Kinder Stärken erleben lassen
GSa165_Feb24_ES
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www.grundschulverband.de · Februar 2024 · D9607F<br />
Grundschule aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 165<br />
<strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Zum Thema<br />
• <strong>Kinder</strong>stärken!<br />
<strong>Kinder</strong> stärken!! Starke <strong>Kinder</strong>!!!<br />
Forschung<br />
• Social Entrepreneurship<br />
Education in der GS<br />
Rundschau<br />
• Frühjahrstagung des GSV<br />
am 2. März in Weimar
Inhalt<br />
Tagebuch<br />
S. 2 Warum bin ich im Grundschulverband?<br />
(St. Gärtner)<br />
Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
S. 3 <strong>Kinder</strong>stärken! <strong>Kinder</strong> stärken!! Starke <strong>Kinder</strong>!!!<br />
(M. Lassek)<br />
S. 6 Das FIT-Prinzip von Remo Largo (H. Brügelmann)<br />
S. 9 „Irgendwie sind wir alle etwas schräg …“<br />
(A. Steinhöfel im Interview)<br />
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
S. 12 Reflexion im Dialog (P. Büker, J. Höke)<br />
S. 16 Zeigestunde (E. Auerbach, Ch. Knott)<br />
S. 17 Ein Nachdenkprojekt zum <strong>Kinder</strong>buch<br />
„Rigo und Rosa“ (V. Petersson, I. Hoppe)<br />
S. 19 <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong> (T. Schubert)<br />
S. 21 Gemeinsam sind wir stark! (M. Remy)<br />
S. 25 <strong>Stärken</strong>orientierung in Unterricht,<br />
Schule und Schulberatung (M. Bauernschuster)<br />
S. 27 Die Reformen im <strong>Kinder</strong>fußball (L. Voß)<br />
S. 29 <strong>Kinder</strong>bücher zum Thema (M. Gutzmann)<br />
Irgendwie sind wir alle etwas schräg<br />
Hans Brügelmann und Erika Brinkmann kommen ins Gespräch<br />
mit dem <strong>Kinder</strong>buchautor Andreas Steinhöfel zur<br />
Entstehung seiner zwei seit Jahren bekanntesten <strong>Kinder</strong>buchhelden<br />
„Rico und Oscar“. Diese beiden gehören zur<br />
vielgestaltigen Welt seiner Figuren, die oftmals Außenseiter<br />
oder Benachteiligte sind. In diesem Gespräch nimmt Andreas<br />
Steinhöfel auch Bezug auf unterschiedliche Verhaltensweisen<br />
im Umgang von Lehrkräften und <strong>Kinder</strong>n miteinander<br />
im Vergleich zu seiner eigenen und der heutigen Schulzeit.<br />
Seite 9–11<br />
Zeigestunde: Jeder kann etwas<br />
Elena Auerbach und Christiane Knott<br />
erzählen von einfachen Möglichkeiten<br />
in ihrem Schulalltag, wie <strong>Kinder</strong><br />
zeigen können, dass sie zu mutigen<br />
Referent:innen, Erzähler:innen, Darsteller:innen<br />
oder Künstler:innen werden<br />
können in einer „Zeigestunde“ mit von<br />
den <strong>Kinder</strong>n selbst gewählten Themen.<br />
Seite 16–17<br />
Aus der Forschung<br />
S. 31 Chancen von Social Entrepreneurship Education<br />
in der Grundschule (J. Dreischer, M. Hess)<br />
Rundschau<br />
S. 35 Eine Welt in der Schule: Mit kleinen Schritten<br />
(vielleicht) etwas Großes bewirken (U. Oltmanns)<br />
S. 36 Bürgerinnen und Bürger machen mobil für eine<br />
bessere Bildung (H. Brügelmann)<br />
S. 38 Aus dem Vorstand: Ankündigung der<br />
Frühjahrstagung (M. Gutzmann)<br />
S. 39 LemaS – Leistung macht Schule<br />
(E.-M. Osterhues-Bruns)<br />
S. 40 Bündnis „Eine für alle – Die inklusive Schule für<br />
die Demokratie“ (U. Widmer-Rockstroh)<br />
S. 41 Zur Serie: Ein Beispiel aus der Lehrkräftebildung in<br />
der Grundschuldidaktik Mathematik<br />
(A. Grajek, S. Wöller, A. Mathea-Kreuter)<br />
S. 44 Mitteilung: Zum Tod von Gertraud Greiling<br />
Landesgruppen aktuell – unter anderem:<br />
S. 45 Berlin: Die Landesgruppe Berlin hat wieder<br />
einen Vorstand<br />
S. 49 Mecklenburg-Vorpommern: Leseband und<br />
Lehrermangel<br />
Impressum<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />
erscheint vierteljährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt<br />
(ausgenommen Unterstützer:innen).<br />
Das einzelne Heft kostet 12,00 € (zzgl. Porto innerhalb Deutschlands)<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />
Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />
Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />
www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />
Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />
gabriele.klenk@grundschulverband.de<br />
Fotos und Grafiken: Titelfotos von J. Sarbach, BRUTHO, A. Thurau/S. Stein;<br />
SV Werder Bremen/S. 28; © Jacqueline Dreischer (S. 31–34);<br />
https://bildungswende-jetzt.de/presse/ (S. 36);<br />
Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders vermerkt)<br />
Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />
Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />
info@grundschulverband.de<br />
Druck: WKS Print Partner GmbH, 34587 Felsberg<br />
ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6109<br />
Beilage: Friedrich Verlag GmbH<br />
UII<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Diesmal<br />
Gemeinsam sind wir stark<br />
Am Beispiel des Lernformats<br />
FREI DAY beschreibt Miriam<br />
Remy für die Organisation<br />
„Schule im Aufbruch in NRW“,<br />
wie <strong>Kinder</strong> sich stark fühlen<br />
können, wenn ihre eigenen<br />
Fragen im Hier und Jetzt im<br />
Mittelpunkt des Schulalltags<br />
stehen, wenn sie spüren,<br />
dass sie selbst mit anpacken dürfen, gebraucht werden<br />
und ein wichtiger Teil der Gemeinschaft sind. Dabei<br />
stellt sie auch das hohe Wachstumspotenzial für <strong>Kinder</strong><br />
im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />
dar mit dem Ziel von BNE, zu einer sichtbaren und spürbaren<br />
Veränderung in der Welt beizutragen und sich<br />
selbst und das eigene Handeln als wirksam zu <strong>erleben</strong>.<br />
Noch mehr Grundschulverband?<br />
Sie finden uns auf Social Media,<br />
Stichwort „Grundschulverband“<br />
und unseren Podcast direkt auf unserer<br />
Homepage:<br />
www.<br />
grundschule-aktuell.info<br />
Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“<br />
und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />
www.<br />
https://grundschulverband.de<br />
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Mit diesem QR-Code gelangen Sie<br />
direkt zur Anmeldung:<br />
grundschulverband.de/archiv/<br />
Seite 21–24<br />
In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />
ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />
Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />
Lösung für das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />
jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form.<br />
Liebe Leser*innen,<br />
in einer Zeit, in der durch IGLU, PISA und Co in der Öffentlichkeit<br />
vor allem auf Schwächen von Schüler*innen hingewiesen<br />
wird, spiegeln die besorgniserregenden Leistungsabfälle, wie<br />
sehr sich fehlende Investitionen in das staatliche Bildungssystem<br />
auf Lern- und Leistungsmöglichkeiten von <strong>Kinder</strong>n<br />
und Jugendlichen auswirken. In Zusammenhang mit den Forderungen<br />
der UN-Behindertenkonvention ist es bedeutsam,<br />
den Blick auch darauf zu richten, wie gut die Schule alle <strong>Kinder</strong><br />
fördert, wie bedarfsgerecht Ressourcen und Personal verteilt,<br />
wie gut Lern- und Arbeitsbedingungen ausgestaltet sind. Aus<br />
Sicht des Grundschulverbands muss der Blick auf die bislang<br />
schlechtesten Ergebnisse der PISA-Studie vor allem dazu beitragen,<br />
die Verantwortung der Politik einzufordern und endlich<br />
die strukturelle Benachteiligung der Grundschulen aufzulösen.<br />
Wenn schlussfolgernde Maßnahmen aus den PISA-Ergebnissen<br />
die Basiskompetenzen in Deutsch und Mathematik in den Ländern<br />
in den Mittelpunkt stellen und damit die Lernleistung von<br />
<strong>Kinder</strong>n auf diese beiden Bereiche einengen, gerät das <strong>Kinder</strong>recht<br />
auf allseitige schulische Bildung aus dem Blick.<br />
Aus diesem Grund widmet sich das aktuelle Heft dem Thema<br />
„<strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong>“ und den vielfältigen Facetten,<br />
wie in der Grundschule die individuellen <strong>Stärken</strong> der <strong>Kinder</strong><br />
wahrgenommen, entwickelt und sichtbar gemacht werden<br />
können. Dabei geht es um Fragen wie z. B.: Um welche <strong>Stärken</strong><br />
von <strong>Kinder</strong>n geht es? Wie können förderliche Situationen für<br />
<strong>Kinder</strong> geschaffen werden? Welchen Raum brauchen <strong>Kinder</strong>,<br />
um sich weiterentwickeln zu können? Letztendlich geht es um<br />
einen Perspektivwechsel von der verbreiteten Defizitorientierung<br />
hin zu einem ganzheitlichen Blick auf <strong>Kinder</strong>, der ihre<br />
individuellen <strong>Stärken</strong> in den Vordergrund stellt.<br />
Im einleitenden Beitrag „<strong>Kinder</strong>stärken! <strong>Kinder</strong> stärken!! Starke<br />
<strong>Kinder</strong>!!!“ hebt Maresi Lassek hervor, wie wichtig es ist, <strong>Kinder</strong><br />
zu (be)stärken, damit sie sich zu selbstbewussten und verantwortungsvollen<br />
Persönlichkeiten entwickeln können. <strong>Kinder</strong><br />
stark zu machen meint, dass sie ihre <strong>Stärken</strong> erfahren können,<br />
ihre <strong>Stärken</strong> für ein vertrauensvolles und respektvolles Miteinand<strong>erleben</strong><br />
in der Lebenswelt Familie, im Lern- und Lebensraum<br />
Schule entwickeln und sich somit auf ihre Zukunft in einer globalisierten<br />
und von digitalen Informationstechnologien zunehmend<br />
bestimmten Welt vorbereiten. Die „Anforderungen an eine zukunftsfähige<br />
Grundschule“ aufgreifend, betont Maresi Lassek die<br />
Position des Grundschulverbandes, dass es primär darum geht,<br />
das Kind durch eine allgemeine Bildung in seiner ganzen Persönlichkeit<br />
zu stärken.<br />
Mit diesem Heft möchten wir Sie zugleich zu unserer bundesweit<br />
ausgerichteten Frühjahrstagung „KINDER. LERNEN.<br />
ZUKUNFT. JETZT! 2.0 – Herausforderungen und Perspektiven“<br />
am 2. März 2024 an der Grundschule Pestalozzi in Weimar<br />
einladen. Freuen Sie sich auf ein anspruchsvolles, vielseitiges<br />
und abwechslungsreiches Tagungsprogramm zu fachbezogenen<br />
und überfachlichen, zu bildungspolitisch relevanten<br />
und gesellschaftspolitischen Fragestellungen – zur Stärkung<br />
einer zukunftsfähigen Grundschule mit starken <strong>Kinder</strong>n!<br />
Wir bleiben nicht nur dazu mit Ihnen weiterhin im Gespräch.<br />
Herzlichst<br />
Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />
sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
1
Tagebuch<br />
Warum bin ich im Grundschulverband?<br />
Stefanie Gärtner<br />
ist Grundschullehrerin<br />
und im Vorstand der<br />
Landesgruppe Brandenburg<br />
Ich bin Stefanie Gärtner und war im Mai 2023 das erste<br />
Mal bei einer Delegiertenversammlung des Grundschulverbands<br />
für die Landesgruppe Brandenburg dabei.<br />
Diese beiden Tage waren sehr inspirierend für mich und<br />
ich freue mich darauf, in meine Rolle und Aufgabe als<br />
Delegierte weiter hineinwachsen zu können. Mir ist der<br />
mündliche Austausch mit anderen und der Blick über den<br />
Zaun sehr wichtig.<br />
Begonnen hat meine Mitgliedschaft in Berlin bei einer<br />
Tagung im Jahr 2012 zum Thema Inklusion. Dort gab es<br />
anregungsreiche Workshops. Da ich mich noch mitten im<br />
Studium befand, fiel meine Wahl natürlich auf einen Mathematikworkshop.<br />
Die Workshopleiterin hat mich tatkräftig<br />
bei meinem Vorhaben unterstützt, meine Bachelorarbeit<br />
über natürliche Differenzierung im Mathematikunterricht<br />
zu schreiben und auch gemeinsam mit <strong>Kinder</strong>n<br />
eine Lernumgebung auszuprobieren. Bei meiner Recherche<br />
bin ich dabei immer wieder auf Literatur von Prof.<br />
Dr. Marcus Nührenbörger gestoßen. Als ich dann meine<br />
Masterarbeit geschrieben habe, waren meine wesentlichen<br />
Grundlagen für die theoretische Fundierung und den Praxisbezug<br />
die Bände 119 und 121 zum Thema pädagogische<br />
Leistungskultur vom Grundschulverband, die mir wichtige<br />
Impulse für meine weitere Arbeit gaben. Da war es dann<br />
auch Prof. Dr. Christoph Selter, der mir mit seinen Texten<br />
ebenso weitergeholfen hat.<br />
Mein besonderes Interesse war geweckt, als ich erfahren<br />
habe, dass beim Bundesgrundschulkongress 2019 genau<br />
diese beiden Mathematikdidaktik-Vorbilder (für mich)<br />
dabei sein sollten. Also bin ich nach Frankfurt am Main<br />
gefahren und habe an dieser eindrucksvollen Veranstaltung<br />
teilgenommen und meine Vorbilder endlich live <strong>erleben</strong><br />
