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Kinder Stärken erleben lassen

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www.grundschulverband.de · Februar 2024 · D9607F<br />

Grundschule aktuell<br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 165<br />

<strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Zum Thema<br />

• <strong>Kinder</strong>stärken!<br />

<strong>Kinder</strong> stärken!! Starke <strong>Kinder</strong>!!!<br />

Forschung<br />

• Social Entrepreneurship<br />

Education in der GS<br />

Rundschau<br />

• Frühjahrstagung des GSV<br />

am 2. März in Weimar


Inhalt<br />

Tagebuch<br />

S. 2 Warum bin ich im Grundschulverband?<br />

(St. Gärtner)<br />

Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

S. 3 <strong>Kinder</strong>stärken! <strong>Kinder</strong> stärken!! Starke <strong>Kinder</strong>!!!<br />

(M. Lassek)<br />

S. 6 Das FIT-Prinzip von Remo Largo (H. Brügelmann)<br />

S. 9 „Irgendwie sind wir alle etwas schräg …“<br />

(A. Steinhöfel im Interview)<br />

Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

S. 12 Reflexion im Dialog (P. Büker, J. Höke)<br />

S. 16 Zeigestunde (E. Auerbach, Ch. Knott)<br />

S. 17 Ein Nachdenkprojekt zum <strong>Kinder</strong>buch<br />

„Rigo und Rosa“ (V. Petersson, I. Hoppe)<br />

S. 19 <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong> (T. Schubert)<br />

S. 21 Gemeinsam sind wir stark! (M. Remy)<br />

S. 25 <strong>Stärken</strong>orientierung in Unterricht,<br />

Schule und Schulberatung (M. Bauernschuster)<br />

S. 27 Die Reformen im <strong>Kinder</strong>fußball (L. Voß)<br />

S. 29 <strong>Kinder</strong>bücher zum Thema (M. Gutzmann)<br />

Irgendwie sind wir alle etwas schräg<br />

Hans Brügelmann und Erika Brinkmann kommen ins Gespräch<br />

mit dem <strong>Kinder</strong>buchautor Andreas Steinhöfel zur<br />

Entstehung seiner zwei seit Jahren bekanntesten <strong>Kinder</strong>buchhelden<br />

„Rico und Oscar“. Diese beiden gehören zur<br />

vielgestaltigen Welt seiner Figuren, die oftmals Außenseiter<br />

oder Benachteiligte sind. In diesem Gespräch nimmt Andreas<br />

Steinhöfel auch Bezug auf unterschiedliche Verhaltensweisen<br />

im Umgang von Lehrkräften und <strong>Kinder</strong>n miteinander<br />

im Vergleich zu seiner eigenen und der heutigen Schulzeit.<br />

Seite 9–11<br />

Zeigestunde: Jeder kann etwas<br />

Elena Auerbach und Christiane Knott<br />

erzählen von einfachen Möglichkeiten<br />

in ihrem Schulalltag, wie <strong>Kinder</strong><br />

zeigen können, dass sie zu mutigen<br />

Referent:innen, Erzähler:innen, Darsteller:innen<br />

oder Künstler:innen werden<br />

können in einer „Zeigestunde“ mit von<br />

den <strong>Kinder</strong>n selbst gewählten Themen.<br />

Seite 16–17<br />

Aus der Forschung<br />

S. 31 Chancen von Social Entrepreneurship Education<br />

in der Grundschule (J. Dreischer, M. Hess)<br />

Rundschau<br />

S. 35 Eine Welt in der Schule: Mit kleinen Schritten<br />

(vielleicht) etwas Großes bewirken (U. Oltmanns)<br />

S. 36 Bürgerinnen und Bürger machen mobil für eine<br />

bessere Bildung (H. Brügelmann)<br />

S. 38 Aus dem Vorstand: Ankündigung der<br />

Frühjahrstagung (M. Gutzmann)<br />

S. 39 LemaS – Leistung macht Schule<br />

(E.-M. Osterhues-Bruns)<br />

S. 40 Bündnis „Eine für alle – Die inklusive Schule für<br />

die Demokratie“ (U. Widmer-Rockstroh)<br />

S. 41 Zur Serie: Ein Beispiel aus der Lehrkräftebildung in<br />

der Grundschuldidaktik Mathematik<br />

(A. Grajek, S. Wöller, A. Mathea-Kreuter)<br />

S. 44 Mitteilung: Zum Tod von Gertraud Greiling<br />

Landesgruppen aktuell – unter anderem:<br />

S. 45 Berlin: Die Landesgruppe Berlin hat wieder<br />

einen Vorstand<br />

S. 49 Mecklenburg-Vorpommern: Leseband und<br />

Lehrermangel<br />

Impressum<br />

GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />

erscheint vierteljährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt<br />

(ausgenommen Unterstützer:innen).<br />

Das einzelne Heft kostet 12,00 € (zzgl. Porto innerhalb Deutschlands)<br />

Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />

Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />

Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />

www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />

Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />

Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />

gabriele.klenk@grundschulverband.de<br />

Fotos und Grafiken: Titelfotos von J. Sarbach, BRUTHO, A. Thurau/S. Stein;<br />

SV Werder Bremen/S. 28; © Jacqueline Dreischer (S. 31–34);<br />

https://bildungswende-jetzt.de/presse/ (S. 36);<br />

Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders vermerkt)<br />

Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />

Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />

info@grundschulverband.de<br />

Druck: WKS Print Partner GmbH, 34587 Felsberg<br />

ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6109<br />

Beilage: Friedrich Verlag GmbH<br />

UII<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Diesmal<br />

Gemeinsam sind wir stark<br />

Am Beispiel des Lernformats<br />

FREI DAY beschreibt Miriam<br />

Remy für die Organisation<br />

„Schule im Aufbruch in NRW“,<br />

wie <strong>Kinder</strong> sich stark fühlen<br />

können, wenn ihre eigenen<br />

Fragen im Hier und Jetzt im<br />

Mittelpunkt des Schulalltags<br />

stehen, wenn sie spüren,<br />

dass sie selbst mit anpacken dürfen, gebraucht werden<br />

und ein wichtiger Teil der Gemeinschaft sind. Dabei<br />

stellt sie auch das hohe Wachstumspotenzial für <strong>Kinder</strong><br />

im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />

dar mit dem Ziel von BNE, zu einer sichtbaren und spürbaren<br />

Veränderung in der Welt beizutragen und sich<br />

selbst und das eigene Handeln als wirksam zu <strong>erleben</strong>.<br />

Noch mehr Grundschulverband?<br />

Sie finden uns auf Social Media,<br />

Stichwort „Grundschulverband“<br />

und unseren Podcast direkt auf unserer<br />

Homepage:<br />

www.<br />

grundschule-aktuell.info<br />

Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“<br />

und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />

www.<br />

https://grundschulverband.de<br />

Newsletter noch nicht abonniert?<br />

Mit diesem QR-Code gelangen Sie<br />

direkt zur Anmeldung:<br />

grundschulverband.de/archiv/<br />

Seite 21–24<br />

In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />

ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />

Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />

Lösung für das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />

jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form.<br />

Liebe Leser*innen,<br />

in einer Zeit, in der durch IGLU, PISA und Co in der Öffentlichkeit<br />

vor allem auf Schwächen von Schüler*innen hingewiesen<br />

wird, spiegeln die besorgniserregenden Leistungsabfälle, wie<br />

sehr sich fehlende Investitionen in das staatliche Bildungssystem<br />

auf Lern- und Leistungsmöglichkeiten von <strong>Kinder</strong>n<br />

und Jugendlichen auswirken. In Zusammenhang mit den Forderungen<br />

der UN-Behindertenkonvention ist es bedeutsam,<br />

den Blick auch darauf zu richten, wie gut die Schule alle <strong>Kinder</strong><br />

fördert, wie bedarfsgerecht Ressourcen und Personal verteilt,<br />

wie gut Lern- und Arbeitsbedingungen ausgestaltet sind. Aus<br />

Sicht des Grundschulverbands muss der Blick auf die bislang<br />

schlechtesten Ergebnisse der PISA-Studie vor allem dazu beitragen,<br />

die Verantwortung der Politik einzufordern und endlich<br />

die strukturelle Benachteiligung der Grundschulen aufzulösen.<br />

Wenn schlussfolgernde Maßnahmen aus den PISA-Ergebnissen<br />

die Basiskompetenzen in Deutsch und Mathematik in den Ländern<br />

in den Mittelpunkt stellen und damit die Lernleistung von<br />

<strong>Kinder</strong>n auf diese beiden Bereiche einengen, gerät das <strong>Kinder</strong>recht<br />

auf allseitige schulische Bildung aus dem Blick.<br />

Aus diesem Grund widmet sich das aktuelle Heft dem Thema<br />

„<strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong>“ und den vielfältigen Facetten,<br />

wie in der Grundschule die individuellen <strong>Stärken</strong> der <strong>Kinder</strong><br />

wahrgenommen, entwickelt und sichtbar gemacht werden<br />

können. Dabei geht es um Fragen wie z. B.: Um welche <strong>Stärken</strong><br />

von <strong>Kinder</strong>n geht es? Wie können förderliche Situationen für<br />

<strong>Kinder</strong> geschaffen werden? Welchen Raum brauchen <strong>Kinder</strong>,<br />

um sich weiterentwickeln zu können? Letztendlich geht es um<br />

einen Perspektivwechsel von der verbreiteten Defizitorientierung<br />

hin zu einem ganzheitlichen Blick auf <strong>Kinder</strong>, der ihre<br />

individuellen <strong>Stärken</strong> in den Vordergrund stellt.<br />

Im einleitenden Beitrag „<strong>Kinder</strong>stärken! <strong>Kinder</strong> stärken!! Starke<br />

<strong>Kinder</strong>!!!“ hebt Maresi Lassek hervor, wie wichtig es ist, <strong>Kinder</strong><br />

zu (be)stärken, damit sie sich zu selbstbewussten und verantwortungsvollen<br />

Persönlichkeiten entwickeln können. <strong>Kinder</strong><br />

stark zu machen meint, dass sie ihre <strong>Stärken</strong> erfahren können,<br />

ihre <strong>Stärken</strong> für ein vertrauensvolles und respektvolles Miteinand<strong>erleben</strong><br />

in der Lebenswelt Familie, im Lern- und Lebensraum<br />

Schule entwickeln und sich somit auf ihre Zukunft in einer globalisierten<br />

und von digitalen Informationstechnologien zunehmend<br />

bestimmten Welt vorbereiten. Die „Anforderungen an eine zukunftsfähige<br />

Grundschule“ aufgreifend, betont Maresi Lassek die<br />

Position des Grundschulverbandes, dass es primär darum geht,<br />

das Kind durch eine allgemeine Bildung in seiner ganzen Persönlichkeit<br />

zu stärken.<br />

Mit diesem Heft möchten wir Sie zugleich zu unserer bundesweit<br />

ausgerichteten Frühjahrstagung „KINDER. LERNEN.<br />

ZUKUNFT. JETZT! 2.0 – Herausforderungen und Perspektiven“<br />

am 2. März 2024 an der Grundschule Pestalozzi in Weimar<br />

einladen. Freuen Sie sich auf ein anspruchsvolles, vielseitiges<br />

und abwechslungsreiches Tagungsprogramm zu fachbezogenen<br />

und überfachlichen, zu bildungspolitisch relevanten<br />

und gesellschaftspolitischen Fragestellungen – zur Stärkung<br />

einer zukunftsfähigen Grundschule mit starken <strong>Kinder</strong>n!<br />

Wir bleiben nicht nur dazu mit Ihnen weiterhin im Gespräch.<br />

Herzlichst<br />

Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />

sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

1


Tagebuch<br />

Warum bin ich im Grundschulverband?<br />

Stefanie Gärtner<br />

ist Grundschullehrerin<br />

und im Vorstand der<br />

Landesgruppe Brandenburg<br />

Ich bin Stefanie Gärtner und war im Mai 2023 das erste<br />

Mal bei einer Delegiertenversammlung des Grundschulverbands<br />

für die Landesgruppe Brandenburg dabei.<br />

Diese beiden Tage waren sehr inspirierend für mich und<br />

ich freue mich darauf, in meine Rolle und Aufgabe als<br />

Delegierte weiter hineinwachsen zu können. Mir ist der<br />

mündliche Austausch mit anderen und der Blick über den<br />

Zaun sehr wichtig.<br />

Begonnen hat meine Mitgliedschaft in Berlin bei einer<br />

Tagung im Jahr 2012 zum Thema Inklusion. Dort gab es<br />

anregungsreiche Workshops. Da ich mich noch mitten im<br />

Studium befand, fiel meine Wahl natürlich auf einen Mathematikworkshop.<br />

Die Workshopleiterin hat mich tatkräftig<br />

bei meinem Vorhaben unterstützt, meine Bachelorarbeit<br />

über natürliche Differenzierung im Mathematikunterricht<br />

zu schreiben und auch gemeinsam mit <strong>Kinder</strong>n<br />

eine Lernumgebung auszuprobieren. Bei meiner Recherche<br />

bin ich dabei immer wieder auf Literatur von Prof.<br />

Dr. Marcus Nührenbörger gestoßen. Als ich dann meine<br />

Masterarbeit geschrieben habe, waren meine wesentlichen<br />

Grundlagen für die theoretische Fundierung und den Praxisbezug<br />

die Bände 119 und 121 zum Thema pädagogische<br />

Leistungskultur vom Grundschulverband, die mir wichtige<br />

Impulse für meine weitere Arbeit gaben. Da war es dann<br />

auch Prof. Dr. Christoph Selter, der mir mit seinen Texten<br />

ebenso weitergeholfen hat.<br />

Mein besonderes Interesse war geweckt, als ich erfahren<br />

habe, dass beim Bundesgrundschulkongress 2019 genau<br />

diese beiden Mathematikdidaktik-Vorbilder (für mich)<br />

dabei sein sollten. Also bin ich nach Frankfurt am Main<br />

gefahren und habe an dieser eindrucksvollen Veranstaltung<br />

teilgenommen und meine Vorbilder endlich live <strong>erleben</strong><br />

können. Nach 2019 kam dann Corona. Durch versetzte<br />

Pausenzeiten war der Austausch im Kollegium kaum<br />

noch möglich und ich war weiter auf der Suche nach pädagogischen<br />

Impulsen für die Arbeit in der Grundschule.<br />

Die Landesgruppe Brandenburg hatte zu dieser Zeit zu<br />

einer Online-Mitgliederversammlung eingeladen, und so<br />

wurde ich Gast im Vorstand und konnte erste Einblicke<br />

in die Vorstandsarbeit nehmen. Durch die Online-Treffen<br />

wurde es für mich möglich, mich einzubringen und<br />

die Arbeit in der Landesgruppe Brandenburg zu unterstützen.<br />

So habe ich z. B. versucht, einen „Online-Kaffeeklatsch<br />

mit Steffi“ am Abend alle zwei Monate (der erste<br />

Donnerstag in den geraden Monaten) auf die Beine zu<br />

stellen. Das brauchte einen langen Atem und ich bin auch<br />

froh, dass ich nicht aufgegeben habe. So war ich überglücklich,<br />

dass beim letzten Kaffeeklatsch im Dezember<br />

mehr als nur drei Personen und sogar aus vier verschiedenen<br />

Bundesländern teilgenommen haben. Der länderübergreifende<br />

Austausch war sehr anregend und es gab<br />

viele Denkanstöße zur Weiterarbeit an Themen wie PISA-<br />

Ergebnisse, Umsetzung des gemeinsamen Lernens trotz<br />

fehlender Ressourcen, jahrgangsgemischtes Lernen und<br />

gemeinsames Lernen von 1 bis 10. Auf den nächsten Kaffeeklatsch<br />

bin ich gespannt. Auch wenn es Unterschiede<br />

in den Ländern gibt, eins haben wir vor allem gemeinsam:<br />

Was ist gut für das Kind?<br />

Stolz bin ich auch darauf, dass wir an meiner Schule,<br />

der Fontane Grundschule Niederlehme, im Juni einen<br />

Grundschultag unter dem Motto „<strong>Kinder</strong> lernen Lesen.<br />

Jetzt!“ mit anschließender Mitgliederversammlung und<br />

Vorstandswahl nach vier Jahren erstmalig wieder als Präsenzveranstaltung<br />

durchführen konnten und ich in den<br />

Vorstand der Landesgruppe Brandenburg gewählt worden<br />

bin.<br />

Inzwischen nehme ich auch an den Treffen der Social-<br />

Media-Gruppe teil und habe es mithilfe der anderen Landesgruppen<br />

geschafft, dass ich mich als Social-Media-Beauftragte<br />

der Landesgruppe Brandenburg wohlfühle, obwohl<br />

ich vorher keine Ahnung davon hatte. Dieses ständige<br />

Weiterkommen in vielfältigen Bereichen und der<br />

kontinuierliche Austausch geben mir immer wieder Kraft<br />

und Energie für den Schulalltag. Auch die Bände und Zeitschriften<br />

bieten mir beim Pendeln im Zug zwischen meinem<br />

Wohnort in Berlin und meiner Arbeitsstelle in Brandenburg<br />

einen tollen Input, weiter dranzubleiben und den<br />

Unterricht weiterzuentwickeln oder gern auch „Neueinsteiger*innen“<br />

zu unterstützen.<br />

2<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Maresi Lassek<br />

<strong>Kinder</strong>stärken! <strong>Kinder</strong> stärken!!<br />

Starke <strong>Kinder</strong>!!!<br />

Das Wortspiel in der Überschrift möchte auf die zahlreichen Facetten des Themenschwerpunkts<br />

in diesem Heft aufmerksam machen: <strong>Kinder</strong> stark zu machen<br />

meint, sie dabei zu unterstützen, ihre <strong>Stärken</strong> erfahren zu können. <strong>Stärken</strong>, die<br />

sie für ihre Zukunft in einer globalisierten und von digitalen Informationstechnologien<br />

zunehmend bestimmten Welt brauchen, <strong>Stärken</strong> für gesellschaftliche<br />

und technische Veränderungen, die ihre Eltern, Pädagoginnen, Pädagogen und<br />

politisch Verantwortliche nur erahnen können.<br />

Es geht um Fragen, wie möglichst<br />

vielen <strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen<br />

der jetzigen und zukünftiger<br />

Generationen Chancen eröffnet werden<br />

können, ihre individuellen Möglichkeiten<br />

zu entdecken, deren Wirkung zu<br />

erproben, daraus Folgerungen für das<br />

eigene Handeln zu ziehen, aus den <strong>Stärken</strong><br />

zu lernen und mit deren Hilfe Mut<br />

und Energie zu entwickeln, sich auch<br />

mit neuen, vielleicht mühsamen und<br />

kritischen Aufgaben und Problemen<br />

auseinanderzusetzen. Für dieses Ziel<br />

sind gleichermaßen die Lebenswelt<br />

Familie wie auch der Lebens- und Lernraum<br />

Schule bedeutsam und verantwortlich.<br />

Dieser Beitrag möchte<br />

zudem aufzeigen, wie wichtig es ist, <strong>Kinder</strong><br />

zu (be)stärken, damit sie sich zu<br />

selbstbewussten und verantwortungsvollen<br />

Persönlichkeiten entwickeln,<br />

um – gut ausgestattet – ihre eigene<br />

Zukunft mitzugestalten sowie an der<br />

Zukunftsgestaltung der Gesellschaft<br />

aktiv mitwirken zu können.<br />

„Es braucht ein ganzes Dorf,<br />

um ein Kind aufzuziehen,“ …<br />

… formuliert ein Sprichwort aus Afrika<br />

eine Aussage, die ebenso für das<br />

Anliegen „<strong>Kinder</strong> stärken“ stehen kann.<br />

Das „Dorf “, das sind selbstverständlich<br />

Eltern und Familie, weiterhin die Kita,<br />

die Schule, der Sportverein und andere<br />

sowie die Nachbarschaft. Gehört<br />

zu werden, eingebunden und beteiligt<br />

zu sein in der Familie, über Bildungsinstitutionen,<br />

über Sozial- und Freizeitangebote<br />

stärkt – im besten Fall im<br />

Zusammenwirken aller – das Kind.<br />

Aus unterschiedlichen Gründen gelingt<br />

es manchen Eltern nicht, ihr Kind<br />

auf einen sicheren und stabilen Zukunftsweg<br />

zu bringen, ihm <strong>Stärken</strong> mitzugeben,<br />

die helfen, die Anforderungen<br />

der Schule und Veränderungen durch<br />

unterschiedliche soziale Bezüge gut zu<br />

meistern. Umso präsenter muss den Erziehenden<br />

und Lehrkräften in Kita und<br />

Schule sein, dass sie Verantwortung für<br />

alle <strong>Kinder</strong> tragen, einige davon ihre<br />

Unterstützung intensiver benötigen und<br />

unterschiedliche Ausgangsbedingungen<br />

nicht automatisch zu ungleichen Chancen<br />

führen dürfen. Die Schulgemeinschaft<br />

hat hohe Bedeutung, wenn es um<br />

das kognitive und lebenskundliche Lernen<br />

geht, genauso auch dafür, dass <strong>Kinder</strong><br />

gute mentale und soziale Grundlagen<br />

für das Zusammenleben in einer<br />

Gemeinschaft erwerben können. Mit<br />

dem Auftrag, die individuellen Möglichkeiten<br />

von <strong>Kinder</strong>n in einer inklusiven<br />

Lerngemeinschaft zu erkennen, zu würdigen<br />

und zu stärken, ist ein hoher Anspruch<br />

verbunden.<br />

Es braucht ein ganzes Dorf,<br />

… und es geht um <strong>Stärken</strong><br />

und um das <strong>Stärken</strong>, …<br />

… aber es geht nicht für alle um<br />

das Gleiche, sondern um individuell<br />

unterschiedliche <strong>Stärken</strong>. <strong>Stärken</strong>,<br />

die jedem Kind auf seine Weise<br />

ermöglichen, mit sich selbst, seiner<br />

Rolle in Familie und Schulgemeinschaft,<br />

mit Herausforderungen und<br />

Anregungen neugierig, mutig und<br />

selbstbewusst umzugehen und darüber<br />

hinaus die Reaktionen und Verhaltensweisen<br />

anderer zu beobachten<br />

und verstehen zu lernen. <strong>Stärken</strong>, die<br />

im kognitiven und handwerklichen<br />

Können, im sozialen, schulischen, indi-<br />

Maresi Lassek, Mitglied im Vorstand<br />

der GSV-Landesgruppe Bremen<br />

viduellen und gemeinsamen Lernen,<br />

in der Bewältigung von Hindernissen<br />

und Krisen liegen können, deren Entwicklung<br />

geprägt ist von Erfahrungen,<br />

Ermutigungen, Erfolgserlebnissen, auch<br />

Misslingensmomenten, von Vertrauen,<br />

Sicherheit, Strukturen und Beziehungen.<br />

Nicht selbstverständlich sind allen <strong>Kinder</strong>n<br />

in ihrem Lebensumfeld und im<br />

Laufe ihrer Biografie Möglichkeiten<br />

gegeben, ihre besonderen <strong>Stärken</strong> auch<br />

zu erfahren und zu erproben.<br />

Trotzdem soll sich jedes Kind seiner<br />

<strong>Stärken</strong> bewusst werden können und<br />

darüber das Vertrauen entwickeln, seine<br />

Schwächen nicht verstecken zu müssen,<br />

sondern konstruktiv damit umzugehen,<br />

vielleicht sogar offensiv, wie es Andreas<br />

Steinhöfel in einem Interview vertritt.<br />

Bildungschancen sind ungleich verteilt.<br />

Besonders wir in Deutschland wissen,<br />

dass Bildungsentwicklung viel zu<br />

stark abhängig ist von den durch das Elternhaus<br />

ermöglichten Startbedingungen<br />

und die mehr oder weniger gelingende<br />

Kompensation in den Bildungseinrichtungen.<br />

Kita und Schule können<br />

es unter den gegebenen Bedingungen<br />

nicht schaffen, die Startbedingungen von<br />

<strong>Kinder</strong>n chancengerecht auszugleichen.<br />

Sie können es nicht schaffen, all die Gelegenheiten,<br />

die ein ökonomisch gut situiertes<br />

Familiengefüge einem Kind von<br />

Geburt an bieten kann, über kognitiv anregende,<br />

sprachlich fördernde, kulturelle<br />

und soziale Anregungen zur Verfügung<br />

zu stellen. Aber sie können <strong>Kinder</strong> in<br />

ihrem Selbstbewusstsein und Selbstbild<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

3


Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

stärken, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

anerkennend begleiten und ein Klima<br />

des Respekts untereinander unterstützen.<br />

<strong>Kinder</strong> aus benachteiligten Familien<br />

so zu unterstützen, dass sie die ihnen<br />

zustehenden Bildungschancen auch nur<br />

annähernd bekommen und nutzen können,<br />

erfordert, bezogen auf Verantwortung,<br />

auch einen Blick auf das politische<br />

Handeln.<br />

Die mit der Veröffentlichung der Ergebnisse<br />

der PISA-Studie 2022 verbundenen<br />

politischen Erklärungsversuche<br />

und Forderungen beinhalten ein Tableau<br />

von vermuteten Ursachen für den<br />

Abfall der registrierten Leistungen. Das<br />

schlechte Ergebnis der 15-Jährigen wird<br />

auf Mängel in der frühkindlichen Bildung<br />

zurückgeführt, auf eine zu heterogene<br />

Schülerschaft, auf unzureichende<br />

Grundkompetenzen im Schreiben, im<br />

Rechnen und besonders im Lesen, auf<br />

Sanierungsstau bei Schulgebäuden, fehlende<br />

Kita- und Schulgebäude und den<br />

Mangel an Erzieher*innen und Lehrkräften.<br />

Diskutiert wird ebenso das Für<br />

und Wider der Digitalisierung. Als Ursache<br />

diagnostiziert werden zudem unzureichende<br />

sprachliche Kompetenzen<br />

bei deutschsprachig und besonders bei<br />

mehrsprachig aufwachsenden <strong>Kinder</strong>n.<br />

All das kann eine Rolle spielen. Daher<br />

ist die Fokussierung auf die Basiskompetenzen,<br />

insbesondere das Lesen, und<br />

evidenzbasierte Förderprogramme unzureichend.<br />

Es braucht eine grundsätzlich<br />

deutlich bessere Ausstattung von<br />

Schulen in herausfordernder Lage.<br />

Gehandelt werden muss an vielen<br />

Stellen. Drei Handlungsebenen bzw.<br />

Baustellen sollen hier kurz skizziert<br />

werden: die politische, die pädagogische<br />

und die Ausgangslage der <strong>Kinder</strong>.<br />

● Politisches Handeln<br />

Insbesondere die ökonomische<br />

Ungleichverteilung von Familieneinkommen<br />

wirkt sich auf die Bildungsbe(nach)teiligung<br />

von <strong>Kinder</strong>n aus.<br />

<strong>Kinder</strong> zu stärken verlangt daher, ihre<br />

ökonomische Ausgangslage zu verbessern<br />

und barrierefreier zu gestalten,<br />

wie es die geplante <strong>Kinder</strong>-Grundsicherung<br />

ab 2025 leisten soll. Mit der<br />

Grundsicherung wird nicht die <strong>Kinder</strong>armut<br />

abgeschafft werden können, aber<br />

es können individuelle psychische, physische<br />

und gesundheitliche Belastungen<br />

gemindert werden.<br />

Um Bildungschancen zu erhöhen,<br />

braucht es daneben eine grundsätzlich<br />

bessere Ausstattung der Bildungseinrichtungen.<br />

Schulen mit einem hohen Anteil<br />

von <strong>Kinder</strong>n aus armen Familien müssen<br />

zusätzliche Ressourcen zugewiesen bekommen,<br />

um über ausgleichende Angebote<br />

im künstlerischen, kreativen, sprachlichen,<br />

praktischen und bewegungspädagogischen<br />

Bereich <strong>Kinder</strong>n Erfahrungen,<br />

die ihnen ansonsten verwehrt bleiben, zu<br />

ermöglichen. Das bereits in der Umsetzung<br />

befindliche Startchancenprogramm<br />

wird sich auf Schulbau und Schulsanierung<br />

sowie Sozialarbeit konzentrieren.<br />

Es reicht bei Weitem nicht aus, um Schulen<br />

so auszustatten, dass sie familiale Bildungsbenachteiligungen<br />

besser kompensieren<br />

könnten. Auch schafft das zwischen<br />

den Bundesländern ausgehandelte<br />

Verteilungsverfahren der Gelder eine tatsächlich<br />

bedarfsgerechte Verteilung nicht.<br />

Von größtem Interesse für die Politik<br />

muss sein, dass <strong>Kinder</strong> und Jugendliche<br />

über ihre Schulen möglichst viel Weltwissen<br />

und Fähigkeiten erhalten, damit ihre<br />

Potenziale gefördert, ihre Beteiligung ermöglicht<br />

und ihre Chancen erhöht werden;<br />

sie werden später für eine demokratische<br />

Gesellschaft und als Fachkräfte für<br />

das Gemeinwohl aller gebraucht.<br />

● Pädagogisches Handeln<br />

Nicht alle Verantwortung, die den<br />

Bildungseinrichtungen zugeschrieben<br />

wird, kann von diesen allein gemeistert<br />

werden. Die Heterogenität der Schülerschaft<br />

hat sich zunehmend vergrößert<br />

u. a. durch den hohen Anteil an <strong>Kinder</strong>n,<br />

die zweisprachig und in unterschiedlichen<br />

kulturellen Zusammenhängen<br />

aufwachsen, die Unterschiedlichkeit<br />

der Familienkonstellationen<br />

(weg vom traditionellen Familienbild)<br />

und die veränderten Möglichkeiten der<br />

Eltern, ihre <strong>Kinder</strong> zu unterstützen. Von<br />

den Grundschulen fordert das eine hohe<br />

Anpassungsleistung, die mit zusätzlichen<br />

Ressourcen unterstützt werden muss.<br />

Diese Unterschiedlichkeit anzunehmen<br />

und die Bedürfnisse des einzelnen<br />

Kindes zu erkennen liegt in der Verantwortung<br />

der Pädagoginnen und Pädagogen<br />

und verlangt diagnostische Kompetenz<br />

und Zeit. Als wichtiger Schritt<br />

in der Unterstützung der <strong>Kinder</strong> gilt es,<br />

pädagogische Beziehungen zu intensivieren,<br />

ihr Vertrauen zu gewinnen, Geborgenheit<br />

zu geben und damit ihre Zuversicht<br />

zu erhöhen. Um die Schule als<br />

Ort der Lebens- und Lernfreude zu gestalten,<br />

als Ort der Sicherheit und Zugehörigkeit,<br />

wie es der Grundschulverband<br />

fordert (vgl. Hecker u. a. 2020), braucht<br />

es eine starke Schulgemeinschaft. Sozial<br />

ausgerichtete Aufgaben abzutrennen<br />

und an die Sozialarbeit zu „delegieren“<br />

wird dem Anspruch nicht gerecht.<br />

● Familie und Wohnumfeld –<br />

individuelle Ausgangslage<br />

Die ökonomische Ausgangslage der <strong>Kinder</strong><br />

bzw. der Familien im Wohnquartier<br />

ist insbesondere den Grundschulen<br />

meist bekannt. Aus der Wohnlage lässt<br />

sich ableiten, an welchen Erfahrungen<br />

es den <strong>Kinder</strong>n mangeln könnte, was<br />

ihnen das Leben schwer macht, woran<br />

sie nicht teilhaben können (vgl. Heft 107<br />

von Grundschule aktuell zum Thema<br />

„allen <strong>Kinder</strong>n gerecht werden“).<br />

Dafür Ausgleiche zu schaffen ist die<br />

eine Seite der Herausforderung.<br />

Schwieriger ist der Blick auf die Sorgen<br />

von <strong>Kinder</strong>n, ihre Ängste und<br />

Hemmnisse im Zusammenleben, gerade<br />

in der schwierigen Zeit während und<br />

nach der Pandemie sowie vielfältiger<br />

Krisen und Kriege in der Welt, die auch<br />

vor unseren <strong>Kinder</strong> nicht haltmachen.<br />

<strong>Kinder</strong>n über ein vertrauensvolles und<br />

respektvolles Miteinander und ehrliche,<br />

ernst gemeinte Beziehungen Zuversicht<br />

und Verlässlichkeit zu vermitteln, wird<br />

sie grundsätzlich ermutigen, ihre Ideen<br />

und Überlegungen in die Gemeinschaft<br />

einzubringen, weil sie Blamage nicht<br />

fürchten müssen. Ein vertrauensvolles<br />

Klima kann <strong>Kinder</strong>n helfen, offener zu<br />

werden und trotz wenig gesicherter Voraussetzungen<br />

einen selbstbewussteren<br />

Weg einzuschlagen. Dafür braucht es<br />

Lehrkräfte und andere Erwachsene, die<br />

ihre Fähigkeiten erkennen, ihnen Beteiligung<br />

ermöglichen, Ziele aufzeigen und<br />

verlässliche Begleitung anbieten.<br />

Weitere Unterstützungsangebote<br />

– das Dorf<br />

Alle <strong>Kinder</strong> und besonders diejenigen, die<br />

Unterstützungsbedarf signalisieren, in den<br />

Unterricht und in das soziale Miteinander<br />

der Klasse und der Schulgemeinschaft<br />

einzubinden ist eine herausfordernde<br />

pädagogische Aufgabe, die sowohl tragende<br />

pädagogische Beziehungen<br />

braucht wie auch ein „Klima“ für diesen<br />

4 GS aktuell 165 • Februar 2024


Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

inklusiven Ansatz. Als unterstützend bzw.<br />

sogar erforderlich aufgrund schulstandortspezifischer<br />

Bedingungen oder wegen<br />

der Bedürfnisse einzelner <strong>Kinder</strong> können<br />

sich außerschulische Projektangebote<br />

erweisen. Diese Anregungen und Hilfen<br />

einzubeziehen erhöht das Potenzial der<br />

Schule und zeigt gleichzeitig auf, was in<br />

Schule zum Wohl der <strong>Kinder</strong> zu leisten<br />

ist. „Außen-Angebote“ sind vielfältig und<br />

sehr unterschiedlich aufgestellt.<br />

Ein kurzer Überblick über<br />

Initiativen bzw. Anbieter:<br />

● Kommunale, regionale oder bundeslandspezifische<br />

Projekte sowie Fördermittel<br />

der Ministerien <strong>lassen</strong> sich<br />

über entsprechende Internetplattformen<br />

finden.<br />

● Die Bundeszentrale für gesundheitliche<br />

Aufklärung (BZgA) bietet Materialien<br />

und Konzeptbeispiele für<br />

Lehrkräfte an, die eingesetzt werden<br />

können, um <strong>Kinder</strong> beim Entdecken<br />

ihrer Fähigkeiten und bei der Entwicklung<br />

von mehr Selbstbewusstsein<br />

zu unterstützen. Die Materialien<br />

haben gleichzeitig Suchtprävention<br />

im Blick und machen auf Signale<br />

aufmerksam. Die Angebote können<br />

auf der Internetseite der BZgA eingesehen<br />

und überwiegend kostenlos<br />

abgerufen werden.<br />

● Serviceclubs wie Rotarier oder Lions<br />

Club und andere bieten sowohl Projekte<br />

als auch finanzielle Unterstützung<br />

an.<br />

● Anbieter aus dem kommerziellen Bereich<br />

können für die Gestaltung und<br />

die Durchführung von Schulprojekten<br />

engagiert werden. Am bekanntesten<br />

in diesem Zusammenhang sind<br />

Zirkus- und Draußenprojekte, die für<br />

<strong>Kinder</strong> eine völlig neue und stärkende<br />

Erfahrung bringen können, vor allem<br />

wenn sie mit der ganzen Schulgemeinschaft<br />

durchgeführt werden.<br />

● Ehrenamtliche Unterstützung durch<br />

sog. Grundschulpaten, die mit einzelnen<br />

<strong>Kinder</strong>n oder kleinen Gruppen<br />

in der Schule arbeiten, ihnen<br />

zuhören, sie bei den Hausaufgaben<br />

betreuen u. v. mehr.<br />

Spezielle Angebote und Programme<br />

auf dem kommerziellen Markt richten<br />

sich auch direkt an Eltern und bieten<br />

Beratung und Unterstützung an. Da<br />

diese Programme kostenpflichtig sind,<br />

bleiben sie einer bestimmten Zielgruppe<br />

vorbehalten.<br />

Positionen des Grundschulverbands<br />

Grundsätzlich verlangt das Anliegen<br />

„<strong>Kinder</strong> stärken“ – genau wie Inklusion<br />

– individuelle Erziehung und Bildung in<br />

einer Gemeinschaft von Verschiedenen<br />

mit dem Ziel, die gesellschaftliche Teilhabe<br />

für alle <strong>Kinder</strong> und Jugendlichen<br />

sicherzustellen. Das schließt klassische<br />

Lerninhalte, fächerübergreifendes<br />

und soziales Lernen wie auch die Hoffnung<br />

ein, dass jedes Kind auf Basis seiner<br />

Voraussetzungen Selbstvertrauen<br />

und Zuversicht für seine Zukunft entwickeln<br />

kann. Dafür müssen <strong>Kinder</strong> die<br />

eigenen Handlungsmöglichkeiten im<br />

Zusammenwirken mit anderen erfahren<br />

können. Dann haben sie die Chance, die<br />

sozialen Abläufe um sich herum einzuordnen,<br />

Reaktionen anderer auf ihr Verhalten<br />

besser zu verstehen und Sicherheit<br />

zu gewinnen für ihre Person und für das<br />

Mitgestalten in der Gemeinschaft.<br />

Der Grundschulverband formuliert<br />

diesen Anspruch der <strong>Kinder</strong> als allseitige<br />

Bildung und beschreibt dazu in seinen<br />

„Anforderungen an eine zukunftsfähige<br />

Grundschule“ (grundschulverband.de/<br />

unsere-themen/anforderungen-an-einezukunftsfaehige-grundschule),<br />

dass Politik,<br />

Pädagogik und Gesellschaft in der<br />

Verpflichtung stehen,<br />

– ein allseitiges Bildungsangebot bereitzustellen,<br />

– ein kindgerechtes Leistungskonzept<br />

zu entwickeln,<br />

– anregungsreiche Lernumgebungen<br />

zu schaffen,<br />

– eine qualitätsvolle Personalausstattung<br />

umzusetzen<br />

– und Konzepte für inklusives und längeres<br />

gemeinsames Lernen verbindlich<br />

festzuschreiben.<br />

Bei diesen Anforderungen geht es nicht<br />

darum, Inhalte und Gegenstände nach<br />

ihrer unmittelbaren Nützlichkeit für<br />

eine ökonomische Verwertbarkeit auszusuchen,<br />

sondern primär darum, das Kind<br />

durch eine allgemeine Bildung in seiner<br />

ganzen Persönlichkeit zu stärken.<br />

Beiträge zum Schwerpunktthema<br />

in diesem Heft …<br />

… beschreiben unterschiedliche Wege,<br />

wie es gehen kann:<br />

● Hans Brügelmann berichtet über das<br />

FIT-Prinzip von Remo Largo und die<br />

(oft fehlende) Passung von Anforderungen<br />

auf die individuellen Kompetenzen<br />

und Bedürfnisse.<br />

● Andreas Steinhöfel schildert in einem<br />

Interview seine Wahrnehmung von<br />

Ungerechtigkeit in Erinnerung an das<br />

eigene Kindsein und seine Sicht auf<br />

Schwächen und stark sein.<br />

● Petra Büker und Julia Höke beschreiben<br />

die Schritte, die eine Bildungsdokumentation<br />

kennzeichnen, und<br />

beleuchten deren Bedeutung für die<br />

Analyse und die Interpretation von<br />

Bildungsprozessen. Im Potenzial<br />

einer Bildungsdokumentation steckt<br />

der Einstieg in eine dialogische Rückmeldekultur,<br />

die Grundlage für Lernberatung<br />

und Förderpläne und die<br />

Unterstützung von professionellem,<br />

pädagogischem Handeln. Sie macht<br />

die <strong>Stärken</strong> von <strong>Kinder</strong>n beobachtungsgestützt<br />

sichtbar.<br />

● Elena Auerbach und Christiane<br />

Knott <strong>erleben</strong> in ihrer jahrgangsgemischten<br />

Eingangsklasse, wie eine<br />

wöchentliche Zeigestunde den <strong>Kinder</strong>n<br />

und ihnen beweist, dass jede<br />

und jeder etwas kann.<br />

● Irene Hoppe und Viola Petersson zeigen<br />

über den Gedankenaustausch zwischen<br />

„Rigo und Rosa“, einem <strong>Kinder</strong>buch<br />

von Lorenz Pauli, wie <strong>Kinder</strong> Mut gewinnen<br />

können, ihre Gedanken mündlich<br />

und schriftlich zu formulieren.<br />

● Tanja Schubert zeigt an den Beispielen<br />

„Gute-Taten-Leine“ und „Hände der<br />

Wertschätzung“, wie <strong>Kinder</strong> soziales<br />

Miteinander und eigene <strong>Stärken</strong> und<br />

Fähigkeiten erkunden können.<br />

● Miriam Remy berichtet unter „Schule<br />

im Aufbruch FREY DAY“, wie <strong>Kinder</strong><br />

sich stark fühlen können, wenn<br />

sie spüren, dass sie mit anpacken dürfen,<br />

dass sie gebraucht werden und ein<br />

wichtiger Teil der Gemeinschaft sind.<br />

● Michael Bauernschuster, tätig in<br />

der Schulberatung, beschreibt mit<br />

Beispielen <strong>Stärken</strong>orientierung im<br />

Unterricht und richtet den Blick<br />

auch auf den häuslichen Bereich.<br />

● Ludwig Voß zeigt am Beispiel eines<br />

aktuellen und veränderten Spielkonzepts<br />

aus dem Bereich <strong>Kinder</strong>fußball,<br />

wie sich Chancen und Potenziale für<br />

eine kindgerechte Bewegungsförderung<br />

durch neue Regeln auftun. <br />

Literaturangaben zum Artikel können<br />

Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa165Lit<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

5


Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Hans Brügelmann<br />

Das FIT-Prinzip von Remo Largo<br />

Plädoyer für eine bessere Passung von individuellen<br />

Persönlichkeitsprofilen und schulischen sowie<br />

gesellschaftlichen Anforderungen<br />

Jedes Kind ist anders. Man hört diesen Satz sehr oft, wenn es um Wege des Lernens<br />

und Methoden zu seiner Unterstützung geht. Wie groß die Unterschiede<br />

tatsächlich sind, hat der Schweizer <strong>Kinder</strong>arzt und Entwicklungsforscher in seinen<br />

