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Grundschule aktuell 89 Kinder vermessen?

Kinder vermessen?

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Heft Nr. <strong>89</strong> • I. Quartal • Februar 2005 • Best. Nr. 6024 • D9607F<br />

Grundschulverband – Arbeitskreis Grund schu le e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frank furt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de<br />

Beilage: Leporello »Pädagogische Leistungskultur«


Editorial<br />

<strong>Grundschule</strong><br />

<strong>aktuell</strong><br />

Inhalt<br />

Unsere Zeitschrift hat einen neuen Titel! Was 1969 mit Gründung des<br />

»Arbeitskreises <strong>Grundschule</strong>« als Mitteilungsblatt begann, entwickelte sich<br />

über die Jahre zu einer eigenständigen Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />

die<br />

■ sich kritisch in bildungspolitische Debatten einmischt,<br />

■ <strong>aktuell</strong>e, für die Schulpraxis bedeutsame Forschungsergebnisse lesefreundlich<br />

publiziert und<br />

■ im thematischen Rahmen <strong>aktuell</strong>e innovative Schulpraxis vorstellt und<br />

Anregungen zur Schul- und Unterrichtsgestaltung vermittelt.<br />

Diese Veränderung des Charakters wird sich fortan auch im Titel ausdrücken.<br />

Vorstand und Delegiertenversammlung des Grundschulverbandes haben beschlossen,<br />

von 2005 an – beginnend mit diesem Heft – den Titel in »GRUND-<br />

SCHULE AKTUELL – Zeitschrift des Grundschulverbandes« zu ändern.<br />

Unter der Lupe. Zentrale Lernstandsüberprüfungen sind eine der Maßnahmen,<br />

die sich bundesdeutsche Kultusministerien ausgedacht haben, um aus<br />

der »PISA-Schieflage« herauszukommen. Zuletzt haben sieben Bundesländer<br />

»Vergleichsarbeiten in Klasse 4« in den Fächern Deutsch und Mathematik<br />

schreiben lassen. Grund genug, Aufgabenstellungen, »Setting« und bildungspolitische<br />

Kontexte dieses Vorhabens kritisch »unter die Lupe« zu nehmen.<br />

Hans Brügelmann fragt, was zentrale Testprogramme leisten sollen und<br />

können, Horst Bartnitzky analysiert und kommentiert die Aufgaben für<br />

Deutsch, Christoph Selter die für Mathematik.<br />

Pädagogische Leistungskultur. Zu einer guten Schule, die sich die Bildungsansprüche<br />

der <strong>Kinder</strong> zu eigen macht, gehört die Entwicklung einer pädagogischen<br />

Leistungskultur. Aktivitäten und praktische Anstöße dazu gehören<br />

zur Tradition des Grundschulverbandes. »Leistungen der <strong>Kinder</strong> – würdigen<br />

statt urteilen« war der Titel unseres Heftes 85. Seither hat der Grundschulverband<br />

ein Projekt »Pädagogische Leistungskultur« angestoßen, um unsere<br />

Überlegungen und Argumente wirksam in die <strong>aktuell</strong>e Bildungsdiskussion<br />

einzubringen. In diesem Jahr werden wir alltagstaugliche Materialien für eine<br />

pädagogische Leistungsbewertung veröffentlichen, zunächst für die Fächer<br />

Deutsch, Mathematik und Sachunterricht in den Klassen 1 und 2 (siehe S. 33).<br />

Leporello. Diesem Heft liegt ein Leporello bei, das als Plakat im Lehrerzimmer<br />

ausgehängt werden und an Kolleg/innen weitergegeben werden kann. Es<br />

formuliert griffig die Aspekte pädagogischer Leistungskultur für Konferenzen<br />

und Veranstaltungen und präsentiert augenfällig, worum es geht: Um<br />

die <strong>Kinder</strong>! Weitere Exemplare des Leporellos können bei der Geschäftsstelle<br />

angefordert werden.<br />

He.<br />

Impressum<br />

, die Zeitschrift des Grundschulverbandes erscheint<br />

viertel jährlich und wird allen Mit glie dern zugestellt.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft kostet 5 €;<br />

für Mitglieder und bei Sam mel be stel lun gen ab 10 Hefte 3 € (incl. Versand).<br />

Verlag: Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />

Niddastraße 52, 60329 Frankfurt/Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80;<br />

Internet: www.grundschulverband.de, E-Mail: info@grundschulverband.de<br />

Herausgeber: Horst Bartnitzky (für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />

Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers, Tel. 0 28 41 / 2 17 14,<br />

E-Mail: ulrichhecker@aol.com<br />

Redaktionelle Mitarbeit: Friederike Heinzel (Forschung);<br />

Edgar Bohn, Sibylle Jaszovics, Beate Schweitzer (aus den Lan des grup pen)<br />

Titelfotos: Bert Butzke<br />

Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung, Publikationen GmbH,<br />

Bödekerstr. 73, 30161 Hannover, Tel. 05 11 / 9 61 69 – 11, Fax: 05 11 / 9 61 69 – 99<br />

Anzeigenverwaltung: Brigitte Bell, Verlagsgruppe Beltz, Tel. 0 62 01 / 6 00 73 80,<br />

Fax 0 62 01 / 6 00 73 93<br />

Druck: Druckhaus Beltz, 69502 Hemsbach<br />

ISSN 1430-7804<br />

Beilagen: »Eine Welt in der Schule« als ständige Beilage; Leporello k-i-n-d<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

1


Tagebuch<br />

<strong>Kinder</strong> brauchen Menschen, die für sie da sind<br />

Ute Andresen<br />

Grundschullehrerin<br />

(seit 1967 in Bayern)<br />

und Autorin,<br />

im Hochschuldienst<br />

(seit 1992 in Erfurt),<br />

Giselastr. 11,<br />

80802 München,<br />

www.ute-andresen.de<br />

Dierk verblüffte uns, als er aus der Zeitung vorlas, bevor<br />

er in die Schule kam. Ganz von allein hatte er das gelernt!<br />

Frauke, die Zwillingsschwester, konnte das nicht. Zwei<br />

<strong>Kinder</strong> in einer Familie, unzertrennlich, also gleichen<br />

Einflüssen ausgesetzt. Er kann vierzig Jahre später nicht<br />

sagen, wie er zu lesen anfing. Sie weiß noch genau, dass<br />

beide mit dem Vater in der Zeitung »Buchstabensuchen«<br />

gespielt haben. Rätselhaft, dass er daraufhin lesen lernte,<br />

sie aber nicht. Gut für sie, dass der Schulbeginn klarstellte:<br />

»Es ist für dich wie für alle <strong>Kinder</strong> hier in<br />

der Klasse an der Zeit, dass du jetzt auch lesen<br />

lernst.« Das tat sie im Handumdrehn.<br />

Als Felix verstanden hatte, wie aus Buchstaben<br />

Wörter und Sätze werden, hieß es: Lesen üben!<br />

Lotte sollte auf dem Sofa sitzen, die Fibel halten<br />

und mit dem Finger das Wort zeigen, das dran<br />

war. Er hockte auf den Knien daneben, schaute<br />

mit ins Buch, mühte sich auszusprechen und<br />

Sinn zu erkennen, und wirbelte dabei immer wieder<br />

um sich selbst. Mehrmals musste sie es so<br />

mit ihm und seiner Anspannung und Unruhe aushalten,<br />

dann konnte er stillsitzen, sein Buch selber halten und<br />

brauchte sie nicht mehr, um Leser zu werden.<br />

Pauline war stolz, echt lesen zu können und übte die<br />

Hausaufgabe, einen Fibeltext. Doch manchmal schwankte<br />

ihre Stimme, und was sie hören ließ, hatte keinen rechten<br />

Sinn. Die Mutter verbesserte sie jedes Mal, aber die Unsicherheit<br />

blieb. Bis die Mutter erkannte, dass Pauline<br />

gelegentlich zwei Buchstaben nicht klar unterschied: das<br />

»l« und das »n«. Die fühlten sich wohl in ihrem Mund gar<br />

zu ähnlich an. Das ließ sich klären, die beiden Buchstaben<br />

wurden unterscheidbar. Die Unsicherheit verschwand,<br />

bevor sie sich festsetzen konnte.<br />

Dierk, Frauke, Felix, Pauline – alle vier <strong>Kinder</strong> bekamen,<br />

was sie jeweils brauchten, vor und neben den methodischen<br />

Bemühungen der Schule um ihr Lesenlernen:<br />

Jemand war für sie da. Jemand lenkte ihren Blick. Jemand<br />

las vor. Jemand gab ein Beispiel. Jemand zeigte Interesse.<br />

Jemand stellte Aufgaben, Jemand gab Halt mit Geduld.<br />

Jemand versuchte eine Unsicherheit zu verstehen. Jemand<br />

erklärte und löste einen Knoten. Es war auch sonst<br />

für sie gesorgt mit Essen und Trinken, Stiften und Papier,<br />

Büchern und Spielzeug, Bewegung und frischer Luft, Anregung<br />

und Ruhe, Aufmerksamkeit und Liebe, Schutz und<br />

Sicherheit, Freiheit und Grenzen. Sie hatten das meiste,<br />

was <strong>Kinder</strong> brauchen, um sich ohne Verzögerung gut<br />

auf die Schule hin zu entwickeln. Und sie waren für ihre<br />

weitere Entwicklung nicht nur auf die Schule angewiesen.<br />

Man kann sie wohl reich nennen.<br />

Arme <strong>Kinder</strong> bekommen daheim nicht soviel Gutes und<br />

kommen mit Rückständen in ihrer Entwicklung in die<br />

Schule. In Deutschland lernen sie dort weniger als in anderen<br />

Ländern. In der Sichtweise der OECD verschwenden<br />

wir damit Ressourcen, und das ist unwirtschaftlich. Mitmenschlich<br />

betrachtet: Wir verweigern ihnen die Entwicklung<br />

ihrer Möglichkeiten, und das ist beschämend! Aber<br />

wir schämen uns noch lange nicht. Um solcher Regung<br />

fähig zu sein, müssten wir mitfühlend wahrnehmen, wie<br />

ihr Leben nachhaltig beschädigt wird, weil ihre Grundbedürfnisse<br />

daheim nicht erfüllt werden, und ihnen darum<br />

entwickelte Fähigkeiten, Tatkraft, Selbstvertrauen, Mut,<br />

Hoffnung, Neugier und Disziplin für entschlossenes Lernen<br />

in der Schule fehlen. Was brauchen diese <strong>Kinder</strong> von<br />

der <strong>Grundschule</strong>, um Entwicklung nachzuholen, Rückstände<br />

aufzuholen?<br />

In Finnland bemüht man sich, solchen <strong>Kinder</strong>n in der<br />

Schule zu geben, was Eltern ihnen schuldig bleiben:<br />

Warme Mahlzeiten, menschliche Wärme, Sorge um Gesundheit<br />

und sozialverträgliches Verhalten. Außerdem<br />

die verlässliche Zugehörigkeit zu einer großen Gruppe, in<br />

der allen <strong>Kinder</strong>n die gleichen Aufgaben zugetraut werden<br />

und dazu rasche individuelle Hilfe bei Lernproblemen. Da<br />

entsteht der finnische Vorsprung.<br />

Wann stellen wir die armen <strong>Kinder</strong> in den Mittelpunkt<br />

unserer Bemühungen, die Leistung der <strong>Grundschule</strong> zu<br />

verbessern? Wir sollten nicht länger die Mängel von Unterricht<br />

vertuschen, der sich am Strahlen gut entwickelter<br />

<strong>Kinder</strong> freut und die im Schatten übersieht und vernachlässigt.<br />

Wir sollten auch ehrlich und streng prüfen, ob der<br />

Offene Unterricht in der Praxis immer das ist und das hält<br />

bzw. überhaupt halten kann, was seine Verfechter sich<br />

und uns versprechen.<br />

Fragen wir uns endlich: Wie viel Differenzierung und Individualisierung<br />

ist in der Schule, die ein Ort des Miteinander<br />

sein soll, überhaupt sinnvoll? Wie viel ist zu schaffen?<br />

Welche Nebenwirkungen gibt es auch da? Warum schleppen<br />

so viele <strong>Kinder</strong> Entwicklungsrückstände durch die<br />

<strong>Grundschule</strong> mit? Brauchen wir all diese Evaluation und<br />

Diagnostik, die uns Zeit und Kraft für die <strong>Kinder</strong> und den<br />

Unterricht rauben? Wie finden alle <strong>Kinder</strong> zuverlässig Ansporn,<br />

Kraft, Ziel und Maß für eigene Anstrengungen?<br />

Fragen wir endlich die guten Lehrerinnen! Sie werden<br />

keine Patentrezepte haben, nur immer wieder neu den<br />

wirklichen <strong>Kinder</strong>n angepasste, meist sehr schlichte und<br />

oft ganz altmodische Antworten.<br />

Ute Andresen<br />

2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Thema: Vergleichsarbeiten unter Thema: der VERA Lupe<br />

