen und Missbrauch<br />

von Seiten des Therapeuten.<br />

Deshalb untersuche ich die Bedeutung der Hand<br />

für alle Therapieformen:<br />

Verliebt spielen Mütter und Väter mit den kleinen<br />

Händchen ihrer Babys und Kleinkinder. Sie<br />

genießen es, wenn sich die Fingerchen um den<br />

großen Daumen schließen, das Greifen lernen<br />

und Halt suchen für erste Übungen des Sich-<br />

Aufrichtens. Die elterlichen Hände bedeuten<br />

viel: Zufuhr von Wärme, Sicherheit und Geborgenheit,<br />

formgebende Massage; Turngeräte;<br />

Krangreifer zum Hochheben und Aufsammeln<br />

nach einem Sturz; Beruhigung in den Stürmen<br />

überstarker Gefühle. Sie sind Symbole der verschiedensten<br />

Formen von Nähe, des Festhaltens<br />

wie des Freigebens; außerdem für Werkzeuge<br />

des Strafens wie des Streichelns, der<br />

Zärtlichkeiten wie der Übergriffe. Elternhände<br />

spiegeln das ganze kindliche Beziehungsschicksal,<br />

vom ersten vorsichtigen Greifen bis<br />

zum Spazieren an der Hand, vom Loslassen<br />

bis zur eiligen Rückkehr zu haltendem Trost<br />

und zur zielstrebigen Führung.<br />

Patienten bringen ihre Hände mit in die Psychotherapie.<br />

In der klassischen Psychoanalyse<br />

bleiben sie unberührt, bis auf das meist kurze<br />

Handdrücken bei der Begrüßung oder dem<br />

Abschied. Man kann über die Hände sprechen,<br />

über frühes Glück und durch Hände zugefügtes<br />

Leid. Aber beim Gegenüber oder auf der Couch<br />

bleiben sie untätig, werden nicht mehr berührt,<br />

berühren nur noch den eigenen Körper, nesteln<br />

an der Kleidung, streichen Trost suchend über<br />

den eigenen Mund, halten die Wange oder<br />

den schweren Kopf, halten sich aneinander<br />

fest, geraten ins Schwitzen oder ins Frieren,<br />

umklammern mit Hilfe der Arme die eigenen<br />

Schultern oder schließen sich angestrengt<br />

und Halt gebend oder suchend um die eigene<br />

Brust, auch um Angst zu verbergen oder Trotz<br />

zu signalisieren.<br />

Das kann die unbewusste oder bewusstseinsnahe<br />

Überzeugung verstärken, der eigene Körper<br />

sei abstoßend, räudig oder sonstwie ekelhaft,<br />

und der Therapeut hüte sich aus diesem<br />

Grund vor jeder Berührung.<br />

Es gibt Patienten, die sich in ihrer unerfüllbaren<br />

Sehnsucht, aus elterlicher Kälte und Vernachlässigung<br />

entstanden, sogar mit den indischen<br />

„Unberührbaren“ identifizieren. Gerade<br />

Menschen, die Übergriffe oder Missbrauch<br />

erlebt haben, spüren genau, ob und wie viel

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