Züricher Längsschnittstudien mit vielen Daten eindrucksvoll nachgewiesen.<br />

Zwei Befunde sind für die Grundschuldidaktik zentral.<br />

Erstens: Schon am Schulanfang<br />

unterscheiden sich <strong>Kinder</strong> in ihren<br />

Kompetenzen und Verhaltensweisen<br />

erheblich. Drei Entwicklungsjahre<br />

Differenz sind normal. Das heißt,<br />

auch ohne medizinisch di agnostizierte<br />

Behinderung haben manche Erstklässler*innen<br />

einen Entwicklungsstand<br />

von 4- bis 5-Jährigen, während andere<br />

auf dem Stand durchschnittlicher 7- bis<br />

8-Jähriger sind, wie Largo/ Berglinger<br />

(2009, 18 ff., 284) in ihrem Band<br />

„Schülerjahre“ sehr<br />

anschaulich darstellen.<br />

Das gilt für<br />

Körpergröße und<br />

Gewicht, für Schlafgewohnheiten<br />

bzw.<br />

-bedürfnisse, aber<br />

ebenso für die motorische<br />

und für die<br />

soziale Entwicklung.<br />

Für den Anfangsunterricht besonders<br />

bedeutsam: Diese Unterschiede finden<br />

sich auch in den mathematischen und<br />

den (schrift)sprachlichen Erfahrungen<br />

und Kompetenzen, die die <strong>Kinder</strong> in die<br />

Schule mitbringen.<br />

Um dem einzelnen Kind seinen<br />

nächsten Schritt zu ermöglichen,<br />

reicht es also nicht, das eine oder andere<br />

Arbeitsblatt mehr zu geben, um<br />

„alle auf denselben Stand zu bringen“,<br />

wie oft gefordert wird. Es geht um Wissen,<br />

um Konzepte und Strategien, deren<br />

Entwicklung Zeit braucht. Und da alle<br />

<strong>Kinder</strong> dazulernen, nehmen die Unterschiede<br />

auch nicht ab. Unterricht muss<br />

sich vielmehr darauf einstellen, dass sich<br />

<strong>Kinder</strong> auf Dauer in ihren Voraussetzungen<br />

unterscheiden und dass sie unter-<br />

schiedliche Herausforderungen und Hilfen<br />

brauchen. Von allen dieselbe Leistung<br />

zum selben Zeitpunkt zu fordern<br />

macht keinen Sinn. Es braucht eine Öffnung<br />

des Unterrichts, die ein „Lernen<br />

im eigenen Takt“ ermöglicht.<br />

Zweitens machen Largo/Beglinger<br />

(2009, 285 f.) auf ein weiteres Problem<br />

aufmerksam: die „intra-individuellen“<br />

Unterschiede, also die Differenzen zwischen<br />

verschiedenen Kompetenzniveaus<br />

„innerhalb der <strong>Kinder</strong>“. Manche <strong>Kinder</strong>,<br />

die sprachlich schon sehr weit sind, liegen<br />

vielleicht in ihrer mathematischen<br />

Entwicklung weit zurück. Oder es gibt<br />

eine große Differenz zwischen dem Intelligenzniveau<br />

eines Kindes und seinen<br />

sozialen oder motorischen Kompetenzen.<br />

Daraus folgt: Jedes Kind (und<br />

ebenso jede/-r Erwachsene) hat ein individuelles<br />

Persönlichkeitsprofil, das<br />

die Bildung homogener Gruppen, z. B.<br />

in der Schule, unmöglich macht.<br />

Das sind eigentlich Binsenweisheiten.<br />

Aber immer noch bestimmen gleichschrittige<br />

Lehrgänge den Unterricht<br />

in vielen K<strong>lassen</strong>. Immer noch bleiben<br />

Schüler*innen sitzen, weil sie in einzelnen<br />

Fächern oder Fächergruppen<br />

den Anforderungen nicht gerecht werden.<br />

Und immer noch wird der Lernerfolg<br />

nicht am Fortschritt der einzelnen<br />

Schüler*innen von ihren individuell<br />

unterschiedlichen Voraussetzungen<br />

her gemessen. Stattdessen schreiben<br />

alle dieselbe K<strong>lassen</strong>arbeit am selben<br />

Tag, sind die Durchschnittsleistungen<br />

bei VERA-3 und VERA-8 mit gleichen<br />

Anforderungen für alle zur gleichen<br />

Zeit Maßstab für die Qualität des<br />

Unterrichts – nicht der Lernfortschritt<br />

der jeweiligen Klasse oder einzelner<br />

(Gruppen von) Schüler*innen, bezogen<br />

auf die jeweilige Ausgangslage und<br />

die unterschiedlichen Unterrichts- und<br />

Lernbedingungen.<br />

Das Grundproblem ist die Fehlpassung<br />

von individuellen Lernvoraussetzungen<br />

und externen Anforderungen.<br />

In seinem Buch „Das passende Leben<br />

– Was unsere<br />

Individualität ausmacht<br />

und wie wir<br />

sie leben können“<br />

(2017) diskutiert<br />

Largo diesen „Misfit“<br />

noch grundsätzlicher.<br />

Auf seiner<br />

Website (Largo<br />

o. J./ 2023, 1) bringt<br />

er seine Sicht auf den Punkt:<br />

„So wie der Mensch im Verlauf der<br />

Evolution aus einem unablässigen Zusammenwirken<br />

von Anlage und Umwelt<br />

hervorgegangen ist, bemüht sich<br />

jeder Mensch von der Kindheit bis ins<br />

hohe Alter, seine Individualität in Übereinstimmung<br />

mit der Umwelt zu leben.<br />

Das Baby will so viel Milch trinken, wie<br />

es für sein Wachstum benötigt, nicht<br />

weniger, aber auch nicht mehr. Das<br />

Schulkind will dann lesen und rechnen<br />

lernen, wenn es entwicklungsmäßig<br />

dazu bereit ist. Der Erwachsene<br />

will bei der Arbeit die Leistung erbringen,<br />

zu der er fähig ist. Das Bemühen,<br />

seine Bedürfnisse zu befriedigen und<br />

seine Fähigkeiten zu entfalten und sie<br />

nutzen zu können, trägt wesentlich zum<br />

Lebenssinn bei, von der Geburt bis ans<br />

Lebensende.“<br />

Um dies zu konkretisieren, unterscheidet<br />

Largo (2017, 183 ff.) in seinem Fit-Konzept<br />

sechs Grundbedürfnisse sowie acht<br />

Kompetenzen (2017, 212 ff.).<br />

Den oben skizzierten Befund der großen<br />

Unterschiede in den Kompetenzpro-<br />

6 GS aktuell 165 • Februar 2024


Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Kompetenzen<br />

Kompetenzen<br />

Körperliche<br />

Soziale<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

21<br />

0<br />

Sprachliche<br />

Körperliche<br />

Soziale<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

21<br />

0<br />

Sprachliche<br />

Motorische<br />

Musikalische<br />

Motorische<br />

Musikalische<br />

Zeitlichplanerische<br />

Figuralräumliche<br />

Zeitlichplanerische<br />

Figuralräumliche<br />

Logischmathematische<br />

Logischmathematische<br />

Abb. 1 (S. 355): Kompetenzprofil von Jakob (Immobilienmakler)<br />

Abb. 2 (S. 359): Kompetenzprofil von Erika (Künstlerin)<br />

filen macht er über Spinnennetze wie in<br />

den folgenden Beispielen (Abb. 1 und 2)<br />

anschaulich vergleichbar:<br />

Largo ergänzt diese Dimension durch<br />

eine analoge Darstellung der jeweiligen<br />

Bedürfnisprofile, die sich ebenfalls von<br />

Person zu Person unterscheiden (s. die<br />

Beispiele in Abb. 3 und 4).<br />

Ein „gutes Leben“ wird aus Largos<br />

Sicht dann möglich, wenn die Anforderungen<br />

im Beruf, im Privatleben, aber<br />

auch in der Schule Möglichkeiten bieten,<br />

die persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen<br />

und individuelle <strong>Stärken</strong> zur Geltung<br />

zu bringen:<br />

Das Fit-Prinzip besagt: Jeder Mensch<br />

strebt danach, mit seinen individuellen<br />

Bedürfnissen und Begabungen<br />

in Übereinstimmung mit der Umwelt<br />

zu leben. Das Prinzip beruht auf einer<br />

ganzheitlichen Sichtweise, die die Vielfalt<br />

unter den Menschen, die Einzigartigkeit<br />

jedes einzelnen und das Zusammenwirken<br />

von Individuum und<br />

Umwelt als Grundlage der menschlichen<br />

Existenz versteht.<br />

Aber die Wirklichkeit sieht oft anders<br />

aus – gerade in der Schule. Aus seiner<br />

kinderärztlichen Praxis in Zürich berichtet<br />

Largo (2017, 14 f.):<br />

„Der oftmals unausgesprochene Auftrag<br />

der Eltern und Lehrer an uns bestand<br />

darin, die <strong>Kinder</strong> durch die Förderung<br />

in die ‚Norm‘ zu bringen, was<br />

– wie uns die langjährige Erfahrung gelehrt<br />

hat – nicht gelingen kann. Wir sahen<br />

das eigentliche Problem darin, dass<br />

sie, weil sie den Normvorstellungen<br />

nicht entsprachen, nicht ‚sie selbst‘ sein<br />

durften. So versuchten wir, den <strong>Kinder</strong>n<br />

zu helfen, indem wir ihre individuellen<br />

Bedürfnisse und Fähigkeiten erfassten<br />

und dann gemeinsam mit den Eltern<br />

und anderen Bezugspersonen überlegten,<br />

wie das jeweilige Kind mit seinen<br />

<strong>Stärken</strong> und Schwächen am besten<br />

unterstützt werden konnte.“<br />

Bezogen auf die von Largo postulierten<br />

Grundbedürfnisse müssen wir<br />

uns also fragen: Gewährleisten die<br />

Bedingungen in unseren Schulen, dass<br />

<strong>Kinder</strong> und Jugendliche sich wohl,<br />

sicher, geborgen fühlen – mit Raum<br />

zur Selbstentfaltung und mit Möglichkeiten,<br />

ihre Kompetenzen zu zeigen?<br />

Erhalten sie Anerkennung für ihre <strong>Stärken</strong>,<br />

z. B. durch Zertifikate für Leistungen,<br />

die nicht im Normcurriculum stehen?<br />

Können sie Neigungen und Fähigkeiten<br />

entwickeln, die ihre individuelle<br />

Stärke ausmachen, und erhalten<br />

sie Hilfen für den Umgang mit ihren<br />

Schwächen, zunächst um wenigstens<br />

ein Basisniveau in existenziell wichtigen<br />

Kompetenzen zu erreichen, und<br />

dann um zu lernen, mit ihren Grenzen<br />

zu leben?<br />

Der Grundschulverband hat seine<br />

Antwort auf diese kritischen Fragen in<br />

seinen Anforderungen an die Grundschule<br />

der Zukunft gegeben, die auf<br />

dem Bundesgrundschulkongress zum<br />

100-jährigen Bestehen der Grundschule<br />

entwickelt wurden (vgl. Hecker u. a.<br />

2020a). Dort heißt es (S. 9 und 16 ff.):<br />

„Die Grundschule der Zukunft ist:<br />

… eine Schule der allseitigen Bildung<br />

… eine Schule, die Leistungen<br />

würdigt und fördert<br />

… ein Ort der Lebens- und Lernfreude<br />

… eine demokratische Schule<br />

… eine Schule individuellen und<br />

gemeinsamen Lernens<br />

… eine Schule für alle <strong>Kinder</strong>.“<br />

Diese Grundanforderungen werden für<br />

die einzelnen Fächer und Lernbereiche<br />

konkretisiert in den anschließenden<br />

Beiträgen (a. a. O., 30 ff.) und für<br />

das Schulleben und die Unterrichtsgestaltung<br />

insgesamt in einem zweiten<br />

Band (Hecker u. a. 2020b). Auch immer<br />

mehr Bürgerinnen und Bürger engagieren<br />

sich für eine andere Schule (s. meinen<br />

Beitrag zum „Bürgerrat Bildung<br />

Remo Hans Largo (1943–2020)<br />

war <strong>Kinder</strong>arzt, Entwicklungsforscher<br />

und Autor bekannter Sachbücher zur<br />

Erziehung wie „Babyjahre“ (1993/2017)<br />

„<strong>Kinder</strong>jahre“ (1999/2019) und<br />

„Schülerjahre“ (2009).<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

7


Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Grundbedürfnisse<br />

Körperliche<br />

Integrität<br />

Grundbedürfnisse<br />

Körperliche<br />

Integrität<br />

Existentielle<br />

Sicherheit<br />

7<br />

6543210<br />

Geborgenheit<br />

Existentielle<br />

Sicherheit<br />

7<br />

6543210<br />

Geborgenheit<br />

Leistung<br />

Soziale<br />

Anerkennung<br />

Stellung<br />

Leistung<br />

Soziale<br />

Anerkennung<br />

Stellung<br />

Selbstentfaltung<br />

Abb. 3 (S. 355): Bedürfnisprofil von Jakob (Immobilienmakler)<br />

Selbstentfaltung<br />

Abb. 4 (S. 359): Bedürfnisprofil von Erika (Künstlerin)<br />

und Lernen“ und zur Aktion „Bildungswende<br />

jetzt!“ in diesem Heft).<br />

Für Largo reichen die Konsequenzen<br />

weit über die Schule hinaus. Er fordert<br />

ein Umdenken, das alle Bereiche unseres<br />

Lebens betrifft – auch im Erwachsenenalter<br />

(o. J./2023, 5):<br />

„Es gibt zahlreiche Gründe, weshalb<br />

die heutige Gesellschaft und Wirtschaft<br />

es uns immer schwerer macht, unsere<br />

Grundbedürfnisse zu befriedigen. So<br />

wird die Digitalisierung und Automatisierung<br />

in der Wirtschaft dazu führen,<br />

dass es zukünftig immer weniger Arbeit<br />

geben wird.<br />

(…)<br />

Immer mehr Menschen haben das<br />

Hamsterrad einer sinnentleerten Arbeit<br />

satt und suchen nach alternativen Lebensformen.<br />

Sie wollen Sinnvolles leisten,<br />

etwas, das sie befriedigt und der<br />

Gemeinschaft dient. Sie wollen vermehrt<br />

in stabilen Gemeinschaften leben,<br />

beispielsweise in Mehrgenerationenhäusern.<br />

Wir müssen uns daranmachen,<br />

Gesellschaft und Wirtschaft<br />

umzugestalten. Wenn das gegenwärtige<br />

Gesellschafts- und Wirtschaftssystem<br />

an seine Grenzen kommt, müssen<br />

wir alternative Lebensformen geschaffen<br />

haben. Ein sozialer und wirtschaftlicher<br />

Zusammenbruch oder gar ein<br />

Krieg, Ereignisse, wie sie früher immer<br />

dann aufgetreten sind, wenn ein System<br />

an seine Grenzen kam, können wir<br />

uns nicht mehr leisten. Wir müssen das<br />

scheinbar Unmögliche denken.“<br />

Damit anfangen können und sollten wir<br />

in der Grundschule! <br />

Literatur<br />

Hecker, U., u. a. (Hrsg.) (2020a): KINDER<br />

LERNEN ZUKUNFT: Anforderungen und<br />

tragfähige Grundlagen. Beiträge zur Reform<br />

der Grundschule, Bd. 150. Grundschulverband:<br />

Frankfurt.<br />

Hecker, U., u. a. (Hrsg.) (2020b): KINDER<br />

LERNEN ZUKUNFT: Über die Fächer<br />

hinaus – Prinzipien und Perspektiven.<br />

Beiträge zur Reform der Grundschule, Bd.<br />

151. Grundschulverband: Frankfurt.<br />

Largo, R. (o. J./2023): DAS FIT-PRINZIP.<br />

Download: https://www.largo-fitprinzip.<br />

com/fit-prinzip.html (Abruf: 8.12.2023)<br />

Largo, R. (2017): Das passende Leben. Was<br />

unsere Individualität ausmacht und wie wir<br />

sie leben können. S. Fischer: Frankfurt.<br />

Largo, R./ Beglinger, M. (2009): Schülerjahre.<br />

Wie <strong>Kinder</strong> besser lernen. Piper: München.<br />

„Schularchitektur und Lernraumkultur“<br />

Der Band 157 „Schularchitektur und Lernraumkultur“<br />

zeigt mit einer Vielfalt an Texten<br />

und Fotos Möglichkeiten für eine Planung von<br />

Schulen sowie Neugestaltung von Lernräumen<br />

auf, die sowohl Schulbauplaner:innen als auch<br />

Kollegien Perspektiven und Impulse bieten.<br />

Eine Reise zu den interessantesten Grundschulen<br />

in anderen Ländern und auch bei uns in<br />

Deutschland mit unserem Fotoband im DINA 4<br />

Format aus der Buchreihe „Reform der Grundschule“<br />

erscheint im März.<br />

8 GS aktuell 165 • Februar 2024


Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

„Irgendwie sind wir alle<br />

etwas schräg …“<br />

Für <strong>Kinder</strong> schreiben, Eltern und Lehrkräfte berühren –<br />

aber nicht pädagogisieren<br />

Der <strong>Kinder</strong>buchautor Andreas Steinhöfel (AS) im Videogespräch mit Hans<br />

Brügelmann und Erika Brinkmann (GSa), begleitet von Gabi Klenk und Maresi<br />

Lassek als Dokumentatorinnen<br />

GSa: Herr Steinhöfel, heute ist der<br />

„Tag der <strong>Kinder</strong>rechte“. Sie sind ja<br />

zu einer Zeit in die Schule gegangen,<br />

die weit vor der Verabschiedung der<br />

UN-<strong>Kinder</strong>rechtskonvention lag. Wie<br />

haben Sie damals in den 1960er-Jahren<br />

den Umgang der Erwachsenen mit<br />

<strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen erlebt?<br />

AS: In der Grundschule hatte ich selbst<br />

großes Glück. Ich bin in eine Klasse<br />

gekommen mit einem sehr jungen Lehrer,<br />

der hat als allererste Amtshandlung<br />

verfügt, dass ich weiter mit der linken<br />

Hand schreiben durfte. Ich hatte schon<br />

angefangen zu schreiben, weil ich neugierig<br />

war. Ich selbst habe ihn als extrem<br />

aufgeschlossen empfunden als Kind.<br />

Man konnte ihn alles fragen.<br />

GSa: Und wie war das bei den anderen<br />

<strong>Kinder</strong>n?<br />

AS: Ich hatte zwei Mitschülerinnen,<br />

die kamen aus ganz, ganz schwierigen<br />

sozialen Verhältnissen, aus einem<br />

Ortsteil, wo jedem klar war, dass sie es<br />

schwer haben würden. Sie kamen zum<br />

Beispiel häufig ohne Hausaufgaben und<br />

SUBTIL: Wenn etwas so unauffällig ist,<br />

dass man es fast nicht bemerkt. Neulich<br />

auf dem Rixdorfer Weihnachtsmarkt hat<br />

mir zum Beispiel der Bühl einen Crêpe<br />

gekauft, der auffällig subtil mit Nutella<br />

bestrichen war. Vermutlich bestellt man<br />

besser Nutella mit Crêpe.<br />

(Aus: Rico, Oskar und das<br />

Vomhimmelhoch, S. 71)<br />

In den Kästen haben wir Definitionen<br />

eingestreut, mit denen sich der „tiefbegabte“<br />

Rico aus Steinhöfels Buchreihe „Rico, Oskar<br />

und …“ schwierige Begriffe erklärt und zu<br />

merken versucht.<br />

dann hat der Lehrer ihnen dieses Hausaufgabenheft<br />

um die Ohren geschlagen.<br />

Das war körperliche Misshandlung aus<br />

heutiger Perspektive. Als Kind nimmst<br />

du so etwas erst mal an und denkst: Ja<br />

selber schuld! Ich habe ja auch Prügel<br />

gekriegt zu Hause, wenn ich Mist gebaut<br />

habe. Ich weiß aber, dass ich das damals<br />

als so ungerecht empfunden habe, weil<br />

ich ja wusste, den Mädchen geht es doch<br />

sowieso nicht so gut. Warum werden die<br />

jetzt auch noch gehauen? Ich hab mich<br />

nicht getraut, etwas zu sagen, keiner hat<br />

sich getraut. Erst viele Jahre später habe<br />

ich den Lehrer bei einem Treffen darauf<br />

angesprochen.<br />

GSa: Hat sich die Schule denn aus<br />

Ihrer Sicht seitdem verändert?<br />

AS: Ich habe eine Nichte, die gerade 15<br />

geworden ist, die andere Nichte kommt<br />

nächstes Jahr in die fünfte Klasse. Beim<br />

Übergang <strong>erleben</strong> wir bei den Tagen der<br />

offenen Türe sehr viel Zuwendung von<br />

den Lehrern. Und das ist erfreulich.<br />

Aber in der Grundschule beobachte<br />

ich zum Teil eine extrem enge emotionale<br />

Bindung an die Lehrer und Lehrerinnen,<br />

das geht über so eine Art<br />

Freundschaftsebene. Erst mal finde ich<br />

es sehr gut, dass diese Nähe da ist. Aber<br />

gleichzeitig sehe ich es als problematisch<br />

an, weil ein kritischer Abstand zu dieser<br />

Person bei den <strong>Kinder</strong>n völlig fehlt.<br />

Einen respektvollen Abstand in beide<br />

Richtungen finde ich notwendig für<br />

diese Institution. Mein Lehrer damals<br />

war nett, er hätte aber niemals eine solche<br />

Nähe zuge<strong>lassen</strong>.<br />

GSa: Aber das ist etwas anderes als der<br />

Schulalltag in den 1960ern, da war das<br />

nicht wechselseitiger Respekt, sondern<br />

einseitiger Autoritätsanspruch, oder?<br />

Andreas Steinhöfel<br />

Andreas Steinhöfel, *1962, Autor von<br />

<strong>Kinder</strong>- und Jugendliteratur und Drehbüchern<br />

sowie Übersetzer, erhielt im<br />

November 2023 gemeinsam mit Maresi<br />

Lassek und anderen für Bildung und<br />

Demokratie engagierten Bürgerinnen<br />

und Bürgern im Schloss Bellevue aus<br />

der Hand des Bundespräsidenten das<br />

Bundesverdienstkreuz.<br />

Aus der Begründung:<br />

Mit dem unterschiedlichen Freundespaar<br />

„Rico und Oskar“ hat er zwei der seit<br />

Jahren bekanntesten <strong>Kinder</strong>buchhelden<br />

geschaffen. Die beiden gehören zur<br />

vielgestaltigen Welt seiner Figuren, die<br />

oftmals Außenseiter oder Benachteiligte<br />

sind. Voller Empathie und Sinn für Spannung<br />

erzählt Andreas Steinhöfel die Geschichten<br />

dieser Alltagshelden, mit denen<br />

er junge Menschen ermutigt, an sich<br />

selbst zu glauben. Dabei macht er seinen<br />

jungen – wie auch den zahlreichen erwachsenen<br />

– Leserinnen und Lesern die<br />

Bedeutung von Werten wie Toleranz und<br />

Weltoffenheit eindringlich klar.<br />

AS: Ja, wir hatten damals in der ersten<br />

Klasse <strong>Kinder</strong>, deren Eltern Gastarbeiter<br />

waren. Damals hieß das noch „Gastarbeiterkind“,<br />

der erste, der kam, war<br />

ein spanischer Junge.<br />

Links von der Tafel stand der Tisch<br />

mit dem kleinen spanischen Jungen<br />

dran, der kein Deutsch konnte. Und<br />

er saß dann da und guckte die Wand<br />

an, vier Jahre lang. Das war eine Katastrophe.<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

9


Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

ORTHOGRAFIE: Heißt Rechtschreibung<br />

in kompliziert. Es ist kein Wunder, dass<br />

ich Schwierigkeiten damit habe, weil<br />

rechts drin vorkommt. Es muss also auch<br />

eine Linksschreibung geben. Möge Gott<br />

mich davor beschützen!<br />

(Aus: Rico, Oskar und die<br />

Tieferschatten, S. 218)<br />

Und der spanische Junge, auch das<br />

habe ich später erfahren, dem ging es<br />

zu Hause überhaupt nicht gut. Der Junge<br />

hatte einen sehr schlagkräftigen Vater,<br />

und er war einfach eine ganz arme<br />

Wurst. Da regt sich, glaube ich, in fast jedem<br />

Kind ein Unrechtsempfinden, denn<br />

man merkte ja, dass der Junge nicht<br />

glücklich war. Er stand in den Pausen<br />

allein da, auch wenn er nicht gemobbt<br />

wurde, das weiß ich auch noch.<br />

Oft lief das Unglück aus dem Jungen<br />

raus wie so eine schwarze Soße, manchmal<br />

auch aus diesen beiden Mädchen,<br />

die ich bereits erwähnte. Mich hat das<br />

wahnsinnig beschäftigt. Ich wage sogar<br />

zu behaupten, dass sich das bis in meine<br />

spätere Arbeit reingetragen hat, dieses<br />

Mitempfinden von Unglück von <strong>Kinder</strong>n,<br />

die gar nichts dafür können.<br />

GSa: Und wie war das auf der<br />

Leistungsebene? Sie haben das ein<br />

bisschen angedeutet mit den zwei Mitschülerinnen<br />

aus Ihrer Klasse: <strong>Kinder</strong><br />

kommen ja mit sehr unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen in die Schule.<br />

Aber die Schule erwartet irgendwie<br />

von allen zur selben Zeit das Gleiche,<br />

obwohl sie nicht dieselben Chancen<br />

haben, das auch zu leisten. Was können<br />

Lehrerinnen da tun?<br />

AS: Ja, was macht Schule mit <strong>Kinder</strong>n,<br />

die einen ganz bestimmten Leistungsanspruch<br />

nicht erfüllen, einem gefühlten<br />

Durchschnittsanspruch nicht gerecht<br />

werden? Ich glaube, da können Lehrer<br />

partiell ausgleichen, Lehrer, die empathisch<br />

genug dafür sind oder die auch<br />

sehen, woran bestimmte Lerndefizite liegen.<br />

Das setzt aber immer voraus, dass<br />

diese Lehrer die Zeit haben, um nicht nur<br />

wahrzunehmen und aufzunehmen, sondern<br />

das auch zu durchdenken und dann<br />

mit dem Kind zu bearbeiten. Die meisten<br />

Lehrer, die ich kenne, die haben diese<br />

Zeit nicht, sie stehen selber unter extremem<br />

Leistungsdruck.<br />

GSa: Ist das wirklich primär eine<br />

Zeitfrage und nicht erst einmal eine<br />

Haltungsfrage? Gerade wenn ich<br />

Ihre Bücher angucke, dann spricht<br />

daraus ja ein Bild von Menschen –<br />

unabhängig davon, wo sie Schwächen<br />

haben, sie ernst zu nehmen und zu<br />

versuchen, mit Ihnen wertschätzend<br />

umzugehen.<br />

AS: Ich werde ja oft gefragt: Wie<br />

kannst du <strong>Kinder</strong>bücher schreiben,<br />

wie kannst du dich da reinfühlen? Na<br />

ja, ich war ja mal ein Kind. Das heißt,<br />

dieser Zugang zum eigenen Kind, dem<br />

berühmten „inneren Kind“, der war mir<br />

wahrscheinlich nie versperrt. Ich ging<br />

lange irrtümlich davon aus, dass dieser<br />

Zugang natürlich jedem Erwachsenen<br />

offensteht. Aber das ist mitnichten so.<br />

Inzwischen habe ich gelernt, dass viele,<br />

viele Erwachsene dieses rückblickende<br />

Einfühlungsvermögen nicht haben. Und<br />

die dürften natürlich nicht Lehrer werden.<br />

Es braucht Menschen, die sehen,<br />

die erkennen, was dem Kind fehlt. Das<br />

war schon vor 40 Jahren so, als ich selber<br />

Lehramt studierte.<br />

GSa: Auf der anderen Seite stehen<br />

die, die besonders sensibel und wahrnehmungsfähig<br />

sind. Und da gilt<br />

dann, dass nicht nur Schwächen <strong>Stärken</strong><br />

sein können, wie es zum Beispiel<br />

bei Rico und Oskar so deutlich wird,<br />

sondern auch <strong>Stärken</strong> sich als Handicap<br />

erweisen können, weil man es<br />

nicht aushält, was diese <strong>Kinder</strong> alles<br />

an Päckchen zu tragen haben, und<br />

sich damit überfordert, allen in allem<br />

gerecht werden zu wollen.<br />

Wie ist es gekommen, dass diese Dialektik<br />

von Stärke und Schwäche eine so<br />

große Rolle in ihren Büchern spielt?<br />

AS: Das ist tatsächlich schwierig zu<br />

beantworten. Ich weiß, dass ich immer<br />

versucht habe, aus meinen eigenen<br />

Schwächen <strong>Stärken</strong> zu machen bzw.<br />

dass ich versucht habe, meine eigenen<br />

Schwächen hervorzukehren, weil sie<br />

SIMULIEREN: So tun, als ob. Zugegeben,<br />

das sind vier Wörter, um ein Wort<br />

zu erklären. Aber in beiden Fällen sind<br />

es gleich viele Buchstaben. Da könnte<br />

man es auch gleich so sagen, dass es<br />

jeder versteht.<br />

(Aus: Rico, Oskar und die<br />

Tieferschatten, S. 42)<br />

dann nicht mehr als Schwächen wahrgenommen<br />

werden.<br />

Und ich will den <strong>Kinder</strong>n zeigen, dass<br />

Schwächen nicht schlimm sind, dass sie<br />

trotz ihrer Schwächen stark sein dürfen<br />

und dass sie gegen Erwachsene bestehen<br />

können.<br />

GSa: Was kann das für Lehrerinnen<br />

bedeuten? Teilen Sie meine Lesart,<br />

dass drei zentrale Botschaften in den<br />

Rico-Bänden stecken. Zuerst: Wenn<br />

ein Kind von der Norm abweicht,<br />

dann denk daran, dass in diesem<br />

Anderssein auch etwas Positives stecken<br />

kann. Langsamkeit kann auch<br />

Nachdenklichkeit einschließen. Zweitens:<br />

Schau, ob das Kind nicht in<br />

anderen Bereichen <strong>Stärken</strong> hat, die du<br />

übersiehst, weil du immer nur darauf<br />

guckst, ob es einer bestimmten fachlichen<br />

Erwartung gerecht wird.<br />

Ja, und den <strong>Kinder</strong>n müssten sie<br />

vermitteln: Selbst wenn du in manchen<br />

Bereichen eine große Schwäche<br />

hast, du hast die Chance, dass du einen<br />

Teampartner findest, der kann das<br />

kompensieren. Und zu zweit seid ihr<br />

doppelt stark, weil du vielleicht auch<br />

etwas hast, was er nicht hat.<br />

AS: Ja, aber es gibt auch Schwächen, die<br />

darf man nicht schönreden. Und dann<br />

fände ich es besser, einem Kind beizubringen,<br />

verlieren zu können, also eine<br />

Resilienz zu entwickeln und sich eben<br />

immer noch als menschlich wertvoll zu<br />

empfinden. Denn am Menschenwert an<br />

sich ändert auch Bildung nichts. Das<br />

ist ja zentraler Punkt.<br />

GSa: Da sind wir wieder bei den<br />

Lehrerinnen. Melden die dem Kind<br />

zurück: Du kannst zwar bestimmte<br />

Dinge nicht, aber als Mensch bist du<br />

uns wichtig – oder wird dieses Versagen<br />

zu einer moralischen Abwertung<br />

der Person?<br />

AS: Ja, vielleicht wäre das die richtige<br />

Herangehensweise, wie Sie gerade<br />

sagen: Du bist uns wichtig als Mensch<br />

oder du bist wichtig in der Gruppe.<br />

Zum Beispiel gäbe es die Möglichkeit,<br />

das Spektrum an Dingen, die bewertet<br />

werden, zu erweitern, also von Fächern<br />

wegzugehen und zu sagen: Guck mal,<br />

der kann nicht so gut Mathe oder<br />

Deutsch, aber das ist ein wunderbarer<br />

Mediator, wenn es ums Zwischenmenschliche<br />

geht oder …<br />

10 GS aktuell 165 • Februar 2024


Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

GSa: … der kümmert sich zum Beispiel<br />

um die kleinen Geschwister oder<br />

hilft bei Streitereien …<br />

AS :… ja, all solche Dinge. Da wäre toll<br />

zu merken, da ist die Wertschätzung<br />

auf einer anderen Ebene, die vielleicht<br />

auch gar nicht benotet werden muss,<br />

weil dann die Kiddies ein ganz anderes<br />

Erfolgserlebnis hätten. Aber nur, weil du<br />

auf deine Geschwister aufpasst, heißt<br />

das nicht, dass du kein Deutsch lernen<br />

musst oder kein Mathe oder so. Prinzipiell<br />

wäre es vielleicht was Schönes,<br />

wenn man den Blick so erweitert …<br />

GSa: … und vielleicht nicht nur was<br />

Schönes. Denn wenn jemand sich als<br />

Mensch anerkannt fühlt, traut er sich<br />

vielleicht auch eher, an seiner Schwäche<br />

zu arbeiten, weil er sie sich eingestehen<br />

kann, was er nicht kann, wenn diese<br />

Schwäche nicht zum Anlass wird, ihn<br />

als Person abzuwerten.<br />

AS: Genau! Aber dazu noch eine<br />

Anmerkung. Es heißt immer, wir müssen<br />

auch die Schwachen mitnehmen,<br />

und das unterschreibe ich. Aber bitte<br />

frag die doch vorher, soweit das ein<br />

Kind schon entscheiden kann, ob es<br />

mitgenommen werden möchte. Vielleicht<br />

sagt es: Das ist ja schön, dass du<br />

mir das Lesen nahebringen willst. Aber<br />

ich möchte, ich brauche das jetzt überhaupt<br />

nicht. Ich habe diese Diskussion<br />

mit Eltern häufig. Wenn die dann sagen:<br />

„Schreiben Sie doch da was, damit mein<br />

Kind liest.“ – „Und warum möchten Sie<br />

das denn gerne, dass Ihr Kind liest?“ –<br />

„Ja, damit das dann zum Beispiel später<br />

Zeitung lesen oder Internet und<br />

HYPNOSE: Wenn etwas oder jemand<br />

anderes dir seinen Willen aufzwingt. Du<br />

musst dann tun, was von dir verlangt<br />

wird, und kannst dich nicht wehren.<br />

Zum Beispiel guckst du einen Schokoriegel<br />

an und er zwingt dich, ihn sofort<br />

zu essen. Vom Schokoriegel ist das natürlich<br />

dumm. Denn erstens hat er nach<br />

dem Essen keine Macht mehr über dich,<br />

und zweitens hättest du ihn ja auch freiwillig<br />

verputzt.<br />

(Aus: Rico, Oskar und das<br />

Vomhimmelhoch, S. 10)<br />

sich eine eigene Meinung bilden kann.“<br />

Ich sage dann, okay, aber aktuell ist Ihr<br />

Kind ja der Meinung, dass es nicht lesen<br />

möchte. Was ist denn jetzt daran falsch?<br />

GSa: Sind Ihnen Ihre Buchfiguren<br />

in dieser Komplexität<br />

eigentlich von Anfang an vor<br />

Augen oder entwickeln diese<br />

ein Eigenleben, während Sie<br />

schreiben?<br />

AS: Eigentlich ist beides da. Da<br />

ist schon so eine recht deutliche<br />

Vorstellung, zumindest von den<br />

Hauptfiguren, wie ich sie gerne<br />

hätte. Ich kaue gerade an einem<br />

anderen Stoff, wo ich mit der Hauptfigur<br />

zum Beispiel noch gar nicht klar bin,<br />

und merke, ich würde gerne anfangen<br />

zu schreiben, aber es hat überhaupt keinen<br />

Sinn, solange diese Figur emotional<br />

nicht richtig ausgestattet ist. Und dann<br />

kommen während des Schreibens die<br />

Feinheiten noch dazu, die mich manchmal<br />

selbst überraschen.<br />

VERB: Wort für Dinge, die man tut, deshalb<br />

heißt es auch Tuwort. Zum Beispiel<br />

schlafen, stehen, sitzen. Das Getue kann<br />

man zusätzlich noch beugen, das nennt<br />

man dann Grammatik und die ist ziemlich<br />

kompliziert, denn beim Schlafen,<br />

Stehen, Sitzen tut man ja gar nichts,<br />

schon gar nichts mit Verbeugungen. Es<br />

müsste also eigentlich Lasswort heißen,<br />

aber das ist leider auch so ein Gegenteilwort,<br />

das es nicht gibt.<br />

(Aus: Rico, Oskar und das<br />

Vomhimmelhoch, S. 10)<br />

Anfangs gebe ich jeder Figur drei<br />

Eigenschaften mit, und der Rest ergibt<br />

sich dann von alleine. Und zwar<br />

möglichst drei Eigenschaften, die nach<br />

außen nicht gut zusammenpassen, die<br />

also sehr vielfältige oder auch disparate<br />

Persönlichkeiten charakterisieren, in<br />

denen sich ganz viele Dinge vereinen.<br />

Das macht uns ja so spannend als ein<br />

Gegenüber. Das ist so ein bisschen Menschenkunde,<br />

die auch die <strong>Kinder</strong> betreiben<br />

dürfen und können. Was eben die<br />

Lehrer erkennen sollen, das sollten <strong>Kinder</strong><br />

schon auch erkennen dürfen.<br />

<strong>Kinder</strong> können, das wissen wir, zum<br />

Beispiel echt eklig sein, auch kleine<br />

Mobber. Und dann hilft es demjenigen,<br />

der gemobbt wird, gar nicht, dass dieses<br />

Mobbing-Kind selber Probleme zu Hause<br />

hat. Wenn ich eins auf die Mütze kriege,<br />

dann kriege ich das auf die Mütze,<br />

und dann ist mir egal, warum der andere<br />

das macht. Der hat sie dann einfach<br />

nicht mehr alle.<br />

Aber es wäre schön, <strong>Kinder</strong>n zu eröffnen:<br />

Irgendwie sind wir alle etwas<br />

schräg. Du denkst vielleicht, du hast ein<br />

komisches Leben, aber wir haben alle<br />

ein komisches Leben. Jeder von uns.<br />

GSa: Mich haben in Ihren Rico-<br />

Bänden immer die Einschübe mit<br />

Ricos persönlichen Erklärungen<br />

unbekannter Begriffe fasziniert (s.<br />

einige Beispiele in den Kästen). Haben<br />

Sie sich die ganz ausgedacht, oder<br />

sind Sie zum Teil auch von <strong>Kinder</strong>äußerungen<br />

inspiriert worden?<br />

AS: Die sind komplett ausgedacht.<br />

Ursprünglich wollte ich nur aus der<br />

Perspektive des hochbegabten Oskar<br />

schreiben, aber das hat überhaupt nicht<br />

funktioniert. Und dann habe ich den<br />

kleinen „Tiefbegabten“ dazugeholt. Der<br />

war anfangs einfach der Doofe, der war<br />

für die Gags zuständig, aber die Gags<br />

gingen auf seine Kosten. Da habe ich<br />

schnell gemerkt: Das geht gar nicht, ich<br />

will nicht ein Kind, das ich lächerlich<br />

mache. Aber da war immer die Angst,<br />

dass er trotzdem irgendwie als zu doof<br />

rüberkommen könnte. Also habe ich<br />

die Story kurzerhand aus seiner Perspektive<br />

verfasst, und da entstand dann<br />

auch die Idee hinter den Kästchen: Dass<br />

man sieht, Rico kann zwar nur geradeaus<br />

laufen, aber er kann super um drei<br />

Ecken denken! Denn darin offenbart<br />

sich ja seine Intelligenz, dass er in der<br />

Lage ist, ganz toll psychologisch Dinge<br />

zu durchschauen, und diese dann nur<br />

eben anders formuliert, als wir sie formulieren<br />

würden.<br />

GSa: Vielen Dank, lieber Herr Steinhöfel,<br />

für diesen anregenden Austausch!<br />

<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

11


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Petra Büker und Julia Höke<br />

Reflexion im Dialog<br />

Ein Modell für eine <strong>Kinder</strong>, Eltern, Teams und<br />

Schule stärkende Bildungsdokumentation<br />

Bildungsbeobachtung und -dokumentation bilden eine Kernaufgabe innerhalb<br />

einer ressourcenorientierten, kinder stärkenden Pädagogik und Didaktik in der<br />

Grundschule. Wenngleich der Anspruch einer systematischen Verankerung von<br />

Beobachtung und Dokumentation vor den aktuellen Herausforderungen im<br />

Schulalltag als zusätzliche zeitliche Belastung, vielleicht gar überfordernd erscheint,<br />

sehen wir insbesondere in dieser eine Möglichkeit, nicht nur <strong>Kinder</strong>,<br />

sondern auch Eltern, Kollegien und Grundschulen selbst zu stärken. Dazu bieten<br />

wir ein strukturiertes Modell an, welches die Kernelemente bzw. Phasen<br />

einer Bildungsdokumentation mit konkreten Reflexionsfragen verknüpft, deren<br />

Beantwortung auf unterschiedlichen Ebenen einen Dialog zwischen Lehrkräften,<br />