Leistungen feststellen –<br />

Fremdkörper oder Teil der pädagogischen Leistungskultur?<br />

Vergleichsarbeiten,<br />

Orientierungsarbeiten<br />

und Verwandtes<br />

Leisten die Schulkinder genug? Werden<br />

die <strong>Kinder</strong> angemessen gefördert? Und<br />

wie steht es um die diagnostischen Fähigkeiten<br />

der Lehrerinnen und Lehrer?<br />

Für die Schulpolitik und die Öffentlichkeit<br />

fallen die Antworten allesamt negativ<br />

aus, immer wieder begründet mit den<br />

miserablen Ergebnissen der PISA-Studie.<br />

Nicht zur Kenntnis genommen werden<br />

zumeist die Ergebnisse der IGLU-Studie.<br />

Danach müssten nämlich die Antworten<br />

für die <strong>Grundschule</strong> deutlich positiver<br />

ausfallen als für die Sekundarstufen-<br />

Schulen.<br />

Nun sollen also bundeseinheitliche<br />

Fachleistungsstandards, fälschlich Bil -<br />

dungs standards genannt, sowie regelmäßige<br />

landesweite Leistungstests die<br />

prekäre Situation bessern. In sieben<br />

Bundesländern wurden im vergangenen<br />

Herbst in allen 4. Grundschulklassen<br />

Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik<br />

(VERA) geschrieben, nämlich in<br />

Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Nordrhein-Westfalen,<br />

Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.<br />

In den anderen Bundesländern gibt es<br />

zum Teil ähnliche Aktionen mit Vergleichs-<br />

oder Orientierungsarbeiten. Die<br />

Hoffnungen, die hieran von den Veranstaltern<br />

geknüpft werden, sind hoch. Bei<br />

VERA zum Beispiel wird zwar zunächst<br />

eingeschränkt: »Verglichen mit den Erfahrungen<br />

und Erkenntnissen von Lehrerinnen<br />

und Lehrern kann das Ergebnis einer<br />

Vergleichsarbeit, bezogen auf die Beurteilung<br />

einzelner Schülerinnen und Schüler,<br />

immer nur ein ergänzender Mosaikstein<br />

sein.« Nach dieser Bescheidung folgt aber<br />

nicht der Hinweis darauf, was denn die<br />

anderen »Mosaiksteine« sein müssen, die<br />

in den Erfahrungen und Erkenntnissen<br />

der Lehrkräfte stecken. Vielmehr wird im<br />

weiteren Text hoch gegriffen, was denn<br />

die Vergleichsarbeiten alles vermögen:<br />

»… das Leistungsprofil der eigenen<br />

Klasse« komme in den Blick, die »Stärken<br />

und Schwächen, verglichen mit den Paral-<br />

lelklassen« usw. (Projekt VERA, Teil: Pädagogische<br />

Nutzung der Vergleichsarbeiten,<br />

S. 1). Damit wird denn doch suggeriert,<br />

dass mit solchen Tests die wesentlichen<br />

Leistungen der <strong>Kinder</strong> in den Blick kommen.<br />

Und genau dies ist sachlich falsch<br />

und fatal in seiner Signalwirkung.<br />

Lernergebnisse<br />

und Lernprozesse<br />

Leistungen der <strong>Kinder</strong> beziehen sich auf<br />

Lernergebnisse wie auf Lernprozesse.<br />

Lern ergebnisse können punktuell abfragbare<br />

Wissens- und Fähigkeitsstände sein,<br />

wie sie zum Beispiel in den Tests erfasst<br />

werden sollen. Hierzu zählen auch informelle<br />

Tests der Lehrkraft oder Klassenarbeiten.<br />

Lernergebnisse dokumentieren<br />

sich aber auch in den eigenen Arbeiten<br />

der <strong>Kinder</strong> – in ihren Textentwürfen und -<br />

überarbeitungen, im Lesetagebuch, in der<br />

Darstellung der eigenen Rechenwege, in<br />

den Ergebnissen einer Internet-Recherche<br />

zu einem Thema eigenen Interesses oder<br />

im Vortrag über ein sachunterrichtliches<br />

Experiment. Gerade diese eigenen Arbeitsdokumente<br />

sind durch Tests nicht<br />

erfassbar. Die Leistungen der <strong>Kinder</strong>, die<br />

hinter den Dokumenten liegen, schon gar<br />

nicht. Nur die Lehrkraft selbst kann die<br />

Leistung würdigen, wenn zum Beispiel ein<br />

eher schüchternes Kind es schafft, einen<br />

informativen Vortrag über sein Hobby zu<br />

halten. Gerade diese Leistungen aber sind<br />

die hochwertigen Leistungen einer modernen<br />

Schule, die die Selbstständigkeit<br />

der <strong>Kinder</strong> und ihre Kompetenz als eigenaktive<br />

Lerner zu fördern trachtet.<br />

Lernprozesse sind häufig noch wichtiger<br />

als Lernergebnisse. Wie nutzen die<br />

<strong>Kinder</strong> ihre Schreibtabelle? Wie gehen sie<br />

mit Unsicherheiten bei der Schreibweise<br />

eines Wortes um? Wie führen sie ihre<br />

Schreibkonferenz durch? Wie gehen sie<br />

mit den Angeboten der Schulbücherei<br />

um, was und wie lesen sie? Wie finden sie<br />

ihre Problemlösewege – welche Irrwege<br />

gehen sie, welche Strategien verfolgen<br />

sie dabei, wie gehen sie mit erkannten<br />

Irrtümern um, wie finden sie die Problemlösung<br />

und wie bereiten sie sie für eine<br />

Darstellung vor anderen auf? Wie denken<br />

sie über eigene Lernwege nach?<br />

Je mehr die Schule die Selbstständigkeit<br />

der <strong>Kinder</strong> fördern will und muss,<br />

desto wichtiger werden solche qualifizierten<br />

individuellen Lernprozesse. In<br />

Tests sind sie nicht einholbar.<br />

Der Blick auf alle<br />

Lernbereiche und auf<br />

überfachliche Aspekte<br />

Leistungen erbringen <strong>Kinder</strong> nicht nur<br />

in Deutsch und Mathematik, sondern<br />

auch in anderen Lernbereichen – im Sachunterricht,<br />

in den Fächern ästhetischer<br />

Bildung. Stehen Deutsch und Mathematik<br />

im Mittelpunkt der Tests, dann verkürzt<br />

sich nicht nur der öffentliche Blick auf<br />

die Schule, wie das seit der PISA-Debatte<br />

der Fall ist, sondern auch allmählich der<br />

Blick der Schule selbst auf diese Fächer.<br />

Was ohnehin fälschlich als »Nebenfach«<br />

gilt, wird weiter zur schulischen Folklore,<br />

die gegebenenfalls auch wegfallen kann.<br />

Dieser Verlust an Bildung führt auf Dauer<br />

zu einem Verlust an Kultur.<br />

Die Leistungen der <strong>Kinder</strong> sind auch<br />

nicht nur fachbezogen zu diskutieren.<br />

Der Grundschulverband hat neun überfachliche<br />

Prinzipien zeitgemäßer Grundschularbeit<br />

formuliert, die wesentlich<br />

zum Bildungskonzept der modernen<br />

Schule gehören, zum Beispiel Lernen<br />

als Selbstaneignung von Welt, Lernen in<br />

Gemeinschaft mit anderen, <strong>Grundschule</strong><br />

als Lernfeld für Demokratie (Grundschulverband<br />

2003, S. 5 ff.). Diese Prinzipien<br />

konkretisieren sich in unverzichtbaren<br />

Zielsetzungen wie der Förderung von<br />

Lernkompetenzen, von Problemlösefähigkeiten,<br />

von kooperativem Handeln,<br />

von der Achtsamkeit auf andere Meinungen,<br />

vom demokratischen Miteinandersprechen<br />

und Aushandeln und manchem<br />

anderen mehr.<br />

Erst dieses Gesamtensemble aus<br />

Lernergebnissen und Lernprozessen, aus<br />

fachbezogenem und überfachlichem<br />

Lernen und Leisten gibt den Blick auf<br />

Bildung frei.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

3


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

Horst Bartnitzky<br />

Vorsitzender<br />

des Grundschulverbandes<br />

VERAs fremder Blick und<br />

der verfremdete Unterricht<br />

Landesweite Tests begründen sich immer<br />

auch mit dem »Blick von außen« oder wie<br />

es in den VERA-Unterlagen heißt, dem<br />

»fremden Blick auf das Leistungsprofil<br />

der Klassen«. Außenevaluierung ist dazu<br />

der Fachbegriff. Das ist im Prinzip richtig:<br />

Die Evaluierungen durch <strong>Kinder</strong> und Lehrkräfte<br />

sollen ergänzt werden durch die<br />

Evaluierung von außen, beides muss in<br />

Beziehung zueineinander gebracht werden<br />

und zu weiterem Nachdenken führen.<br />

Nur führt der »fremde Blick« bei VERA<br />

und Vergleichbarem zugleich zu einem<br />

verfremdeten Unterricht mit fremden Inhalten<br />

und Aufgabenstellungen. Da wird<br />

den <strong>Kinder</strong>n ein Text vorgegeben, den<br />

sie nicht selbst gewählt haben, der im<br />

unterrichtlichen Zusammenhang keine<br />

Rolle spielt. Ihr Interesse ist gar nicht auf<br />

diesen Text gerichtet und eine Neugieroder<br />

Fragehaltung ist nicht entwickelt.<br />

Nun sollen sie den Text lesen und irgendwelche,<br />

aber nicht ihre eigenen Fragen<br />

dazu beantworten. Oder sie sollen einen<br />

Text selber schreiben, zum Beispiel, wie<br />

beim VERA-Test, einen Brief an die Oma<br />

mit dem bescheidenen Wunsch, sie möge<br />

einem doch einen Computer schenken<br />

– so mal eben. In diese durch und durch<br />

künstliche Situation sollen sich nun die<br />

Viertklässler versetzen, um zu zeigen,<br />

dass sie adressatengerecht und höflich<br />

einen Brief schreiben können.<br />

Abgesehen von der grundsätzlichen<br />

Kritik an solchen entfremdeten Aufgabenstellungen<br />

(siehe Rumpf 2004), wirkt<br />

das persönliche Interesse ganz wesentlich<br />

bei jeder Leistungsanstrengung mit.<br />

Und dies gilt um so mehr, je jünger <strong>Kinder</strong><br />

sind. Entsprechend wenig aussagekräftig<br />

werden die Ergebnisse sein. Im Übrigen<br />

gilt auch hier der alte Psychologensatz:<br />

»Ein Test ist kein Test«, weil bei einem einzigen<br />

Test immer Tagesform und <strong>aktuell</strong>e<br />

Randbedingungen das Ergebnis beeinflussen,<br />

übrigens auch das Vorabtraining<br />

der Lehrkraft mit den <strong>Kinder</strong>n sowie situative<br />

Hilfestellungen. Trotz dieser Mängel<br />

werden die Ergebnisse vermutlich wieder<br />

gehandelt, als seien sie Offenbarung der<br />

tatsächlichen Leistungen.<br />

Dass der fremde Blick nicht notwendigerweise<br />

entfremdete Aufgaben bedeuten<br />

müssen, zeigen die Schweden. Hier<br />

werden am Ende der Klasse 5 nationale<br />

Fachprüfungen durchgeführt. Aber dort<br />

gilt die Integration in den Unterricht: »Es<br />

ist gedacht, dass die verschiedenen Teile<br />

der Fachprüfungen im größtmöglichen<br />

Ausmaß in den geregelten Unterricht<br />

integriert werden können. Dies bedarf jedoch<br />

einer gewissen Planung: Die Prüfungen<br />

sollten nicht als Zusatz zur übrigen<br />

Arbeit in der Schule angesehen werden,<br />

sondern vielmehr als Material, welche gewisse<br />

Teile der täglichen Arbeit ersetzen.«<br />

(Skolverket, Kapitel Durchführung)<br />

Hier wird der Respekt vor dem konkreten<br />

Unterricht, den Leistungsmöglichkeiten<br />

der <strong>Kinder</strong> und der Arbeitssituation<br />

der Lehrkräfte deutlich; entfremdete Aufgabenstellungen<br />

werden vermieden.<br />

Übrigens vermeidet das schwedische<br />

Prüfungsmaterial auch die Klausurmanie,<br />

wie sie die deutschen Schultests<br />

beherrscht – mit der Vereinzelung der<br />

Schüler, den genauen Zeitvorgaben und<br />

lehrer-zentrierten Aufgabenstellungen.<br />

In den schwedischen Anleitungen heißt<br />

es zum Beispiel:<br />

Das Material enthält »sowohl Aufgaben,<br />

welche die Schüler individuell<br />

lösen sollen als auch Aufgaben, die<br />

sie zusammen lösen sollen.« – »Es ist<br />

vorteilhaft, den Prüfungscharakter des<br />

Materials herunterzuspielen.« – »Die<br />

Lehrkräfte können … beschließen, mehr<br />

oder weniger Zeit zu veranschlagen. Es<br />

ist nicht beabsichtigt, die Schüler unter<br />

Zeitdruck arbeiten zu lassen, sondern<br />

ihnen die Möglichkeit zu geben, mit den<br />

Aufgaben fertig zu werden.« Zudem enthalten<br />

die Materialien immer auch Bögen<br />

zur Selbstbeurteilung oder -einschätzung<br />

durch die Schülerinnen und Schüler<br />

selbst. »Eine derartige Selbstbeurteilung<br />

bezweckt, das Bewusstsein des Schülers<br />

für das eigene Lernen zu schärfen und<br />

seine Verantwortung dafür zu unterstreichen,<br />

welches eines der übergreifenden<br />

Ziele des Lehrplans ist.« (Skolverket, Kapitel<br />

Durchführung)<br />

Um noch einmal den Unterschied zur<br />

deutschen entfremdeten Klausurmanie<br />

zu zeigen, setze ich die Angaben aus<br />

der Handreichung zur Durchführung der<br />

VERA-Aufgaben daneben:<br />

»Erläutern Sie bitte, dass die Untersuchung<br />

unter Klassenarbeitsbedingungen<br />

durchgeführt wird: Hilfestellungen zu<br />

den Aufgaben, die Benutzung des Taschenrechners<br />

in Mathematik bzw. eines<br />

Wörterbuches in Deutsch und Kommunikation<br />

unter den Schülerinnen und Schülern<br />

ist nicht gestattet.« (Projekt VERA,<br />

Teil: Handreichung zur Durchführung der<br />

Vergleichsarbeiten, S. 5). Die Abfolge ist<br />

dann minutengenau vorgeschrieben:<br />

Deutsch: 42 Minuten Arbeit, dann<br />

Hefte schließen, 10 Minuten Pause. Dann<br />

10 Minuten Satzdiktate und anschließend<br />

32 Minuten Weiterarbeit. Krasser kann der<br />

Unterschied zwischen der Grundhaltung<br />

in Schweden, die Schulen und <strong>Kinder</strong> respektiert,<br />

und der technizistischen Kälte<br />

hierzulande nicht beschrieben werden.<br />

Kontrastprogramm:<br />

Zu den Methoden der<br />

Leistungsfeststellung<br />

So vielfältig die Leistungsaspekte sind,<br />

so vielfältig müssen auch die Methoden<br />

sein, um Leistungsentwicklungen und<br />

Leistungsstände von <strong>Kinder</strong>n festzustellen.<br />

Lehrerinnen und Lehrer, Schulen als<br />

System haben dazu über die Jahrzehnte<br />

ein Repertoire an Methoden zur Leistungsfeststellung<br />

entwickelt – geeignete<br />

und weniger geeignete, punktuell einsetzbare<br />

und langfristig wirksame.<br />

Zu deren Weiterentwicklung kommt<br />

es darauf an, Methoden unter folgenden<br />

Gesichtspunkten miteinander zu kombinieren:<br />

1. Sie müssen alltagstauglich sein.<br />

D. h.: wenig Aufwand und dennoch aussagekräftig,<br />

leicht in den Unterricht integrierbar<br />

und leicht auswertbar, möglichst<br />

auch mit den <strong>Kinder</strong>n zu besprechen.<br />

2. Sie dürfen nicht zur Hauptsache<br />

werden.<br />

D. h.: keine ständige Protokollierung oder<br />

umfangreiche Listenführungen; Hauptsache<br />

bleibt die pädagogische Handlungsfähigkeit,<br />

für die Leistungsfeststellungen<br />

nur eine Unterstützung darstellt.<br />

3. Sie müssen in den Unterricht integriert<br />

werden.<br />

D. h.: keine vom Unterricht abgehobenen<br />

Klausuren und Diagnosen, sondern Leistungsfeststellungen<br />

als Bestandteile des<br />

Unterrichts, die aus dem Unterricht erwachsen<br />

und in ihn wieder zurückführen.<br />

4. Sie müssen zum guten Teil die <strong>Kinder</strong><br />

als Lerner dialogisch einbeziehen.<br />

D. h.: keine Reduktion auf lehrerzentrierte<br />

Verfahren, vielmehr vorwiegend Verfahren,<br />

die die <strong>Kinder</strong> selbst einbeziehen<br />

oder die sogar von ihnen selbst durchgeführt<br />

werden.<br />

5. Sie müssen alle Lernbereiche und die<br />

überfachlichen Ziele mit in den Blick<br />

nehmen.<br />

D. h.: keine Reduktion auf die traditionellen<br />

Klassenarbeitsfelder, sondern<br />

4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

Einbezug möglichst vieler Zielperspektiven<br />

der Grundschularbeit, fachlich wie<br />

überfachlich.<br />

Das Projekt: »Pädagogische<br />

Leistungskultur«<br />

Der Grundschulverband fördert diese<br />

Entwicklungen durch sein Projekt »Pädagogische<br />

Leistungskultur«. Hierzu liegt<br />

bereits ein grundlegender Band vor:<br />

»Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen<br />

– würdigen – fördern« (Bartnitzky /<br />

Speck-Hamdan 2004). In diesem Band<br />

werden von den Überlegungen zur pädagogischen<br />

Leistungskultur her vier<br />

zentrale Arbeitsaspekte der Lehrkräfte<br />

formuliert und mit Kurztexten erläutert<br />

(Bartnitzky 2004, bes. S. 34 ff.):<br />

Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen<br />

In den Arbeitsergebnissen dokumentieren<br />

sich die Leistungen von <strong>Kinder</strong>n<br />

nur an der Oberfläche. Die wirklichen<br />

Leistungen sind nicht einfach ablesbar.<br />

Dazu gehört das Wissen um individuelle<br />

Lernbedingungen und Fortschritte,<br />

Anstrengungen und Lösungsstrategien.<br />

Viele Leistungen schlagen sich gar nicht<br />

schriftlich nieder: einander zuhören, miteinander<br />

kooperieren, selbstvergessen lesen,<br />

über das eigene Lernen nachdenken.<br />

Wahrnehmen setzt auch voraus: Lernbedingungen<br />

recherchieren, Lernstrategien<br />

kennen, <strong>Kinder</strong> beobachten, mit <strong>Kinder</strong>n<br />

über ihr Lernen und Leisten sprechen.<br />

Leistungen der <strong>Kinder</strong> würdigen<br />

Um <strong>Kinder</strong> auf ihren Lernwegen zu fördern,<br />

werden sie in ihrem Entwicklungsprozess<br />

ermutigend begleitet. Generelle<br />

Anforderungen dienen als Arbeitsperspektive,<br />

nicht aber als Hürde. Würdigen<br />

heißt dann: Lernentwicklungen bestätigen,<br />

Schwierigkeiten als Stationen auf<br />

dem Lernweg sehen, mit dem Kind über<br />

das Lernen nachdenken. Die <strong>Kinder</strong> sind<br />

in das Würdigen dialogisch eingebunden:<br />

mit individuellen und gemeinsamen<br />

Lerngesprächen, mit Portfolios und Lerntagebüchern,<br />

mit Präsentationen und<br />

Projektergebnissen. Noten sind hierbei<br />

nicht nur entbehrlich, sondern kontraproduktiv.<br />

<strong>Kinder</strong> individuell fördern<br />

<strong>Kinder</strong> in Grundschulklassen liegen in<br />

ihrer Entwicklung um drei bis vier Jahre<br />

auseinander. Sie unterscheiden sich<br />

zudem in ihren Lebensbedingungen, in<br />

ihren grundlegenden Erfahrungen, in ihren<br />

Fähigkeiten und Interessen erheblich<br />

voneinander. Individuelle Förderung ist<br />

deshalb ebenso unabdingbar wie die Differenzierung<br />

der Anforderungen. Wichtige<br />

Aspekte der Förderung sind: die Orientierung<br />

an tragfähigen Grundlagen für<br />

erfolgreiches Lernen, ein Unterricht, der<br />

für die Lernwege der <strong>Kinder</strong> offen ist, eine<br />

anregende Lernumgebung, Lernberatung<br />

und Selbstdifferenzierung der <strong>Kinder</strong>.<br />

Lernwege öffnen<br />

Statt des Lehrgangs für alle orientiert sich<br />

der Unterricht an den Lerngängen der<br />

<strong>Kinder</strong>. Eine entscheidende Weichenstellung<br />

nimmt die Würdigung der Leistungen<br />

ein: Sie verbindet den Rückblick mit<br />

dem Blick auf die weitere Lernperspektive<br />

– auf Vorhaben und Wege, Aufgaben und<br />

Arbeitspensen. Die <strong>Kinder</strong> erwerben Strategien<br />

und Methoden selbsttätigen Arbeitens.<br />

Die Lernumgebung ist förderlich<br />

gestaltet mit Anregungen und Arbeitsmitteln,<br />

mit Zeit für eigenständiges und<br />

für kooperatives Arbeiten. Individuelles<br />

Lernen ist dabei eingelagert in die Gemeinsamkeit<br />

des Lernens.<br />

Die vier Arbeitsaspekte wurden schriftgrafisch<br />

sinnig mit dem Wort »kind«<br />

verbunden. Die Grafik ist diesem Heft<br />

auch in Form eines Leporellos beigelegt.<br />

Es kann aufgestellt, aber auch als Plakat<br />

aufgehängt werden.<br />

Auf der Basis dieser Arbeitsaspekte stellt<br />

zur Zeit eine Gruppe im Grundschulverband<br />

ein Methodenrepertoire zusammen,<br />

das die oben genannten Gesichtspunkte<br />

zu berücksichtigen versucht. Dabei wur-<br />

Pädagogische Leistungskultur als Projekt des<br />

Grundschulverbandes (1), soeben erschienen:<br />

Bartnitzky, Horst / Speck-Hamdan, Angelika<br />

(Hrsg.): Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen<br />

– würdigen – fördern. Grundschulverband:<br />

Frankfurt/M. 2004, Beiträge zur Reform der<br />

<strong>Grundschule</strong> Band 118, s. auch S. 33<br />

den vier Bausteine entwickelt, die den<br />

Arbeitsaspekten konkrete Realisierungsmöglichkeiten<br />

zuordnen:<br />

1<br />

Lernstände feststellen<br />

(punktuelle Feststellungen, auch in Abständen zu wiederholen;<br />

Tests und testähnliche Verfahren)<br />

2<br />

Lernentwicklungen bestätigen<br />

(durch die Lehrkraft, aber auch durch die <strong>Kinder</strong> selbst;<br />

z. B. Mathepass, Forscherheft, Lesetagebuch, Sammeln<br />

im Portfolio)<br />

3<br />

Lerngespräche führen<br />

(Gespräche über das Lernen, die die <strong>Kinder</strong> mit der Lehrkraft<br />

und die sie untereinander führen; z. B. Beratung,<br />

Schreibkonferenz, Präsentation mit Gespräch, Auswertungsgespräch)<br />

4<br />

eigene Lernwege beschreiben<br />

(Reflexionen über die eigene Arbeit und Lernentwicklung;<br />

z. B. eigene Rechenwege, Lerntagebuch, Kommentar<br />

zum eigenen Portfolio, Selbstzeugnis)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

5


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

Pädagogische Leistungskultur als Projekt des Grundschulverbandes (2)<br />

Dr. H. Krieg, Frankfurt<br />

In diesem Jahr wird ein Mitgliederband erscheinen,<br />

der Materialien für die Klassen 1<br />

und 2 enthält, zunächst für die Lernbereiche<br />

Deutsch, Mathematik, Sachunterricht<br />

sowie für überfachliche Aspekte. Danach<br />

werden Materialien für die Klassen 3 und<br />

4 sowie für den Ästhetischen Lernbereich<br />

erarbeitet. Fortbildungsangebote zu den<br />

Materialien werden rechtzeitig bekannt<br />

gegeben.<br />

Auslese oder<br />

Leistungskultur<br />

Landesweite Tests sollen damit nicht<br />

grundsätzlich abgelehnt werden. Nur:<br />

Jeder Beitrag zur Leistungsfeststellung<br />

muss sich immer relativieren, muss klären,<br />

zu welchen Leistungsfeldern er welche<br />

Auskunft geben kann. Und er muss<br />

zur pädagogischern Leistungskultur beitragen<br />

und darf sie nicht torpedieren.<br />

Bei den politisch hoch gewichteten<br />

Vergleichsarbeiten VERA fehlt es sowohl<br />

an didaktischer Klarstellung als auch an<br />

erkennbarer Unterstützung schulischer<br />

Arbeit. Mehr noch: Sie befördern den selektiven<br />

Charakter der Schule, indem sie<br />

direkt in die Übergangsentscheidungen<br />

eingreifen: Sie wurden an den Anfang<br />

der Klassen 4 platziert, die Anforderungen<br />

sind auf drei Fähigkeitsniveaus<br />

zugeschnitten, die Ergebnisse werden<br />

entsprechend den Eltern mitgeteilt. Die<br />

Eltern erfahren also, ob ihr Kind nur elementare<br />

(Niveau 1), erweiterte (Niveau 2)<br />

oder fortgeschrittene Fähigkeiten besitzt<br />

(Niveau 3). Was liegt näher, als die drei<br />

Niveaus den drei weiterführenden Schulen<br />

zuzuordnen? Aus dem beabsichtigten<br />

Instrument zur weiteren Schulentwicklung<br />

wird ein Ausleseinstrument für das<br />

gegliederte Schulsystem. Die höchst<br />

begrenzte Aussagekraft wird faktisch zur<br />

globalen Leistungseinschätzung umgemünzt<br />

– der Zeitpunkt, das Elterninteresse,<br />

das einschüchternde Testzeremoniell,<br />

der wissenschaftliche Hintergrund<br />

und die ministeriellen Absegnungen<br />

werden es schon richten.<br />

Die Eltern sollen nach ministerieller<br />

Weisung aber nicht nur die Ergebnisse<br />

ihres eigenen Kindes erfahren, sondern<br />

auch die ihrer Klasse und ihrer Schule. Sie<br />

können mithin schulintern die Ergebnisse<br />

der Parallelklassen und schul übergreifend<br />

die Ergebnisse verschiedener Schulen<br />

miteinander vergleichen. Dies ist faktisch<br />

Schulranking. Alle Schulen in bildungsferneren<br />

Milieus sind damit auf der<br />

Verliererstraße, Schulen im »upper class«-<br />

Viertel die Gewinner – völlig unabhängig<br />

von der didaktischen Qualität des jeweiligen<br />

Unterrichts.<br />

Dass dies bei VERA zudem auf der Grundlage<br />

didaktisch unzureichender, zum<br />

Teil skandalöser Aufgaben geschieht,<br />

die <strong>Kinder</strong>n ihre Leistungsmöglichkeiten<br />

vorenthalten, macht das ganze Unterfangen<br />

vollends zu einem schulpolitischen<br />

Desaster (siehe die kritischen Beiträge<br />

in diesem Heft zu Deutsch S. 10 und zu<br />

Mathematik S. 17).<br />

Bleibt es dabei, dann wird die Schule<br />

sich langfristig auf die Schmalspurigkeit<br />

der Testaufgaben und die Selektivität<br />

ihrer Ergebnisse einstellen; wichtige Bildungsansprüche<br />

und -aspekte werden<br />

auf der Strecke bleiben. Schulentwicklung<br />

nach PISA müsste wahrhaftig anders<br />

aussehen.<br />

Bleibt die Hoffnung, dass dies, wie so<br />

manches andere in der Schullandschaft,<br />

der Spuk eines Jahres war und wir nun zur<br />

Weiterentwicklung der »Pädagogischen<br />

Leistungskultur« zurückkehren können.<br />

Das gleichnamige Projekt des Grundschulverbandes<br />

kann dazu beitragen.<br />

HORST BARTNITZKY<br />

Literatur<br />

Bartnitzky, Horst (2004): Die pädagogische Leistungskultur – eine<br />

Positionsbestimmung. In: Bartnitzky/Speck-Hamdan (Hrsg.)<br />

Bartnitzky, Horst / Speck-Hamdan, Angelika (Hrsg.) (2004): Leistungen<br />

wahrnehmen – würdigen – fordern. Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />

Grundschulverband (Hrsg.) (2003): Bildungsansprüche von Grundschulkindern<br />

– Standards zeitgemäßer Grundschularbeit.<br />

In: Grundschulverband <strong>aktuell</strong> H. 81<br />

Rumpf, Horst (2004): Diesseits der Belehrungswut. Weinheim und<br />

München: Juventa, darin besonders das Kapitel: Verformte Nachdenklichkeit?<br />

– PISA-Leistungen im Zwielicht, S. 75 ff.<br />

Projekt VERA (online). Kontakt:<br />

www.uni-landau.de/vera<br />

Skolkverket: Prüfungen im Frühlingshalbjajhr 2003 und 2004, aus<br />

dem Schwedischen übersetzt von Kathrin Faßrainer. Als Download:<br />

www.grundschulverband.de > Standards > Schwedische Fachprüfungen<br />

6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

Wahrheit durch VERA?<br />

Anmerkungen zum ersten Durchgang der landesweiten Leistungstests<br />

in sieben Bundesländern 1<br />

Die am Anfang der vierten Klasse in<br />

Rheinland-Pfalz und sechs weiteren Bundesländern<br />

im September dieses Jahres<br />

durchgeführte Lernstandserhebung VERA<br />

(VERgleichsArbeiten … 2 ) hat unter LehrerInnen<br />

viel Aufregung verursacht. Meine<br />

Reaktion ist ambivalent: Als Forscher<br />

habe ich großen Respekt davor, was die<br />

VERA-KollegInnen unter den gegebenen<br />

Rahmenbedingungen geleistetet haben.<br />

Gleichzeitig frage ich mich, ob man sich<br />

auf die gegebenen politischen und organisatorischen<br />

Rahmenbedingungen hätte<br />

einlassen sollen. Funktion, Anlage und<br />

Durchführung der Studie haben darunter<br />

gelitten.<br />

Die Erfahrungen aus diesem Durchgang<br />

sollten deshalb als Chance genutzt<br />

werden, um zu lernen. Das gilt für diejenigen,<br />

die die Tests entwickeln bzw. ihren<br />

Einsatz verordnen und durchführen, aber<br />

auch für die LehrerInnen, die kritisch prüfen<br />

müssen, was sie mit den Ergebnissen<br />

anfangen können – und was nicht.<br />

Was sollen und was können<br />

zentrale Testprogramme<br />

leisten? 3<br />

Drei Funktionen von VERA sind in der<br />

Außendarstellung von verschiedenen<br />

Beteiligten unterschiedlich stark betont<br />

worden und faktisch auch unterschiedlich<br />

gut einlösbar:<br />

■ Bei der Bestandsaufnahme von grundlegenden<br />

Leistungen auf Landesebene<br />

(»System-Monitoring«) hat das deutsche<br />

Schulsystem tatsächlich einen Nachholbedarf.<br />

Diese Funktion können standardisierte<br />

Testprogramme und konkret auch<br />

VERA von ihrer Anlage her gut erfüllen (zu<br />

einigen spezifischen Vorbehalten s. u.).<br />

■ Auch die Rückmeldung der Ergebnisse<br />

an einzelne Schulen und LehrerInnen ist<br />

hilfreich. Zum einen können LehrerInnen<br />

genauer sehen, in welchen Bereichen ihre<br />

Klassen relativ zu anderen Lerngruppen<br />

Stärken und Schwächen haben – bedingt<br />

durch besondere Vorerfahrungen der<br />

<strong>Kinder</strong>, durch eigene Schwerpunkte im<br />

Unterricht, durch die Anlage der verwendeten<br />

Schulbücher oder andere Faktoren.<br />

Deren Bedeutung ist allerdings nur vor<br />

Ort von den Beteiligten selbst zu klären.<br />

Außerdem können LehrerInnen im Vergleich<br />

mit Klassen, die unter ähnlichen<br />

Bedingungen arbeiten (»Referenzschulen«),<br />

ihre Anforderungen an die <strong>Kinder</strong><br />

und ihre Maßstäbe bei der Leistungsbeurteilung<br />

überprüfen. Dies darf aber<br />

nicht einfach Anpassung an die externen<br />

Kriterien bedeuten, sondern verlangt eine<br />

Reflexion der externen und der eigenen<br />

Annahmen.<br />

■ Der Anspruch einer »Diagnose« des<br />

Lernstands einzelner <strong>Kinder</strong> allerdings<br />

überfordert die Instrumente. Eine punktuelle<br />

Messung muss inhaltlich auf<br />

wenige Ausschnitte begrenzt werden.<br />

Zudem ist sie immer fehlerbehaftet,<br />

d. h. der festgestellte Wert kann nur als<br />

Anhaltspunkt für eine Bandbreite, innerhalb<br />

derer der »wahre« Wert mit einiger<br />

Sicherheit liegt, genommen werden. Je<br />

mehr man das Fehlerrisiko minimieren<br />

will, umso breiter muss man die Bandbreite<br />

möglicher Schwankungen ansetzen<br />

– und umso weniger hilfreich ist dann<br />

das Ergebnis. In Kennwerten für Gruppen,<br />

also in Werten für ganze Klassen oder gar<br />

ein Bundesland, gleichen sich individuelle<br />

Schwankungen weitgehend aus, so<br />

dass das Fehlerrisiko der entsprechenden<br />

Durchschnittswerte entsprechend<br />

gering ist. Einmalige Tests bei einzelnen<br />

Personen bieten dagegen nur grobe Annäherungen<br />

an die tatsächliche Leistung.<br />

Sinnvoll nutzen lassen sich die Ergebnisse<br />

trotzdem, wenn man Abweichungen zur<br />

eigenen Einschätzung als »Warnlampe«<br />

nutzt, also als Anlass, um die Differenzen<br />

durch weitergehende Beobachtungen<br />

aufzuklären.<br />

Für alle drei Ebenen gilt gleichermaßen:<br />

Die Ergebnisse sind als ein Element in<br />

einem umfassenderen Rechenschaftssystem<br />

zu sehen 4 , als ein wichtiges und<br />

bisher unterrepräsentiertes Evaluationsinstrument,<br />

aber auch als ein in seiner<br />

Aussagekraft und Geltung begrenztes.<br />

Das größte Problem in der seit TIMSS<br />

öffentlich geführten Schuldebatte sind<br />

ihre Schrumpfung auf den Vergleich von<br />

Punktwerten und die Überhöhung der<br />

Testautorität. PolitikerInnen und Medien<br />

schauen nur noch auf den Output.<br />

Berichte der Schulaufsicht, Forschungsergebnisse<br />

zu Lehr-/Lern-Prozessen und<br />

ihren Bedingungen verlieren an Bedeutung.<br />

Auch viele LehrerInnen nehmen<br />

die Vergleichsdaten nicht als nützliche<br />

Zusatzinformation über Stärken und<br />

Schwächen ihrer Klasse, sondern trauen<br />

oft ihrem eigenen Urteil nicht mehr,<br />

obwohl es aus einer längerfristigen Erfahrung<br />

erwächst. Testergebnisse einzelner<br />

<strong>Kinder</strong> werden für Eltern (und oft auch für<br />

LehrerInnen) zum »wahren« Wert für ihre<br />

Leistung, statt zu einem Indikator, der<br />

interpretationsbedürftig ist.<br />

Konkrete Anmerkungen<br />

zu den Aufgaben und<br />

Verfahren von VERA<br />

Analysiert man die Test- und die Begleitunterlagen,<br />

unterhält man sich mit KollegInnen<br />

aus der Grundschulpädagogik<br />

bzw. der Fachdidaktik und befragt man<br />

LehrerInnen aus den beteiligten Bundesländern<br />

nach ihren ersten Erfahrungen<br />

mit VERA, so stößt man auf sehr unterschiedliche<br />

Reaktionen. Manche KollegInnen,<br />

die VERA im oben genannten<br />

Sinn als ein Element im Rahmen verschiedener<br />

Informationsquellen verstehen, finden<br />

die Tests nützlich. Auch viele <strong>Kinder</strong><br />

haben die Aufgabe, »zu zeigen, was ihr<br />

könnt«, als Herausforderung positiv angenommen.<br />

Andere, vor allem leistungsschwächere<br />

SchülerInnen und <strong>Kinder</strong> mit<br />

Migrationshintergrund, erlebten viele<br />

Aufgaben und den Umfang insgesamt als<br />

völlige Überforderung. Darüber hinaus<br />

gibt es eine Reihe von Problemen, die bei<br />

der Weiterentwicklung des Instrumentariums<br />

und seinem zukünftigen Einsatz<br />

bedacht werden müssen:<br />

Zum inhaltlichen Ansatz<br />

Einige Aufgaben bieten interessante<br />

Anregungen für Leistungskontrollen, die<br />

LehrerInnen nutzen sollten, um ihr eigenes<br />

Repertoire zu erweitern. Die Formate<br />

bringen aber – wegen der notwendigen<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

