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HEINZ Magazin Wuppertal 01-2017

HEINZ Magazin Januar 2017, Ausgabe für Wuppertal, Solingen, Remscheid

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„DIE BLUMEN VON GESTERN“, © EDITH HELD, FOUR MINUTES FILMPRODUKTION<br />

D<br />

ie Verantwortung liegt bleischwer auf den Beteiligten wie die<br />

Tristesse auf der rußigen Stahlarbeiterstadt Seraing. In ihrer belgischen<br />

Heimatstadt inszenieren die Gebrüder Dardenne unter<br />

dem Titel „Das unbekannte Mädchen” den Tod einer Afrikanerin zum<br />

Sozialdrama einer Gemeinde im Niedergang. Für die junge Ärztin ist<br />

der Ort nur eine kurze Zwischenstation auf dem Weg zu einer besseren<br />

Stellung. Für den erkrankten Kollegen Habran springt sie in dessen<br />

Hausarzt-Praxis ein. Doch das berufliche Intermezzo erweist sich<br />

als schicksalhaft. Den jungen Praktikanten Julien weist sie so rüde zurecht,<br />

dass er noch am gleichen Tag kündigt und das Medizinstudium<br />

an den Nagel hängt. Kurz darauf klingelt es nach Feierabend an der Praxistür<br />

– Jenny beschließt, nicht zu öffnen. Am nächsten Tag erfährt sie<br />

von der Polizei, dass die junge Frau auf dem Überwachungsvideo des<br />

Praxiseingangs kurz darauf gewaltsam zu Tode kam. Für Jenny ist Reue<br />

angesagt. Sie macht sich auf den Weg, Julien von seinem Entschluss<br />

abzubringen, und sie versucht etwas über die unbekannte Tote herauszufinden,<br />

von der die Polizei noch nicht einmal den Namen kennt.<br />

So weit könnte der Film glatt als belgischer „Tatort“ durchgehen, doch<br />

für Jean-Pierre und Luc Dardenne ist der Mordfall lediglich Katalysator<br />

einer Gesellschaft, der die bindenden Glieder verloren gehen. Und so<br />

lernt Jenny eine Lektion in Sachen Verantwortung und Achtsamkeit,<br />

die heute vielfach schon als Fremdwort betrachtet werden.<br />

Frauen in prekären Umständen stehen in Chris Kraus’ Tragikomödie<br />

„Die Blumen von gestern” im dramatischen Mittelpunkt. Ob die musikbegabte<br />

Gefängnisinsassin Jenny in „Vier Minuten“ oder die Gutsherrentochter<br />

am Vorabend des Ersten Weltkriegs in „Poll“: Die Vergangenheit<br />

spielt immer eine prägende Rolle. In seinem neuen Film wagt sich<br />

der Filmemacher mit heikler Perspektive an ein brisantes Thema: Darf<br />

der Holocaust auch grotesk sein? Für den Historiker Totila (Lars Eidinger)<br />

ist die Shoa jedenfalls ein todernstes Thema. Er soll eine Überlebende<br />

als zentrale Zeitzeugin für eine Holocaust-Tagung gewinnen. Da<br />

findet er die junge französische Assistentin Zazie (Adèle Haenel) mit<br />

ihren unkonventionellen Auffassungen genauso fehl am Platze wie eigentlich<br />

auch Frau Rubinstein. Die Auschwitz-Überlebende will nämlich<br />

lieber über ihre Schönheitsoperationen als über „damals“ reden.<br />

Im diffizilen Geflecht der Sachzwänge um Forschungsmittel, Sponsoren<br />

und Medienerfordernisse geraten die Dinge endgültig aus den<br />

Fugen, als Zazie Totila eröffnet, wer sie wirklich ist: Ihre jüdische Großmutter<br />