<strong>Kinder</strong>n, Eltern, Kollegien und Leitungen anregen kann.<br />

Bildungsdokumentation – das auch<br />

noch? Grundschulen stehen mehr<br />

denn je vor vielfältigen Herausforderungen.<br />

Lehrkräftemangel, die<br />

Nachwehen der Covid-19-Pandemie<br />

und die Ergebnisse der aktuellen Schulleistungsvergleichs-<br />

sowie Gesundheitsstudien<br />

beeinflussen sowohl den Blick<br />

von außen auf die Grundschule und die<br />

Lehr- und Fachkräfte als auch den eigenen<br />

Blick der schulischen Akteure auf<br />

den pädagogischen Alltag, die <strong>Kinder</strong><br />

und die eigene Rolle in der Institution.<br />

Die abnehmenden Kompetenzen in<br />

basalen Bildungsbereichen wie Lesen,<br />

Schreiben, Mathematik und Naturwissenschaften,<br />

die Häufung von Problemen<br />

im emotional-sozialen Bereich und<br />

die hohe Abhängigkeit der Bildungserfolge<br />

von der sozialen Herkunft geben<br />

Anlass zu großer Sorge und zu Fokussierungen<br />

von Maßnahmen, die auf den<br />

Erwerb von Sach- und Methodenkompetenzen<br />

in den sogenannten Kernfächern<br />

zielen. Dabei geraten andere<br />

Inhaltsbereiche wie musisch-ästhetische<br />

Bildung sowie überfachliche Querschnittsaufgaben<br />

seit Beginn der Pandemie<br />

allzu häufig in den Hintergrund.<br />

Mit unserem Beitrag möchten wir<br />

dazu anregen, die Beobachtung und Dokumentation<br />

von Lern- und Bildungsprozessen<br />

mit dem Blick auf Ressourcen<br />

und <strong>Stärken</strong> von <strong>Kinder</strong>n (wieder)<br />

in den Blick zu nehmen und Lust zu machen,<br />

diese zum proaktiven Umgang mit<br />

den aktuellen Herausforderungen zu<br />

nutzen. Dabei kann es sich um spontane,<br />

freie Beobachtungen als auch um gezielte,<br />

systematische Beobachtungen unter<br />

Einsatz qualitativer oder standardisierter<br />

Verfahren und Instrumente handeln.<br />

In der inklusiven Grundschule wird die<br />

Bildungsdokumentation in den Zusammenhang<br />

mit dem Erstellen von Förderplänen<br />

für <strong>Kinder</strong> mit besonderen Unterstützungsbedarfen<br />

gestellt. Insgesamt<br />

gelten das Schaffen von Transparenz<br />

über erreichte und noch zu erreichende<br />

Kompetenzen für alle Beteiligten, die beobachtungsbasierte<br />

Planung von individuellen<br />

Bildungsangeboten und die Nutzung<br />

der Bildungsdokumentation für<br />

die Weiterentwicklung des Unterrichts<br />

jedoch als curricularer Auftrag und<br />

Qualitätsmerkmal einer pädagogischen<br />

Leistungskultur für alle Schüler*innnen.<br />

So ist in den KMK-Empfehlungen<br />

Unter einer Bildungsdokumentation<br />

wird im Allgemeinen eine regelmäßige<br />

Beobachtung, Dokumentation, Analyse<br />

und Interpretation von Bildungs-, Lernund<br />

Entwicklungsprozessen der <strong>Kinder</strong><br />

verstanden, welche im Sinne einer pädagogischen<br />

Diagnostik eine Datengrundlage<br />

für eine individualisierte Lernberatung,<br />

eine passgenaue individuelle<br />

Förderung und für eine Reflexion von<br />

Lernwegen und -ergebnissen mit <strong>Kinder</strong>n<br />

und Eltern bieten (vgl. beispielsweise<br />

Bildungsgrundsätze MSW/MFKJ<br />

NRW 2018, 38; Büker/Höke 2020, 15).<br />

zur Arbeit in der Grundschule (2015,<br />

20) eine stärken- und prozessorientierte<br />

Form der Bildungsdokumentation festgeschrieben.<br />

Eine neue Hinwendung zu<br />

diesem Kernauftrag kann also zum einen<br />

dazu führen, den in den letzten Jahren<br />

etablierten und sowohl entwicklungspsychologisch<br />

als auch kindheitssoziologisch<br />

untermauerten Blick auf <strong>Kinder</strong><br />

als kompetente Akteur*innen und Gestalter*innen<br />

ihrer eigenen Bildungsbiografie<br />

zu stärken.<br />

Zum anderen <strong>lassen</strong> sich in der systematischen<br />

Verankerung und dem gemeinsamen<br />

Austausch über Beobachtung<br />

und Dokumentation auch besondere<br />

Chancen für die Personal- und Organisationsentwicklung<br />

in Grundschulen<br />

erkennen. Diese ist aktuell wichtiger denn<br />

je, um die zunehmend unterschiedlichen<br />

Professionen sowie die heterogenen Erfahrungshintergründe<br />

der an der Grundschule<br />

Tätigen (erfahrene Kolleg*innen,<br />

Vertretungslehrkräfte, Quer- und Seiteneinsteiger*innen,<br />

für die Tätigkeit in der<br />

OGS (Nach-)Qualifizierte, …) zusammenzuführen,<br />

gemeinsam erfolgreiche<br />

Bildungsprozesse für die <strong>Kinder</strong> und mit<br />

den <strong>Kinder</strong>n zu gestalten und die Qualität<br />

in der Grundschule als Institution zu<br />

sichern und weiterzuentwickeln.<br />

Eine besondere Bedeutung kommt der<br />

Bildungsdokumentation auch in der Begleitung<br />

des Übergangs von der Kita in<br />

die Grundschule zu. Um den Blick gemeinsam<br />

auf Ressourcen und <strong>Stärken</strong><br />

von <strong>Kinder</strong>n zu setzen, kann eine Struktur<br />

helfen, wie unser Modell „Reflexion<br />

im Dialog“ zur Umsetzung von Beobachtung<br />

und Dokumentation kindlicher Entwicklungs-,<br />

Lern- und Bildungsprozesse<br />

sie anbietet. Der vorliegende Beitrag<br />

bietet eine knappe Zusammenfassung<br />

unserer unten angeführten Publikation<br />

(Büker/Höke 2020), welche sowohl eine<br />

breite theoretische Grundlage als auch<br />

ausführlichere Reflexionsfragen beinhaltet.<br />

Diese ermöglichen eine metareflexive<br />

„Beobachtung der Beobachtung“.<br />

12<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Das Modell<br />

„Reflexion im Dialog“<br />

Unser Modell, welches unabhängig von<br />

der Nutzung bestimmter Beobachtungs-,<br />

Diagnostik- und Dokumentationsverfahren<br />

und sowohl fachspezifisch als auch<br />

fächerübergreifend angewendet werden<br />

kann, bietet einen Orientierungsrahmen<br />

für eine <strong>Kinder</strong>, Lehr- und Fachkräfte<br />

sowie die Schule als Institution stärkende<br />

Bildungsdokumentation. Sie nimmt die<br />

Entwicklung und Gestaltung der pädagogischen<br />

Handlungsebene (Unterricht,<br />

Beziehungsgestaltung), die Personalentwicklungs-<br />

und die Organisationsentwicklungsebene<br />

gleichzeitig in den Blick.<br />

Diese Ebenen „treffen“ regelmäßig an<br />

Kreuzungs- oder Knotenpunkten (vgl.<br />

Abb. 1), welche durch die „klassischen“<br />

Phasen der Bildungsdokumentation markiert<br />

werden, aufeinander, d. h. bei der (1)<br />

Planung und der (2) Durchführung einer<br />

Beobachtung, (3) der Dokumentation, (4)<br />

der Analyse und Interpretation der Beobachtung,<br />

(5) der Rückmeldung an das<br />

Kind und ggf. dessen Eltern, bei der im<br />

Sinne einer Validierung auch Korrekturen<br />

der Beobachtungsergebnisse vorgenommen<br />

werden können und auf deren<br />

Basis (6) adaptive Bildungsangebote geplant<br />

werden. Nach Durchführung und<br />

Evaluation werden wiederum neue Beobachtungssituationen<br />

geplant. In allen<br />

Phasen bildet die professionelle „Reflexion<br />

im Dialog“ einen zentralen Bezugspunkt.<br />

Sie ist die Säule (vgl. Abb. 1), um<br />

die sich der iterative Prozess rankt und die<br />

über die Einnahme einer Metaperspektive<br />

zur Qualitätsentwicklung der Bildungsdokumentation<br />

und der aus ihr resultierenden<br />

Maßnahmen beitragen soll. Auf<br />

der Ebene der Personalentwicklung geht<br />

die beobachtende und dokumentierende<br />

Person durch eine Distanznahme zur<br />

Beobachtungssituation in den Modus der<br />

Selbstreflexion. Darüber hinaus erfolgt<br />

eine Reflexion in verschiedenen Akteurskonstellationen<br />

(Lehr-/Fachkraft mit dem<br />

Kind, mit den Eltern, kollegiale Reflexion<br />

im K<strong>lassen</strong>- oder Jahrgangsteam, mit der<br />

Schulleitung, im Bereich der Übergänge<br />

mit pädagogischen Fachkräften aus der<br />

Kita usw.).<br />

● Bin ich / sind wir auf einem Weg, der<br />

<strong>Kinder</strong> stärkt?<br />

● Bin ich / sind wir auf einem Weg, der<br />

uns als Lehr-/Fach-/Leitungskraft<br />

professionalisiert?<br />

● Sind wir auf einem Weg, der die<br />

Qualität unserer Schule entwickelt?<br />

Wenn die Schritte einer Bildungsdokumentation<br />

nicht nur auf der Ebene<br />

der einzelnen Lehr- oder Fachkraft<br />

be<strong>lassen</strong> werden, sondern Beobachtung<br />

und Dokumentation systematisch mit<br />

einem Dialog zwischen Kolleg*innen<br />

verankert wird, ergeben sich besondere<br />

Potenziale, die pädagogische Handlungsebene<br />

und die Personal- und<br />

Organisationsentwicklung miteinander<br />

zu verzahnen. Um dies zu unterstützen,<br />

wurden für jede Phase Reflexionsfragen<br />

entwickelt, die sich an die unterschiedlichen<br />

Ebenen richten: die Ebene der<br />

einzelnen Lehr- oder Fachkraft, die<br />

Ebene des Kollegiums und die Ebene<br />

der Schulleitung bzw. des Schulträgers.<br />

Im Folgenden werden die sechs Schritte<br />

einzeln knapp skizziert und Reflexionsfragen<br />

beispielhaft jeweils zu den Schritten<br />

und Ebenen aufgeführt.<br />

(5) und (6)<br />

(3)<br />

(1)<br />

Petra Büker (links)<br />

ist Professorin für Grundschulpädagogik<br />

und Frühe Bildung an der Universität<br />

Paderborn und Herausgeberin<br />

der Buchreihe „<strong>Kinder</strong>stärken – <strong>Kinder</strong><br />

stärken“.<br />

Julia Höke<br />

ist Professorin für Didaktik und Methodik<br />

der Kindheitspädagogik und<br />

Sozialen Arbeit an der Katholischen<br />

Hochschule Nordrhein-Westfalen und<br />

arbeitet zur pädagogischen Professionalisierung<br />

(angehender) Kindheitspädagog*innen<br />

und Sozialarbeiter*innen.<br />

Abb. 1: Reflexion im Dialog. Reflexionsfolie für eine <strong>Kinder</strong> stärkende, Fachkräfte<br />

professionalisierende und Organisationen entwickelnde Bildungsdokumentation.<br />

Entnommen aus: Büker/Höke (2020), 146.<br />

(4)<br />

(2)<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

13


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Schritt 1: Beobachtungen von Lernund<br />

Bildungsprozessen von <strong>Kinder</strong>n<br />

planen<br />

Die professionelle Planung der<br />

Beobachtung von Bildungs- und Lernprozessen<br />

der <strong>Kinder</strong> bildet eine entscheidende<br />

Grundlage für die Qualität<br />

aller weiteren Schritte der Bildungsdokumentation.<br />

Zentral ist dabei<br />

die bewusste Klärung des Ziels der<br />

Beobachtung, die Entscheidung für<br />

eine freie, unstrukturierte oder für eine<br />

systematische Beobachtung, die Auswahl<br />

eines geeigneten Beobachtungsinstruments<br />

und einer zum Ziel passenden<br />

Beobachtungssituation.<br />

Der Austausch über Sinn, Zweck und<br />

Form von Beobachtungen im multiprofessionellen<br />

Team kann einen gemeinsamen<br />

Reflexionsprozess über das<br />

Bild vom Kind und das grundlegende<br />

Verständnis vom Lernen eröffnen. Diese<br />

kann nicht nur für die Einbindung von<br />

Berufs-, Quer- und Seiteneinsteiger*innen,<br />

sondern auch für grundsätzliche<br />

Verständigungsprozesse im Kollegium<br />

anregend und hilfreich sein.<br />

Schritt 2: Bildungs- und Lernprozesse<br />

der <strong>Kinder</strong> beobachten<br />

Die konkrete Beobachtungssituation<br />

unterliegt trotz sorgfältiger Planung<br />

und Auswahl auch eigenen Dynamiken<br />

und birgt dementsprechend immer<br />

auch Unvorhersehbares. Zugleich sind<br />

Beobachtungen nie neutral bzw. objektiv,<br />

sodass bedeutsam ist, auch den eigenen<br />

emotionalen Zustand, aber auch<br />

Erwartungen und die Einschätzung<br />

der Situation als ergiebig/nicht ergiebig<br />

in die Beobachtung mit einfließen zu<br />

<strong>lassen</strong>. Häufig wirkt das Beobachtete<br />

noch mental nach, sodass mehrere<br />

Reflexionsschleifen in zeitlichem<br />

Abstand die Qualität der Beobachtung<br />

steigern können.<br />

Insbesondere die wiederkehrende Bewusstmachung<br />

von Erwartungen an das<br />

Verhalten und die sichtbar werdenden<br />

Kompetenzen der <strong>Kinder</strong> sind sowohl<br />

für den individuellen als auch den kollektiven<br />

Prozess im Sinne des pädagogisch<br />

professionellen Handelns bedeutsam.<br />

Hilfreich ist es, wenn mehrere Personen<br />

in die Beobachtung einbezogen<br />

werden.<br />

Schritt 3: Bildungs- und Lernprozesse<br />

der <strong>Kinder</strong> dokumentieren<br />

Mit der Festlegung der Ziele der<br />

Beobachtung geht ein Klärungsprozess<br />

einher, auf welche Art und Weise die<br />

Beobachtung dokumentiert wird, z. B.<br />

ob ein standardisiertes, an spezifischen<br />

Kompetenzen ausgerichtetes Instrument<br />

verwendet wird oder ob die Dokumentation<br />

der Beobachtung lediglich<br />

als Gedankenstütze für den späteren<br />

Austausch mit Kind, Eltern oder<br />

Kolleg*innen genutzt werden soll. Ein<br />

gemeinsamer Abstimmungsprozess ist<br />

für eine positive Wirkung auf die Qualitätsentwicklung<br />

der Schule unabdingbar.<br />

Schritt 4: Beobachtungen und Dokumentationen<br />

analysieren und im Team<br />

interpretieren<br />

Bei der Analyse und Interpretation von<br />

dokumentierten Beobachtungen gibt<br />

es immer Interpretationsspielräume,<br />

auch wenn standardisierte Instrumente<br />

verwendet werden. Subjektive Vorstellungen<br />

und Normalitätsannahmen<br />

der beobachtenden Person beeinflussen<br />

die Interpretation und können für das<br />

Kind sowohl schädliche als auch förderliche<br />

Wirkungen nach sich ziehen.<br />

Eine besondere Aufmerksamkeit erfordert<br />

daher die Auseinandersetzung<br />

Schritt 1<br />

Beobachtungen professionell<br />

und systematisch<br />

planen<br />

Welches Ziel verfolge ich<br />

mit meiner Beobachtung?<br />

Handelt es sich um eine<br />

bewertungsfreie oder<br />

eine bewertungsrelevante<br />

Situation?<br />

Wann und wie oft wollen<br />

wir <strong>Kinder</strong> in unserer Schule<br />

beobachten?<br />

Sollen es Einzel- oder<br />

Gruppenbeobachtungen<br />

sein? Welche Ziele verfolgen<br />

wir als Team mit der<br />

Beobachtung?<br />

Wie viel Freiraum haben<br />

wir bei der Auswahl<br />

von Beobachtungsinstrumenten?<br />

Wie ist die Beobachtung in<br />

ein übergreifendes Lernund<br />

Leistungskonzept<br />

unserer Schule integriert?<br />

Schritt 2<br />

Bildungs- und Lernprozesse<br />

der <strong>Kinder</strong><br />

beobachten<br />

Was erwarte ich zu sehen<br />

(z. B. bestimmte Fähigkeiten<br />

des Kindes oder das<br />

Fehlen derselben, Interaktionsstrategien<br />

etc.)?<br />

Welche Strategien habe<br />

ich, damit umzugehen,<br />

wenn meine Erwartungen<br />

nicht erfüllt werden?<br />

Welche <strong>Kinder</strong> nehmen<br />

wir beim Austausch in<br />

den Blick (z. B. die uns am<br />

meisten Sorgen bereiten,<br />

wo unser Besprechungsbedarf<br />

am höchsten ist, alle<br />

<strong>Kinder</strong> in einer bestimmten<br />

Systematik, etc.)?<br />

Wie sorgen wir dafür, dass<br />

Kolleg*innen und Teams<br />

Zeit für die Beobachtung<br />

und Gelegenheit für eine<br />

qualitätsvolle Reflexion<br />

erhalten?<br />

mit möglichen situativen Effekten, wie<br />

z. B. dem Halo-Effekt. Dieser liegt dann<br />

vor, wenn bei dem Kind eine spezifische<br />

Kompetenz in besonderer Weise<br />

wahrgenommen wird, die dann mögliche<br />

andere Kompetenzen überstrahlt.<br />

Durch Sympathie/Antipathie können<br />

Wahrnehmungsverzerrungen entstehen.<br />

Logische Fehler treten auf, wenn<br />

z. B. von einem einzelnen Kompetenzbereich<br />

auf die Gesamtentwicklung<br />

geschlossen wird. Mögliche Beobachtungsfallen<br />

und „blinde Flecke“ können<br />

am besten im Team aufgedeckt und reflektiert<br />

werden.<br />

Analyse und Interpretation der Beobachtung<br />

gewinnen durch eine Perspektivenvielfalt,<br />

die entstehen kann, wenn<br />

verschiedene Fachlehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen<br />

und weitere Akteur*innen,<br />

die das Kind begleiten, in<br />

den Dialog treten.<br />

Schritt 5: Beobachtungen und Interpretationen<br />

mit <strong>Kinder</strong>n (und Eltern)<br />

validieren und reflektieren<br />

Die Beobachtung und Dokumentation<br />

sind zentraler Anlass im pädagogischen<br />

Alltagsgeschehen, dem Kind Rückmeldung<br />

über die eigene Kompetenzentwicklung,<br />

persönliche <strong>Stärken</strong> und<br />

Entwicklungsbedarfe zu geben. Es geht<br />

Schritt 3<br />

Bildungs- und Lernprozesse<br />

der <strong>Kinder</strong><br />

dokumentieren<br />

Wie sorge ich dafür, dass<br />

ich mich bei der Dokumentation<br />

darauf konzentriere,<br />

was ich beobachtet habe<br />

und mein Kontextwissen<br />

reflektiert einbeziehe?<br />

Wie können wir voneinander<br />

lernen oder von der<br />

Expertise weiterer<br />

Personen profitieren?<br />

Haben wir Strukturen<br />

für die Dokumentation<br />

geschaffen, die niedrigschwellig<br />

und damit<br />

alltagskompatibel sind?<br />

Abb. 2: Ausgewählte Reflexionsfragen für Einzelpersonen, Teams und Leitungskräfte<br />

(Beobachtungsschritte 1–3)<br />

14<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

darum, dem Kind zu spiegeln, was es<br />

bereits gut kann, wo es sich verbessert<br />

bzw. persönlich weiterentwickelt hat<br />

und wo noch „Baustellen“ bestehen.<br />

Aktuelle Studien belegen die lernunterstützende<br />

und Leistungsmotivation<br />

fördernde Wirkung professionellen<br />

Feedbacks im Kontext von Lerngesprächen<br />

zwischen Lehrkraft und<br />

Kind sowie von Lernentwicklungsgesprächen,<br />

an denen auch die Eltern beteiligt<br />

sind (Dollinger 2019). Solche<br />

Gespräche sollten auch dem Kind die<br />

Möglichkeit geben, seine Perspektiven<br />

zu verdeutlichen und der Lehrkraft beispielsweise<br />

rückzumelden: Hier sehe<br />

ich es anders!<br />

Auf diese Weise wird Deutung von<br />

beobachteten Situationen gemeinsam<br />

kon struiert. Wenn <strong>Kinder</strong>n (und Eltern)<br />

Mitbestimmung an der Interpretation<br />

wie auch an Schlussfolgerungen<br />

für künftige Lern- und Entwicklungsprozesse<br />

ermöglicht wird, können sie<br />

als informierte und involvierte Akteur*innen<br />

auch verantwortlich in die<br />

Planung und Nutzung anknüpfender<br />

Bildungs- und Lernangebote eingebunden<br />

werden. Dies bildet den Kern<br />

einer partizipativen Bildungsdokumentation<br />

(vgl. Büker/Ogrodowski/Antenbrink<br />

2020).<br />

Schritt 4<br />

Beobachtungen<br />

analysieren und im Team<br />

interpretieren<br />

Welche „Normalvorstellungen“<br />

von <strong>Kinder</strong>n<br />

allgemein, von einem typischen<br />

Verlauf einer solchen<br />

Situation, von angemessenem<br />

Verhalten oder gutem<br />

Unterricht liegen der Beobachtung<br />

zugrunde? Sind<br />

dadurch ggf. Verzerrungen<br />

entstanden?<br />

Wie sorgen wir dafür, dass<br />

Beobachtungen und Dokumentationen<br />

zunächst<br />

möglichst offen diskutiert<br />

werden, ohne dass vorschnell<br />

interpretiert wird?<br />

Wie sorgen wir als Schule<br />

für die Umsetzung der<br />

datenschutzrechtlichen<br />

Vorgaben im Umgang mit<br />

den erhobenen Daten und<br />

den entstandenen Dokumentationen?<br />

Schritt 5<br />

Beobachtungen mit<br />

<strong>Kinder</strong>n und Eltern<br />

validieren und reflektieren<br />

Was möchte ich aus dieser<br />

Beobachtung an das Kind<br />

rückmelden und wie<br />

kann diese Rückmeldung<br />

kindangemessen und<br />

<strong>Kinder</strong> stärkend gestaltet<br />

werden? Wie kann ich<br />

sicherstellen, dass die<br />

Persönlichkeitsrechte des<br />

Kindes gewahrt bleiben?<br />

Haben wir als Team<br />

Konzepte und Strategien,<br />

um Ergebnisse aus der<br />

Bildungsdokumentation<br />

an Eltern rückzumelden?<br />

Welche Ziele sind mit einer<br />

solchen Rückmeldung an<br />

die Eltern verbunden?<br />

Wie können wir als<br />

Schulleitungsteam bei<br />

Konflikten mit Eltern<br />

unterstützen?<br />

Schritt 6: Anschließende Lernangebote<br />

professionell planen und gestalten<br />

Idealerweise werden in gemeinsamen<br />

Gesprächen über Beobachtungen und<br />

Dokumentationen Interessen, Lernbedarfe<br />

und Lernbedürfnisse von <strong>Kinder</strong>n<br />

deutlich, die in einen Zusammenhang<br />

gesetzt werden können mit den<br />

für die jeweilige K<strong>lassen</strong>stufe ausgewiesenen<br />

Kompetenzzielen. Die Auseinandersetzung<br />

hiermit führt unmittelbar<br />

zur Planung des pädagogischen Alltags,<br />

z. B. zur Frage nach spezifischen<br />

Anregungen und Anleitungen oder zum<br />

Aufgaben- und Materialangebot.<br />

Erst über den Transfer der Beobachtungsergebnisse<br />

in den pädagogischen<br />

Alltag können die Ansprüche, die an Bildungsdokumentationen<br />

gestellt werden,<br />

tatsächlich erreicht werden: individuelle<br />

Bildungsbegleitung und -förderung im<br />

Sinne einer interessenbezogenen und ressourcenorientierten<br />

Arbeit mit dem Kind.<br />

Anregungen zur Umsetzung<br />

im pädagogischen Alltag<br />

Schritt 6<br />

Anschließende Lernangebote<br />

professionell<br />

planen und gestalten<br />

Wie sehe ich meine zukünftige<br />

Aufgabe in der<br />

Begleitung und Unterstützung<br />

dieses Kindes und<br />

wie fühle ich mich dabei?<br />

Wie können andere <strong>Kinder</strong><br />

von der Förderung des<br />

Kindes profitieren? Wie<br />

schätze ich die Möglichkeiten<br />

bei mir persönlich<br />

und in unserer Schule ein,<br />

um das Kind adäquat zu<br />

begleiten?<br />

Welche Ziele möchten wir<br />

mit dem Austausch über<br />

Beobachtungen erreichen?<br />

Wo ergeben sich ggf. neue<br />

Kooperationen im Team?<br />

Wie können wir als Schulleitung<br />

das Kollegium bei<br />

der Weiterentwicklung<br />

pädagogischer Qualität<br />

unterstützen?<br />

Abb. 3: Ausgewählte Reflexionsfragen für Einzelpersonen, Teams und Leitungskräfte<br />

(Beobachtungsschritte 4–6)<br />

Der Aufbau und die Etablierung von<br />

Beobachtungs- und Dokumentationsstrukturen<br />

in Verbindung mit einer<br />

„Reflexion im Dialog“ erfordern Expertisen<br />

sowie zeitliche und personelle Ressourcen.<br />

Indes gehören Beobachtung<br />

und Dokumentation zum Alltagsgeschäft<br />

von Lehrkräften und sind insbesondere<br />

im Kontext von Elterngesprächen,<br />

Lernstandsberichten, Zeugnissen<br />

etc. ohnehin unerlässlich. Es<br />

ist daher wichtig, innerhalb der Schule<br />

verlässliche zeitliche Strukturen für<br />

den kollegialen Austausch in Teams wie<br />

auch für die Einrichtung von <strong>Kinder</strong>sprechstunden<br />

zu schaffen – hier sind<br />

vor allem die Leitungskräfte gefragt.<br />

Bezüglich einer ressourcenschonenden<br />

Gestaltung von Beobachtung und Dokumentation<br />

können – unter Einhaltung<br />

datenschutzrechtlicher Bestimmungen –<br />

digitale Möglichkeiten genutzt werden wie<br />

z. B. Fotos und Sprachmemos anstelle von<br />

schriftlicher Dokumentation. In größeren<br />

Einrichtungen macht es ggf. auch Sinn, das<br />

Amt einer/eines Beauftragten für die Bildungsdokumentation<br />

zu schaffen – diese<br />

Person könnte die verschiedenen Ebenen<br />

systematisch zusammenführen und die<br />

Etablierung der Strukturen begleiten und<br />

sichern. Dazu gehört auch die Weiterentwicklung<br />

anregender Reflexionsfragen,<br />

beispielsweise an einem pädagogischen<br />

Tag mit dem gesamten Kollegium.<br />

Resümee<br />

In unseren Ausführungen wird deutlich,<br />

dass Beobachtung und Dokumentation<br />

eine wesentliche Grundlage für pädagogisch<br />

professionelles Handeln der einzelnen<br />

Lehrkraft sind, über die sich gleichzeitig<br />

ein enger Zusammenhang für die<br />

Personal- und Schulentwicklung eröffnet.<br />

Zudem ergeben sich durch gemeinsam<br />

geplante, durchgeführte und reflektierte<br />

Beobachtung und Dokumentation<br />

Potenziale mit Blick auf die institutionenübergreifende<br />

Kooperation von <strong>Kinder</strong>tageseinrichtung<br />

und Grundschule<br />

im Kontext der Übergangsgestaltung.<br />

Der gemeinsame Austausch über und<br />

mit <strong>Kinder</strong>n zu ihren Kompetenzen, ihrer<br />

Lern- und Bildungsentwicklung und die<br />

Auseinandersetzung mit den produktiv irritierenden<br />

Reflexionsfragen führt neben<br />

individuellen Reflexions- und Professionalisierungsprozessen<br />

zu dem gemeinsamen<br />

Anspruch, „<strong>Kinder</strong>stärken (wieder)<br />

sichtbar werden zu <strong>lassen</strong>“.<br />

Literaturangaben zum Artikel können<br />

Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa165Lit<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

15


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Elena Auerbach, Christiane Knott<br />

Zeigestunde – jeder kann etwas!<br />

Einmal in der Woche werden all unsere <strong>Kinder</strong> zu Expertinnen und Experten für<br />

selbst gewählte Themen, Dinge oder Erlebnisse – nämlich immer dann, wenn bei<br />

uns die „Zeigestunde“ auf dem Stundenplan steht. Dabei erwachsen die Jungen<br />

und Mädchen zu mutigen Referenten*innen, Erzählern*innen, Darstellern*innen<br />

und Künstlern*innen.<br />

Jeder entdeckt eigene Interessen und<br />

Vorlieben, die er in einer wohlwollenden<br />

und sicheren Umgebung<br />

mit anderen <strong>Kinder</strong>n teilt. Dabei merken<br />

die <strong>Kinder</strong>, wie viel Potenzial –<br />

manchmal unentdeckt – in ihnen steckt,<br />

und lernen, dieses bewusst wahrzunehmen.<br />

Sie reflektieren selbst über ihre<br />

Präsentation und erhalten in Frage-,<br />

Lob- und Tipprunden Feedback von<br />

ihren Mitschüler*innen. Ganz nebenbei<br />

wird außerdem die Sprachkompetenz,<br />

das gezielte Zuhören, das Lenken auf<br />

positive Aspekte und der Umgang mit<br />

Kritik gefördert.<br />

So beginnt bei uns der Tag, an dem<br />

die Zeigestunde stattfindet. Bis zu fünf<br />

<strong>Kinder</strong> stellen ihr mitgebrachtes Thema<br />

vor und besprechen vorab mit uns,<br />

welche Hilfsmittel sie dafür brauchen.<br />

Wenn es losgeht, fühlen sich die <strong>Kinder</strong><br />

richtig wichtig: Schließlich haben<br />

sie – nachdem sie ihre Angst, vor der<br />

Klasse zu stehen, überwunden haben –<br />

den Vortrag selbst geplant und einzelne<br />

Schritte überlegt! Alle Zuhörer*innen<br />

sind wie immer neugierig darauf, was<br />

wir heute präsentiert bekommen.<br />

Mutig referieren vor der Klasse<br />

Elena Auerbach (links)<br />

ist StRin in Jahrgangsgemischter Eingangsklasse,<br />

Beraterin FleGS Mittelfranken,<br />

Beraterin Inklusive Unterrrichtsund<br />

Schulentwicklung<br />

Christiane Knott<br />

ist Lin in Jahrgangsgemischter Eingangsklasse,<br />

Beraterin Flexible Grundschule<br />

Mittelfranken, KRin an FleGS<br />

Schule.<br />

Am Morgen wird alles vorbereitet<br />

Es ist Viertel vor acht. Die Lehrerin steht<br />

im K<strong>lassen</strong>zimmer. Aufgeregt kommt<br />

Mergim auf sie zu und erzählt, was er<br />

heute in der Zeigestunde präsentieren<br />

möchte. Eigentlich ist er ein schüchterner<br />

Junge, der aufgrund mangelnder<br />

Deutschkenntnisse häufig Misserfolge in<br />

Leistungsnachweisen einstecken muss.<br />

Freudig fragt die Lehrerin: „Wie kann<br />

ich dich für heute unterstützen?“ Mergim<br />

berichtet, dass er die Dokumentenkamera<br />

benötigt, um seine Muscheln<br />

gut den anderen erklären zu können.<br />

Dann fängt der Unterricht an.<br />

Mergim steht mit seinen mitgebrachten<br />

Muscheln vor der Klasse. Seine Mitschüler*innen<br />

schauen ihm gespannt<br />

zu, als er von seinem Urlaub in der Türkei<br />

berichtet. Den Vortrag formuliert<br />

er vor Aufregung noch kurz und leise.<br />

Schnell ist er fertig. In der Klasse ist es<br />

still. Nach einer kurzen Pause hört man<br />

den Applaus der <strong>Kinder</strong>. Mergim strahlt.<br />

Fragerunde<br />

Auf die Aussage: „Ich bin fertig, gibt<br />

es Fragen?“ schnellen die Finger der<br />

K<strong>lassen</strong>kamerad*innen in die Höhe.<br />

Ganz anders als im Vortrag beantwortet<br />

Aussagen der <strong>Kinder</strong> zur Lobrunde<br />

„Ich finde es toll, dass du dich getraut hast, dich vor die Klasse zu stellen!” (Tom, 6)<br />

„Ich habe ja gar nicht gewusst, dass du so viel über Muscheln weißt!” (Martha, 7)<br />

„Für das erste Mal machst du das schon so toll!“ (Yannik, 8)<br />

„Ich finde es toll, dass du gut erklären kannst.” (Suse, 8)<br />

„Ich konnte mir so gut vorstellen, wo du im Urlaub warst. Das hat mir ein gutes Gefühl<br />

gegeben.” (Erik, 8) ​<br />

Aussagen der <strong>Kinder</strong> zur Tipprunde<br />

„Man fühlt sich ganz kurz mal gepiekst, nicht so gut, aber dann weiß ich ja, dass ich mich das<br />

nächste Mal einfach noch besser an die Regeln halten muss. Dann muss ich es halt einfach<br />

machen, und das finde ich an dem Tipp eigentlich ganz gut.“ (Felicitas, 8)<br />

„Ich denke mir zuerst, da kommt ja gar nichts Schlimmes, bevor jemand was sagt, und wenn<br />

er es dann sagt, denke ich: Ja okay, es stimmt. Das kann ich ja noch besser machen. Das habe<br />

ich jetzt auch gemacht, und es hat geklappt.“ (Stella, 8)<br />

Mergim alle Fragen passend, mal mehr,<br />

mal weniger ausführlich. Er wirkt dabei<br />

manchmal selbst erstaunt, dass er auf<br />

jede Frage eine Antwort weiß. Die <strong>Kinder</strong><br />

nehmen ihn dabei ganz neu wahr.<br />

Zusätzlich erweitern sie selbst ihr Können,<br />

gezielt Fragen zu stellen und zu<br />

beantworten.<br />

Lobrunde<br />

Nun folgt ein weiterer wichtiger Teil.<br />

Die <strong>Kinder</strong> geben ihre Rückmeldung<br />

zum Gehörten. Hier ist es uns wichtig,<br />

dass die <strong>Kinder</strong> auf die positiven Aspekte<br />

schauen und eine wertschätzende<br />

Meinung äußern. Da dies Teil unseres<br />

Unterrichtskonzepts ist und in verschiedenen<br />

Formen geübt wird („Lernen<br />

durch Lehren“, K<strong>lassen</strong>rat, Autorenrunde,<br />

Lesespaziergänge mit Fremdeinschätzung,<br />

„Warme Dusche“), lernen<br />

die <strong>Kinder</strong> wertschätzendes Feedback<br />

als selbstverständlich kennen. Außerdem<br />

sind sie mal Zuschauer*innen,<br />

mal selbst Redner*innen. So wissen<br />

sie, wie es sich anfühlt, vor allen Mitschüler*innen<br />

sprechen zu müssen.<br />

Die <strong>Kinder</strong> entwickeln eine Sensibilität<br />

für die jeweilige Leistung und vergeben<br />

individuelles Lob.<br />

16<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Häufig werden wir gefragt, was wir<br />

machen, wenn gemeine, negative oder<br />

unpassende Bemerkungen geäußert<br />

werden. Kaum zu glauben, aber die <strong>Kinder</strong><br />

zeigen in diesem Format sehr viel<br />

Einfühlungsvermögen für den anderen/<br />

die andere, auch wenn sie das im Alltag<br />

häufig nicht so schaffen. Deswegen<br />

ist uns die Zeigestunde als besonderer<br />

Rahmen so wichtig: Hier wird in hohem<br />

Maße darauf geachtet, das Positive zu<br />

sehen und ein „Wir werden zusammen<br />

besser“-Gefühl zu erschaffen.<br />

Tipprunde<br />

Zurück zu Mergim: Von dem zurückhaltenden,<br />

eher unsicheren Jungen ist<br />

gerade nichts zu sehen. Endlich war er<br />

einmal nicht Hilfesuchender, sondern<br />

hat anderen etwas beigebracht, sie für<br />

sein Thema begeistert und viele Fragen<br />

beantwortet. Nun ist Mergim auch<br />

emotional bereit, sich der Kritik zu stellen.<br />

Dabei darf er sich einen Tipp bei<br />

einem selbst gewählten Kind abholen.<br />

So erfahren die <strong>Kinder</strong> ohne Bewertung,<br />

was sie noch besser machen können.<br />

Paolo meldet sich und wird von Mergim<br />

für den Tipp aufgerufen: „Du hast<br />

das toll gemacht, aber ich finde, du musst<br />

noch länger und lauter reden. Ich weiß,<br />

du bist aufgeregt, da geht das oft nicht!<br />

Schreibe doch einen Spickzettel, dann<br />

kannst du kucken.”<br />

Mergim nimmt die Anregung dankbar<br />

an und geht stolz auf seinen Platz zurück.<br />

Wir als Lehrkräfte haben nun einen<br />

Anker, den wir ihm anbieten können,<br />

wenn er wieder einmal in einer schwierigen<br />

Situation denkt, er schaffe es nicht.<br />

Win-Win-Situation<br />

auf beiden Seiten<br />

Im schulischen Alltag passiert es immer<br />

wieder, dass der Fokus noch zu oft auf<br />

den Defiziten der <strong>Kinder</strong> liegt, die wir<br />

stets versuchen auszugleichen. Die<br />

Zeigestunde ist für uns Lehrkräfte eine<br />

Chance, jedes Kind in seinen <strong>Stärken</strong><br />

gemeinsam in der Klasse wahrzu-<br />

Ritualisierter, festgelegter Ablauf<br />

als Sicherheit für den Redner*innen:<br />

„Referat“​<br />

Applaus​<br />

Fragerunde​<br />

Lobrunde​<br />

Nur ein Tipp zur Weiterarbeit​<br />

Applaus<br />

nehmen und lernplankompetenzorientiert<br />

zu fördern – und das ganz ohne<br />

Leistungsdruck. So wird das Format für<br />

alle Beteiligten mit zur schönsten Zeit in<br />

der Woche.<br />

„Da kann man sich auch für andere Sachen<br />

interessieren, die man vielleicht noch<br />

nie gesehen hat, und manches möchte ich<br />

dann auch haben.“ (Magdalena, 8)<br />

„Ich bin immer sehr gespannt, weil man<br />

da viel lernen kann und mit den mitgebrachten<br />

Sachen später mit anderen spielen<br />

kann.“ (Louisa, 8)<br />

„Ich finde es schön, dass ich zeigen<br />

kann, was ich gerne mag.“ (Lukas, 6)<br />

Viola Petersson, Irene Hoppe<br />

Ein Nachdenkprojekt zum<br />

<strong>Kinder</strong>buch „Rigo und Rosa“<br />

Das <strong>Kinder</strong>buch „Rigo und Rosa. 28 Geschichten aus dem Zoo und dem Leben“ 1<br />

wurde von Lorenz Pauli geschrieben und von Kathrin Schärer illustriert und<br />

mehrfach ausgezeichnet.<br />

Darum geht es im Buch<br />

Rigo ist ein Leopard und lebt in einem<br />

Gehege im Zoo, in dem ihm eines Tages<br />

die kleine Maus Rosa begegnet. Diese<br />

sucht bei Rigo – ausgerechnet einem<br />

Leoparden – Schutz, da sie Angst vor<br />

großen Tieren hat. Und tatsächlich verbindet<br />

das gegensätzliche Paar bald<br />

eine tiefe Freundschaft, bei der Rigo<br />

den väterlichen, lebenserfahrenen, weisen<br />

Part und Rosa den kindlichen,<br />

unbekümmerten, lebenslustigen Part<br />

einnimmt. In 28 Geschichten führen<br />

die beiden einen anregenden und kurzweiligen<br />

Gedankenaustausch über zentrale<br />

Fragen des Lebens. Wichtiges wird<br />

oft in wenigen Sätzen auf den Punkt<br />

gebracht. Die Illustrationen von Kathrin<br />

Schärer ergänzen nicht nur den<br />

tiefsinnigen, klugen Text, sondern veranschaulichen<br />

die außergewöhnliche<br />

Beziehung der beiden Figuren auf hinreißende<br />

Weise.<br />

Rigo und Rosa – ein ideales<br />

Vorlesebuch im Unterricht<br />

der Jahrgangsstufen 1–3<br />

Das Buch eignet sich hervorragend als<br />

Vorlesebuch in den Jahrgangsstufen 1 bis<br />

3. Zum Beispiel kann einmal wöchentlich<br />

eine Geschichte vorgelesen werden. Jedes<br />

Kind taucht so über einen längeren Zeitraum<br />

immer wieder in die Gedankenwelt<br />

der beiden Figuren ein und entwickelt<br />

dazu seine eigenen Deutungen.<br />

Nach dem Vorlesen jeder einzelnen<br />

Geschichte und dem Betrachten der Bilder<br />

sollte immer die Gelegenheit zur Anschlusskommunikation<br />

wahrgenommen<br />

werden: Jede der 28 Geschichten ist kognitiv<br />

herausfordernd und regt die <strong>Kinder</strong><br />

dazu an, zum Inhalt Stellung zu nehmen<br />

und eigene Gedanken zum Text zu<br />

entwickeln und mit anderen auszutauschen.<br />

Dabei <strong>erleben</strong> die <strong>Kinder</strong> in der<br />

Anschlusskommunikation die Offenheit<br />

der Deutungsspielräume. Sie lernen ähnliche<br />

und auch ganz andere Deutungen<br />

und Haltungen kennen und diese zu akzeptieren.<br />

So werden die Schülerinnen<br />

und Schüler zunehmend mit dem literarischen<br />

Austausch bzw. dem literarischen<br />

Gespräch vertraut.<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

17


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Ich vertraue<br />

– Mama, Papa, Hannes<br />

– Charlie, dass er mich<br />

nicht beißt<br />

– meiner Klasse<br />

– meiner Lehrerin<br />

– Oma und Opa<br />

Mir vertraut<br />

– meine Familie<br />

– meine Freunde<br />

28 Fragen und so viele<br />

Antwortmöglichkeiten –<br />

die eigenen Gedanken im<br />

Nachdenkheft dokumentieren<br />

Link zum LISUM-Material<br />

bildungsserver.berlin-brandenburg.de/<br />

fileadmin/bbb/themen/sprachbildung/<br />

Lesecurriculum/Leseprozesse/<br />

konzepte_usw/Nachdenk-Projekt_<br />

Rigo_Rosa_2021.pdf<br />

Neben der mündlichen Anschlusskommunikation<br />

kann die Auseinandersetzung<br />

mit den 28 einzelnen Geschichten<br />

von Rigo und Rosa durch die Arbeit<br />

mit einem „Nachdenkheft“ intensiviert<br />

werden und zum Aufschreiben der eigenen<br />

Gedanken motivieren. Hierfür wurde<br />

zu jeder der 28 Geschichten eine zentrale<br />

Frage formuliert, die auch die mündliche<br />

Anschlusskommunikation nach dem Vorlesen<br />

der Geschichte eröffnen kann. In der<br />

mündlichen Anschlusskommunikation<br />

ist es jedoch empfehlenswert, die Frage<br />

in der zweiten Person Singular zu stellen<br />

(anders als im Aufgabenblatt für die Schülerinnen<br />

und Schüler) und diese an der<br />

Tafel, dem Whiteboard oder auf einem<br />

Plakat zu präsentieren.<br />

Für das Nachdenkheft kann ein Blanko-DIN-A5-Heft<br />

genutzt werden. Man<br />

kann es aber auch selbst einfach aus sieben<br />

weißen DIN-A4-Blättern und einem<br />

weiteren festeren DIN-A4-Bogen herstellen.<br />

Die Blätter werden aufeinandergelegt,<br />

ganz unten liegt der festere Bogen.<br />

Nun faltet man alle Bögen zusammen<br />

zu einem DIN-A5-Heft. Mit einem<br />

Langhefter in der Mitte zusammengetackert,<br />

entsteht ein Heft mit 28 Seiten und<br />

einem Umschlag. Auf diesen zeichnen die<br />

<strong>Kinder</strong> nach dem Kennenlernen der ersten<br />

Geschichte die beiden Protagonisten<br />

Rigo und Rosa und tragen den Buchtitel<br />

sowie ihren Namen ein. Für die eigenen<br />

Gedanken zu jeder Geschichte bietet das<br />

Nachdenkheft jeweils eine Seite.<br />

Auf zwei Arbeitsbögen sind die 28<br />

Fragen zusammengestellt. Im Anschluss<br />

an den mündlichen Austausch schneiden<br />

die Schülerinnen und Schüler die<br />

passende Frage aus und kleben diese<br />

oben auf eine neue Seite ihres Nachdenkhefts.<br />

Vorab hat die Lehrperson mit den<br />

Schülerinnen und Schülern Ideen gesammelt,<br />

in welcher Form, in welcher<br />

Textart sie ihre Gedanken zu dieser Frage<br />

dokumentieren können:<br />

● die eigenen Gedanken in einem Satz<br />

oder mehreren Sätzen aufschreiben<br />

● eine Liste erstellen (z. B. zu Frage 2<br />

„Was ist an mir besonders?“)<br />

● ein Bild malen und dazu etwas<br />

schreiben (z. B. zu Frage 19 „Welches<br />

Spiel spiele ich am liebsten?“)<br />

● ein Akrostichon schreiben (z. B. zu<br />

Frage 15 „Was bedeutet Freiheit für<br />

mich?“)<br />

● ein Elfchen schreiben (z. B. zu Frage<br />

9 „Was möchte ich zaubern lernen?“)<br />

● eine eigene Rigo-und-Rosa-Geschichte<br />

erfinden (s. Frage 28: „Welche<br />

Geschichten sind in mir drin?“)<br />

● …<br />

In der Auseinandersetzung mit den Geschichten<br />

von Rigo und Rosa entstehen so<br />

über Monate hinweg einzigartige individuelle<br />

Gedankendokumentationen eines jeden<br />

Kindes. In Austauschrunden sollten<br />

die Schülerinnen und Schüler immer wieder<br />

angeregt werden, ihre Nachdenkhefte<br />

einander zu präsentieren.<br />

Ein Hinweis aus der Praxis 1 : Sind einige<br />

<strong>Kinder</strong> am Anfang noch unerfahren und<br />

Irene Hoppe (links)<br />

ist nach langjähriger Tätigkeit an einer<br />

Berliner Grundschule Referentin für die<br />

Schulanfangsphase, den Schriftspracherwerb<br />

und den Übergang Kita-Grundschule<br />

am Landesinstitut für Schule<br />

und Medien Berlin-Brandenburg.<br />

Viola Petersson<br />

ist seit fast 10 Jahren in Potsdam im<br />

Anfangsunterricht tätig, lange Zeit in<br />

einer Flex-Klasse und heute in einer<br />

jahrgangshomogenen Klasse. Nebenher<br />

ist sie abgeordnete Lehrkraft im<br />

LISUM Berlin-Brandenburg und dort<br />

tätig in den Bereichen Schulanfangsphase,<br />

Schriftspracherwerb und<br />

Übergang Kita-Grundschule.<br />

unsicher im mündlichen Formulieren ihrer<br />

Gedanken, so üben sie sich im Austausch<br />

mit anderen zunehmend in diese Anforderung<br />

ein. Auch das schriftliche Formulieren<br />

ihrer Gedanken gelingt den Schülerinnen<br />

und Schülern voraussichtlich immer<br />

besser. Über die Monate hinweg ist bei<br />

den meisten <strong>Kinder</strong>n diese Entwicklung<br />

in ihrem Nachdenkheft zu verfolgen.<br />

Anmerkungen<br />

1) Das Nachdenkprojekt wurde im Unterricht von<br />

Viola Petersson an der Rosa-Luxemburg-Schule in<br />

Potsdam erprobt. Die Schülerbeispiele stammen<br />

aus dem Unterricht von Viola Petersson.<br />

18<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Tanja Schubert<br />

„<strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong>“<br />

„… eine wichtige psychologische Erkenntnis: Weil das Unbewusste keine<br />

Verneinungen versteht, gelingt Lernen am besten, wenn man ein positives Bild<br />