7


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

Standardisierung von Durchführung und<br />

Auswertung – unvermeidlich auch Einschränkungen<br />

mit sich 5 :<br />

■ Aufgaben ohne Kontextbezug, wie<br />

er z. B. in den Lehrplänen für Deutsch<br />

gefordert wird, sind für viele SchülerInnen<br />

überraschend. Sie verändern auch<br />

das Lösungsverhalten, z. B. wenn in 20<br />

Minuten ein Text<br />

zu einem Thema<br />

geschrieben werden<br />

soll, obwohl<br />

den SchülerInnen<br />

beigebracht worden<br />

ist, dass das<br />

Schreiben guter Texte ein Brainstorming,<br />

eine Textplanung, mehrere Zyklen der<br />

Überarbeitung (z. B. in Schreibkonferenzen)<br />

und insgesamt eine rege Kommunikation<br />

mit anderen voraussetzt. Dagegen<br />

untersagen die Instruktionen bei VERA<br />

ausdrücklich Fragen an die Lehrerin und<br />

Gespräche der <strong>Kinder</strong> untereinander.<br />

■ Die Richtigkeits-Orientierung, wie<br />

sie für eine standardisierte Auswertung<br />

erforderlich ist, gerät in Konflikt mit der<br />

Mehrdeutigkeit von Verhalten, insbesondere<br />

von sprachlichen Vorlagen einerseits<br />

und Lösungen andererseits, und sie fördert<br />

bei SchülerInnen eine Haltung, die<br />

nach gewünschter Lösung sucht, statt<br />

dem eigenem Denken zu trauen.<br />

■ Werden Hilfsmittel, deren Gebrauch<br />

die SchülerInnen nicht nur gewohnt sind,<br />

sondern deren Beherrschung auch explizit<br />

als Lernziel von den Lehrplänen eingefordert<br />

wird (z. B. Wörterbücher zur Kontrolle<br />

der Richtigschreibung von Wörtern)<br />

vorenthalten, entsteht eine Konkurrenz<br />

zu den Prinzipien des Unterrichts und<br />

den Erfahrungen der SchülerInnen.<br />

■ Auch das dicht konzentrierte Abarbeiten<br />

von unzusammenhängenden Aufgaben<br />

unter Zeitdruck (z. B. in Form von<br />

Diktaten) steht im Widerspruch zu Leistungssituationen,<br />

wie sie neuere Lehrpläne<br />

fordern und wie die <strong>Kinder</strong> in vielen<br />

Klassen sie gewohnt sind. Das ganze<br />

»Setting« wird von den <strong>Grundschule</strong>n, die<br />

nach den Richtlinien und Lehrplänen der<br />

letzten Jahre arbeiten, als Fremdkörper<br />

empfunden. Und diejenigen, die gerade<br />

die ersten Schritte machen, werden eher<br />

entmutigt – oder sogar in ihren alten Vorstellungen<br />

bestätigt.<br />

■ Die unterstellte Eindimensionalität<br />

der Fähigkeitsniveaus innerhalb z. B. von<br />

Arithmetik, Geometrie und Sachrechnen/<br />

Größen in Mathematik, wird dem nicht<br />

gerecht, was zunehmend über »eigene<br />

Wege« des mathematischen und schriftsprachlichen<br />

Lernens bekannt ist 6 .<br />

■ Über die Angemessenheit einzelner<br />

Aufgaben, z. B. der Deutung von wenig<br />

gängigen Sprichwörtern im Deutschtest,<br />

wird nach der Auswertung zu diskutieren<br />

sein.<br />

Diese kritischen Anmerkungen stellen<br />

nicht in Frage, dass die Ergebnisse als<br />

wichtige Indikatoren für die angepeilten<br />

Leistungen dienen können. Aber die gewonnenen<br />

Daten müssen entsprechend<br />

interpretiert werden 7 , Punktwerte dürfen<br />

nicht at face value zu Urteilen über <strong>Kinder</strong><br />

oder LehrerInnen werden.<br />

Damit sind wir bei der Durchführung<br />

von VERA und ihren Folgen:<br />

Zur Wirkung der<br />

Erhebungssituation<br />

Die Schulen sind sehr unterschiedlich<br />

mit den Vorgaben umgegangen, so dass<br />

sowohl das Durchschnittsniveau als<br />

auch die Vergleichbarkeit der Ergebnisse<br />

einzelner Klassen ernsthaft in Frage zu<br />

stellen sind. Zudem deuten sich schon<br />

jetzt ambivalente bis problematische<br />

Auswirkungen auf den Unterricht an. 8<br />

■ In einer Reihe von Schulen wurden<br />

Aufgaben(typen) geübt 9 , so dass die<br />

Ergebnisse über Klassen hinweg nicht<br />

vergleichbar sind.<br />

■ Manche LehrerInnen haben ihren<br />

Klassen oder einzelnen <strong>Kinder</strong>n entgegen<br />

den ausdrücklichen Anweisungen geholfen,<br />

so dass die empirisch gewonnenen<br />

Daten nur schwer als »Referenz«-Daten<br />

zu etablieren sind.<br />

■ Zudem wurde bei der Bewertung von<br />

Lösungen unterschiedlich »kulant« mit<br />

Lösungen umgegangen – zum Schutz<br />

einzelner SchülerInnen, aber auch im Interesse<br />

des eigenen Unterrichtserfolgs …<br />

■ Testformate beginnen darüber hinaus,<br />

die Aufgabenformate im Unterricht<br />

zu bestimmen, obwohl Lernsituationen<br />

anderen Prinzipien gehorchen als Leistungskontrollen.<br />

■ Es zeichnet sich eine Einengung des<br />

Unterrichts auf die in den Tests geforderten<br />

Inhalte und Kompetenzen ab, z. B.<br />

auf technische Informations»entnahme«<br />

aus Textstücken statt persönlicher Auseinandersetzung<br />

mit der inhaltlichen<br />

»Botschaft«.<br />

■ Es ist absehbar, dass Eltern und die<br />

lokale Presse Informationen aus der verpflichtenden<br />

schulinternen Diskussion<br />

für ein informelles äußeres Ranking nutzen<br />

werden, ohne dass die notwendigen<br />

Einschränkungen mit bedacht werden<br />

(können).<br />

■ Der Zeitpunkt der Erhebung und die<br />

Dreistufigkeit des Kompetenzmodells<br />

legen eine Zuordnung zu den Schularten<br />

der Sekundarstufe nahe und werden vor<br />

allem von Eltern oft so missverstanden.<br />

Die ministeriell immer wieder beschworene<br />

individuelle Förderung ist im letzten<br />

Halbjahr der Grundschulzeit kaum mehr<br />

möglich<br />

Im Vergleich zu den in NRW in den<br />

Vorjahren eingeführten Parallelarbeiten<br />

mindert der weniger enge Lehrplanbezug<br />

den Wert der Ergebnisse, ebenso die nicht<br />

mehr notwendige Zusammenarbeit von<br />

KollegInnen den Ertrag für die innerschulischen<br />

Entwicklungsprozesse.<br />

Zu den organisatorischen<br />

Rahmenbedingungen<br />

Auch wenn die logistische Leistung<br />

der Landauer Forschergruppe und der<br />

Projektleitungen in den Bundesländern<br />

bewundernswert ist: Viele Schulen klagen<br />

über den Zeitdruck, die unzureichende<br />

Vorbereitung und den hohen personellen<br />

und finanziellen Aufwand bei der Durchführung.<br />

Als abträglich für die alltägliche<br />

Arbeit unter sowieso schon schwierigen<br />

Bedingungen werden insbesondere genannt:<br />

■ hoher Materialaufwand für das Kopieren<br />

bei begrenztem Etat (in der<br />

Sekundarstufe wurden die Materialien<br />

zentral vervielfältigt …);<br />

■ hoher Zeitaufwand, einsetzbare Testhefte<br />

zusammenzustellen, und hoher<br />

Korrekturaufwand 10 – beides zieht<br />

Zeit von anderen Aktivitäten ab;<br />

■ sehr kurzfristige Anforderung der<br />

Ergebnisse aus den Referenzschulen<br />

und damit immenser Zeitdruck bei<br />

der Auswertung (Herbstferien als Korrekturzeit<br />

…);<br />

■ die Fehleranfälligkeit bzw. unzulängliche<br />

Passung der komplizierten<br />

Auswertungsvorgaben und des Computersystems;<br />

■ die nicht immer abgestimmten Informationen<br />

von verschiedenen Quellen<br />

und an verschiedene Zielgruppen, so<br />

dass Unsicherheit und zum Teil auch<br />

Argwohn entstanden ist;<br />

■ die als nicht repräsentativ wahrgenommene<br />

Auswahl der Beispielaufgaben,<br />

die den Schulen im Frühjahr zur<br />

Vorinformation zugeschickt worden<br />

waren;<br />

8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

■ der geringe Ertrag für die Weiterentwicklung<br />

des Unterrichts und die<br />

Förderung einzelner <strong>Kinder</strong>.<br />

Die von der Politik erzeugte Hektik hat sowohl<br />

der Testzentrale in Landau als auch<br />

anderen Beteiligten die Arbeit erschwert<br />

und manchen Goodwill in den Schulen<br />

verschenkt. Insbesondere das Versprechen,<br />

es werde kein Ranking geben,<br />

wird durch die Verpflichtung, allen Eltern<br />

nicht nur die Ergebnisse ihres Kindes,<br />

sondern ebenso die Durchschnittswerte<br />

seiner Klasse und der Schule mitzuteilen,<br />

faktisch wertlos. Wer in Ländern wie<br />

England und den USA beobachtet hat,<br />

welche Konsequenzen die Publikation<br />

von globalen Testdaten einzelner Schulen<br />

z. B. auf die Immobilienpreise von Stadtteilen<br />

hat 11 , wird sich keine Illusionen<br />

machen, was den verständigten Umgang<br />

mit solchen Daten in der Öffentlichkeit<br />

betrifft. Zu hoffen ist, dass aus diesen<br />

Schwierigkeiten für weitere Erhebungen<br />

gelernt wird.<br />

Fazit<br />

■ Für ein regelmäßiges System-Monitoring,<br />

bei dem die Entwicklung des<br />

Schulsystems insgesamt erfasst werden<br />

soll, würde es reichen, alle vier bis sechs<br />

Jahre Erhebungen durchzuführen. Außerdem<br />

könnte man sich (wie bei PISA<br />

und IGLU) auf repräsentative Stichproben<br />

beschränken und anderen Schulen eine<br />

freiwillige Teilnahme (wie bei LUST 12 )<br />

ermöglichen, was die Belastungen solcher<br />

Testprogramme mindern und ihre<br />

Akzeptanz beträchtlich erhöhen dürfte.<br />

Zugleich würden damit Mittel frei für<br />

andere Evaluationsaktivitäten (s. u.).<br />

■ Um LehrerInnen hilfreiche Informationen<br />

zur Kalibrierung ihrer Maßstäbe<br />

und für den Vergleich der eigenen mit<br />

anderen Klassen zu geben, wäre bei<br />

den nächsten Terminen ein Wechsel auf<br />

andere Kompetenzbereiche von Deutsch<br />

bzw. Mathematik und auch auf andere<br />

Lernbereiche wie Sachunterricht und die<br />

musisch-ästhetischen Fächer sinnvoll.<br />

Dabei sollten generell auch weniger standardisierte<br />

Formate erprobt werden.<br />

Der letzte Punkt hat aus meiner Sicht<br />

in der nahen Zukunft Priorität, soll das<br />

Evaluationssystem nicht Schlagseite<br />

bekommen. Der Grundschulverband<br />

hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die<br />

entsprechende Hilfen für Sprache, Mathematik<br />

und Sachunterricht entwickeln<br />

und in Form eines Fortbildungspakets publizieren<br />

soll. Es ist zu hoffen, dass auch<br />

staatliche Institutionen zumindest einen<br />

Teil ihrer Ressourcen in solche Aktivitäten<br />

investieren.<br />

Hans Brügelmann<br />

Literatur<br />

Bartnitzky, H. / Speck-Hamdan, A. (Hrsg.)<br />

(2004): Pädagogische Leistungskultur:<br />

Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen – würdigen<br />

– fördern. Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong>,<br />

Bd. 118. Grundschulverband: Frankfurt<br />

Bartnitzky, H., u. a. (1999): Zur Qualität<br />

der Leistung – 5 Thesen zu Evaluation und<br />

Rechenschaft der Grundschularbeit. Grundschulverband<br />

– Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.:<br />

Frankfurt. Auch in: Schmitt, R. (Hrsg.) (1999):<br />

An der Schwelle zum dritten Jahrtausend.<br />

BundesGrundschulKongress 1999. Grundschulverband<br />

– Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>:<br />

Frankfurt, 165 – 196<br />

Brügelmann, H. (Hrsg.) (1998): <strong>Kinder</strong> lernen<br />

anders: vor der Schule – in der Schule. Libelle:<br />

CH-Lengwil<br />

Brügelmann, H. (i. D.): Schule verstehen<br />

– Forschungsbefunde zu Kontroversen über<br />

Erziehung und Unterricht. Libelle: CH-Lengwil<br />

(erscheint im Sommer 2005)<br />

Metzger, K., u. a. (2004): Sprachbezogene<br />

Leistungen würdigen. Die <strong>aktuell</strong>e Leistungsdiskussion<br />

und erfolgreicher Deutschunterricht.<br />

In: Bartnitzky / Speck-Hamdan (2004),<br />

250 – 269<br />

Dr. Hans Brügelmann<br />

Professor für Erziehungswissenschaft Uni Siegen<br />

Fachreferent für schulische Qualitätsentwicklung<br />

im Grundschulverband<br />

Anmerkungen<br />

1 Ich danke verschiedenen KollegInnen (die z. T. ausdrücklich lieber<br />

ungenannt bleiben wollen …) für hilfreiche Anmerkungen zu einer<br />

Vorfassung dieses Papiers<br />

2 Informationen des Projekts unter: http://www.uni-landau.de/vera/<br />

3 Vgl. dazu ausführlicher meine Beiträge in Bartnitzky/ Speck-<br />

Hamdan (2004) und in GSV-<strong>aktuell</strong> Nr. 79, 82, 83, sowie in Brügelmann<br />

(i. D., Kap. 47– 51).<br />

4 Vgl. Bartnitzky u. a. 1999<br />

5 Vgl. zur inhaltlichen Kritik die konkreten Anmerkungen von Bartnitzky<br />

und Selter in diesem Heft sowie Metzger<br />

u. a. (2004).<br />

6 Vgl. anschaulich, auch für Eltern, die Beiträge in Brügelmann<br />

(1998).<br />

7 Die Landauer Forschungsgruppe hat dazu unter dem Titel »Pädagogische<br />

Nutzung der Vergleichsarbeiten« und »Handreichung<br />

zur Analyse der Falschlösungen« wichtige Hinweise gegeben,<br />

deren Berücksichtigung helfen könnte, das vielerorts beklagenswerte<br />

Niveau der Feststellung, Interpretation und Bewertung von<br />

Schülerleistungen anzuheben. Zu befürchten ist auf der anderen<br />

Seite, dass viele LehrerInnen und Eltern sich mit Summenwerten<br />

begnügen und ihre Urteile auf oberflächliche Vergleiche stützen<br />

werden.<br />

8 Das ging bis zu Diskussionen, ob die <strong>Kinder</strong> während der vorgesehenen<br />

10-minütigen Pause während der Deutscharbeit die Klasse<br />

verlassen und miteinander sprechen dürften – oder ob die Pause<br />

schweigend im Klassenraum zu verbringen sei, unterbrochen allenfalls<br />

vom Gang zur Toilette! Wenn die Klausurlogik sich entfaltet …<br />

9 … in mindestens einer mir bekannten Klasse sogar zum Üben mit<br />

nach Hause gegeben!<br />

10 Mindestwert ca. ein Halbtag pro Fach und Klasse bis hin zu einem<br />

Tag schriftliche Auswertung in den Ferien zu Hause und einem<br />

weiteren Tag Eingabe am PC für die zentrale Auswertung in Landau.<br />

11 S. <strong>aktuell</strong> http://www.mercurynews.com/mld/mercurynews/living/<br />

education/10045224.htm?1c [Abruf: 4.11.2004]<br />

12 Vgl. meinen Beitrag in GSV-<strong>aktuell</strong> Nr. 84<br />

■ Für die Individualbeobachtung<br />

müssten Instrumente zur Lernbegleitung<br />

entwickelt werden, um differenziertere<br />

Einschätzungen anzuregen und zu unterstützen,<br />

als sie durch eine punktuelle<br />

Messung möglich sind.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

9


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

VERA Deutsch 2004: Ungeeignet und bildungsfern<br />

Fünf Teile hatten die Deutsch-Aufgaben<br />

für die Viertklässler, die am 30. September<br />

2004 in exakt 42 + 10 + 32 Minuten<br />

zu erledigen waren, dazwischen lag eine<br />

Pause von zehn Minuten: Leseverständnis<br />

(nicht kontinuierlicher Text), Sprachbetrachtung,<br />

Leseverständnis (kontinuierlicher<br />

Text), Schreiben und Orthografie.<br />

Bei drei Teilen waren die Aufgaben für<br />

alle identisch, bei zwei Teilen konnten die<br />

Schulen vorab aus Alternativen wählen.<br />

Ich kommentiere im Folgenden die<br />

didaktische und inhaltliche Qualität der<br />

einzelnen Teile, dabei muss ich aus Platzgründen<br />

exemplarisch vorgehen.<br />

1. Teil: Die Wetterkarte –<br />

Leseverständnis bei einem<br />

nicht kontinuierlichen Text<br />

Als nicht-kontinuierlich werden Texte<br />

bezeichnet, die nicht Zeile für Zeile erlesen<br />

werden können, sondern bei denen<br />

Informationen durch Sprünge zwischen<br />

den Informationselementen gewonnen<br />

werden, also Texte mit Grafiken, Tabellen,<br />

Karten, Formularen. Die Lesefähigkeit für<br />

solche Texte gehört zu den wichtigen<br />

Kompetenzen für die alltägliche und berufliche<br />

Lebensbewältigung; zum Beispiel<br />

wird sie benötigt beim Gebrauch eines<br />

Fahrkarten-Automaten und zur Recherche<br />

im Internet, ganz zu schweigen von<br />

beruflichen Zusammenhängen. Entsprechende<br />

Aufgaben finden sich in den<br />

Tests der PISA-Studie für Fünfzehnjährige,<br />

während die IGLU-Studie auf solche Texte<br />

zugunsten eines Sachtextes verzichtet<br />

hatte. Mit gutem Grund: Die geforderte<br />

Leseleistung des Hin- und Herspringens<br />

zwischen Grafik und Text, das Verständnis<br />

der oft abstrakten Zusammenhänge<br />

wird in der <strong>Grundschule</strong> zwar bereits<br />

vielfältig geübt – bei Lexikonartikeln, in<br />

Sachbüchern, bei der Internet-Recherche.<br />

Ob die <strong>Kinder</strong> aber alleine solche Aufgaben<br />

schon lösen können, hängt neben<br />

vielerlei sprachlichen Schwierigkeiten<br />

auch davon ab, ob die <strong>Kinder</strong> mit der<br />

Thematik bereits Vorwissen und Fragehaltung<br />

verbinden, ob ihnen die spezielle<br />

grafische Aufarbeitung bekannt ist. Hier<br />

entscheidet also die konkrete Situation,<br />

ein nicht lösbares Problem für Testkonstrukteure.<br />

Die VERA-Konstrukteure haben<br />

nun entgegen der IGLU-Studie einen<br />

solchen Text doch aufgenommen – eine<br />

Wetterkarte, zu der dann zehn Aufgaben<br />

gestellt werden:<br />

Entgegen der Eingangsbehauptung »…<br />

findest du täglich in allen Tageszeitungen<br />

…« finden viele <strong>Kinder</strong> Wetterkarten in<br />

Tageszeiten eben nicht: Grundschulkinder<br />

sind keine Zeitungsleser und viele<br />

Elternhäuser halten gar keine Tageszei-<br />

10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Thema: Vergleichsarbeiten unter Thema: der VERA Lupe<br />

tung. Schon der Einleitungssatz zeigt die<br />

Kindferne der Ansprache.<br />

Das Thema Wetter ist zwar ein Standardthema<br />

in der <strong>Grundschule</strong>, das Lesen<br />

einer Wetterkarte auch. Nicht festgelegt<br />

ist aber, wann Wetterkarten im Unterricht<br />

zum Thema werden, das kann vor<br />

Anfang der Klasse 4 sein, also bis zum<br />

Testzeitpunkt, das kann aber auch erst<br />

im Laufe der Klasse 4 erfolgen. Entsprechendes<br />

gilt für Unterthemen, die für die<br />

Testauf gaben wichtig sind: Themen wie<br />

Biowetter, Himmelsrichtungen, Windrichtung,<br />

mete o rologische Definition von<br />

Sonnenaufgang und Sonnenuntergang,<br />

außerdem geografische Orientierung<br />

auf der Deutschlandkarte, zum Beispiel<br />

müssen die <strong>Kinder</strong> für die Aufgaben<br />

wissen, wo Norddeutschland und die<br />

Nordsee zu finden sind. Haben <strong>Kinder</strong><br />

keine Eltern, die ein besonderes Faible für<br />

Wetterkarten haben, und wurden Wetterkarte<br />

oder Deutschlandkarte bis Anfang<br />

Klasse 4 unterrichtlich nicht bearbeitet,<br />

dann haben die <strong>Kinder</strong> für diese Aufgaben<br />

schlechte Karten. Schlimmer noch<br />

bei <strong>Kinder</strong>n aus sprachschwachen Milieus<br />

und Migrantenkindern mit geringeren<br />

Deutschkenntnissen. Sie bleiben, bevor<br />

sie überhaupt eine der zehn Aufgaben<br />

durchlesen, bereits an der abstrakten nominalisierten<br />

Sprache hängen: Biowetter,<br />

Luftfeuchtigkeit, Kreislaufsystem, Aufheiterungen<br />

… Damit ist die Falle gebaut:<br />

Nicht die Lesefähigkeit wird geprüft, sondern<br />

ob ein Thema unterrichtlich bereits<br />

behandelt wurde und ob die <strong>Kinder</strong> aus<br />

bildungsorientierten Elternhäusern kommen.<br />

Am Ende wird bei der Auswertung<br />

wieder die Quote der »Risikokinder« beklagt;<br />

tatsächlich grenzt aber bereits die<br />

Aufgabenstellung ganze Schülergruppen<br />

von der richtigen Lösung aus.<br />

Die Aufgaben selbst beginnen scheinbar<br />

einfach:<br />

Hier ist die Kenntnis der Jahreszeiten<br />

erforderlich, die in der Regel ab Klasse 1<br />

schon erarbeitet wird. Unglücklich ist das<br />

abgeteilte Präfix der Verbklammer. <strong>Kinder</strong><br />

können über die in sich sprachlich sinnlosen<br />

Antwortvorgaben »Winter voraus«,<br />

»Sommer voraus« stolpern. »Volldampf<br />

voraus« kennen einige <strong>Kinder</strong>, aber »Winter<br />

voraus«? Die Aufgabe zielt auf Leseverständnis<br />

in der Wetterkarte, hier wird<br />

aber durch die Aufgabenformulierung<br />

bereits der Fallstrick gelegt. Einfacher und<br />

klarer wäre eine Formulierung wie: »Die<br />

abgebildete Wetterkarte sagt das Wetter<br />

für einen Tag voraus und zwar<br />

■ für einen Tag im Winter<br />

■ für einen Tag im Sommer<br />

usw.<br />

Sieht man die weiteren Aufgaben<br />

durch, dann muss man über mangelnde<br />

Sachkenntnisse der Testkonstrukteure<br />

staunen:<br />

»Aufg. e) Du verbringst deine Ferien in<br />

Norddeutschland. Kannst du einen Grillabend<br />

draußen planen? Begründe deine<br />

Entscheidung.« Es folgen zwei Schreibzeilen.<br />

Ein kundiges Kind überlegt: Bis wohin<br />

reicht denn Norddeutschland? Kiel,<br />

Rostock und Hamburg gehören auf<br />

jeden Fall dazu. Hier könnte man den<br />

Grill abend planen, denn nur »wolkig«<br />

muss einen nicht davon abhalten, die<br />

Sonne ist eh untergegangen; in Bremen<br />

aber sollte man eher drinnen grillen. Für<br />

so viel Text reichen aber die Schreibzeilen<br />

nicht. Die Antwort wäre auch falsch. Sieht<br />

man die Korrekturanweisungen durch,<br />

muss zunächst klipp und klar mit »Ja«<br />

oder »Nein« geantwortet werden, dann<br />

folgt die Begründung. Dafür sind nur zwei<br />

Antworten richtig:<br />

»Nein, weil für den Abend Regen angesagt<br />

ist.«<br />

»Ja, aber dann muss man Regenklamotten<br />

und eine Plane mitnehmen.«<br />

Für die Testkonstrukteure zählt<br />

offenbar nur Bremen zu Norddeutschland.<br />

Nicht nur die Leute in Schleswig-<br />

Holstein, Hamburg und Mecklenburg-<br />

Vorpommern werden sich über solche<br />

eigenartige Geografie wundern.<br />

»Aufg. h) Du möchtest den Sonnenaufgang<br />

beobachten. Wann musst du<br />

aufstehen?«<br />

Da nach der Wettervorhersage die<br />

Sonne um 5:34 aufgeht, müsste man,<br />

so denkt das Kind zu recht, schon etwas<br />

früher aufstehen. Wo kann man die niedrig<br />

stehende Sonne sehen? Wie komme<br />

ich dahin und wie lange brauche ich dafür?<br />

Also: aufstehen, anziehen, einen Weg<br />

gehen – also bis spätestens kurz nach<br />

5.00 müsste man schon aus den Federn.<br />

Wieder ein Blick in die Korrekturanweisung:<br />

Die korrekte Lösung ist »jeder<br />

Zeitpunkt bis einschließlich 5:34 Uhr«. Im<br />

Ernst: Wer um 5:34 Uhr erst aufsteht, wird<br />

den Sonnenaufgang schwerlich erleben.<br />

Ähnlich unsinnig ist die vorgegebene<br />

»korrekte« Lösung bei der Aufgabe zum<br />

Sonnenuntergang. Mit der fehlerhaften<br />

Lösungsvorgabe wird genau das nicht<br />

überprüft, was eigentlich Sinn der Aufgaben<br />

im Bereich Lesen ist: neben der richtigen<br />

Informationsentnahme nämlich die<br />

richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Wer<br />

5.34 Uhr angibt, hat sie nicht gezogen.<br />

Nun sind Grundschullehrerinnen und<br />

-lehrer nicht so herzlos, <strong>Kinder</strong> in diese<br />

sprachlichen und sachlichen Fallen laufen<br />

zu lassen. Also wurden, wie man unter der<br />

Hand immer wieder hört, unerlaubte Hilfen<br />

vielerlei Art gegeben. Die Ergebnisse<br />

sind so für die vergleichende Auswertung<br />

natürlich nicht brauchbar.<br />

Horst Bartnitzky,<br />

Autor zahlreicher<br />

Veröffentlichungen<br />

zur Deutschdidaktik.<br />

2. Teil: Wortarten, Wortbedeutungen<br />

und Satzglieder<br />

– Sprachbetrachtung<br />

Die Kategorie, unter denen diese Aufgaben<br />

laufen, nämlich Sprachbetrachtung<br />

ist eine didaktische Hochstapelei. Tatsächlich<br />

geht es weder um Betrachtung<br />

noch um Reflexion sondern um Kenntnisse:<br />

sieben Multiple-Choice-Aufgaben<br />

zu den Wortarten Verb und Adjektiv und<br />

acht zu Satzgliedern. Dazwischen sieben<br />

Aufgaben zu Redewendungen und Wortbedeutungen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

11


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

Zu den Wortarten<br />

Natürlich ist eine solche Aufgabe möglich.<br />

Aber sie zeigt nichts von dem, was<br />

für den Lernbereich Sprachbetrachtung /<br />

Sprachreflexion / Sprachuntersuchung<br />

wichtig ist. Dies nämlich sind die Denkleistungen<br />

der <strong>Kinder</strong>, die hinter den<br />

Entscheidungen für eine Wortart stehen.<br />

Ein Verb (oder Tunwort) erkennt man<br />

eben nicht einfach daran, dass man dort<br />

»etwas tut«. Was wären denn dann die<br />

»Tunixwörter« wie faulenzen oder bleiben,<br />

die Hilfs- und Modalverben? <strong>Kinder</strong> müssen<br />

vielmehr ein Gespür für Wortarten<br />

entwickeln und das ist nur über Denkbewegungen<br />

und sprachliche Operationen<br />

möglich. Ein Beispiel: Warum ist das<br />

angekreuzte Wort ein Verb? Hierzu gibt es<br />

grammatische Proben: Kann ich mit dem<br />

Wort so etwas machen wie: ich schreibe,<br />

er schreibt? Also: ich zehn, er zehn – geht<br />

nicht. Ich ausleihe, er ausleiht – geht,<br />

hier muss aber der Wortbaustein aus<br />

nach hinten gestellt werden: ich leihe<br />

aus, er leiht aus. Allerdings fragt man<br />

sich, warum ausgerechnet ein Verb mit<br />

abtrennbarem Präfix als erstes genommen<br />

wurde, warum nicht das einfachere<br />

wohnen, das zwei Aufgaben später als<br />

Verb identifziert werden soll. Wieder ein<br />

eingebauter Fallstrick.<br />

Die Leistung der <strong>Kinder</strong> zur grammatischen<br />

Terminologie ist nicht das unter<br />

Teststress rasch Angekreuzte, sondern die<br />

Denkleistung, das Operieren mit Wörtern,<br />

das Ausprobieren, zu welcher Kategorie<br />

ein Wort gehört. Reines Abfragen öffnet<br />

aber kein Fenster auf die Denkbewegungen,<br />

die für jeden Grammatikunterricht<br />

das zentrale Anliegen sein müssen.<br />

Zu den Satzgliedern<br />

»Ein Satzglied im oberen Satz ist eingerahmt.<br />

Kreuze das gleiche Satzglied im unteren<br />

Satz an.<br />

Man stolpert sofort über die eingebauten<br />

Fallen: Nähkästchen sind aus der Mode<br />

gekommen, viele Mütter haben keins.<br />

Was also sollen sich <strong>Kinder</strong> darunter<br />

vorstellen? Rechtschriftlich gedacht:<br />

Das Personalpronomen sein ist groß geschrieben,<br />

das suggeriert, es müsse am<br />

Satzanfang stehen; tatsächlich aber ist<br />

es die richtige Lösung und müsste dann<br />

klein geschrieben werden. In der vorgegebenen<br />

Form ist es dort nicht einsetzbar.<br />

Die angebotenen Satzglieder bilden, von<br />

oben nach unten gelesen, einen eigenen<br />

Satz – ein Aufgabenformat, das die meisten<br />

<strong>Kinder</strong> nicht kennen werden, weil es<br />

schulisch ungebräuchlich ist. Eine weitere<br />

Falle.<br />

Die <strong>Kinder</strong> verwenden in einem<br />

modernen Grammatikunterricht die<br />

sprachlichen Proben: umstellen, ersetzen,<br />

ergänzen, weglassen. Sie haben den Rang<br />

eigener Ziele im Lernbereich »Sprache und<br />

Sprachgebrauch untersuchen«. So auch in<br />

den Bildungsstandards im Fach Deutsch<br />

Klasse 4, auf die sich die Kultusministerkonferenz<br />

verständigt hat (dort S. 15). Die<br />

sprachlichen Proben sind grundlegende<br />

Operationen, um ein Gefühl auch für<br />

Satzglieder zu erhalten. Deshalb werden<br />

viele <strong>Kinder</strong> hier die Ersatzprobe verwenden.<br />

Was lässt sich für Fäden und Bänder<br />

einsetzen? Richtig wäre: das Taschenmesser.<br />

Was hat aber Michas Taschenmesser<br />

im Nähkästchen verloren? Vom Alltagswissen<br />

her betrachtet: gar nichts. Also<br />

kann die Antwort auch nicht richtig sein.<br />

Dann eher schon Petra, falls das Kind eine<br />

Puppe dieses Namens hat.<br />

Wieder wären Begründungen wichtig,<br />

um zu erkennen, warum ein Kind eine<br />

bestimmte Lösung gefunden hat. Was<br />

holt Micha …?, ebenso: Was schenkt er<br />

Petra …? Fäden und Bänder sind also eine<br />

Wen-oder-was-Ergänzung, Taschenmesser<br />

ebenso.<br />

An den Kostproben kann deutlich<br />

werden: Sprachschwächere und unsichere<br />

<strong>Kinder</strong> werden irre und raten; klug<br />

denkende, ihr Alltagswissen nutzende<br />

<strong>Kinder</strong> geraten in die Fallen, ohne dass sie<br />

erklären dürfen, wie sie ihre möglicherweise<br />

auch falschen Antworten gefunden<br />

haben. Lernprozesse,<br />

um die sich<br />

die <strong>Grundschule</strong><br />

viel müht, nämlich<br />

mit Sprache<br />

zu operieren und<br />

über sprachliche<br />

Auffälligkeiten<br />

und Strukturen nachzudenken, sind nicht<br />

gefragt. Stattdessen Aufgabenstellungen,<br />

bei denen offenbar mit Lust Fallen eingebaut<br />

wurden. Was kann man da schon<br />

mit den Ergebnissen anfangen?<br />

Zu Wortbedeutungen<br />

Hierzu gibt es zwei Aufgabentypen. Die<br />

eine über Redensarten, die andere zu<br />

treffenden Wörtern. Je ein Beispiel soll<br />

kommentiert werden.<br />

Ähnlich folgen die Redewendungen: »sich<br />

etwas aus dem Kopf schlagen«, »mit dem<br />

Kopf durch die Wand gehen«, »sich den<br />

Kopf zerbrechen«.<br />

Ohne Zweifel sind Redewendungen<br />

ein Thema im Sprachunterricht der<br />

<strong>Grundschule</strong>. Nur – es gibt unzählige:<br />

Redensarten aus der Ritterzeit, Redewendungen<br />

zum Wort Zeit, zum Wort Geld<br />

und viele andere mehr. Es ist schierer<br />

Zufall, wenn gerade die Redewendungen<br />

des Tests im Unterricht bis Anfang Klasse<br />

4 bearbeitet worden wären. Im Übrigen<br />

sind diese Redewendungen gar nicht<br />

überall (mehr) geläufig. Was also wird<br />

12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

hier überprüft? Eben nicht die schulische<br />

Entwicklungsarbeit, vielmehr das sprachliche<br />

Wissen, das <strong>Kinder</strong> von zu Hause<br />

mitbringen. Gehören diese Redewendungen<br />

dort zum Sprachrepertoire, dann kennen<br />

<strong>Kinder</strong> ihre Bedeutung. Sonst nicht.<br />

Dann müssen sie hier raten. Durch die<br />

Schule denkerisch geförderte und sprachlich<br />

sensibilisierte <strong>Kinder</strong> werden auf<br />

Lösungen kommen wie »heimzahlen«,<br />

das ist doch so viel wie zurückgeben, oder<br />

mit der Assoziation »Heim« wie zu Hause:<br />

»an jemanden Miete bezahlen«. Beide<br />

klugen Lösungen sind aber falsch. <strong>Kinder</strong><br />

aus sprachlich wenig gefördertem Milieu<br />

und Migrantenkinder sitzen ratlos vor der<br />

Aufgabe. Aufschluss über die schulische<br />

Arbeit geben diese Aufgaben nicht und<br />

Nachdenken wird durch Fehlernotation<br />

bestraft.<br />

3. Teil: Christian –<br />

Lese verständnis bei einem kontinuierlichen Text<br />

Über Streitsituationen und Möglichkeiten<br />

der Schlichtung zu sprechen, gehört zum<br />

Alltag in jeder Grundschulklasse. Streiten<br />

und Streit schlichten kennen die <strong>Kinder</strong><br />

als korrespondierende Wörter. Aber wer<br />

sagt, dass es nur diese Korrespondenz<br />

gibt? Nirgendwo ist das festgelegt. <strong>Kinder</strong><br />

denken konkret, viele auch konkret-fantasievoll.<br />

Warum also sollte Kathi nicht<br />

versuchen, den Streit zu vertreiben?<br />

<strong>Kinder</strong> fallen schnell Bilder oder kleine<br />

Geschichten ein, wie Streit vertrieben<br />

werden kann. Auch Streit schließen wäre<br />

möglich, der Streit wäre beendet, <strong>Kinder</strong><br />

könnten auch an verschließen denken:<br />

den Streit einsperren. Sogar den Streit<br />

verbessern kann man, denn Streit ist<br />

nicht immer zu schlichten. Aber er muss<br />

angemessen, das heißt mit Worten statt<br />

mit verbaler oder physischer Gewalt<br />

ausgetragen werden. Bei dieser Aufgabe<br />

könnten <strong>Kinder</strong> also mehrere oder sogar<br />

alle Antworten ankreuzen und würden<br />

damit auch ihr Mitdenken unter Beweis<br />

stellen. Wieder gibt es leider keine Möglichkeit,<br />

dass die <strong>Kinder</strong> im Test dies auch<br />

ausdrücken, also verbalisieren können.<br />

Sieht man in die Korrekturanweisung,<br />

dann findet man: mehrere Antworten<br />

sind als Fehler einzutragen. Wieder also<br />

wird Nachdenken bestraft.<br />

Dieser Text soll nicht kritisch gelesen<br />

werden, etwa mit der Überlegung: Was<br />

hätten die <strong>Kinder</strong> schon am Anfang<br />

anders machen können? Wie kann man<br />

einen Neuen in die Klasse integrieren?<br />

Nein, der Text wird, wie die nachfolgenden<br />

sieben Aufgaben belegen, affirmativ<br />

gelesen – das war so und das war gut so.<br />

Lediglich die letzte Aufgabe fragt nach<br />

einer eigenen Stellungnahme, aber auch<br />

hier werden die Antwortmöglichkeiten<br />

eingeschränkt. Dazu später mehr. Nebenbei<br />

fällt übrigens auf, dass die Zeichensetzung<br />

bei wörtlicher Rede durchgängig<br />

fehlerhaft ist. Solche Kleinigkeiten, wie<br />

auch das putzige Wort »raufen« mit dem<br />

steinzeitalten fibelsprachlichen Ausruf:<br />

»Oje, wie die raufen!« sind hier zu vernachlässigen<br />

vor dem Skandal dieser<br />

Textauswahl.<br />

Die Situation des Neuen in der Klasse<br />

wird genutzt, um ihn sogleich als rüpelhaften<br />

Außenseiter zu brandmarken.<br />

Genau so werden Vorurteile gegen Minderheiten<br />

gestärkt und die Aggressivität<br />

der Mehrheit begründet: Minderheiten<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

