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Seite 1 Anfang Die Wupper Geboren und ... - Thomas Reichert

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<strong>Thomas</strong> <strong>Reichert</strong> – www.regie-thomasreichert.de – kontakt@regie-thomasreichert.de<br />

Der Schein trügt<br />

Mein drittes Stück von Bernhard, ich hatte 1980 am Bremer Theater<br />

„Vor dem Ruhestand“ inszeniert, das rhythmisch für mich am<br />

radikalsten gebaute Stück von ihm. Und ich habe schon damals eine<br />

Hassliebe zu diesem Autor entwickelt. Immer wenn man mich<br />

aufforderte ein Stück von ihm zu machen, habe ich erst mal<br />

abgesagt. „Theatermacher“ sollte ich schon mal in Zürich machen.<br />

<strong>Anfang</strong>s geht mir dieses unendliche Gequatsche immer unendlich<br />

auf die Nerven, aber, wenn ich dann mal am arbeiten bin, faszinieren<br />

mich Bernhards Wortkaskaden immer <strong>und</strong> immer mehr.<br />

Trotzdem, jedes Mal stelle ich mir die Frage neu: Sind diese<br />

Vernichtungs- <strong>und</strong> Selbstvernichtungsorgien von Bernhard produktiv<br />

<strong>und</strong> besonders jetzt, wo er so völlig zum unwidersprochenen<br />

Klassiker gemacht wurde. Taugt er überhaupt, wenn das Vergnügen<br />

der Provokation wegfällt. Ist der Narr zum Opa geworden wie sein<br />

wichtigster Regisseur, der große Clown, an dem nur mehr die<br />

Pappnase rot ist.<br />

Natürlich, Bernhards Wortschöpfungen sind oft vergnüglich, die<br />

Radikalität seiner Formulierungen großartig.<br />

Aber in unserer Zeit, wo das alte Mitteleuropa seine geschützte<br />

Position zwischen den Blöcken verloren hat <strong>und</strong> immer unerbittlicher<br />

in die Kälte der internationalen Kapital/Machtverhältnisse<br />

hineingehalten wird, das antiautoritäre Kind mit reichen Eltern,<br />

natürlich krank, natürlich vom Wehrdienst befreit, muss plötzlich<br />

Haltung zeigen, den Kopf hinhalten - sind da nicht Bernhards<br />

schönste Orgien der sich im Schmerz windenden Körperköpfe nur<br />

mehr geschmacklos, nur mehr witzig. Obszöne Nabelschau.<br />

Natürlich Theaterfutter, haben diese Texte doch schon viele, soge-<br />

nannte große Schauspieler ihr Handwerk vorführen lassen zur<br />

Mehrung ihres Ruhmes <strong>und</strong> Bernhards. Ein Jahrmarkt der<br />

Eitelkeiten. Nur die sog. Skandale gaben diesen Stücken den Schein<br />

der Moderne, dahinter teuerst ausgestattetes braves Staatstheater,<br />

unbehelligtes Schlafen im Zuschauerraum einerseits, theatralischste<br />

Empörung andererseits, aber warum sollten ausgerechnet das<br />

Publikum, besser die Kritiker, die einzigen sein, die bei diesen<br />

Veranstaltungen sich uneitel geben.<br />

Oder ist Bernhard doch Becketts Erbe. Liegt hinter den äußerlichen<br />

Schrecken, den Skandalen, die ihn erst mal berühmt machen<br />

mussten, der wahre Schrecken: „Wir können die Welt nur<br />

verbessern wenn wir sie abschaffen“ <strong>und</strong> die Formulierung als<br />

einzige Utopie.<br />

Handelt es sich bei Bernhard vielleicht doch um eine besondere,<br />

eine österreichisch - süddeutsche Spielart der Kritik an unseren<br />

Wertvorstellungen, der unabdingbaren Verlogenheit unseres<br />

täglichen Tuns. So spezifisch krass in dieser Landschaft, die so<br />

besonders gesegnet ist mit Naturschönem <strong>und</strong> Kunstschönen. Und<br />

in Bernhards so unendlichen kleinem Reden, Reden, Reden zeigt<br />

sich vielleicht am radikalsten, dass alles Sehnen nach Werten, nach<br />

objektiven Werten, jede Standortbestimmung, jedes<br />

Glücksversprechen korrumpiert wird, schon korrumpiert ist, schon<br />

beim Formulieren ins Grauen umschlägt, wenn dahinter das Kalkül<br />

zum Vorschein kommt.<br />

Ich meine damit, in unserer Gesellschaft ist doch alles verfemt, was<br />

sich nicht rechnet. Gleichzeitig geht alle Sehnsucht nach dem, was<br />

<strong>Seite</strong> 13<br />

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