hervorruft.“ (Hasel 2019, 102)<br />

Daraus lässt sich die Wichtigkeit<br />

ableiten, eine Lernatmosphäre<br />

zu schaffen, in der <strong>Kinder</strong> sich<br />

mit ihren individuellen <strong>Stärken</strong> gesehen<br />

und ernst genommen fühlen. Im schulischen<br />

Rahmen werden fachliche Inhalte<br />

und das Erlernen sozialer Kompetenzen<br />

häufig getrennt behandelt und als nicht<br />

gleichwertig betrachtet. Mit Blick auf<br />

das oben genannte Zitat erscheint es<br />

sinnvoll, dass Werteerziehung und die<br />

Förderung von Sozialkompetenz stets<br />

auch Unterrichtsinhalt sind und als<br />

gleichwertig betrachtet werden.<br />

Ein Ziel sollte es daher sein, positives<br />

Verstärken in den Fokus zu nehmen,<br />

denn im Kern kann man sagen: <strong>Kinder</strong><br />

wollen gut sein!<br />

In einer Klasse, in der das Miteinander<br />

durch Werte wie Respekt, Resilienz<br />

und Verantwortung geprägt ist, kann<br />

eine Atmosphäre entstehen, in der auch<br />

gut gelernt werden kann.<br />

Dazu zwei Beispiele aus dem<br />

Unterricht in einer dritten Klasse:<br />

1. Die „Gute-Taten-Leine“<br />

Um die Sozialkompetenz und die K<strong>lassen</strong>gemeinschaft<br />

zu stärken, haben wir in<br />

der Klasse eine „Gute-Taten-Leine“ eingeführt.<br />

Im wöchentlichen K<strong>lassen</strong>rat<br />

können <strong>Kinder</strong> für diese vorgeschlagen<br />

werden, wenn sie anderen geholfen oder<br />

sie getröstet haben, sich für jemanden<br />

oder eine Sache eingesetzt haben, etwas<br />

für die Gemeinschaft getan haben u. Ä.<br />

Die entsprechenden Kriterien dafür<br />

haben wir zunächst gemeinsam besprochen.<br />

Die guten Taten werden auf eine<br />

Karte geschrieben und diese wird an<br />

einer Leine, die durch den K<strong>lassen</strong>raum<br />

gespannt ist, aufgehängt. Dort bleibt sie<br />

hängen, bis die Leine voll ist. Dann werden<br />

sukzessiv von vorn nach hinten die<br />

älteren Karten durch neue Karten ersetzt.<br />

Die ausgetauschten Karten werden<br />

im Anschluss an die jeweiligen <strong>Kinder</strong><br />

ausgehändigt, sodass jedes Kind „seine“<br />

Karte mit nach Hause nehmen kann. Im<br />

Sinne einer Förderung der Selbst- und<br />

Fremdwahrnehmung werden die Schüler*innen<br />

durch das Kompliment bestärkt<br />

und lernen auf diese Weise auch,<br />

den anderen positive Rückmeldungen<br />

zu geben. Das Augenmerk in der Umsetzung<br />

liegt dabei auf positiver Bestätigung.<br />

Die „Gute Taten-Leine“ stellt daher<br />

eine Form der positiven Verstärkung innerhalb<br />

der Gruppe dar, indem die <strong>Stärken</strong><br />

des Einzelnen sichtbar gemacht werden.<br />

2. „Hände der Wertschätzung“<br />

Während eines interkulturellen Projektes<br />

wurde sichtbar, wie schwer es den<br />

Schüler*innen fiel, sich selbst, vor allem<br />

die eigenen <strong>Stärken</strong> und Fähigkeiten,<br />

einzuschätzen.<br />

Um eine Verbesserung des individuellen<br />

Selbstbildes und der Emotionalität<br />

sich selbst gegenüber zu fördern,<br />

haben wir in der Klasse unsere „Hände<br />

der Wertschätzung“ in den Blick<br />

genommen. Zunächst wurde die linke<br />

Hand mit dem Handrücken auf ein<br />

Blatt Papier gezeichnet. Nachdem alle<br />

ihre einzigartige Hand genau betrachtet<br />

und die jeweiligen Besonderheiten auf<br />

dem Papier eingezeichnet hatten, sollte<br />

jedes Kind für sich überlegen, was es<br />

Tanja Schubert<br />

ist Grundschullehrerin in Hamburg<br />

und ausgebildete Sprachlernberaterin,<br />

Förderkoordinatorin und in der Ausbildung<br />

von Lehrer*innen als Koordinatorin<br />

tätig. Aktuell ist sie K<strong>lassen</strong>lehrerin<br />

einer 3. Klasse.<br />

„Das war toll, als ich gelesen<br />

habe, was die anderen mir<br />

geschrieben haben!“<br />

Joel<br />

besonders auszeichnet. Das Ziel war es,<br />

fünf Besonderheiten über sich selbst jeweils<br />

neben die einzelnen Finger auf zu<br />

schreiben.<br />

In einer der nächsten Stunden haben<br />

alle Schüler*innen noch einmal<br />

ihre Hand auf ein Blatt Papier gezeichnet<br />

und in den Handrücken den eigenen<br />

Namen geschrieben. Dann wurden alle<br />

Hände ausgelegt. Anschließend hatten<br />

die <strong>Kinder</strong> nun den ganzen Vormittag<br />

Zeit, einem anderen Kind etwas in die<br />

Hand zu schreiben, was er oder sie besonders<br />

an diesem Kind schätzt.<br />

Die Verantwortung dafür, dass am<br />

Ende die Finger aller Hände beschrieben<br />

wurden, trug die Klasse gemeinsam.<br />

Jedes Kind hatte von sich nun zwei<br />

„Hände der Wertschätzung“: In einer<br />

Hand waren „eigene Werte“ festgehalten,<br />

in der anderen Hand „Werte, die andere<br />

<strong>Kinder</strong> wahrnehmen“.<br />

Diese Unterrichtseinheit sollte dem<br />

Aufbau eines realistischeren Selbstkonzeptes<br />

dienen und gleichzeitig eine<br />

differenziertere Sprachförderung ermöglichen.<br />

Bereits beim Aufschreiben der Wert-<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

19


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Lernziele zu ritualisierten Rückmeldungen<br />

(vgl. Schubert 2021, 15):<br />

• Förderung der Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />

• Sprachförderung (differenzierte<br />

Einschätzung statt pauschaler Beurteilung)<br />

• Überprüfung der Selbstwirksamkeit<br />

• Aufbau eines realistischen Selbstkonzeptes<br />

– Auffassung der Eigenschaften<br />

von sich selbst<br />

„Ich wusste gar nicht, dass die<br />

anderen denken, dass ich so fair<br />

beim Fußball bin …“<br />

Johan<br />

„Ich habe mich so gefreut, dass<br />

jemand geschrieben hat, dass ich<br />

so schön malen kann!“<br />

Alya<br />

schätzungen sind die <strong>Kinder</strong> miteinander<br />

ins Gespräch gekommen und mussten<br />

aufgrund des limitierten Platzes in<br />

den Händen sich genau überlegen, wie sie<br />

ihre Wertschätzung in verständliche und<br />

gleichsam aussagekräftige Worte fassen<br />

können.<br />

Die <strong>Kinder</strong> haben also schon während<br />

des Schreibprozesses miteinander über<br />

die zugeschriebenen Werte gesprochen<br />

und teilweise diese ausführlich mündlich<br />

erklärt. Am Ende bekam jeder „seine Hände<br />

der Wertschätzung“ ausgeteilt und nach<br />

einer stillen Lesezeit, in der jeder „seine<br />

Hände“ auf sich wirken <strong>lassen</strong> konnte,<br />

durften sich die <strong>Kinder</strong> in einer gemeinsamen<br />

Reflexionsphase zu „ihren Händen“<br />

äußern. Dabei standen vor allem die individuellen<br />

Empfindungen und Gefühle der<br />

<strong>Kinder</strong> im Fokus. Am Ende durften alle<br />

<strong>Kinder</strong> ihre „Hände der Wertschätzung“<br />

als Schatz mit nach Hause nehmen.<br />

Die Ergebnisse und Äußerungen der<br />

<strong>Kinder</strong> während der gemeinsamen Reflexion<br />

zeigten deutlich eine positive<br />

und nachhaltige Auswirkung auf die<br />

Selbstwahrnehmung der <strong>Kinder</strong>. <br />

Literaturangaben zum Artikel können<br />

Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa165Lit<br />

20<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Miriam Remy<br />

Gemeinsam sind wir stark!<br />

Selbstwirksamkeit <strong>erleben</strong> mit dem FREI-DAY-Lernformat<br />

<strong>Kinder</strong> fühlen sich stark, wenn sie spüren, dass sie mit anpacken dürfen, dass sie<br />

gebraucht werden und ein wichtiger Teil der Gemeinschaft sind. Wenn wir ihnen<br />

signalisieren, dass ihre Gedanken, Fragen und Anliegen wichtig sind und gehört<br />

werden. Wenn wir ihnen zutrauen, dass sie auf richtig gute Ideen kommen und<br />

ihre Perspektive auf die Welt ein Geschenk auch für die Erwachsenen ist.<br />

Wenn wir ihnen vermitteln:<br />

Gemeinsam können wir das<br />

schaffen! Wenn sie sich<br />

selbst als wirksam <strong>erleben</strong> dürfen und<br />

sehen und spüren, dass sie zusammen<br />

mit anderen einen wichtigen Beitrag zu<br />

etwas Größerem geleistet haben.<br />

Dafür brauchen wir Zeit.<br />

Zeit im Schulalltag.<br />

lichen, wirtschaftlichen und im ökologischen<br />

Bereich sichtbar wird. In all<br />

seiner Komplexität. Lehrkräfte und<br />

päda gogische Fachkräfte werden dabei<br />

zu Schlüsselfiguren – sie sollen als<br />

Multiplikator*innen ausgebildet werden,<br />

die die <strong>Kinder</strong> und Jugendlichen<br />

dazu befähigen, ihre Gesellschaft und<br />

eigene Zukunft aktiv mitzugestalten<br />

und einen Handabdruck in der Welt<br />

zu hinter<strong>lassen</strong>. Doch wie können wir<br />

<strong>Kinder</strong> zur Mitgestaltung ihrer Zukunft<br />

befähigen?<br />

Aufgreifen der Fragen<br />

im Hier und Jetzt<br />

Was beschäftigt unsere <strong>Kinder</strong> zurzeit?<br />

Welche Fragen haben sie an die Welt?<br />

Neben den Tieren im Wald, Verkehrsregeln,<br />

Rechtschreibung und den<br />

Grundrechenarten wollen <strong>Kinder</strong> wissen:<br />

Was ist los in Israel und Palästina?<br />

Warum gibt es einen Krieg in der<br />

Ukraine? Was haben manche Erwachsene<br />

gegen das Elterntaxi? Wieso hat<br />

der Mann, der vor dem Supermarkt auf<br />

dem kalten Boden sitzt, keine Wohnung?<br />

Wo schläft er dann im Winter?<br />

Wieso sind manche meiner Lieblingstiere<br />

vom Aussterben bedroht? Warum<br />

ist es nicht gut, wenn meine Sitznachbarin<br />

jeden Tag ihr Pausenbrot in Alufolie<br />

verpackt mitbringt? Welche Auswirkungen<br />

auf unser Leben hat der sich<br />

verstärkende Treibhauseffekt? Und:<br />

Was können wir tun, damit wir es noch<br />

schaffen, die Klimakrise abzuwenden,<br />

über die die Erwachsenen die ganze<br />

Zeit im Radio und Fernsehen sprechen?<br />

<strong>Kinder</strong> gehen mit offenen Augen und<br />

Ohren durch die Welt und sind Meister<br />

darin, gute Fragen zu stellen. Das hilft<br />

ihnen, an all die Informationen heranzukommen,<br />

die sie brauchen, um die Welt,<br />

Miriam Remy<br />

ist seit September 2021 Bundeslandkoordinatorin<br />

für die Organisation<br />

Schule im Aufbruch in NRW. Dabei begleitet<br />

sie Lehrkräfte und Schulleitungen<br />

in der Einführung und Umsetzung<br />

des FREI-DAY-Lernformats und setzt<br />

sich für einen Bildungswandel hin zu<br />

einer zukunftsorientierten Lernkultur<br />

ein. Sie ist ausgebildete Lehrkraft,<br />

hat einige Jahre an weiterführenden<br />

Schulen unterrichtet und ist seit vielen<br />

Jahren als Bildungsreferentin im Schulentwicklungsbereich<br />

aktiv.<br />

Für die UNESCO ist klar: Bildung ist<br />

ein entscheidender Erfolgsfaktor für<br />

die Erreichung aller 17 Ziele in ihrem<br />

Weltaktionsprogramm bis 2030 für<br />

eine sozial gerechte und umweltfreundliche<br />

Welt. Schulen sind dabei aus Sicht<br />

der Regierungen in aller Welt ein zentraler<br />

Knotenpunkt für den gesamtgesellschaftlichen<br />

Wandel: Hier kommen<br />

alle <strong>Kinder</strong> jeden Tag zum Lernen<br />

zusammen, ganz egal, aus welchem<br />

Elternhaus und Stadtteil sie stammen.<br />

Weltweit. Schulen sollen sich entsprechend<br />

in „Reallabore“ für Zukunftsfähigkeit<br />

verwandeln, an denen Bil dung<br />

„experimentell, handlungsorientiert,<br />

mit lokalem Bezug und kulturspezifisch“<br />

im Sinne der 17 Nachhaltig keitsziele<br />

ausgestaltet wird (vgl. Berliner<br />

Erklärung zur Bildung für nachhaltige<br />

Entwicklung, Mai 2021, Abschnitt 6.e).<br />

Damit das gelingen kann, sollen Schulen<br />

sich ganzheitlich auf allen Ebenen<br />

des Lernens und Zusammenlebens<br />

weiterentwickeln. „Für das<br />

Leben lernen und das Gelernte leben“,<br />

so ist der Auftrag an die Schule im<br />

21. Jahrhundert, oder auf Englisch<br />

ausgedrückt: „Learn for the planet.<br />

Act for sustainability.“ Der schulische<br />

Alltag soll das aufgreifen, behandeln,<br />

verständlich werden <strong>lassen</strong>, was aktuell<br />

in der Welt passiert und an dringendem<br />

Veränderungsbedarf im gesellschaftin<br />

die sie hineingeboren werden, besser<br />

verstehen zu können. Sie haben einen<br />

großen Forscher*innen-Geist und feine<br />

Antennen, die manchmal auch ohne<br />

viele Worte verstehen: Hier machen<br />

sich Erwachsene Sorgen. Dieses Thema<br />

ruft starke Gefühle hervor. Hier will<br />

mir meine Mutter oder Lehrerin lieber<br />

nichts weiter darüber erzählen.<br />

Doch ihr Forscher*innen geist ist damit<br />

noch nicht zufriedengestellt. Auch<br />

die Fragen, über die wir lieber hinweggehen<br />

und auf die wir den <strong>Kinder</strong>n keine<br />

verständlichen Antworten anbieten,<br />

arbeiten in ihnen weiter. In diesem Fall<br />

geht die Suche nach Antworten einfach<br />

ohne unsere Hilfe weiter – oder sie verfestigt<br />

sich als diffuse Sorge und Zukunftsangst,<br />

die ungehört bleibt und<br />

<strong>Kinder</strong> auf Dauer gereizt, unkonzentriert,<br />

sprachlos oder schlaflos werden<br />

lässt. Denn diese Fragen sind dringend<br />

und beschäftigen nicht nur die <strong>Kinder</strong>,<br />

sondern viele Menschen in unserer Gesellschaft<br />

und weltweit. Davon bleiben<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

21


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Informationen zu den Angeboten von Schule im Aufbruch<br />

Die Organisation Schule im Aufbruch setzt sich seit ihrer Gründung<br />

im Jahr 2012 für die Verankerung von zukunfts- und schüler*innenorientierten<br />

Lernformaten ein und unterstützt Lehrkräfte<br />

und Schulleitungen mit Fortbildungs,- Austausch- und<br />

Beratungsangeboten im Einführungsprozess. Weitere Informationen<br />

zu ihren Angeboten, ein Magazin mit Praxisberichten<br />

sowie ein Veranstaltungskalender finden sich auf ihrer Homepage<br />

https://schule-im-aufbruch.de/.<br />

Bundesweit haben sich in den letzten Monaten bereits über<br />

720 Schulen bei uns gemeldet, weil sie sich Unterstützung bei<br />

der Einführung des FREI-DAY-Lernformats wünschen. Weitere Informationen<br />

zum Konzept sowie Erfahrungsberichte aus der Praxis<br />

finden sich auf der FREI-DAY-Homepage https://frei-day.org.<br />

In einigen Bundesländern, darunter Niedersachsen, NRW,<br />

Sachsen, Baden-Württemberg und das Saarland, ist die Teilnahme<br />

an schuljahresbegleitenden Unterstützungsprogrammen<br />

möglich. Interessierte Lehrkräfte und Schulleitungen können<br />

über ein Kontaktformular einen unverbindlichen Beratungstermin<br />

vereinbaren: (https://formulare.schule-im-aufbruch.de/<br />

jetzt-aufbrechen) oder an einer Infoveranstaltung teilnehmen.<br />

auch die <strong>Kinder</strong> unserer Zeit nicht unberührt.<br />

Wachstumsimpulse und<br />

Lernzuwachs durch BNE<br />

Hier wird sichtbar, wie groß das<br />

Wachstumspotenzial für <strong>Kinder</strong> im<br />

Kontext von BNE ist: Durch die Verankerung<br />

von BNE erhalten <strong>Kinder</strong><br />

die Möglichkeit, eigenen Forschungsfragen<br />

an die Welt lösungsorientiert<br />

nachzugehen. Dabei schließen sie sich<br />

mit anderen <strong>Kinder</strong>n, der Schulgemeinschaft,<br />

Teilen der Eltern, Nachbar*innen,<br />

lokalen Unternehmen, Politiker*innen<br />

und Initiativen vor Ort zusammen,<br />

besuchen außerschulische Bildungsorte,<br />

interviewen Expert*innen und tragen<br />

ihre Anliegen und Wünsche in eine<br />

breitere Öffentlichkeit. Ganz im Sinne<br />

der <strong>Kinder</strong>rechte bringen sie ihre Fragen,<br />

Perspektiven und Ideen in die<br />

Gesellschaft ein und wirken an der Ausgestaltung<br />

ihrer Gegenwart und Zukunft<br />

aktiv mit. Unsere Rolle als Erwachsene ist<br />

es dabei, die <strong>Kinder</strong> in ihren Sorgen und<br />

Anliegen ernst zu nehmen, sie bei der<br />

<strong>Kinder</strong> der Gottfried-Kinkel-Grundschule in Bonn<br />

Ausschärfung ihrer Forschungsfragen<br />

zu unterstützen, ihnen einen hilfreichen<br />

Rahmen für ihre Projekte zu schaffen,<br />

die Arbeit der Projektteams sinnvoll zu<br />

strukturieren, sie mit Expert*innen und<br />

Engagierten zu vernetzen, bei Herausforderungen<br />

und unerwarteten Komplikationen<br />

zu beraten und ihnen immer<br />

wieder Mut zu machen, ihre Anliegen<br />

einzubringen und in einen spürbaren<br />

und sichtbaren Beitrag zum Gemeinwohl<br />

zu verwandeln.<br />

Die Kraft des Wir <strong>erleben</strong><br />

Genau hier setzt das FREI-DAY-Lernformat<br />

von Schule im Aufbruch an.<br />

Bundesweit wissen wir bereits von<br />

mehr als 720 Schulen aller Schulformen,<br />

die seit 2019 das FREI-DAY-Lernformat<br />

bei sich eingeführt haben und es als<br />

Möglichkeit nutzen, eine Brücke in die<br />

neue Lernkultur im 21. Jahrhundert zu<br />

bauen.<br />

Im Grunde ist es ganz einfach:<br />

Einmal in der Woche erhalten <strong>Kinder</strong><br />

und Jugendliche drei bis vier<br />

Schul stunden am Stück Zeit, sich mit<br />

ihren großen Fragen an die Welt zu<br />

beschäftigen und ein Problem aus<br />

den 17 Zielen auszuwählen, das ihnen<br />

besonders am Herzen liegt. Dabei vernetzen<br />

sie sich mit außerschulischen<br />

Lernorten, Initiativen und Expert*innen<br />

vor Ort und entwickeln einen konkreten<br />

Lösungsvorschlag, wie die Welt in diesem<br />

Bereich ein Stück weit verbessert<br />

werden kann.<br />

Doch bleibt es dabei nicht bei der<br />

Theorie und Fragen nach dem „Was<br />

wäre, wenn …?“. Das große Ziel am<br />

FREI DAY ist es, die eigene Idee in der<br />

Welt auszuprobieren und sich dabei<br />

selbst als wirksam zu <strong>erleben</strong>.<br />

Förderung vielfältiger fachlicher<br />

und überfachlicher Kompetenzen<br />

Hierbei wird klar, wie viele unterschiedliche<br />

Kompetenzen und Fähigkeiten<br />

in diesem Prozess bei den <strong>Kinder</strong>n<br />

gefördert werden. Neben den grundlegenden<br />

Lese-, Schreib- und mathematischen<br />

Kompetenzen erwerben<br />

die <strong>Kinder</strong> durch die Zusammenarbeit<br />

in ihren Schüler*innen-Teams und<br />

mit Eltern, Initiativen und Expert*innen<br />

tiefe Einblicke in die komplexen<br />

Zusammenhänge unserer Welt. Bei der<br />

Ausgestaltung ihrer Aktivitäten in einer<br />

breiteren Öffentlichkeit werden – ganz<br />

nebenbei und situativ begründet – weitere<br />

Lehrplanvorgaben und fachübergreifende<br />

Querschnittsaufgaben im<br />

Sinne einer zeitgemäßen Lernkultur<br />

erfüllt: Die Schüler*innen wenden kritische<br />

Medienkompetenzen bei ihrer<br />

Recherche an, nutzen die Medien ggf.<br />

im weiteren Projektverlauf als hilfreiche<br />

Werkzeuge, um ihrem Anliegen mehr<br />

Gehör und Sichtbarkeit zu verschaffen,<br />

lernen, Gespräche und Interviews zu<br />

22<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

führen, komplexe Zusammenhänge zu<br />

verstehen, sich eigene realistische Ziele<br />

zu stecken, ihre Vorgehensweise strategisch<br />

zu planen und ggf. erneut im Verlauf<br />

anzupassen, um auf ein konkretes<br />

Ziel mit ihrer Gruppe hinzuarbeiten<br />

und ihre Ergebnisse am Ende öffentlichkeitswirksam<br />

in die Gemeinschaft einzubringen.<br />

BNE ist somit kein zusätzliches<br />

„Add-on“, sondern stellt eine<br />

wirkungsvolle Möglichkeit dar, zahlreiche<br />

Erkenntnisse und lernförderliche<br />

Empfehlungen der letzten Jahre zu<br />

bündeln und in einem motivierenden,<br />

sinnstiftenden Kontext konkret in die<br />

Umsetzung zu bringen.<br />

Um die Lehrkräfte gut auf diese Aufgabe<br />

vorzubereiten, bietet Schule im<br />

Aufbruch zahlreiche Fortbildungen und<br />

den schulübergreifenden Austausch zwischen<br />

Kolleg*innen in unserem Netzwerk<br />

von Schulen an. In einer stetig<br />

wachsenden Online-Materialsammlung<br />

stellen wir zudem inspirierende Vorlagen<br />

und Good-Practice-Beispiele zur<br />

Verfügung, um die Lernbegleiter*innen<br />

in ihrer Arbeit zu entlasten und das<br />

Von- und Miteinander-Lernen zwischen<br />

den Schulen zu ermöglichen.<br />

Stellt euch vor, …<br />

… einmal in der Woche würden die<br />

Jahrgangsstufen 3 und 4 oder die gesamte<br />

Schulgemeinschaft an ihren großen<br />

Fragen an die Welt forschen.<br />

Ihr betretet das Schulgebäude und<br />

überall haben sich kleine Gruppen von<br />

<strong>Kinder</strong>n zusammengefunden, die gemeinsam<br />

diskutieren, lesen, recherchieren,<br />

ihre Gedanken und Ergebnisse<br />

in ihrem Projekttagebuch notieren,<br />

Briefe schreiben, online zum Interview<br />

mit einem Elternteil oder einer Wissenschaftler*in<br />

verabredet sind, Telefonate<br />

führen, einen Radiobeitrag oder ein Erklärvideo<br />

vorbereiten, Plakate gestalten<br />

oder ihre nächste öffentlichkeitswirksame<br />

Aktion im Stadtteil planen.<br />

Die Lehrkräfte und pädagogischen<br />

Fachkräfte begleiten sie dabei. Sie helfen<br />

den <strong>Kinder</strong>n, ihre Vorhaben sinnvoll zu<br />

strukturieren und ihre Schritte und Ziele<br />

realistisch zu planen, als Gruppe gut<br />

zusammenzuarbeiten, ihre Ergebnisse<br />

zu dokumentieren und bei Fragen herauszufinden,<br />

wer ihnen hier am besten<br />

weiterhelfen kann. Ihre Aufgabe ist es,<br />

die <strong>Kinder</strong> dabei zu unterstützen, sich<br />

mit ihren Anliegen aktiv in die Schulgemeinschaft<br />

und ihr Lebensumfeld einzubringen<br />

und dabei die Erfahrung zu<br />

machen, dass wir gemeinsam viel erreichen<br />

können.<br />

Das große Ziel von BNE ist es ja, zu<br />

einer sichtbaren und spürbaren Veränderung<br />

in der Welt beizutragen und<br />

sich selbst und das eigene Handeln als<br />

wirksam zu <strong>erleben</strong>.<br />

Einige <strong>Kinder</strong> halten sich in diesem<br />

Moment vielleicht gar nicht im Schulgebäude<br />

auf, sondern sind gemeinsam<br />

auf dem Schulgelände unterwegs, um<br />

mit einem Handwerker aus der Elternoder<br />

Nachbarschaft eine Ruhe-Insel auf<br />

dem Schulhof einzurichten, um das Ziel<br />

„Gesundheit und Wohlbefinden“ weiter<br />

auszubauen. Andere <strong>Kinder</strong> sind gerade<br />

mitten im Gespräch mit der Reinigungsfirma,<br />

um einzufordern, dass in Zukunft<br />

nur noch umweltverträgliche Reinigungsmittel<br />

für das Putzen der Schule<br />

verwendet werden, um die Gewässer<br />

zu schützen. Wiederum andere nehmen<br />

einen Termin beim Caterer wahr,<br />

um auszuloten, was getan werden muss,<br />

damit das Schulessen leckerer, gesünder,<br />

regionaler und mehr an den Wünschen<br />

der <strong>Kinder</strong> ausgerichtet werden<br />

kann. Wiederum andere <strong>Kinder</strong> sind<br />

vielleicht gerade bei der lokalen Initiative<br />

für wohnungslose Menschen zu Besuch,<br />

um herauszufinden, was die Schulgemeinschaft<br />

tun kann, um Menschen in<br />

dieser schwierigen Situation im Winter<br />

vor dem Erfrieren zu schützen, oder um<br />

ihre in der Elternschaft und Nachbarschaft<br />

gesammelten Decken und Schlafsäcke<br />

dort abzugeben.<br />

Weitere Projektbeispiele<br />

SDGs ii einem<br />

K<strong>lassen</strong>zimmer<br />

der Gottfried-<br />

Kinkel-Grundschule<br />

in Bonn<br />

Arbeit mit den<br />

17 Zielen an der<br />

Gottfried-Kinkel-<br />

Grundschule in<br />

Bonn<br />

Einige Grundschulen berichten, dass die<br />

<strong>Kinder</strong> am FREI DAY eigene Umfragen<br />

konzipieren, um z. B. herauszufinden,<br />

wie viele <strong>Kinder</strong> nach wie vor mit dem<br />

Elterntaxi zur Schule gebracht werden<br />

und warum. Anschließend entwickeln<br />

sie im Rahmen ihres Projekts<br />

Maßnahmen, um diese Situation zu<br />

verändern: Sie schildern die Radwege<br />

für ihre Mitschüler*innen besser aus,<br />

organisieren Schulweggruppen, die<br />

gemeinsam zur Schule laufen, formulieren<br />

einen Brief an die Eltern, in dem sie<br />

darlegen, warum Elterntaxis aus ihrer<br />

Sicht keine gute Lösung sind und wie<br />

sich alle gemeinsam für sicherere Schulwege<br />

bei der Stadt starkmachen können.<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

23


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Sie führen Gespräche mit dem lokalen<br />

Busunternehmen und setzen sich bei<br />

der Stadt dafür ein, dass bei der nächsten<br />

Fahrplanänderung bessere Zeiten<br />

festgelegt werden und eine näher<br />

gelegene Bushaltestelle genutzt wird,<br />

an der eine Ampel zum Schutz der <strong>Kinder</strong><br />

beim Überqueren der Straße eingerichtet<br />

wird. Eine andere Initiative<br />

macht Werbung für die Teilnahme der<br />

Schulgemeinschaft am Stadtradeln und<br />

setzt sich dafür ein, dass ausreichend<br />

überdachte Fahrradunterstände für alle<br />

zur Verfügung gestellt werden.<br />

Wiederum andere <strong>Kinder</strong> machen sich<br />

Sorgen um die im letzten Sommer bei<br />

der anhaltenden Trockenheit oder vom<br />

Unwetter zerstörten Waldflächen in der<br />

Nähe der Schule, nehmen Kontakt zum<br />

Förster auf und wollen wissen, wie ein klimaresistenter<br />

Wald aussehen kann. Daraus<br />

ergibt sich die Idee, bei einem selbst<br />

organisierten Spielsachen- und Kleiderflohmarkt<br />

die erzielten Erlöse für den<br />

Kauf von Baumsetzlingen zu verwenden,<br />

die die <strong>Kinder</strong> anschließend gemeinsam<br />

mit den Waldarbeiter*innen sachgemäß<br />

einpflanzen und vor Wildverbiss schützen<br />

und dabei viel lernen über ökologische<br />

Zusammenhänge, spannende Berufe<br />

und die Kraft, die darin steckt, wenn wir<br />

uns gemeinsame Ziele stecken und diese<br />

zusammen wahr werden <strong>lassen</strong>.<br />

Stärkung der<br />

Handlungskompetenzen<br />

und Resilienzförderung<br />

Die Resultate ihrer Arbeit so konkret<br />

vor Augen zu haben, macht die <strong>Kinder</strong><br />

stolz und zeigt ihnen, wie wichtig es ist,<br />

gemeinsam anzupacken. Vor allem aber<br />

macht es ihnen Mut, sich in Zukunft<br />

immer wieder für das Gute einzusetzen<br />

und sich mit anderen zusammen für<br />

eine bessere Welt zu engagieren. Durch<br />

BNE öffnet sich Schule also nicht nur<br />

der aktuellen Welt der <strong>Kinder</strong> und den<br />

großen Fragen und Herausforderungen<br />

unserer Zeit, sondern die Schüler*innen<br />

erhalten darüber hinaus die Möglichkeit,<br />

ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten<br />

und die Kraft der Gemeinschaft hautnah<br />

zu <strong>erleben</strong> und sich in der Mitgestaltung<br />

ihrer Zukunft zu üben. Sie erfahren, wie<br />

viel Gutes möglich wird, wenn wir einen<br />

Raum schaffen, um über unsere Ängste,<br />

Sorgen und Wünsche miteinander ins<br />

Gespräch kommen. Sie spüren, dass sie<br />

nicht alleine sind mit diesen Sorgen und<br />

dem Wunsch, etwas zum Besseren zu<br />

verändern, und sie kommen in Kontakt<br />

mit anderen Menschen in ihrem Umfeld,<br />

die diesen Impuls auch verspüren und<br />

vielleicht sogar schon begonnen haben,<br />

sich aktiv und wirkungsvoll für eine Veränderung<br />

zu engagieren.<br />

<strong>Kinder</strong> erhalten dadurch die Möglichkeit,<br />

mit ermutigenden Geschichten, inspirierenden<br />

Vorbildern, ansteckenden<br />

Initiativen und all den Lösungsansätzen<br />

in unserer Welt in Berührung zu kommen,<br />

die es schon längst in jedem Stadtteil<br />

und überall in der Welt gibt.<br />

Ein starker Impuls für die Stärkung<br />

der Schulgemeinschaft<br />

Wie verändert solch ein Format die<br />

Schulgemeinschaft? Neben der neuen<br />

Rolle, die <strong>Kinder</strong>n in ihrer Schule zuteilwird<br />

– nämlich die Rolle von Ideengeber*innen,<br />

Mitgestalter*innen und<br />

Change Agents für den notwendigen<br />

Wandel unserer Gesellschaft, finden<br />

sich auch die Lehrkräfte in der allerorts<br />

geforderten Rolle der individuellen<br />

Lernbegleiter*in wieder. So bietet diese<br />

Art des Lernens viele Gelegenheiten für<br />

flankierende Reflexionsgespräche und<br />

die Diagnose von im Handeln sichtbar<br />

werdenden individuellen Lernbedarfen<br />

der <strong>Kinder</strong>. Aber auch einen guten<br />

Anlass für formatives Feedback und<br />

die Förderung der 4K, wie sie von der<br />

Kultusministerkonferenz für das Lernen<br />

in der digitalen Welt gefordert werden.<br />

Im Rahmenkonzept des OECD Lernkompass<br />

2030 ist von „Co Agency“ die<br />

Rede, um die „Student Agency“ und<br />

„Transformationskompetenzen“ der Schüler*innen<br />

wirkungsvoll zu stärken. Hiermit<br />

treten neben der begleitenden und unterstützenden<br />

Rolle der Lehrkraft weitere Ressourcen<br />

und Wissensvermittler*innen in<br />

den Blick: Außerschulische Lernorte, Expert*innen<br />

und alle Mitglieder der Schulgemeinschaft<br />

können dabei Quellen von<br />

hilfreichen Erfahrungsschätzen, Handlungswissen<br />

und Perspektiven werden, die<br />

die <strong>Kinder</strong> in ihren Anliegen unterstützen<br />

und weiter voranbringen können.<br />

Eltern und Großeltern erhalten dadurch<br />

die Möglichkeit, sich mit all ihrer<br />

Lebenserfahrung, wertvollen Expertise<br />

und zahlreichen Kompetenzen sinnvoll in<br />

die Schulgemeinschaft einzubringen und<br />

können die Lehrkräfte und pädagogischen<br />

Fachkräfte bei der Begleitung der Projektvorhaben<br />

der <strong>Kinder</strong> entlasten und ergänzen.<br />

Auch für die Ganztagsentwicklung<br />

bietet solch ein BNE-Projektformat und<br />

die Orientierung am geforderten „Whole<br />

School Approach“ zukunftsweisende Impulse:<br />

Die Begleitung der Projektvorhaben<br />

der <strong>Kinder</strong> bietet viele Anlässe und einen<br />

sinnstiftenden Rahmen für die die multiprofessionelle<br />

Zusammenarbeit von Lehrkräften<br />

und pädagogischen Fachkräften<br />

auf Augenhöhe und eine konkrete Möglichkeit,<br />

das Lernen am Vor- und Nachmittag<br />

sowie das formale, nonformale und<br />

informelle Lernen motivierend und gewinnbringend<br />

miteinander zu verbinden.<br />

Dabei verändert sich auch die Stellung<br />

der Schule im Stadtteil: Die Grundschule<br />

wird zunehmend zu einem Knotenpunkt<br />

für Engagement, von dem über die<br />

Projekte und Ideen der <strong>Kinder</strong> viele zukunftsorientierte<br />

Impulse in den Stadtteil<br />

ausstrahlen, Menschen mit positiven<br />

Botschaften ein und aus gehen und<br />

die <strong>Kinder</strong> mit dem Gefühl aufwachsen,<br />

dass es sich lohnt, gemeinsam Dinge in<br />

die Hand zu nehmen und zum Positiven<br />

zu verändern. Das stärkt ihre Resilienz<br />

und schenkt ihnen Hoffnung und Zuversicht<br />

in einer Zeit, in der sie sich ansonsten<br />

tagein, tagaus mit besorgniserregenden<br />

Katastrophenbildern und -szenarien konfrontiert<br />

sehen. Gemeinsam sind wir stark!<br />

Packen wir es an. <br />

Literatur<br />

Berliner Erklärung zur Bildung für nachhaltige<br />

Entwicklung, Mai 2021, Abschnitt 6.e<br />

https://www.unesco.de/sites/default/<br />

files/2021-05/Berliner %20<br />

Erkl %C3 %A4rung %20 f %C3 %BCr %20<br />

BNE.pdf, letzter Zugriff am 10.12.2023).<br />

Leitlinie BNE, MSB NRW 2017, Seiten 12-23,<br />

https://www.schulministerium.nrw/sites/<br />

default/files/documents/Leitlinie_BNE.pdf,<br />

zuletzt aufgerufen am 10.12.2023<br />

Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige<br />

Entwicklung (2017). Nationaler Aktionsplan<br />

Bildung für nachhaltige Entwicklung – BMBF,<br />

zuletzt aufgerufen am 03,01.2024)<br />

Rahmenkonzept des OECD Lernkompass<br />

2030. https://www.oecd.org/education/2030-<br />

project/contact/OECD_Lernkompass_2030.<br />

pdf, letzter Zugriff am 10.12.2023<br />

Rasfeld, M./Peter, F. (2022): Bildung für<br />

nachhaltige Entwicklung. Neuausrichtung<br />

einer der tragenden Säulen unserer Gesellschaft.<br />

report psychologie, 47 (02/2022), 34–37.)<br />

Diesen Beitrag in Langform können<br />

Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa165Lit<br />

24<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Michael Bauernschuster<br />

<strong>Stärken</strong>orientierung in Unterricht,<br />

Schule und Schulberatung<br />

Laut psychologischen Studien begünstigte die Pandemie psychisch-emotionale<br />

sowie verhaltensbezogene Schwierigkeiten bei <strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen, beispielsweise<br />

Depressionen, Angst- und Essstörungen (vgl. Ravens-Sieberer et al.<br />

2022). Negative, verzerrte Grundüberzeugungen über sich selbst, andere und die<br />

Umwelt, Hoffnungs- und Hilflosigkeitserwartungen sowie sozialer Rückzug sind<br />

Erscheinungsweisen, die sich auch im Denken bzw. Verhalten von <strong>Kinder</strong>n im<br />

Schulalltag zeigen können. Wir Lehrkräfte stehen somit verstärkt vor pädagogisch-psychologischen<br />