können. Nach 2019 kam dann Corona. Durch versetzte<br />
Pausenzeiten war der Austausch im Kollegium kaum<br />
noch möglich und ich war weiter auf der Suche nach pädagogischen<br />
Impulsen für die Arbeit in der Grundschule.<br />
Die Landesgruppe Brandenburg hatte zu dieser Zeit zu<br />
einer Online-Mitgliederversammlung eingeladen, und so<br />
wurde ich Gast im Vorstand und konnte erste Einblicke<br />
in die Vorstandsarbeit nehmen. Durch die Online-Treffen<br />
wurde es für mich möglich, mich einzubringen und<br />
die Arbeit in der Landesgruppe Brandenburg zu unterstützen.<br />
So habe ich z. B. versucht, einen „Online-Kaffeeklatsch<br />
mit Steffi“ am Abend alle zwei Monate (der erste<br />
Donnerstag in den geraden Monaten) auf die Beine zu<br />
stellen. Das brauchte einen langen Atem und ich bin auch<br />
froh, dass ich nicht aufgegeben habe. So war ich überglücklich,<br />
dass beim letzten Kaffeeklatsch im Dezember<br />
mehr als nur drei Personen und sogar aus vier verschiedenen<br />
Bundesländern teilgenommen haben. Der länderübergreifende<br />
Austausch war sehr anregend und es gab<br />
viele Denkanstöße zur Weiterarbeit an Themen wie PISA-<br />
Ergebnisse, Umsetzung des gemeinsamen Lernens trotz<br />
fehlender Ressourcen, jahrgangsgemischtes Lernen und<br />
gemeinsames Lernen von 1 bis 10. Auf den nächsten Kaffeeklatsch<br />
bin ich gespannt. Auch wenn es Unterschiede<br />
in den Ländern gibt, eins haben wir vor allem gemeinsam:<br />
Was ist gut für das Kind?<br />
Stolz bin ich auch darauf, dass wir an meiner Schule,<br />
der Fontane Grundschule Niederlehme, im Juni einen<br />
Grundschultag unter dem Motto „<strong>Kinder</strong> lernen Lesen.<br />
Jetzt!“ mit anschließender Mitgliederversammlung und<br />
Vorstandswahl nach vier Jahren erstmalig wieder als Präsenzveranstaltung<br />
durchführen konnten und ich in den<br />
Vorstand der Landesgruppe Brandenburg gewählt worden<br />
bin.<br />
Inzwischen nehme ich auch an den Treffen der Social-<br />
Media-Gruppe teil und habe es mithilfe der anderen Landesgruppen<br />
geschafft, dass ich mich als Social-Media-Beauftragte<br />
der Landesgruppe Brandenburg wohlfühle, obwohl<br />
ich vorher keine Ahnung davon hatte. Dieses ständige<br />
Weiterkommen in vielfältigen Bereichen und der<br />
kontinuierliche Austausch geben mir immer wieder Kraft<br />
und Energie für den Schulalltag. Auch die Bände und Zeitschriften<br />
bieten mir beim Pendeln im Zug zwischen meinem<br />
Wohnort in Berlin und meiner Arbeitsstelle in Brandenburg<br />
einen tollen Input, weiter dranzubleiben und den<br />
Unterricht weiterzuentwickeln oder gern auch „Neueinsteiger*innen“<br />
zu unterstützen.<br />
2<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Maresi Lassek<br />
<strong>Kinder</strong>stärken! <strong>Kinder</strong> stärken!!<br />
Starke <strong>Kinder</strong>!!!<br />
Das Wortspiel in der Überschrift möchte auf die zahlreichen Facetten des Themenschwerpunkts<br />
in diesem Heft aufmerksam machen: <strong>Kinder</strong> stark zu machen<br />
meint, sie dabei zu unterstützen, ihre <strong>Stärken</strong> erfahren zu können. <strong>Stärken</strong>, die<br />
sie für ihre Zukunft in einer globalisierten und von digitalen Informationstechnologien<br />
zunehmend bestimmten Welt brauchen, <strong>Stärken</strong> für gesellschaftliche<br />
und technische Veränderungen, die ihre Eltern, Pädagoginnen, Pädagogen und<br />
politisch Verantwortliche nur erahnen können.<br />
Es geht um Fragen, wie möglichst<br />
vielen <strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen<br />
der jetzigen und zukünftiger<br />
Generationen Chancen eröffnet werden<br />
können, ihre individuellen Möglichkeiten<br />
zu entdecken, deren Wirkung zu<br />
erproben, daraus Folgerungen für das<br />
eigene Handeln zu ziehen, aus den <strong>Stärken</strong><br />
zu lernen und mit deren Hilfe Mut<br />
und Energie zu entwickeln, sich auch<br />
mit neuen, vielleicht mühsamen und<br />
kritischen Aufgaben und Problemen<br />
auseinanderzusetzen. Für dieses Ziel<br />
sind gleichermaßen die Lebenswelt<br />
Familie wie auch der Lebens- und Lernraum<br />
Schule bedeutsam und verantwortlich.<br />
Dieser Beitrag möchte<br />
zudem aufzeigen, wie wichtig es ist, <strong>Kinder</strong><br />
zu (be)stärken, damit sie sich zu<br />
selbstbewussten und verantwortungsvollen<br />
Persönlichkeiten entwickeln,<br />
um – gut ausgestattet – ihre eigene<br />
Zukunft mitzugestalten sowie an der<br />
Zukunftsgestaltung der Gesellschaft<br />
aktiv mitwirken zu können.<br />
„Es braucht ein ganzes Dorf,<br />
um ein Kind aufzuziehen,“ …<br />
… formuliert ein Sprichwort aus Afrika<br />
eine Aussage, die ebenso für das<br />
Anliegen „<strong>Kinder</strong> stärken“ stehen kann.<br />
Das „Dorf “, das sind selbstverständlich<br />
Eltern und Familie, weiterhin die Kita,<br />
die Schule, der Sportverein und andere<br />
sowie die Nachbarschaft. Gehört<br />
zu werden, eingebunden und beteiligt<br />
zu sein in der Familie, über Bildungsinstitutionen,<br />
über Sozial- und Freizeitangebote<br />
stärkt – im besten Fall im<br />
Zusammenwirken aller – das Kind.<br />
Aus unterschiedlichen Gründen gelingt<br />
es manchen Eltern nicht, ihr Kind<br />
auf einen sicheren und stabilen Zukunftsweg<br />
zu bringen, ihm <strong>Stärken</strong> mitzugeben,<br />
die helfen, die Anforderungen<br />
der Schule und Veränderungen durch<br />
unterschiedliche soziale Bezüge gut zu<br />
meistern. Umso präsenter muss den Erziehenden<br />
und Lehrkräften in Kita und<br />
Schule sein, dass sie Verantwortung für<br />
alle <strong>Kinder</strong> tragen, einige davon ihre<br />
Unterstützung intensiver benötigen und<br />
unterschiedliche Ausgangsbedingungen<br />
nicht automatisch zu ungleichen Chancen<br />
führen dürfen. Die Schulgemeinschaft<br />
hat hohe Bedeutung, wenn es um<br />
das kognitive und lebenskundliche Lernen<br />
geht, genauso auch dafür, dass <strong>Kinder</strong><br />
gute mentale und soziale Grundlagen<br />
für das Zusammenleben in einer<br />
Gemeinschaft erwerben können. Mit<br />
dem Auftrag, die individuellen Möglichkeiten<br />
von <strong>Kinder</strong>n in einer inklusiven<br />
Lerngemeinschaft zu erkennen, zu würdigen<br />
und zu stärken, ist ein hoher Anspruch<br />
verbunden.<br />
Es braucht ein ganzes Dorf,<br />
… und es geht um <strong>Stärken</strong><br />
und um das <strong>Stärken</strong>, …<br />
… aber es geht nicht für alle um<br />
das Gleiche, sondern um individuell<br />
unterschiedliche <strong>Stärken</strong>. <strong>Stärken</strong>,<br />
die jedem Kind auf seine Weise<br />
ermöglichen, mit sich selbst, seiner<br />
Rolle in Familie und Schulgemeinschaft,<br />
mit Herausforderungen und<br />
Anregungen neugierig, mutig und<br />
selbstbewusst umzugehen und darüber<br />
hinaus die Reaktionen und Verhaltensweisen<br />
anderer zu beobachten<br />
und verstehen zu lernen. <strong>Stärken</strong>, die<br />
im kognitiven und handwerklichen<br />
Können, im sozialen, schulischen, indi-<br />
Maresi Lassek, Mitglied im Vorstand<br />
der GSV-Landesgruppe Bremen<br />
viduellen und gemeinsamen Lernen,<br />
in der Bewältigung von Hindernissen<br />
und Krisen liegen können, deren Entwicklung<br />
geprägt ist von Erfahrungen,<br />
Ermutigungen, Erfolgserlebnissen, auch<br />
Misslingensmomenten, von Vertrauen,<br />
Sicherheit, Strukturen und Beziehungen.<br />
Nicht selbstverständlich sind allen <strong>Kinder</strong>n<br />
in ihrem Lebensumfeld und im<br />
Laufe ihrer Biografie Möglichkeiten<br />
gegeben, ihre besonderen <strong>Stärken</strong> auch<br />
zu erfahren und zu erproben.<br />
Trotzdem soll sich jedes Kind seiner<br />
<strong>Stärken</strong> bewusst werden können und<br />
darüber das Vertrauen entwickeln, seine<br />
Schwächen nicht verstecken zu müssen,<br />
sondern konstruktiv damit umzugehen,<br />
vielleicht sogar offensiv, wie es Andreas<br />
Steinhöfel in einem Interview vertritt.<br />
Bildungschancen sind ungleich verteilt.<br />
Besonders wir in Deutschland wissen,<br />
dass Bildungsentwicklung viel zu<br />
stark abhängig ist von den durch das Elternhaus<br />
ermöglichten Startbedingungen<br />
und die mehr oder weniger gelingende<br />
Kompensation in den Bildungseinrichtungen.<br />
Kita und Schule können<br />
es unter den gegebenen Bedingungen<br />
nicht schaffen, die Startbedingungen von<br />
<strong>Kinder</strong>n chancengerecht auszugleichen.<br />
Sie können es nicht schaffen, all die Gelegenheiten,<br />
die ein ökonomisch gut situiertes<br />
Familiengefüge einem Kind von<br />
Geburt an bieten kann, über kognitiv anregende,<br />
sprachlich fördernde, kulturelle<br />
und soziale Anregungen zur Verfügung<br />
zu stellen. Aber sie können <strong>Kinder</strong> in<br />
ihrem Selbstbewusstsein und Selbstbild<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
3
Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
stärken, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />
anerkennend begleiten und ein Klima<br />
des Respekts untereinander unterstützen.<br />
<strong>Kinder</strong> aus benachteiligten Familien<br />
so zu unterstützen, dass sie die ihnen<br />
zustehenden Bildungschancen auch nur<br />
annähernd bekommen und nutzen können,<br />
erfordert, bezogen auf Verantwortung,<br />
auch einen Blick auf das politische<br />
Handeln.<br />
Die mit der Veröffentlichung der Ergebnisse<br />
der PISA-Studie 2022 verbundenen<br />
politischen Erklärungsversuche<br />
und Forderungen beinhalten ein Tableau<br />
von vermuteten Ursachen für den<br />
Abfall der registrierten Leistungen. Das<br />
schlechte Ergebnis der 15-Jährigen wird<br />
auf Mängel in der frühkindlichen Bildung<br />
zurückgeführt, auf eine zu heterogene<br />
Schülerschaft, auf unzureichende<br />
Grundkompetenzen im Schreiben, im<br />
Rechnen und besonders im Lesen, auf<br />
Sanierungsstau bei Schulgebäuden, fehlende<br />
Kita- und Schulgebäude und den<br />
Mangel an Erzieher*innen und Lehrkräften.<br />
Diskutiert wird ebenso das Für<br />
und Wider der Digitalisierung. Als Ursache<br />
diagnostiziert werden zudem unzureichende<br />
sprachliche Kompetenzen<br />
bei deutschsprachig und besonders bei<br />
mehrsprachig aufwachsenden <strong>Kinder</strong>n.<br />
All das kann eine Rolle spielen. Daher<br />
ist die Fokussierung auf die Basiskompetenzen,<br />
insbesondere das Lesen, und<br />
evidenzbasierte Förderprogramme unzureichend.<br />
Es braucht eine grundsätzlich<br />
deutlich bessere Ausstattung von<br />
Schulen in herausfordernder Lage.<br />
Gehandelt werden muss an vielen<br />
Stellen. Drei Handlungsebenen bzw.<br />
Baustellen sollen hier kurz skizziert<br />
werden: die politische, die pädagogische<br />
und die Ausgangslage der <strong>Kinder</strong>.<br />
● Politisches Handeln<br />
Insbesondere die ökonomische<br />
Ungleichverteilung von Familieneinkommen<br />
wirkt sich auf die Bildungsbe(nach)teiligung<br />
von <strong>Kinder</strong>n aus.<br />
<strong>Kinder</strong> zu stärken verlangt daher, ihre<br />
ökonomische Ausgangslage zu verbessern<br />
und barrierefreier zu gestalten,<br />
wie es die geplante <strong>Kinder</strong>-Grundsicherung<br />
ab 2025 leisten soll. Mit der<br />
Grundsicherung wird nicht die <strong>Kinder</strong>armut<br />
abgeschafft werden können, aber<br />
es können individuelle psychische, physische<br />
und gesundheitliche Belastungen<br />
gemindert werden.<br />
Um Bildungschancen zu erhöhen,<br />
braucht es daneben eine grundsätzlich<br />
bessere Ausstattung der Bildungseinrichtungen.<br />
Schulen mit einem hohen Anteil<br />
von <strong>Kinder</strong>n aus armen Familien müssen<br />
zusätzliche Ressourcen zugewiesen bekommen,<br />
um über ausgleichende Angebote<br />
im künstlerischen, kreativen, sprachlichen,<br />
praktischen und bewegungspädagogischen<br />
Bereich <strong>Kinder</strong>n Erfahrungen,<br />
die ihnen ansonsten verwehrt bleiben, zu<br />
ermöglichen. Das bereits in der Umsetzung<br />
befindliche Startchancenprogramm<br />
wird sich auf Schulbau und Schulsanierung<br />
sowie Sozialarbeit konzentrieren.<br />
Es reicht bei Weitem nicht aus, um Schulen<br />
so auszustatten, dass sie familiale Bildungsbenachteiligungen<br />
besser kompensieren<br />
könnten. Auch schafft das zwischen<br />
den Bundesländern ausgehandelte<br />
Verteilungsverfahren der Gelder eine tatsächlich<br />
bedarfsgerechte Verteilung nicht.<br />
Von größtem Interesse für die Politik<br />
