Seite 1 Anfang Die Wupper Geboren und ... - Thomas Reichert
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<strong>Thomas</strong> <strong>Reichert</strong> – www.regie-thomasreichert.de – kontakt@regie-thomasreichert.de<br />
Augen voll <strong>und</strong> kräftig, die ersten Helden eines Kindes, wie behalten<br />
sie ihre Würde. Was ist zu tun, damit sie nicht in die Matratze<br />
sickern. Und die Alten, jeder allein in dem Grauen, was stirbt da alles<br />
ab. Der Blick in den Spiegel, an sich hinunter, was sollen all diese<br />
Gliedmaße, was haben sie alles getan, was haben sie alles<br />
versäumt.<br />
Zuvor hatte ich zusammen mit Daniela Kranz den großartigen ersten<br />
Theatertext von Theresia Walser inszeniert <strong>und</strong> ausgestattet. „Kleine<br />
Zweifel“ mit Regina Schweighofer als Wendla Teusch.<br />
Goethes Iphigenie<br />
2001. In einem Bühnenbild von mir, einem Raum am Rande der<br />
Unendlichkeit. Wieder mit Monique Schwitter <strong>und</strong> Martin<br />
Bretschneider als Iphigenie <strong>und</strong> Orest. Kostüme Rike Russig, Musik<br />
Matthias Thurow.<br />
... Schönheit oder Intelligenz, ein deutscher Gegensatz, aber die<br />
Interpretation von Iphigenie hat darunter immer gelitten.<br />
Ich denke, dass mit der Schönheit hat sich so ziemlich erledigt, wenn<br />
man den Kritikern trauen darf in ihrer Beurteilung des Sprechens von<br />
geb<strong>und</strong>ener Sprache am Theater. Nun, wir haben sicher viel<br />
vergessen von der Tradition, wie man solche Verse spricht, aber viel<br />
haben wir auch zu recht vergessen. Es ist eine neue, unsere Zeit,<br />
um adäquate Formen zu finden, wie man<br />
Goethes großartigen Versen gerecht wird. Und ich meine, das der<br />
Schlüssel heute wesentlich im radikalgeformtem Rhythmus zu<br />
suchen ist, in schnellen Tempi, in harten Tempowechseln,<br />
gewonnen aus dem Widerstreit von Inhalt <strong>und</strong> Form. Größtmögliche<br />
Transparenz bei oftmals ganz hartem Beat oder weichsten<br />
Balladentönen; Pausen.<br />
Wie dünn liegt Kultur <strong>und</strong> Barbarei beieinander. Wir wissen es heute,<br />
nicht mal mehr ein Blatt Papier ist dazwischen, nur mehr ein Mouse -<br />
Click. Und Goethes Sprache - der sogenannte Wohlklang seiner<br />
Verse - sind Einlassung, sind Kampf, gegen das bösartige Chaos,<br />
das Grauen der menschlichen Natur, die Willkür der Götter.<br />
<strong>Die</strong> wütende Verständnislosigkeit über den „Schuldzusammenhang<br />
alles Lebendigen“ (W.Benjamin).<br />
Bis aufs äußerste knapp unter Goethes Versen gibt es kein Halten<br />
mehr. In ihnen hat es die zitternde Schönheit des weiten Blicks, den<br />
man genießen kann, wenn man mitten im Lager von Buchenwald<br />
nahe Weimar steht.<br />
Dianens Hain, ein dünner Ort am Rande der Unendlichkeit. Dort<br />
kämpft Iphigenie mit ihrer Liebe zur Wahrheit - vielleicht ihr Erbteil<br />
seit sie nach Aulis gelockt wurde – entscheidet sie sich, den<br />
gefährlichsten Weg zu gehen.<br />
<strong>Die</strong>, von so vielen Interpreten geschmähte Tat Iphigenies, sich <strong>und</strong><br />
„ihr Volk“ Thoas auszuliefern mit der Preisgabe der Verschwörung,<br />
ist ihre große Tat - sie steht mit größtmöglichem Risiko zu ihrer<br />
Überzeugung wie der Held in fast jeder guten Geschichte. Human<br />
wird sie erst in dem Augenblick, in dem Humanität nicht länger auf<br />
sich <strong>und</strong> ihrem höheren Recht beharrt.<br />
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