Herausforderungen.<br />

Die gute Nachricht ist: In Schule<br />

und Unterricht können wir täglich<br />

günstige Möglichkeiten für<br />

unsere Schüler:innen schaffen, die den<br />

Aufbau, die Stabilisierung und Weiterentwicklung<br />

eines positiven (Fähigkeits-)Selbstkonzepts,<br />

von Motivation<br />

und Anstrengungsbereitschaft fördern.<br />

Dieser Beitrag lässt sich wie folgt in<br />

das Thema der vorliegenden Grundschule<br />

aktuell einordnen: Zuerst fokussiere<br />

ich die Lehrkraft als Einflussfaktor<br />

auf das Wohlbefinden von Schüler:innen.<br />

Danach erwartet Sie eine Auswahl<br />

an konkreten Maßnahmen, Methoden<br />

und Übungen für Unterricht, Schule und<br />

Schulberatung, die es den <strong>Kinder</strong>n ermöglicht,<br />

ihre <strong>Stärken</strong> zu erkennen und<br />

zu <strong>erleben</strong>. Diese Bemühungen können<br />

als Schutzfaktoren für psychisch-emotionales<br />

und soziales Belastungs<strong>erleben</strong><br />

wirken.<br />

Auf die Lehrkraft kommt es<br />

an: Haltung und Beziehung<br />

Um eine günstige Grundlage dafür zu<br />

legen, <strong>Kinder</strong> in ihrem Denken über ihre<br />

Fähigkeiten und Eigenschaften positiv<br />

prägen zu können, spielen die Haltung<br />

von Lehrkräften und Interaktionsprozesse<br />

zwischen ihnen und ihren Schüler:innen<br />

eine bedeutsame Rolle. Günstig wirkt,<br />

wenn <strong>Kinder</strong> gute K<strong>lassen</strong>führung,<br />

methodisch-didaktische Klarheit, soziale<br />

Unterstützung, Warmherzigkeit, Offenheit,<br />

direktes und formatives Feedback<br />

erfahren (vgl. Hattie 2013). Die Förderung<br />

positiver Beziehungen und Sprache,<br />

positiver Emotionen sowie von Selbstwirksamkeit,<br />

Autonomie und Wahlfreiheit<br />

steigert die individuelle mentale und<br />

körperliche Gesundheit (vgl. Lichtinger<br />

2022). Dieser Aspekt erinnert an die<br />

Selbstbestimmungstheorie, welche Autonomie,<br />

soziale Eingebundenheit und<br />

Kompetenz<strong>erleben</strong> als motivationsförderliche<br />

Grundbedürfnisse des Menschen<br />

ausweist (vgl. Deci/Ryan 2017). Wir Lehrkräfte<br />

können unseren Unterricht immer<br />

wieder auf deren Realisierung hin reflektieren<br />

und daran anpassen.<br />

Die Orientierung an <strong>Stärken</strong> und<br />

Wachstum soll sich wie ein roter Faden<br />

durch unsere Bemühungen in<br />

der Unterrichts- und Schulentwicklung<br />

ziehen. Sie beabsichtigt, dass wir<br />

<strong>Kinder</strong> erziehen zu mündigen, selbstbewussten<br />

Individuen, die ihre <strong>Stärken</strong><br />

kennen und darauf zurückgreifen, um<br />

sich Herausforderungen und Krisen in<br />

ihrem Leben resilient stellen zu können.<br />

Auf die Lehrkraft kommt es<br />

an: Lehrergesundheit<br />

Um <strong>Kinder</strong>n mit einer ressourcenorientierten,<br />

wertschätzenden Haltung<br />

begegnen zu können, ist die psychischemotionale<br />

Gesundheit von uns Lehrkräften<br />

bedeutsam, damit wir konstruktive<br />

Interaktionen sowie den <strong>Kinder</strong>n<br />

ein günstiges Modelllernen ermöglichen<br />

können. Folgende Impulse sollen der<br />

eigenen Reflexion dienen:<br />

● Neige ich zu ungünstigen Erklärungen<br />

für meine Erfolge und Misserfolge?<br />

Führe ich beispielsweise Erfolge<br />

eher auf externale Faktoren statt auf<br />

den eigenen Verdienst, Misserfolge<br />

eher auf internale Faktoren statt auf<br />

mangelnde Vorbereitung zurück?<br />

– positive, realistische Sicht auf sich,<br />

andere und die Umwelt aufbauen<br />

Michael Bauernschuster<br />

ist Lehrer an der Grundschule Baierbrunn,<br />

Beratungslehrkraft am Schulberatungszentrum<br />

Grünwald, Leiter<br />

der Regionalgruppe Oberbayern im<br />

Grundschulverband e. V.<br />

● Erkenne ich automatisierte Verhaltensmuster<br />

aufgrund eigener negativer<br />

Lernerfahrungen?<br />

– beobachtende, akzeptierende Haltung<br />

gegenüber eigenen unangenehmen<br />

Emotionen aufbauen; negative<br />

Glaubenssätze entlarven<br />

● Bemerke ich bei mir geistige, emotionale<br />

und/oder körperliche Unausgeglichenheit?<br />

– Pausen, Belohnungen, Meditation,<br />

Sport, Yoga … Was brauche ich,<br />

damit ich mich wohl, ausgeglichen<br />

und vollständig fühle?<br />

● Tendiere ich manchmal zu einem<br />

eher einseitigen Blick auf das, was<br />

mir fehlt, was ich nicht habe oder<br />

was ich nicht geschafft habe an<br />

einem Tag?<br />

– reflexive Rituale zu Dankbarkeit,<br />

Selbstwirksamkeit, <strong>Stärken</strong>, Erfolgen<br />

…<br />

Im Anschluss lege ich den Schwerpunkt<br />

auf eine Auswahl an Maßnahmen für<br />

Unterricht, Schule und Schulberatung,<br />

um <strong>Kinder</strong> ihre <strong>Stärken</strong> erkennen und<br />

<strong>erleben</strong> zu <strong>lassen</strong>.<br />

Maßnahmen im<br />

schulischen Bereich<br />

● <strong>Stärken</strong>, Interessen und Talenten<br />

von <strong>Kinder</strong>n eine Bühne geben<br />

durch Beiträge und Präsentationen<br />

in Schulversammlungen, Auffüh-<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

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Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Kindes ein Akrostichon mit anschließender<br />

Präsentation<br />

● Kraftfigur: <strong>Kinder</strong> gestalten in Kunst/<br />

Werken eine Figur als Visualisierung,<br />

die sie in herausfordernden Zeiten an<br />

ihre <strong>Stärken</strong> erinnern und somit stabilisieren<br />

soll; z. B. Superheld:in<br />

Maßnahmen im häuslichen Bereich<br />

Ressourcenkreis<br />

rungen wie Konzerten oder Musicals,<br />

im Sport- und Musikunterricht,<br />

bei Aktionen …<br />

● Journaling/schriftliche und mündliche<br />

Wochenreflexion/Gesprächsund<br />

Schreibanlässe: Das ist gut gelaufen<br />

diese Woche: …, Auf das bin<br />

ich stolz: …, Das ist mir super gelungen:<br />

…, Diese Herausforderung habe<br />

ich diese Woche gemeistert: …, Das<br />

ist gut so, wie es ist: …, Diesen Erfolg<br />

möchte ich mit euch teilen: …, Andere<br />

schätzen an mir: … mit anschließender<br />

Präsentation<br />

● Musik-Stopp-Spiel: <strong>Kinder</strong> bewegen<br />

sich während Musik durch das K<strong>lassen</strong>zimmer;<br />

beim Musik-Stopp teilen<br />

sich zwei <strong>Kinder</strong> gegenseitig mit, was<br />

sie an dem anderen genau wertschätzen<br />

bzgl. <strong>Stärken</strong>, Eigenschaften, Fähigkeiten,<br />

(Lern-)Fortschritten etc.<br />

● Lerntagebuch führen über mit der<br />

Lehrkraft vereinbarte, konkrete, messbare,<br />

erreichbare, attraktive Lernziele,<br />

die positiv und prozesshaft formuliert<br />

sind; Lehrkraft ermöglicht Fortschritte<br />

● Erfolge von <strong>Kinder</strong>n verbal auf eigene<br />

Anstrengungen und Fortschritte<br />

zurückführen, sodass das Kind lernt,<br />

dass es (Teil-)Ziele durch das eigene<br />

Tun und Handeln erreichen kann<br />

● Selbstständige Auswahl der Reihenfolge<br />

von zu bearbeitenden Aufgaben,<br />

des Schwierigkeitsgrads, der<br />

Lernhilfen, Lernwege, der Lernpartner:innen,<br />

der Sozialform, der Zeiteinteilung,<br />

der Raumnutzung, der<br />

Selbstkorrektur …<br />

– Möglichkeiten schaffen für das<br />

Entwickeln von und Handeln nach<br />

eigenen <strong>Stärken</strong><br />

● Gelegenheiten zum entdeckenden,<br />

problemlösenden, handlungsorientierten,<br />

selbstverantwortlichen Ler nen<br />

(vgl. Bohl, Kucharz 2010). Aufbau von<br />

Motivation, <strong>Stärken</strong>, Selbstvertrauen<br />

● Mitbestimmen, mitentscheiden, mitgestalten<br />

im K<strong>lassen</strong>rat und im Schülerparlament:<br />

Wünsche, Anliegen für<br />

Unterricht und Schule, Konflikte klären<br />

… (auf Umsetzung achten).<br />

● Aufbau von Selbstwirksamkeit und<br />

Kontrollüberzeugungen<br />

● <strong>Stärken</strong>hand als Vorlage mit Umriss<br />

einer Hand: Kind zeichnet Umriss<br />

seiner Hand auf Papier; alle Mitschüler:innen<br />

schreiben erkannte<br />

Erfolge und <strong>Stärken</strong> des jeweiligen<br />

Kindes in dessen Hand<br />

● <strong>Stärken</strong>-Akrostichon: <strong>Kinder</strong> erstellen<br />

mit den Buchstaben ihres Vornamens/des<br />

Vornamens eines anderen<br />

● Außerschulische Interessen, Hobbys,<br />

<strong>Stärken</strong> und Talente fördern<br />

als positive (Selbst-)Erfahrungen, die<br />

möglicherweise schulischen Misserfolg<br />

kompensieren können<br />

● Erfolgs-/<strong>Stärken</strong>tagebuch: 3 Dinge<br />

täglich aufschreiben, bei denen man<br />

erfolgreich war, die gut gelaufen sind,<br />

auf die man stolz sein kann … (vgl.<br />

Seligman 2012)<br />

● <strong>Stärken</strong>mauer an der Wand im <strong>Kinder</strong>zimmer<br />

aufbauen; <strong>Stärken</strong> jeweils<br />

auf einen Zettel schreiben; jeder Zettel<br />

bildet einen Stein der Mauer, die<br />

sich mit der Zeit vergrößert<br />

● <strong>Stärken</strong>blume: Kind sowie Personen<br />

im Umfeld des Kindes (Erziehungsberechtige,<br />

Lehrkraft, Erzieher:innen<br />

…) sammeln in Blüten einer gebastelten<br />

<strong>Stärken</strong>blume jeweils erkannte<br />

Potenziale des Kindes; das Kind bekommt<br />

die Blume als Geschenk zum<br />

Aufhängen.<br />

Maßnahmen in der Schulberatung<br />

● Ressourcenkreis: In der Mitte einer<br />

Vorlage schreibt man mit dem Kind<br />

eine Stärke, ein Hobby, ein Interesse<br />

(z. B. Fußball spielen); außen herum<br />

erarbeitet und notiert man mit<br />

dem Kind Fähigkeiten, die es dafür<br />

braucht (z. B. genau beobachten, konzentrieren,<br />

schnell reagieren, Ausdauer<br />

haben …); danach überlegt<br />

man mit dem Kind, welche Fähigkeit<br />

es für einen als problemhaft empfundenen<br />

Bereich heranziehen kann und<br />

wie das genau aussehen könnte, um<br />

ein Problem zu reduzieren.<br />

Schwäche<br />

Veränderbarkeit<br />

0 = nicht veränderbar<br />

5 = veränderbar<br />

zu sensibel 2 4<br />

Motivation<br />

zum Verändern<br />

0 = passt schon<br />

5 = definitiv<br />

Übung zum Perspektivenwechsel auf Schwächen<br />

<strong>Stärken</strong> der Schwäche<br />

- tiefere, genauere Wahrnehmung, mehr Freude, intensivere Gefühle<br />

- förderlich fürs Musikmachen/Songwriting<br />

- sozial stark, empathisch, hohes Einfühlungsvermögen: Menschen schätzen<br />

mich, tiefe Freundschaften fürs Leben, sozialer Rückhalt<br />

26<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

● Ressourcenbaum (vgl. Meyer 2018,<br />

66 f.) als Vorlage mit Umriss eines<br />

Baumes: In den Ästen des Baumes<br />

schreibt man mit dem Kind eine<br />

bereits bekannte Fähigkeit (z. B. soziale<br />

Kompetenz), in die Blätter des<br />

Baumes, welche Fähigkeiten hinter<br />

der bekannten Kernfähigkeit stecken<br />

(z. B. zuhören, verzeihen können<br />

…), in die Baumkrone klebt das<br />

Kind Fotos von Menschen, Ereignissen,<br />

Vorbildern etc., die es bewegen,<br />

die in seinem Leben wichtig sind, in<br />

die Wurzeln notiert das Kind eigene<br />

Kraftquellen und <strong>Stärken</strong>, auf die es<br />

in herausfordernden Situationen zurückgreifen<br />

kann<br />

● Übung zum Perspektivenwechsel<br />

auf Schwächen (in Schwächen<br />

<strong>Stärken</strong> erkennen): Mit dem Kind<br />

wird eine Schwäche notiert, die<br />

es als belastend empfindet; auf<br />

einer Skala wird die Veränderbarkeit<br />

und die Veränderungsmotivation<br />

eingeordnet; gemeinsam<br />

wird mit dem Kind erarbeitet,<br />

ob in der vermeintlichen Schwäche<br />

auch <strong>Stärken</strong> stecken könnten.<br />

Diese Methode sollte nicht isoliert<br />

und als Verleugnung unangenehmer<br />

Gefühle ausgelegt werden. In diesem<br />

Kontext soll sie lediglich einen Impuls<br />

aufzeigen, <strong>Kinder</strong>n, die negative<br />

Grundüberzeugungen aufweisen,<br />

ausgewogenere, günstigere Blickwinkel<br />

auf sich selbst zu eröffnen.<br />

In Unterricht und Schule können<br />

wir Lehrkräfte <strong>Kinder</strong>n stärken- und<br />

wachstumsorientierte Erfahrungen<br />

ermöglichen. Welche Ideen haben Sie<br />

noch, dass <strong>Kinder</strong> ihre <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong>,<br />

reflektieren und für Herausforderungen<br />

nutzen lernen? Ich freue mich über<br />

Ihre Anregungen in einer E-Mail an<br />

michael.bauernschuster@schulberatung.<br />

gsms-ob.de<br />

Literaturangaben zum Artikel können<br />

Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa165Lit<br />

Ludwig Voß<br />

Die Reformen im <strong>Kinder</strong>fußball –<br />

Chancen und Potenziale für eine kindgerechte<br />

Bewegungsförderung<br />

Die Veränderungen und Reformen im <strong>Kinder</strong>fußball und der damit verbundene<br />

neue Spielmodus „Funiño“ haben zuletzt für viele Schlagzeilen in der deutschen<br />

Medienlandschaft gesorgt.<br />

Seit Sommer 2022 läuft im Bundesland Bremen eine zweijährige Testphase für<br />

„Funiño“ in den Altersbereichen der G-, F- und E-Junioren (U6-U11), die federführend<br />

der Bremer Fußball-Verband e. V. gemeinsam mit den Vereinen des<br />

Bundeslandes umsetzt und organisiert. Der SV Werder Bremen unterstützt diese<br />

Testphase und organisiert zusätzliche sogenannte „Kleinfeld-Festivals“ bei<br />

Partnervereinen. Ziel ist es dabei, die neuen Spielformen und damit verbundenen<br />

Reformen bekannter zu machen, zu sensibilisieren und mit den <strong>Kinder</strong>fußball-Trainer:innen<br />

der Vereine in den Austausch zu kommen.<br />

Funiño setzt sich aus dem englischen<br />

Begriff „Fun“ (Spaß) und<br />

dem spanischen Wort „Niño“<br />

(Kind) zusammen und bezeichnet einen<br />

speziellen Spielmodus, der insbesondere<br />

im Kleinfeldbereich bei den jüngsten<br />

Sportler:innen im Alter von 5-11 Jahren<br />

umgesetzt wird. Bei „Funiño“ ist der klassische<br />

Ligawettkampf, bei dem durch<br />

Siege in der Tabelle geklettert werden<br />

kann und am Ende das erfolgreichste<br />

Team die Meisterschaft gewinnt, aufgehoben.<br />

Vielmehr wird durch<br />

sogenannte „Funiño“- bzw. „Kleinfeld-<br />

Festivals“ ein Turniermodus praktiziert,<br />

bei dem die <strong>Kinder</strong> im Drei-gegen-drei<br />

Ludwig Voß<br />

wurde 1992 in Freiburg im Breisgau<br />

geboren. Er studierte in Greifswald und<br />

ist Diplom-Betriebswirt. Im Rahmen<br />

seines Studiums absolvierte er Praktika<br />

beim F.C. Hansa Rostock e.V., bei<br />

AMANDLA Edu Football e. V. in Südafrika<br />

und beim Sport-Club Freiburg e. V.<br />

Seit November 2018 arbeitet er für den<br />

SV Werder Bremen und ist in seiner<br />

aktuellen Funktion im Nachwuchs-Leistungszentrum<br />

als „Referent <strong>Kinder</strong>fußball“<br />

für die <strong>Kinder</strong>fußball-Entwicklung<br />

in Bremen und der Region zuständig.<br />

auf einem 25 Meter langen und 20 Meter<br />

breiten Feld mit jeweils zwei Minitoren<br />

pro Team ohne feste Torhüter:innen<br />

gegeneinander antreten.<br />

Der veränderte Spielmodus soll dafür<br />

sorgen, dass möglichst viele <strong>Kinder</strong>,<br />

unabhängig von ihren individuellen<br />

Fähigkeiten, einen niedrigschwelligen<br />

und motivierenden Einstieg in den<br />

Sport bzw. <strong>Kinder</strong>fußball erlangen. Die<br />

<strong>Kinder</strong> sollen den Sport selbst <strong>erleben</strong>,<br />

wahrnehmen, ausprobieren und Erfahrungen<br />

sammeln, um letztlich Gefallen<br />

an regelmäßigem Fußballspielen zu entwickeln.<br />

Eine frühzeitige Selektion oder<br />

Leistungsbewertung durch den:die Trainer:in<br />

bleibt aus bzw. wird durch kleinere<br />

Teams, die parallel auf verschiedenen<br />

„Funiño“-Feldern antreten, umgangen.<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

27


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

32-minütige Einheit<br />

pro Spieler:in<br />

Sieben-gegen-sieben<br />

Drei-gegen-drei<br />

BALLAKTIONEN 50 200<br />

ZWEIKÄMPFE 30 100<br />

TORSCHÜSSE 5 25<br />

Wissenschaftliche Studien zu „Funiño“ (eigene Grafik); (Quelle: DFB)<br />

<strong>Kinder</strong> abseits von Erwartungen der<br />

Erwachsenen entwickeln und wachsen<br />

zu <strong>lassen</strong> und letztlich in ihrer Selbstständigkeit<br />

und Kreativität zu stärken ist das<br />

Ziel eines veränderten Regelwerks. Die<br />

Persönlichkeitsbildung rückt in den Vordergrund.<br />

Selbstständigkeit, Kreativität,<br />

Umgang mit (Miss-)Erfolg, Lernverhalten<br />

und Entscheidungsfindung werden gefördert<br />

und durch eine verringerte Möglichkeit<br />

zur Einflussnahme der Trainer:innen<br />

und Eltern auf das Nötigste minimiert.<br />

Der zuletzt oft angebrachte Kritikpunkt,<br />

dass <strong>Kinder</strong> durch den neuen<br />

Spielmodus nicht mehr lernen, mit Gewinnen<br />

und Verlieren umzugehen, ist<br />

nur unzureichend aufgearbeitet. Im Regelwerk<br />

von „Funiño“ ist der sogenannte<br />

„Champions League Modus“ hinterlegt,<br />

der eine Festivalorganisation so vorsieht,<br />

dass das Siegerteam nach jedem Spiel ein<br />

Feld aufrückt und das Verliererteam ein<br />

Feld zurückrückt. Durch diesen Modus<br />

wird gewährleistet, dass möglichst gleich<br />

starke Spieler:innen und Teams aufeinandertreffen<br />

und das „Gewinnen oder<br />

Verlieren“ eine Berücksichtigung in der<br />

Umsetzung der Festivals findet.<br />

Neben bereits skizzierten persönlichkeitsbildenden<br />

Aspekten sind weitere<br />

sportlich-inhaltliche Pluspunkte des<br />

neuen Spielmodus auszumachen:<br />

● altersgerechte Spielfeldgrößen<br />

(„Felder wachsen mit den <strong>Kinder</strong>n“)<br />

● viel Spielzeit für jedes Kind<br />

Weiterbildungsabend bei Werder Bremen<br />

● viele Ballkontakte für jedes Kind<br />

● viele Erfolgserlebnisse für jedes Kind<br />

gemäß seinen individuellen Fähigkeiten<br />

● viele Aktionen mit und ohne Ball für<br />

jedes Kind<br />

● hohe Aktivität, Bewegungsrate und<br />

Beteiligung eines jeden Kindes<br />

● altersgerechte Herausforderungen<br />

(Torgröße etc.)<br />

● positionsunabhängiges Spielen und<br />

Lernen<br />

Wissenschaftliche Studien der Deutschen<br />

Sporthochschule Köln und Universität<br />

Rostock untermauern diese<br />

Aspekte mit Zahlen.<br />

Nichtsdestotrotz gehen die Meinungen<br />

zu den Reformen im <strong>Kinder</strong>fußball<br />

und dem „Funiño“-Spielmodus weiterhin<br />

auseinander und polarisieren sowohl<br />

bei Trainer:innen, Lehrer:innen als<br />

auch den Eltern und in der Öffentlichkeit<br />

(„Aufgabe des Leistungsanspruchs“).<br />

Die Kritik, dass der Modus beispielsweise<br />

dazu führt, dass keine Torhüter:innen<br />

mehr ausgebildet werden, ist nicht<br />

vollkommen aus der Welt zu schaffen.<br />

Für diesen und weitere Kritikpunkte<br />

(Organisationsaufwand eines Festivals<br />

für Vereine etc.) gilt es letztlich, adäquate<br />

Lösungsansätze zu diskutieren<br />

und zu entwickeln. Ein Ansatz für das<br />

Torhüter:innen-Problem könnte sein,<br />

sogenannte „Mixed-Games“ zu organisieren,<br />

bei denen die Teams sowohl auf<br />

dem „Funiño“-Feld ohne Torhüter:innen<br />

im Drei-gegen-drei als auch parallel im<br />

Vier-gegen-vier plus Torhüter:innen<br />

auf größere Tore antreten und so das gesamte<br />

Team/der Kader parallel auf unterschiedlichen<br />

Feldern zum Einsatz und<br />

zu Spielzeit kommt.<br />

Wichtig ist das Verständnis, dass „Funiño“<br />

nicht die einzige und ausschließliche<br />

Spielform im Trainings- und Spielbetrieb<br />

sein muss, sondern es durchaus<br />

sinnvoll sein kann, diesen kombiniert<br />

(„Mixed-Games“) umzusetzen. Eine<br />

vollständige Nichtberücksichtigung bzw.<br />

Nichtumsetzung macht jedoch sportlichinhaltlich<br />

und entwicklungstechnisch<br />

aus Sicht des Kindes wenig Sinn und<br />

lässt viele Potenziale liegen.<br />

Der SV Werder möchte in seiner Rolle<br />

als einziger Profifußballklub des Bundeslandes<br />

als Impulsgeber wirken, der<br />

durch die Organisation von Weiterbildungsabenden<br />

für Trainer:innen, Lehrer:innen<br />

und Eltern, zusätzlichen Kleinfeld-Festivals<br />

und Schulligaformaten für<br />

die Reform sensibilisiert, Chancen und<br />

Mehrwerte der Reform ausreichend beleuchtet,<br />

Kritikpunkte diskutiert und Lösungsansätze<br />

gemeinsam mit den Beteiligten<br />

ausarbeitet.<br />

Werder versteht sich dabei als Sozialakteur<br />

im Bereich Sport- und Bewegungsförderung,<br />

der im Rahmen seiner<br />

eigenen Kernkompetenz, dem Sport,<br />

versucht, den Aufbau einer möglichst<br />

kindgerechten Bewegungslandschaft so<br />

zu unterstützen, dass möglichst viele<br />

<strong>Kinder</strong> eine Sportbiografie im Fußball,<br />

aber auch in anderen Sportarten schreiben<br />

können!<br />

Werders SPIELRAUM-Konzept bietet<br />

dafür die Basis und verfolgt die Mission,<br />

möglichst vielen <strong>Kinder</strong>n mit und ohne<br />

Beeinträchtigung und/oder Migrationshintergrund<br />

eine Sportbiografie in Bremen<br />

und der Region zu ermöglichen, sie<br />

für Sport und Bewegung nachhaltig zu<br />

begeistern und die Gesellschaft durch<br />

Sport positiv zu verändern. Kurzum:<br />

<strong>Kinder</strong> sollen sich bewegen, in einem<br />

möglichst freudbetonten Umfeld die<br />

Vielseitigkeit des Sports kennenlernen<br />

dürfen – in der Betreuungszeit, in ihrer<br />

Freizeit und in der Ferienzeit. Die angeschobenen<br />

Reformen im <strong>Kinder</strong>fußball<br />

leisten hierfür einen wichtigen Beitrag,<br />

dieser Mission ein Stück näher zu kommen,<br />

dies zeigen nicht zuletzt auch die<br />

jüngsten wissenschaftlichen Studien.<br />

28<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Marion Gutzmann<br />

<strong>Kinder</strong>bücher zum Thema „<strong>Kinder</strong>stärken –<br />

<strong>Kinder</strong> stärken – starke <strong>Kinder</strong>“<br />

Die <strong>Stärken</strong> eines Kindes sind vielfältig. <strong>Kinder</strong> haben oftmals auch mehr <strong>Stärken</strong>,<br />

als für andere sichtbar sind. Woher wissen wir jedoch und die <strong>Kinder</strong> selbst, welche<br />

<strong>Stärken</strong> sie haben? <strong>Stärken</strong> zu erkennen und wahrzunehmen ist die Basis für die<br />

Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls und von Selbstvertrauen. Aus <strong>Stärken</strong><br />

können <strong>Kinder</strong> Kraft schöpfen, um auch Niederlagen oder Misserfolge meistern<br />

zu können. All diese Facetten greift <strong>Kinder</strong>literatur auf und bietet über die<br />

Identifikation mit den unterschiedlichsten Figuren Anregungen für Gespräche zu<br />

verschiedenen Themen des Miteinand<strong>erleben</strong>s in der Lebenswelt Familie, im Lernund<br />

Lebensraum Schule, in der Gesellschaft. Geschichten mit verschiedenen Charakteren<br />

und Figuren wie Milla, Archie, Ludwig, Pepe oder Rico können <strong>Kinder</strong><br />

auf vielfältige Weise (be-)stärken, sich selbst zu akzeptieren, Erlebtes zu verarbeiten,<br />

schwierige Situationen zu bewältigen, andere und das Anderssein zu verstehen<br />

oder sich daran zu orientieren, neue Perspektiven einzunehmen und sich zu selbstbewussten,<br />

starken Persönlichkeiten zu entwickeln.<br />

Mit der einfühlsamen Vorgeschichte „Rico und die Tuchlaterne“, die<br />

einen guten Einstieg in die preisgekrönte Rico-und-Oskar-Reihe von<br />

Andreas Steinhöfel bietet, können auch jüngere Leserinnen und Leser<br />

in sechs kleinen Kapiteln mit kurzen Sätzen und in großer Schrift<br />

sowie in Kombination mit vielen Bildern die Welt mit Rico aus einer<br />

anderen Perspektive entdecken. Manchmal umranden Sprechblasen<br />

die Dialoge, manchmal gibt es auch eine doppelseitige Hintergrundillustration.<br />

In der kleinen herzerwärmenden Geschichte wird nachvollziehbar,<br />

dass Rico ein bisschen anders ist als andere <strong>Kinder</strong> – mehr<br />

um die Ecke herum denkt und vielleicht auch etwas langsamer. Beim<br />

Einschulungstest findet Rico originelle Begründungen, warum auf<br />

seiner Zeichnung kein Dreieck zu sehen ist, und zeichnet statt eines Dreiecks einen Punkt mit<br />

einer runden Ecke. Manchmal hat er auch Schwierigkeiten und verliert schnell die Orientierung,<br />

wenn er auf der Straße um Ecken herumgeht und sich den Weg nicht merken kann – in<br />

einer großen Stadt wie Berlin ein echtes Problem. Dank seiner Mama kommt Rico an eine<br />

Schule, die seinen vielen Fähigkeiten und dem Anderssein Raum gibt.<br />

Die Mama findet auch eine Lösung für das Verlaufen, und so<br />

erfährt man am Schluss der Geschichte auch, was es mit<br />

der Tuchlaterne, die an einer Ecke steht, auf sich hat.<br />

(ab 6–8 Jahren)<br />

Andreas Steinhöfel (2023):<br />

Rico und die Tuchlaterne<br />

Carlsen Verlag GmbH<br />

64 Seiten, € 9.00<br />

Das Bilderbuch der<br />

schwedischen Autorin<br />

Lisen Adbåge mit<br />

prägnanten Dialogen<br />

und mit lebensfrohen,<br />

an <strong>Kinder</strong>zeichnungen<br />

erinnernden Bildern<br />

erzählt eine einfache<br />

Geschichte, in der <strong>Kinder</strong><br />

sich gemeinsam auf ihre eigenen <strong>Stärken</strong><br />

besinnen. Die <strong>Kinder</strong>, die im Buch mit „wir“<br />

bezeichnet werden und gemeinsam spielen<br />

wollen, weichen immer dann eingeschüchtert<br />

und traurig der Gruppe der „Bestimmer“<br />

aus, wenn diese in verschiedenen Szenen an<br />

der Schaukel, am Klettergerüst oder beim<br />

Budebauen auftauchen und sagen, wo es<br />

langgehen soll. Beide Gruppen werden auf<br />

der ersten Doppelseite vorgestellt – die vier<br />

Bestimmer haben das „Sagen“, die anderen<br />

sind die, die nicht mehr mitmachen dürfen.<br />

Bis zu dem Moment auf dem Bolzplatz, in<br />

dem sie sich darauf besinnen, „Nein“ zu<br />

sagen. Da wird klar, dass man zu viert nicht<br />

zwei Mannschaften zum Fußballspielen<br />

aufstellen kann und dass sie nun selbst<br />

bestimmen können, bei den Bestimmern<br />

nicht mitzuspielen. Das Bilderbuch stärkt all<br />

jenen den Rücken, die ähnliche Situationen<br />

auf dem Spielplatz, dem Schulhof oder an<br />

anderen Orten <strong>erleben</strong>, und kann durchaus<br />

auch in der Schule eingesetzt werden, ist hier<br />

doch von einem Schulhof die Rede. „Die Bestimmer“<br />

wurde 2022 als außergewöhnliches<br />

Buch auf dem<br />

internationalen<br />

Literaturfestival<br />

Berlin ausgezeichnet.<br />

(ab 4–6 Jahren)<br />

Lisen Adbåge (2020):<br />

Die Bestimmer<br />

Aus dem Schwedischen<br />

Beltz & Gelberg<br />

32 Seiten, € 13,95<br />

„Wenn ich ein Tier wäre, dann wäre ich ein Hase. Ein scheuer, stiller Hase mit großen Augen,<br />

denen nichts entgeht.“ Mit diesen Worten beschreibt sich der Ich-Erzähler, der sich oft als unsichtbar<br />

für andere empfindet und zu den <strong>Kinder</strong>n gehört, die nicht auffallen. Das ändert sich,<br />

als ein Neuer in die Klasse kommt und ihn zum Freund auserwählt. Der Neue ist Vincent, wild<br />

und stark wie ein Nashorn. An seiner Seite fühlt sich der Ich-Erzähler das erste Mal von seinen<br />

Mitschüler:innen wahrgenommen und beachtet. In kurzen, prägnanten Texten und zurückhaltend<br />

zart kolorierten Illustrationen lernen die Leser:innen den Ich-Erzähler und Vincent in<br />

ihrer Unterschiedlichkeit kennen. Die außergewöhnliche Freundschaft bricht, als Vincent seine<br />

Wut gegen einen Jungen aus der Parallelklasse richtet und der Ich-Erzähler sich zwischen Paul<br />

und Vincent entscheiden muss. Dabei wird er sich seines Mutes und seiner<br />

anderen Fähigkeiten bewusst – „ein pfiffiger, schneller Hase zu sein, der Haken schlagen kann“. Das<br />

Bilderbuch von Stefan Karch bietet mit der kleinen, philosophisch geprägten Geschichte jedoch<br />

keine einfache Lösung und ist auch für den Einsatz im Unterricht und für Gespräche mit älteren<br />

Leser:innen durchaus zu empfehlen. Zwar entscheidet sich der Erzähler mutig für den Weg der<br />

Zivilcourage, doch offen bleibt, wie es zum Beispiel mit Vincent weitergeht. (ab 6 Jahren)<br />

Stefan Karch (2023):<br />

Vincent und ich<br />

TYROLIA<br />

48 Seiten, € 18,00<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

29


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Vier beste Freund:innen werden mit ihren Vorlieben und<br />

Abneigungen, mit dem, was sie mögen und gut können,<br />

und dem, was ihnen weniger liegt, auf den ersten Seiten<br />

der Geschichte vorgestellt. Die vielfältigen Charaktere<br />

bieten den Leser:innen vergnügliche Identifikationsmöglichkeiten.<br />

Als Nico aus der 3a erzählt, wie er eine Katze gerettet<br />

hat, wollen Ludwig, Pepe, Mila und die Ich-Erzählerin<br />

auch Held:innen sein. Reicht es, einen Frosch zu retten und<br />

ihm über die Straße zu helfen oder Pepe vor zu viel Computerspielen<br />

zu bewahren? Oder zählt eher ihre Hilfe, mit<br />

Ludwig Fahrradfahren zu üben, dass er die Fahrradprüfung bestehen kann? Oder<br />

ist es etwas Besonderes, Erwachsenen gegenüber zusammenzuhalten, als Ludwig<br />

Maike Harel (2023):<br />

Wir vier Helden<br />

Carlsen Verlag GmbH<br />

64 Seiten, € 9,00<br />

Unrecht geschieht? Verschiedene Comicelemente<br />

sowie kleine Texteinheiten in Kombination mit vielen<br />

Bildern laden zum Lesen der Freundschaftsgeschichte<br />

ein, die <strong>Kinder</strong> in ihrer Unterschiedlichkeit<br />

füreinander einstehen lässt. (ab 6–8 Jahren)<br />

Geschrieben aus der Ich-Perspektive von Billy, erzählt Helen<br />

Rutter in dem <strong>Kinder</strong>buch die Geschichte von dem sympathischen<br />

elfjährigen Billy Plimpton, der es liebt, Witze zu<br />

erzählen, und damit andere zum Lachen bringen möchte<br />

– weil er aber stottert, traut er sich kaum, etwas zu sagen.<br />

Sein größter Fan ist seine Großmutter, die über sein Stottern<br />

hinwegsieht und ihn ermutigt, er selbst zu sein. Anschaulich<br />

stellt Billy die Reaktionen von Menschen, die ihn stottern<br />

hören, dar – z. B. die Ermutiger, die Scherzbolde oder die<br />

Gedankenlesenden. Am liebsten sind ihm die Abwartenden,<br />

die ihm Zeit geben und geduldig sind. Sein größter Wunsch<br />

ist es, beim Talentewettbewerb am Schuljahresende aufzutreten und nicht mehr zu<br />

stottern. Doch all die Tipps, wie man das Stottern überwinden kann, helfen kaum.<br />

Die Idee seines Lieblingslehrers, Schlagzeug spielen zu lernen, lässt Billy selbstbewusster<br />

werden. So fiebern die Lesenden auch mit, als Billy an seiner neuen<br />

Schule das erste Mal vor der Klasse „spricht“ und dafür einzelne beschriebene Poster<br />

nutzt. Sehr berührend beschreibt Helen Rutter das Gefühlschaos des Jungen und<br />

die Erleichterung, dass er mit diesem Einfall für seinen Vortrag sein Stottern nicht<br />

mehr verheimlichen muss. „Ich heiße Billy Plimpton“ ist ein mit viel Witz und Humor<br />

geschriebenes Mut-mach-Buch, das die<br />

Stärke und die persönliche Entwicklung<br />

von Billy überzeugend herausstellt und für<br />

den Alltag und die Herausforderungen von<br />

<strong>Kinder</strong>n, die stottern, sensibilisiert.<br />

(ab 10 Jahren)<br />

Lilou, die Ich-Erzählerin, ist auf den ersten Blick ein gewöhnliches,<br />

schüchternes 12-jähriges Mädchen. Innerlich hat Lilou<br />

eine besondere Begabung, von der auch nur ihre Mutter weiß.<br />

Lilou kann Stimmungen schmecken und riechen. Wenn Lilou<br />

wütend oder ängstlich ist oder sich ärgert, hat sie immer einen<br />

Salmiakgeschmack im Mund. In ihrem Kopf kann sie Gerüche<br />

und Geschmäcker mit Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen<br />

verbinden, z. B. schmeckt eine Lüge nach faulen Äpfeln<br />

oder ihre Mathelehrerin leuchtet schwefelgelb. In einem hellblauen<br />

Heft notierte sie in Listen, was sie im Kopf sortieren muss. Diese Synästhesie<br />

ist Lilou jedoch peinlich und auch anstrengend. Das ändert sich, als der grummelige<br />

Großvater, der sich beide Arme gebrochen hat, bei ihnen einzieht und Onno, ein<br />

K<strong>lassen</strong>kamerad, unbedingt Hilfe braucht. Plötzlich bekommt Lilou die Chance, all<br />

das, was in ihr steckt, zu offenbaren. Katja Ludwig hat Lilous Listen in die Geschichte<br />

eingeflochten. So bekommen die Leser:innen einen guten Einblick in Pläne für<br />

Räume und die Umgebung, in Assoziationen<br />

zu Zahlen, Menschen und<br />

Dingen und werden angeregt, selbst<br />

kreativ zu sein. (ab 10–12 Jahren)<br />

Helen Rutter (2021):<br />

Ich heiße Billy Plimpton<br />

Aus dem Englischen<br />

Atrium <strong>Kinder</strong>buch Zürich<br />

244 Seiten, € 15,00<br />

Katja Ludwig (2023):<br />

Innerlich bin ich aus Lakritze<br />

Atrium Verlag Zürich, WooW Books<br />

160 Seiten, € 14,00<br />

Katharina Schödes <strong>Kinder</strong>roman<br />

„Hey Milla! Mein geheimer Wünschesommer“<br />

ist ein mitreißender<br />

Serienauftakt zu einer Reihe<br />

von Milla-Bänden, in dem die<br />

neunjährige Milla, die allein bei<br />

ihrem Vater aufwächst, im Mittelpunkt<br />

steht. Obwohl Milla vor<br />

Ideen und Geschichten nur so<br />

übersprudelt, ist Deutsch nicht<br />

ihr Lieblingsfach. Witzig erzählt Milla als Ich-Erzählerin<br />

auch von ihren Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben.<br />

Die Buchstaben sind Millas Albtraum und verwandeln<br />

sich vor ihren Augen in eine böse Ameisenbande,<br />

die sie verhöhnt. Milla soll deshalb nach den Ferien in<br />

eine Förderklasse, sie hat eine furchtbare Angst davor<br />

und stellt sich schon den Spott der anderen aus der<br />

Klasse vor. Erfinderisch und abenteuerlustig schmiedet<br />

Milla einen tollen Rettungsplan für die Sommerferien,<br />

der allerdings einen Haken hat. Glücklicherweise kann<br />

sie die Ferien bei ihrem Onkel verbringen, der wie ein<br />

Einsiedler in den Bergen lebt und sich der Sorgen und<br />

Ängste von Milla annimmt. Ein origineller Hilfsplan<br />

schenkt Milla<br />

wieder das Selbstvertrauen,<br />

lesen zu<br />

lernen.<br />

(ab 8 Jahren)<br />

In „Neun Wünsche für Archie“<br />

erzählt Helen Rutter die<br />

berührende Geschichte des<br />

elfjährigen Archie, der sich<br />

daheim um alles kümmern<br />

muss, seit sein Vater die Familie<br />

ver<strong>lassen</strong> hat und seine<br />

vormals lebensfrohe Mutter<br />

depressiv erkrankt ist. In der<br />

neuen Familie seines Vaters<br />

wird Archie auch nur geduldet.<br />

Archie entflieht am liebsten<br />

seinem Alltag, indem er sich mit seiner Freundin<br />

Maus trifft. Nach einem Fahrradsturz bekommt Archie<br />

fantastische Hilfe von seinem Fußballidol Lucas Bailey,<br />

der ihm neun Wünsche schenkt. Auch wenn Archie<br />

nicht an Zauberei oder an Lucas Bailey als Glücksfee<br />

glaubt, passieren merkwürdige Dinge. So kann er<br />

nach seinem ersten Wunsch tatsächlich einen Tag lang<br />

im Bett bleiben, weil zufällig die Schule ausfällt, und<br />

er kann auf der Xbox Fifa spielen, weil die Nachbarin<br />

einen Karton vorbeibringt, in dem eine Xbox ist. Doch<br />

eigentlich hat Archie nur einen einzigen Wunsch: dass<br />

es seiner Mama endlich besser gehen soll. Am Anfang<br />

jedes Kapitels steht ein lebensbejahender Spruch von<br />

Lucas Bailey und darunter die Reaktion von Archie auf<br />

diesen Spruch, was humorvoll die anfängliche Unsicherheit<br />

Archies und sein wachsendes Selbstvertrauen<br />

widerspiegelt. Das Buch wurde für den Jungendliteraturpreis<br />

2023<br />

in der Sparte<br />

<strong>Kinder</strong>buch<br />

nominiert.<br />

(ab 10–12 Jahren)<br />

Katharina Schöde (2020):<br />

Hey Milla! Mein geheimer<br />

Wünschesommer<br />

Loewe<br />

208 Seiten, € 8,00<br />

Helen Rutter (2022):<br />

Neun Wünsche für Archie<br />

Aus dem Englischen<br />

Atrium Verlag Zürich<br />

272 Seiten, € 17,00<br />

30<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> Aus der <strong>erleben</strong> Forschung <strong>lassen</strong><br />