ging einst mit Totilas Großvater in Riga zur Schule. Der spätere<br />

NS-Bonze wurde als KZ-Leiter zum Mörder der Klassenkameradin. So<br />

offenbart sich nicht nur Totilas Forschung als biografische Obsession,<br />

sondern auch Zazies Interesse an ihm als hochneurotisch: Durch eine<br />

erotische Verbindung soll die Vergangenheit geheilt werden.<br />

Der groteske Ansatz ist Geschmackssache, aber originell ist er jedenfalls.<br />

Und Adèle Haenel spielt diesen Fall von generationsübergreifendem<br />

Stockholm-Syndrom mit ergreifender Präsenz. philipp koep<br />

❚ DAS UNBEKANNTE MÄDCHEN (La fille inconnue) F/B 2<strong>01</strong>6, 113 Min., Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne,<br />

mit: Adèle Haenel, Olvier Gourmet, Jérémie Renier, Fabrizio Rongione; Start: 15.12.<br />

❚ DIE BLUMEN VON GESTERN D/A 2<strong>01</strong>6, 125 Min., Regie u. Buch: Chris Kraus, mit: Adèle Haenel, Lars<br />

Eidinger, Hannah Herzsprung, Jan Josef Liefers, Sigrid Marquardt, Bibiana Zeller, Rolf Hoppe; Start: 12.1.<br />

Samson Young, Pastoral Music (But It Is Entirely Hollow), 2<strong>01</strong>4 -,<br />

Photo documentation of fieldwork, Credit: Dennis Man Wing Leung<br />

SIMON<br />

FUJIWARA<br />

FIGURES IN A<br />

LANDSCAPE<br />

17. DEZ. 2<strong>01</strong>6<br />

— 5. MÄR.<br />

2<strong>01</strong>7<br />

SAMSON<br />

YOUNG<br />

A DARK THEME<br />

KEEPS ME HERE,<br />

I’LL MAKE A<br />

BROKEN MUSIC<br />

Kunsthalle Düsseldorf<br />

Grabbeplatz 4 40213 Düsseldorf<br />

www.kunsthalle-duesseldorf.de<br />

Di – So, Feiertage 11 – 18 Uhr<br />

„DAS UNBEKANNTE MÄDCHEN“, © TEMPERCLAYFILM, CHRISTINE PLENUS<br />

Adèle Haenel<br />

Bereits bei ihrem ersten Auftritt beeindruckte sie mit der Darstellung<br />

eines autistischen Mädchens in dem Findlingsdrama „Kleine<br />

Teufel“ (2002). Sie war dreizehn und das Publikum war begeistert,<br />

da hatte die Tochter eines österreichischen Übersetzers und einer<br />

französischen Lehrerin gerade ein wenig Schauspielunterricht in<br />

der provinziellen Ile de France absolviert. Fünf Jahre später spielte<br />

Adèle Haenel die Hauptrolle in „Water Lilies“ (2007), einem Initiationsdrama<br />

über die Irrungen und Wirrungen des erotischen Erwachens.<br />

Der Film wurde auch für die Kinodebütantin Céline Sciamma<br />

ein Achtungserfolg, seither sind Adèle Haenel, die den César als<br />

beste Nachwuchsdarstellerin erhielt, und die Filmemacherin privat<br />

ein Paar. 2<strong>01</strong>4 gewann Haenel den französische Oscar „César“ für<br />

eine Nebenrolle in „Die unerschütterliche Liebe der Suzanne“ und<br />

im folgenden Jahr für die Hauptrolle in der eigenwilligen Mischung<br />

aus Romanze und Überlebenstraining „Liebe auf den ersten Schlag“.<br />

Kunsthalle Düsseldorf<br />

Grabbeplatz 4 40213 Düsseldorf<br />

www.kunsthalle-duesseldorf.de<br />

Di – So, Feiertage 11 – 18 Uhr<br />

Gefördert durch<br />

Mit freundlicher Unterstützung von<br />

Ständige Partner<br />

Simon Fujiwara, Joanne, 2<strong>01</strong>6, Commissioned by FVU,<br />

The Photographers' Gallery and Ishikawa Foundation,<br />

Supported by Arts Council England, © The Artist<br />

Die Aus stel lung und der<br />

Ka ta log Samson Young wur den<br />

im Rah men des För der prei ses<br />

„Ka ta lo ge für jun ge Künst ler“<br />

un ter stützt durch:

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