13


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

sind unsympathisch, passen nicht in die<br />

Gruppe, sind aggressiv und so weiter. Die<br />

Rollen sind klar verteilt:<br />

Der Neue als unsympathischer und<br />

arroganter Schlägertyp, der nur durch<br />

Finten siegen kann; der sympathische<br />

Liebling, der auch noch der starke Held<br />

ist; das Mädchen an der Seite des Helden<br />

und schließlich die Meute der Übrigen,<br />

die mit Gebrüll auf der Seite des Siegers<br />

steht. Am Ende muss der Besiegte die<br />

Gruppengesetze bedingungslos akzeptieren.<br />

Dies ist eine Konstellation, wie sie<br />

aus Kriegs-, Wild-West- und Blut-und-Boden-Filmen<br />

hinlänglich bekannt ist.<br />

In der Geschichte wird dieser für einen<br />

Grundschultext skandalöse Plot dadurch<br />

legitimiert, dass der Neue, also Christian,<br />

eben gerne »rauft«. Kein Gedanke<br />

aber daran, dass man mit einem Neuen<br />

anders umgehen kann und muss, um<br />

ihn zu integrieren, anstatt sich gleich<br />

mit ihm zu prügeln. Da wird die zunehmende<br />

Gewalt in Schulen beklagt und<br />

nun wird eine Prügelgeschichte mit der<br />

Unterwerfung eines Neuen als affirmativ<br />

zu lesender Text von sieben Kultusministerien<br />

abgesegnet und zur Pflichtlektüre<br />

für Hunderttausende von Viertklässlern<br />

gemacht. Friedenserziehung sieht wahrlich<br />

anders aus.<br />

Die Aufgaben sind dann die üblichen<br />

Leseaufgaben:<br />

Informationen dem Text entnehmen:<br />

»Christian ist groß und stark. Wie ist<br />

Jakob? Nenne mindestens zwei Eigenschaften!«<br />

Den Text interpretieren: »Als Jakob<br />

über Kathis Schultasche stolpert, sagt<br />

Christian: ›Danke, liebe Kathi.‹ Warum<br />

sagt er das?« Dann werden vier Antworten<br />

vorgegeben, »er ist schadenfroh« ist<br />

die richtige.<br />

Lediglich die letzte Aufgabe fragt nach<br />

persönlicher Einschätzung:<br />

Hier ist besonders interessant, welche<br />

Antworten in der Korrekturanweisung<br />

als korrekt und als falsch gekennzeichnet<br />

sind:<br />

Es ist schiere Willkür, welche Antworten<br />

als korrekt oder als falsch gelten. Warum<br />

sie so eingeordnet sind, wissen nur die<br />

Konstrukteure, für <strong>Kinder</strong> oder Lehrkräfte<br />

erschließt sich das nicht. »Langweilig,<br />

weil sie zu wenig Action hat« ist offenkundig<br />

falsch, weil hier Action überreich<br />

geboten wird, soll aber als richtig gelten.<br />

Warum ist »ausführlich erzählt« richtig,<br />

»tolle Sachen passieren« aber falsch.<br />

Beides ist, wenn man so will, gleich unpräzise.<br />

»Blöd, weil man so viele Fragen<br />

beantworten muss« gilt als falsch, weil<br />

die Antwort keinen Bezug zum Text hat.<br />

Das ist kleinlich gedacht. Denn die Fragen<br />

haben das Textverständnis der <strong>Kinder</strong> mit<br />

geleitet, die Überlegungen und Antworten<br />

gehören für <strong>Kinder</strong> nun zur Geschichte.<br />

Wenn sie nicht bereits gänzlich verschult<br />

denken und alles hinnehmen, wie es ihnen<br />

angeboten wird, dann mag ihnen auf<br />

die Nerven gehen, in einer so zeitlich eingegrenzten<br />

Zeit so viele Fragen zu diesem<br />

Text beantworten zu müssen. <strong>Kinder</strong>, die<br />

so antworten, zeigen selbstbewusst ihre<br />

Meinung. Abweichendes Denken ist aber<br />

hier wie schon bei allen Aufgaben zuvor<br />

gar nicht gefragt.<br />

Das Kriterium, nach dem Antworten<br />

als korrekt oder als fehlerhaft bewertet<br />

werden, liegt eben nicht im Inhaltlichen<br />

(wo sie hingehörten), sondern allein<br />

in der Form der Antwort. »Gut, weil sie<br />

Einleitung, Hauptteil und Schluss hat<br />

(formaler Textbezug)« wäre zum Beispiel<br />

ebenso eine korrekte Antwort wie »Lustig,<br />

wie der Christian den Jakob auf den<br />

Boden drückt (inhaltlicher Textbezug)«.<br />

Mit dem nicht kontinuierlichen und<br />

diesem kontinuierlichen Text sind, unabhängig<br />

von der Qualität der Aufgabenstellungen,<br />

nur Bruchteile von dem erfasst,<br />

was die Lesekompetenz ausmacht.<br />

Das soll zur Einordnung noch klargestellt<br />

werden: lebendige Vorstellungen beim<br />

Lesen und Hören literarischer Texte,<br />

überhaupt: Umgang mit <strong>Kinder</strong>literatur,<br />

eigene Leseerfahrungen, eigene Gedanken<br />

zu Texten, die Lesekommunikation<br />

in der Klasse, handelnder Umgang mit<br />

Texten – dies alles sind Ziele in den Bildungsstandards<br />

Deutsch Klasse 4, wie sie<br />

die Kultusministerkonferenz vereinbart<br />

hat (KMK, S. 15). In den Tests findet sich<br />

nichts davon.<br />

14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

4. Teil: Jan und der Computer – Schreiben<br />

Offenbar haben die Testkonstrukteure<br />

versucht, kindorientiert die Fähigkeiten<br />

zu prüfen, einer kommunikativen<br />

Schreibaufgabe zu genügen. Das ist im<br />

Grundsatz zu loben. Aber was ist aus der<br />

Grundidee geworden? Ein Junge wünscht<br />

sich von seiner Oma ohne jeden weiteren<br />

Zusammenhang schlankweg einen<br />

Computer. Abgesehen davon, dass es<br />

offenbar einen Opa nicht gibt, dürften<br />

viele Omas finanziell nicht in der Lage<br />

sein, einen solchen Wunsch zu erfüllen<br />

und viele Omas würden wohl auch nicht<br />

bereit sein, einen so »happigen« Wunsch<br />

zu befriedigen. Das Ansinnen ist schlicht<br />

maßlos und Ausdruck der Maßlosigkeit,<br />

mit der heute Werbung <strong>Kinder</strong>wünsche<br />

suggeriert und mit der auch <strong>Kinder</strong><br />

oft beschenkt werden. Dies <strong>Kinder</strong>n in<br />

4. Klassen vorzustellen, als sei es das Normalste<br />

von der Welt, ist ein Schlag gegen<br />

die Konsumerziehung, die auch Auftrag<br />

der Schule ist. Es ist auch unsensibel für<br />

die Situation vieler <strong>Kinder</strong>, die wissen,<br />

dass ihre Oma und mit ihr der Opa von<br />

einer kleinen Rente leben müssen. Was<br />

sollen diese <strong>Kinder</strong> bei dieser Aufgabe<br />

denken? Anders gefragt: In welchem Land<br />

leben diese Testkonstrukteure? Offenbar<br />

in Wunschhausen und sie denken, auch<br />

die <strong>Kinder</strong> leben dort.<br />

Dann kommt der angefangene Brief. Er<br />

ist ein abschreckendes Beispiel dafür, wie<br />

Briefe nicht geschrieben werden dürfen.<br />

Die persönliche Zuwendung, die doch<br />

Kernstück in einem Brief an die Oma<br />

sein müsste, schrumpft auf die Floskel<br />

»Hoffentlich geht es dir gut.« Tatsächlich<br />

interessiert das nicht die Bohne, denn<br />

der Junge geht anschließend sofort zur<br />

Sache. Dass die Oma in einem Brief auch<br />

etwas von ihrem Enkel erfahren möchte,<br />

kommt gar nicht in den Blick. Kaltschnäuziger<br />

kann ein Brief an die Oma<br />

nicht beginnen. Dann gesteht der Junge<br />

seine Brieffaulheit ein: »Sicher wunderst<br />

du dich, warum ich dir schreibe.« Offenbar<br />

hat die Oma<br />

noch nie einen Brief<br />

vom Enkel erhalten.<br />

Warum eigentlich?<br />

Denn die Oma wohnt<br />

doch wohl weit weg,<br />

warum sonst sollte ein<br />

Wunsch in einem Brief<br />

geschrieben werden.<br />

Dieser Briefanfang<br />

eignet sich durchaus<br />

als didaktische Provokation: <strong>Kinder</strong> würden<br />

rasch herausfinden, was hier alles<br />

falsch ist, und würden zu anderen und<br />

angemesseneren Lösungen kommen.<br />

Aber so viel eigenständiges Denken ist<br />

– wieder einmal – nicht gefragt. Auch<br />

hier soll die Vorgabe unkritisch bearbeitet<br />

werden.<br />

Hier entlarvt sich das ganze Dilemma<br />

entfremdeter Aufgaben: Es geht nicht<br />

um Aufgaben, die <strong>Kinder</strong> als die ihren<br />

ansehen können, um Fragen, die ihnen<br />

wichtig sind, erst recht geht es nicht um<br />

ihre Sichtweisen oder ihre Meinungen.<br />

Vielmehr werden künstliche Situationen<br />

hergestellt, in die <strong>Kinder</strong> sich hineinversetzen<br />

sollen, obwohl sie ihnen fremd<br />

sind und, wie bei dieser Aufgabe, sogar<br />

befremdlich. Von der entfremdeten Situation<br />

aus sollen sie dann agieren. Je<br />

jünger <strong>Kinder</strong> sind, desto weniger ist ihnen<br />

das möglich. Ihre Leistungsfähigkeit<br />

entfalten sie nur, wenn sie sich betroffen<br />

fühlen. Da hilft auch keine <strong>Kinder</strong>tümelei<br />

mit »Wunschhausen«.<br />

Ausgewertet werden soll der Brief<br />

dann von der Lehrkraft nach formalen<br />

Kriterien wie Umfang, Schriftbild, Satzkomplexität,<br />

Unterschrift, nach sprachlichen<br />

Kriterien wie Perspektivübernahme,<br />

grammatische Korrektheit, Wortschatz<br />

sowie inhaltlichen Kriterien wie Argumentation,<br />

Originalität und Angemessenheit<br />

der Formulierungen. Auch hier<br />

sind Beispiele angegeben, um den Blick<br />

der Lehrkraft für die Kriterien zu schärfen.<br />

Doch ist die Lehrkraft zum Glück<br />

eigenständig und viele können nach<br />

ihrer Kenntnis der Denkbewegungen von<br />

<strong>Kinder</strong>n die Qualitäten differenzierter<br />

einschätzen.<br />

5. Teil Satzdiktate –<br />

Orthografie<br />

In den zehn Minuten nach der 10-Minuten-Pause<br />

werden 6 Sätze diktiert.<br />

Jeder Satz hat so seine Tücken, deshalb<br />

wurde er so konstruiert. Und eine Regel<br />

gilt: Wörterbücher sind verboten. Die<br />

Begründung ist der Handreichung zur<br />

Durchführung zu entnehmen: »Erläutern<br />

Sie bitte, dass die Untersuchung<br />

unter Klassenarbeitsbedingungen durchgeführt<br />

wird: … die Benutzung eines<br />

Wörterbuches in Deutsch sowie die<br />

Kommunikation unter den Schülerinnen<br />

und Schülern sind nicht gestattet.«<br />

Auch hier zeigt sich die Unkenntnis der<br />

Testkonstrukteure über modernen Grundschulunterricht.<br />

Das Wörterbuch nutzen<br />

gehört zu den grundlegenden Zielen<br />

des Rechtschreibunterrichts. Das in der<br />

Klasse eingeführte Wörterbuch kann,<br />

nein muss deshalb auch bei Klassenarbeiten<br />

verwendet werden. Will man dies<br />

mit Diktaten verbinden, könnten <strong>Kinder</strong><br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