Jacqueline Dreischer & Miriam Hess<br />

Chancen von Social Entrepreneurship<br />

Education in der Grundschule<br />

Social Entrepreneurship<br />

Education – was ist das?<br />

Hinter einer Social Entrepreneurship<br />

Education (SEE) steckt die Bearbeitung<br />

gesellschaftlicher Herausforderungen<br />

mit unternehmerischen Herangehensweisen.<br />

Hierbei wird das Ziel verfolgt,<br />

Menschen zu zukunftsfähigem Denken<br />

und Handeln zu befähigen sowie zur<br />

Entwicklung von verantwortungsvollen<br />

und kreativen Lösungen für bestehende<br />

und zukünftige Herausforderungen zu<br />

ermutigen (BMWi, 2019). Die Inhalte<br />

einer Social Entrepreneurship Education<br />

überschneiden sich somit mit<br />

Inhalten einer Bildung für nachhaltige<br />

Entwicklung (StMUG, 2011). Denn<br />

auch eine Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />

(BNE) verfolgt den Ansatz,<br />

Menschen dazu zu befähigen, die<br />

Zukunft in einer zunehmend globalisierten<br />

Welt aktiv, eigenverantwortlich<br />

und verantwortungsbewusst zu<br />

gestalten (Michelsen & Fischer, 2019;<br />

Valentin, 2021). Damit soll vor allem<br />

die Bereitschaft, Verantwortung für das<br />

eigene Handeln zu übernehmen, mit<br />

Social Entrepreneurship Education (SEE)<br />

Ökonomisches<br />

Basiswissen<br />

Elementare Persönlichkeits-<br />

bzw. Schlüsselkompetenzen<br />

für<br />

lebenslanges Lernen<br />

Lösung gesellschaftlicher<br />

Probleme mit<br />

unternehmerischen<br />

Mitteln<br />

Schnittmenge einer SEE und BNE<br />

Verantwortung<br />

übernehmen<br />

Partizipative Teilhabe<br />

an der Gesellschaft<br />

Schlüsselkompetenzen, wie eigenständiges<br />

Handeln, gesellschaftliche<br />

Chancen & Probleme erkennen, Ideen<br />

umsetzen, Selbstwirksamkeit,<br />

werteorientiertes Denken, etc.<br />

Triple Bottom Line<br />

(Bezug zur Gesellschaft,<br />

Ökonomie & Ökologie)<br />

Unsicherheiten und Widersprüchen<br />

umzugehen, Probleme zu lösen und an<br />

der Gestaltung einer vielfältigen Gesellschaft<br />

mitzuwirken, gefördert werden<br />

(BMBF, o. J.).<br />

Übergeordnetes Ziel der beiden<br />

Konzepte BNE und SEE ist es, die<br />

Abb. 1: Schnittmenge einer SEE und BNE; Eigene Darstellung<br />

drei Bereiche Ökologie, Soziales und<br />

Ökonomie gestärkt in eine Balance zu<br />

bringen (BMWi, 2019; STMUG, 2011).<br />

SEE zielt darüber hinaus auf die Ausbildung<br />

unternehmerischer Fähigkeiten<br />

und Kompetenzen (Bisanz, Hueber, Jambor<br />

und Lindner, 2019). Diese persönlichen<br />

Fähigkeiten sollten jedoch nicht<br />

erst an Hochschulen oder im Berufsleben<br />

adressiert, sondern bereits bei jungen<br />

Menschen frühzeitig gefördert werden<br />

(Lindner, 2016). Damit kommt (angehenden)<br />

Lehrkräften eine bedeutende<br />

Rolle zu, denn sie prägen junge Menschen<br />

und deren Lebenseinstellungen<br />

und können als zukünftige Multiplikator*innen<br />

bereits in Schulen integrative<br />

Nachhaltigkeitstrias<br />

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)<br />

One-Health-Ansatz<br />

Whole Institutional<br />

Approach<br />

Vielschichtigkeit<br />

lokaler und globaler<br />

Zusammenhänge<br />

Interdisziplinäres<br />

Wissen<br />

Verständnis für<br />

natürliche Kreisläufe<br />

Problemorientierung<br />

Sustainable<br />

Development Goals<br />

(SDG)<br />

Lernprozesse einer SEE und BNE anstoßen<br />

(RKW-Kompetenzzentrum, 2015).<br />

Gelingen soll dies zum Beispiel durch<br />

die aktive Gestaltung einer Kultur des<br />

innovativen und kreativen Lernens. Dabei<br />

steht es im Vordergrund, Raum für<br />

individuelle Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />

zu schaffen, in welchem sich<br />

<strong>Kinder</strong> ausprobieren sowie ihre persönlichen<br />

<strong>Stärken</strong> und Fähigkeiten kennenlernen<br />

dürfen (Bisanz et al., 2019).<br />

Wieso ist eine Social<br />

Entrepreneurship<br />

Education bedeutend?<br />

Um zukünftige gesellschaftliche, soziale<br />

und ökologische Herausforderungen zu<br />

meistern, bedarf es einer Gesellschaft,<br />

die sich durch kreatives und lösungsorientiertes<br />

Denken auszeichnet, die<br />

lernt, komplexe und unsichere Situationen<br />

zu meistern, Offenheit gegenüber<br />

Veränderungen und Innovationen<br />

zeigt und sich selbst als proaktiven Teil<br />

von Lösungen versteht (BMWi, 2019).<br />

Eine Social Entrepreneurship Education<br />

(SEE) setzt genau hier an: Denn<br />

unter einer SEE wird insbesondere die<br />

Förderung elementarer Persönlichkeitsund<br />

Schlüsselkompetenzen für lebenslanges<br />

Lernen verstanden (Lindner,<br />

2016). Dazu gehören beispielsweise Verantwortungsübernahme,<br />

Eigeninitiative,<br />

Innovationsfreude, kontrollierte Risikobereitschaft,<br />

konstruktiver Umgang mit<br />

Fehlschlägen und Umbrüchen, Selbstvertrauen,<br />

Durchhaltevermögen etc.,<br />

also Kompetenzen, die für eine lebendige<br />

und vielfältige Zivilgesellschaft ebenso<br />

wichtig sind wie für die Bewältigung<br />

privater Herausforderungen (Lindner,<br />

2016). Daher ist es eine zentrale<br />

Aufgabe für Lehrkräfte, <strong>Kinder</strong>n aktiv<br />

einen Raum für Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />

im Unterricht zu eröffnen<br />

(BMBF, 2022; Valentin, 2021). Eine<br />

mögliche Herangehensweise kann dabei<br />

die gezielte Befähigung von angehenden<br />

Lehrkräften zu Multiplikator*innen<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

31


Aus Praxis: der <strong>Kinder</strong> Forschung <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

für sozialunternehmerisches Denken<br />

und Handeln mit dem Fokus auf einer<br />

Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />

sein. Durch ganzheitliche Lernprozesse<br />

soll ein grundlegendes Verständnis des<br />

Zusammenhangs von Ökologie, Ökonomie<br />

und Sozialem entstehen, welches<br />

sich an der Lebenswelt der Schüler*innen<br />

orientiert und an ihren bisherigen<br />

Vorstellungen anknüpft (Marquardt-<br />

Mau & Schroeder, 2022; Wulfmeyer,<br />

2020).<br />

Möglichkeiten der Integration<br />

einer Social Entrepreneurship<br />

Education in die Lehrkräftebildung<br />

laufen einen Prozess der eigenständigen<br />

Entwicklung möglicher Lösungsansätze<br />

bis hin zu einem konkreten Endprodukt<br />

(oder einer konkreten Dienstleistung).<br />

In Projektgruppen setzen sie<br />

sich intensiv mit einer von ihnen selbst<br />

ausgewählten Thematik auseinander,<br />

arbeiten kooperativ und probieren<br />

sich selbst aus, indem sie ihre unterschiedlichen<br />

Fähigkeiten und persönlichen<br />

<strong>Stärken</strong> ausleben – so, wie es<br />

in der Schulpraxis auch die Grundschüler*innen<br />

tun würden. Gleichzeitig<br />

schlüpfen die Studierenden auch immer<br />

wieder in die Rolle der Lehrkraft, welche<br />

während der gesamten Projektarbeit mit<br />

den Schülern*innen eine begleitendunterstützende<br />

Rolle einnimmt, um so<br />

ein selbstwirksames Lernen gewährleisten<br />

zu können (BMBF, 2022). Einen<br />

Einblick in das vollständige Seminarkonzept<br />

erhalten Sie im Beitrag „Bildung<br />

für nachhaltige Entwicklung in<br />

Verknüpfung mit einer Social Entrepreneurship<br />

Education in heterogenen<br />

Lerngruppen – Konzeptvorstellung<br />

eines Blockseminars im Grundschullehramtsstudium“<br />

von Dreischer & Hess<br />

(in Druck). Dort finden Sie auch erste<br />

Ergebnisse einer begleitenden qualitativen<br />

Studie in Form von Interviews mit<br />

den teilnehmenden Studierenden des<br />

Blockseminars. Insgesamt zeigten die<br />

Mit dem Konzept des Blockseminars<br />

„BNE-Projekte in der Grundschule:<br />

sozial(unternehmerisch) Denken und<br />

Handeln im Sachunterricht – geht<br />

das?“ wurde an der Universität Bamberg<br />

erstmals eine Veranstaltung konzipiert,<br />

in welcher geeignete Projekte<br />

für Grundschüler*innen auf Grundlage<br />

von Social-Entrepreneurship-Methoden<br />

sowie Methoden der Bildung für nachhaltige<br />

Entwicklung und der Didaktik<br />

des Sachunterrichts von teilnehmenden<br />

Studierenden selbstständig geplant, vorgestellt<br />

und anschließend reflektiert<br />

wurden. Ziel des Blockseminars ist die<br />

Vermittlung von vielfältigen Handlungsoptionen<br />

innerhalb des Sachunterrichts.<br />

Durch die Verknüpfung von<br />

Inhalten einer BNE und SEE werden die<br />

Lehramtsstudierenden dazu angehalten,<br />

sich unter anderem mit den Sustainable<br />

Development Goals (Vereinte Nationen,<br />

2015) auseinanderzusetzen. Aktuelle<br />

und zukünftige gesellschaftliche<br />

Herausforderungen, die sich auch in der<br />

Lebenswelt der Schüler*innen wieder-<br />

„Durch die Verknüpfung von BNE und SEE kann man<br />

<strong>Kinder</strong> gut erreichen, es macht konkrete Themen zur<br />

Nachhaltigkeit greifbar, stellt einen Bezug zur Lebenswelt<br />

der Schüler und Schülerinnen her und macht auch<br />

Selbstwirksamkeit erfahrbarer für sie.“<br />

finden (Wulfmeyer, 2020), wie z. B. die<br />

Lebensmittelverschwendung, das stetig<br />

wachsende Abfallaufkommen oder die<br />

schwindende Artenvielfalt, werden – je<br />

nach K<strong>lassen</strong>stufe – schüler*innengerecht<br />

als mögliches Projektkonzept<br />

von den Studierenden selbstständig<br />

ausgearbeitet. Dabei werden Schlüsselkompetenzen,<br />

wie Problemlösekompetenz<br />

werteorientiertes Denken<br />

oder Verantwortungsübernahme bei<br />

den Studierenden geschärft und Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />

ermöglicht.<br />

Die Studierenden begeben sich somit<br />

gedanklich immer wieder in die Rolle<br />

der Grundschüler*innen und durch-<br />

Interviews, dass die Studierenden eine<br />

Verknüpfung von BNE und SEE für<br />

bedeutsam und sinnvoll halten. Auch<br />

erhöhte sich die Selbsteinschätzung in<br />

Bezug auf die eigene fachdidaktische<br />

Kompetenz im Sinne einer BNE und<br />

SEE sowie die persönliche Motivation,<br />

sozialunternehmerische Projekte auch<br />

als zukünftige Lehrkraft in der Schulpraxis<br />

umzusetzen.<br />

Zitat eines Studierenden aus dem<br />

Blockseminar: „Durch die Verknüpfung<br />

von BNE und SEE kann man <strong>Kinder</strong> gut<br />

erreichen, es macht konkrete Themen zur<br />

Nachhaltigkeit greifbar, stellt einen Bezug<br />

zur Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen<br />

her und macht auch Selbstwirksamkeit<br />

erfahrbarer für sie.“<br />

Wie kann eine Social<br />

Entrepreneurship Education<br />

konkret umgesetzt werden?<br />

Seminar „BNE-Projekte in der Grundschule: sozial(unternehmerisch) Denken und<br />

Handeln im Sachunterricht – geht das?“: Studierende bei der Ideenfindung für mögliche<br />

Projektkonzepte.<br />

Durch den gezielten Einsatz vielfältiger<br />

Methoden im Unterricht sollen unterschiedliche<br />

Handlungsfelder für Schüler*innen<br />

eröffnet werden (Lindner,<br />

2016). Die Anwendung von Methoden<br />

im Sinne einer BNE und SEE können<br />

dabei besonders unterstützen, um so<br />

unter anderem Verantwortungsbewusstsein<br />

für sich selbst, gegenüber der<br />

Gesellschaft und auch gegenüber der<br />

32<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> Aus der <strong>erleben</strong> Forschung <strong>lassen</strong><br />

Jacqueline Dreischer (links)<br />

Institut: Otto-Friedrich-Universität<br />

Bamberg<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />

Projekt „Teachers as Changemakers“<br />

(TaC) und an der Professur für Didaktik<br />

der Grundschule.<br />

Thematische Schwerpunkte: Bildung<br />

für nachhaltige Entwicklung (BNE) in<br />

Verknüpfung mit Social Entrepreneurship<br />

Education (SEE) in der Lehrkräftebildung<br />

und an Schulen<br />

Prof. Dr. Miriam Hess (rechts)<br />

Institut: Otto-Friedrich-Universität<br />

Bamberg<br />

Professorin und Lehrstuhlinhaberin des<br />

Lehrstuhls für Grundschulpädagogik<br />

und Grundschuldidaktik.<br />

Inhaltliche Teilprojektleitung im Projekt<br />

„Teachers as Changemakers“ (TaC).<br />

Thematische Schwerpunkte: Einsatz<br />

von Videos in der Lehrerinnen- und<br />

Lehrerbildung, videobasierte Unterrichtsforschung,<br />

Digitalisierung in<br />

der Lehrerinnen- und Lehrerbildung,<br />

Unterrichtsqualität und Unterrichtsgestaltung,<br />

Feedback, Umgang mit<br />

Heterogenität im Unterricht.<br />

Umwelt zu entwickeln (BMWi, 2019;<br />

Valentin, 2021). Aufgabe der Lehrkraft<br />

ist es dabei, mit ausgewählten Methoden<br />

im Sinne einer BNE und SEE in<br />

die Rolle des Lernbegleiters zu schlüpfen,<br />

um Schüler*innen in ihren selbstständigen<br />

Denk- und Entwicklungsprozessen<br />

zu unterstützen (BMBF,<br />

2022). Geeignete Methoden im Sinne<br />

einer Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />

sind z. B. Positionsspiele oder<br />

Classroom-Gallery-Walks (BNE Box,<br />

2021); geeignete Methoden im Sinne<br />

einer Social Entrepreneurship Education<br />

sind z. B. das Design-Thinking oder<br />

die Persona-Methode (SEEd, 2019).<br />

Mit Positionsspielen werden Schüler*innen<br />

sich über ihren eigenen Standpunkt<br />

in Bezug auf eine bestimmte Fragestellung<br />

bewusst. Die Lehrkraft stellt<br />

eine Frage und erläutert die beiden Antwortmöglichkeiten,<br />

die sich jeweils für<br />

die beiden Enden der (imaginären) Linie<br />

ergeben. Die Schüler*innen positionieren<br />

sich entsprechend ihrer Antwort<br />

entlang dieser Linie im K<strong>lassen</strong>raum –<br />

dabei können, je nach Fragestellung, die<br />

Antwortmöglichkeiten variieren („ja“ –<br />

„nein“, „oft“ – „selten“, „stimme zu“ –<br />

„stimme nicht zu“ etc.). Anschließend<br />

können einzelne Positionierungen von<br />

den jeweiligen Schüler*innen begründet<br />

und im Plenum diskutiert werden. Auf<br />

diese Weise können unterschiedliche<br />

Wertvorstellungen und Weltbilder gemeinsam<br />

erarbeitet, diskutiert und sichtbar<br />

gemacht werden. Durch die eigene<br />

körperliche Verortung bei der Positionierung<br />

in Relation zur Klasse wird den<br />

<strong>Kinder</strong>n zudem ein physisch-emotionaler<br />

Zugang zum Thema ermöglicht (BNE<br />

Box, 2021).<br />

Ein Classroom-Gallery-Walk eignet<br />

sich besonders, um erarbeitete (Zwischen-)Ergebnisse<br />

wie bei einem Museumsbesuch<br />

zu präsentieren und auf<br />

Grundlage dessen mit den Mitschüler*innen<br />

in den Austausch zu kommen<br />

(BNE Box, 2021). So können ggf.<br />

neue Handlungsimpulse entstehen und<br />

im Sinne des Design-Thinking-Prozesses<br />

(wird folgend erläutert) die eigenen<br />

Projektideen noch einmal angepasst und<br />

überarbeitet werden.<br />

Mithilfe des Design-Thinking-Ansatzes<br />

werden die <strong>Kinder</strong> durch die<br />

verschiedenen Phasen ihrer Ideenentwicklung<br />

geleitet: angefangen bei der<br />

Identifizierung einer konkreten (gesellschaftlichen)<br />

Herausforderung über das<br />

Definieren der potenziellen Zielgruppe<br />

bis hin zur Formulierung von Lösungsansätzen<br />

sowie dem Entwickeln eines<br />

Prototyps. Während des gesamten Design-Thinking-Prozesses<br />

ist die Kreativität<br />

der <strong>Kinder</strong> besonders gefragt – sie<br />

dürfen und sollen sich ausprobieren sowie<br />

ihre eigenen Ideen testen, modellieren,<br />

skizzieren und präsentieren. Dabei<br />

geht es nicht darum, am Ende die „perfekte<br />

Lösung“ vorstellen zu können, sondern<br />

vielmehr darum, während des gesamten<br />

Prozesses seine persönlichen<br />

<strong>Stärken</strong> kennen- und schätzen zu lernen,<br />

mit den Mitschüler*innen gemeinsam<br />

ein Ziel zu verfolgen und sich der eigenen<br />

Möglichkeiten im Alltag in Bezug<br />

auf nachhaltige Verhaltensweisen bewusst<br />

zu werden. Die Design-Thinking-<br />

Methode hat zum Ziel, kreative Lösungen<br />

für Probleme zu entwickeln und sich<br />

somit innovativ an bestehenden oder zukünftigen<br />

Herausforderungen zu beteiligen<br />

(Grots & Pratschke, 2009).<br />

Die Persona-Methode ist ein geeignetes<br />

Tool, wenn es darum geht, sich während<br />

des Design-Thinking-Prozesses Gedanken<br />

darüber zu machen, wen man mit<br />

einer bestimmten Projekt- oder Produktidee<br />

erreichen möchte. Mit dieser Methode<br />

lernen <strong>Kinder</strong>, sich in die Lage anderer<br />

hineinzuversetzen, und entwickeln ein<br />

Verständnis für Bedürfnisse, Befindlichkeiten,<br />

Ängste oder Einstellungen anderer<br />

Menschen. Ziel der Persona-Methode ist<br />

es, eine konkrete Person zu visualisieren,<br />

welche die Eigenschaften der potenziellen<br />

Zielgruppe verkörpert (SEEd, 2019).<br />

Durch gezielte Fragestellungen erarbeiten<br />

sich die <strong>Kinder</strong> ein konkretes Bild ihrer<br />

Zielpersonen:<br />

● Was ist der Person wichtig im Leben?<br />

● Was wünscht sich die Person?<br />

● Wovor hat die Person Angst?<br />

● Wie erreicht man diese Person? Wo<br />

sieht sie Werbung?<br />

● Warum möchte die Person euer Angebot<br />

kaufen/nutzen?<br />

● Warum könnte die Person euer Angebot<br />

nicht kaufen/nutzen wollen?<br />

Insbesondere die Kompetenz des<br />

Perspektivwechsels wird bei dieser<br />

Methode gefördert. Durch eine<br />

Personenzeichnung an der Tafel/am<br />

Smartboard oder einer physischen Verkörperung<br />

durch eine Puppe kann die<br />

Persona-Methode visuell unterstützt<br />

und beispielsweise in eine Geschichtenerzählung<br />

eingebunden werden, sodass<br />

die Vorstellungskraft für Bedürfnisse<br />

von anderen bei den Schüler*innen verstärkt<br />

gefördert wird.<br />

Wie kann ein<br />

sozialunternehmerisches<br />

Projekt aussehen?<br />

Im Folgenden werden zwei beispielhafte<br />

Projektideen vorgestellt, die von<br />

den teilnehmenden Studierenden des<br />

o. g. Blockseminars erarbeitet wurden.<br />

Beide Projekte orientieren sich aufgrund<br />

der vielfältigen thematischen<br />

Anknüpfungspunkte und des K<strong>lassen</strong>lehrkraftprinzips<br />

in der Grundschule an<br />

einer interdisziplinären Einbindung in<br />

den Unterricht.<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

33


Aus Praxis: der <strong>Kinder</strong> Forschung <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Seminar „BNE-Projekte<br />

in der Grundschule:<br />

sozial(unternehmerisch)<br />

Denken und Handeln im<br />

Sachunterricht – geht<br />

das?“: Studierende<br />

arbeiten die Konzepte<br />

ihrer Projektideen im<br />

Sinne einer SEE und<br />

BNE aus (Bild rechts);<br />

Studierende präsentieren<br />

mögliche Upcycling-Produkte,<br />

die sie im<br />

Rahmen der Projektidee<br />

„Aus Alt mach Neu“<br />

selbst hergestellt haben<br />

(Bild links).<br />

Projektbeispiel: Herstellung von<br />

Saatgutsäckchen<br />

Mit diesem Projekt soll das Bewusstsein<br />

von <strong>Kinder</strong>n für Umwelt und<br />

Natur gestärkt werden. Die Schüler*innen<br />

sollen ein Verständnis für den<br />

Natur-, Arten- und Insektenschutz<br />

bekommen und die Zusammenhänge<br />

ökologischer Kreisläufe auf kreative Art<br />

und Weise entdecken – insbesondere<br />

in Bezug auf die Bedeutung vielfältiger<br />

Bepflanzung in der eigenen unmittelbaren<br />

Umgebung. Die Saatgutsäckchen<br />

werden eigenständig von den <strong>Kinder</strong>n<br />

hergestellt, wobei sie ihrer Kreativität<br />

freien Lauf <strong>lassen</strong> können. Damit kann<br />

entweder der Schulgarten bepflanzt<br />

oder ein Verkauf organisiert werden.<br />

Mit einer Einbettung des Projekts in<br />

den Unterricht können die Schüler*innen<br />

aktiv Einfluss auf ihre nähere<br />

Umgebung nehmen und <strong>erleben</strong> Selbstwirksamkeit<br />

im Kontext der Herausforderung<br />

des Insektenschwindens und<br />

den damit verbundenen weitreichenden<br />

Konsequenzen für Natur und Mensch.<br />

Durch einen eigenständig organisierten<br />

Verkauf der Produkte erlangen die <strong>Kinder</strong><br />

zudem wertvolle persönliche Fähigkeiten<br />

im Sinne einer SEE.<br />

Projektbeispiel: „Aus Alt mach Neu“ –<br />

Herstellung von Upcycling-Produkten<br />

In diesem Projekt stellen Schüler*innen<br />

Upcycling-Erzeugnisse aus Abfallprodukten<br />

her, welche sie zuvor selbst<br />

sammeln sollen, beispielsweise werden<br />

Dosen zu Windlichtern, Bienenhotels<br />

oder Blumenübertöpfen. Auf<br />

diese Weise kommen die <strong>Kinder</strong> mit<br />

den Themen Abfallaufkommen, Plastikverschmutzung<br />

sowie der Problematik<br />

der begrenzten Aufnahmefähigkeit<br />

der Natur in Berührung. Dabei soll<br />

im Unterricht auf diese Thematiken<br />

näher eingegangen werden, sodass die<br />

Lernenden z. B. die zahlreichen Auswirkungen<br />

von Plastik, welches in die<br />

Umwelt gelangt, nachvollziehen können<br />

oder verstehen, warum eine Kreislaufwirtschaft<br />

sinnvoll und wichtig für<br />

den Erhalt von Natur und Umwelt ist.<br />

Das Erkennen solcher Zusammenhänge<br />

kann Schüler*innen motivieren,<br />

sich mit ihrem eigenen alltäglichen Verhalten<br />

und dessen Auswirkungen auf<br />

die Umwelt auseinanderzusetzen und<br />

sich alternative Handlungsoptionen zu<br />

überlegen. Durch einen Verkauf der<br />

hergestellten Upcycling-Produkte auf<br />

einem Schulfest, dem Weihnachtsmarkt<br />

oder einem örtlichen Markt erhalten<br />

die <strong>Kinder</strong> erste Einblicke in unternehmerische<br />

Prozesse und werden auch<br />

hier in ihren persönlichen Fähigkeiten<br />

gezielt gestärkt.<br />

Ausblick<br />

Angesichts der zunehmenden aktuellen<br />

und künftigen gesellschaftlichen<br />

Herausforderungen, mit denen auch<br />

bereits <strong>Kinder</strong> und Jugendliche konfrontiert<br />

werden (BMBF, 2022), sollten<br />

Lehrkonzepte im Sinne einer Bildung<br />

für nachhaltige Entwicklung (BNE)<br />

und Social Entrepreneurship Education<br />

(SEE) mehr und mehr im Kontext der<br />

Schule mitgedacht und im Unterricht<br />

umgesetzt werden. Damit einhergehend<br />

sollten bei (angehenden) Lehrkräften<br />

zunehmend fächerübergreifende Handlungskompetenzen<br />

und Denkweisen<br />

gefördert werden, um zukünftige Schüler*innen<br />

gezielt auf einen proaktiven<br />

Umgang mit diesen Herausforderungen<br />

vorzubereiten und ihnen Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />

sowie eine Kultur<br />

des kreativen und innovativen Lernens<br />

im Unterricht zu ermöglichen (Lindner,<br />

2016; Bisanz et al., 2019). Handlungskompetenzen<br />

sowie Wahrnehmungsund<br />

Bewertungsprozesse im Sinne einer<br />

BNE, die damit bereits im Grundschulalter<br />

gefördert werden (Hauenschild &<br />

Bolscho, 2022), können durch eine SEE<br />

sinnvoll bestärkt und erweitert werden.<br />

Das bedeutet, dass auch die Lehrkräftebildung<br />

herausgefordert ist, neben<br />

(fach-)wissenschaftlichen insbesondere<br />

didaktisch-methodische Kompetenzen<br />

im Sinne einer BNE und SEE<br />

angemessen zu vermitteln. Persönliche<br />

Kompetenzen und soziale Fähigkeiten,<br />

die dabei gefördert werden, ermöglichen<br />

es Schüler*innen, sich selbst und<br />

ihre Umwelt ganzheitlich zu betrachten<br />

sowie ihre individuellen persönlichen<br />

Fähigkeiten zu entfalten und zu stärken<br />

(Bisanz et al., 2019).<br />

Literaturangaben zum Artikel können<br />

Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa165Lit<br />

34<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> Rundschau <strong>lassen</strong><br />

Rundschau<br />

Projekt Eine Welt<br />

Mit kleinen Schritten (vielleicht) etwas Großes bewirken<br />

In aktuellen Veröffentlichungen für<br />

<strong>Kinder</strong> zu nachhaltigen Themen sind<br />

in den letzten Jahren vermehrt Titel<br />

aufgetaucht, in denen es darum geht,<br />

gleich die ganze Welt zu retten. Hinweise<br />

und Tipps für dieses Vorhaben werden in<br />

den Inhalten oft mitgeliefert. Grundsätzlich<br />

lässt sich hinterfragen, ob es nicht<br />

zuallererst Aufgabe der Erwachsenen ist,<br />

für eine intakte Welt zu sorgen und diese<br />

nachfolgenden Generationen in einem<br />

guten Zustand zu übergeben. Erwachsene<br />

sitzen mehrheitlich in Positionen, in<br />

denen Entscheidungen getroffen werden,<br />

die direkte Auswirkungen auf das Weltgeschehen<br />

haben.<br />

Aber dafür zu sensibilisieren, dass<br />

Dinge zusammenhängen und dass das<br />

eigene Verhalten Auswirkungen auf die<br />

Umwelt und Natur oder andere Mitmenschen<br />

hat, bleibt wichtig und lässt<br />

sich schon an einfachen Beispielen festmachen.<br />

Es geht weniger darum, für die<br />

Rettung der ganzen Welt zuständig zu<br />

sein, sondern Möglichkeiten zu erkennen,<br />

sich aktiv zu beteiligen, mitzugestalten,<br />

eigene und Bedürfnisse anderer<br />

mit einzubringen und dabei auch Probleme<br />

mit aus dem Weg zu räumen.<br />

<strong>Kinder</strong> sind immer auch die Erwachsenen<br />

von morgen und Mitgestaltung<br />

bedarf einer besonderen Wahrnehmung<br />

und Übung, um sie auch für sich<br />

und andere nutzen zu können. Mit den<br />

<strong>Kinder</strong>rechten und ihrem besonderen<br />

Schwerpunkt auf der Beteiligung von<br />

<strong>Kinder</strong>n, den starken Stimmen von jungen<br />

Menschen in Bewegungen wie Friday<br />

for Future und Ansätzen in Projekten<br />

wie FREI DAY finden sich Beispiele,<br />

in denen jungen Menschen mehr Gehör<br />

zuteilwurde bzw. sie durch ihr Engagement<br />

selbst dafür gesorgt haben. Die<br />

Beispiele machen deutlich, dass <strong>Kinder</strong><br />

eine eigene Stimme haben und sich nach<br />

ihren Möglichkeiten einbringen können,<br />

wenn die nötigen Strukturen dafür vorhanden<br />

sind. Ausbaufähig bleiben alle<br />

Ansätze und Projekte trotzdem.<br />

Die zehnjährige Schülerin Greta S. hat<br />

das in einem Interview zu dem Projekt<br />

„SDGs im Kinospot“ in der Zeitschrift<br />

Eine Welt in der Schule 151 folgendermaßen<br />

auf den Punkt gebracht:<br />

„Wir wollten, dass die Leute wirklich<br />

merken, was mit unserer Welt passiert<br />

und dass man handeln muss! Die Leute<br />

sollten uns beachten und nicht als kleine<br />

<strong>Kinder</strong> sehen, die irgendwas sagen und<br />

es dann süß finden, sondern als Leute,<br />

die versuchen, hier etwas zu<br />

verändern.“<br />

An der Albert-<br />

Schweitzer-Schule<br />

in Langen hatte<br />

eine 4. Klasse<br />

sich auf den Weg<br />

gemacht, die 17<br />

Ziele für nachhaltige<br />

Entwicklung<br />

(SDGs) in<br />

ihrer Stadt bekannt<br />

zu machen.<br />

Mit Unterstützung einer Cutterin<br />

hat die Klasse Werbespots zu den einzelnen<br />

Zielen gedreht und den Inhaber des<br />

kommunalen Kinos überzeugt, diese als<br />

Vorspann im Kino laufen zu <strong>lassen</strong>. Auslöser<br />

dieses Projektes waren Gespräche<br />

in der Klasse zu aktuellen Fragen, die<br />

die <strong>Kinder</strong> beschäftigten und mit in die<br />

Schule gebracht hatten. Corona, Klimakrise<br />

und politische Konflikte taten viele<br />

Problemfelder auf, zu denen es keine<br />

einfachen oder kurzfristigen Lösungen<br />

gab. Die Auseinandersetzung mit den<br />

SDGs gab den <strong>Kinder</strong>n nach Angaben<br />

der Lehrkraft aus der Klasse das Gefühl,<br />

dass erste Schritte bereits unternommen,<br />

die Probleme zumindest angegangen<br />

und an Lösungsvorschlägen gearbeitet<br />

wurde. Die <strong>Kinder</strong> waren motiviert, die<br />

SDGs bekannter zu machen, mit Ideen<br />

im direkten Umfeld zu verknüpfen und<br />

somit sich selbst aktiv einzubringen und<br />

ihren Teil beizutragen.<br />

Auch das Projekt FREI DAY nutzt die<br />

SDGs als Einstieg zu eigenen Projektvorhaben<br />

der <strong>Kinder</strong> vor Ort und bietet<br />

über die Auseinandersetzung mit den<br />

Inhalten der einzelnen Ziele eine Klammer<br />

und Orientierung bzw. Anknüpfungspunkte,<br />

auf die immer wieder einzeln<br />

oder im K<strong>lassen</strong>verbund Bezug genommen<br />

werden kann.<br />

Die SDGs als ersten Einstieg zu nutzen,<br />

das Engagement von <strong>Kinder</strong>n zu<br />

wecken und über diese auf Themen aufmerksam<br />

zu machen, findet sich auch<br />

im Konzept der Handreichung 17 Ziele<br />

Wir für eine bessere Welt wieder und in<br />

der ergänzenden Materialkiste, die als<br />

Unter- stützung für die Umsetzung<br />

der Handreichung<br />

gedacht<br />

ist. Mehr Informationen<br />

dazu siehe<br />

im begleitenden<br />

Kasten.<br />

Die SDGs<br />

aufzugreifen ist<br />

eine Möglichkeit,<br />

auf komplexe Zusammenhänge<br />

aufmerksam<br />

zu machen,<br />

neben Problemen<br />

auf bereits<br />

erfolgreiche Veränderungen<br />

einen Fokus zu setzen, über die<br />

eigenen Möglichkeiten nachzudenken<br />

und sich einzubringen. Die Ziele wurden<br />

von einer Staatengemeinschaft 2015<br />

beschlossen und sollen bis 2030 umgesetzt<br />

werden. Die Welt zu retten liegt<br />

bei den Erwachsenen, das schließt aber<br />

nicht aus, als junger Mensch auch schon<br />

einen kleinen Teil dazu beizutragen. So<br />

überlasse ich Greta S. noch mal das Wort<br />

zum Abschluss:<br />

„Ein großes Ziel unseres Projektes war,<br />

die Leute zu motivieren. Ich glaube, jedem<br />

von uns war es sehr wichtig, dass die Leute<br />

endlich mehr dafür sorgen, dass diese Welt<br />

in Ordnung bleibt, und das als Gemeinschaft,<br />

nicht nur mit der Stadt oder der<br />

Klasse, sondern als Weltgemeinschaft.“<br />

(Greta S.)<br />

Ulrike Oltmanns<br />

Mehr zu der Handreichung „17 Ziele.<br />

Wir für eine bessere Welt! “<br />

auf der Seite des Projektes<br />

Eine Welt in der Schule unter<br />

www.weltinderschule.uni-bremen.de<br />

Informationen zum Projekt FREI DAY<br />

unter www.frei-day.org<br />

Anmerkung<br />

Nachweis Zitate: Greta S. (10 Jahre) in einem<br />

Interview zu dem Projekt „SDGs im Kinospot“,<br />

S. 20 in der Zeitschrift Eine Welt in der<br />

Schule 151/2022<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

35


Praxis: Rundschau <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Bürgerinnen und Bürger machen mobil für eine bessere Bildung<br />

„Gute Bildung, gutes Leben – sollte es für alle geben …“<br />

Am 23. September 2023 sind in 29<br />

Städten mehr als 25.000 Menschen<br />

auf die Straße gegangen<br />

und haben für eine „Bildungswende<br />

JETZT!“ demonstriert – mit der Unterstützung<br />

von über 190 Organisationen,<br />

darunter der Grundschulverband. In<br />

Bayern, Berlin und Bremen haben die<br />

Landesgruppen auch konkret die Aktionen<br />

vor Ort mit organisiert.<br />

Die Forderungen der Initiative, die<br />

sich aus einer Aktion im Berliner Landtagswahlkampf<br />

2022 zu einer bundesweiten<br />

Kampagne entwickelt hat, sind<br />

nicht neu (s. Kasten). Neben bildungspolitisch<br />

engagierten Gruppen aus den<br />

Parteien und verschiedenen Verbänden<br />

haben über viele Jahre hinweg auch Expertenkommissionen<br />

mehr Bildungsgerechtigkeit,<br />

ein inklusives Bildungssystem,<br />

andere Lehr-/Lernformen und eine<br />

auskömmliche Finanzierung und personelle<br />

Ausstattung der Kitas und Schulen<br />

eingefordert.<br />

Die Aktionen haben in den Medien<br />

viel Aufmerksamkeit erregt und damit<br />

den Forderungen erneut Nachdruck verliehen.<br />

Sie haben auch dazu beigetragen,<br />

dass sich regional Personen und Organisationen<br />

zusammengefunden und neue<br />

Netzwerke gebildet oder bestehende gestärkt<br />

haben.<br />

Bleibt die Frage, wie es weitergeht. In<br />

der Kritik an den Mängeln des Systems<br />

und in Pauschalforderungen sind sich<br />

alle schnell einig. Hoffentlich bleibt das<br />

auch so, wenn es darum geht, die Forderungen<br />

zu konkretisieren. Mehr Geld,<br />

auch kleinere Gruppen, multiprofessionelle<br />

Teams oder Doppelbesetzung für<br />

inklusive Einrichtungen sind wichtige<br />

Forderungen. Angesichts des derzeitigen<br />

Mangels an Pädagog*innen und anderen<br />

Fachkräften für die Schule muss<br />

man sich aber verständigen, was aktuell<br />

wirklich getan werden kann.<br />

Vielleicht brauchen Schulen und<br />

Kitas in dieser Situation zunächst einmal<br />

mehr Freiraum, um über Budgets<br />

vor Ort zu verfügen und selbst mit den<br />

situativ verfügbaren Ressourcen kreative<br />

Lösungen zu finden. Um diese zusätzlichen<br />

Organisationsanforderungen bewältigen<br />

zu können, werden die Schulleitungen<br />

allerdings erhebliche Unterstützung<br />

durch zusätzliche Verwaltungsund<br />

Bürokräfte brauchen. Zudem kann<br />

man in die Gebäudesanierung und in die<br />

Ausstattung von Kitas und Schulen investieren.<br />

Ebenso in die Ausbildung von<br />

Pädagog*innen, deren Ertrag aber leider<br />

erst in 10 Jahren spürbar werden dürfte.<br />

Vermutlich werden nur die <strong>Kinder</strong><br />

und Jugendlichen, die das Glück haben,<br />

selbstständig arbeiten zu dürfen und von<br />

ihren Pädagog*innen unterstützend begleitet<br />

zu werden, einigermaßen schadenfrei<br />

durch diese Zeit kommen. Bildungspolitik<br />

und -verwaltung sollten<br />

dafür bessere Rahmenbedingungen<br />

Prof. em. Hans Brügelmann,<br />

Mitglied im Vorstand der GSV-Landesgruppe<br />

Bremen<br />

schaffen, damit mehr Kitas und Schulen<br />

diesen Weg gehen, auch die in herausfordernden<br />

Lagen.<br />

Aber das Kernproblem ist die Akzeptanz<br />

dieses ganz anderen Bilds von Lernen<br />

und Unterricht (vgl. dazu die Zukunftsperspektiven<br />

des Grundschulverbands<br />

für die Grundschule unter https://<br />

t1p.de/GSV_zukunft). Seine Umsetzung<br />

scheitert nur zum Teil an rechtlichen<br />

Vorgaben oder fehlenden Mitteln, sondern<br />

auch an Pädagog*innen, die sich<br />

immer noch an ihren gleichschrittigen<br />

Lehrgängen festhalten. Und an Eltern,<br />

die mit Freiarbeit und selbstständigem<br />

Lernen nichts anfangen können. Ohne<br />

einen tiefgreifenden Mentalitätswandel<br />

in der Gesellschaft und in der Profession<br />

wird es keine echte Bildungswende<br />

geben.<br />

Der Bürgerrat Bildung und Lernen<br />

Dass dies aber keine Utopie bleiben<br />

muss, zeigt eine andere Initiative, in der<br />

nach Zufall ausgewählte Bürger*innen<br />

aus verschiedenen Regionen, aus unterschiedlichen<br />

sozialen Schichten und kulturellen<br />

Milieus in den vergangenen drei<br />

Jahren darüber nachgedacht und miteinander<br />

gerungen haben, wie sich das<br />

Bildungssystem in den nächsten Jahren<br />

entwickeln muss, um zukunftsfähig zu<br />

werden: der ebenfalls vom Grundschulverband<br />

unterstützte Bürgerrat Bildung<br />

und Lernen.<br />

Die Bürger*innen haben sich nach<br />

Beratungen in mehreren Runden und<br />

wechselnden Gruppen schließlich auf<br />

Vorlagen verständigt, die dann im März<br />

2023 im Plenum abgestimmt wurden.<br />

36<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> Rundschau <strong>lassen</strong><br />

Rundschau<br />

Zur Illustration der inhaltlichen Positionen<br />

– und ihrer unterschiedlich breiten<br />

Akzeptanz – einige ausgewählte<br />

Empfehlungen zu den drei Bereichen<br />

(s. im Einzelnen https://www.buergerrat-bildung-lernen.de/k-eine-chance):<br />

Es stimmten u. a. …<br />

83 % für die Einrichtung von Familienzentren<br />

im Kita-Bereich<br />

58 % für eine Kita-Pflicht in den letzten<br />

zwei Jahren vor der Schule<br />

(mit begründeten Ausnahmen)<br />

98 % für die Ausweitung des Fachpersonals<br />

an Schulen und damit<br />

die kontinuierliche Betreuung<br />

durch multiprofessionelle Teams<br />

62 % für ein längeres gemeinsames Lernen<br />

bis zum 16. Lebensjahr – bei<br />

individueller Förderung<br />

54 % für Selbstwirksamkeitserfahrung<br />

und soziale Kompetenz als verbindliches<br />

durchgängiges Unterrichtsprinzip<br />

93 % für eine transparente finanzielle<br />

Förderung von Ausbildung und<br />

Studium für alle Berufe<br />

74 % für mehr Berufsorientierung (ab<br />

Klasse 7) mit verpflichtenden<br />

Praktika<br />

Wie die Zahlen zeigen, gibt es zum Teil<br />

einen breiten Konsens. Andere Vorschläge<br />

waren umstrittener. Aber selbst<br />

das politisch heiße Eisen „Eine Schule<br />

für alle“ haben die Bürger*innen<br />

beherzt angefasst – und mit der klug<br />

balancierten Forderung nach einem<br />

Lernen auf eigenen Wegen, aber in<br />

einem gemeinsamen Unterricht dem<br />

Einwand einer gleichmacherischen Einheitsschule<br />

ebenso den Wind aus den<br />

Segeln genommen wie dem Vorwurf,<br />

Schüler*innen würden in Einzelarbeit<br />

alleinge<strong>lassen</strong>.<br />

Diese konstruktiven Beratungen im<br />

Bürgerrat Bildung und Lernen ermutigen,<br />

für die Lösung der anstehenden<br />

Probleme „Runde Tische“ auch vor Ort<br />

einzurichten und die „Intelligenz der<br />

Praxis“ (Reinhard Kahl) einzuladen,<br />

Ideen und Erfahrungen auszutauschen:<br />

Die Initiative „Bildungswende JETZT!“ fordert …<br />

engagierte Pädagog*innen, Schüler*innen<br />

und ihre Eltern, aber auch Vertreter*innen<br />

zivilgesellschaftlicher Initiativen,<br />

die sich für Bildung engagieren –<br />

wie bei den Protesten der Initiative „Bildungswende<br />

JETZT!“. <br />

Hans Brügelmann<br />

1. Schule und Kita INKLUSIV und ZUKUNFTSFÄHIG zu machen<br />

• Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wirkungsvoll als verbindlichen Lerninhalt zu<br />

verankern, damit sich Schüler*innen auf die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts<br />

vorbereiten können<br />

• Lehrpläne und Lerninhalte schüler*innenorientiert und diskriminierungskritisch zu überarbeiten,<br />

um Freiräume für die intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung der<br />