muss sein, dass <strong>Kinder</strong> und Jugendliche<br />
über ihre Schulen möglichst viel Weltwissen<br />
und Fähigkeiten erhalten, damit ihre<br />
Potenziale gefördert, ihre Beteiligung ermöglicht<br />
und ihre Chancen erhöht werden;<br />
sie werden später für eine demokratische<br />
Gesellschaft und als Fachkräfte für<br />
das Gemeinwohl aller gebraucht.<br />
● Pädagogisches Handeln<br />
Nicht alle Verantwortung, die den<br />
Bildungseinrichtungen zugeschrieben<br />
wird, kann von diesen allein gemeistert<br />
werden. Die Heterogenität der Schülerschaft<br />
hat sich zunehmend vergrößert<br />
u. a. durch den hohen Anteil an <strong>Kinder</strong>n,<br />
die zweisprachig und in unterschiedlichen<br />
kulturellen Zusammenhängen<br />
aufwachsen, die Unterschiedlichkeit<br />
der Familienkonstellationen<br />
(weg vom traditionellen Familienbild)<br />
und die veränderten Möglichkeiten der<br />
Eltern, ihre <strong>Kinder</strong> zu unterstützen. Von<br />
den Grundschulen fordert das eine hohe<br />
Anpassungsleistung, die mit zusätzlichen<br />
Ressourcen unterstützt werden muss.<br />
Diese Unterschiedlichkeit anzunehmen<br />
und die Bedürfnisse des einzelnen<br />
Kindes zu erkennen liegt in der Verantwortung<br />
der Pädagoginnen und Pädagogen<br />
und verlangt diagnostische Kompetenz<br />
und Zeit. Als wichtiger Schritt<br />
in der Unterstützung der <strong>Kinder</strong> gilt es,<br />
pädagogische Beziehungen zu intensivieren,<br />
ihr Vertrauen zu gewinnen, Geborgenheit<br />
zu geben und damit ihre Zuversicht<br />
zu erhöhen. Um die Schule als<br />
Ort der Lebens- und Lernfreude zu gestalten,<br />
als Ort der Sicherheit und Zugehörigkeit,<br />
wie es der Grundschulverband<br />
fordert (vgl. Hecker u. a. 2020), braucht<br />
es eine starke Schulgemeinschaft. Sozial<br />
ausgerichtete Aufgaben abzutrennen<br />
und an die Sozialarbeit zu „delegieren“<br />
wird dem Anspruch nicht gerecht.<br />
● Familie und Wohnumfeld –<br />
individuelle Ausgangslage<br />
Die ökonomische Ausgangslage der <strong>Kinder</strong><br />
bzw. der Familien im Wohnquartier<br />
ist insbesondere den Grundschulen<br />
meist bekannt. Aus der Wohnlage lässt<br />
sich ableiten, an welchen Erfahrungen<br />
es den <strong>Kinder</strong>n mangeln könnte, was<br />
ihnen das Leben schwer macht, woran<br />
sie nicht teilhaben können (vgl. Heft 107<br />
von Grundschule aktuell zum Thema<br />
„allen <strong>Kinder</strong>n gerecht werden“).<br />
Dafür Ausgleiche zu schaffen ist die<br />
eine Seite der Herausforderung.<br />
Schwieriger ist der Blick auf die Sorgen<br />
von <strong>Kinder</strong>n, ihre Ängste und<br />
Hemmnisse im Zusammenleben, gerade<br />
in der schwierigen Zeit während und<br />
nach der Pandemie sowie vielfältiger<br />
Krisen und Kriege in der Welt, die auch<br />
vor unseren <strong>Kinder</strong> nicht haltmachen.<br />
<strong>Kinder</strong>n über ein vertrauensvolles und<br />
respektvolles Miteinander und ehrliche,<br />
ernst gemeinte Beziehungen Zuversicht<br />
und Verlässlichkeit zu vermitteln, wird<br />
sie grundsätzlich ermutigen, ihre Ideen<br />
und Überlegungen in die Gemeinschaft<br />
einzubringen, weil sie Blamage nicht<br />
fürchten müssen. Ein vertrauensvolles<br />
Klima kann <strong>Kinder</strong>n helfen, offener zu<br />
werden und trotz wenig gesicherter Voraussetzungen<br />
einen selbstbewussteren<br />
Weg einzuschlagen. Dafür braucht es<br />
Lehrkräfte und andere Erwachsene, die<br />
ihre Fähigkeiten erkennen, ihnen Beteiligung<br />
ermöglichen, Ziele aufzeigen und<br />
verlässliche Begleitung anbieten.<br />
Weitere Unterstützungsangebote<br />
– das Dorf<br />
Alle <strong>Kinder</strong> und besonders diejenigen, die<br />
Unterstützungsbedarf signalisieren, in den<br />
Unterricht und in das soziale Miteinander<br />
der Klasse und der Schulgemeinschaft<br />
einzubinden ist eine herausfordernde<br />
pädagogische Aufgabe, die sowohl tragende<br />
pädagogische Beziehungen<br />
braucht wie auch ein „Klima“ für diesen<br />
4 GS aktuell 165 • Februar 2024
Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
inklusiven Ansatz. Als unterstützend bzw.<br />
sogar erforderlich aufgrund schulstandortspezifischer<br />
Bedingungen oder wegen<br />
der Bedürfnisse einzelner <strong>Kinder</strong> können<br />
sich außerschulische Projektangebote<br />
erweisen. Diese Anregungen und Hilfen<br />
einzubeziehen erhöht das Potenzial der<br />
Schule und zeigt gleichzeitig auf, was in<br />
Schule zum Wohl der <strong>Kinder</strong> zu leisten<br />
ist. „Außen-Angebote“ sind vielfältig und<br />
sehr unterschiedlich aufgestellt.<br />
Ein kurzer Überblick über<br />
Initiativen bzw. Anbieter:<br />
● Kommunale, regionale oder bundeslandspezifische<br />
Projekte sowie Fördermittel<br />
der Ministerien <strong>lassen</strong> sich<br />
über entsprechende Internetplattformen<br />
finden.<br />
● Die Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA) bietet Materialien<br />
und Konzeptbeispiele für<br />
Lehrkräfte an, die eingesetzt werden<br />
können, um <strong>Kinder</strong> beim Entdecken<br />
ihrer Fähigkeiten und bei der Entwicklung<br />
von mehr Selbstbewusstsein<br />
zu unterstützen. Die Materialien<br />
haben gleichzeitig Suchtprävention<br />
im Blick und machen auf Signale<br />
aufmerksam. Die Angebote können<br />
auf der Internetseite der BZgA eingesehen<br />
und überwiegend kostenlos<br />
abgerufen werden.<br />
● Serviceclubs wie Rotarier oder Lions<br />
Club und andere bieten sowohl Projekte<br />
als auch finanzielle Unterstützung<br />
an.<br />
● Anbieter aus dem kommerziellen Bereich<br />
können für die Gestaltung und<br />
die Durchführung von Schulprojekten<br />
engagiert werden. Am bekanntesten<br />
in diesem Zusammenhang sind<br />
Zirkus- und Draußenprojekte, die für<br />
<strong>Kinder</strong> eine völlig neue und stärkende<br />
Erfahrung bringen können, vor allem<br />
wenn sie mit der ganzen Schulgemeinschaft<br />
durchgeführt werden.<br />
● Ehrenamtliche Unterstützung durch<br />
sog. Grundschulpaten, die mit einzelnen<br />
<strong>Kinder</strong>n oder kleinen Gruppen<br />
in der Schule arbeiten, ihnen<br />
zuhören, sie bei den Hausaufgaben<br />
betreuen u. v. mehr.<br />
Spezielle Angebote und Programme<br />
auf dem kommerziellen Markt richten<br />
sich auch direkt an Eltern und bieten<br />
Beratung und Unterstützung an. Da<br />
diese Programme kostenpflichtig sind,<br />
bleiben sie einer bestimmten Zielgruppe<br />
vorbehalten.<br />
Positionen des Grundschulverbands<br />
Grundsätzlich verlangt das Anliegen<br />
„<strong>Kinder</strong> stärken“ – genau wie Inklusion<br />
– individuelle Erziehung und Bildung in<br />
einer Gemeinschaft von Verschiedenen<br />
mit dem Ziel, die gesellschaftliche Teilhabe<br />
für alle <strong>Kinder</strong> und Jugendlichen<br />
sicherzustellen. Das schließt klassische<br />
Lerninhalte, fächerübergreifendes<br />
und soziales Lernen wie auch die Hoffnung<br />
ein, dass jedes Kind auf Basis seiner<br />
Voraussetzungen Selbstvertrauen<br />
und Zuversicht für seine Zukunft entwickeln<br />
kann. Dafür müssen <strong>Kinder</strong> die<br />
eigenen Handlungsmöglichkeiten im<br />
Zusammenwirken mit anderen erfahren<br />
können. Dann haben sie die Chance, die<br />
sozialen Abläufe um sich herum einzuordnen,<br />
Reaktionen anderer auf ihr Verhalten<br />
besser zu verstehen und Sicherheit<br />
zu gewinnen für ihre Person und für das<br />
Mitgestalten in der Gemeinschaft.<br />
Der Grundschulverband formuliert<br />
diesen Anspruch der <strong>Kinder</strong> als allseitige<br />
Bildung und beschreibt dazu in seinen<br />
„Anforderungen an eine zukunftsfähige<br />
Grundschule“ (grundschulverband.de/<br />
unsere-themen/anforderungen-an-einezukunftsfaehige-grundschule),<br />
dass Politik,<br />
Pädagogik und Gesellschaft in der<br />
Verpflichtung stehen,<br />
– ein allseitiges Bildungsangebot bereitzustellen,<br />
– ein kindgerechtes Leistungskonzept<br />
zu entwickeln,<br />
– anregungsreiche Lernumgebungen<br />
zu schaffen,<br />
– eine qualitätsvolle Personalausstattung<br />
umzusetzen<br />
– und Konzepte für inklusives und längeres<br />
gemeinsames Lernen verbindlich<br />
festzuschreiben.<br />
Bei diesen Anforderungen geht es nicht<br />
darum, Inhalte und Gegenstände nach<br />
ihrer unmittelbaren Nützlichkeit für<br />
eine ökonomische Verwertbarkeit auszusuchen,<br />
sondern primär darum, das Kind<br />
durch eine allgemeine Bildung in seiner<br />
ganzen Persönlichkeit zu stärken.<br />
Beiträge zum Schwerpunktthema<br />
in diesem Heft …<br />
… beschreiben unterschiedliche Wege,<br />
wie es gehen kann:<br />
● Hans Brügelmann berichtet über das<br />
FIT-Prinzip von Remo Largo und die<br />
(oft fehlende) Passung von Anforderungen<br />
auf die individuellen Kompetenzen<br />
und Bedürfnisse.<br />
● Andreas Steinhöfel schildert in einem<br />
Interview seine Wahrnehmung von<br />
Ungerechtigkeit in Erinnerung an das<br />
eigene Kindsein und seine Sicht auf<br />
Schwächen und stark sein.<br />
● Petra Büker und Julia Höke beschreiben<br />
die Schritte, die eine Bildungsdokumentation<br />
kennzeichnen, und<br />
beleuchten deren Bedeutung für die<br />
Analyse und die Interpretation von<br />
Bildungsprozessen. Im Potenzial<br />
einer Bildungsdokumentation steckt<br />
der Einstieg in eine dialogische Rückmeldekultur,<br />
die Grundlage für Lernberatung<br />
und Förderpläne und die<br />
Unterstützung von professionellem,<br />
pädagogischem Handeln. Sie macht<br />
die <strong>Stärken</strong> von <strong>Kinder</strong>n beobachtungsgestützt<br />
sichtbar.<br />
● Elena Auerbach und Christiane<br />
Knott <strong>erleben</strong> in ihrer jahrgangsgemischten<br />
Eingangsklasse, wie eine<br />
wöchentliche Zeigestunde den <strong>Kinder</strong>n<br />
und ihnen beweist, dass jede<br />
und jeder etwas kann.<br />
● Irene Hoppe und Viola Petersson zeigen<br />
über den Gedankenaustausch zwischen<br />
„Rigo und Rosa“, einem <strong>Kinder</strong>buch<br />
von Lorenz Pauli, wie <strong>Kinder</strong> Mut gewinnen<br />
können, ihre Gedanken mündlich<br />
und schriftlich zu formulieren.<br />
● Tanja Schubert zeigt an den Beispielen<br />
„Gute-Taten-Leine“ und „Hände der<br />
Wertschätzung“, wie <strong>Kinder</strong> soziales<br />
Miteinander und eigene <strong>Stärken</strong> und<br />
Fähigkeiten erkunden können.<br />
● Miriam Remy berichtet unter „Schule<br />
im Aufbruch FREY DAY“, wie <strong>Kinder</strong><br />
sich stark fühlen können, wenn<br />
sie spüren, dass sie mit anpacken dürfen,<br />
dass sie gebraucht werden und ein<br />
wichtiger Teil der Gemeinschaft sind.<br />
● Michael Bauernschuster, tätig in<br />
der Schulberatung, beschreibt mit<br />
Beispielen <strong>Stärken</strong>orientierung im<br />
Unterricht und richtet den Blick<br />
auch auf den häuslichen Bereich.<br />
● Ludwig Voß zeigt am Beispiel eines<br />
aktuellen und veränderten Spielkonzepts<br />
aus dem Bereich <strong>Kinder</strong>fußball,<br />
wie sich Chancen und Potenziale für<br />
eine kindgerechte Bewegungsförderung<br />
durch neue Regeln auftun. <br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa165Lit<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
5
Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Hans Brügelmann<br />
Das FIT-Prinzip von Remo Largo<br />
Plädoyer für eine bessere Passung von individuellen<br />
Persönlichkeitsprofilen und schulischen sowie<br />
gesellschaftlichen Anforderungen<br />
Jedes Kind ist anders. Man hört diesen Satz sehr oft, wenn es um Wege des Lernens<br />
und Methoden zu seiner Unterstützung geht. Wie groß die Unterschiede<br />
tatsächlich sind, hat der Schweizer <strong>Kinder</strong>arzt und Entwicklungsforscher in seinen<br />
Züricher Längsschnittstudien mit vielen Daten eindrucksvoll nachgewiesen.<br />
Zwei Befunde sind für die Grundschuldidaktik zentral.<br />
Erstens: Schon am Schulanfang<br />
unterscheiden sich <strong>Kinder</strong> in ihren<br />
Kompetenzen und Verhaltensweisen<br />
erheblich. Drei Entwicklungsjahre<br />
Differenz sind normal. Das heißt,<br />
auch ohne medizinisch di agnostizierte<br />
Behinderung haben manche Erstklässler*innen<br />
einen Entwicklungsstand<br />
von 4- bis 5-Jährigen, während andere<br />
auf dem Stand durchschnittlicher 7- bis<br />
8-Jähriger sind, wie Largo/ Berglinger<br />
(2009, 18 ff., 284) in ihrem Band<br />
„Schülerjahre“ sehr<br />
anschaulich darstellen.<br />
Das gilt für<br />
Körpergröße und<br />