15


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

in einem ersten Gang die Sätze schreiben<br />

und in einem zweiten Gang mit Hilfe<br />

des Wörterbuches Korrektur lesen und<br />

Änderungen mit anderer Farbe eintragen.<br />

Eine schlichte und auch testkompatible<br />

Methode.<br />

Wie zu erfahren ist, wurden den<br />

Testkonstrukteuren vielerlei Beispiele für<br />

didaktisch angemessenere Lernkontrollen<br />

im Rechtschreiben vorgestellt. Auch<br />

wurde erläutert, warum Diktate gerade<br />

nicht das geeignete Mittel sind, um die<br />

Rechtschreibleistungen von <strong>Kinder</strong>n zu<br />

ermitteln. Es half nichts. Es blieb bei<br />

dem, was offenbar Testkonstrukteure mit<br />

Rechtschreiben aus eigener Schulzeit verbinden:<br />

bei Diktaten. Deshalb hier noch<br />

mal: Die wenigsten Bundesländer schreiben<br />

Diktate verbindlich vor. Die Ziele in<br />

den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz<br />

führen notwendigerweise<br />

zu anderen Formen der Überprüfung<br />

der Rechtschreibung als zu Diktaten; da<br />

ist die Rede von: Rechtschreibstrategien<br />

verwenden, fehlersensibel sein, Rechtschreibhilfen<br />

verwenden, methodisch<br />

sinnvoll abschreiben, Übungsformen<br />

selbstständig nutzen, Texte auf ihre orthografische<br />

Richtigkeit überprüfen und<br />

korrigieren (KMK, S. 14).<br />

Sieht man die Diktattexte durch, ist<br />

wieder die Entfremdung der Aufgaben<br />

offenkundig: Warum soll das schreibende<br />

Kind am liebsten Fußball spielen? Vermutlich<br />

hat keine Lehrerin am Tag vorher<br />

einen Schatz versteckt. Die meisten <strong>Kinder</strong><br />

haben keinen Hund usw. Warum nur<br />

müssen die Sätze so persönlich formuliert<br />

sein und damit ihre inhaltliche Falschheit<br />

deutlich machen? Warum werden <strong>Kinder</strong><br />

gezwungen, Sätze über sich aufzuschreiben,<br />

die unwahr sind? Weil die <strong>Kinder</strong><br />

nicht ernst genommen werden und sie<br />

sollen wohl auch nicht ernst genommen<br />

werden. Denn Menschen funktionieren<br />

in der Gesellschaft am besten, wenn sie<br />

persönliche Interessen und Denkmöglichkeiten<br />

erst gar nicht entwickeln. Genau<br />

dieses zynische Menschenbild wird<br />

mit den Aufgaben in den vorgestellten<br />

Vergleichsarbeiten bedient.<br />

Bildung aber ist etwas ganz anderes.<br />

Horst Bartnitzky<br />

Anmerkungen<br />

1. Fundstellen:<br />

Projekt Vera: www.uni-landau.de/vera<br />

KMK: www.kultusministerkonferenz.de/schul/<br />

Bildungsstandards/GS_Deu<br />

2. Zur Sprachdidaktik:<br />

Hierzu gibt es eine reiche Literaturlage.<br />

Zusammenfassend kann man sich orientieren<br />

bei:<br />

Metzger, Klaus / Spiegel, Ute / Spinner,<br />

Kaspar H.: Sprachbezogene Leistungen<br />

würdigen. In: Bartnitzky / Speck-Hamdan<br />

(Hrsg.): Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen<br />

– würdigen – fördern. Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />

2004<br />

»Allein vor einem Berg unbekannter Aufgaben …«<br />

Als stellvertretender Schulleiter einer<br />

<strong>Grundschule</strong> habe ich die Organisation<br />

und den Ablauf an unserer Schule koordiniert.<br />

Aus dieser Perspektive heraus<br />

möchte ich folgende Aspekte äußern:<br />

■ Die Arbeiten sollen nicht benotet<br />

werden, nicht in die Leistungsbeurteilung<br />

mit einfließen. Nichtsdestotrotz wurden<br />

alle Kollegen aufgefordert, die Mathematikarbeiten<br />

online mit einer Note für den<br />

einzelnen Schüler abzuschließen.<br />

■ Wir führen in der <strong>Grundschule</strong> die<br />

<strong>Kinder</strong> behutsam an die Form der Klassenarbeit<br />

heran. Wobei – auch in den neuen<br />

Richtlinien – an keiner Stelle zu lesen ist,<br />

dass von allen <strong>Kinder</strong>n einer Klasse zum<br />

selben Zeitpunkt dieselbe Klassenarbeit<br />

geschrieben werden soll.<br />

In VERA werden die Schülerinnen und<br />

Schüler gnadenlos vor eine 94-minütige<br />

(!) Deutscharbeit gepflanzt. Ach ja, es<br />

gab ja 10 Minuten Pause …<br />

■ Faktoren, die die Lernentwicklung<br />

fördern, werden völlig außer Acht gelassen:<br />

»Der Unterricht fördert die Fähigkeit<br />

und die Bereitschaft, das eigene Lernen<br />

bewusst und zielgerecht zu gestalten<br />

und mit anderen zusammenzuarbeiten.<br />

Die Lehrkräfte legen deshalb Wert auf eigenständiges<br />

und selbstverantwortliches<br />

Lernen.« (NRW Richtlinien, 16 f)<br />

Bewusst wurden die <strong>Kinder</strong> mit Lerninhalten<br />

konfrontiert, die erst im Verlauf<br />

des vierten Schuljahres »gelehrt« werden.<br />

Wie funktioniert Lernen? Indem man<br />

sich alleine vor einen Berg unbekannter<br />

Aufgaben setzt und diese unter Zeitdruck<br />

irgendwie und auf sich allein gestellt zu<br />

lösen hat? Sicher nicht! Lernen ist immer<br />

ein Zusammenspiel von kommunikativen<br />

und kooperativen Methoden mit kognitivem<br />

Training.<br />

■ Führt man altersgemischte Lerngruppen<br />

der Jahrgänge 1 – 4, dann ist die zentrale<br />

Erfassungsinstitution Universität<br />

Landau (immerhin ist sie jetzt bekannt<br />

geworden!) völlig überfordert. Gibt man<br />

für eine Lerngruppe Schülerzahlen von<br />

8 oder 10 an, gilt dies als Fehler und es<br />

sind scheinbar keine Auswertungen<br />

möglich. Man erhält vielmehr Post vom<br />

zuständigen Ministerium, sich möglichst<br />

gestern dazu zu äußern, wann denn die<br />

Dateneingabe endlich abgeschlossen sei.<br />

Ein Hoch auf die Akzeptanz der altersgemischten<br />

Lerngruppen! (Veras Hotlines<br />

sind übrigens ständig besetzt. Versuchen<br />

Sie es mal: 0 63 41 / 2 80-1 13 / 4 78 oder<br />

2 60).<br />

■ Ja sicher, ich weiß doch, man möchte<br />

mit VERA bewusst die Spitzen herausfinden,<br />

die unser Land weiterbringen.<br />

<strong>Kinder</strong>, wir brauchen euch!<br />

Wir haben eure Ausbildung vermasselt!<br />

Wer 15 Jahre alt ist, kann nicht lesen;<br />

wer Ausländer ist, kann kein Deutsch; wer<br />

der sozialen Unterschicht angehört, hat<br />

praktisch keine Chance auf ein Abitur.<br />

Helft uns, <strong>Kinder</strong>! Wir müssen weiterselektieren,<br />

wir müssen die Spitzen eines<br />

jeden Jahrgangs herausfinden, damit sie<br />

uns zeigen, wie Lernen funktioniert.<br />

Wir wissen es nicht mehr!<br />

(Der Autor ist der Redaktion bekannt.)<br />

16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

VERA Mathematik 2004<br />

VERbesserungsbedürftige Aufgaben! VERkapptes Ausleseinstrument?<br />

Am 28.09.04 – in NRW war dies drei Wochen<br />

nach Schuljahresbeginn – schrieben<br />

alle Viertklässlerinnen und Viertklässler<br />

in den beteiligten sieben Bundesländern<br />

die VERA-Vergleichsarbeit in Mathematik.<br />

Zehn der insgesamt 20 Aufgaben<br />

zur Lernstandserhebung waren zentral<br />

vorgegeben und sind mittlerweile auf<br />

der Projekt-Website einsehbar (www.unilandau.de/vera).<br />

Die zehn weiteren<br />

Aufgaben wurden von jeder Schule individuell<br />

aus einem Internet-Aufgabenpool<br />

zusammengestellt.<br />

Die <strong>Kinder</strong> hatten 50 Minuten Zeit,<br />

um die Aufgaben unter verschärften<br />

Klassenarbeitsbedingungen zu bearbeiten.<br />

Anschließend mussten die<br />

Korrekturanweisungen für die einzelnen<br />

Aufgaben aus dem Internet heruntergeladen<br />

werden. Die Lehrerinnen und Lehrer<br />

analysierten die Aufgabenbearbeitungen<br />

bis Mitte November und übermittelten<br />

dann ihre kodierten Bewertungen dem<br />

Landauer Server. Mittels eines Passwortes<br />

kann nun jede Schule ihre Ergebnisse auf<br />

der VERA-Website abrufen.<br />

Zu einem solch ambitionierten Projekt<br />

wie VERA mit seinen Chancen und<br />

Gefahren gibt es vieles zu sagen (vgl.<br />

Brügelmann 2005). Ich konzentriere<br />

mich hier auf drei ausgewählte Aspekte,<br />

die auch in dem folgenden Zitat von Peek<br />

und Dobbelstein (2003, 18; Hervorh.<br />

durch CS) zum Ausdruck kommen, den<br />

VERA-Koordinatoren für NRW.<br />

»Inwieweit Lernstandserhebungen<br />

positive Impulse in die Schulen bringen<br />

und dazu beitragen, fachdidaktische<br />

und pädagogische Zielperspektiven weiterzuentwickeln,<br />

oder unsere Schul- und<br />

Lernkultur negativ verändern, hängt entscheidend<br />

von der Qualität der Testaufgaben,<br />

von der Auseinandersetzung und<br />

Akzeptanz von Lernstandserhebungen<br />

in den Kollegien und insbesondere vom<br />

Umgang mit den Ergebnissen sowohl in<br />

den Schulen als auch auf Seiten der Bildungspolitik<br />

ab.«<br />

1. Zur Qualität<br />

der Testaufgaben<br />

Exemplarisch bespreche ich im Folgenden<br />

für jeden der drei Inhaltsbereiche Arithmetik,<br />

Geometrie und Sachrechnen eine<br />

Aufgabe ausführlicher und thematisiere<br />

daran jeweils eine zentrale Fragestellung.<br />

Inwieweit stammen die Aufgaben<br />

aus dem Kernbereich des Unterrichts?<br />

Von den zehn zentralen Aufgaben sind<br />

drei der Arithmetik zuzuordnen, so auch<br />

die Aufgabe 2.<br />

In manchen Bundesländern ist die Vorrangregel<br />

›Klammer vor Punkt- vor Strichrechnung‹<br />

erst Inhalt des 4. Schuljahres.<br />

Die entsprechenden <strong>Kinder</strong> verfügten<br />

also zum Zeitpunkt der Testdurchführung<br />

– zumindest in Bezug auf b) und c) – über<br />

keine diesbezüglichen schulischen Vorerfahrungen.<br />

So wurde dann eher die Fähigkeit<br />

erhoben, mitgeteilte Konventionen<br />

unmittelbar anwenden zu können.<br />

Die Aufgabenbearbeitung wird dadurch<br />

erschwert, dass das Minuszeichen<br />

und der Malpunkt optisch nur schwer zu<br />

differenzieren sind. Zudem ist die Passage<br />

›geht vor‹ nicht unbedingt selbsterklärend.<br />

Die Aufgabenanforderung entstammt<br />

zudem nicht dem Kernbereich<br />

des Arithmetikunterrichts der Klassen 1<br />

bis 4, so wie ihn die einzelnen Lehrpläne<br />

und die bundesweiten Bildungsstandards<br />

vorsehen.<br />

■ Bei der Aufgabe 7 sind in drei eher<br />

ungewohnte Gleichungen des Typs 72<br />

_ 8 = 4 _ 5 die richtigen Rechenzeichen<br />

einzusetzen.<br />

■ Die Aufgabe 8 lautet: ›Du würfelst<br />

mit zwei Würfeln. Das Produkt der<br />

Augenzahlen ist 12. Die Summe der<br />

Augenzahlen ist 7. Welche Augenzahlen<br />

zeigen deine Würfel?‹<br />

Da also auch die anderen beiden Arithmetikaufgaben<br />

weniger das abtesten,<br />

was normalerweise im Zentrum des<br />

Unterrichts stehen sollte, ist es eine berechtigte<br />

Frage, ob man hier tatsächlich<br />

von einer inhaltsbezogenen Erhebung<br />

des Lernstandes sprechen kann oder nicht<br />

eher die Fähigkeit abgetestet wird, neue<br />

bzw. wenig bekannte Aufgabenanforderungen<br />

zu bewältigen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

17


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

Inwieweit fangen die Auswertungskriterien<br />

das Denken der <strong>Kinder</strong><br />

authentisch ein?<br />

Der Geometrie können drei Aufgaben<br />

zugeordnet werden.<br />

■ Bei der Aufgabe 3 müssen in vier Abbildungen<br />

jeweils die Anzahlen der<br />

Kugeln bestimmt werden, aus denen<br />

Pyramiden mit quadratischer Grundfläche<br />

gebaut wurden.<br />

■ In den beiden Teilaufgaben von 5 geht<br />

es darum, durch das gedankliche Umlegen<br />

von zwei Dreiecken aus einem<br />

vorgestellten Quadrat eine vorgegebene<br />

Figur zu erzeugen.<br />

Bei der Aufgabe 9 sollen – so der Aufgabentext<br />

– alle möglichen Symmetrieachsen<br />

eingezeichnet werden. Zunächst:<br />

Bei den Teilaufgaben d) und e) kann nicht<br />

festgestellt werden, ob ein Kind (1) zu<br />

dem Schluss gekommen ist, dass es keine<br />

Symmetrieachsen gibt, (2) zu keinem<br />

Ergebnis gekommen ist oder (3) diese<br />

etwa aus Zeitmangel gar nicht bearbeitet<br />

hat. In allen drei Fällen werden die beiden<br />

Teilaufgaben als richtig gewertet, sofern<br />

sich bei a) bis c) Spuren einer Auseinandersetzung<br />

finden.<br />

Für jede der fünf Figuren gibt es Hinweise,<br />

wie die nicht vollständig korrekten<br />

Antworten zu kodieren sind. Am Beispiel<br />

des Rechtecks kann dabei verdeutlicht<br />

werden, dass vernünftige Leistungen<br />

von <strong>Kinder</strong>n nicht immer angemessen<br />

berücksichtigt werden. Die Figur beispielsweise<br />

durch das Anzeichnen eines<br />

zweiten Rechtecks zu erweitern und eine<br />

Symmetrieachse einzuzeichnen, ist eine<br />

produktive Leistung.<br />

Nirgendwo steht aber explizit, dass<br />

man die vorgegebenen Figuren nicht<br />

verändern darf. Das zeichnerische Vervollständigen<br />

symmetrischer Figuren<br />

entspricht zudem der Unterrichtserfahrung<br />

vieler <strong>Kinder</strong>. Solches Vorgehen wird<br />

jedoch genauso als falsch klassifiziert<br />

(Fehler F1) wie die Antworten F2 und F3,<br />

bei denen die <strong>Kinder</strong> eine oder auch beide<br />

Symmetrieachsen einzeichnen.<br />

Die ausführlichen Korrekturanweisungen<br />

signalisieren also zwar einerseits<br />

eine genaue Analyse der Denkwege, die<br />

dann andererseits bei der Beurteilung der<br />

Leistungen nicht hinreichend einbezogen<br />

wird. Schließlich muss eine teilrichtige<br />

Antwort der Typen F2 oder F3 genauso als<br />

falsch bewertet werden wie die Reaktion<br />

eines Kindes, das keine Ahnung von Symmetrie<br />

zu haben scheint und irgendetwas<br />

einzeichnet.<br />

Inwieweit ist die Aufgabenstellung<br />

verständlich?<br />

Vier der zehn Aufgaben schließlich entstammen<br />

dem Sachrechnen.<br />

■ ›Tom hat 11 Münzen. Es sind nur 1 €-<br />

und 20-Cent-Münzen. Zusammen<br />

hat er 7 Euro. Wie viele Münzen sind<br />

es von jeder Sorte? Probiere aus!‹ (Aufgabe<br />

1)<br />

■ In der Aufgabe 4 sind sieben Umwandlungsaufgaben<br />

des Typs 112 min =<br />

h min aus den Größenbereichen<br />

Zeit, Längen und Geld zu bearbeiten.<br />

■ Bei der Aufgabe 6 sollen die <strong>Kinder</strong><br />

eine Rechengeschichte aus dem Ufo-<br />

Kontext dem Zahlensatz 8 · 24 zuordnen.<br />

Zur Auswahl steht zum Beispiel:<br />

›Von 24 Ufos sind schon 8 abgestürzt.<br />

Wie viele sind übrig?‹<br />

Um die vierte Aufgabe zum Sachrechnen<br />

(Nr. 10) richtig zu beantworten,<br />

müssen die <strong>Kinder</strong> den Begriff ›preiswert‹<br />

so verstehen, wie er von den Aufgabenkonstrukteuren<br />

gemeint ist.<br />

Das billigste ist zweifelsohne das<br />

400-g-Glas, weshalb es Sinn machen<br />

könnte, die Antwort A anzukreuzen. Versteht<br />

man jedoch ›preiswert‹ im Sinne<br />

des Preis-Leistungs-Verhältnisses, dann<br />

ist B richtig. Die Antwort C anzukreuzen,<br />

würde der (häufig in der Schule vermittelten)<br />

Alltagserfahrung entsprechen, dass<br />

18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

große Mengen relativ gesehen günstiger<br />

sind.<br />

Die vierte und die fünfte Antwortmöglichkeit<br />

beinhalten die gewöhnungsbedürftige<br />

Formulierung ›gleich preiswert‹.<br />

Es ist nicht vollkommen ausgeschlossen,<br />

dass diese angekreuzt wurden, wenn<br />

die <strong>Kinder</strong> zwischen zwei Deutungen<br />

des Wortes ›preiswert‹ schwankten:<br />

›Einerseits ist A das billigste, aber B das<br />

günstigste.‹<br />

Nebenbei bemerkt: Die Zeichnung<br />

suggeriert eine ähnliche Form der drei<br />

Gläser und deren gleiche Höhe. Um<br />

beispielsweise die fünffache Menge an<br />

Schokoladencreme aufnehmen zu können,<br />

müsste das Glas C im Vergleich zu<br />

A jedoch um einiges breiter gezeichnet<br />

werden.<br />

Manche meiner Anmerkungen möge<br />

man mir als Spitzfindigkeiten auslegen.<br />

Dabei bin ich mir – auch aus eigener Erfahrung<br />

– der Schwierigkeiten durchaus<br />

bewusst, gute Aufgaben für einen schriftlichen<br />

Test zu konstruieren, der von einer<br />

großen Anzahl von Schülerinnen und<br />

Schülern absolviert und dann (mit vertretbarem<br />

Aufwand) ausgewertet werden<br />

soll. Es gibt vermutlich nicht so viele Aufgaben,<br />

an denen man nicht irgendetwas<br />

kritisieren könnte.<br />

Gleichwohl sollte man an die Aufgabenkonstruktion<br />

auch höchste fachdidaktische<br />

Ansprüche stellen. Das könnte<br />

auch bedeuten, offenere Aufgabenformate<br />

aufzunehmen, die den <strong>Kinder</strong>n<br />

besser ermöglichen würden zu zeigen,<br />

was sie können (vgl. van den Heuvel-<br />

Panhuizen 1995).<br />

Das erhöht natürlich den Korrekturaufwand.<br />

Aber das Signal, das sonst von<br />

diesen Tests für die Gestaltung der schulischen<br />

Praxis ›vor Ort‹ ausgehen könnte,<br />

wäre, dass Mathematik im Wesentlichen<br />

aus Lückentexten und Multiple-Choice-<br />

Aufgaben besteht. Die Aufgaben werden<br />

vermutlich – anders als die nur wenig<br />

bekannten IGLU-Aufgaben – zukünftig<br />

einen gewissen Vorbildcharakter für<br />

Testaufgaben und damit wohl auch für<br />

Lernaufgaben haben.<br />

2. Zum Umgang<br />

mit den Ergebnissen<br />

Zur Analyse und zur Kommunikation der<br />

Ergebnisse werden in allen drei Inhaltsbereichen<br />

drei sog. Fähigkeitsstufen unterschieden.<br />

In der Arithmetik beispielsweise<br />

konkretisiert sich das wie folgt: (1)<br />

Elementare Fähigkeiten: grundlegende<br />

Kenntnisse arithmetischer Verfahren;<br />

(2) Erweiterte Fähigkeiten: umfassende<br />

Kenntnis der Addition und Subtraktion;<br />

(3) Fortgeschrittene Fähigkeiten: flexible<br />

Beherrschung der Grundrechenarten.<br />

Diese Niveaus sind im Wechselspiel<br />

aus theoretischer (Experteneinschätzungen)<br />

und empirischer Fundierung entstanden,<br />

aber letztlich eine Setzung – bei<br />

IGLU oder PISA etwa gibt es fünf Niveaus.<br />

Sie wären in einem gesonderten Beitrag<br />

sicherlich noch genauer zu hinterfragen.<br />

Die Schulen können nun unterschiedliche<br />

Ergebnisse abrufen:<br />

■ Fähigkeitsstufen: eine grafische<br />

Darstellung, aus der hervorgeht, wie<br />

viel Prozent der <strong>Kinder</strong> der eigenen<br />

Klasse und der eigenen Schule sich<br />

gemäß Auswertung in Arithmetik, in<br />

Geometrie und in Sachrechnen auf<br />

Fähigkeitsstufe 1, 2 oder 3 befinden,<br />

selbiges auch im landesweiten Vergleich<br />

und in Relation zu Schulen,<br />

die hinsichtlich relevanter Merkmale<br />

als vergleichbar angesehen werden<br />

(›fairer Vergleich‹),<br />

■ <strong>Kinder</strong>: eine Tabelle, bei der für jedes<br />

Kind verzeichnet ist, auf welcher Stufe<br />

es in den drei Inhaltsbereichen jeweils<br />

eingeordnet wurde,<br />

■ Aufgaben: eine Grafik, die für jede<br />

(Teil-)Aufgabe die Prozentsätze der<br />

jeweiligen Falschlösungen der eigenen<br />

Klasse im Vergleich mit den<br />

Ergebnissen einer Normierungsstudie<br />

angibt, sowie eine Übersicht, bei der<br />

für jede Aufgabe verzeichnet ist, wie<br />

viel Prozent der <strong>Kinder</strong> der eigenen<br />

Klasse und der Zentralstichprobe<br />

diese korrekt lösten,<br />

■ Diagnosefähigkeiten: eine grafische<br />

Darstellung, die Vorabeinschätzungen<br />

der Lehrpersonen, wie viel Prozent der<br />

eigenen <strong>Kinder</strong> die Aufgaben lösen<br />

können, mit den tatsächlich erreichten<br />

Werten vergleicht (diese Vorabeinschätzung<br />

musste allerdings zu<br />

einem Zeitpunkt erfolgen, als ihnen<br />

die Auswertungskriterien noch nicht<br />

bekannt waren), sowie weitere Daten<br />

zur Diagnosegenauigkeit im Vergleich<br />

mit anderen Lehrpersonen.<br />

Diese Übersicht lässt vermuten, dass<br />

ergänzende Informationen zur Individualdiagnose<br />

und Hin-weise für die individuelle<br />

Förderung wohl kaum zu erwarten<br />

sind (vgl. auch Brügelmann 2005). Denn<br />

für ein Kind heißt es dann beispielsweise<br />

lediglich<br />

Arithmetik: Stufe 1, Geometrie: Stufe 2,<br />

Sachrechnen: Stufe 1<br />

VERA ist jedoch nur eine Momentaufnahme,<br />

die einen eingeschränkten<br />

Bereich der mathematischen Kompetenzen<br />

auf sicherlich noch verbesserungswürdige<br />

Weise erhoben hat. Diagnose<br />

gibt es eben nicht auf die Schnelle; hier<br />

gilt es für die Individualbeobachtung geeignetere<br />

Instrumente zu entwickeln und<br />

einzusetzen (vgl. Sundermann & Selter,<br />

i. V.). Auf diese Relativität weisen auch<br />

die Landauer Wissenschaftler hin und<br />

betonen ausdrücklich den ergänzenden<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

19


Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />

Charakter der interpretationsbedürftigen<br />

Daten von VERA (vgl. die Handreichung<br />

›Zum pädagogischen Nutzen von Vergleichsarbeiten‹).<br />

Hingegen heißt es im auf der Projekt-<br />

Site abrufbaren Elternbrief überraschend<br />

unmissverständlich (Hervorh. durch CS):<br />

»Sie sehen unten eine Tabelle, die Sie über<br />

das derzeitige Leistungsprofil Ihres Kindes<br />

in wichtigen Teilbereichen der Fächer Mathematik<br />

und Deutsch informiert.« Dort<br />

ist dann von der Lehrperson durch Ankreuzen<br />

die jeweilige Stufe in Arithmetik,<br />

Geometrie und Sachrechnen kenntlich zu<br />

machen. Zudem heißt es: »Wenn Ihr Kind<br />

in einem Teilbereich keine auswertbare<br />

Leistung gezeigt hat, empfehlen wir<br />

Ihnen, sich an die Lehrkräfte der Schule<br />

zu wenden. Diese können Ihnen darüber<br />

Auskunft geben, welche Ergebnisse Ihr<br />

Kind bisher im Unterricht erzielt hat.« So<br />

wird das Testergebnis explizit über das<br />

Lehrerurteil gestellt.<br />

Möglicherweise wird die – keineswegs<br />

zweifelsfreie – Zuschreibung eines Kindes<br />

zu den drei Niveaustufen das sein, was<br />

letztlich viele Lehrerinnen und Eltern<br />

primär zur Kenntnis nehmen werden. Ich<br />

erwarte, dass natürlich auch der ›faire‹<br />

Christoph Selter<br />

ist Grundschullehrer und Diplom-<br />

Pädagoge.<br />

Er arbeitet als Hochschullehrer<br />

für Mathematik und ihre Didaktik<br />

an der PH Heidelberg.<br />

Sein Arbeitsschwerpunkt ist<br />

das Lehren und Lernen von<br />

Mathe matik im Grundschulalter.<br />

http://www.ph-heidelberg.de/wp/<br />

selter/<br />

Vergleich für Diskussionen sorgen wird.<br />

Nur: Welche mathematikunterrichtsbezogenen<br />

Konsequenzen werden Schulen<br />

daraus ziehen können?<br />

Meine zugegebenermaßen zugespitzte<br />

Vermutung bez. der anderen<br />

Daten ist: Ob der Fehler 1 in der eigenen<br />

Klasse von 4 % der <strong>Kinder</strong> begangen<br />

wurde (ein Schüler!) und in der Vergleichsgruppe<br />

von 5 % ist in den Augen<br />

vieler Lehrpersonen (mit Recht) für die<br />

Weiterentwicklung des eigenen Unterrichts<br />

genauso wenig wirklich zentral wie<br />

die Erkenntnis, dass andere Lehrerinnen<br />

und Lehrer die Prozentsätze richtiger<br />

Lösungen besser oder schlechter vorhersagten<br />

als man selbst.<br />

Was eigentlich auch mit dem Anspruch<br />

der individuellen Förderung konzipiert<br />

worden ist – wozu allerdings fast zur<br />

Mitte des vierten Schuljahres kaum Zeit<br />

verbleibt –, wird dann vielleicht vorwiegend<br />

zur Selektion verwendet. Schließlich<br />

sind es drei Niveaustufen, und die Ergebnisse<br />

werden am Jahresende bekannt, einer<br />

für das Aussprechen der Übergangsempfehlungen<br />

hoch relevanten Zeit.<br />

Es bleiben weitere offene Fragen in<br />

Bezug auf die Durchführung und die<br />

Wirkung von VERA, die Brügelmann<br />

(2005) anspricht und denen ich nur einen<br />

Gesichtspunkt hinzufügen möchte:<br />

Momentan ist für Lernstandserhebungen<br />

nach den Vorgaben der Landesregierungen<br />

kein Schulranking vorgesehen. Was<br />

passiert aber bei einem möglichen Regierungswechsel,<br />

zum Beispiel 2005 in NRW?<br />

Mitglieder der FDP-Fraktion sprechen sich<br />

bereits nachhaltig dafür aus, Test-Ergebnisse<br />

als Grundlage für ein Ranking zu<br />

nutzen (http://www.fdp-fraktion-nrw.de/,<br />

Abruf 13.12.04).<br />

3. Zur Akzeptanz<br />

in den Kollegien<br />

Die Akzeptanz von zentralen Lernstandserhebungen<br />

hängt wesentlich davon ab,<br />

dass die Lehrerinnen und Lehrer sie als<br />

Erleichterung und Bereicherung erfahren.<br />

Versucht man, Eindrücke und Rückmeldungen<br />

aus der Unterrichtspraxis zu<br />

systematisieren, so scheint dieses beim<br />

ersten Durchlauf, der offensichtlich unter<br />

enormem Zeitdruck stattfand, auf breiter<br />

Basis nicht der Fall gewesen zu sein.<br />

VERA weist sicherlich eine Reihe von<br />

begrüßenswerten Elementen auf; das<br />

Projekt soll die Lehrpersonen bei der<br />

Weiterentwicklung des Unterrichts unterstützen.<br />

VERA wird jedoch nach meinen<br />

Eindrücken häufig als zusätzliche Pflicht<br />

erlebt, die Zeit absorbiert, die nicht wenige<br />

der ohnehin schon am Rande der Belastbarkeit<br />

arbeitenden Lehrerinnen und<br />

Lehrer aus eigener Sicht lieber effektiver<br />

einsetzen würden, da sie den Ertrag von<br />

VERA als nicht angemessen erachten. An<br />

den Schulen, zu denen ich Kontakt habe,<br />

dauerte das Auswählen, Ausdrucken,<br />

Kopieren, Heften, Auswerten, Studieren<br />

der Korrekturanweisungen, Eingeben und<br />

Hochladen der Resultate allein für Mathematik<br />

mehr als 20 Zeitstunden, also eine<br />

halbe Arbeitswoche.<br />

Damit VERA die gewünschte Wirkung<br />

entfalten kann, ist es m. E. im nächsten<br />

Durchgang nicht nur erforderlich, die<br />

organisatorischen und technischen Probleme<br />

besser in den Griff zu bekommen,<br />

sondern auch die Aufgabenqualität zu<br />

steigern und die Ergebnisse so aufzuarbeiten,<br />

dass eine über die Zuweisung<br />

zu Niveaustufen hinausgehende Unterrichtsrelevanz<br />

besser zu erkennen ist.<br />

Christoph Selter<br />

Literatur<br />

Brügelmann, Hans (2005): Wahrheit durch<br />

VERA? In: <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>. H. <strong>89</strong>, S. 7 – 9<br />

Peek, Rainer & Peter Dobbelstein (2003):<br />

Mehr als Wiegen und Messen. In: Forum<br />

Schule, H. 2, S. 14 – 18<br />

van den Heuvel-Panhuizen, Marja (1995):<br />

Leistungsmessung im aktiv-entdeckenden<br />

Mathematikunterricht. In: Brügelmann,<br />

Hans u. a. (Hg.): Am Rande der Schrift.<br />

Zwischen Sprachenvielfalt und Analphabetismus.<br />

Lengwil: Libelle, S. 87 – 107<br />

Sundermann, Beate & Christoph Selter<br />

(i. V.): Leistung im Mathematikunterricht:<br />

mehr als Klassenarbeiten. Berlin: CVK<br />

20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />

»Weil wir viel entdecken, erfinden und machen …«<br />

Leistungen im Mathematikunterricht<br />

»Weil wir viel entdecken, erfinden und<br />

machen«, darum findet Kevin – am Ende<br />

der Klasse 4 befragt nach seinem Lieblingsfach<br />

– Mathe gut. In seiner Klasse<br />

hatte sich im Laufe der vier Grundschuljahre<br />

eine Kultur entwickelt, in der die<br />

Mathematik als Arbeit und Abenteuer<br />

erlebt wurde. Neugierig auf Neues,<br />

Schwieriges, entdeckten die <strong>Kinder</strong><br />

selbstständig und mit großem Eifer<br />

mathematische Zusammenhänge im<br />

Umgang mit geeigneten Materialien, übten<br />

sie Erkanntes in vielfältiger Weise ein<br />

und, was für sie das Wichtigste war: Sie<br />

durften selbst Erfinder sein und darüber<br />

mit ihren Mitschülerinnen, Mitschülern<br />

und der Lehrerin diskutieren. Die Lehrerin<br />

war übrigens immer wieder überrascht<br />

von der Vielzahl, der Vielfalt und der Qualität<br />

der Ideen. Dass dies alles auch in die<br />

Leistungsbewertung einfließen musste,<br />

versteht sich von selbst.<br />

Lernstände feststellen<br />

Wenn der Lehrer / die Lehrerin beobachtet,<br />

was die <strong>Kinder</strong> tun, kann er / sie Lernstände<br />

feststellen. Dabei richtet er / sie<br />

seinen Blick nicht auf das Produkt der<br />

Leistung sondern auf den Lernprozess.<br />

Dazu müssen Situationen geschaffen<br />

werden, die Beobachtungen ermöglichen.<br />

Das geschieht am leichtesten in einem<br />

Unterricht mit offenen Angeboten, in<br />

dem die <strong>Kinder</strong> einzeln oder in Kleingruppen<br />

arbeiten. Wenn die Lernumgebung<br />

einen hohen Aufforderungscharakter<br />

zeigt und so beschaffen ist, dass sie die<br />

Lernenden anregt, selbstständig zu handeln<br />

und sich die Inhalte – soweit möglich<br />

– selbst zu erschließen, dann hat der<br />

Lehrer / die Lehrerin genügend Zeit, etwa<br />

den folgenden Beobachtungskriterien<br />

nachzuspüren:<br />

■ Eigene Ideen (Prescht das Kind vor?<br />

Bringt es Beobachtungen aus der Umwelt?)<br />

■ Problemlöseverhalten (Welche Strategien<br />

entwickeln die <strong>Kinder</strong>? Können<br />

sie Bekanntes in Neues integrieren?)<br />

■ Arbeitshaltung<br />

■ Selbsteinschätzung<br />

■ Anstrengungsbereitschaft<br />

■ Soziales Verhalten (Wie arbeitet das<br />

Kind mit anderen zusammen?)<br />

■ Anspruchsniveau (Was wählen die<br />

<strong>Kinder</strong> aus? Schwierige anspruchsvolle<br />

Aufgaben oder leichte? Wählen<br />

sie überhaupt etwas aus oder erwarten<br />

sie eine Aufgabenstellung?)<br />

Vor allem zu Beginn der 1. Klasse ist es<br />

erforderlich, zur Schülereingangsdiagnostik<br />

die Lernstände der Einzelnen<br />

festzustellen. <strong>Kinder</strong> werden nicht als<br />

»unbeschriebene Blätter« eingeschult.<br />

Ihre Kompetenzen, vor allem auch im<br />

mathematischen Bereich, sind bei vielen<br />

weitaus höher, als die Inhalte der Richtlinien<br />

und der Schulbücher anbieten.<br />

Allerdings sind sie bei den Einzelnen auch<br />

sehr unterschiedlich. Deshalb ist es eine<br />

der ersten Aufgaben, die Vorkenntnisse<br />

und das Niveau des mathematischen Verständnisses<br />

bei jedem Kind festzustellen,<br />

um evtl. Fördermaßnahmen einleiten zu<br />

können bzw. Fordermaterialien bereitzustellen.<br />

Einen ersten Einblick kann man<br />

sich verschaffen mit der Frage »Was weißt<br />

du schon über Mathematik? … über Zahlen?<br />

… übers Wiegen? u. a.« Die Ergebnisse<br />

geben erste Anlässe zu Nachfragen oder<br />

Gesprächen. Einen weiteren Einblick in<br />

die Lernstände geben Beobachtungen.<br />

– wie oben beschrieben –, aber auch spielerische<br />

Formen wie die Fotorallye. 1<br />

Beobachtungsbögen und Diagnoseaufgaben<br />

möge man der Fachliteratur<br />

entnehmen, sie würden den Rahmen<br />

dieses Artikels sprengen.<br />

Auch im Laufe der Grundschuljahre müssen<br />

die <strong>Kinder</strong> kontinuierlich beobachtet<br />

werden und Lernstände immer wieder<br />

punktuell festgestellt werden. So können<br />

Vorerfahrungen aktualisiert und in den<br />

Unterricht integriert werden.<br />

Auch hier kann man ausgehen von<br />

der Frage »Was weißt du schon über …?«<br />

Standardisierte Tests können hilfreich<br />

sein, wenn der Lehrer / die Lehrerin sicher<br />

sein will, dass die Qualität der Arbeit den<br />

angestrebten Kompetenzen der Richtlinien<br />

und Lehrpläne entspricht.<br />

Besonders zu empfehlen ist die<br />

Teilnahme an Wettbewerben wie dem<br />

Landeswettbewerb NRW. 2 Die Ergebnisse<br />

geben nicht nur dem Lehrer / der Lehrerin<br />

Aufschluss über die Leistungsstände,<br />

sondern dienen auch den Schülerinnen<br />

und Schülern als Bestätigung ihrer Fähigkeiten<br />

und motivieren stark, sich mit<br />

noch schwierigeren Problemstellungen<br />

auseinander zu setzen.<br />

Lernentwicklungen bestätigen<br />

Wenn Schülerinnen und Schüler selbstständig<br />

arbeiten, individuell unterschiedliche<br />

Denkstrukturen und Lösungswege<br />

entwickeln, wenn sie selbst erforschen,<br />

um mathematisches Verständnis zu entwickeln,<br />

sind die Ergebnisse ihrer Lernprozesse<br />

individuell verschieden. Die<br />

klassischen Klassenarbeiten und Tests<br />

scheiden somit aus.<br />

Nun fürchten aber viele Eltern, dass<br />

sie dann keinen Überblick mehr über die<br />

Leistungen ihrer <strong>Kinder</strong> haben und auch<br />

die Zeugnisnote nicht mehr als arithmetisches<br />

Mittel errechnen können, (was<br />

ja eigentlich sowieso nicht erlaubt ist).<br />

Den Überblick soll nun der Mathepass<br />

ermöglichen, allerdings einen Überblick<br />

über alle erbrachten Leistungen. Er hält<br />

fest, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten,<br />

Kenntnisse, Einstellungen und Haltungen<br />

das einzelne Kind zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt erbracht oder erworben hat.<br />

»Aus der qualitativen Gesamtschau<br />

erwächst dann eine Bewertung. Diese<br />

Kommentare haben gegenüber einer Bepunktung<br />

zudem den Vorteil, den Schülern<br />

inhaltliche Rückmeldungen über die<br />

spezifischen Qualitäten ihrer Arbeit zu<br />

geben.« 3<br />

Nun kann ein Mathepass so angelegt<br />

sein, dass er die Lernentwicklung für ein<br />

halbes Jahr beschreibt. 4 Das dient vor<br />

allem der Elterninformation. Manchmal<br />

erscheint es aber für die <strong>Kinder</strong> überschaubarer,<br />

die Entwicklung in einem<br />

Teilbereich zu bestätigen. Wenn es z. B.<br />

um das Schnelligkeitstraining der Einmaleinsreihen<br />

geht, bietet sich folgendes<br />

Verfahren an: Das Kind trainiert mit<br />

entsprechenden Materialien und meldet<br />

sich bei der Lehrerin zum »Test«. Die überprüft<br />

und bestätigt durch einen Stempel<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