Schüler*innen zu schaffen und die Bildungsqualität zu erhöhen<br />

• alternative Leistungsbewertungen zu ermöglichen statt zu viele Vergleichsarbeiten<br />

durchzuführen<br />

• Schulentwicklung gemeinsam zu gestalten, auf Nachhaltigkeit auszurichten und<br />

durch passende Aus- und Weiterbildung zu unterstützen<br />

• multiprofessionelle Teams als festen Bestandteil in allen Schulen zu verankern und zu<br />

finanzieren<br />

2. eine AUSBILDUNGSOFFENSIVE für Lehrer*innen und Erzieher*innen<br />

• einen Staatsvertrag Lehrkräftebildung, der alle Bundesländer dazu verpflichtet, genügend<br />

Lehrkräfte auszubilden und die Studienabschlüsse gegenseitig anzuerkennen<br />

• die Überarbeitung und engere Verzahnung des Lehramtsstudiums mit der Praxis und<br />

neue Wege ins Lehramt<br />

• einen Plan, wie die Ausbildung von ausreichend und gut qualifizierten Erzieher*innen<br />

bei attraktiven Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen sichergestellt werden kann, und<br />

dessen Umsetzung<br />

3. ein SONDERVERMÖGEN Bildung und ausreichende Finanzierung<br />

• ein Sondervermögen Bildung in Höhe von mindestens 100 Mrd. € für die notwendigen<br />

Investitionen in Kita und Schule<br />

• mindestens 10 % des BIP jährlich für Bildung und Forschung, wie es beim Dresdner<br />

Bildungsgipfel 2008 vereinbart wurde<br />

4. einen echten BILDUNGSGIPFEL auf Augenhöhe<br />

• einen vom Bundeskanzler in Absprache mit den Regierungschef*innen der Länder einberufenen<br />

Bildungsgipfel, um gemeinsam mit Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft und<br />

Bildungspraxis über Auswege aus der Bildungskrise und den Aufbau eines gerechten,<br />

inklusiven und zukunftsfähigen Bildungssystems zu diskutieren<br />

(sprachlich leicht angepasst aus: https://schule-muss-anders.de/bildungsprotest-2023/,<br />

die Petition kann noch unterzeichnet werden unter www.change.org/Bildungsprotest2023)<br />

Der Bürgerrat Bildung und Lernen …<br />

… ist der größte unabhängige Bürgerrat in<br />

Deutschland und der einzige, der <strong>Kinder</strong><br />

und Jugendliche aktiv einbezieht (s. dazu<br />

den offenen Brief unter www.besserlernen.<br />

schule und den Bericht in Grundschule aktuell,<br />

H. 159, 7 – 10). Über 700 Menschen aus<br />

allen Teilen der Republik haben bisher aktiv<br />

an Sitzungen des Bürgerrats teilgenommen.<br />

Anders als die meisten Bürgerräte wurde<br />

der Bürgerrat Bildung und Lernen nicht von<br />

einem politischen Gremium beauftragt. Er<br />

wird finanziert von der unabhängigen und<br />

gemeinnützigen Montag Stiftung Denkwerkstatt<br />

in Bonn.<br />

Gestartet waren die Mitglieder des Bürgerrats<br />

Bildung und Lernen 2021 mit einem „weißen<br />

Blatt Papier“: Es gab keine inhaltlichen<br />

Vorgaben, welchen Themen in Bezug auf<br />

Bildung und Lernen sie sich widmen sollten.<br />

Im Dezember 2021 veröffentlichte der Bürgerrat<br />

seine breit angelegten „Empfehlungen<br />

für ein Sofortprogramm“ (www.buergerratbildung-lernen.de/sofortprogramm/)<br />

sowie<br />

die Forderungen der <strong>Kinder</strong> und Jugendlichen<br />

im Bürgerrat (https://t1p.de/BRBLkinderbroschüre).<br />

Im April 2022 beschloss<br />

der Bürgerrat, bei seiner Arbeit das Thema<br />

„Chancengleichheit“ in den Fokus zu rücken.<br />

Am 10. Juli 2023 hat er der Präsidentin der<br />

Kultusministerkonferenz in Berlin seine Empfehlungen<br />

übergeben – für mehr Bildungsgerechtigkeit<br />

durch Verbesserungen in drei<br />

Bereichen:<br />

- frühkindliche Bildung<br />

- allgemeinbildende Schulen<br />

- berufliche Bildung<br />

(ausführlicher:<br />

www.buergerrat-bildung-lernen.de)<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

37


Praxis: Rundschau <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Aus dem Vorstand<br />

Frühjahrstagung des GSV am 2. März 2024 in Weimar<br />

KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT! 2.0 –<br />

Herausforderungen und Perspektiven<br />

Wir freuen uns sehr darüber,<br />

dass wir unsere bundesweite<br />

Frühjahrstagung am 2. März<br />

2024 an der Grundschule „Pestalozzi“ in<br />

Weimar als Grundschulverband e. V. in<br />

Kooperation mit der Landesgruppe<br />

Thüringen durchführen können, und<br />

laden Sie recht herzlich ein, an der Veranstaltung<br />

teilzunehmen.<br />

Gemeinsam werden wir mit den Teilnehmenden<br />

über Herausforderungen,<br />

Perspektiven und Visionen diskutieren,<br />

innovative Praxiskonzepte austauschen<br />

und uns mit Kolleginnen und Kollegen<br />

aus ganz Deutschland vernetzen. Mit der<br />

Tagung soll eine besondere Anerkennung<br />

und Wertschätzung der Arbeit in<br />

den Grundschulen des Landes entgegengebracht<br />

werden. Freuen<br />

Sie sich auf ein anspruchsvolles,<br />

vielseitiges und methodisch<br />

abwechslungsreiches<br />

Tagungsprogramm zu fachbezogenen<br />

und überfachlichen,<br />

zu bildungspolitisch<br />

relevanten und gesellschaftspolitischen<br />

Fragestellungen.<br />

Sind Sie interessiert?<br />

Dann schauen Sie in unser<br />

Programm und melden sich<br />

bitte auf der Website des Grundschulverbands<br />

an.<br />

Vielen Dank! Wir freuen uns auf Sie!<br />

Für den Vorstand Marion Gutzmann<br />

2.0<br />

Ein erster Einblick in die verschiedenen Workshops und Vorträge:<br />

Imagine if. Wenn Grundschule Zukunft gestaltet<br />

Dr. Michael Kirch, Ludwig-Maximilians Universität München<br />

Mehr Mitbestimmung für <strong>Kinder</strong> in der Grundschule!<br />

Aber wie?<br />

Prof. Dr. Sabine Martschinke, Universität Erlangen-Nürnberg,<br />

Fachreferentin GSV<br />

LernWelten: Horster Modell im Fokus – Lernraumkultur,<br />

Individualisierung und Schulbauarchitektur<br />

Aenne Thurau, Grundschule Op de Host<br />

Mathematische Basisfähigkeiten in<br />

heterogenen Gruppen entwickeln – rechnen lernen<br />

Gabriele Klenk, Bundesvorstand GSV<br />

Mit dem FREI DAY Zuversicht, Wirksamkeit<br />

und Sinn erfahren<br />

Margret Rasfeld, Schule im Aufbruch<br />

Bildung für nachhaltige Entwicklung – Grundlagen,<br />

Ansprüche und Beispiele aus der Praxis<br />

Prof. Dr. Meike Wulfmeyer, Universität Bremen;<br />

Ulrike Oltmanns, Projekt Eine Welt in der Schule<br />

Schrift im digitalen Zeitalter<br />

Maxi Brautmeier-Ulrich und Anna Fruhen-Witzke,<br />

Projektgruppe Grundschrift GSV<br />

Potenziale des jahrgangsübergreifenden Unterrichts<br />

für eine zukunftsfähige Grundschule<br />

Eva-Maria Osterhues-Bruns, Fachreferentin GSV<br />

Schularchitektur und Lernraumkultur<br />

Andrea Karlsberg, Malte Cunis, Reformschule Winterhude<br />

Inklusion? – Ach ja, das mit dem Rollstuhl!<br />

Dr. Gerald Klenk, Lernwirkstatt Inklusion<br />

Qualifikation von Grundschullehrkräften für die<br />

Fächer der Primarstufe – Fokus Sachunterricht<br />

Prof. Dr. Markus Peschel, Universität des Saarlandes,<br />

Fachreferent GSV<br />

SAVE EARTH! – Digitale Tools im Kontext von<br />

Klimawandel nutzen<br />

Johannes Wolz, Carl-Küstner-Grundschule<br />

Gute Texte schreiben lernen – in der „Schreibzeit“<br />

Dr. Beate Leßmann, IQSH Kiel<br />

Social Media im Grundschulalter – zwischen Verbot<br />

und Kompetenzerwerb<br />

Prof. Dr. Thomas Irion, PH Schwäbisch Gmünd,<br />

Bundesvorstand GSV Änderungen vorbehalten (Stand 9. Januar 2024)<br />

Alle Informationen und das<br />

Anmeldeformular finden Sie unter:<br />

www.grundschulverband.de<br />

Wir rechnen mit einer großen Teilnehmerzahl und<br />

empfehlen eine zeitnahe Anmeldung und Hotelbuchung.<br />

Eine Teilnahme an der Frühjahrstagung ist<br />

mit und ohne Mitgliedschaft möglich. Die Vergabe der<br />

Plätze erfolgt nach Reihenfolge der Anmeldung.<br />

38<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> Rundschau <strong>lassen</strong><br />

Rundschau<br />

Eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern zur Entwicklung von Potenzialen und Talenten<br />

LemaS – Leistung macht Schule<br />

Verschiedene Schulleistungsstudien<br />

wie IGLU oder PISA<br />

weisen schon seit vielen Jahren<br />

darauf hin, dass auch durch das scheinbar<br />

begabungsgerechte dreigliedrige<br />

deutsche Schulsystem ein nur relativ<br />

geringer Anteil von Schülerinnen und<br />

Schülern die beiden höchsten Kompetenzstufen<br />

in den Fächern Mathematik,<br />

Deutsch und/oder Englisch erreicht.<br />

Vor diesem Hintergrund beschloss die<br />

KMK im Jahr 2015 eine Förderstrategie<br />

für leistungsstarke Schülerinnen und<br />

Schüler (KMK 2015) mit dem Ziel, „die<br />

Förderung von leistungsstarken und potenziell<br />

leistungsfähigen Schülerinnen<br />

und Schülern zu verbessern“ (KMK<br />

2015, S. 3). Aus diesem Beschluss ist die<br />

Initiative LemaS – Leistung macht Schule<br />

erwachsen.<br />

Einzigartig ist diese Initiative, weil<br />

erstmals eine Zusammenarbeit zwischen<br />

Bund und Ländern im Hinblick auf<br />

schulische Qualitätsentwicklung erfolgte.<br />

Der Bund erklärte sich unter Federführung<br />

des Ministeriums für Bildung<br />

und Forschung dazu bereit, die Initiative<br />

Leistung macht Schule (zunächst Wir<br />

können mehr) wissenschaftlich zu begleiten,<br />

die Kultusministerien der Länder<br />

erarbeiteten unterschiedliche Strategien,<br />

um die teilnehmenden Schulen in<br />

ihrer Arbeit zu unterstützen.<br />

Zeitlich ist diese Initiative auf insgesamt<br />

zehn Jahre angelegt und in zwei<br />

fünfjährige Förderphasen unterteilt.<br />

Für die erste Phase der Initiative im<br />

Zeitraum zwischen 2018 bis 2023 wurden<br />

insgesamt 300 Schulen aller Schulformen<br />

aus ganz Deutschland ausgewählt,<br />

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />

von 18 Universitäten aus<br />

unterschiedlichen Disziplinen begleiteten<br />

die ausgewählten Schulen. Diese<br />

Phase war primär darauf ausgerichtet,<br />

Strategien, Konzepte und Maßnahmen<br />

zur Förderung von Schülerinnen und<br />

Schülern mit besonderen Potenzialen<br />

bzw. zur Identifikation von <strong>Kinder</strong>n mit<br />

möglichen besonderen Leistungspotenzialen<br />

zu entwickeln, basierend auf einer<br />

stärkenorientierten Diagnose. Organisatorisch<br />

war diese Phase dadurch gekennzeichnet,<br />

innerhalb thematischer<br />

Teilmodule zu arbeiten, welche in weiten<br />

Teilen an den gängigen Fächerkanon<br />

angelehnt, aber auch an überfachlichen<br />

Kompetenzen ausgerichtet waren 1 .<br />

Einen weiteren wichtigen Baustein stellte<br />

die Implementierung der Begabungsund<br />

Leistungsförderung innerhalb des<br />

schulischen Leitbildes dar (Kernmodul<br />

1; Teilprojekte 1 bis 3). Dadurch sollte<br />

die Begabungs- und Leistungsförderung<br />

als ein zentrales Element der Schul- und<br />

Unterrichtsentwicklung hervorgehoben<br />

werden.<br />

In der Fortführung der Initiative soll<br />

es in einem weiteren fünfjährigen Zeitraum<br />

in der zweiten Phase darum gehen,<br />

die gewonnenen Erkenntnisse in<br />

eine breitere Schullandschaft zu transferieren.<br />

Um einen intensiven Austausch der<br />

teilnehmenden Schule zu ermöglichen,<br />

steht in der zweiten Phase die Arbeit<br />

in fünf regionalen Netzwerken im Vordergrund.<br />

Ausgewählte Schulen aus<br />

der ersten Phase agieren, gemeinsam<br />

mit Vertreter:innen eines Landesinstituts<br />

und/oder Qualitätseinrichtungen<br />

(vgl. https://www.lemas-forschung.de/<br />

themen/lemas-transfer), hier als Multiplikator:innenteams<br />

und begleiten die<br />

neu hinzugekommenen Schulen bei der<br />

Umsetzung der Lemas2-Produkte, den<br />

Ergebnissen der ersten Phase. Wissenschaftler:innen<br />

von nunmehr 15 vom<br />

Bundesministerium für Bildung und<br />

Forschung (BMBF) geförderten sowie<br />

zwei assoziierten Universitäten sollen<br />

nun die Multiplikator:innenteams beraten<br />

und professionalisieren.<br />

Eine für den Grundschulverband interessante<br />

Perspektive der Initiative eröffnet<br />

sich durch die Erweiterung des<br />

Adressatenkreises in der Begabungsförderung.<br />

Es stehen nicht primär solche<br />

Projekte im Vordergrund, die ausschließlich<br />

auf eine separierende Begabungsförderung<br />

einzelner Schülerinnen<br />

und Schüler in Form der bekannten<br />

Maßnahmen wie z. B. dem „Drehtürmodell“<br />

setzen. In der Initiative Leistung<br />

macht Schule geht es insbesondere<br />

auch darum, im Regelunterricht Lernumgebungen<br />

zu gestalten und Lernarrangements<br />

anzubieten, innerhalb derer<br />

Alle Informationen zu<br />

LemaS – Leistung macht<br />

Schule finden Sie unter:<br />

www.lemas-forschung.de<br />

Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />

ist Fachberaterin für Unterrichtsqualität<br />

und Fachreferentin für Pädagogische<br />

Praxis im Grundschulverband<br />

möglichst viele <strong>Kinder</strong> ihre Potenziale<br />

entfalten können. „Potenzialentwicklung<br />

und Leistungsförderung für alle<br />

<strong>Kinder</strong> [stellt] einen selbstverständlichen<br />

Auftrag für alle Schulen [dar]“ (Fischer/Fischer-Ontrup<br />

2021). Somit will<br />

die Initiative auch zu mehr Bildungsgerechtigkeit<br />

beitragen und nicht einer<br />

Elitebildung sog. „Hochbegabter“ Vorschub<br />

leisten. <br />

Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />

Anmerkungen<br />

1) Eine Übersicht über alle Teilmodule findet<br />

sich unter https://www.lemas-forschung.de/<br />

projekte?page=2<br />

2) Entwicklung von Diagnose- und Förderkonzepten<br />

für eine adaptierte Gestaltung der<br />

Übergänge (Kita-Grundschule, Grundschuleweiterführende<br />

Schule) von leistungsstarken<br />

und potenziell besonders leistungsfähigen<br />

<strong>Kinder</strong>n im Regelunterricht der MINT-<br />

Fächer (hier: GS Nordholz, Teilprojekt 3,<br />

begleitet durch die FU Berlin)<br />

Literaturangaben zum Artikel können<br />

Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa165Lit<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

39


Praxis: Rundschau <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Bündnis „Eine für alle – Die inklusive Schule für die Demokratie“<br />

Eine gemeinsame Schule für Alle<br />

Wir, der GSV, sind Teil eines<br />

bundesweiten Bündnisses<br />

von sechs Organisationen,<br />

das nun schon seit vielen Jahren die<br />

Transformation des bundesdeutschen<br />

segregierenden Schulsystems in ein<br />

inklusives für ALLE Schüler*innen fordert.<br />

Wir wollen EINE gemeinsame<br />

Schule für alle Schüler*innen ab Klasse 1<br />

bis mindestens Klasse 10, ohne Auslese<br />

in ungleichwertige Sekundarschulen<br />

nach der Grundschulzeit oder in Sonderschulen<br />

für <strong>Kinder</strong> mit Beeinträchtigungen.<br />

ALLE sollen mit- und<br />

voneinander lernen können in konstruktiver<br />

Nutzung jeglicher Heterogenität.<br />

ALLE sollen die gleichen Bildungschancen<br />

haben. Das wäre demokratisch.<br />

Das bedeutet eine entschiedene Strukturreform.<br />

Weil das die Mehrheit der<br />

politisch Verantwortlichen in unseren<br />

Parteien und Kultusverwaltungen,<br />

in Standesverbänden und auch in den<br />

Ausleseschulen selbst nicht wollen, weil<br />

sie Privilegien und Machtebenen erhalten<br />

wollen, weil grundsätzliche und radikale<br />

Veränderungen teuer und schwierig<br />

sind, wird diese Strukturreform nicht<br />

angegangen, werden keine Umsetzungswege<br />

gesucht. Obwohl gerade wieder<br />

mal ein sehr negatives PISA-Untersuchungsergebnis<br />

gebrandmarkt hat, dass<br />

unser deutsches Schulsystem auch infolge<br />

dieser Gliederung ungerecht ist<br />

und nicht allen Schüler*innen qualitativ<br />

hohe Bildung vermittelt. Im Unterschied<br />

Die Heftreihe ist über die<br />

GSV-Geschäftsstelle oder die GEW<br />

kostenlos erhältlich. Lasst sie euch zuschicken,<br />

verteilt sie in euren<br />

Kollegien und Versammlungen,<br />

stärkt euch mit Informationen<br />

und Argumenten!<br />

zu Ländern, die u. a. keine so auslesend<br />

gegliederten Schulsysteme haben.<br />

Der „PISA-Schock“ hat niemanden<br />

mehr überrascht. Es wird sorgenvoll die<br />

Stirn gerunzelt. Vielleicht hier und da<br />

eine Deutsch- oder Mathestunde mehr,<br />

vermehrt K<strong>lassen</strong>arbeiten sowie Bewertungs-<br />

und Vergleichseifer, Einstellung<br />

von immer mehr unqualifiziertem Lehrpersonal<br />

wegen des gravierenden Lehrkräftemangels<br />

usw. usw. – die Rolle geht<br />

weiter rückwärts und abwärts. Grundsätzlich<br />

wird sich seitens der politisch<br />

Verantwortlichen nichts tun.<br />

Was können und müssen WIR tun?<br />

Nicht jeden systemstärkenden Druck<br />

mitmachen, lauter werden mit unseren<br />

Transformationsforderungen, um die<br />

<strong>Kinder</strong> vor der sie bedrückenden und<br />

behindernden Auslese zu bewahren, die<br />

<strong>Kinder</strong> immer wieder in kleinen Schritten<br />

inklusiv stärken und lernen <strong>lassen</strong><br />

(und nicht nach Hause schicken, weil<br />

zusätzliche „Förderstunden“ nicht vorhanden<br />

sind!), mehr mit den Eltern<br />

kooperativ in diesem Sinne handeln, uns<br />

gegenseitig ermutigen und Belastungen<br />

trotzen (z. B. indem wir unnötig ausufernde<br />

bürokratische Arbeiten zurückweisen<br />

oder radikal reduzieren). Und<br />

natürlich müssen wir weiterhin öffentlich,<br />

politisch energisch auftreten.<br />

Unser Bündnis tut dies zurzeit …<br />

● aktuell durch die Unterstützung<br />

(Briefe, Gespräche) der Initiative zur<br />

Ulla Widmer-Rockstroh<br />

Grundschullehrerin i. R., Vertreterin<br />

des GSV im Bündnis „Eine für alle –<br />

Die inklusive Schule für die<br />

Demokratie“, vormals Fachreferentin<br />

Inklusive Bildung des GSV<br />

Einrichtung einer Enquete-Kommission<br />

des Deutschen Bundestages zur<br />

endlichen Umsetzung der UN-BRK<br />

(2008 im Bundestag ratifiziert und in<br />

Kraft getreten!);<br />

● durch die laufende Veröffentlichung<br />

einer Schriftenreihe, mit Informationen<br />

und Argumentationen zu Menschenrechten,<br />

Inklusionsanspruch<br />

und inklusionsverhindernder Politik.<br />

So deckte Heft 8 (2023) auf, wie das<br />

so demokratisch scheinende „Elternwahlrecht“<br />

zur Verhinderung von<br />

Inklusion und Stärkung eines segregierenden<br />

Förderschulsystems missbraucht<br />

wird. Im Frühjahr 2024 erscheint<br />

Heft 9, in dem Prof. Hans<br />

Wocken am Beispiel Bayerns (angeblich<br />

so Bildungs-vorbildlich!) darlegt,<br />

wie Inklusion im Land der Separation<br />

Worthülse bleibt.<br />

Der Transformationsanspruch für<br />

eine gemeinsame inklusive Schule<br />

für ALLE wird auch gefordert vom<br />

Institut für Menschenrechte mit seiner<br />

massiven Kritik am diesjährigen<br />

Staatenbericht Deutschlands zur<br />

Inklusionsentwicklung (die keine positive<br />

ist!!). Im Februar 2024 wird es<br />

deshalb gemeinsam mit dem Bundesbehindertenbeauftragten<br />

Jürgen Dusel<br />

in Berlin eine Veranstaltung durchführen,<br />

auch zur Unterstützung der Forderung<br />

nach Einrichtung einer Enquete-<br />

Kommission.<br />

So viel für diesmal.<br />

Ulla Widmer-Rockstroh<br />

40<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> Rundschau <strong>lassen</strong><br />

Rundschau<br />

Zur Serie: Ein Beispiel aus der Lehrkräftebildung in der Grundschuldidaktik Mathematik<br />

Phasenübergreifende Vernetzung<br />

In diesem Beitrag wird ein Lehrprojekt<br />

zur phasenübergreifenden Vernetzung<br />

in der Grundschuldidaktik Mathematik<br />

vorgestellt. Das Projekt nutzt Synergiepotenziale<br />

aus der 1. und 2. Phase der<br />

Lehrkräftebildung. Studierende und Lehrkräfte<br />

im Vorbereitungsdienst arbeiten<br />

dabei eng zusammen und entwickeln<br />

gemeinsam offene Aufgaben für den<br />

Mathematikunterricht an Grundschulen.<br />

Im Artikel werden Einblicke in den ersten<br />

Projektdurchlauf gegeben sowie erste<br />

Forschungsergebnisse vorgestellt.<br />

Zur Reduktion wahrgenommener Diskontinuitäten<br />

zwischen Theoriebezügen<br />

in der Hochschule und Anforderungen<br />

im Schulalltag entwickelte die 2020 gegründete<br />

Projektgruppe ein Konzept zur<br />

Stärkung der phasenübergreifenden Vernetzung<br />

in der Lehrer*innenbildung im<br />

Fach Mathematik der Grundschule. Dieses<br />

zeigt eine Möglichkeit, der fehlenden<br />

Kohärenz der Phasen durch synergetische<br />

Kooperation (Qualitätsoffensive Lehrerbildung<br />

/ TUD Sylber) zu begegnen und<br />

den Transfer von aktuellen fachdidaktischen<br />

Erkenntnissen in die Schulpraxis<br />

zu stärken (vgl. Wissenschaftsrat 2023).<br />

Die Projektgruppe setzt sich aus Vertreter*innen<br />

der 1. und 2. Phase der<br />

Lehrkräftebildung zusammen. Federführend<br />

wird das Projekt geleitet von Dr.<br />

Susanne Wöller (Technische Universität<br />

Dresden), Annett Mathea-Kreuter (Landesamt<br />

für Schule und Bildung Dresden,<br />

Lehrerausbildungsstätte) und Andreas<br />

Grajek (Universität Leipzig).<br />

Bevor das Konzept allerdings im Detail<br />

entwickelt werden konnte, waren einige<br />

Absprachen notwendig. In diesem<br />

Kontext fanden zunächst informative<br />

Treffen statt. Der Fokus dieser Treffen<br />

lag auf dem Austausch über die Inhalte,<br />

die Prüfungsformate sowie die Rahmenbedingungen<br />

in den jeweiligen Phasen.<br />

Auf dieser Basis konnte festgestellt werden,<br />

dass die Behandlung offener Aufgabenformate<br />

wie beispielsweise Lernumgebungen<br />

(vgl. u. a. Hirt/Wälti 2014;<br />

Wollring 2009) zur Förderung eines natürlich<br />

differenzierenden Mathematikunterrichts<br />

(vgl. Krauthausen/Scherer<br />

2014) in beiden Phasen gleichermaßen<br />

vertreten und von hoher Relevanz ist.<br />

Durchführung des Lehrprojekts<br />

Das Herzstück des Projekts liegt in der<br />

Verzahnung von Studium und Vorbereitungsdienst,<br />

die durch eine phasenübergreifende<br />

gemeinsame Konzeption,<br />

Durchführung und Reflexion von<br />

mathematischen Lernumgebungen<br />

für den Mathematikunterricht in der<br />

Grundschule realisiert wird. In diesem<br />

Kontext arbeiten Studierende eng<br />

mit Lehrkräften im Vorbereitungsdienst<br />

(LiV) zusammen. Dabei werden<br />

relevante fachdidaktische Modelle der<br />

1. Phase praxisnah implementiert. Auf<br />

diese Weise entstehen vielfältig durchdachte,<br />

natürlich differenzierende Aufgaben<br />

für den Mathematikunterricht an<br />

Grundschulen.<br />

Andreas Grajek (links)<br />

Universität Leipzig<br />

andreas.grajek@uni-leipzig.de<br />

Dr. Susanne Wöller (Mitte)<br />

TU Dresden<br />

susanne.woeller@tu-dresden.de<br />

Annett Mathea-Kreuter (rechts)<br />

Landesamt für Schule und Bildung<br />

Dresden, Lehrerausbildungsstätte<br />

annett.mathea-kreuter@lasub.smk.<br />

sachsen.de<br />

Konkrete Umsetzung des Projekts<br />

Um den Austausch und die Vernetzung<br />

zwischen den beteiligten Akteur*innen<br />

zu fördern, werden sogenannte Tandempartnerschaften<br />

aus zumeist zwei<br />

bis drei Studierenden und einer LiV<br />

eta-bliert. Die erste Kontaktaufnahme<br />

erfolgt durch Kurzsteckbriefe an die Studierenden.<br />

Diese Steckbriefe enthalten<br />

Basisinformationen wie Namen und<br />

Ort der Schule, K<strong>lassen</strong>stufe, Kontaktmöglichkeiten<br />

sowie eine persönliche<br />

Botschaft. Initiiert wird die Kontaktaufnahme<br />

durch die Lehrbeauftragten der 1.<br />

und 2. Phase. Die beteiligten Akteur*innen<br />

führen individuelle Absprachen und<br />

tauschen sich aus. Studierende erhalten<br />

zudem die Möglichkeit, in den K<strong>lassen</strong><br />

der LiV zu hospitieren.<br />

Eine curriculare Einbettung erfährt<br />

das Projekt sowohl in der 1. als auch<br />

in der 2. Phase. In der 1. Phase werden<br />

die Studierenden im Rahmen eines Seminars<br />

an der Technischen Universität<br />

Dresden begleitet und betreut. Sie erhalten<br />

die notwendigen theoretischen<br />

Grundlagen zur Konzeption von Lernumgebungen<br />

und treten während der<br />

Planungsphase in den Austausch mit<br />

anderen Studierenden und der Seminarleitung.<br />

Nach der Durchführung der<br />

Lernumgebung in den Grundschulk<strong>lassen</strong><br />

der LiV stellen die Studierenden ihre<br />

Ergebnisse im Seminar vor. Dabei geben<br />

sie Einblicke in die Arbeitsprozesse<br />

der Tandempartnerschaften, reflektieren<br />

ihren durchgeführten Unterricht<br />

und überarbeiten ihre Lernumgebungen<br />

wissenschaftsbasiert. Die Teilnahme von<br />

Lehrbeauftragten der 2. Phase wird explizit<br />

angestrebt, um einen ganzheitlichen<br />

Austausch zu gewährleisten.<br />

In der 2. Phase ist das Konzipieren<br />

von mathematischen Lernumgebungen<br />

Bestandteil der täglichen Unterrichtsgestaltung<br />

und damit auch ein wichtiges<br />

Thema in den Lehrveranstaltungen.<br />

Die LiV ermöglichen den Studierenden<br />

das Hospitieren in der eigenen Klasse,<br />

um die Lernvoraussetzungen der Schüler*innen<br />

berücksichtigen zu können.<br />

Auf dieser Basis und im Dialog mit der<br />

LiV erfolgt eine passgenaue Planung.<br />

Die Umsetzung geschieht durch die Studierenden<br />

oder zusammen mit der LiV<br />

im Teamteaching. Im Anschluss reflektieren<br />

die Beteiligten den Prozess, wobei<br />

die LiV schon die Rolle einer Mentorin<br />

bzw. eines Mentors einnimmt und ihre<br />

Reflexionskompetenz durch den Perspektivwechsel<br />

schärft. Im Rahmen eines<br />

Markts der Möglichkeiten der 2. Phase<br />

stellen die LiV die erprobten Lernumgebungen<br />

und Arbeitsergebnisse vor<br />

und stoßen damit Erfahrungsaustausch<br />

und Diskussionen über Adaptionsmög-<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

41


Praxis: Rundschau <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

lichkeiten der Lernumgebung an. Sowohl<br />

die Präsentation im Seminar an<br />

der Universität als auch der Markt der<br />

Möglichkeiten stehen für Teilnehmende<br />

der jeweils anderen Phase offen. Studierende<br />

erhalten zudem erste Einblicke in<br />

den Vorbereitungsdienst und für die LiV<br />

wird der Bezug zu aktuellen Inhalten des<br />

Studiums hergestellt.<br />

Ziele des Lehrprojekts<br />

Das übergeordnete Ziel des Lehrprojekts<br />

ist es, eine effektive und strukturierte<br />

Verzahnung zwischen der<br />

1. Phase des Studiums und der 2. Phase<br />

des Vorbereitungsdienstes in der Lehrkräftebildung<br />

zu erreichen. Durch die<br />

Nutzung von Synergien soll ein Umfeld<br />

geschaffen werden, in dem Studierende,<br />

LiV, Dozierende und Lehrbeauftragte<br />

gleichermaßen voneinander profitieren<br />

können. Für die jeweiligen Phasen<br />

ergeben sich damit im Rahmen des<br />

Lehrprojekts die im Kasten aufgeführten<br />

Ziele.<br />

Mehrwert für alle Beteiligten<br />

Die Studierenden profitieren von der<br />

Vernetzung, indem sie besser verstehen,<br />

warum sie bestimmte Inhalte<br />

im Studium erlernen und wie diese<br />

in der Schulpraxis Anwendung finden.<br />

Für die LiV wird das im Studium<br />

erlernte Wissen in den Kontext der<br />

aktuellen schulischen Realität gesetzt.<br />

Der Perspektivwechsel in die temporäre<br />

Rolle einer Mentorin bzw. eines Mentors<br />

hat das Potenzial, die LiV zu reflektierteren<br />

Lehrpersonen auszubilden. Beide<br />

Gruppen agieren zudem als Multiplikator*innen,<br />

die ihr Wissen und ihre<br />

Erfahrungen an die Lehrkräfte im Schuldienst<br />

weitergeben. Die Schüler*innen<br />

profitieren von den passgenauen Lernangeboten<br />

und den Individualisierungspotenzialen<br />

im Teamteaching.<br />

Die Dozierenden und die Lehrbeauftragten<br />

profitieren von Aktualität und<br />

Vernetzung der Inhalte beider Phasen.<br />

Durch den regelmäßigen Austausch<br />

über ein zeitgemäßes, kompetenzorientiertes<br />

und fachdidaktisch fundiertes<br />

Leistungs- und Unterrichtsverständnis<br />

wird eine kontinuierliche Anpassung<br />

und Verbesserung der Lerninhalte sichergestellt.<br />

Eine solche nahtlose, kompetenzorientierte<br />

und praxisnahe Ausbildung<br />

der zukünftigen Lehrkräfte mildert<br />

den sogenannten „Praxisschock“.<br />

Ziele in der 1. Phase (Studium)<br />

• Die Studierenden wenden die erworbenen<br />

Theorien und Modelle aus der<br />

Fachdidaktik (im Bereich der natürlichen<br />

Differenzierung) auf konkrete<br />

Unterrichtssituationen an. Bei der<br />

Planung von Unterricht berücksichtigen<br />

sie die Lernvoraussetzungen der<br />

Schüler*innen.<br />

• Die Studierenden können die Wirksamkeit<br />

ihres entwickelten Unterrichts<br />

im Hinblick auf das mathematische<br />

Lernen der Schüler*innen in der<br />

Grundschule begründet einschätzen.<br />

Darauf basierend, können sie die konzipierten<br />

Lernangebote entsprechend<br />

überarbeiten.<br />

Ziele in der 2. Phase (Vorbereitungsdienst)<br />

• Die LiV nutzen fachdidaktische Modelle<br />

für ihre Unterrichtsplanung.<br />

• Sie übernehmen die Rolle einer Mentorin<br />

bzw. eines Mentors, indem sie Studierende<br />

bei der Konzeption und der<br />

Durchführung von Lernumgebungen<br />

begleiten, und entwickeln ihre professionellen<br />

Reflexionsfähigkeiten weiter.<br />

Erfahrungen aus dem ersten<br />

Projektdurchlauf<br />

Der erste Durchlauf des Lehrprojekts im<br />

Wintersemester 2022/2023 hat wichtige<br />

Einblicke und Erfahrungen sowohl für<br />

Studierende als auch für LiV geliefert. Insgesamt<br />

wurden acht Tandems gebildet, die<br />

jeweils aus zwei Studierenden und einer<br />

LiV bestanden. Die Tandems befanden<br />

sich das ganze Semester hinweg in einer<br />

intensiven Zusammenarbeit. Sie konzipierten<br />

gemeinsam die Lernumgebungen<br />

und entwickelten Unterrichtsmaterialien,<br />

die am Ende des Semesters allen<br />

beteiligten Akteur*innen als Ideenpool<br />

für die weitere Unterrichtsplanung<br />

zur Verfügung standen. Die Vielfalt der<br />

erarbeiteten Unterrichtsmaterialien war<br />

beachtlich. Themen wie „Körperforscher“,<br />

„Symmetrien an Schneeflocken“, „Bandornamente“,<br />

„Geheimnisvolle Mauern“,<br />

„Wichtelzahlen“ und „Wir bauen einen<br />

Zoo“ kamen zur Anwendung. Die konzipierten<br />

Lernumgebungen wurden in<br />

Grundschulk<strong>lassen</strong> der Jahrgangsstufen<br />

1 bis 3 durchgeführt. Nach der Durchführung<br />

fanden in den jeweiligen Tandems<br />

Reflexionen der von den Studierenden<br />

durchgeführten Unterrichtseinheiten<br />

statt.<br />

Das Feedback der beteiligten Studierenden<br />

war durchweg positiv. Eine der<br />

Studierenden betonte die Bedeutung<br />

der Anwesenheit und Unterstützung der<br />

LiV im K<strong>lassen</strong>raum: „Ich fand das sehr<br />

sympathisch. Sie war immer da, also<br />

jetzt im K<strong>lassen</strong>raum, wenn sie was gesehen<br />

hat, was wir nicht wissen konnten,<br />

dann hat sie mich da unterstützt. Sie hatte<br />

auch Ideen, wie wir das noch gestalten<br />

könnten.“<br />

Die sorgfältige Nachbereitung des<br />

Unterrichts durch die LiV wurde ebenfalls<br />

hervorgehoben. „Also was uns sehr<br />

positiv aufgefallen ist, die Referendarin<br />

hat sich danach die Zeit genommen, die<br />

Stunde mit uns gemeinsam auszuwerten,<br />

und hat uns auch gesagt, was wir verbessern<br />

könnten in unserem Umgang mit<br />

den Schülern oder auch bei unserem<br />

Auftreten“, so das Feedback einer anderen<br />

Studierenden.<br />

Auch die LiV fanden das Projekt gewinnbringend.<br />

Eine Teilnehmerin merkte<br />

an: „Ich hatte Lust auf das Projekt und<br />

fand das praktische Ausprobieren sehr<br />

wertvoll. Solche Projekte sollte es öfter<br />

geben.“ Die intensive, wenn auch zeitintensive<br />

Zusammenarbeit wurde als<br />

gewinnbringend für beide Seiten beschrieben.<br />

Eine andere Teilnehmerin resümierte:<br />

„Die Zusammenarbeit war für<br />

mich sehr angenehm. Es gab immer wieder<br />

gemeinsame Absprachen, die zwar<br />

relativ zeitintensiv waren, aber dennoch<br />

gewinnbringend.“ Besonders wertvoll<br />

schien der fortlaufende gemeinsame<br />

Austausch: „Wir haben viel diskutiert.<br />

Teamteaching ist einfach toll.“<br />

Reflexive Fähigkeiten von<br />

Studierenden<br />

Design des Forschungsprojekts<br />

Das Lehrprojekt wird seitens der Technischen<br />

Universität wissenschaftlich<br />

begleitet. Die qualitative Studie gibt<br />

Einblicke in die reflexiven Fähigkeiten<br />

von Studierenden des Lehramts Grundschule<br />

im Fach Mathematik. Dabei wird<br />

zwei grundlegenden Forschungsfragen<br />

nachgegangen:<br />

1. Welche Reflexionsanlässe nehmen<br />

Studierende in ihren selbst durchgeführten<br />

und videografierten Unterrichtssituationen<br />

wahr?<br />

2. Wie genau erfolgt diese Reflexion der<br />

Studierenden?<br />

Die Datenerhebung erfolgte im Winter<br />

2022/2023 in Dresden und umfasste<br />

42<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> Rundschau <strong>lassen</strong><br />

Rundschau<br />

Interviews mit den Studierenden, die<br />

am Seminar an der TU Dresden teilnahmen.<br />

Da die Studierenden die im<br />

Tandem konzipierte Lernumgebung<br />

gemeinsam in den Grundschulk<strong>lassen</strong><br />

durchführten, wurden auch die Interviews<br />

in Zweiergruppen durchgeführt.<br />

Die Basis für das Interview bildeten<br />

Videovignetten. Diese zeigen kleinere<br />

ca. 20- bis 30-minütige Ausschnitte des<br />

durchgeführten Unterrichts und fangen<br />

sowohl die Schüler*innen bei der<br />

Bearbeitung der offenen Mathematikaufgabe<br />

als auch die Begleitung des<br />

Unterrichts durch die Studierenden ein.<br />

Einblicke in erste Ergebnisse<br />

Abbildung 1 und 2 zeigen Schüler*innen<br />

der 2. Klasse, die das Thema „Symmetrie<br />

an Schneeflocken“ erkunden. Das<br />

Tandem entwickelte dazu eine Lernumgebung,<br />

bei der sich die Lernenden<br />

zunächst mithilfe einer Bastelanleitung<br />

für vierzackige schneeflockenartige Faltfiguren<br />

(Abb. 1) mit der Aufgabe vertraut<br />

machten und ihre feinmotorischen<br />

Fähigkeiten schulten.<br />

Anschließend wurden die Schüler*innen<br />

zu eigenen Entdeckungen ermutigt,<br />

indem sie gefragt wurden, wie man die<br />

Faltung nun verändern müsste, um eine<br />

Schneeflocke mit sechs Zacken oder<br />

weitere schneeflockenartige Faltfiguren<br />

mit acht oder mehr Zacken herzustellen<br />

(Abb. 2).<br />

Im Interview haben die Studierenden<br />

insbesondere zu dieser gefilmten Unterrichtssequenz<br />

(Abb. 2) sehr detaillierte<br />

Analysen des Bearbeitungsprozesses<br />

der abgebildeten Schülerin vorgenommen.<br />

Die Studierenden zeigten eine ausgeprägte<br />

Fähigkeit, die Gedankengänge<br />

der Schülerin bei der Bearbeitung der<br />

Aufgabe nachzuvollziehen, und sie legten<br />

den Fokus auf individuelle Zugänge<br />

der Schülerin zur Aufgabe. Auch die<br />

Interaktionen zwischen den Lehrpersonen<br />

(die Studierenden selbst) und der<br />

Schülerin standen im Fokus der Reflexionen.<br />

Zudem legten die Studierenden<br />

Wert auf individuelle Entwicklungen<br />

im Lernprozess der Schülerin, d. h. sie<br />

zogen auch vorher gesehene Videosequenzen<br />

mit in ihre Betrachtungen ein<br />

und entwickelten darauf basierend eine<br />

fundierte Einschätzung zum aktuellen<br />

Lernstand der Schülerin.<br />

Interessant ist, dass die Videovignetten<br />

bei dieser Studierendengruppe oft<br />

an Stellen pausiert wurden, an denen<br />

die Studierenden zugaben, dass ihnen<br />

bestimmte Aspekte während des Unterrichtens<br />

gar nicht aufgefallen seien und<br />

diese nun durch das Betrachten des Videos<br />

zutage treten würden. Über solche<br />

Unterrichtssequenzen fand naturgemäß<br />

im Interview ein reger Austausch unter<br />

den Studierenden statt, in denen allgemeine<br />

Beobachtungen, Vermutungen<br />

und Interpretationen komplex miteinander<br />

verwoben waren. Dies verdeutlicht<br />

insbesondere die Relevanz von Reflexionsphasen<br />

in der Lehrkräftebildung<br />

anhand sinnvoll eingesetzter Methoden,<br />

wie beispielsweise durch selbst erstellte<br />

Videovignetten.<br />

Abb.3 zeigt Entdeckungen bei Bearbeitungswegen<br />

von Lernenden in der<br />

2. Jahrgangsstufe. Die Studierenden entwickelten<br />

eine offene Aufgabe zum Erkunden<br />

der Achsensymmetrie. Achsensymmetrische<br />

Figuren entstanden dabei<br />

durch das Zusammenfalten eines<br />

A4-Blattes. Die Schüler*innen wurden<br />

zunächst dazu angeregt, eine Seite ihres<br />

gefalteten Blattes mit je individuell schönen<br />

Mustern zu gestalten und anschließend<br />

die Falthandlung durchzuführen.<br />

In der hier ausgewählten Unterrichtssequenz<br />

(Abb. 3) fällt den Studierenden<br />

während der Betrachtung der Videovignette<br />

auf, dass sie die Lernenden womöglich<br />

durch ihre Faltanleitung sowie mitgebrachten<br />

Beispiele in ihren Bearbeitungswegen<br />

beeinflusst haben könnten.<br />

Während der Durchführung des Unterrichts<br />

trat diese Erkenntnis augenscheinlich<br />

nicht zutage. Im Interview führte<br />

diese Erkenntnis nun zu Überlegungen,<br />

wie die Studierenden zukünftig unterschiedliche<br />

Lösungsansätze eher fördern<br />

können und wie sie dementsprechend<br />

ihr Aufgabenangebot überarbeiten<br />

müssten.<br />

Im Allgemeinen bieten die beiden<br />

Studierenden im Interview sehr elaborierte<br />

Interpretationen an. Im Fokus stehen<br />

dabei sowohl die Handlungen und<br />

Äußerungen der Lernenden als auch ihr<br />

eigenes unterrichtliches Handeln. Die<br />

Perspektiven der Lernenden und der<br />

Lehrenden sind dabei eng miteinander<br />

verbunden. Hervorzuheben ist ebenso,<br />

dass Interpretationen der Studierenden<br />

teilweise erst durch den Dialog in der<br />

Zweiergruppe während des Betrachtens<br />

der Videovignette zustande kommen.<br />

Diese Beobachtung zeugt von der Relevanz<br />

von Reflexionsphasen insbesondere<br />

in der Peer-Gruppe.<br />

Zusammenfassung<br />

Die aktuellen Ergebnisse <strong>lassen</strong> vermuten,<br />

dass die Studierenden in der<br />

Lage sind, vielfältige Bezüge zwischen<br />

den beobachteten Handlungen sowie<br />

Äußerungen der Schüler*innen und<br />

ihrem eigenen Unterrichtshandeln herzustellen.<br />

Dabei fokussieren die Studierenden<br />

nicht nur auf mathematische<br />

Korrektheit, sondern auch auf<br />

diverse Gründe für ihre methodischen<br />

und didaktischen Entscheidungen.<br />

Schwierigkeiten der Lernenden bei<br />

der Bearbeitung der Aufgabe stehen<br />

Abb. 1: Basteln vierzackiger Schneeflocken<br />

nach Bastelanleitung<br />

Abb. 2: Erkundungen zum Thema<br />

„Symmetrie an Schneeflocken“<br />

Abb. 3: Bearbeitungswege beim<br />

Entdecken der Achsensymmetrie<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