Gewicht, für Schlafgewohnheiten<br />
bzw.<br />
-bedürfnisse, aber<br />
ebenso für die motorische<br />
und für die<br />
soziale Entwicklung.<br />
Für den Anfangsunterricht besonders<br />
bedeutsam: Diese Unterschiede finden<br />
sich auch in den mathematischen und<br />
den (schrift)sprachlichen Erfahrungen<br />
und Kompetenzen, die die <strong>Kinder</strong> in die<br />
Schule mitbringen.<br />
Um dem einzelnen Kind seinen<br />
nächsten Schritt zu ermöglichen,<br />
reicht es also nicht, das eine oder andere<br />
Arbeitsblatt mehr zu geben, um<br />
„alle auf denselben Stand zu bringen“,<br />
wie oft gefordert wird. Es geht um Wissen,<br />
um Konzepte und Strategien, deren<br />
Entwicklung Zeit braucht. Und da alle<br />
<strong>Kinder</strong> dazulernen, nehmen die Unterschiede<br />
auch nicht ab. Unterricht muss<br />
sich vielmehr darauf einstellen, dass sich<br />
<strong>Kinder</strong> auf Dauer in ihren Voraussetzungen<br />
unterscheiden und dass sie unter-<br />
schiedliche Herausforderungen und Hilfen<br />
brauchen. Von allen dieselbe Leistung<br />
zum selben Zeitpunkt zu fordern<br />
macht keinen Sinn. Es braucht eine Öffnung<br />
des Unterrichts, die ein „Lernen<br />
im eigenen Takt“ ermöglicht.<br />
Zweitens machen Largo/Beglinger<br />
(2009, 285 f.) auf ein weiteres Problem<br />
aufmerksam: die „intra-individuellen“<br />
Unterschiede, also die Differenzen zwischen<br />
verschiedenen Kompetenzniveaus<br />
„innerhalb der <strong>Kinder</strong>“. Manche <strong>Kinder</strong>,<br />
die sprachlich schon sehr weit sind, liegen<br />
vielleicht in ihrer mathematischen<br />
Entwicklung weit zurück. Oder es gibt<br />
eine große Differenz zwischen dem Intelligenzniveau<br />
eines Kindes und seinen<br />
sozialen oder motorischen Kompetenzen.<br />
Daraus folgt: Jedes Kind (und<br />
ebenso jede/-r Erwachsene) hat ein individuelles<br />
Persönlichkeitsprofil, das<br />
die Bildung homogener Gruppen, z. B.<br />
in der Schule, unmöglich macht.<br />
Das sind eigentlich Binsenweisheiten.<br />
Aber immer noch bestimmen gleichschrittige<br />
Lehrgänge den Unterricht<br />
in vielen K<strong>lassen</strong>. Immer noch bleiben<br />
Schüler*innen sitzen, weil sie in einzelnen<br />
Fächern oder Fächergruppen<br />
den Anforderungen nicht gerecht werden.<br />
Und immer noch wird der Lernerfolg<br />
nicht am Fortschritt der einzelnen<br />
Schüler*innen von ihren individuell<br />
unterschiedlichen Voraussetzungen<br />
her gemessen. Stattdessen schreiben<br />
alle dieselbe K<strong>lassen</strong>arbeit am selben<br />
Tag, sind die Durchschnittsleistungen<br />
bei VERA-3 und VERA-8 mit gleichen<br />
Anforderungen für alle zur gleichen<br />
Zeit Maßstab für die Qualität des<br />
Unterrichts – nicht der Lernfortschritt<br />
der jeweiligen Klasse oder einzelner<br />
(Gruppen von) Schüler*innen, bezogen<br />
auf die jeweilige Ausgangslage und<br />
die unterschiedlichen Unterrichts- und<br />
Lernbedingungen.<br />
Das Grundproblem ist die Fehlpassung<br />
von individuellen Lernvoraussetzungen<br />
und externen Anforderungen.<br />
In seinem Buch „Das passende Leben<br />
– Was unsere<br />
Individualität ausmacht<br />
und wie wir<br />
sie leben können“<br />
(2017) diskutiert<br />
Largo diesen „Misfit“<br />
noch grundsätzlicher.<br />
Auf seiner<br />
Website (Largo<br />
o. J./ 2023, 1) bringt<br />
er seine Sicht auf den Punkt:<br />
„So wie der Mensch im Verlauf der<br />
Evolution aus einem unablässigen Zusammenwirken<br />
von Anlage und Umwelt<br />
hervorgegangen ist, bemüht sich<br />
jeder Mensch von der Kindheit bis ins<br />
hohe Alter, seine Individualität in Übereinstimmung<br />
mit der Umwelt zu leben.<br />
Das Baby will so viel Milch trinken, wie<br />
es für sein Wachstum benötigt, nicht<br />
weniger, aber auch nicht mehr. Das<br />
Schulkind will dann lesen und rechnen<br />
lernen, wenn es entwicklungsmäßig<br />
dazu bereit ist. Der Erwachsene<br />
will bei der Arbeit die Leistung erbringen,<br />
zu der er fähig ist. Das Bemühen,<br />
seine Bedürfnisse zu befriedigen und<br />
seine Fähigkeiten zu entfalten und sie<br />
nutzen zu können, trägt wesentlich zum<br />
Lebenssinn bei, von der Geburt bis ans<br />
Lebensende.“<br />
Um dies zu konkretisieren, unterscheidet<br />
Largo (2017, 183 ff.) in seinem Fit-Konzept<br />
sechs Grundbedürfnisse sowie acht<br />
Kompetenzen (2017, 212 ff.).<br />
Den oben skizzierten Befund der großen<br />
Unterschiede in den Kompetenzpro-<br />
6 GS aktuell 165 • Februar 2024
Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Kompetenzen<br />
Kompetenzen<br />
Körperliche<br />
Soziale<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
21<br />
0<br />
Sprachliche<br />
Körperliche<br />
Soziale<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
21<br />
0<br />
Sprachliche<br />
Motorische<br />
Musikalische<br />
Motorische<br />
Musikalische<br />
Zeitlichplanerische<br />
Figuralräumliche<br />
Zeitlichplanerische<br />
Figuralräumliche<br />
Logischmathematische<br />
Logischmathematische<br />
Abb. 1 (S. 355): Kompetenzprofil von Jakob (Immobilienmakler)<br />
Abb. 2 (S. 359): Kompetenzprofil von Erika (Künstlerin)<br />
filen macht er über Spinnennetze wie in<br />
den folgenden Beispielen (Abb. 1 und 2)<br />
anschaulich vergleichbar:<br />
Largo ergänzt diese Dimension durch<br />
eine analoge Darstellung der jeweiligen<br />
Bedürfnisprofile, die sich ebenfalls von<br />
Person zu Person unterscheiden (s. die<br />
Beispiele in Abb. 3 und 4).<br />
Ein „gutes Leben“ wird aus Largos<br />
Sicht dann möglich, wenn die Anforderungen<br />
im Beruf, im Privatleben, aber<br />
auch in der Schule Möglichkeiten bieten,<br />
die persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen<br />
und individuelle <strong>Stärken</strong> zur Geltung<br />
zu bringen:<br />
Das Fit-Prinzip besagt: Jeder Mensch<br />
strebt danach, mit seinen individuellen<br />
Bedürfnissen und Begabungen<br />
in Übereinstimmung mit der Umwelt<br />
zu leben. Das Prinzip beruht auf einer<br />
ganzheitlichen Sichtweise, die die Vielfalt<br />
unter den Menschen, die Einzigartigkeit<br />
jedes einzelnen und das Zusammenwirken<br />
von Individuum und<br />
Umwelt als Grundlage der menschlichen<br />
Existenz versteht.<br />
Aber die Wirklichkeit sieht oft anders<br />
aus – gerade in der Schule. Aus seiner<br />
kinderärztlichen Praxis in Zürich berichtet<br />
Largo (2017, 14 f.):<br />
„Der oftmals unausgesprochene Auftrag<br />
der Eltern und Lehrer an uns bestand<br />
darin, die <strong>Kinder</strong> durch die Förderung<br />
in die ‚Norm‘ zu bringen, was<br />
– wie uns die langjährige Erfahrung gelehrt<br />
hat – nicht gelingen kann. Wir sahen<br />
das eigentliche Problem darin, dass<br />
sie, weil sie den Normvorstellungen<br />
nicht entsprachen, nicht ‚sie selbst‘ sein<br />
durften. So versuchten wir, den <strong>Kinder</strong>n<br />
zu helfen, indem wir ihre individuellen<br />
Bedürfnisse und Fähigkeiten erfassten<br />
und dann gemeinsam mit den Eltern<br />
und anderen Bezugspersonen überlegten,<br />
wie das jeweilige Kind mit seinen<br />
<strong>Stärken</strong> und Schwächen am besten<br />
unterstützt werden konnte.“<br />
Bezogen auf die von Largo postulierten<br />
Grundbedürfnisse müssen wir<br />
uns also fragen: Gewährleisten die<br />
Bedingungen in unseren Schulen, dass<br />
<strong>Kinder</strong> und Jugendliche sich wohl,<br />
sicher, geborgen fühlen – mit Raum<br />
zur Selbstentfaltung und mit Möglichkeiten,<br />
ihre Kompetenzen zu zeigen?<br />
Erhalten sie Anerkennung für ihre <strong>Stärken</strong>,<br />
z. B. durch Zertifikate für Leistungen,<br />
die nicht im Normcurriculum stehen?<br />
Können sie Neigungen und Fähigkeiten<br />
entwickeln, die ihre individuelle<br />
Stärke ausmachen, und erhalten<br />
sie Hilfen für den Umgang mit ihren<br />
Schwächen, zunächst um wenigstens<br />
ein Basisniveau in existenziell wichtigen<br />
Kompetenzen zu erreichen, und<br />
dann um zu lernen, mit ihren Grenzen<br />
zu leben?<br />
Der Grundschulverband hat seine<br />
Antwort auf diese kritischen Fragen in<br />
seinen Anforderungen an die Grundschule<br />
der Zukunft gegeben, die auf<br />
dem Bundesgrundschulkongress zum<br />
100-jährigen Bestehen der Grundschule<br />
entwickelt wurden (vgl. Hecker u. a.<br />
2020a). Dort heißt es (S. 9 und 16 ff.):<br />
„Die Grundschule der Zukunft ist:<br />
… eine Schule der allseitigen Bildung<br />
… eine Schule, die Leistungen<br />
würdigt und fördert<br />
… ein Ort der Lebens- und Lernfreude<br />
… eine demokratische Schule<br />
… eine Schule individuellen und<br />
gemeinsamen Lernens<br />
… eine Schule für alle <strong>Kinder</strong>.“<br />
Diese Grundanforderungen werden für<br />
die einzelnen Fächer und Lernbereiche<br />
konkretisiert in den anschließenden<br />
Beiträgen (a. a. O., 30 ff.) und für<br />
das Schulleben und die Unterrichtsgestaltung<br />
insgesamt in einem zweiten<br />
Band (Hecker u. a. 2020b). Auch immer<br />
mehr Bürgerinnen und Bürger engagieren<br />
sich für eine andere Schule (s. meinen<br />
Beitrag zum „Bürgerrat Bildung<br />
Remo Hans Largo (1943–2020)<br />
war <strong>Kinder</strong>arzt, Entwicklungsforscher<br />
und Autor bekannter Sachbücher zur<br />
Erziehung wie „Babyjahre“ (1993/2017)<br />
„<strong>Kinder</strong>jahre“ (1999/2019) und<br />
„Schülerjahre“ (2009).<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
7
Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Grundbedürfnisse<br />
Körperliche<br />
Integrität<br />
Grundbedürfnisse<br />
Körperliche<br />
Integrität<br />
Existentielle<br />
Sicherheit<br />
7<br />
6543210<br />
Geborgenheit<br />
Existentielle<br />
Sicherheit<br />
7<br />
6543210<br />
Geborgenheit<br />
Leistung<br />
Soziale<br />
Anerkennung<br />
Stellung<br />
Leistung<br />
Soziale<br />
Anerkennung<br />
Stellung<br />
Selbstentfaltung<br />
Abb. 3 (S. 355): Bedürfnisprofil von Jakob (Immobilienmakler)<br />
Selbstentfaltung<br />
Abb. 4 (S. 359): Bedürfnisprofil von Erika (Künstlerin)<br />
und Lernen“ und zur Aktion „Bildungswende<br />
jetzt!“ in diesem Heft).<br />
Für Largo reichen die Konsequenzen<br />
weit über die Schule hinaus. Er fordert<br />
ein Umdenken, das alle Bereiche unseres<br />
Lebens betrifft – auch im Erwachsenenalter<br />
(o. J./2023, 5):<br />
„Es gibt zahlreiche Gründe, weshalb<br />
die heutige Gesellschaft und Wirtschaft<br />
es uns immer schwerer macht, unsere<br />
Grundbedürfnisse zu befriedigen. So<br />
wird die Digitalisierung und Automatisierung<br />
in der Wirtschaft dazu führen,<br />
dass es zukünftig immer weniger Arbeit<br />
geben wird.<br />
(…)<br />
Immer mehr Menschen haben das<br />
Hamsterrad einer sinnentleerten Arbeit<br />
satt und suchen nach alternativen Lebensformen.<br />
Sie wollen Sinnvolles leisten,<br />
etwas, das sie befriedigt und der<br />
Gemeinschaft dient. Sie wollen vermehrt<br />
in stabilen Gemeinschaften leben,<br />
beispielsweise in Mehrgenerationenhäusern.<br />
Wir müssen uns daranmachen,<br />
Gesellschaft und Wirtschaft<br />
umzugestalten. Wenn das gegenwärtige<br />
Gesellschafts- und Wirtschaftssystem<br />
an seine Grenzen kommt, müssen<br />
wir alternative Lebensformen geschaffen<br />
haben. Ein sozialer und wirtschaftlicher<br />
Zusammenbruch oder gar ein<br />
Krieg, Ereignisse, wie sie früher immer<br />
dann aufgetreten sind, wenn ein System<br />
an seine Grenzen kam, können wir<br />
uns nicht mehr leisten. Wir müssen das<br />
scheinbar Unmögliche denken.“<br />
Damit anfangen können und sollten wir<br />
in der Grundschule! <br />
Literatur<br />
Hecker, U., u. a. (Hrsg.) (2020a): KINDER<br />
LERNEN ZUKUNFT: Anforderungen und<br />
tragfähige Grundlagen. Beiträge zur Reform<br />
der Grundschule, Bd. 150. Grundschulverband:<br />
Frankfurt.<br />
Hecker, U., u. a. (Hrsg.) (2020b): KINDER<br />
LERNEN ZUKUNFT: Über die Fächer<br />
hinaus – Prinzipien und Perspektiven.<br />
Beiträge zur Reform der Grundschule, Bd.<br />
151. Grundschulverband: Frankfurt.<br />
Largo, R. (o. J./2023): DAS FIT-PRINZIP.<br />
Download: https://www.largo-fitprinzip.<br />
com/fit-prinzip.html (Abruf: 8.12.2023)<br />
Largo, R. (2017): Das passende Leben. Was<br />
unsere Individualität ausmacht und wie wir<br />
sie leben können. S. Fischer: Frankfurt.<br />
Largo, R./ Beglinger, M. (2009): Schülerjahre.<br />
Wie <strong>Kinder</strong> besser lernen. Piper: München.<br />
„Schularchitektur und Lernraumkultur“<br />
Der Band 157 „Schularchitektur und Lernraumkultur“<br />
zeigt mit einer Vielfalt an Texten<br />
