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kim-eisenheide-mein-sommer-als-unsichtbarer-anders

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Was wirst du machen, wenn du weißt, dass du nicht mit der Konsequenz leben musst?<br />

Gilt der kategorische Imperativ?<br />

Die Vielfalt der Möglichkeiten machte mich schwindelig. All die verschütteten Wünsche<br />

kamen in mir hoch. Doch was würde ich machen, wenn ich sie sah. Nur zusehen? Oder<br />

anfassen? Wie konnte ich anfassen, ohne entdeckt zu werden?<br />

Ratlos blieb ich stehen. Es war Sommer, wir hatten bestimmt 33° Celsius – wenn von<br />

diesen Villen nicht mindestens jede zweite mit einem Pool ausgestattet war, würde ich<br />

<strong>mein</strong>en Namen in Chevy Chase ändern.<br />

Ich betrat über die erste Auffahrt, die nicht mit einem Tor gesichert war, ein<br />

großzügiges Anwesen. Das Problem, vor das ich mich dann gestellt sah, war ein ganz<br />

banales: Auch <strong>als</strong> Unsichtbarer konnte ich nicht durch geschlossene Türen gehen. Und<br />

hinter das Haus, so stellte ich schnell fest, führte der Weg nur über einen spitzen Zaun.<br />

Diese Mühe wollte ich mir nicht machen, <strong>als</strong>o versuchte ich es beim nächsten Haus<br />

nebenan. Dort gelangte ich zwar hinter das Haus auf die Terrasse, doch niemand war<br />

zuhause und alle Türen waren verschlossen.<br />

Es war nicht so einfach wie gedacht, anderer Leute Privatsphäre zu missachten.<br />

Manchmal waren die Jalousien heruntergelassen, manchmal waren die Türen einfach nur<br />

verschlossen.<br />

Unbefriedigt schlich ich über den Rasen. Am liebsten wäre ich in den See gesprungen.<br />

Von irgendwo erscholl Musik. Ich kletterte über den Zaun und landete im Garten eines<br />

Familienanwesens mit Spielsachen auf dem Rasen. Daran hatte ich kein Interesse.<br />

Ich brauchte Penetration. Lust. Ich war doch nicht Unsichtbar, um Rentnern beim<br />

Feiern zuzusehen.<br />

Der Lärm nahm zu, und nach einer weiteren überwundenen Grundstücksgrenze<br />

erreichte ich die Quelle. Im Garten einer großen Villa mit Pool fand eine Grillparty statt.<br />

Viele gut angezogene Menschen saßen mit Flaschen, Gläsern, Tellern auf teuer<br />

aussehenden Gartenmöbeln. Zwischendurch lief ein Hund.<br />

Am Grill stand ein Mann, der wie der Herr des Hauses aussah. Lachen, Musik,<br />

Konversation. Viel zu viel für mich. Ein Englisch sprechender Depp trat mir beim<br />

Vorbeigehen auf den Fuß und merkte es nicht einmal, ein anderer Snob rannte mich<br />

beinahe um.<br />

Eine Party ist kein guter Ort für einen Unsichtbaren.<br />

Vor allem nicht ab dem Moment, an dem mich der Hund witterte und mich anbellte.<br />

Knurrend hockte er vor der Terrasse. Es sah zum Glück aus, <strong>als</strong> belle er den Grillmeister<br />

an.<br />

Ich schlich um den Grill herum, das blöde Vieh folgte mir. Der Herr des Hauses fluchte,<br />

der Hund bockte. Unauffällig stupste ich eine Wurst von einem Teller, auf dem sich das<br />

Fleisch türmte. Der Hund kannte, kläffte, schnappte sich die Wurst, der Hausherr<br />

schimpfte noch lauter und trat nach dem Köter, der jaulend verschwand.<br />

Blödes Vieh.<br />

Unter dem großen Proteststurm einiger anwesender Tierfreunde, den<br />

beschwichtigenden Worten des Grillmeisters und einem anschließenden Prösterchen (auf<br />

alle aussterbenden Tierarten, die nicht gegessen werden können) schnappte ich mir ein<br />

Schnitzel und verkroch mich in den Schatten einer Buchenhecke.<br />

Dort verschlang ich gierig das Schnitzel, vermied jeden Blick auf <strong>mein</strong>en Magen oder

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