21


Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />

Henny Küppers<br />

war Lehrerin und<br />

Fachleiterin, sie<br />

arbeitete an Volks-,<br />

Haupt-, Gesamtund<br />

<strong>Grundschule</strong>.<br />

Sie lebt in Krefeld.<br />

hennykueppers@<br />

t-online.de<br />

im »1x1-Ausweis«. <strong>Kinder</strong>, die alle Reihen<br />

»geschafft« haben, dürfen selbst ihre Mitschüler<br />

testen.<br />

Neben Mathepässen der beschriebenen<br />

Art eignen sich auch Urkunden,<br />

Bescheinigungen u. Ä. zur Bestätigung<br />

der Lernentwicklung.<br />

Lerngespräche führen<br />

1. Mathegespräche<br />

In einem Offenen Unterricht bringen <strong>Kinder</strong><br />

häufig und gern von sich aus Fragen<br />

ein, die sie geklärt haben möchten. »Ich<br />

habe da gestern im Fernsehen etwas über<br />

… gesehen.« »Meine Mutter hat mir etwas<br />

über … erzählt.« »Mein Bruder rechnet im<br />

Gymnasium mit … . Können wir das auch<br />

mal machen?« »Ich hab auf einem Plakat<br />

… gesehen. Hat das auch was mit Mathe<br />

zu tun?« »Gibt es eigentlich außer<br />

dem Zehnersystem auch noch andere<br />

Zahlensysteme?«<br />

Das sind typische Einleitungssätze<br />

zu Problemen, die uns häufig dann im<br />

Unterricht beschäftigen. Grundschulkinder<br />

sollte man nicht unterschätzen.<br />

Sie sind oft zu viel schwierigeren<br />

Auseinandersetzungen bereit und in<br />

der Lage, als man von den Richtlinien<br />

her ahnen kann. Grundsätzlich trauen<br />

sie sich erst mal alles zu. Die auf<br />

Fragen wie oben angedeutet folgenden<br />

Unterrichtsstunden verlaufen äußerst<br />

spannend. Es entsteht in der Klasse eine<br />

Atmosphäre, in der die Mathematik als<br />

eine Herausforderung erlebt wird, der es<br />

sich zu stellen lohnt. Die <strong>Kinder</strong> befassen<br />

sich freiwillig mit den Inhalten, sie haben<br />

ein gutes Gespür dafür zu entscheiden,<br />

ob sie für sie geeignet sind oder nicht.<br />

Wer damit überfordert ist, steigt aus und<br />

bearbeitet andere Aufgaben.<br />

Am Weltspartag brachten wir Pfennige,<br />

die wir im 2. Schuljahr gesammelt<br />

hatten (das Ziel waren 100 Pfennige), zur<br />

Sparkasse: 13780 Stück. Das sind »locker<br />

vom Hocker« 140 DM. Auf dem Rückweg<br />

wurde hochgerechnet. Wie lange haben<br />

wir jetzt gesammelt? 3 Monate. Wie viel<br />

Monate hat noch mal ein Jahr? Dann sind<br />

es am Ende des 3. Schuljahres etwa 4 x<br />

140 DM, also rund 600 DM, am Ende von<br />

Klasse 4 doppelt soviel, also 1200 DM. Da<br />

für die <strong>Kinder</strong> längst feststand, dass sie<br />

bis zu einer Million weiter sammeln wollten,<br />

war die Rechnerei hiermit noch nicht<br />

beendet. Wenn wir in dem Tempo weitermachen,<br />

brauchen wir ca. 20 Jahre, bis wir<br />

eine Million Pfennige haben. Da das nicht<br />

erreichbar ist, wollen sie ausrechnen, wie<br />

viel Geld jedes Kind pro Tag mitbringen<br />

muss, damit wir das Ziel doch noch erreichen.<br />

Da mir das beim Gehen doch etwas<br />

zu kompliziert zu sein scheint, schlage<br />

ich vor, dieses Problem in der Schule mit<br />

Hilfe von Papier und Bleistift anzugehen.<br />

Sie erinnern mich in den nächsten Wochen<br />

und Monaten immer wieder daran,<br />

bis ich endlich nachgebe.<br />

Wir errechnen über 3 DM pro Kind pro<br />

Tag. Das schreckt sie nicht ab, daran zu<br />

glauben, dass wir es doch noch schaffen<br />

werden, weil wir dann nämlich »eine<br />

Klassenfahrt nach Afrika oder Kanada<br />

machen«.<br />

2. Gespräche über Präsentationen/<br />

(Gruppen-)Arbeitsergebnisse<br />

Michaela hat sich diese Zahlenanordnung<br />

zum Entdecken ausgedacht. Auf<br />

Bitten der Lehrerin vergrößert sie sie auf<br />

ein DIN-A4-Blatt. Fünf Schüler melden<br />

sich, die sich damit beschäftigen wollen.<br />

Danach stellen sie ihre Überlegungen der<br />

Klasse vor. Das Ergebnis sieht so aus:<br />

Die Gruppe präsentiert das Ergebnis der<br />

Klasse und diskutiert es mit allen <strong>Kinder</strong>n.<br />

(Die Linien sind übrigens farblich<br />

unterschiedlich, so dass die Entdeckungen<br />

deutlicher ins Auge springen.)<br />

3. Knobelaufgaben<br />

»Sich kreativ verhalten«, »mathematisieren«<br />

und »argumentieren« sind grund -legende<br />

Qualifikationen, die in allen neuen<br />

Lehrplänen für Mathematik gefordert<br />

werden. Deshalb stehen eine Knobelkartei<br />

und Denkspiele ständig bereit, werden<br />

erweitert und ergänzt, zunehmend auch<br />

von <strong>Kinder</strong>n.<br />

Hausaufgaben werden als Wochenhausaufgaben<br />

gestellt, damit die <strong>Kinder</strong><br />

lernen, ihre Arbeit selbstständig zu<br />

strukturieren. Es sind Aufgaben aus<br />

verschiedenen Bereichen, u. a. regelmäßig<br />

die Knobelei der Woche. Es kommt<br />

nicht darauf an, dass die <strong>Kinder</strong> diese<br />

Aufgabe lösen, sondern dass sie sich<br />

damit auseinander setzen. Wenn sie die<br />

Schwierigkeiten spüren, sind sie stärker<br />

motiviert, wenn wir Montags uns mit der<br />

Lösung befassen. Sie können im Laufe der<br />

Woche die Lehrerin immer wieder ansprechen.<br />

Sie wird ihnen nur Tipps für den<br />

Lösungsweg geben oder Lösungsansätze<br />

bestätigen. So entsteht im Laufe der Woche<br />

eine gute Kommunikation zwischen<br />

Lehrerin und Kind, die der Lehrerin auch<br />

Aufschluss über die Denkwege Einzelner<br />

gibt.<br />

Die ständige Herausforderung, die<br />

Denkspiele – wie z. B. der »Turm von<br />

Hanoi« – darstellen, bereichern die Arbeit<br />

dadurch, dass immer wieder neue<br />

Erkenntnisse zu immer wieder neuen<br />

Diskussionen führen, bis die zugrunde<br />

liegende mathematische Struktur erfasst<br />

ist.<br />

Die <strong>Kinder</strong> finden ihre Bemühungen<br />

bei regelmäßig in der Schule oder darüber<br />

hinaus stattfindenden Wettbewerben<br />

durch gute Ergebnisse belohnt.<br />

Eigene Lernwege beschreiben<br />

1. Lerntagebuch<br />

Das Lerntagebuch ist ein geeignetes<br />

Medium, um eigene Ideen, Lernwege,<br />

Entdeckungen und Erfindungen festzuhalten.<br />

Die <strong>Kinder</strong> sind vom 1. Schultag an<br />

daran gewöhnt, Dinge, die ihnen wichtig<br />

sind, ins Lerntagebuch zu schreiben, zu<br />

zeichnen, zu kleben, …<br />

22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />

Hier werden Lernprozesse schriftlich<br />

dokumentiert: Wie hast du die Aufgabe<br />

gelöst? Wie hast du gerechnet? Das Lerntagebuch<br />

stellt für die <strong>Kinder</strong> eine Grundlage<br />

dar zur Selbstreflexion, ist gleichzeitig<br />

für den Lehrer ein Diagnosemittel für<br />

den Lernstand des Schülers.<br />

2. Portfolio<br />

<strong>Kinder</strong> forschen, machen Entdeckungen<br />

und Erfindungen, stellen Spiele oder Arbeitsblätter<br />

(z. B. Zum Üben) her.<br />

Besonders gelungene Arbeiten werden<br />

im Portfolio gesammelt, gewürdigt und<br />

entsprechend weiterverwendet.<br />

3. Selbstzeugnis<br />

»Die schriftliche Addition kann ich jetzt<br />

schon, weil ich so oft verdoppelt habe.«<br />

Und das war tatsächlich so. Andreas<br />

hatte mit großer Freude eine Zeit lang<br />

alle möglichen (mehr als zehnstelligen)<br />

Zahlen verdoppelt und dabei entdeckt,<br />

dass es sinnvoll ist, mit dem kleinsten<br />

Stellenwert zu beginnen. Diese Erkenntnis<br />

hatte er schnell auf die schriftliche<br />

Addition übertragen.<br />

Schülerinnen und Schüler, die ihre eigenen<br />

Lernprozesse reflektieren, lernen ihre<br />

Stärken und Schwächen kennen, können<br />

sich besser einschätzen. Sie übernehmen<br />

zunehmend Verantwortung für ihr Lernen<br />

und gewinnen an Selbstvertrauen. Ein<br />

selbstbewusstes Kind ist eher bereit,<br />

mit Ausdauer und Geduld vorhandene<br />

Schwächen und Schwierigkeiten zu überwinden.<br />

Henny Küppers<br />

Anmerkungen<br />

1 Scherer/Bönig, Mathematik für <strong>Kinder</strong><br />

– Mathematik von <strong>Kinder</strong>n; S. 63 ff;<br />

Grundschulverband 2004<br />

2 Landesweiter Mathematikwettbewerb für<br />

Schülerinnen und Schüler der Klassen 4,<br />

Dortmund<br />

3 T. Lenders, Selbstständiges Lernen und<br />

Leistungsbewertung, in Der Mathematikunterricht,<br />

Heft 3/2004, S. 71<br />

4 Der »Mathepass« erscheint demnächst in<br />

H. Bartnitzky u. a. (Hrsg.): Pädagogische<br />

Leistungskultur: Materialien für Klasse 1<br />

und 2 (Mitgliederband 119, Reihe »Beiträge<br />

zur Reform der <strong>Grundschule</strong>«)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