und Fotos Möglichkeiten für eine Planung von<br />
Schulen sowie Neugestaltung von Lernräumen<br />
auf, die sowohl Schulbauplaner:innen als auch<br />
Kollegien Perspektiven und Impulse bieten.<br />
Eine Reise zu den interessantesten Grundschulen<br />
in anderen Ländern und auch bei uns in<br />
Deutschland mit unserem Fotoband im DINA 4<br />
Format aus der Buchreihe „Reform der Grundschule“<br />
erscheint im März.<br />
8 GS aktuell 165 • Februar 2024
Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
„Irgendwie sind wir alle<br />
etwas schräg …“<br />
Für <strong>Kinder</strong> schreiben, Eltern und Lehrkräfte berühren –<br />
aber nicht pädagogisieren<br />
Der <strong>Kinder</strong>buchautor Andreas Steinhöfel (AS) im Videogespräch mit Hans<br />
Brügelmann und Erika Brinkmann (GSa), begleitet von Gabi Klenk und Maresi<br />
Lassek als Dokumentatorinnen<br />
GSa: Herr Steinhöfel, heute ist der<br />
„Tag der <strong>Kinder</strong>rechte“. Sie sind ja<br />
zu einer Zeit in die Schule gegangen,<br />
die weit vor der Verabschiedung der<br />
UN-<strong>Kinder</strong>rechtskonvention lag. Wie<br />
haben Sie damals in den 1960er-Jahren<br />
den Umgang der Erwachsenen mit<br />
<strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen erlebt?<br />
AS: In der Grundschule hatte ich selbst<br />
großes Glück. Ich bin in eine Klasse<br />
gekommen mit einem sehr jungen Lehrer,<br />
der hat als allererste Amtshandlung<br />
verfügt, dass ich weiter mit der linken<br />
Hand schreiben durfte. Ich hatte schon<br />
angefangen zu schreiben, weil ich neugierig<br />
war. Ich selbst habe ihn als extrem<br />
aufgeschlossen empfunden als Kind.<br />
Man konnte ihn alles fragen.<br />
GSa: Und wie war das bei den anderen<br />
<strong>Kinder</strong>n?<br />
AS: Ich hatte zwei Mitschülerinnen,<br />
die kamen aus ganz, ganz schwierigen<br />
sozialen Verhältnissen, aus einem<br />
Ortsteil, wo jedem klar war, dass sie es<br />
schwer haben würden. Sie kamen zum<br />
Beispiel häufig ohne Hausaufgaben und<br />
SUBTIL: Wenn etwas so unauffällig ist,<br />
dass man es fast nicht bemerkt. Neulich<br />
auf dem Rixdorfer Weihnachtsmarkt hat<br />
mir zum Beispiel der Bühl einen Crêpe<br />
gekauft, der auffällig subtil mit Nutella<br />
bestrichen war. Vermutlich bestellt man<br />
besser Nutella mit Crêpe.<br />
(Aus: Rico, Oskar und das<br />
Vomhimmelhoch, S. 71)<br />
In den Kästen haben wir Definitionen<br />
eingestreut, mit denen sich der „tiefbegabte“<br />
Rico aus Steinhöfels Buchreihe „Rico, Oskar<br />
und …“ schwierige Begriffe erklärt und zu<br />
merken versucht.<br />
dann hat der Lehrer ihnen dieses Hausaufgabenheft<br />
um die Ohren geschlagen.<br />
Das war körperliche Misshandlung aus<br />
heutiger Perspektive. Als Kind nimmst<br />
du so etwas erst mal an und denkst: Ja<br />
selber schuld! Ich habe ja auch Prügel<br />
gekriegt zu Hause, wenn ich Mist gebaut<br />
habe. Ich weiß aber, dass ich das damals<br />
als so ungerecht empfunden habe, weil<br />
ich ja wusste, den Mädchen geht es doch<br />
sowieso nicht so gut. Warum werden die<br />
jetzt auch noch gehauen? Ich hab mich<br />
nicht getraut, etwas zu sagen, keiner hat<br />
sich getraut. Erst viele Jahre später habe<br />
ich den Lehrer bei einem Treffen darauf<br />
angesprochen.<br />
GSa: Hat sich die Schule denn aus<br />
Ihrer Sicht seitdem verändert?<br />
AS: Ich habe eine Nichte, die gerade 15<br />
geworden ist, die andere Nichte kommt<br />
nächstes Jahr in die fünfte Klasse. Beim<br />
Übergang <strong>erleben</strong> wir bei den Tagen der<br />
offenen Türe sehr viel Zuwendung von<br />
den Lehrern. Und das ist erfreulich.<br />
Aber in der Grundschule beobachte<br />
ich zum Teil eine extrem enge emotionale<br />
Bindung an die Lehrer und Lehrerinnen,<br />
das geht über so eine Art<br />
Freundschaftsebene. Erst mal finde ich<br />
es sehr gut, dass diese Nähe da ist. Aber<br />
gleichzeitig sehe ich es als problematisch<br />
an, weil ein kritischer Abstand zu dieser<br />
Person bei den <strong>Kinder</strong>n völlig fehlt.<br />
Einen respektvollen Abstand in beide<br />
Richtungen finde ich notwendig für<br />
diese Institution. Mein Lehrer damals<br />
war nett, er hätte aber niemals eine solche<br />
Nähe zuge<strong>lassen</strong>.<br />
GSa: Aber das ist etwas anderes als der<br />
Schulalltag in den 1960ern, da war das<br />
nicht wechselseitiger Respekt, sondern<br />
einseitiger Autoritätsanspruch, oder?<br />
Andreas Steinhöfel<br />
Andreas Steinhöfel, *1962, Autor von<br />
<strong>Kinder</strong>- und Jugendliteratur und Drehbüchern<br />
sowie Übersetzer, erhielt im<br />
November 2023 gemeinsam mit Maresi<br />
Lassek und anderen für Bildung und<br />
Demokratie engagierten Bürgerinnen<br />
und Bürgern im Schloss Bellevue aus<br />
der Hand des Bundespräsidenten das<br />
Bundesverdienstkreuz.<br />
Aus der Begründung:<br />
Mit dem unterschiedlichen Freundespaar<br />
„Rico und Oskar“ hat er zwei der seit<br />
Jahren bekanntesten <strong>Kinder</strong>buchhelden<br />
geschaffen. Die beiden gehören zur<br />
vielgestaltigen Welt seiner Figuren, die<br />
oftmals Außenseiter oder Benachteiligte<br />
sind. Voller Empathie und Sinn für Spannung<br />
erzählt Andreas Steinhöfel die Geschichten<br />
dieser Alltagshelden, mit denen<br />
er junge Menschen ermutigt, an sich<br />
selbst zu glauben. Dabei macht er seinen<br />
jungen – wie auch den zahlreichen erwachsenen<br />
– Leserinnen und Lesern die<br />
Bedeutung von Werten wie Toleranz und<br />
Weltoffenheit eindringlich klar.<br />
AS: Ja, wir hatten damals in der ersten<br />
Klasse <strong>Kinder</strong>, deren Eltern Gastarbeiter<br />
waren. Damals hieß das noch „Gastarbeiterkind“,<br />
der erste, der kam, war<br />
ein spanischer Junge.<br />
Links von der Tafel stand der Tisch<br />
mit dem kleinen spanischen Jungen<br />
dran, der kein Deutsch konnte. Und<br />
er saß dann da und guckte die Wand<br />
an, vier Jahre lang. Das war eine Katastrophe.<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
9
Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
ORTHOGRAFIE: Heißt Rechtschreibung<br />
in kompliziert. Es ist kein Wunder, dass<br />
ich Schwierigkeiten damit habe, weil<br />
rechts drin vorkommt. Es muss also auch<br />
eine Linksschreibung geben. Möge Gott<br />
mich davor beschützen!<br />
(Aus: Rico, Oskar und die<br />
Tieferschatten, S. 218)<br />
Und der spanische Junge, auch das<br />
habe ich später erfahren, dem ging es<br />
zu Hause überhaupt nicht gut. Der Junge<br />
hatte einen sehr schlagkräftigen Vater,<br />
und er war einfach eine ganz arme<br />
Wurst. Da regt sich, glaube ich, in fast jedem<br />
Kind ein Unrechtsempfinden, denn<br />
man merkte ja, dass der Junge nicht<br />
glücklich war. Er stand in den Pausen<br />
allein da, auch wenn er nicht gemobbt<br />
wurde, das weiß ich auch noch.<br />
Oft lief das Unglück aus dem Jungen<br />
raus wie so eine schwarze Soße, manchmal<br />
auch aus diesen beiden Mädchen,<br />
die ich bereits erwähnte. Mich hat das<br />
wahnsinnig beschäftigt. Ich wage sogar<br />
zu behaupten, dass sich das bis in meine<br />
spätere Arbeit reingetragen hat, dieses<br />
Mitempfinden von Unglück von <strong>Kinder</strong>n,<br />
die gar nichts dafür können.<br />
GSa: Und wie war das auf der<br />
Leistungsebene? Sie haben das ein<br />
bisschen angedeutet mit den zwei Mitschülerinnen<br />
aus Ihrer Klasse: <strong>Kinder</strong><br />
kommen ja mit sehr unterschiedlichen<br />
Voraussetzungen in die Schule.<br />
Aber die Schule erwartet irgendwie<br />
von allen zur selben Zeit das Gleiche,<br />
obwohl sie nicht dieselben Chancen<br />
haben, das auch zu leisten. Was können<br />
Lehrerinnen da tun?<br />
AS: Ja, was macht Schule mit <strong>Kinder</strong>n,<br />
die einen ganz bestimmten Leistungsanspruch<br />
nicht erfüllen, einem gefühlten<br />
Durchschnittsanspruch nicht gerecht<br />
werden? Ich glaube, da können Lehrer<br />
partiell ausgleichen, Lehrer, die empathisch<br />
genug dafür sind oder die auch<br />
sehen, woran bestimmte Lerndefizite liegen.<br />
Das setzt aber immer voraus, dass<br />
diese Lehrer die Zeit haben, um nicht nur<br />
wahrzunehmen und aufzunehmen, sondern<br />
das auch zu durchdenken und dann<br />
mit dem Kind zu bearbeiten. Die meisten<br />
Lehrer, die ich kenne, die haben diese<br />
Zeit nicht, sie stehen selber unter extremem<br />
Leistungsdruck.<br />
GSa: Ist das wirklich primär eine<br />
Zeitfrage und nicht erst einmal eine<br />
Haltungsfrage? Gerade wenn ich<br />
Ihre Bücher angucke, dann spricht<br />
daraus ja ein Bild von Menschen –<br />
unabhängig davon, wo sie Schwächen<br />
haben, sie ernst zu nehmen und zu<br />
versuchen, mit Ihnen wertschätzend<br />
umzugehen.<br />
AS: Ich werde ja oft gefragt: Wie<br />
kannst du <strong>Kinder</strong>bücher schreiben,<br />
wie kannst du dich da reinfühlen? Na<br />
ja, ich war ja mal ein Kind. Das heißt,<br />
dieser Zugang zum eigenen Kind, dem<br />
berühmten „inneren Kind“, der war mir<br />
wahrscheinlich nie versperrt. Ich ging<br />
lange irrtümlich davon aus, dass dieser<br />
Zugang natürlich jedem Erwachsenen<br />
offensteht. Aber das ist mitnichten so.<br />
Inzwischen habe ich gelernt, dass viele,<br />
viele Erwachsene dieses rückblickende<br />
Einfühlungsvermögen nicht haben. Und<br />
die dürften natürlich nicht Lehrer werden.<br />
Es braucht Menschen, die sehen,<br />
die erkennen, was dem Kind fehlt. Das<br />
war schon vor 40 Jahren so, als ich selber<br />
Lehramt studierte.<br />
GSa: Auf der anderen Seite stehen<br />
die, die besonders sensibel und wahrnehmungsfähig<br />
sind. Und da gilt<br />
dann, dass nicht nur Schwächen <strong>Stärken</strong><br />
sein können, wie es zum Beispiel<br />
bei Rico und Oskar so deutlich wird,<br />
sondern auch <strong>Stärken</strong> sich als Handicap<br />
erweisen können, weil man es<br />
nicht aushält, was diese <strong>Kinder</strong> alles<br />
an Päckchen zu tragen haben, und<br />
sich damit überfordert, allen in allem<br />
gerecht werden zu wollen.<br />
Wie ist es gekommen, dass diese Dialektik<br />
von Stärke und Schwäche eine so<br />
große Rolle in ihren Büchern spielt?<br />
AS: Das ist tatsächlich schwierig zu<br />
beantworten. Ich weiß, dass ich immer<br />
versucht habe, aus meinen eigenen<br />
Schwächen <strong>Stärken</strong> zu machen bzw.<br />
dass ich versucht habe, meine eigenen<br />
Schwächen hervorzukehren, weil sie<br />
SIMULIEREN: So tun, als ob. Zugegeben,<br />
das sind vier Wörter, um ein Wort<br />
zu erklären. Aber in beiden Fällen sind<br />
es gleich viele Buchstaben. Da könnte<br />
man es auch gleich so sagen, dass es<br />
jeder versteht.<br />
(Aus: Rico, Oskar und die<br />
Tieferschatten, S. 42)<br />
dann nicht mehr als Schwächen wahrgenommen<br />
werden.<br />
Und ich will den <strong>Kinder</strong>n zeigen, dass<br />
Schwächen nicht schlimm sind, dass sie<br />
trotz ihrer Schwächen stark sein dürfen<br />
und dass sie gegen Erwachsene bestehen<br />
können.<br />
GSa: Was kann das für Lehrerinnen<br />
bedeuten? Teilen Sie meine Lesart,<br />
dass drei zentrale Botschaften in den<br />
Rico-Bänden stecken. Zuerst: Wenn<br />
ein Kind von der Norm abweicht,<br />
dann denk daran, dass in diesem<br />
Anderssein auch etwas Positives stecken<br />
kann. Langsamkeit kann auch<br />
Nachdenklichkeit einschließen. Zweitens:<br />
Schau, ob das Kind nicht in<br />
anderen Bereichen <strong>Stärken</strong> hat, die du<br />
übersiehst, weil du immer nur darauf<br />
guckst, ob es einer bestimmten fachlichen<br />
Erwartung gerecht wird.<br />
Ja, und den <strong>Kinder</strong>n müssten sie<br />
vermitteln: Selbst wenn du in manchen<br />
Bereichen eine große Schwäche<br />
hast, du hast die Chance, dass du einen<br />
Teampartner findest, der kann das<br />
kompensieren. Und zu zweit seid ihr<br />
doppelt stark, weil du vielleicht auch<br />
etwas hast, was er nicht hat.<br />
AS: Ja, aber es gibt auch Schwächen, die<br />
darf man nicht schönreden. Und dann<br />
fände ich es besser, einem Kind beizubringen,<br />
verlieren zu können, also eine<br />
Resilienz zu entwickeln und sich eben<br />
immer noch als menschlich wertvoll zu<br />
empfinden. Denn am Menschenwert an<br />
sich ändert auch Bildung nichts. Das<br />
ist ja zentraler Punkt.<br />
GSa: Da sind wir wieder bei den<br />
Lehrerinnen. Melden die dem Kind<br />
zurück: Du kannst zwar bestimmte<br />
Dinge nicht, aber als Mensch bist du<br />
uns wichtig – oder wird dieses Versagen<br />