43


Praxis: Rundschau <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

ebenso im Fokus ihrer Betrachtungen.<br />

Außerdem ziehen die Studierenden<br />

weitreichende Schlüsse für ihr<br />

zukünftiges Unterrichtshandeln und<br />

leiten begründet Alternativen ab. Im<br />

Projekt ist deutlich geworden, dass die<br />

Studierenden die beobachteten Unterrichtssequenzen<br />

nicht nur oberflächlich<br />

auf einer beschreibenden Ebene reflektieren,<br />

sondern komplexe Zusammenhänge<br />

wahrnehmen und die Lern- und<br />

Bearbeitungsprozesse der Schüler*innen<br />

tiefgründig interpretieren.<br />

Aktuelle Entwicklungen des<br />

Lehrprojekts und Ausblick<br />

Das Lehrprojekt wurde nach dem ersten<br />

Durchlauf einer internen Evaluation<br />

unterzogen. Dabei wurden insbesondere<br />

für das Seminar an der Universität einige<br />

Anpassungen vorgenommen. So sollen<br />

beispielsweise mehr Möglichkeiten<br />

des Austauschs unter allen Akteur*innen<br />

(Lehrbeauftragte beider Phasen, Studierende,<br />

LiV) an zwei festen Terminen im<br />

Semester angeboten werden. Im aktuell<br />

laufenden Wintersemester 2023/2024<br />

wird das Lehrprojekt inklusive der<br />

wissenschaftlichen Begleitung seitens der<br />

Universität nochmals durchgeführt.<br />

Perspektivisch ist geplant, auch die Entwicklung<br />

berufsbezogener Reflexionsfähigkeiten<br />

von LiV durch den temporären<br />

Rollenwechsel in die Funktion einer<br />

Mentorin bzw. eines Mentors noch während<br />

des Vorbereitungsdienstes zu untersuchen.<br />

Damit verbunden ist ein Modell<br />

einer weiterhin phasenorientierten Lehrkräfteausbildung,<br />

die phasenübergreifend<br />

kooperiert, um angehende Lehrkräfte mit<br />

einer starken Berufsorientierung ohne<br />

Vernachlässigung der Wissenschaftsbasierung<br />

auszubilden. Dabei können diese<br />

Synergien auch dafür genutzt werden,<br />

um dem Lehrkräftemangel durch eine<br />

Entlastung von Mentor*innen zu begegnen.<br />

Vielversprechend wird die erneute<br />

Projektbeteiligung der Studierenden nach<br />

dem Wechsel in den Vorbereitungsdienst<br />

sein.<br />

Die hier vorgestellten Erfahrungen am<br />

Beispiel der Grundschuldidaktik Mathematik<br />

regen dazu an, Synergiepotenziale<br />

phasenübergreifender Zusammenarbeit<br />

auch in anderen Fachdidaktiken sowie<br />

Schularten zu erproben. Ebenso ist zukünftig<br />

eine überregionale Vernetzung<br />

über den Standort Dresden hinaus angedacht.<br />

<br />

Andreas Grajek,<br />

Annett Mathea-Kreuter, Susanne Wöller<br />

Literaturangaben zum Artikel können<br />

Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa165Lit<br />

Mitteilung<br />

Zum Tod von Gertraud Greiling –<br />

ein langjähriges Mitglied des GSV<br />

Anfang November 2023 verstarb mit 87 Jahren Gertraud<br />

Greiling, eine große Pädagogin, die sich bis zu ihrem Tod<br />

für die Reform der Grundschule eingesetzt hat.<br />

Gertraud Greiling war frühzeitig im Grundschulverband, damals<br />

„Arbeitskreis Grundschule“, aktiv – im sogenannten Beirat nach<br />

der Vereinsgründung. Gemeinsam mit Mitakteurinnen erhielt<br />

sie 1981 von Erwin Schwarz, dem Gründer des Verbandes, den<br />

„Grundschulpreis 81 für hartnäckige Lehrerinnen“ verliehen. An<br />

der Wartburg-Grundschule in Münster-Gievenbeck hatte Gertraud<br />

Greiling gemeinsam mit Lehrerinnen und einer Sozialpädagogin<br />

über Jahre hinweg die pädagogische Arbeit grundlegend<br />

verändert:<br />

• kindgerechte Rhythmisierung statt verfächertem Stundenplan<br />

• Lernwerkstatt und freie Arbeit statt Stillsitzunterricht<br />

• Welterkundung innerhalb und außerhalb der Schule statt<br />

Buchunterricht<br />

• Öffnung des Unterrichts für unterschiedliche Interessen und<br />

Lernwege statt lehrerzentriertem Unterricht<br />

• Teamarbeit statt Lehrkraft als Einzelkämpfer<br />

• pädagogisch durchgestalteter Ganztag statt vormittäglicher<br />

Stundenschule (siehe Band 148/149 „Auf dem Weg zur<br />

kindergerechten GS“ S. 208 ff.).<br />

Die 1980er-Jahre waren in Grundschulen eine pädagogische<br />

Aufbruchzeit.<br />

40 Jahre später haben diese Impulse für Schulentwicklung in<br />

keiner Weise an Bedeutung verloren.<br />

Nach ihrer Pensionierung hat Gertraud Greiling als Gründungsschulleiterin<br />

der KOSMOS-Bildung Münsterlandschule Tilbeck<br />

ihr zweites Großprojekt als engagierte, unermüdliche Pädagogin<br />

begonnen und mit Hartnäckigkeit und Biss immer im Sinne<br />

jedes einzelnen Kindes und der Lebensgemeinschaft in der<br />

Schule Empathie und Führungsstärke gezeigt und pädagogisch<br />

Sinnvolles gegen alle Windmühlen erkämpft.<br />

Von Pädagoginnen wie Gertraud Greiling dürfen wir auch heute<br />

noch lernen, uns gemeinsam mit vielen anderen im GSV zu<br />

engagieren, denn wir alle wissen, wofür wir dies tun: KINDER.<br />

LERNEN.ZUKUNFT. Jetzt!<br />

Gabriele Klenk<br />

44<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Brandenburg<br />

Vorsitzende: Denise Sommer<br />

gsv-brandenburg@poteo.de, www.grundschulverband.de<br />

Das Thema Inklusion bewegt<br />

… im Fachgespräch<br />

mit dem Ministerium und<br />

im Verband<br />

Im November hatte das<br />

Ministerium den Grundschulverband<br />

und den Verband<br />

der Sonderpädagogik zu<br />

einem Fachgespräch eingeladen.<br />

Im Mittelpunkt<br />

des regen Austausches<br />

standen Fragen zur aktuellen<br />

Qualitätsentwicklung im<br />

Land Brandenburg, zur<br />

Leistungsbewertung in der<br />

Grundschule sowie zum Fachkräftemangel.<br />

Intensiv wurde<br />

zur Weiterentwicklung des<br />

gemeinsamen Lernens diskutiert<br />

und die aktuelle starke<br />

Belastung der Kolleg:innen<br />

auf der Ebene der Lehrkräfte<br />

und der Schulleitung thematisiert.<br />

Seitens des Verbandes<br />

der Sonderpädagogik wurde<br />

u. a. eingebracht, dass Eltern<br />

zunehmend wahrnehmen,<br />

dass Förderstunden an<br />

Grundschulen ausfallen,<br />

und deshalb wieder eher<br />

die Beschulung an einer<br />

Förderschule wünschen. Hier<br />

stehen wir als Verband nach<br />

wie vor für eine vorrangige<br />

Beschulung im gemeinsamen<br />

Unterricht und sehen<br />

dafür als unabdingbar die<br />

erforderliche Ausstattung der<br />

Grundschulen mit personellen<br />

Ressourcen für die<br />

Arbeit in multiprofessionellen<br />

Teams. Kein Konsens bestand<br />

zu Fragen des geplanten<br />

Distanzlernens als Variante,<br />

dem Lehrermangel zu begegnen.<br />

Dies lehnen wir für<br />

die Grundschulen strikt ab.<br />

Rege diskutiert wurde auch<br />

beim „Online-Kaffeeklatsch<br />

mit Steffi“ am 7.12.2023.<br />

Erfreulich war die Teilnahme<br />

von Kolleg:innen aus vier<br />

Bundesländern. Der länderübergreifende<br />

Austausch<br />

war sehr anregend und es<br />

gab viele Denkanstöße zur<br />

Weiterarbeit an Themen wie<br />

PISA-Ergebnisse, Umsetzung<br />

des gemeinsamen Lernens<br />

trotz fehlender Ressourcen,<br />

jahrgangsgemischtes Lernen<br />

und gemeinsames Lernen von<br />

1 bis 10. Als Vorstand ist es uns<br />

sehr wichtig, Schulen in ihrer<br />

schulischen Praxis zu unterstützen<br />

und bildungspolitisch<br />

aktiv zu bleiben. Wir freuen uns<br />

deshalb sehr, dass wir unseren<br />

nächsten Grundschultag am<br />

24. April 2024 in der Nashorn-Grundschule<br />

Vehlefanz<br />

durchführen werden.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Stefanie Gärtner,<br />

Marion Gutzmann<br />

Berlin<br />

Kontakt: Agnieszka von Prondzinski, agivonp@gmail.com<br />

www.gsv-berlin.de<br />

Die Landesgruppe Berlin<br />

– hurra – konnte sich weiter<br />

konsolidieren und hat wieder<br />

einen Vorstand. Gewählt<br />

wurden am 24. November als<br />

gleichberechtigtes Vorsitzenden-Trio<br />

auf Beschluss der<br />

Versammlung: Ines Garlisch,<br />

Sabine Jennerjahn und<br />

Agnieszka von Prondzinski.<br />

Weitere Vorstandsmitglieder<br />

wurden nicht gewählt, aber<br />

einige Teilnehmer*innen<br />

bekundeten ihr Interesse, zu<br />

den Vorstandsgruppentreffen<br />

eingeladen zu werden.<br />

Mitarbeiten wird weiterhin<br />

auch Ulla Widmer-Rockstroh.<br />

Außerdem wurden als Delegierte<br />

und Ersatzdelegierte<br />

Ines Garlisch und Sabine<br />

Jennerjahn gewählt.<br />

Die Wahlen fanden im<br />

Anschluss an unsere<br />

Jahresveranstaltung statt,<br />

auf der sehr umfang- und<br />

materialreich zum Schwerpunkt<br />

Lese-Schreib-Ideen<br />

für den Anfangsunterricht<br />

von Claudia Wenzel und<br />

Irene Hoppe, langjährige<br />

Grundschullehrerinnen und<br />

Fortbildnerinnen aus Berlin<br />

bzw. dem berlin-brandenburgischen<br />

Landesbildungsinstitut,<br />

referiert wurde: „Ein<br />

guter Beginn ist der halbe<br />

Gewinn“. Irene Hoppe hatte<br />

eine große Materialausstellung<br />

aufgebaut, Claudia<br />

Wenzel stellte ein gut<br />

40-seitiges Handout zur<br />

Verfügung. Wir waren 20<br />

Teilnehmer*innen bei der<br />

Veranstaltung. Dieses Interesse<br />

werten wir im Sinne des Veranstaltungstitels<br />

als guten Beginn<br />

und hoffen, dass das Angebot<br />

für unsere weiteren Aktivitäten<br />

Gewinn bringen wird.<br />

Agnieszka von Prondzinski, Sabine Jennerjahn, Ines Garlisch<br />

(von links)<br />

Tätigkeiten der Landesgruppe<br />

im vergangenen Jahr:<br />

• Gespräche mit den<br />

bildungspolitischen<br />

Sprecher*innen der demokratischen<br />

Parteien;<br />

• eine Online-Umfrage zu<br />

den Interessen der Mitglieder<br />

und die nun erfolgte Veranstaltung;<br />

• Einrichtung eines Instagram-Accounts.<br />

• Eine Vertreterin des GSV<br />

wurde in eine Expert*innenkommission<br />

der Bildungsverwaltung<br />

zur Lehrkräftebildung<br />

berufen. Dahinter<br />

steht u. a. der Anspruch,<br />

durch mögliche Änderungen<br />

in der Lehrkräftebildung die<br />

Attraktivität des Berufs zu erhöhen<br />

und dem derzeitigen<br />

massiven Lehrkräftemangel<br />

zu begegnen.<br />

• Wir halten Netzwerkkontakte<br />

zu „Schule muss anders<br />

– Bildungswende JETZT“ und<br />

einer Elternorganisation zur<br />

schulischen Inklusion.<br />

Unsere Vorhaben für das<br />

kommende Jahr – dazu gehört<br />

auch die Beteiligung an<br />

der Fachtagung am 1./2. März<br />

2024 in Weimar – beraten<br />

wir aktuell in unserer neuen<br />

Vorstandsgruppe in der<br />

Hoffnung, dass unser Berliner<br />

GSV-Engagement zunehmend<br />

mehr Echo findet.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Ines Garlisch, Sabine Jennerjahn,<br />

Agnieszka von Prondzinski<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

45


Praxis: aktuell <strong>Kinder</strong> … aus <strong>Stärken</strong> den Landesgruppen<br />

<strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Bayern<br />

Vorsitzende: Gabriele Klenk<br />

https://grundschulverband-bayern.de<br />

Happy Hour mit Mitgliederversammlung<br />

Selbstverständlich möchten<br />

wir auch im Jahr 2024 mit<br />

Ihnen im Gespräch bleiben<br />

oder neu ins Gespräch kommen.<br />

Die Happy Hour bietet<br />

die Möglichkeit, sich über<br />

einen Artikel aus Grundschule<br />

aktuell auszutauschen, Ideen<br />

für den Alltag zu sammeln<br />

und unsere Arbeit in der<br />

Grundschule in lockerer<br />

Runde zu reflektieren.<br />

Die nächste Happy<br />

Hour am 16.4.2024<br />

von 17.00 – 18.30 Uhr widmet<br />

sich dem Thema „<strong>Kinder</strong><br />

<strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong>“. Im<br />

Anschluss daran wird eine<br />

Mitgliederversammlung mit<br />

Wahl des neuen Landesgruppenvorstands<br />

stattfinden. Da<br />

es sich um eine Online-Veranstaltung<br />

handelt, können<br />

sich hoffentlich viele Mitglieder<br />

an der Wahl beteiligen.<br />

Darüber hinaus freuen wir<br />

uns auch auf jedes Mitglied,<br />

das sich vorstellen kann, uns<br />

im Landesgruppenvorstand<br />

zu unterstützen. Sprechen Sie<br />

uns gern an!<br />

Auch die weiteren Happy-<br />

Hour-Termine für das Jahr<br />

2024 stehen schon fest:<br />

20.6.24, 9.10.24, 10.12.24<br />

(jeweils von 17.00 – 18.00 Uhr).<br />

Auf der Website unserer Landesgruppe<br />

können Sie sich<br />

rechtzeitig über das Thema<br />

informieren, sich anmelden<br />

und über das verlinkte Padlet<br />

Eindrücke vergangener Veranstaltungen<br />

sammeln. Wir<br />

freuen uns auf einen inspirierenden<br />

und motivierenden<br />

Austausch mit Ihnen.<br />

Grundschultag<br />

November 2024<br />

Die Planungen für unseren<br />

Grundschultag am<br />

Samstag, 23.11.2024,<br />

sind bereits angelaufen.<br />

„Nachhaltig und FAIRtieft<br />

lernen. Bildungsräume der<br />

Zukunft.“ – so lautet der<br />

derzeitige Arbeitstitel der Veranstaltung,<br />

die von 10.00 bis<br />

17.00 Uhr an der Grundschule<br />

und im Bürgerhaus Pullach<br />

stattfinden wird. Neben einem<br />

Impulsvortrag von Prof. Dr.<br />

Jörg Ramseger zum Thema<br />

des in Kürze erscheinenden<br />

Bandes „Lernräume und<br />

Schularchitektur“ arbeiten<br />

wir an einem breit gefächerten<br />

Workshopangebot zu<br />

aktuellen pädagogisch-psychologischen,<br />

didaktischen<br />

und bildungspolitischen<br />

Themen mit inspirierenden<br />

ReferentInnen aus Schulpraxis<br />

und -forschung. Wie können<br />

<strong>Kinder</strong> aktiv, selbstbestimmt<br />

und eigenverantwortlich<br />

lernen? Wie kann nachhaltige<br />

Entwicklung ganzheitlich, partizipativ<br />

und inklusiv erfahrbar<br />

gemacht werden?<br />

Merken Sie sich den Termin<br />

gern jetzt schon vor! Eine<br />

Anmeldung wird Anfang<br />

September möglich sein.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Kathrin Ettner<br />

Baden-Württemberg<br />

Vorsitzender: Edgar Bohn<br />

edgar-bohn@gsv-bw.de, https://gsv-bw.de<br />

Wiedereinführung G9 in<br />

BW – Auswirkungen auf die<br />

Grundschulen?<br />

In der ersten Vorstandssitzung<br />

2024 gaben wir<br />

unserem Jahresprogramm<br />

erste Konturen. Bereits<br />

am 23. Februar starten wir<br />

mit dem Fachtag „<strong>Kinder</strong><br />

beteiligen – Demokratie<br />

lernen“. Gemeinsam mit dem<br />

Zentrum für Schulqualität<br />

und Lehrerbildung und der<br />

Landeszentrale für politische<br />

Bildung haben wir ein interessantes<br />

und abwechslungsreiches<br />

Programm vorbereitet.<br />

Der Fachtag findet online<br />

statt, das Programm findet<br />

sich hier: https://gsv-bw.de/<br />

kinder-beteiligen-demokratie-lernen/<br />

Neben den Regelgesprächen<br />

mit Politik und der Kultusadministration<br />

planen wir einen<br />

Grundschultag in Stuttgart<br />

mit anschließender Mitgliederversammlung.<br />

Hier wird<br />

der Vorstand neu gewählt. Da<br />

die Wiedereinführung des G9<br />

Auswirkungen auf alle Schularten<br />

haben wird, bleibt die<br />

Frage, wie es gelingen kann,<br />

Grundschulen nicht wieder<br />

unter die Räder geraten zu<br />

<strong>lassen</strong>. Wir freuen uns auf<br />

engagierte Mitstreiter:innen<br />

in diesem Prozess.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Edgar Bohn<br />

Thüringen<br />

Vorsitzende: Steffi Jünemann<br />

grundschulverband-thueringen@gmx.de<br />

Frohes neues Jahr<br />

Auch wenn 2024 schon ein<br />

paar Wochen alt ist, möchten<br />

wir als Landesgruppe nicht<br />

versäumen, euch und Ihnen<br />

ein erfolgreiches, gesundes<br />

und glückliches neues Jahr zu<br />

wünschen. Wir hoffen, dass<br />

die Feiertage und der Jahreswechsel<br />

gut überstanden<br />

wurden und Kraft getankt<br />

werden konnte, um das neue<br />

Jahr mit viel Energie und<br />

Kreativität zu bestreiten.<br />

Frühjahrstagung<br />

Wer dem Grundschulverband<br />

und den Landesgruppen auf<br />

den Social-Media-Kanälenanälen<br />

folgt, hat sicher schon<br />

mitbekommen, dass am<br />

1. /2. März die Frühjahrstagung<br />

des<br />

Grundschulverbandes<br />

stattfindet. Wir als Landesgruppe<br />

Thüringen möchten<br />

also auch auf diesem Wege<br />

auf die Veranstaltung aufmerksam<br />

machen. Es werden<br />

nicht nur viele interessante<br />

Themen diskutiert, sondern<br />

die Teilnehmenden haben<br />

auch die Möglichkeit, in das<br />

schöne Thüringen, genauer<br />

nach Weimar zu reisen. Mehr<br />

Informationen zum Ablauf<br />

der Tagung und zur Anmeldung<br />

sind auf der Website<br />

des Grundschulverbands zu<br />

finden.<br />

Der Vorstand der Landesgruppe<br />

Thüringen wird auch<br />

vor Ort sein.<br />

Wir freuen uns auf euch und<br />

Sie!<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Leah Kästner<br />

46<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Niedersachsen<br />

Kontakt: www.gsv-nds.de<br />

gsv.nds@gmail.com<br />

Fachtag BNE<br />

Endlich wieder in Präsenz<br />

konnte am 4. November 2023<br />

unser Fachtag durchgeführt<br />

werden. Anknüpfend an den<br />

in Niedersachsen geltenden<br />

BNE-Erlass sowie den Demokratieerlass,<br />

aber auch an in<br />

der Schulwirklichkeit immer<br />

wichtiger werdenden Themen<br />

bzw. bei Projekten wie<br />

<strong>Kinder</strong>rechte oder FREI DAY<br />

konnten wir mit Cindy Fitzner<br />

eine ausgesprochen kompetente<br />

Referentin gewinnen.<br />

In ihrem Vortrag führte sie<br />

sachkundig und gleichzeitig<br />

anschaulich in den sehr<br />

umfangreichen Bereich der<br />

Bildung für nachhaltige<br />

Entwicklung ein. Gerade auch<br />

ihre praktischen Beispiele<br />

belegten eindrucksvoll, wie<br />

Verabschiedung von Helmut Forberg<br />

diese Querschnittsaufgabe in<br />

der Grundschule umgesetzt<br />

werden kann. Ulrike Oltmanns<br />

vom Projekt Eine Welt<br />

in der Schule stellte danach<br />

eine Auswahl der im Projekt<br />

entwickelten Materialkisten<br />

vor. Diese sehr an praktischer<br />

Arbeit und handelndem Tun<br />

ausgerichteten Materialkisten<br />

bieten eine gute Grundlage,<br />

um sich dem Thema BNE in<br />

der Grundschule zu nähern,<br />

und sind bei Interesse für<br />

einzelne Schulen entleihbar<br />

www.weltinderschule.<br />

uni-bremen.de).<br />

Anschließend wurde in der<br />

Mitgliederversammlung<br />

Helmut Forberg auf eigenen<br />

Wunsch aus seiner Funktion<br />

als Vorstandsmitglied<br />

ent<strong>lassen</strong>. Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />

und Svenja Telle<br />

danken ihm für die äußerst<br />

kollegiale, zuverlässige und<br />

konstruktive Zusammenarbeit<br />

in den letzten vier<br />

Jahren. Eva-Maria Osterhues-<br />

Bruns und Svenja Telle<br />

wurden in der anschließenden<br />

Vorstandswahl in ihren<br />

Ämtern bestätigt.<br />

Klönschnack im Norden<br />

„Dem Vorurteil Die verbundene<br />

Druckschrift bewirkt<br />

unleserliche Handschriften<br />

und ist ein Angriff auf die<br />

Kultur! begegnen“ lautete das<br />

Motto des Klönschnacks im<br />

Norden am 6. Dezember. In<br />

Zusammenarbeit mit Anna<br />

Fruhen-Witzke und Maxi<br />

Brautmeier-Ulrich als Vertreterinnen<br />

des Projektteams<br />

Grundschrift hat unsere Landesgruppe<br />

diesen digitalen<br />

Klönschnack vorbereitet und<br />

durchgeführt. In Anlehnung<br />

an die im Faktencheck dargelegten<br />

Thesen erhielten die<br />

Teilnehmer:innen zunächst<br />

einen kurzen theoretischen<br />

Einblick durch die beiden<br />

Referentinnen. Die sich an<br />

die jeweiligen Erläuterungen<br />

der einzelnen Thesen anschließenden<br />

Diskussionen<br />

unter den Teilnehmer:innen<br />

erwiesen sich als intensiv.<br />

Sie zeigten deutlich, dass die<br />

Grundideen der Entwicklung<br />

einer formklaren, flüssigen<br />

und gut lesbaren Handschrift<br />

sowie das Lernen einer Handschrift<br />

ohne Brüche inklusive<br />

des didaktischen Konzeptes<br />

auf eine breite Zustimmung<br />

innerhalb der teilnehmenden<br />

Lehrkräfte stießen.<br />

Freiräumeprozess – den<br />

Schulen Freiräume<br />

ermöglichen<br />

Unter diesem Motto hatte<br />

das niedersächsische Kultusministerium<br />

am 19. Dezember<br />

2023 zu einem Forum<br />

Eigenverantwortliche Schule<br />

eingeladen. Vertreter:innen<br />

der Verbände diskutierten<br />

mit Vertreter:innen des MK<br />

sowie der RLSB darüber, ob<br />

Schulen mehr Freiräume für<br />

ihre Arbeit benötigen und<br />

wenn ja, wie diese aussehen<br />

könnten bzw. müssten.<br />

Diese Veranstaltung war der<br />

Auftakt zu weiteren Verbändegesprächen<br />

zu diesem<br />

Thema. Parallel dazu findet<br />

im Februar 2024 die dritte<br />

Veranstaltung zum Dialogforum<br />

„Dem Fachkräftemangel<br />

mit pädagogischen Maßnahmen<br />

begegnen“ statt, an dem<br />

wir als Vertreterinnen der<br />

Landesgruppe teilnehmen<br />

werden.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />

Kartensatz „Grundschrift – Damit <strong>Kinder</strong> besser schreiben lernen“<br />

Kartei zum Lernen und Üben<br />

Teil 1<br />

Die Buchstaben<br />

© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen & Layout: www.designritter.de<br />

Kartei zum Lernen und Üben<br />

Teil 2<br />

Schreiben mit Schwung<br />

© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen & Layout: www.designritter.de<br />

Kartensatz: 56 Karten (Teil 1)<br />

und 20 Karten (Teil 2)<br />

Überarbeitete 4. Auflage,<br />

bestellbar unter<br />

www.grundschulverband.de/<br />

produkt/grundschrift-kartei/<br />

22,00 € – 33,00 € inkl. MwSt.<br />

Entwickelt von Horst Bartnitzky, Ulrich<br />

Hecker, Christina Mahrhofer-Bernt<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

47


Praxis: aktuell <strong>Kinder</strong> … aus <strong>Stärken</strong> den Landesgruppen<br />

<strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />

Bremen<br />

Vorstandssprecher: Chris Barnick, c.barnick@uni-bremen.de<br />

www.grundschulverband-bremen.de<br />

Die Landesgruppe engagiert<br />

sich weiter in der Aktion<br />

„Bildungswende jetzt!“. Im<br />

November und Dezember<br />

haben Treffen des Organisationsteams<br />

um Philine<br />

Schubert von der <strong>Kinder</strong>schule<br />

Bremen mit der Senatorin<br />

für <strong>Kinder</strong> und Bildung und<br />

mit den Vertreter*innen der<br />

Bürgerschaftsfraktionen in<br />

der Bildungsdeputation stattgefunden.<br />

Neben den grundsätzlichen,<br />

eher langfristig<br />

wirksamen Forderungen<br />

des bundesweiten Bündnisses<br />

haben wir konkret die<br />

Finanzierung eines Fachtags<br />

angesprochen, auf dem sich<br />

Lese-und Schreibwerkstatt in Bremen<br />

Kolleg*innen aus KITAs und<br />

Schulen über aktuelle Probleme<br />

der Praxis und konkrete<br />

Ideen zu ihrer Überwindung<br />

austauschen und<br />

entsprechende Unterstützung<br />

durch Träger, Verwaltung<br />

und Politik einfordern<br />

können. Damit soll der<br />

geplante Bildungsgipfel auf<br />

Bundesebene auch inhaltlich<br />

vorbereitet werden.<br />

Lese- und Schreibwerkstatt<br />

Unsere Mitglieder Erika Brinkmann<br />

und Hans Brügelmann<br />

haben im November eine<br />

Lese- und Schreibwerkstatt<br />

eröffnet, um <strong>Kinder</strong> (und Ältere)<br />

mit besonderen Schwierigkeiten<br />

beim Schriftspracherwerb<br />

zu unterstützen.<br />

Zurzeit werden an drei Tagen<br />

junge Menschen im Alter von<br />

6 bis 24 Jahren, mit und ohne<br />

Migrationshintergrund, z. T.<br />

mit Behinderungen, kostenlos<br />

gefördert.<br />

Zusätzlich bietet die<br />

Lese- und Schreibwerkstatt<br />

Mitgliedern der Landesgruppe<br />

einen monatlichen<br />

Klönschnack über „Probleme<br />

beim Lesen- und Schreibenlernen<br />

– und Möglichkeiten<br />

zu ihrer Überwindung“ an.<br />

Das erste Treffen hat am<br />

15.1.2024 von 17:00 bis<br />

18.30 Uhr in der Lese- und<br />

Schreibwerkstatt, Admiralstraße<br />

14 in Findorff, stattgefunden.<br />

Zukünftig sind die<br />

Treffen (ohne Verpflichtung<br />

zu regelmäßiger Teilnahme)<br />

jeweils auf den ersten<br />

Montag eines jeden Monats<br />

von 17.00 bis 18.30 Uhr terminiert.<br />

Wegen des begrenzten<br />

Platzes bitten wir jeweils um<br />

persönliche Anmeldung über<br />

hans.bruegelmann@gmx.de<br />

(und ggf. Absage, um den<br />

Platz an Nachrücker*innen<br />

auf der Warteliste weitergeben<br />

zu können).<br />

Der im Projekt<br />

„KINDER*RECHTE*SCHULE<br />

entwickelte Leitfaden steht<br />

interessierten Kolleg*innen<br />

aus anderen Bundesländern<br />

zur Erprobung zur Verfügung.<br />

Anfragen an:<br />

kinderrechteschule@<br />

uni-bremen.de<br />

Die Gruppe „Junger Grundschulverband“<br />

informierte<br />

sowohl digital mit Videos<br />

und Fotos über die Social-<br />

Media-Kanäle der Landesgruppe<br />

Bremen als auch in<br />

den Veranstaltungen der<br />

Universität Bremen über den<br />

Verband, um neue Mitglieder<br />

zu gewinnen. Zudem wurde<br />

organisiert, Mitgliederbände<br />

des GSV an Studierende<br />

zu verteilen. Des Weiteren<br />

generiert der Junge Grundschulverband<br />

neue Projektideen,<br />

welche sich besonders<br />

auf die Internetpräsenz des<br />

Grundschulverbands richten.<br />

Für den Vorstand:<br />

Hans Brügelmann<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Kontakt: Thekla Mayerhofer, Am Sopienhafen 6, 06108 Halle (Saale)<br />

May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />

Eltern-Uni<br />

Am 17.11.23 ging unsere<br />

Eltern-Uni in die letzte<br />

Runde. Die Eltern-Uni, die<br />

eine Zusammenarbeit des<br />

Grundschulverbandes<br />

Sachsen-Anhalt und des<br />

Instituts für Schulpädagogik<br />

und Grundschuldidaktik der<br />

Martin-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg ist, bestand<br />

aus vier Teilen. Interessierte<br />

Eltern und natürlich auch<br />

andere konnten sich an vier<br />

Abenden zu verschiedenen<br />

Themen informieren und<br />

miteinander diskutieren.<br />

Unter dem Thema „Von der<br />

Schiefertafel zum Tablet. Wie<br />

neue Medien unsere Welt<br />

verändern und wie Schule<br />

darauf reagieren kann“ wurde<br />

der letzte Abend von Ralph<br />

Thielbeer und Michael Ritter<br />

erfolgreich gestaltet.<br />

Treffen mit der<br />

Bildungsministerin<br />

Am 20.10.23 trafen sich<br />

Mitglieder des Vorstandes<br />

unserer Landesgruppe in<br />

Magdeburg mit Bildungsministerin<br />

Eva Feußner,<br />

Grundschulreferent Herrn<br />

Eickel und dem persönlichen<br />

Referenten der Ministerin zu<br />

einem Gespräch. Im Mittelpunkt<br />

stand das Thema Ganztagsschulen.<br />

Die Ministerin<br />

berichtete von den aktuellen<br />

Bemühungen zu der Einrichtung<br />

bzw. Umsetzung von<br />

Ganztagsschulen in Sachsen-<br />

Anhalt. Momentan werden<br />

bestehende Modelle, die auf<br />

der Kooperation von Grundschulen<br />

mit Horten beruhen,<br />

bezüglich ihrer Konzeption<br />

geprüft. Grundsätzlich<br />

signalisierte die Ministerin<br />

Offenheit bei der pädagogischen<br />

Idee des Ganztags,<br />

48<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Vorsitzender: Ralph Grote, Hasengang 3, 17309 Pasewalk<br />

grundschulverband.mv@gmail.com<br />

Leseband und<br />

Lehrermangel<br />

Das Land legt ein umfangreiches<br />

Maßnahmenpaket<br />

auf, um die grundlegenden<br />

Fähigkeiten aller <strong>Kinder</strong><br />

zu verbessern und die<br />

Schülerinnen und Schüler so<br />

zu fördern, dass keine und<br />

keiner den Anschluss verliert.<br />

Die geplanten Vorhaben des<br />

Landes setzen in der Kita an<br />

und werden in der Grundschule<br />

fortgeführt. Ab dem<br />

Schuljahr 2024/2025 soll<br />

in allen Grundschulen des<br />

Landes ein flächendeckendes<br />

Leseband eingeführt werden.<br />

An drei bis fünf Tagen sind<br />

Lautlesetrainings in der<br />

Schule vorgesehen. Dafür<br />

sind pro Tag 20 Minuten der<br />

Unterrichtszeit fest eingeplant<br />

– unabhängig vom zu<br />

unterrichtenden Fach. Um die<br />

basalen Kompetenzen noch<br />

stärker zu fördern, werden<br />

die Rahmenpläne der Grundschule<br />

überarbeitet und aktuelle<br />

Bildungsstandards mit<br />

aufgenommen: So wird die<br />

Stundenzahl für die Fächer<br />

Deutsch und Mathematik ab<br />

dem Schuljahr 2024/2025<br />

in der Grundschule erhöht.<br />

Unsere Landesgruppe, die<br />

auch Mitglied des Bildungsrates<br />

ist, begrüßt diese Erhöhung<br />

der Stundenzahl. Aber<br />

woher sollen die Lehrerstunden<br />

dafür kommen? Unsere<br />

Landesgruppe befürchtet,<br />

dass bei den ganztägig<br />

arbeitenden Schulen Abstriche<br />

in der Stundenzuweisung<br />

geplant sind, die dann mit<br />

einer Erhöhung der finanziellen<br />

Zuwendung kompensiert<br />

werden sollen. Damit sollen<br />

die Schulen externe Kräfte<br />

aus Vereinen für die Arbeit<br />

gewinnen. Das wiederum<br />

stellt Schulen besonders in<br />

strukturschwachen Regionen<br />

bzw. im ländlichen Raum vor<br />

große Herausforderungen<br />

in der Planung. Aber auch<br />

Abstriche bei musisch-künstlerischen<br />

Fächern, Sport oder<br />

früh beginnendem Englisch<br />

könnten eine indirekte<br />

unerwünschte Folge dieser<br />

Stundenerhöhung sein.<br />

Auch insgesamt bleibt die<br />

Arbeitslage für Lehrerinnen<br />

und Lehrer in MV angespannt.<br />

Der Lehrkräftemangel<br />

steigt stetig und bringt so<br />

manches Kollegium an (und<br />

über) die Belastungsgrenze.<br />

So steigt besonders in den<br />

Schulamtsbereichen Greifswald<br />

und Neubrandenburg<br />

die Seiteneinsteigerquote<br />

immer weiter. Das Institut<br />

für Qualitätsmanagement<br />

(IQMV) versucht, dem<br />

entgegenzusteuern mit<br />

der Verbesserung der<br />

Vorqualifizierungen für die<br />

Kolleginnen und Kollegen<br />

ohne Studium, um fehlende<br />

Schulpraxis sowie Didaktik<br />

und Pädagogik zu vermitteln,<br />

bevor sie ins kalte Wasser<br />

geworfen werden. Doch auch<br />

immer weniger Männer und<br />

Frauen sind überhaupt bereit<br />

zu einem Seiteneinstieg in<br />

die Schule. Und auch bezüglich<br />

der multiprofessionellen<br />

Teams an den Schulen sieht<br />

es düster aus. Immer mehr<br />

Sonderpädagogikstellen<br />

können nicht besetzt werden.<br />

Unterstützendes pädagogisches<br />

Fachpersonal (upF)<br />

wird vermehrt zur Betreuung<br />

und sogar zur K<strong>lassen</strong>leitung<br />

eingesetzt, anstatt die so<br />

dringend benötigte Arbeit<br />

am Kind leisten zu können.<br />

Lerngruppen mit sonderpädagogischen<br />

Förderbedarfen,<br />

aber auch DaZ-Unterricht<br />

und Vork<strong>lassen</strong> werden<br />

aus Personalmangel eingestampft.<br />

Alltagshilfen<br />

wurden wiederum befristet<br />

bis März 2024 und so manch<br />

eine Kollegin und ein Kollege<br />

unter ihnen verliert so<br />

langsam den Glauben an eine<br />

Festanstellung und somit die<br />

Motivation. Die versprochene<br />

Ausschreibung der entsprechenden<br />

Stellen mit Entfristung<br />

ist noch immer nicht in<br />

Sicht. Die angekündigten zusätzlichen<br />

Alltagshilfestellen<br />

stehen auch weiter infrage.<br />

Wir brauchen dringend mehr<br />

personelle Unterstützung<br />

und eine Entschlackung<br />

des überbürokratisierten<br />

pädagogischen Alltags in der<br />

Grundschule, sonst bricht<br />

das System an der Basis bald<br />

ein, wie die immer höheren<br />

Teilzeitquoten und Krankenstände<br />

zeigen.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Sandra Stolzenburg und<br />

Ralph Grothe<br />

äußerte auch konkrete<br />

Ideen zur Verankerung von<br />

traditionellen Nachmittagsangeboten<br />

(Sportvereine<br />

etc.) im Ganztagsangebot<br />

der Grundschulen. Darüber<br />

hinaus ermutigte sie Schulen,<br />

sich „individuell auf den<br />

Weg“ zu machen. (Erfahrene<br />

verstehen nach einem Augenzwinkern<br />

die Bedeutung<br />

der in Anführungsstriche<br />

gesetzten Wortgruppe.) Die<br />

Ministerin zeigte auf, wie<br />

schwierig es ist, die administrativen<br />

Grundlagen für<br />

Ganztagsschulen zu schaffen,<br />

da in Sachsen-Anhalt die<br />

Zuständigkeit für Schule und<br />

Hort in unterschiedlichen<br />

Ministerien liegt. Ermutigend<br />

ist, dass den Schulen, die sich<br />

für das Pilotprojekt, welches<br />

zur Erfassung und Evaluierung<br />

gelingender Praxis<br />

gestartet wurde, beworben<br />

haben, offensichtlich hinreichend<br />

Geld zur Verfügung<br />

steht.<br />

Weitere Informationen:<br />

www.gsv-lsa.de<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Wolfgang Grohmann<br />

GS aktuell 165 • Februar 2024<br />

UIII


Grundschule aktuell<br />

Grundschulverband e. V.<br />

Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />

Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />

info@grundschulverband.de<br />

www.grundschulverband.de<br />

Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />

D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />

Versandadresse<br />

Ausblick Grundschule aktuell 166<br />

Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />

Der Auftrag an eine Schule im 21. Jahrhundert beinhaltet auch einen umfassenden<br />

Begriff einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Alle Regierungen der Welt haben 2015<br />

ein Weltaktionsprogramm verabschiedet, das die großen Herausforderungen unserer<br />

Zeit in Form von 17 Zielen bis 2030 aktiv angehen soll.<br />

Hierzu hat die Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan für Deutschland ausgearbeitet,<br />

der bereits 2017 von der Kultusministerkonferenz verabschiedet wurde.<br />

Darin heißt es u. a. für den Bereich Schule und formale Bildung (Seite 38):<br />

„Im Lern- und Lebensort Schule sind Aktions- und Freiräume geschaffen, die <strong>Kinder</strong>n<br />

und Jugendlichen Selbstwirksamkeit, Kompetenzzuwachs und Anerkennung im Sinne<br />

von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ermöglichen.“<br />

In diesem Heft wollen wir unseren Fokus legen auf Bildung für nachhaltige Entwicklung als<br />

• Thema und Inhalt von Unterricht,<br />

• fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip,<br />

• Anspruch an Schule und als gesamtschulisches Anliegen,<br />

auch mit außerschulischen Partnern.<br />

Viele Grundschulen machen sich bereits auf den Weg und stellen Beispiele und gute Praxis<br />

u. a. in den Bereichen Gesundheit, Mobilität und Umwelt vor.<br />

Die nächsten<br />

Themen<br />

Mai 2023<br />

September 2023<br />

November 2023<br />

Heft 167 | September 2024<br />

Lehramt studieren –<br />

Lehrkraft sein<br />

Heft 168 | November 2024<br />

Beobachten – Staunen – Forschen:<br />

naturwissenschaftliches Lernen<br />

in der GS<br />

Heft 169 | Februar 2025<br />

Schrift und Schreiben<br />

www.<br />

grundschule-aktuell.info

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