23


Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />

Lesen- und Schreibenlernen in der Eingangstufe:<br />

beobachten, dokumentieren, begleiten<br />

Diagnostische Kompetenzen gehören zu<br />

den Schlüsselkompetenzen des Lehrerberufes.<br />

1 Vor allem in der <strong>Grundschule</strong><br />

und hier in besonderem Maße in der<br />

Eingangsstufe hat diese Kompetenz an<br />

Bedeutung gewonnen. Dabei geht es<br />

um mehr, als es Lernstandserhebungen,<br />

engmaschige Beobachtungsraster und<br />

computerausgewertete Leistungskurven<br />

nahe legen: Es geht um ein professionelles<br />

Handeln im<br />

Diagnostische Kompetenz umfasst<br />

Schulalltag, um in<br />

die Kenntnis von geeigneten Beobachtungs-<br />

und Diagnoseverfahren, die<br />

bezogen auf das Material und die Zeit<br />

ökonomisch sind<br />

und die Fähigkeit, die gewonnenen Erkenntnisse<br />

systematisch festzuhalten,<br />

z. B. in Form von Schülerberichten, Beobachtungsbögen,<br />

Lernbegleitbögen.<br />

Angelika Gadow<br />

Grund- und Hauptschullehrerin,<br />

Fachleiterin für<br />

Deutsch am Studienseminar<br />

Kleve<br />

heterogenen Lerngruppen<br />

Entwicklungsprozesse<br />

angemessen<br />

fördern<br />

zu können. Es geht<br />

um die Erhebung<br />

der individuellen<br />

Lernvoraussetzungen,<br />

damit Aufgabenstellungen,<br />

die<br />

Materialauswahl, unterschiedliche methodische<br />

Zugänge und die Zeitplanung<br />

kurzfristig und auf längere Sicht besser<br />

auf die Bedürfnisse der einzelnen <strong>Kinder</strong><br />

abgestimmt werden können.<br />

In der Regel kommen <strong>Kinder</strong> neugierig<br />

und lernfreudig in die Schule – und sie<br />

kommen dort an mit sehr unterschiedlichen<br />

Vorerfahrungen. Für einige von ihnen<br />

eröffnet die Schule einen Blick in eine<br />

neue Welt, in die Welt der Schriftsprache.<br />

Viele aber haben schon vielfältige Erfahrungen<br />

im Umgang mit Schrift gemacht.<br />

Diesen unterschiedlichen Voraussetzungen<br />

muss eine Lehrerin in Deutschland<br />

in der Regel in Klassen gerecht werden,<br />

die eher von 30 als nur von 20 <strong>Kinder</strong>n besucht<br />

werden. Diese <strong>Kinder</strong> bleiben<br />

im Durchschnitt nicht mehr<br />

als fünf Stunden täglich in der<br />

Schule, sie werden durchweg von<br />

einer Lehrperson unterrichtet und<br />

nur im Ausnahmefall von einem<br />

Team. Und die in der Stundentafel<br />

vorgesehenen Förderstunden sind<br />

im Alltag häufig die Stunden, die<br />

neben Kunst, Musik und Religion<br />

am ehesten bei Unterrichtsausfall<br />

gestrichen werden.<br />

Für diesen Alltag müssen geeignete<br />

Elemente und eine Organisation der<br />

Dokumentation gefunden werden, die es<br />

erlauben, den Überblick zu behalten, Beobachtungen<br />

zu bündeln, Akzente zu setzen,<br />

die aber vor allem auch Gelegenheit<br />

geben, mit den Eltern und zunehmend<br />

auch mit dem Kind über diese Beobachtungen<br />

in Austausch zu treten.<br />

Ein Hängeregister mit farbigen Hängetaschen,<br />

in denen die Dokumente gesammelt<br />

werden, steht auf dem Arbeitstisch<br />

der Lehrerin oder in ihrem Arbeitsbereich.<br />

Hier werden Beobachtungsbögen zum<br />

Lern- und Arbeitsverhalten und solche<br />

zum Leistungsstand in den einzelnen<br />

Bereichen, die Ergebnisse punktueller<br />

Leistungsfeststellungen, aber auch kommentierte<br />

Kopien von einigen aussagekräftigen<br />

<strong>Kinder</strong>arbeiten gesammelt.<br />

Ein zweites Hängeregister mit<br />

ebensolchen farbigen, geschlossenen<br />

Hängetaschen steht den <strong>Kinder</strong>n zur<br />

Verfügung. Hier heben sie ihre fortlaufend<br />

wachsenden Lerndokumentationen<br />

auf. Für Deutsch können das z.B. der<br />

Lesepass, das Lesetagebuch,<br />

das Geschichtenheft,<br />

das<br />

Abschreibheft, das<br />

Wörterforscherund<br />

das Abc-Heft<br />

sein.<br />

Die Reiter der<br />

beiden Hängetaschen<br />

werden von<br />

den <strong>Kinder</strong>n selbst beschriftet werden,<br />

auf die Vorderseite der Mappe kann ein<br />

mit Folie überzogenes Bild des Kindes<br />

geklebt werden: Hier wird keine »Akte«<br />

geführt, hier werden gemeinsam Lerndokumente<br />

gesammelt.<br />

Erste Einblicke in den<br />

Umgang mit Schrift<br />

Diagnostische Kompetenz umfasst<br />

die genaue Kenntnis über die Sache,<br />

z. B. über besondere Schwierigkeiten,<br />

die Lernanfänger haben können,<br />

Kenntnisse über den Aufbau und die<br />

Systematik der Schriftsprache, Kenntnisse<br />

über die Stufen der Schreibentwicklung.<br />

Bereits kurz nach dem Schulanfang erlauben<br />

Beobachtungsaufgaben 2 , wie sie an<br />

vielen Stellen in der Fachliteratur vorgestellt<br />

werden, einen Blick darauf, welche<br />

Vorstellungen <strong>Kinder</strong> von Schrift haben:<br />

Buchstabendiktate, freie Schreibaufgaben<br />

und Aufgaben zum Wiedererkennen<br />

von bekannten Logos geben Aufschluss<br />

darüber, wie viele Buchstaben ein Kind<br />

bereits kennt, wie groß der Umfang seines<br />

»naiven Sichtwortschatzes« ist und<br />

ob es Wörter auch dann erkennen kann,<br />

wenn sie nicht in einem vertrauten Kontext<br />

und im Kontrast zu ähnlichen Wörtern<br />

stehen. Diese Groberhebung kann<br />

mit der gesamten Gruppe gemacht werden<br />

und ist weder in der Durchführung<br />

noch in der Auswertung aufwändig.<br />

Trotz ihrer einfachen Handhabung<br />

erlauben diese ersten Lese- und<br />

Schreibaufgaben den Lehrerinnen, die<br />

<strong>Kinder</strong> genauer wahrzunehmen, bei denen<br />

auf Grund fehlender Vorläuferfertigkeiten<br />

eventuelle Schwierigkeiten beim<br />

Schriftspracherwerb möglich sind. Die<br />

geforderten Fähigkeiten geben nämlich<br />

einen Hinweis auf die Vorerfahrungen<br />

im Umgang mit Schrift durch Vorlesen<br />

oder Vorbilder im häuslichen Umfeld.<br />

Somit sind die Ergebnisse, wenn sie auch<br />

keine gezielten Hinweise auf nötige Förderbereiche<br />

geben, Aussagen über den<br />

Entwicklungsstand<br />

des einzelnen<br />

Kindes und zeigen<br />

auf, welche ersten<br />

Konsequenzen<br />

für die Planung<br />

des Unterrichts<br />

gezogen werden<br />

müssen:<br />

Im Durchschnitt<br />

kennen <strong>Kinder</strong> bei der Einschulung 7 – 14<br />

Buchstaben und 1 – 2 Wörter, wobei große<br />

und kleine Buchstaben als zwei gekannte<br />

Buchstaben gezählt werden, auch gespiegelte<br />

Buchstaben als gekannt gelten und<br />

zu den Wörtern auch Vornamen zählen.<br />

■ <strong>Kinder</strong>, die über diesen Werten liegen,<br />

brauchen Anforderungen, die über<br />

elementare Übungen, in denen Laute<br />

abgehört, einzelne Buchstaben wieder<br />

erkannt und nachgeschrieben werden,<br />

hinausgehen.<br />

■ <strong>Kinder</strong>, die unter den oben genannten<br />

Werten liegen, brauchen weitergehende<br />

Aufmerksamkeit, die zum Teil auch mit<br />

zeitaufwändigeren Beobachtungen ver-<br />

24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />

bunden sind, die nicht mehr nur in der<br />

Gesamtgruppe geleistet werden können.<br />

Auch wenn letztlich nicht belegt ist,<br />

dass phonologische Bewusstheit allein<br />

hinreichend dafür ist, das alphabetische<br />

Prinzip zu begreifen, so unterstützt der<br />

spielerische Umgang mit Lautelementen<br />

<strong>Kinder</strong> offensichtlich beim Lesenlernen.<br />

Von daher macht es Sinn, die Fähigkeit<br />

von <strong>Kinder</strong>n, die mit nur geringen Vorläuferfähigkeiten<br />

in die Schule kommen,<br />

zunächst im Bereich der Lautanalyse<br />

genauer zu beobachten. Aufgaben wie<br />

z.B. das Erkennen von Reimwörtern,<br />

das Gliedern von<br />

vorgesprochenen<br />

Wörtern in Silben,<br />

das Heraushören<br />

von gleichen Anlauten<br />

und das<br />

Heraushören eines<br />

Lautes werden von<br />

vielen Begleitmaterialien<br />

der Fibeln<br />

angeboten und<br />

können dazu genutzt<br />

werden, sowohl mit dem einzelnen<br />

Kind als auch in Gruppen von <strong>Kinder</strong>n<br />

oder als gemeinsame Sprachspiele mit<br />

der ganzen Klasse. Die von Hans Brügelmann<br />

und Erika Brinkmann zusammengestellte<br />

»Ideenkiste« bietet hierzu<br />

und zu den weiteren Lernfeldern des Anfangsunterrichts<br />

eine Fülle von Aufgaben<br />

und gezielten Beobachtungshinweisen.<br />

Begleitung auf<br />

dem weiteren Weg<br />

Diagnostische Kompetenz umfasst<br />

Im weiteren Verlauf der ersten Klasse<br />

lassen sich Einblicke in die Entwicklung<br />

der Verschriftungsfähigkeiten gewinnen,<br />

wenn <strong>Kinder</strong> wiederholt vor die Aufgabe<br />

gestellt werden, bisher nicht geübte Wörter<br />

selbstständig zu konstruieren. Im Abstand<br />

von 6– 8 Wochen wird den <strong>Kinder</strong>n<br />

eine Anzahl von Wörtern diktiert, die die<br />

<strong>Kinder</strong> je nach Vermögen selbstständig<br />

konstruieren können.<br />

Diese Aufgabenform wird seit vielen<br />

Jahren mit immer wieder leicht verändertem<br />

Wortmaterial von verschiedenen<br />

Autoren vorgestellt. 4 Gemeinsam ist<br />

allen Wortsammlungen:<br />

■ Es handelt sich um Wörter, die den<br />

<strong>Kinder</strong>n inhaltlich bekannt sind, die<br />

jedoch nicht zu ihren Übungs- oder Fibelwörtern<br />

gehören.<br />

■ Die Wörter repräsentieren ausgewählte<br />

Phänomene: Es sind kurze und<br />

die Fähigkeit, anderen Menschen<br />

die Ergebnisse von Beobachtungen<br />

verdeutlichen zu können. Die aktive<br />

Einbeziehung der Eltern und <strong>Kinder</strong><br />

ist wichtig. In Gesprächen werden die<br />

gewonnenen Ergebnisse transparent<br />

gemacht und die weiteren Planungen<br />

abgesprochen.<br />

längere, aber lauttreue Wörter, es sind<br />

Wörter mit mehrteiligen Graphemen, mit<br />

Auslautverhärtungen, mit häufigen, aber<br />

schlecht abhörbaren Endungen, mit Konsonantenhäufungen.<br />

■ Die zu beobachtenden Schreibstrategien<br />

werden qualitativ unterschiedlichen<br />

Stufen zugeordnet und mit Punkten<br />

bewertet. Jedes Wort erhält eine entsprechende<br />

Punktzahl, das arithmetische Mittel<br />

der in der Folge geschriebenen Proben<br />

zeigt die fortschreitende Entwicklung.<br />

An vielen Schulen wird inzwischen<br />

die Hamburger-Schreib-Probe 5 eingesetzt,<br />

die die Lernentwicklung<br />

vom<br />

Ende der 1. Klasse<br />

an über die <strong>Grundschule</strong><br />

hinweg bis<br />

Klasse 9 erfassen<br />

kann. Auf der<br />

Grundlage ausgewählter<br />

Einzelwörter<br />

wird in diesem<br />

Test nicht nur die<br />

Anzahl der richtig<br />

geschriebenen Wörter und die sog. Graphemtreffer<br />

ausgewertet, der Test ermöglicht<br />

es vor allem, die jeweiligen Rechtschreibstrategien<br />

der <strong>Kinder</strong> zu erkennen.<br />

Auf der Basis einer so differenzierten<br />

Aussage sind dann z. B. Fördermaßnahmen<br />

auch mit <strong>Kinder</strong>n aus verschiedenen<br />

Klassen gezielter zu planen.<br />

Die Texte der <strong>Kinder</strong><br />

Darüber hinaus kann die Lehrerin das<br />

Konzept der HSP für ihre »Alltagsdiagnose«<br />

anwenden. 6 Denn weitaus interessanter<br />

als die bisher dargestellten<br />

»Stichproben« und in ihrer Aussagekraft<br />

Jasmin<br />

bekannte<br />

Buchstaben<br />

Lautorientierung<br />

Wortgrenzen<br />

häufige Wortbausteine/<br />

Wörter<br />

O = teilweise, + = meistens<br />

4. 10.<br />

M,l,a,s,t,i,u<br />

notiert Anlaute<br />

/Munt/ vollständig<br />

viel deutlicher sind die eigenen Texte der<br />

<strong>Kinder</strong>.<br />

Texte schreiben die <strong>Kinder</strong> von Anfang<br />

an. Sind es zunächst Bilder, die das Gemeinte<br />

ausdrücken, so nutzen <strong>Kinder</strong>, die<br />

im Unterricht dazu ermuntert werden,<br />

schnell die Möglichkeit, nicht Darstellbares<br />

durch Schrift zu ergänzen und zu<br />

ersetzen. Lehrerinnen, die mit Hilfe der<br />

oben aufgeführten Diagnoseverfahren<br />

ihren Blick für die Besonderheiten der<br />

Verschriftlichung während des Schriftspracherwerbs<br />

geschärft haben, erhalten<br />

durch diese Texte vielfältige Hinweise,<br />

die im Laufe der beiden Eingangsklassen<br />

kontinuierlich erweitert werden können.<br />

In die Matrix eines Beobachtungsbogens<br />

gebracht, können die verschiedenen<br />

Beobachtungen übersichtlich gebündelt<br />

werden (siehe Tabelle).<br />

Die Matrix ist bewusst »grob« angelegt<br />

und umfasst zunächst auch nicht<br />

alle Bereiche. Im Unterrichtsalltag ist es<br />

wichtig, arbeitsökonomisch<br />

Akzente zu<br />

setzen. Bei einem<br />

Kind wie dem oben<br />

dargestellten erübrigt<br />

es sich, den<br />

Buchstabenbestand<br />

und den Bestand an häufigen Wortbausteinen<br />

/ Wörtern weiter zu protokollieren,<br />

weil es bereits früh in der Lage war,<br />

lautorientiert zu verschriften.<br />

Dieser Beobachtungsbogen würde<br />

bei einem Kind, das hier noch mehr Zeit<br />

braucht, anders aussehen: Die zeitlichen<br />

Abstände wären kürzer und die Lehrerin<br />

würde das jeweilige Buchstabeninventar<br />

aufführen.<br />

Da in der Eingangstufe der Schwerpunkt<br />

der Arbeit im Bereich des Schrei-<br />

15. 12.<br />

+ bei längeren<br />

Wörtern manchmal<br />

nicht bis zum<br />

Schluss<br />

O<br />

ich<br />

12. 1.<br />

+<br />

+<br />

Diagnostische Kompetenz umfasst<br />

die Fähigkeit, die Bereiche genau zu<br />

beschreiben, die beobachtet werden<br />

sollen.<br />

bei und wir haben<br />

sich<br />

22. 4.<br />

+ schreibt Nomen<br />

mit großem Anfangsbuchstaben<br />

auch : ie, chs !!<br />

+ teilweise bereits<br />

Satzgrenzen<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

25


Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />

bens von Texten beim Planen und Aufschreiben<br />

und weniger im Überarbeiten<br />

liegt, bietet es sich an, dass die <strong>Kinder</strong><br />

ihre Texte sofort in ein festes Heft, das<br />

Geschichtenheft, schreiben und so automatisch<br />

eine Dokumentation über<br />

ihren Lernweg entsteht, der auch von<br />

Eltern nachvollzogen werden kann. Ihnen<br />

ist ein vom Können ausgehender Blick<br />

auf die Texte ihrer <strong>Kinder</strong> allerdings oft<br />

ungewohnt. Geprägt von ihren eigenen<br />

Erwartungen sehen sie eher die Defizite,<br />

die Lücken, die Fehler. Das gemeinsame<br />

Durchblättern des Geschichtenheftes,<br />

begleitet durch sachliche Hinweise durch<br />

die Lehrerin, z. B. im Rahmen eines Elternsprechtages,<br />

kann hier zu einem Perspektivwechsel<br />

führen.<br />

Um sich als Lehrerin selbst schnell<br />

einen Überblick zu verschaffen, kann<br />

es hilfreich sein, einige aussagekräftige<br />

Texte eines Kindes pro Halbjahr zu kopieren,<br />

schriftlich zu kommentieren und<br />

in die eigene Dokumententasche zu<br />

übernehmen.<br />

Lesen in freien Lesezeiten<br />

Die Dokumentation der Leseentwicklung<br />

erscheint auf den ersten Blick unweit<br />

schwieriger als die der Schreibentwicklung.<br />

Folgt man jedoch den begründeten<br />

Forderungen nach freien Lesezeiten, wie<br />

sie inzwischen in vielen Schulen erfolgreich<br />

praktiziert werden, ergeben sich<br />

auch hier vielfältige Möglichkeiten der<br />

dokumentierbaren Lernbeobachtung.<br />

Während die <strong>Kinder</strong> selbstständig<br />

lesen, wird die Lehrerin sie möglichst zurückhaltend<br />

beobachten – wenn sie nicht<br />

selber liest und so ein Lesevorbild gibt. Sie<br />

wird bemerken, welche Bücher das Kind<br />

auswählt, ob es unterschiedliche Bücher<br />

liest oder immer wieder dasselbe Buch<br />

nutzt. Es gibt <strong>Kinder</strong>, die das Lesen selbst<br />

unter wenig angespannten Bedingungen<br />

verweigern. Wo könnten die Gründe liegen?<br />

Mit wie viel Ausdauer bleibt ein Kind<br />

beim Buch? Auch Beobachtungen, ob es<br />

beim Lesen die Lippen bewegt oder den<br />

Finger nutzt und wie lange es für eine<br />

Seite braucht, geben Aufschluss über das<br />

Lesevermögen. Wenn der Lesestoff freigestellt<br />

wird, erhält die Lehrerin überdies<br />

viele Informationen über das häusliche<br />

Lesen, über Lesevorlieben oder Interessensgebiete.<br />

Diese Beobachtungen werden<br />

notiert, entweder in einen Bogen<br />

ähnlich dem oben abgebildeten oder in<br />

einem knappen Text.<br />

Diese Außensicht wird ergänzt durch<br />

das, was die <strong>Kinder</strong> selbst dokumentieren.<br />

In Lesepässen halten sie fest, welche<br />

Bücher sie gelesen haben. Dabei geht es<br />

zunächst noch nicht um eine inhaltliche<br />

Auseinandersetzung oder um eine Bewertung,<br />

sondern nur um das Festhalten<br />

des eigenen<br />

Erfolges und des<br />

Fortschritts. Ein<br />

solcher Lesepass<br />

kann zunächst ein<br />

aus einem Blatt<br />

gefaltetes Büchlein<br />

sein, in dem die<br />

Buchtitel jeweils<br />

mit dem Datum<br />

aufgeführt werden.<br />

Wenn die vorgegebene Anzahl, die gering<br />

gehalten sein sollte, erreicht ist, erhalten<br />

die <strong>Kinder</strong> durch den Stempel und die<br />

Unterschrift der Lehrerin ein Zertifikat<br />

(s. Kopiervorlage rechts).<br />

Dieser kleine Lesepass wird im Laufe<br />

der Zeit ersetzt durch eine Kladde im DIN-<br />

A5-Format, Nach jeder Lesezeit notieren<br />

die <strong>Kinder</strong> das Datum, den Autor oder<br />

die Autorin, den Titel des Buches und<br />

die gelesenen Seiten. Je nach Vermögen<br />

setzen sie sich dann mit dem Gelesenen<br />

auseinander: Sie malen dazu ein Bild oder<br />

einen Comic, sie erzählen kurz das Wichtigste<br />

nach oder überlegen jeweils, wie<br />

es weitergehen könnte, sie bewerten das<br />

Gelesene und schreiben ihre Begründung<br />

auf. Aus dem einfachen Lesepass wird<br />

so ein sehr persönliches Dokument, ein<br />

Lesetagebuch, das schon früh die Lesevorlieben<br />

der <strong>Kinder</strong> wiedergeben kann<br />

und in dem die Lehrerin auch »nach«lesen<br />

kann, wie die Leseentwicklung eines Kindes<br />

verlaufen ist. 7<br />

Lesetests<br />

Diagnostische Kompetenz umfasst<br />

Im Heft Nr. 84 / November 2003 wurde<br />

der von W. Metze entwickelte Stolperwörter-Lesetest<br />

vorgestellt, auf den an<br />

dieser Stelle nur hingewiesen werden<br />

soll. Dieser Test zeigt recht zuverlässig<br />

an, wenn ein Kind besondere Aufmerksamkeit<br />

benötigt. Da er jeweils am Ende<br />

des Schuljahres wiederholt wird, kann<br />

er Leseentwicklungen eines Kindes gut<br />

nachvollziehbar machen. Sein Vorteil<br />

liegt darin, dass er auch unter den in den<br />

Klassen üblichen Bedingungen schnell<br />

mit allen <strong>Kinder</strong>n bearbeitet werden kann<br />

und somit alltagstauglich ist.<br />

Über das Lernen sprechen<br />

die Fähigkeit, geeignete Beobachtungssituationen<br />

herbeizuführen oder<br />

wahrzunehmen, z. B. das gezielte<br />

Zuhören und Zuschauen in Phasen<br />

offener Arbeit, das Nutzen von informellen<br />

Gesprächen mit <strong>Kinder</strong>n, das<br />

gemeinsame Auswerten mit einzelnen<br />

<strong>Kinder</strong>n oder in der gesamten Gruppe.<br />

Eine langfristig angelegte Sammlung von<br />

Dokumenten sowohl durch die Lehrerin<br />

als auch durch die <strong>Kinder</strong>, wie sie hier<br />

dargestellt wurde und die durch weitere<br />

Dokumente der <strong>Kinder</strong> ergänzt werden<br />

kann, bleibt<br />

dennoch immer<br />

dann fruchtlos<br />

und lediglich ein<br />

Sammeln von Einzelaussagen,<br />

ohne<br />

ein Gesamtbild zu<br />

gewinnen, wenn<br />

diese Dokumente<br />

nicht genutzt werden,<br />

um mit den<br />

<strong>Kinder</strong>n über ihren Lernweg zu sprechen.<br />

Auch in der Eingangsstufe können Fragen<br />

wie »Was ist dir heute schwer gefallen?«,<br />

»Wer kann dir einen Hinweis geben, wie<br />

es besser geht?« den <strong>Kinder</strong>n helfen, das<br />

eigene Lernen selbst »unter die Lupe zu<br />

nehmen«. Eine Abschlussrunde ab Freitag<br />

unter dem Impuls »Das kann ich jetzt!<br />

Das weiß ich jetzt!« dient den <strong>Kinder</strong>n<br />

als Lernbestätigung und der Lehrerin als<br />

Rückmeldung. Mit zunehmender Schreibfähigkeit<br />

kann diese Rückmeldung in<br />

regelmäßigen Abständen auch schriftlich<br />

erfolgen.<br />

Anmerkungen<br />

1 Helmke / Hosenfeld / Schrader: Vergleichsarbeiten als Instrument<br />

zur Verbesserung der Diagnosekompetenz von Lehrkräften.<br />

In: Arnold / Griese (Hrsg.): Schulmanagement und Schulentwicklung.<br />

Hohengehren, 2004<br />

2 Richter / Brügelmann: Der Schulanfang ist keine Stunde Null.<br />

Schrifterfahrungen, die <strong>Kinder</strong> in die Schule mitbringen. In:<br />

Brügelmann / Richter (Hrsg.): Wie wir recht schreiben lernen.<br />

Lengwil, 1994<br />

Brinkmann: Lernen die <strong>Kinder</strong> denn dabei genug? In : <strong>Grundschule</strong><br />

Deutsch 1/2004<br />

3 Brinkmann / Brügelmann: Ideen-Kiste 1, Schrift-Sprache. Hamburg<br />

2000<br />

4 Dehn: Zeit für die Schrift. Lesenlernen und Schreibenkönnen.<br />

Bochum, 1988<br />

Brinkmann: Lernen die <strong>Kinder</strong> denn dabei genug? In : <strong>Grundschule</strong><br />

Deutsch 1/2004<br />

Brinkmann / Brügelmann: 9 Wörter Diktat. In: Buchstaben, Wörter<br />

und Bilder. Kopier vorlagen zur Ideen-Kiste<br />

5 May: Hamburger Schreibprobe (HSP 1 – 9)<br />

6 Vgl. May: Strategiebezogene Rechtschreib diagnose – mit und ohne<br />

Test: Analyse von freien Schreibungen mit Hilfe der HSP-Kategorien.<br />

In: Balhorn / Bartnitzky / Büchner / Speck-Hamdan (Hrsg.):<br />

Schatzkiste Sprache 1. Frankfurt (AKG – Band 103)<br />

7 Bertschi-Kaufmann: Bücher öffnen Welten<br />

8 www.lesetest1-4.de<br />

9 Vgl. von Wedel-Wolff: Üben im Leseunterricht der <strong>Grundschule</strong>.<br />

Braunschweig 2001. S. 88 – 92<br />

10 Dazu auch: Projekt LUST www.uni-siegen.de/~agprim/lust.<br />

26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


1<br />

3<br />

2 4


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Baden-Württemberg<br />

Anschrift: Dipl.-Päd. Adolf Messer, Stockacker 15, 79252 Stegen, www.gsv-bw.de<br />

Bayern<br />

Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Berliner Allee 22d, 86153 Augsburg<br />

Anschlussfähigkeit des Bildungsauftrages<br />

– Kooperation von <strong>Kinder</strong>garten<br />

und <strong>Grundschule</strong> in Bayern<br />

Der »Gemeinsame Rahmen der Länder<br />

für die Frühe Bildung in <strong>Kinder</strong>tageseinrichtungen«<br />

der Jugendministerkonferenz<br />

vom 13./14.05.04 und der<br />

Kultusministerkonferenz vom 03./<br />

04.06.04 intendiert die Anschlussfähigkeit<br />

des Bildungsauftrags über<br />

institutionelle Grenzen hinweg. Angestrebt<br />

werden damit eine Kontinuität<br />

von Bildungsprozessen und eine<br />

Vermeidung von Brüchen, die die <strong>Kinder</strong><br />

häufig beim Wechsel vom <strong>Kinder</strong>garten<br />

in die <strong>Grundschule</strong> erfahren.<br />

Die langjährige Forderung des Grundschulverbandes<br />

nach einer engeren<br />

Verzahnung von vorschulischen Einrichtungen<br />

mit der <strong>Grundschule</strong> und<br />

die bereits im bayerischen Lehrplan der<br />

<strong>Grundschule</strong> von 1981 formulierte Kooperation<br />

der beiden Institutionen sind<br />

somit wieder <strong>aktuell</strong>.<br />

In Bayern werden gegenwärtig erneut<br />

Bemühungen unternommen, dieser<br />

Forderung zu entsprechen. Seit vergangenem<br />

Schuljahr wird im Rahmen einer<br />

Initiative zur besseren Verzahnung von<br />

Vorschule und Schule eine Kooperation<br />

zwischen <strong>Kinder</strong>garten und <strong>Grundschule</strong><br />

durch Kooperationsbeauftragte<br />

angestrebt. In diesem Schuljahr folgt<br />

ein Schulversuch »KIDZ <strong>Kinder</strong>garten<br />

der Zukunft« (www.km.bayern.de/km/<br />

lehrerinfo/amtliches/meldung/01524/<br />

index.asp). Im Rahmen der Initiative<br />

wurden von beiden Institutionen Kooperationsbeauftragte<br />

bestimmt, die<br />

in sog. Tandems (bestehend aus einer<br />

Erzieherin und einer Grundschullehrerin)<br />

arbeiten. Die einführende überregionale<br />

Fortbildung fand getrennt für<br />

beide Personenkreise statt. Die Umsetzung<br />

des Vorhabens ist deutlich<br />

von den regionalen Bedingungen abhängig.<br />

Einzelne Initiativen wie beispielsweise<br />

die der Landeshauptstadt<br />

München als dem größten kommunalen<br />

Träger von <strong>Kinder</strong>tagesstätten in<br />

der Bundesrepublik und der Universität<br />

München als einem der Hauptstudienorte<br />

für das Lehramt an <strong>Grundschule</strong>n<br />

in Bayern demonstrieren, wie<br />

eine gemeinsame Fortbildung mit großem<br />

Erfolg und reger Nachfrage umgesetzt<br />

werden kann. Denn letztlich sind<br />

die Kooperationspartner vor Ort auf<br />

sich alleine gestellt. Der Schulversuch<br />

KIDZ ist ein Gemeinschaftsprojekt der<br />

Bayerischen Staatsministerien für Unterricht<br />

und Kultus und für Arbeit und<br />

Sozialordnung, Familie und Frauen und<br />

wird unterstützt von der Stiftung Bildungspakt<br />

Bayern und von der Vereinigung<br />

der Bayerischen Wirtschaft.<br />

Ziel ist die schrittweise und wissenschaftlich<br />

abgesicherte Optimierung<br />

Runder Tisch <strong>Grundschule</strong><br />

will bessere Bildungskonzepte<br />

»Chancen ergreifen: Schule gemeinsam<br />

gestalten!« Unter diesem Motto<br />

lud der Runde Tisch <strong>Grundschule</strong> in Baden-Württemberg<br />

zur dritten gemeinsamen<br />

Tagung nach Ludwigsburg ein.<br />

Gemeinsam vertraten die Vertreter/<br />

innen von GEW und VBE, Aktion Humane<br />

Schule (AHS), Landeselternbeirat,<br />

Arbeitskreis Gesamtelternbeiräte und<br />

der GSV-Landesgruppe die Auffassung:<br />

»Nur wenn wir Schule gemeinsam gestalten,<br />

können wir die Chancen der<br />

Veränderung nutzen!« Auch darüber,<br />

dass bessere Bildungskonzepte notwendig<br />

sind, herrschte unter den Anwesenden<br />

Einigkeit.<br />

Bernd Rechel brachte dies auf den<br />

Punkt: »Was seit 2001 und PISA I auf<br />

den Weg gebracht wurde, reicht nicht<br />

aus, um im internationalen Vergleich<br />

wirklich zu bestehen. Die Mängel im<br />

Bildungssystem sind auch in Baden-<br />

Württemberg unübersehbar, trotz aller<br />

Anstrengungen, die der Runde Tisch<br />

durchaus anerkennt.«<br />

In seinem Hauptvortrag ließ Richard<br />

Meier die Errungenschaften der Grundschulpädagogik<br />

der letzten 40 Jahre in<br />

ihren wesentlichen Zügen Revue passieren<br />

und machte deutlich, dass hier<br />

bereits viel geleistet wurde. Andererseits<br />

bleibe noch viel zu tun: »Die Lernarbeit<br />

in der <strong>Grundschule</strong> muss sich<br />

konsequent weiter entwickeln weg<br />

vom Lehren hin zum Lernen lassen und<br />

›Lernen machen‹. Dazu notwendig ist<br />

ein lebendiger Wechsel zwischen gemeinsamer<br />

und individueller Zuwendung<br />

zur Situation und Aufgabe.«<br />

In »Ideenwerkstätten« wurde zu unterschiedlichen<br />

Themenstellungen<br />

über diese notwendigen Weiterentwicklungen<br />

nachgedacht und an Beispielen<br />

aufgezeigt, dass es durchaus<br />

Spielräume gibt, die auch genutzt werden<br />

sollten.<br />

(für die Landesgruppe: Edgar Bohn)<br />

eines individuellen und begabungsgerechten<br />

Übergangs von <strong>Kinder</strong>garten<br />

und <strong>Grundschule</strong>. <strong>Kinder</strong> im Alter von<br />

drei bis sechs Jahren werden in einer<br />

Gruppe gemeinsam von einer Erzieherin<br />

und einer Grundschullehrerin<br />

individuell betreut, unterrichtet und<br />

gefördert. Nach Durchlaufen der KIDZ-<br />

Stufe sollen diese <strong>Kinder</strong> in die zweite<br />

Grundschulklasse eingeschult werden.<br />

Angelegt ist der Versuch auf fünf Jahre.<br />

Im Schuljahr 2004/2005 nehmen drei<br />

Schulen mit ihren kooperierenden <strong>Kinder</strong>gärten<br />

in Mittelfranken teil.<br />

Aus der Sicht der Landesgruppe besteht<br />

in beiden Vorhaben die weitreichende<br />

Möglichkeit, die Anschlussfähigkeit<br />

von Wissen, Fähigkeiten und<br />

Fertigkeiten der <strong>Kinder</strong> zu sichern.<br />

Gleichwohl muss eine Vernetzung von<br />

Bildungsinhalten und -prozessen das<br />

Professionsverständnis der beteiligten<br />

Personen und das Selbstverständnis<br />

der Institutionen samt ihrer Aufgaben<br />

im Blick haben. Beide Institutionen,<br />

<strong>Kinder</strong>garten und <strong>Grundschule</strong>, sollten<br />

die Felder selbst bestimmen, auf denen<br />

sie zusammenarbeiten. Perspektivisch<br />

könnten eine bessere curriculare<br />

Abstimmung und systematische Konzepte<br />

entwickelt werden, die bisher<br />

vorhandene Erkenntnisse nutzen.<br />

(für die Landesgruppe:<br />

Christina Mahrhofer)<br />

Bremen<br />

Vorsitzende: Karin Sanders,<br />

Langenstr. 11, 28816 Stuhr<br />

Mitgliederversammlung<br />

am 29.11.2004<br />

Auf der diesjährigen Mitgliederversammlung<br />

wurde der Vorstand der Landesgruppe<br />

einstimmig bestätigt (Vorsitzende:<br />

Karin Sanders / Delegierte:<br />

Roswitha Kremin / Schatzmeisterin:<br />

Dr. Petra Milhoffer / Schriftführerin:<br />

Inge Tietjen / Medienfachmann: Günter<br />

Griesch). In einem einführenden<br />

Referat erläuterte Frau Prof. Dr. Petra<br />

Milhoffer (Universität Bremen) neuere<br />

Erkenntnisse einer geschlechtergerechten<br />

Leseförderung.<br />

Die leider sehr geringe Beteiligung bei<br />

unserer Mitgliederversammlung führte<br />

zu Überlegungen, ob die derzeit intensiven<br />

Grundschulaktivitäten der<br />

Landesgruppe unter diesen Voraussetzungen<br />

personell weiterhin leistbar<br />

sind.<br />

Offensichtlich ist diese Form der Mitgliederversammlung<br />

nicht mehr zeitgemäß.<br />

Darum wird überlegt, über<br />

eine Mitgliederbefragung Anregungen<br />

und Wünsche zu sammeln.<br />

PISA, VERA, KESS 4<br />

In den vergangenen Wochen hat die<br />

Landesgruppe mit verschiedenen<br />

Stellungnahmen in der Presse und im<br />

Rundfunk auf die Studien reagiert.<br />

Eine Umfrage zu VERA an allen Bremer<br />

<strong>Grundschule</strong>n zeigte, mit welch<br />

hohem Arbeitsaufwand die Durchführung<br />

der Vergleichsarbeiten für jede<br />

Lehrerin verbunden war.<br />

Hinzu kommt, dass durch die neuen,<br />

weit überdimensionierten Zeugnisse<br />

für die <strong>Grundschule</strong> sehr viel Arbeitszeit<br />

der Lehrerinnen gebunden wird.<br />

Integrativer Schulanfang<br />

Bis zum Jahre 2006 soll möglichst in allen<br />

Bremer <strong>Grundschule</strong>n der integrative<br />

Schulanfang ohne Vorklassen die<br />

Regel werden. Zur inhaltlichen Unterstützung<br />

plant die Landesgruppe eine<br />

Veranstaltung.<br />

(für die Landesgruppe: Roswitha Kremin)<br />

Veranstaltung<br />

»Jahrgangsübergreifendes<br />

Lernen«<br />

7. April 2005<br />

im Landesinstitut für Schule<br />

28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Berlin<br />

Vorsitzende: Ing rid Kornmesser, Kohlfurter Str. 4, 10999 Berlin; E-Mail: ikornmesser@yahoo.de<br />

Neuer Landesgruppenvorstand<br />

gewählt<br />

Auf unserer Mitgliederversammlung<br />

am 25. 11. 04 wurden für die nächsten<br />

vier Jahre in den Landesgruppenvorstand<br />

gewählt: Inge Hirschmann<br />

(Vors./Delegierte, Schulleiterin einer<br />

Kreuzberger <strong>Grundschule</strong>), Peter<br />

Heyer (Vors., Ruheständler), Ingrid<br />

Kornmesser (Schatzm./Ersatzdel.,<br />

Projektleiterin des Berliner BLK-Ganztags-Projekts),<br />

Maria Feiten (Lehrerin<br />

an einer Reinickendorfer katholischen<br />

Schule), Cornelia Schaffert (Sonderpädagogin<br />

an einer Kreuzberger<br />

<strong>Grundschule</strong>), Madlen Schmitz (Lehrerin<br />

an einer Wilmersdorfer <strong>Grundschule</strong>),<br />

Gerti Sinzinger (Schulleiterin<br />

einer Kreuzberger <strong>Grundschule</strong>) und<br />

Ulla Widmer-Rockstroh (Lehrerin an<br />

einer Weddinger <strong>Grundschule</strong>).<br />

Brandenburg<br />

Vorsitzende: DR. Barbara Wegner, Institut für Grundschulpädagogik, Universität Potsdam,<br />

Postfach 60 15 53, 14415 Potsdam<br />

Brandenburg hat gewählt<br />

In der Koalitionsvereinbarung der Landesregierung<br />

von Brandenburg werden<br />

die <strong>Grundschule</strong>n als das Bildungsfundament<br />

bezeichnet und sollen weiterhin<br />

die Jahrgangsstufen 1 bis 6 umfassen.<br />

Der weitere Ausbau des Systems<br />

der flexiblen Schuleingangsphase wird<br />

angestrebt. Sofern dies von Schülerinnen<br />

und Schülern und deren Eltern<br />

gewünscht wird, können Gymnasien<br />

bereits nach vier Jahren <strong>Grundschule</strong><br />

besucht werden. Das Bestehen einer<br />

Eignungsprüfung wird vorausgesetzt.<br />

An Gymnasien soll die allgemeine<br />

Hochschulreife nach zwölf Jahren erreicht<br />

werden. Dass durch ein derartiges<br />

Angebot das regionale Grundschulnetz<br />

nicht in Frage gestellt wird,<br />

soll durch den Schulträger gesichert<br />

werden.<br />

Mit diesen Vereinbarungen ging das<br />

Versprechen einher, dass der Bildungsbereich<br />

auf Grund der <strong>aktuell</strong>en Brisanz<br />

von Kürzungen ausgenommen<br />

wird. Diese Versprechen scheinen jedoch<br />

angesichts der derzeitigen Presseberichte,<br />

dass alle Ressortbereiche<br />

von den Sparmaßnahmen betroffen<br />

sein werden, Wahlversprechen zu sein,<br />

die man schon nach zwei Monaten so<br />

nicht mehr einlösen kann.<br />

In diesem Zusammenhang stellen<br />

sich für uns als Landesgruppe viele<br />

Fragen, unter anderem, inwieweit die<br />

Sparmaßnahmen Auswirkungen auf<br />

das bisherige System der 6-jährigen<br />

<strong>Grundschule</strong> haben werden:<br />

■ Wird Flex wirklich flächendeckend<br />

ausgebaut werden können? Wie<br />

können andere innovative Projekte<br />

zur Stärkung der <strong>Grundschule</strong> weiter<br />

gefördert werden?<br />

■ Welche Auswirkungen hat die<br />

Schulzeitverkürzung auf die Jahrgangsstufen<br />

5 und 6? Wird der Ausbau<br />

der äußeren Differenzierung<br />

beabsichtigt? Wird die Frage der<br />

Arbeitsschwerpunkte<br />

Auch für die nächsten vier Jahre sehen<br />

wir unsere Hauptaufgabe darin, die<br />

6-jährige <strong>Grundschule</strong> als eine wohnungsnahe<br />

Schule für ihre Aufgabe<br />

zu stärken, wirklich alle <strong>Kinder</strong> im gemeinsamen<br />

Lernen in ihrer individuellen<br />

Bildungsentwicklung zu fördern<br />

und dabei selektive Tendenzen zurückzudrängen.<br />

Einzelne Arbeitsschwerpunkte<br />

werden dabei sein:<br />

1. Umsetzung der positiven schulgesetzlich<br />

festgelegten Ziele der flexiblen<br />

Schulanfangsphase und Verbesserung<br />

deren bisher zu ungünstigen<br />

Rahmenbedingungen.<br />

2. Kritisch konstruktive Begleitung der<br />

Entwicklung aller Berliner <strong>Grundschule</strong>n<br />

von »Stundenschulen« zu Ganztagsschulen<br />

in Kooperation von Schule<br />

und Jugendhilfe. Vor allem muss<br />

verhindert werden, dass es auf Dauer<br />

beim derzeitigen Nebeneinander kostenfreier<br />

gebundener Ganztagsgrundschulen<br />

und Halbtagsschulen mit kostenpflichtigen<br />

Angeboten für einen Teil<br />

der <strong>Kinder</strong> bleibt.<br />

3. Verankerung lernfördernder Verfahren<br />

der Lernprozessbegleitung, der<br />

Leistungsermittlung und -bewertung<br />

in der Praxis.<br />

4. Entwicklung und Qualitätssicherung<br />

eines flächendeckenden Konzepts für<br />

das Sprachenlernen (Deutsch, Herkunftssprachen,<br />

Fremdsprachen).<br />

5. Unterstützung der Schulen bei<br />

der Erarbeitung und Evaluation ihres<br />

Schulprogramms.<br />

Infodienst der Berliner Landesgruppe<br />

Der Vorstand der Berliner Landesgruppe<br />

verschickt in unregelmäßigen<br />

Abständen an Mitglieder des Grundschulverbandes<br />

per Mail <strong>aktuell</strong>e Informationen<br />

zur Berliner Schulentwicklung.<br />

Wer daran interessiert ist, wende<br />

sich bitte an: peterheyer@snafu.de<br />

(für die Landesgruppe: Peter Heyer)<br />

Einführung der zweiten Fremdsprache<br />

für die <strong>Grundschule</strong> thematisiert?<br />

■ Wie werden sich die Gymnasialklassen<br />

ab Klasse 4 profilieren?<br />

(für die Landesgruppe: Marion Gutzmann)<br />

Grundschulfachtagung<br />

»Motor der Schulentwicklung:<br />

Schulinternes Curriculum«<br />

12. Februar 2005, 10.30 – 16.30 Uhr<br />

an der Universität Potsdam<br />

Niedersachsen<br />

Vorsitzende: Dr. Eva Gläser,<br />

Fasanenstr. 1, 38102 Braunschweig<br />

Niedersächsische Kerncurricula<br />

für die <strong>Grundschule</strong><br />

Laut Ministerium sollen im Jahr 2005<br />

Kerncurricula für alle Fächer der<br />

<strong>Grundschule</strong> entwickelt werden. Nach<br />

der Anhörung Ende 2005 kommen sie<br />

zum Schuljahr 2005/2006 in die Schulen.<br />

Sie sollen sich an den von der KMK<br />

vorgegebenen Bildungsstandards orientieren.<br />

Da diese für den Grundschulbereich<br />

nicht für alle Fächer vorliegen<br />

und eine Stufung in »Kompetenzen«<br />

nur für wenige Lernbereiche vorgedacht<br />

ist, bleibt zu fragen, auf welchen<br />

theoretischen Grundlagen die curricularen<br />

Vorgaben erstellt werden.<br />

Internetforum des Kultusministeriums<br />

zur Entwicklung<br />

der Kerncurricula<br />

Um die noch zur Verfügung stehende<br />

Zeit für das Einbringen eigener Überlegungen<br />

auszuschöpfen, sollten Kollegien,<br />

Verbände und Eltern aktiv und<br />

zahlreich das vom Kultusministerium<br />

angebotene Internetforum nutzen:<br />

Unter dem Motto »Niedersachsen<br />

macht Schule – Niedersachsen machen<br />

Schule« kann jede und jeder sich öffentlich<br />

zu den Entwürfen äußern.<br />

Zwischenschritte der Erarbeitung sollen<br />

auf diesen Seiten auch veröffentlicht<br />

werden: www.cuvo-nibis.de<br />

(cuvo ist die Abkürzung für curriculare<br />

Vorgaben).<br />

Vergleichsarbeit im Fach Deutsch<br />

Im Juni 2005 wird im Fach Deutsch<br />

eine Vergleichsarbeit in allen dritten<br />

Klassen geschrieben. »Musteraufgaben«<br />

stehen bereits im Internet<br />

(www.nibis.de). Die Rechtschreibkompetenz<br />

wird anhand der Bereiche<br />

Lauttreue, Großschreibung von Konkreta,<br />

Länge, Kürze und Auslautverhärtung<br />

überprüft. Rechtschreibhilfen<br />

(Wörterlisten, Rechtschreibduden oder<br />

Rechtschreibprogramme) werden als<br />

sinnvoll angesehen. Daher wird eine<br />

Wörterliste für die Zentrale Deutscharbeit<br />

erstellt, die die Schülerinnen<br />

und Schüler benutzen sollen. Auch<br />

für den Bereich der Lesekompetenz<br />

sind Musteraufgaben im Internet veröffentlicht.<br />

(für die Landesgruppe: Dr. Eva Gläser)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

29


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Hes sen<br />

Anschrift: Ilse Marie Krauth, Steigerwaldweg 3, 63456 Hanau<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Vorsitzender: Ralph Grothe, Hasengang 3, 17309 Pasewalk<br />