zu einer moralischen Abwertung<br />
der Person?<br />
AS: Ja, vielleicht wäre das die richtige<br />
Herangehensweise, wie Sie gerade<br />
sagen: Du bist uns wichtig als Mensch<br />
oder du bist wichtig in der Gruppe.<br />
Zum Beispiel gäbe es die Möglichkeit,<br />
das Spektrum an Dingen, die bewertet<br />
werden, zu erweitern, also von Fächern<br />
wegzugehen und zu sagen: Guck mal,<br />
der kann nicht so gut Mathe oder<br />
Deutsch, aber das ist ein wunderbarer<br />
Mediator, wenn es ums Zwischenmenschliche<br />
geht oder …<br />
10 GS aktuell 165 • Februar 2024
Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
GSa: … der kümmert sich zum Beispiel<br />
um die kleinen Geschwister oder<br />
hilft bei Streitereien …<br />
AS :… ja, all solche Dinge. Da wäre toll<br />
zu merken, da ist die Wertschätzung<br />
auf einer anderen Ebene, die vielleicht<br />
auch gar nicht benotet werden muss,<br />
weil dann die Kiddies ein ganz anderes<br />
Erfolgserlebnis hätten. Aber nur, weil du<br />
auf deine Geschwister aufpasst, heißt<br />
das nicht, dass du kein Deutsch lernen<br />
musst oder kein Mathe oder so. Prinzipiell<br />
wäre es vielleicht was Schönes,<br />
wenn man den Blick so erweitert …<br />
GSa: … und vielleicht nicht nur was<br />
Schönes. Denn wenn jemand sich als<br />
Mensch anerkannt fühlt, traut er sich<br />
vielleicht auch eher, an seiner Schwäche<br />
zu arbeiten, weil er sie sich eingestehen<br />
kann, was er nicht kann, wenn diese<br />
Schwäche nicht zum Anlass wird, ihn<br />
als Person abzuwerten.<br />
AS: Genau! Aber dazu noch eine<br />
Anmerkung. Es heißt immer, wir müssen<br />
auch die Schwachen mitnehmen,<br />
und das unterschreibe ich. Aber bitte<br />
frag die doch vorher, soweit das ein<br />
Kind schon entscheiden kann, ob es<br />
mitgenommen werden möchte. Vielleicht<br />
sagt es: Das ist ja schön, dass du<br />
mir das Lesen nahebringen willst. Aber<br />
ich möchte, ich brauche das jetzt überhaupt<br />
nicht. Ich habe diese Diskussion<br />
mit Eltern häufig. Wenn die dann sagen:<br />
„Schreiben Sie doch da was, damit mein<br />
Kind liest.“ – „Und warum möchten Sie<br />
das denn gerne, dass Ihr Kind liest?“ –<br />
„Ja, damit das dann zum Beispiel später<br />
Zeitung lesen oder Internet und<br />
HYPNOSE: Wenn etwas oder jemand<br />
anderes dir seinen Willen aufzwingt. Du<br />
musst dann tun, was von dir verlangt<br />
wird, und kannst dich nicht wehren.<br />
Zum Beispiel guckst du einen Schokoriegel<br />
an und er zwingt dich, ihn sofort<br />
zu essen. Vom Schokoriegel ist das natürlich<br />
dumm. Denn erstens hat er nach<br />
dem Essen keine Macht mehr über dich,<br />
und zweitens hättest du ihn ja auch freiwillig<br />
verputzt.<br />
(Aus: Rico, Oskar und das<br />
Vomhimmelhoch, S. 10)<br />
sich eine eigene Meinung bilden kann.“<br />
Ich sage dann, okay, aber aktuell ist Ihr<br />
Kind ja der Meinung, dass es nicht lesen<br />
möchte. Was ist denn jetzt daran falsch?<br />
GSa: Sind Ihnen Ihre Buchfiguren<br />
in dieser Komplexität<br />
eigentlich von Anfang an vor<br />
Augen oder entwickeln diese<br />
ein Eigenleben, während Sie<br />
schreiben?<br />
AS: Eigentlich ist beides da. Da<br />
ist schon so eine recht deutliche<br />
Vorstellung, zumindest von den<br />
Hauptfiguren, wie ich sie gerne<br />
hätte. Ich kaue gerade an einem<br />
anderen Stoff, wo ich mit der Hauptfigur<br />
zum Beispiel noch gar nicht klar bin,<br />
und merke, ich würde gerne anfangen<br />
zu schreiben, aber es hat überhaupt keinen<br />
Sinn, solange diese Figur emotional<br />
nicht richtig ausgestattet ist. Und dann<br />
kommen während des Schreibens die<br />
Feinheiten noch dazu, die mich manchmal<br />
selbst überraschen.<br />
VERB: Wort für Dinge, die man tut, deshalb<br />
heißt es auch Tuwort. Zum Beispiel<br />
schlafen, stehen, sitzen. Das Getue kann<br />
man zusätzlich noch beugen, das nennt<br />
man dann Grammatik und die ist ziemlich<br />
kompliziert, denn beim Schlafen,<br />
Stehen, Sitzen tut man ja gar nichts,<br />
schon gar nichts mit Verbeugungen. Es<br />
müsste also eigentlich Lasswort heißen,<br />
aber das ist leider auch so ein Gegenteilwort,<br />
das es nicht gibt.<br />
(Aus: Rico, Oskar und das<br />
Vomhimmelhoch, S. 10)<br />
Anfangs gebe ich jeder Figur drei<br />
Eigenschaften mit, und der Rest ergibt<br />
sich dann von alleine. Und zwar<br />
möglichst drei Eigenschaften, die nach<br />
außen nicht gut zusammenpassen, die<br />
also sehr vielfältige oder auch disparate<br />
Persönlichkeiten charakterisieren, in<br />
denen sich ganz viele Dinge vereinen.<br />
Das macht uns ja so spannend als ein<br />
Gegenüber. Das ist so ein bisschen Menschenkunde,<br />
die auch die <strong>Kinder</strong> betreiben<br />
dürfen und können. Was eben die<br />
Lehrer erkennen sollen, das sollten <strong>Kinder</strong><br />
schon auch erkennen dürfen.<br />
<strong>Kinder</strong> können, das wissen wir, zum<br />
Beispiel echt eklig sein, auch kleine<br />
Mobber. Und dann hilft es demjenigen,<br />
der gemobbt wird, gar nicht, dass dieses<br />
Mobbing-Kind selber Probleme zu Hause<br />
hat. Wenn ich eins auf die Mütze kriege,<br />
dann kriege ich das auf die Mütze,<br />
und dann ist mir egal, warum der andere<br />
das macht. Der hat sie dann einfach<br />
nicht mehr alle.<br />
Aber es wäre schön, <strong>Kinder</strong>n zu eröffnen:<br />
Irgendwie sind wir alle etwas<br />
schräg. Du denkst vielleicht, du hast ein<br />
komisches Leben, aber wir haben alle<br />
ein komisches Leben. Jeder von uns.<br />
GSa: Mich haben in Ihren Rico-<br />
Bänden immer die Einschübe mit<br />
Ricos persönlichen Erklärungen<br />
unbekannter Begriffe fasziniert (s.<br />
einige Beispiele in den Kästen). Haben<br />
Sie sich die ganz ausgedacht, oder<br />
sind Sie zum Teil auch von <strong>Kinder</strong>äußerungen<br />
inspiriert worden?<br />
AS: Die sind komplett ausgedacht.<br />
Ursprünglich wollte ich nur aus der<br />
Perspektive des hochbegabten Oskar<br />
schreiben, aber das hat überhaupt nicht<br />
funktioniert. Und dann habe ich den<br />
kleinen „Tiefbegabten“ dazugeholt. Der<br />
war anfangs einfach der Doofe, der war<br />
für die Gags zuständig, aber die Gags<br />
gingen auf seine Kosten. Da habe ich<br />
schnell gemerkt: Das geht gar nicht, ich<br />
will nicht ein Kind, das ich lächerlich<br />
mache. Aber da war immer die Angst,<br />
dass er trotzdem irgendwie als zu doof<br />
rüberkommen könnte. Also habe ich<br />
die Story kurzerhand aus seiner Perspektive<br />
verfasst, und da entstand dann<br />
auch die Idee hinter den Kästchen: Dass<br />
man sieht, Rico kann zwar nur geradeaus<br />
laufen, aber er kann super um drei<br />
Ecken denken! Denn darin offenbart<br />
sich ja seine Intelligenz, dass er in der<br />
Lage ist, ganz toll psychologisch Dinge<br />
zu durchschauen, und diese dann nur<br />
eben anders formuliert, als wir sie formulieren<br />
würden.<br />
GSa: Vielen Dank, lieber Herr Steinhöfel,<br />
für diesen anregenden Austausch!<br />
<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
11
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Petra Büker und Julia Höke<br />
Reflexion im Dialog<br />
Ein Modell für eine <strong>Kinder</strong>, Eltern, Teams und<br />
Schule stärkende Bildungsdokumentation<br />
Bildungsbeobachtung und -dokumentation bilden eine Kernaufgabe innerhalb<br />
einer ressourcenorientierten, kinder stärkenden Pädagogik und Didaktik in der<br />
Grundschule. Wenngleich der Anspruch einer systematischen Verankerung von<br />
Beobachtung und Dokumentation vor den aktuellen Herausforderungen im<br />
Schulalltag als zusätzliche zeitliche Belastung, vielleicht gar überfordernd erscheint,<br />
sehen wir insbesondere in dieser eine Möglichkeit, nicht nur <strong>Kinder</strong>,<br />
sondern auch Eltern, Kollegien und Grundschulen selbst zu stärken. Dazu bieten<br />
wir ein strukturiertes Modell an, welches die Kernelemente bzw. Phasen<br />
einer Bildungsdokumentation mit konkreten Reflexionsfragen verknüpft, deren<br />
Beantwortung auf unterschiedlichen Ebenen einen Dialog zwischen Lehrkräften,<br />
<strong>Kinder</strong>n, Eltern, Kollegien und Leitungen anregen kann.<br />
Bildungsdokumentation – das auch<br />
noch? Grundschulen stehen mehr<br />
denn je vor vielfältigen Herausforderungen.<br />
Lehrkräftemangel, die<br />
Nachwehen der Covid-19-Pandemie<br />
und die Ergebnisse der aktuellen Schulleistungsvergleichs-<br />
sowie Gesundheitsstudien<br />
beeinflussen sowohl den Blick<br />
von außen auf die Grundschule und die<br />
Lehr- und Fachkräfte als auch den eigenen<br />
Blick der schulischen Akteure auf<br />
den pädagogischen Alltag, die <strong>Kinder</strong><br />
und die eigene Rolle in der Institution.<br />
Die abnehmenden Kompetenzen in<br />
basalen Bildungsbereichen wie Lesen,<br />
Schreiben, Mathematik und Naturwissenschaften,<br />
die Häufung von Problemen<br />
im emotional-sozialen Bereich und<br />
die hohe Abhängigkeit der Bildungserfolge<br />
von der sozialen Herkunft geben<br />
Anlass zu großer Sorge und zu Fokussierungen<br />
von Maßnahmen, die auf den<br />
Erwerb von Sach- und Methodenkompetenzen<br />
in den sogenannten Kernfächern<br />
zielen. Dabei geraten andere<br />
Inhaltsbereiche wie musisch-ästhetische<br />
Bildung sowie überfachliche Querschnittsaufgaben<br />
seit Beginn der Pandemie<br />
allzu häufig in den Hintergrund.<br />
Mit unserem Beitrag möchten wir<br />
dazu anregen, die Beobachtung und Dokumentation<br />
von Lern- und Bildungsprozessen<br />
mit dem Blick auf Ressourcen<br />
und <strong>Stärken</strong> von <strong>Kinder</strong>n (wieder)<br />
in den Blick zu nehmen und Lust zu machen,<br />
diese zum proaktiven Umgang mit<br />
den aktuellen Herausforderungen zu<br />
nutzen. Dabei kann es sich um spontane,<br />
freie Beobachtungen als auch um gezielte,<br />
systematische Beobachtungen unter<br />
Einsatz qualitativer oder standardisierter<br />
Verfahren und Instrumente handeln.<br />
In der inklusiven Grundschule wird die<br />
Bildungsdokumentation in den Zusammenhang<br />
mit dem Erstellen von Förderplänen<br />
für <strong>Kinder</strong> mit besonderen Unterstützungsbedarfen<br />
gestellt. Insgesamt<br />
gelten das Schaffen von Transparenz<br />
über erreichte und noch zu erreichende<br />
Kompetenzen für alle Beteiligten, die beobachtungsbasierte<br />
Planung von individuellen<br />
Bildungsangeboten und die Nutzung<br />
der Bildungsdokumentation für<br />
die Weiterentwicklung des Unterrichts<br />
jedoch als curricularer Auftrag und<br />
Qualitätsmerkmal einer pädagogischen<br />
Leistungskultur für alle Schüler*innnen.<br />
So ist in den KMK-Empfehlungen<br />
Unter einer Bildungsdokumentation<br />
wird im Allgemeinen eine regelmäßige<br />
Beobachtung, Dokumentation, Analyse<br />
und Interpretation von Bildungs-, Lernund<br />
Entwicklungsprozessen der <strong>Kinder</strong><br />
verstanden, welche im Sinne einer pädagogischen<br />
Diagnostik eine Datengrundlage<br />
für eine individualisierte Lernberatung,<br />
eine passgenaue individuelle<br />
Förderung und für eine Reflexion von<br />
Lernwegen und -ergebnissen mit <strong>Kinder</strong>n<br />
und Eltern bieten (vgl. beispielsweise<br />
Bildungsgrundsätze MSW/MFKJ<br />
NRW 2018, 38; Büker/Höke 2020, 15).<br />
zur Arbeit in der Grundschule (2015,<br />
20) eine stärken- und prozessorientierte<br />
Form der Bildungsdokumentation festgeschrieben.<br />
Eine neue Hinwendung zu<br />
diesem Kernauftrag kann also zum einen<br />
dazu führen, den in den letzten Jahren<br />
etablierten und sowohl entwicklungspsychologisch<br />
als auch kindheitssoziologisch<br />
untermauerten Blick auf <strong>Kinder</strong><br />
als kompetente Akteur*innen und Gestalter*innen<br />
ihrer eigenen Bildungsbiografie<br />
zu stärken.<br />
Zum anderen <strong>lassen</strong> sich in der systematischen<br />
Verankerung und dem gemeinsamen<br />
Austausch über Beobachtung<br />
und Dokumentation auch besondere<br />
Chancen für die Personal- und Organisationsentwicklung<br />
in Grundschulen<br />
erkennen. Diese ist aktuell wichtiger denn<br />
je, um die zunehmend unterschiedlichen<br />
Professionen sowie die heterogenen Erfahrungshintergründe<br />
der an der Grundschule<br />
Tätigen (erfahrene Kolleg*innen,<br />
Vertretungslehrkräfte, Quer- und Seiteneinsteiger*innen,<br />
für die Tätigkeit in der<br />
OGS (Nach-)Qualifizierte, …) zusammenzuführen,<br />
gemeinsam erfolgreiche<br />
Bildungsprozesse für die <strong>Kinder</strong> und mit<br />
den <strong>Kinder</strong>n zu gestalten und die Qualität<br />
in der Grundschule als Institution zu<br />
sichern und weiterzuentwickeln.<br />
Eine besondere Bedeutung kommt der<br />
Bildungsdokumentation auch in der Begleitung<br />
des Übergangs von der Kita in<br />
die Grundschule zu. Um den Blick gemeinsam<br />
auf Ressourcen und <strong>Stärken</strong><br />
von <strong>Kinder</strong>n zu setzen, kann eine Struktur<br />
helfen, wie unser Modell „Reflexion<br />
im Dialog“ zur Umsetzung von Beobachtung<br />
und Dokumentation kindlicher Entwicklungs-,<br />
Lern- und Bildungsprozesse<br />
sie anbietet. Der vorliegende Beitrag<br />
bietet eine knappe Zusammenfassung<br />
unserer unten angeführten Publikation<br />
(Büker/Höke 2020), welche sowohl eine<br />
breite theoretische Grundlage als auch<br />
ausführlichere Reflexionsfragen beinhaltet.<br />
Diese ermöglichen eine metareflexive<br />
„Beobachtung der Beobachtung“.<br />
12<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Das Modell<br />
„Reflexion im Dialog“<br />
Unser Modell, welches unabhängig von<br />
der Nutzung bestimmter Beobachtungs-,<br />
Diagnostik- und Dokumentationsverfahren<br />
und sowohl fachspezifisch als auch<br />
fächerübergreifend angewendet werden<br />
kann, bietet einen Orientierungsrahmen<br />
für eine <strong>Kinder</strong>, Lehr- und Fachkräfte<br />
sowie die Schule als Institution stärkende<br />
Bildungsdokumentation. Sie nimmt die<br />
Entwicklung und Gestaltung der pädagogischen<br />
Handlungsebene (Unterricht,<br />
Beziehungsgestaltung), die Personalentwicklungs-<br />
und die Organisationsentwicklungsebene<br />
gleichzeitig in den Blick.<br />
Diese Ebenen „treffen“ regelmäßig an<br />
Kreuzungs- oder Knotenpunkten (vgl.<br />
Abb. 1), welche durch die „klassischen“<br />
Phasen der Bildungsdokumentation markiert<br />
werden, aufeinander, d. h. bei der (1)<br />
Planung und der (2) Durchführung einer<br />
Beobachtung, (3) der Dokumentation, (4)<br />
der Analyse und Interpretation der Beobachtung,<br />
(5) der Rückmeldung an das<br />
Kind und ggf. dessen Eltern, bei der im<br />
Sinne einer Validierung auch Korrekturen<br />
der Beobachtungsergebnisse vorgenommen<br />
werden können und auf deren<br />
Basis (6) adaptive Bildungsangebote geplant<br />
werden. Nach Durchführung und<br />
Evaluation werden wiederum neue Beobachtungssituationen<br />
geplant. In allen<br />
Phasen bildet die professionelle „Reflexion<br />
im Dialog“ einen zentralen Bezugspunkt.<br />
Sie ist die Säule (vgl. Abb. 1), um<br />
die sich der iterative Prozess rankt und die<br />
über die Einnahme einer Metaperspektive<br />
zur Qualitätsentwicklung der Bildungsdokumentation<br />
und der aus ihr resultierenden<br />
Maßnahmen beitragen soll. Auf<br />
der Ebene der Personalentwicklung geht<br />
die beobachtende und dokumentierende<br />
Person durch eine Distanznahme zur<br />
Beobachtungssituation in den Modus der<br />
Selbstreflexion. Darüber hinaus erfolgt<br />
eine Reflexion in verschiedenen Akteurskonstellationen<br />
(Lehr-/Fachkraft mit dem<br />
Kind, mit den Eltern, kollegiale Reflexion<br />
im K<strong>lassen</strong>- oder Jahrgangsteam, mit der<br />
Schulleitung, im Bereich der Übergänge<br />
mit pädagogischen Fachkräften aus der<br />
Kita usw.).<br />
● Bin ich / sind wir auf einem Weg, der<br />
<strong>Kinder</strong> stärkt?<br />
● Bin ich / sind wir auf einem Weg, der<br />
uns als Lehr-/Fach-/Leitungskraft<br />
professionalisiert?<br />
● Sind wir auf einem Weg, der die<br />
Qualität unserer Schule entwickelt?<br />
Wenn die Schritte einer Bildungsdokumentation<br />
nicht nur auf der Ebene<br />
der einzelnen Lehr- oder Fachkraft<br />
be<strong>lassen</strong> werden, sondern Beobachtung<br />
und Dokumentation systematisch mit<br />
einem Dialog zwischen Kolleg*innen<br />
verankert wird, ergeben sich besondere<br />
Potenziale, die pädagogische Handlungsebene<br />
und die Personal- und<br />
Organisationsentwicklung miteinander<br />
zu verzahnen. Um dies zu unterstützen,<br />
wurden für jede Phase Reflexionsfragen<br />
entwickelt, die sich an die unterschiedlichen<br />
Ebenen richten: die Ebene der<br />
einzelnen Lehr- oder Fachkraft, die<br />
Ebene des Kollegiums und die Ebene<br />
der Schulleitung bzw. des Schulträgers.<br />
Im Folgenden werden die sechs Schritte<br />
einzeln knapp skizziert und Reflexionsfragen<br />
beispielhaft jeweils zu den Schritten<br />
und Ebenen aufgeführt.<br />
(5) und (6)<br />
(3)<br />
(1)<br />
Petra Büker (links)<br />
ist Professorin für Grundschulpädagogik<br />
und Frühe Bildung an der Universität<br />
Paderborn und Herausgeberin<br />
der Buchreihe „<strong>Kinder</strong>stärken – <strong>Kinder</strong><br />
stärken“.<br />
Julia Höke<br />
ist Professorin für Didaktik und Methodik<br />
der Kindheitspädagogik und<br />
Sozialen Arbeit an der Katholischen<br />
Hochschule Nordrhein-Westfalen und<br />
arbeitet zur pädagogischen Professionalisierung<br />
(angehender) Kindheitspädagog*innen<br />
und Sozialarbeiter*innen.<br />
Abb. 1: Reflexion im Dialog. Reflexionsfolie für eine <strong>Kinder</strong> stärkende, Fachkräfte<br />
professionalisierende und Organisationen entwickelnde Bildungsdokumentation.<br />
Entnommen aus: Büker/Höke (2020), 146.<br />
(4)<br />
(2)<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
13
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Schritt 1: Beobachtungen von Lernund<br />
Bildungsprozessen von <strong>Kinder</strong>n<br />
planen<br />
Die professionelle Planung der<br />
Beobachtung von Bildungs- und Lernprozessen<br />
der <strong>Kinder</strong> bildet eine entscheidende<br />
Grundlage für die Qualität<br />
aller weiteren Schritte der Bildungsdokumentation.<br />
Zentral ist dabei<br />
die bewusste Klärung des Ziels der<br />
Beobachtung, die Entscheidung für<br />
eine freie, unstrukturierte oder für eine<br />
systematische Beobachtung, die Auswahl<br />
eines geeigneten Beobachtungsinstruments<br />
und einer zum Ziel passenden<br />
Beobachtungssituation.<br />
Der Austausch über Sinn, Zweck und<br />
Form von Beobachtungen im multiprofessionellen<br />
Team kann einen gemeinsamen<br />
Reflexionsprozess über das<br />
Bild vom Kind und das grundlegende<br />
Verständnis vom Lernen eröffnen. Diese<br />
kann nicht nur für die Einbindung von<br />
Berufs-, Quer- und Seiteneinsteiger*innen,<br />
sondern auch für grundsätzliche<br />
Verständigungsprozesse im Kollegium<br />
anregend und hilfreich sein.<br />
Schritt 2: Bildungs- und Lernprozesse<br />
der <strong>Kinder</strong> beobachten<br />
Die konkrete Beobachtungssituation<br />
unterliegt trotz sorgfältiger Planung<br />
und Auswahl auch eigenen Dynamiken<br />
und birgt dementsprechend immer<br />
auch Unvorhersehbares. Zugleich sind<br />
Beobachtungen nie neutral bzw. objektiv,<br />
sodass bedeutsam ist, auch den eigenen<br />
emotionalen Zustand, aber auch<br />
Erwartungen und die Einschätzung<br />
der Situation als ergiebig/nicht ergiebig<br />
in die Beobachtung mit einfließen zu<br />
<strong>lassen</strong>. Häufig wirkt das Beobachtete<br />
noch mental nach, sodass mehrere<br />
Reflexionsschleifen in zeitlichem<br />
Abstand die Qualität der Beobachtung<br />
steigern können.<br />
Insbesondere die wiederkehrende Bewusstmachung<br />
von Erwartungen an das<br />
Verhalten und die sichtbar werdenden<br />
Kompetenzen der <strong>Kinder</strong> sind sowohl<br />
für den individuellen als auch den kollektiven<br />
Prozess im Sinne des pädagogisch<br />
professionellen Handelns bedeutsam.<br />
Hilfreich ist es, wenn mehrere Personen<br />
in die Beobachtung einbezogen<br />
werden.<br />
Schritt 3: Bildungs- und Lernprozesse<br />
der <strong>Kinder</strong> dokumentieren<br />
Mit der Festlegung der Ziele der<br />
Beobachtung geht ein Klärungsprozess<br />
einher, auf welche Art und Weise die<br />
Beobachtung dokumentiert wird, z. B.<br />
ob ein standardisiertes, an spezifischen<br />
Kompetenzen ausgerichtetes Instrument<br />
verwendet wird oder ob die Dokumentation<br />
der Beobachtung lediglich<br />
als Gedankenstütze für den späteren<br />
Austausch mit Kind, Eltern oder<br />
Kolleg*innen genutzt werden soll. Ein<br />
gemeinsamer Abstimmungsprozess ist<br />
für eine positive Wirkung auf die Qualitätsentwicklung<br />
der Schule unabdingbar.<br />
Schritt 4: Beobachtungen und Dokumentationen<br />
analysieren und im Team<br />
interpretieren<br />
Bei der Analyse und Interpretation von<br />
dokumentierten Beobachtungen gibt<br />
es immer Interpretationsspielräume,<br />
auch wenn standardisierte Instrumente<br />
verwendet werden. Subjektive Vorstellungen<br />
und Normalitätsannahmen<br />
der beobachtenden Person beeinflussen<br />
die Interpretation und können für das<br />
Kind sowohl schädliche als auch förderliche<br />
Wirkungen nach sich ziehen.<br />
Eine besondere Aufmerksamkeit erfordert<br />
daher die Auseinandersetzung<br />
Schritt 1<br />
Beobachtungen professionell<br />
und systematisch<br />
planen<br />
Welches Ziel verfolge ich<br />
mit meiner Beobachtung?<br />
Handelt es sich um eine<br />
bewertungsfreie oder<br />
eine bewertungsrelevante<br />
Situation?<br />
Wann und wie oft wollen<br />
wir <strong>Kinder</strong> in unserer Schule<br />
beobachten?<br />
Sollen es Einzel- oder<br />
Gruppenbeobachtungen<br />
sein? Welche Ziele verfolgen<br />
wir als Team mit der<br />
Beobachtung?<br />
Wie viel Freiraum haben<br />
wir bei der Auswahl<br />
von Beobachtungsinstrumenten?<br />
Wie ist die Beobachtung in<br />
ein übergreifendes Lernund<br />
Leistungskonzept<br />
unserer Schule integriert?<br />
Schritt 2<br />
Bildungs- und Lernprozesse<br />
der <strong>Kinder</strong><br />
beobachten<br />
Was erwarte ich zu sehen<br />
(z. B. bestimmte Fähigkeiten<br />
des Kindes oder das<br />
Fehlen derselben, Interaktionsstrategien<br />
etc.)?<br />
Welche Strategien habe<br />
ich, damit umzugehen,<br />
wenn meine Erwartungen<br />
nicht erfüllt werden?<br />
Welche <strong>Kinder</strong> nehmen<br />
wir beim Austausch in<br />
den Blick (z. B. die uns am<br />
meisten Sorgen bereiten,<br />
wo unser Besprechungsbedarf<br />
am höchsten ist, alle<br />
<strong>Kinder</strong> in einer bestimmten<br />
Systematik, etc.)?<br />
Wie sorgen wir dafür, dass<br />
Kolleg*innen und Teams<br />
Zeit für die Beobachtung<br />
und Gelegenheit für eine<br />
qualitätsvolle Reflexion<br />
erhalten?<br />
mit möglichen situativen Effekten, wie<br />
z. B. dem Halo-Effekt. Dieser liegt dann<br />
vor, wenn bei dem Kind eine spezifische<br />
Kompetenz in besonderer Weise<br />
wahrgenommen wird, die dann mögliche<br />
andere Kompetenzen überstrahlt.<br />
Durch Sympathie/Antipathie können<br />
Wahrnehmungsverzerrungen entstehen.<br />
Logische Fehler treten auf, wenn<br />
z. B. von einem einzelnen Kompetenzbereich<br />
auf die Gesamtentwicklung<br />
geschlossen wird. Mögliche Beobachtungsfallen<br />
und „blinde Flecke“ können<br />
am besten im Team aufgedeckt und reflektiert<br />
werden.<br />
Analyse und Interpretation der Beobachtung<br />
gewinnen durch eine Perspektivenvielfalt,<br />
die entstehen kann, wenn<br />
verschiedene Fachlehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen<br />
und weitere Akteur*innen,<br />
die das Kind begleiten, in<br />
den Dialog treten.<br />
Schritt 5: Beobachtungen und Interpretationen<br />
mit <strong>Kinder</strong>n (und Eltern)<br />
validieren und reflektieren<br />
Die Beobachtung und Dokumentation<br />
sind zentraler Anlass im pädagogischen<br />
Alltagsgeschehen, dem Kind Rückmeldung<br />
über die eigene Kompetenzentwicklung,<br />
persönliche <strong>Stärken</strong> und<br />
Entwicklungsbedarfe zu geben. Es geht<br />
Schritt 3<br />
Bildungs- und Lernprozesse<br />
der <strong>Kinder</strong><br />
dokumentieren<br />
Wie sorge ich dafür, dass<br />
ich mich bei der Dokumentation<br />
darauf konzentriere,<br />
was ich beobachtet habe<br />
und mein Kontextwissen<br />
reflektiert einbeziehe?<br />
Wie können wir voneinander<br />
lernen oder von der<br />
Expertise weiterer<br />
Personen profitieren?<br />
Haben wir Strukturen<br />
für die Dokumentation<br />
geschaffen, die niedrigschwellig<br />
und damit<br />
alltagskompatibel sind?<br />
Abb. 2: Ausgewählte Reflexionsfragen für Einzelpersonen, Teams und Leitungskräfte<br />
(Beobachtungsschritte 1–3)<br />
14<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
darum, dem Kind zu spiegeln, was es<br />
bereits gut kann, wo es sich verbessert<br />
bzw. persönlich weiterentwickelt hat<br />