Fortbildung<br />

»Lehrkräfte sind verpflichtet, ihre berufsbezogene<br />

Grundqualifikation zu<br />

erhalten und weiterzuentwickeln. Über<br />

die Wahl der hierfür geeigneten Fortbildungsangebote<br />

entscheiden die<br />

Lehrkräfte in eigener Verantwortung.«<br />

Dies steht im Dritten Gesetz zur Qualitätssicherung<br />

in hessischen Schulen,<br />

das im Januar 2005 in Kraft treten soll.<br />

Bisher hatten die Lehrkräfte diese Verpflichtung<br />

zwar auch, aber niemand<br />

hat sich darum gekümmert, ob sie sie<br />

erfüllt haben. Das soll nun neu geregelt<br />

werden. Jede Lehrkraft muss künftig<br />

ein Qualifizierungsportfolio führen<br />

und es fortlaufend aktualisieren.<br />

Seine Auswertung ist Gegenstand von<br />

Mitarbeitergesprächen. Für alle Fortbildungsaktivitäten,<br />

die in der unterrichtsfreien<br />

Zeit stattfinden sollen,<br />

werden je nach Kategorie und nach<br />

einem ausgeklügelten System Punkte<br />

vergeben. Die Lehrkraft muss in<br />

drei Jahren mindestens 150 Leistungspunkte<br />

nachweisen. Die Schulleitung<br />

kann zu Fortbildungsmaßnahmen verpflichten.<br />

In diesem Zusammenhang ergeben<br />

sich offene Fragen:<br />

■ Wer bietet Fortbildung an?<br />

■ Wer bestimmt die Themen der Angebote?<br />

■ Wie wird ermittelt, welche Fortbildung<br />

die Lehrkräfte wirklich wollen<br />

und brauchen?<br />

■ Wie soll gewährleistet werden, dass<br />

das in den letzten Jahren völlig unzureichende<br />

Angebot so erweitert<br />

wird, dass jede Lehrkraft sich nach<br />

ihrem Bedarf fortbilden kann?<br />

■ Wer überprüft, ob das komplizierte<br />

Punktesystem eingehalten wurde?<br />

■ Wer überprüft, ob die Lehrkraft<br />

tatsächlich Fachliteratur und Fachzeitschriften<br />

gelesen hat?<br />

■ Mit welchen Mitteln wird dies<br />

überprüft?<br />

■ Was geschieht mit Lehrkräften, die<br />

keine 150 Punkte nachweisen?<br />

Lehrkräfte brauchen Fortbildung und<br />

sie sind bereit dazu. Die Themen müssen<br />

stimmen. Dies hat der enorme Zuspruch<br />

gezeigt, den wir mit unserer<br />

Reihe zu Diagnose und Förderung erfahren<br />

haben. Für sie ist die Erbsenzählerei<br />

von Punkten völlig unnötig. Diejenigen,<br />

die bisher keine Fortbildungen<br />

besucht haben, werden auch mit Hilfe<br />

dieser Leistungspunkte nicht zum<br />

– erstrebenswerten – lebenslangen<br />

Lernen finden.<br />

(für die Landesgruppe:<br />

Ilse Marie Krauth)<br />

Erneute Novellierung<br />

des Schulgesetzes<br />

Im März soll durch den Landtag die<br />

neunte Novellierung des Schulgesetzes<br />

beschlossen werden. Damit will<br />

das Land auf die demographische Entwicklung,<br />

die sich aus dem Schülerrückgang<br />

ergibt und auf neue Erkenntnisse<br />

der Pädagogik reagieren.<br />

Wir merken an, dass hier vor allem<br />

finanzpolitische Fragen im Vordergrund<br />

stehen, und es eher eine inhaltliche<br />

Diskussion über Ziele und Aufgaben<br />

einer neuen Schule in unserem<br />

Lande geben sollte. Erst dann kann<br />

über strukturelle Veränderung nachgedacht<br />

werden.<br />

Wir kritisieren die Schnelligkeit, mit<br />

der diese Novellierung erfolgen muss.<br />

Dies führt zur Verunsicherung der Lehrer<br />

und Eltern. So bleibt diese Schulgesetzveränderung<br />

ein Schnellschuss<br />

und die Chance, Visionen für die zukünftige<br />

Bildung im Lande auf eine<br />

tragfähige Grundlage zu stellen, wird<br />

vertan.<br />

Dazu gehört nach unserer Auffassung<br />

das längere gemeinsame Lernen. Hier<br />

hat die <strong>Grundschule</strong> als eine im Lande<br />

anerkannte Schulart ein großes<br />

Potential. Nicht zuletzt durch die Ergebnisse<br />

in der länderübergreifenden<br />

Vergleichsarbeit (VERA) wurde dies<br />

deutlich.<br />

Gerade in ihrer Eigenständigkeit kann<br />

die <strong>Grundschule</strong> die vor ihr stehenden<br />

Aufgaben am besten erfüllen.<br />

In unserem Land gehören dazu solche<br />

Fragen wie die Veränderung der Einschulungspraxis<br />

und der Integration<br />

von benachteiligten <strong>Kinder</strong>n.<br />

Aber auch die Weiterentwicklung der<br />

<strong>Grundschule</strong> zur Ganztagsschule hat<br />

gerade in unserem Flächenland einen<br />

hohen Stellenwert. Hier soll es nicht<br />

um eine Stundenschule mit anschließender<br />

Betreuung gehen, sondern um<br />

einen Ort, in dem <strong>Kinder</strong> mit ihren Lehrerinnen<br />

und Lehrern gemeinsam mehr<br />

Zeit verbringen, die für sinnvolles und<br />

differenziertes Lernen genutzt wird.<br />

(für die Landesgruppe: Ralph Grothe)<br />

Sachsen<br />

Vorsitzende: Sibylle Jaszovics,<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Vorsitzende: Gisela Cappel, Habichtstr. 1 d, 58285 Gevelsberg<br />

Vergleichsarbeiten in Klasse 4<br />

Im September schrieben alle Schülerinnen<br />

und Schüler der Klassen vier<br />

Vergleichsarbeiten in den Fächern<br />

Deutsch und Mathematik. Gab es bereits<br />

im Vorfeld zur Konzeption und<br />

Zielsetzung kritische Fragen, so verstärkte<br />

sich diese Kritik nach der<br />

Durchführung: Neben der ungenügenden<br />

Absicherung der Rahmenbedingungen<br />

(hoher Zeitaufwand, hoher<br />

Materialaufwand, unklare und<br />

nicht abgestimmte Informationen<br />

zum Vorgehen) erscheint insbesondere<br />

der inhaltliche Ansatz fragwürdig:<br />

So widersprechen z. B. wesentliche<br />

Teile der Aufgaben in Deutsch den<br />

Anforderungen der <strong>aktuell</strong>en Fachdidaktik<br />

und den Aussagen der gerade<br />

neu (!) zu erprobenden Lehrpläne,<br />

indem schrift licher Sprachgebrauch<br />

ohne Sinnzusammenhang und ohne<br />

die Möglichkeit zur Überarbeitung des<br />

Textes geprüft wird; Rechtschreibkompetenzen<br />

mittels Diktaten und nicht<br />

z. B. die Fähigkeiten zum Gebrauch von<br />

Wörterbüchern erfasst werden. Für den<br />

Bereich der Unterrichtsentwicklung<br />

besteht somit die große Gefahr, dass<br />

tradierte und noch zu überwindende<br />

didaktisch-methodische Vorgehensweisen<br />

auf diesem Wege wieder Gewicht<br />

gewinnen.<br />

Diese und andere Fragwürdigkeiten<br />

wird der Landesvorstand im Januar in<br />

einem Gespräch mit Vertretern des Ministeriums<br />

erörtern.<br />

Am 12. März findet die Mitgliederversammlung<br />

statt, zu der der Vorstand<br />

herzlich einlädt. Als Alternative und<br />

notwendige Korrektur zu den oben beschriebenen<br />

Leistungsfeststellungen<br />

soll hier in zwei Workshops ein vom<br />

Grundschulverband entwickeltes Konzept<br />

zur pädagogischen Leistungskultur<br />

vorgestellt werden.<br />

(für die Landesgruppe: Beate Schweitzer<br />

Mitgliederversammlung<br />

12. 03. 2005,<br />

10.00 – 16.00 Uhr<br />

GGS Landgrafenschule,<br />

Landgrafenstr. 1 – 3, 44139 Dortmund<br />

Anmeldungen bitte an:<br />

email@mb-bertling.de<br />

Neuwahl des Vorstandes<br />

Anfang Dezember 2004 traf sich die<br />

Wahlkommission, um die Stimmen<br />

der Briefwahl auszuzählen. 35 der 66<br />

stimmberechtigten Mitglieder nahmen<br />

an der Briefwahl teil. Dem Landesgruppenvorstand<br />

für die Wahlperiode<br />

2004 bis 2008 gehören an:<br />

Bärbel Grösel (Schulleiterin), Sibylle<br />

Jaszovics (Lehrerin/ Fachberaterin),<br />

Karin Liebing (Lehrerin / Fortbildnerin),<br />

Margot Zimmer (Schulleiterin).<br />

Im Januar 2005 findet die konstituierende<br />

Sitzung statt.<br />

Allen Mitgliedern, die sich an der Wahl<br />

beteiligten, herzlichen Dank und dem<br />

neuen Vorstand alles Gute für die bevorstehende<br />

Arbeit.<br />

30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Anschrift: Werner Lang, Am Wintersberg 8, 67756 Hinzweiler<br />

Fortbildungsreihe wird fortgesetzt<br />

Im Anschluss an die Fortbildungsveranstaltungen<br />

von Jürgen Reichen haben<br />

der Landesvorstand und das Pädagogische<br />

Zentrum Bad Kreuznach an<br />

11 Standorten Veranstaltungen zum<br />

Thema: »Integrierte Fremdsprachenarbeit,<br />

Klassenstufe 1 – 4« angeboten,<br />

um die Kolleg/innen in der Fremdsprachenarbeit<br />

zu unterstützen.<br />

Diese Workshops stießen auf breites<br />

Interesse, was die Teilnehmerzahl von<br />

rund 500 belegt. Die Resonanz war<br />

überaus positiv.<br />

Die Landesgruppe beabsichtigt aufgrund<br />

der hohen Zustimmung, die<br />

Fortbildungsreihe jeweils zu <strong>aktuell</strong>en<br />

grundschulspezifischen Neuerungen<br />

fortzusetzen.<br />

Südwestring 11, 04668 Klinga<br />

Landesgrundschultag<br />

Am 08.03.2005 findet an der Universität<br />

Koblenz der nächste Landesgrundschultag<br />

statt. Damit setzen wir unseren<br />

nunmehr jährlichen Rhythmus<br />

der Grundschultage fort. Er wird sich<br />

schwerpunktmäßig mit »Deutsch«<br />

beschäftigen, da für Rheinland-Pfalz<br />

ein neuer Rahmenplan erarbeitet wurde.<br />

Neben dem Hauptreferat von Prof.<br />

Hans Brügelmann wird ein Streitgespräch<br />

mit ihm und der Bildungsministerin<br />

Doris Ahnen stattfinden. Am<br />

Nachmittag bieten ca. 30 Workshops,<br />

u. a. einer mit J. Reichen, eine große,<br />

praxisbezogene Vielfalt aus dem Fach<br />

Deutsch und der Grundschularbeit insgesamt<br />

an.<br />

In den Anschlusstagen wird Jürgen<br />

Reichen weitere Fortbildungen in Kooperation<br />

mit der Landesgruppe durchführen,<br />

wie schon zuvor an verschiedenen<br />

Standorten.<br />

Was bringt die Koalitionsvereinbarung<br />

zwischen CDU und SPD?<br />

■ Das letzte <strong>Kinder</strong>gartenjahr wird<br />

zu einem Schulvorbereitungsjahr<br />

weiterentwickelt. Projekte werden<br />

gemeinsam von Erzieherinnen und<br />

Grundschullehrerinnen entwickelt<br />

und verwirklicht. Dafür werden drei<br />

Wochenstunden je Gruppe (13 <strong>Kinder</strong>)<br />

und Erzieherin vom Land zusätzlich<br />

finanziert. Für den Einsatz von Grundschullehrerinnen<br />

im zweiten Halbjahr<br />

werden drei Stunden je Gruppe und<br />

Woche und Lehrerin zusätzlich finanziert.<br />

Die personelle Ausstattung der<br />

<strong>Grundschule</strong>n wird insgesamt im Umfang<br />

von 800 Stellen angehoben.<br />

■ Bis zum Jahr 2010 sollen in allen<br />

Teilen Sachsen Ganztagsangebote vorhanden<br />

sein.<br />

■ Auf Antrag der Schulträger werden<br />

»Schulen mit besonderem pädagogischen<br />

Profil / Gemeinschaftsschulen«<br />

ermöglicht.<br />

■ Mit dem Ziel, die Bildungsberatung<br />

weiter zu verbessern und die Entscheidung<br />

der Eltern zu respektieren, soll<br />

die »Schulordnung <strong>Grundschule</strong>« geändert<br />

werden.<br />

■ Die Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells<br />

für Lehrkräfte, das<br />

nicht mehr ausschließlich auf Unterrichtsverpflichtung<br />

basiert, wird geprüft.<br />

Im Koalitionsvertrag werden viele vom<br />

Grundschulverband seit Jahren angemahnte<br />

Veränderungen auf den Weg<br />

gebracht. Das stimmt uns hoffnungsvoll.<br />

Zu jedem der hier genannten und<br />

zu weiteren Schwerpunkten gibt es<br />

Nachfragen unsererseits. Geplant ist<br />

deshalb ein Arbeitsgespräch mit den<br />

bildungspolitischen Sprechern von<br />

CDU und SPD.<br />

(für die Landesgruppe: Sibylle Jaszovics)<br />

Vera kritisch beleuchtet<br />

Ende September 2004 wurden in<br />

Rheinland-Pfalz Vergleichsarbeiten<br />

(Vera) in Mathematik (zweites Mal)<br />

und Deutsch (erstmalig) von den <strong>Kinder</strong>n<br />

geschrieben. Auch wenn die<br />

Landesgruppe grundsätzlich vergleichende<br />

Arbeiten nicht ablehnt, sind<br />

dennoch viele Fragen dazu offen und<br />

müssen kritisch beleuchtet werden:<br />

Was messen eigentlich Vergleichsarbeiten<br />

wirklich? Sind Zeitpunkt, Inhalt<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Förderung von Ganztagsschulen<br />

in Sachsen-Anhalt<br />

Im Rahmen des Investitionsprogrammes<br />

»Zukunft Bildung und Betreuung<br />

2003 bis 2007« (IZBB) gibt es für Sachsen-Anhalt<br />

insgesamt 125,8 Millionen<br />

Euro. Dieser Beitrag finanziert die Investitionen<br />

für eine attraktive Ganztagsschule.<br />

Das Land soll im Rahmen<br />

des Gemeinschaftsprojektes nötiges<br />

zusätzliches Personal im Ganztagsbetrieb<br />

bereitstellen.<br />

Schulen und Kommunen wurden 2003<br />

aufgefordert, Konzepte und Vorschläge<br />

zur weiteren Ausgestaltung bestehender<br />

bzw. zur Einrichtung neuer<br />

Ganztagsschulen einzureichen. Mitte<br />

dieses Jahres veröffentlichte das Kultusministerium<br />

nun die Landesprioritätenliste.<br />

Diese umfasst 63 Projekte,<br />

davon 48 Projekte kommunaler Schulträger,<br />

10 Projekte freier Schulträger<br />

sowie 5 Projekte an Landesschulen.<br />

und Umfang kindgemäß und gerechtfertigt?<br />

Ist eine zusätzliche Arbeit bei<br />

der ohnehin hohen Anzahl von Klassenarbeiten<br />

(Schulordnung immer<br />

noch nicht geändert!) sinnvoll? Welche<br />

Aussagekraft haben sie für Eltern und<br />

Lehrer/innen? Diese Fragen sind für die<br />

Landesgruppe auch nach dem zweiten<br />

Durchlauf bisher unbefriedigend beantwortet<br />

worden und werden kontrovers<br />

diskutiert.<br />

(für die Landesgruppe: Karen Stumme)<br />

Vorsitzende: Petra Uhlig, Richard-Wagner-Str. 29, 06114 Halle<br />

Wie werden die <strong>Grundschule</strong>n<br />

gefördert?<br />

Bei genauerem Betrachten drängt sich<br />

der Eindruck auf, dass Ganztagsgrundschulen<br />

gegenüber anderen Schulformen<br />

weniger berücksichtigt wurden:<br />

■ Für <strong>Grundschule</strong>n in kommunaler<br />

Trägerschaft waren Bewerbungen von<br />

vornherein nur in Kooperation mit verschiedenen<br />

Formen der Hortbetreuung<br />

auf der Grundlage eines abgestimmten<br />

pädagogischen Konzeptes möglich.<br />

Wo ist da die neue Qualität der Ganztagsgrundschule?<br />

Viele <strong>Grundschule</strong>n<br />

haben die Kooperation mit dem Hort<br />

ohnehin in ihr Schulprogramm aufgenommen.<br />

■ Von den rund 95 Millionen Euro für<br />

die Schulen in kommunaler Trägerschaft<br />

kommen nur ca. 15 Millionen<br />

einzelnen <strong>Grundschule</strong>n zu.<br />

■ Alle Schulen, die in freier Trägerschaft<br />

gefördert werden, sind <strong>Grundschule</strong>n.<br />

Für sie stehen rund 10,5 Millionen<br />

Euro zur Verfügung.<br />

Wurden deshalb nur so wenige <strong>Grundschule</strong>n<br />

in kommunaler Trägerschaft<br />

genehmigt? Unseres Wissens hat bisher<br />

keine genehmigte <strong>Grundschule</strong> in<br />

kommunaler Trägerschaft zusätzliches<br />

Personal zur Umsetzung des Ganztagskonzeptes<br />

vom Land zur Verfügung<br />

gestellt bekommen.<br />

Ganztagsschulen können die »Treibhäuser<br />

der Zukunft« sein. Im Grundschulbereich<br />

werden dafür die Grundlagen<br />

gelegt.<br />

(für die Landesgruppe: Petra Uhlig)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />

31


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Schleswig-Holstein<br />

Vorsitzende: Bent Hirschelmann / Sybille Pahlke,<br />

Treidelweg 15, 24794 Borgstedt<br />

Studienfahrt nach Göteborg<br />

Im April 2004 besuchte eine Gruppe<br />

von 24 Lehrkräften die <strong>Grundschule</strong><br />

Torpaskola in Göteborg, an der <strong>Kinder</strong><br />

von der Vorschule bis zur 9. Klasse<br />

beschult werden. Angegliedert ist<br />

ein Haus für autistische Schülerinnen<br />

und Schüler.<br />

Wir wurden herzlich empfangen und<br />

zwei Tage lang vom Kollegium sowie<br />

Schülerinnen und Schülern über das<br />

schwedische Schulsystem und diese<br />

Schule im Besonderen anschaulich informiert.<br />

Beeindruckt waren wir von<br />

der räumlichen Ausstattung für Lehrende<br />

und Lernende sowie den zeitlichen<br />

Rahmenbedingungen für die<br />

Kooperation der Lehrkräfte miteinander<br />

und für die lerngruppenbezogene<br />

Rhythmisierung eines Schultags.<br />

Die kurzen Einblicke in die Lernformen<br />

zeigten uns, dass auch wir uns<br />

an unseren Schulen methodisch nicht<br />

zu verstecken brauchen. Das Zusammenspiel<br />

von partnerschaftlichem,<br />

respektvollem Umgang der Lehrkräfte<br />

mit ihren Schülerinnen und Schülern<br />

unter Einsatz von modernen Medien in<br />

gut ausgerüsteten Klassen- und Fachräumen<br />

wirkte allerdings entspannter<br />

und stressfreier als in unseren Schulen.<br />

Die Zuteilung von zwei bis drei Erwachsenen<br />

für Lerngruppen bis zu 25<br />

<strong>Kinder</strong>n machte individuelle Beratung<br />

und Hilfe im Unterricht möglich. Offensichtlich<br />

war auch die Hinführung<br />

zu eigenverantwortlichem Lernen und<br />

Handeln der <strong>Kinder</strong>.<br />

Ein ausführlicher Bericht mit Fotos<br />

ist im Internet unter der Adresse<br />

der Landesgruppe veröffentlicht<br />

(www.grundschulverband-sh.de).<br />

Länger gemeinsam lernen<br />

– Ein Gewinn für alle<br />

Am 30. Oktober stellte Prof. Dr. Ulf<br />

Preuss-Lausitz vor ca. 300 Zuhörern<br />

in Neumünster wissenschaftlich belegbare<br />

Erkenntnisse zur erhöhten<br />

Lernwirksamkeit in heterogenen Lerngruppen<br />

überzeugend dar. Auf der<br />

anschließenden Podiumsdiskussion<br />

herrschte Einigkeit darüber, dass die<br />

frühe Selektion nach Klasse 4 zur Verschlechterung<br />

von Bildungschancen<br />

beiträgt. Es blieb jedoch unklar, in welcher<br />

Weise die jetzige Landes regierung<br />

konkrete Schritte in Richtung einer<br />

Verlängerung der gemeinsamen Lernzeit<br />

aller <strong>Kinder</strong> gehen wird und was<br />

nach der Landtagswahl im Februar<br />

geschehen wird. Ein Antrag der Südschleswiger<br />

Wählervereinigung zur<br />

Erweiterung der Grundschulzeit auf<br />

6 Jahre fand keine Unterstützung bei<br />

SPD und den Grünen. Die Landesgruppe<br />

wird weiterhin tatsächliche Umsetzungen<br />

fordern.<br />

In Zusammenarbeit mit anderen Verbänden<br />

wie der Aktion Humane Schule,<br />

der Gemeinnützigen Gesellschaft<br />

Gesamtschule und mit Unterstützung<br />

der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

sollen ähnliche Veranstaltungen<br />

auch in Zukunft durchgeführt<br />

werden.<br />

Der neue Vorstand<br />

bleibt fast der alte<br />

Die Mitgliederversammlung am<br />

30. 10. 04 war äußerst spärlich besucht.<br />

Wir werten dies folgendermaßen:<br />

1. Schade, wo wart ihr vielen<br />

Reformunterstützer denn? Ihr habt einen<br />

interessanten Sonnabend in Neumünster<br />

verpasst. 2. Toll, wir sind bis<br />

auf Sabine Jesumann (Sabbatjahr) wiedergewählt<br />

worden. 3. Die Mehrheit<br />

wird, wenn auch still, hinter uns stehen,<br />

denn ansonsten hätte es Klagen<br />

und Gegenkandidaten gegeben. Danke<br />

für das Vertrauen, wir werden wieder<br />

unser Bestes geben.<br />

(für die Landesgruppe:<br />

S. Jesumann und A. Klimmek)<br />

Thüringen<br />

Vorsitzende: Steffi Jünemann, Hauptstr. 7, 99734 Nordhausen<br />

Qualitätsentwicklung<br />

an Thüringer Schulen<br />

Am 27. November 2004 fand an der<br />

Universität in Erfurt ein Forum zum<br />

Thema »Schulleitung und Schulentwicklung«<br />

statt. Zentrales Anliegen<br />

des Forums war es, die Entwicklung der<br />

selbstständigen und eigenverantwortlich<br />

handelnden Schule zu unterstützen<br />

und dabei den Zusammenhang<br />

zwischen Qualitäts- und Schulentwicklung<br />

zu hinterfragen.<br />

Mit Blick auf die Zukunft forderte Kultusminister<br />

Prof. Dr. Jens Göbel »Mehr<br />

Mut zur Eigenverantwortung«. Die<br />

Weichen seien gestellt und Gestaltungsspielräume<br />

eröffnet .<br />

Die einzelne Schule solle künftig noch<br />

intensiver ihre schulische Entwicklung<br />

selbst gestalten und die Ergebnisse<br />

ihres Handelns auch selbst verantworten.<br />

In den anschließenden Arbeitsgruppen<br />

wurden verschiedene Ansätze<br />

und Instrumente für Qualitäts- und<br />

Unterrichtsentwicklung sowie Praxiserfahrungen<br />

erfolgreich verlaufender<br />

Schulentwicklungsvorhaben beleuchtet<br />

und diskutiert.<br />

Zwei dieser AGs wurden durch die Landesgruppe<br />

Thüringen geleitet:<br />

■ Martina Dubiel und Antje Knuth<br />

stellten das Leitbild »Führungskraft<br />

Lehrer« der BDA (Bundesvereinigung<br />

der Deutschen Arbeitgeberverbän-<br />

Christina Ehlers war Grundschullehrerin und Schulleiterin,<br />

zuletzt Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität<br />

Oldenburg.<br />

Im Grundschulverband hat sie in verschiedenen Funktionen<br />

mitgearbeitet: im Projekt »Eine Welt in der Schule«, als<br />

Vorsitzende und Delegierte der Landesgruppe Bremen, als<br />

Schriftführerin im Bundesvorstand.<br />

Immer bereicherte sie die Arbeit durch ihr fröhliches,<br />

warmherziges und entschiedenes Engagement für eine kindgerechtere<br />

Schule.<br />

Wir halten sie in ehrendem Andenken.<br />

Für den Grundschulverband:<br />

Horst Bartnitzky, Bundesvorsitzender<br />

de) als ein Leitbild aus der Wirtschaft<br />

vor und luden die Teilnehmer der Arbeitsgruppe<br />

zur kritischen Auseinandersetzung<br />

mit diesem Papier ein. Im<br />

Anschluss wurden Ansätze erarbeitet,<br />

wie man als Schulleiter/in Lehrerinnen<br />

und Lehrer für diese wichtige Thematik<br />

sensibilisieren kann.<br />

■ »Wie kann ich in leitender Funktion<br />

die Entwicklung der Schuleingangsphase<br />

begleiten und unterstützen«:<br />

Kathrin Heckert und Christina Köhler<br />

entwickelten mit den Teilnehmer/<br />

innen einen strukturierten Weg von<br />

der Motivation über Analyse, Schwerpunktfindung,<br />

Zielformulierung und<br />

Aktivitätenplanung bis hin zur Dokumentation<br />

und Evaluation anhand theoretischer<br />

Grundlagen und praktischer<br />

Beispiele.<br />

Weiterhin war die Landesgruppe Thüringen<br />

mit einem Informations- und<br />

Bücherstand präsent.<br />

(für die Landesgruppe: Kathrin Heckert)<br />

Symposium »Lernen im<br />

Miteinander von <strong>Kinder</strong>garten<br />

und <strong>Grundschule</strong>«<br />

Schwerpunkt:<br />

<strong>Kinder</strong> wahrnehmen – Leistungen<br />

würdigen – individuell fördern<br />

Sonnabend, 16. 04. 2005, 9:00 Uhr<br />

Universität in Erfurt<br />

Dr. Christina Ehlers<br />

* 10. 2. 1958 † 5. 1. 2005<br />

32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005


+ neu + bestellen + neu + bestellen + neu + bestellen + neu + bestellen + neu + bestellen + neu + bestellen + n<br />

Aktuelles<br />

aus der Arbeit des<br />

Grundschulverbandes<br />

Die pädagogische<br />

Leistungskultur<br />

ist zurzeit ein zentrales Thema für die Arbeit des<br />

Grundschulverbandes:<br />

Soeben erschienen ist der Band 118 der Reihe<br />

»Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong>« mit dem<br />

Titel Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen –<br />

würdigen – fördern. Auf der Grundlage dieses<br />

Bandes, der auch reichhaltig Praxisbeispiele und<br />

vielfältige Anregungen zu neuen Formen des<br />

Umgangs mit Leistungen bietet, werden nun<br />

Module für die tägliche Praxis von Schulen und<br />

Lehrerfortbildung erarbeitet.<br />

Der Band 119 unserer Mitgliederreihe Pädagogische<br />

Leistungskultur – Materialien für Klasse 1 und 2<br />

wird im Sommer 2005 erscheinen und aus fünf<br />

Broschüren und einer CD mit kopierfähigen Vorlagen<br />

bestehen, die zusammen in einem Schuber<br />

verschickt werden. Hier werden Sie Materialien<br />

für Klasse 1 und 2 finden. Im Jahr 2006 folgen dann<br />

Diskutieren Sie mit !<br />

Auf der neu gestalteten Homepage haben wir neben<br />

weiteren neuen Themenschwerpunkten ein Diskussionsforum<br />

eingerichtet.<br />

In diesem Forum stellen wir regelmäßig ein <strong>aktuell</strong>es<br />

Thema zur Debatte, in das ein Sach beitrag einführt.<br />

Das erste Forum befasst sich mit dem Thema Vergleichsarbeiten<br />

(VERA), dem auch ein großer Raum in unserer<br />

Zeitschrift »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« gewidmet ist.<br />

Schreiben Sie uns –<br />

Ihre Erfahrungen sind uns wichtig!<br />

www.grundschulverband.de<br />

Band 118 ISBN 3-930024-87-X<br />

Best.-Nr.: 1076<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

Erscheinungsdatum Dez. 2004<br />

die Materialien für Klasse 3 und 4. Band 119 ISBN 930024-88-8<br />

Best.-Nr.: 1077<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

Erscheint im Sommer 2005<br />

letter + newsletter + newsletter + newsletter + newsletter + newsletter<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

der Grundschulverband gibt einen Newsletter heraus, um seine Mitglieder <strong>aktuell</strong> über Neues aus Verband und<br />

Bildungspolitik zu informieren.<br />

Zum Bezug des Newsletters haben wir zwei Anmeldemöglichkeiten bereit gestellt:<br />

das Internet unter www.grundschulverband.de/newsletter (hier liegt ein vorbereitetes Formular für Sie bereit)<br />

oder<br />

per E-Mail an newsletter@grundschulverband.de. Falls Sie diesen Weg wählen, teilen Sie uns möglichst auch<br />

Ihre Mitgliedsnummer mit und geben Ihre vollständige Anschrift an.

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