und wo noch „Baustellen“ bestehen.<br />
Aktuelle Studien belegen die lernunterstützende<br />
und Leistungsmotivation<br />
fördernde Wirkung professionellen<br />
Feedbacks im Kontext von Lerngesprächen<br />
zwischen Lehrkraft und<br />
Kind sowie von Lernentwicklungsgesprächen,<br />
an denen auch die Eltern beteiligt<br />
sind (Dollinger 2019). Solche<br />
Gespräche sollten auch dem Kind die<br />
Möglichkeit geben, seine Perspektiven<br />
zu verdeutlichen und der Lehrkraft beispielsweise<br />
rückzumelden: Hier sehe<br />
ich es anders!<br />
Auf diese Weise wird Deutung von<br />
beobachteten Situationen gemeinsam<br />
kon struiert. Wenn <strong>Kinder</strong>n (und Eltern)<br />
Mitbestimmung an der Interpretation<br />
wie auch an Schlussfolgerungen<br />
für künftige Lern- und Entwicklungsprozesse<br />
ermöglicht wird, können sie<br />
als informierte und involvierte Akteur*innen<br />
auch verantwortlich in die<br />
Planung und Nutzung anknüpfender<br />
Bildungs- und Lernangebote eingebunden<br />
werden. Dies bildet den Kern<br />
einer partizipativen Bildungsdokumentation<br />
(vgl. Büker/Ogrodowski/Antenbrink<br />
2020).<br />
Schritt 4<br />
Beobachtungen<br />
analysieren und im Team<br />
interpretieren<br />
Welche „Normalvorstellungen“<br />
von <strong>Kinder</strong>n<br />
allgemein, von einem typischen<br />
Verlauf einer solchen<br />
Situation, von angemessenem<br />
Verhalten oder gutem<br />
Unterricht liegen der Beobachtung<br />
zugrunde? Sind<br />
dadurch ggf. Verzerrungen<br />
entstanden?<br />
Wie sorgen wir dafür, dass<br />
Beobachtungen und Dokumentationen<br />
zunächst<br />
möglichst offen diskutiert<br />
werden, ohne dass vorschnell<br />
interpretiert wird?<br />
Wie sorgen wir als Schule<br />
für die Umsetzung der<br />
datenschutzrechtlichen<br />
Vorgaben im Umgang mit<br />
den erhobenen Daten und<br />
den entstandenen Dokumentationen?<br />
Schritt 5<br />
Beobachtungen mit<br />
<strong>Kinder</strong>n und Eltern<br />
validieren und reflektieren<br />
Was möchte ich aus dieser<br />
Beobachtung an das Kind<br />
rückmelden und wie<br />
kann diese Rückmeldung<br />
kindangemessen und<br />
<strong>Kinder</strong> stärkend gestaltet<br />
werden? Wie kann ich<br />
sicherstellen, dass die<br />
Persönlichkeitsrechte des<br />
Kindes gewahrt bleiben?<br />
Haben wir als Team<br />
Konzepte und Strategien,<br />
um Ergebnisse aus der<br />
Bildungsdokumentation<br />
an Eltern rückzumelden?<br />
Welche Ziele sind mit einer<br />
solchen Rückmeldung an<br />
die Eltern verbunden?<br />
Wie können wir als<br />
Schulleitungsteam bei<br />
Konflikten mit Eltern<br />
unterstützen?<br />
Schritt 6: Anschließende Lernangebote<br />
professionell planen und gestalten<br />
Idealerweise werden in gemeinsamen<br />
Gesprächen über Beobachtungen und<br />
Dokumentationen Interessen, Lernbedarfe<br />
und Lernbedürfnisse von <strong>Kinder</strong>n<br />
deutlich, die in einen Zusammenhang<br />
gesetzt werden können mit den<br />
für die jeweilige K<strong>lassen</strong>stufe ausgewiesenen<br />
Kompetenzzielen. Die Auseinandersetzung<br />
hiermit führt unmittelbar<br />
zur Planung des pädagogischen Alltags,<br />
z. B. zur Frage nach spezifischen<br />
Anregungen und Anleitungen oder zum<br />
Aufgaben- und Materialangebot.<br />
Erst über den Transfer der Beobachtungsergebnisse<br />
in den pädagogischen<br />
Alltag können die Ansprüche, die an Bildungsdokumentationen<br />
gestellt werden,<br />
tatsächlich erreicht werden: individuelle<br />
Bildungsbegleitung und -förderung im<br />
Sinne einer interessenbezogenen und ressourcenorientierten<br />
Arbeit mit dem Kind.<br />
Anregungen zur Umsetzung<br />
im pädagogischen Alltag<br />
Schritt 6<br />
Anschließende Lernangebote<br />
professionell<br />
planen und gestalten<br />
Wie sehe ich meine zukünftige<br />
Aufgabe in der<br />
Begleitung und Unterstützung<br />
dieses Kindes und<br />
wie fühle ich mich dabei?<br />
Wie können andere <strong>Kinder</strong><br />
von der Förderung des<br />
Kindes profitieren? Wie<br />
schätze ich die Möglichkeiten<br />
bei mir persönlich<br />
und in unserer Schule ein,<br />
um das Kind adäquat zu<br />
begleiten?<br />
Welche Ziele möchten wir<br />
mit dem Austausch über<br />
Beobachtungen erreichen?<br />
Wo ergeben sich ggf. neue<br />
Kooperationen im Team?<br />
Wie können wir als Schulleitung<br />
das Kollegium bei<br />
der Weiterentwicklung<br />
pädagogischer Qualität<br />
unterstützen?<br />
Abb. 3: Ausgewählte Reflexionsfragen für Einzelpersonen, Teams und Leitungskräfte<br />
(Beobachtungsschritte 4–6)<br />
Der Aufbau und die Etablierung von<br />
Beobachtungs- und Dokumentationsstrukturen<br />
in Verbindung mit einer<br />
„Reflexion im Dialog“ erfordern Expertisen<br />
sowie zeitliche und personelle Ressourcen.<br />
Indes gehören Beobachtung<br />
und Dokumentation zum Alltagsgeschäft<br />
von Lehrkräften und sind insbesondere<br />
im Kontext von Elterngesprächen,<br />
Lernstandsberichten, Zeugnissen<br />
etc. ohnehin unerlässlich. Es<br />
ist daher wichtig, innerhalb der Schule<br />
verlässliche zeitliche Strukturen für<br />
den kollegialen Austausch in Teams wie<br />
auch für die Einrichtung von <strong>Kinder</strong>sprechstunden<br />
zu schaffen – hier sind<br />
vor allem die Leitungskräfte gefragt.<br />
Bezüglich einer ressourcenschonenden<br />
Gestaltung von Beobachtung und Dokumentation<br />
können – unter Einhaltung<br />
datenschutzrechtlicher Bestimmungen –<br />
digitale Möglichkeiten genutzt werden wie<br />
z. B. Fotos und Sprachmemos anstelle von<br />
schriftlicher Dokumentation. In größeren<br />
Einrichtungen macht es ggf. auch Sinn, das<br />
Amt einer/eines Beauftragten für die Bildungsdokumentation<br />
zu schaffen – diese<br />
Person könnte die verschiedenen Ebenen<br />
systematisch zusammenführen und die<br />
Etablierung der Strukturen begleiten und<br />
sichern. Dazu gehört auch die Weiterentwicklung<br />
anregender Reflexionsfragen,<br />
beispielsweise an einem pädagogischen<br />
Tag mit dem gesamten Kollegium.<br />
Resümee<br />
In unseren Ausführungen wird deutlich,<br />
dass Beobachtung und Dokumentation<br />
eine wesentliche Grundlage für pädagogisch<br />
professionelles Handeln der einzelnen<br />
Lehrkraft sind, über die sich gleichzeitig<br />
ein enger Zusammenhang für die<br />
Personal- und Schulentwicklung eröffnet.<br />
Zudem ergeben sich durch gemeinsam<br />
geplante, durchgeführte und reflektierte<br />
Beobachtung und Dokumentation<br />
Potenziale mit Blick auf die institutionenübergreifende<br />
Kooperation von <strong>Kinder</strong>tageseinrichtung<br />
und Grundschule<br />
im Kontext der Übergangsgestaltung.<br />
Der gemeinsame Austausch über und<br />
mit <strong>Kinder</strong>n zu ihren Kompetenzen, ihrer<br />
Lern- und Bildungsentwicklung und die<br />
Auseinandersetzung mit den produktiv irritierenden<br />
Reflexionsfragen führt neben<br />
individuellen Reflexions- und Professionalisierungsprozessen<br />
zu dem gemeinsamen<br />
Anspruch, „<strong>Kinder</strong>stärken (wieder)<br />
sichtbar werden zu <strong>lassen</strong>“.<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa165Lit<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
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Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Elena Auerbach, Christiane Knott<br />
Zeigestunde – jeder kann etwas!<br />
Einmal in der Woche werden all unsere <strong>Kinder</strong> zu Expertinnen und Experten für<br />
selbst gewählte Themen, Dinge oder Erlebnisse – nämlich immer dann, wenn bei<br />
uns die „Zeigestunde“ auf dem Stundenplan steht. Dabei erwachsen die Jungen<br />
und Mädchen zu mutigen Referenten*innen, Erzählern*innen, Darstellern*innen<br />
und Künstlern*innen.<br />
Jeder entdeckt eigene Interessen und<br />
Vorlieben, die er in einer wohlwollenden<br />
und sicheren Umgebung<br />
mit anderen <strong>Kinder</strong>n teilt. Dabei merken<br />
die <strong>Kinder</strong>, wie viel Potenzial –<br />
manchmal unentdeckt – in ihnen steckt,<br />
und lernen, dieses bewusst wahrzunehmen.<br />
Sie reflektieren selbst über ihre<br />
Präsentation und erhalten in Frage-,<br />
Lob- und Tipprunden Feedback von<br />
ihren Mitschüler*innen. Ganz nebenbei<br />
wird außerdem die Sprachkompetenz,<br />
das gezielte Zuhören, das Lenken auf<br />
positive Aspekte und der Umgang mit<br />
Kritik gefördert.<br />
So beginnt bei uns der Tag, an dem<br />
die Zeigestunde stattfindet. Bis zu fünf<br />
<strong>Kinder</strong> stellen ihr mitgebrachtes Thema<br />
vor und besprechen vorab mit uns,<br />
welche Hilfsmittel sie dafür brauchen.<br />
Wenn es losgeht, fühlen sich die <strong>Kinder</strong><br />
richtig wichtig: Schließlich haben<br />
sie – nachdem sie ihre Angst, vor der<br />
Klasse zu stehen, überwunden haben –<br />
den Vortrag selbst geplant und einzelne<br />
Schritte überlegt! Alle Zuhörer*innen<br />
sind wie immer neugierig darauf, was<br />
wir heute präsentiert bekommen.<br />
Mutig referieren vor der Klasse<br />
Elena Auerbach (links)<br />
ist StRin in Jahrgangsgemischter Eingangsklasse,<br />
Beraterin FleGS Mittelfranken,<br />
Beraterin Inklusive Unterrrichtsund<br />
Schulentwicklung<br />
Christiane Knott<br />
ist Lin in Jahrgangsgemischter Eingangsklasse,<br />
Beraterin Flexible Grundschule<br />
Mittelfranken, KRin an FleGS<br />
Schule.<br />
Am Morgen wird alles vorbereitet<br />
Es ist Viertel vor acht. Die Lehrerin steht<br />
im K<strong>lassen</strong>zimmer. Aufgeregt kommt<br />
Mergim auf sie zu und erzählt, was er<br />
heute in der Zeigestunde präsentieren<br />
möchte. Eigentlich ist er ein schüchterner<br />
Junge, der aufgrund mangelnder<br />
Deutschkenntnisse häufig Misserfolge in<br />
Leistungsnachweisen einstecken muss.<br />
Freudig fragt die Lehrerin: „Wie kann<br />
ich dich für heute unterstützen?“ Mergim<br />
berichtet, dass er die Dokumentenkamera<br />
benötigt, um seine Muscheln<br />
gut den anderen erklären zu können.<br />
Dann fängt der Unterricht an.<br />
Mergim steht mit seinen mitgebrachten<br />
Muscheln vor der Klasse. Seine Mitschüler*innen<br />
schauen ihm gespannt<br />
zu, als er von seinem Urlaub in der Türkei<br />
berichtet. Den Vortrag formuliert<br />
er vor Aufregung noch kurz und leise.<br />
Schnell ist er fertig. In der Klasse ist es<br />
still. Nach einer kurzen Pause hört man<br />
den Applaus der <strong>Kinder</strong>. Mergim strahlt.<br />
Fragerunde<br />
Auf die Aussage: „Ich bin fertig, gibt<br />
es Fragen?“ schnellen die Finger der<br />
K<strong>lassen</strong>kamerad*innen in die Höhe.<br />
Ganz anders als im Vortrag beantwortet<br />
Aussagen der <strong>Kinder</strong> zur Lobrunde<br />
„Ich finde es toll, dass du dich getraut hast, dich vor die Klasse zu stellen!” (Tom, 6)<br />
„Ich habe ja gar nicht gewusst, dass du so viel über Muscheln weißt!” (Martha, 7)<br />
„Für das erste Mal machst du das schon so toll!“ (Yannik, 8)<br />
„Ich finde es toll, dass du gut erklären kannst.” (Suse, 8)<br />
„Ich konnte mir so gut vorstellen, wo du im Urlaub warst. Das hat mir ein gutes Gefühl<br />
gegeben.” (Erik, 8) <br />
Aussagen der <strong>Kinder</strong> zur Tipprunde<br />
„Man fühlt sich ganz kurz mal gepiekst, nicht so gut, aber dann weiß ich ja, dass ich mich das<br />
nächste Mal einfach noch besser an die Regeln halten muss. Dann muss ich es halt einfach<br />
machen, und das finde ich an dem Tipp eigentlich ganz gut.“ (Felicitas, 8)<br />
„Ich denke mir zuerst, da kommt ja gar nichts Schlimmes, bevor jemand was sagt, und wenn<br />
er es dann sagt, denke ich: Ja okay, es stimmt. Das kann ich ja noch besser machen. Das habe<br />
ich jetzt auch gemacht, und es hat geklappt.“ (Stella, 8)<br />
Mergim alle Fragen passend, mal mehr,<br />
mal weniger ausführlich. Er wirkt dabei<br />
manchmal selbst erstaunt, dass er auf<br />
jede Frage eine Antwort weiß. Die <strong>Kinder</strong><br />
nehmen ihn dabei ganz neu wahr.<br />
Zusätzlich erweitern sie selbst ihr Können,<br />
gezielt Fragen zu stellen und zu<br />
beantworten.<br />
Lobrunde<br />
Nun folgt ein weiterer wichtiger Teil.<br />
Die <strong>Kinder</strong> geben ihre Rückmeldung<br />
zum Gehörten. Hier ist es uns wichtig,<br />
dass die <strong>Kinder</strong> auf die positiven Aspekte<br />
schauen und eine wertschätzende<br />
Meinung äußern. Da dies Teil unseres<br />
Unterrichtskonzepts ist und in verschiedenen<br />
Formen geübt wird („Lernen<br />
durch Lehren“, K<strong>lassen</strong>rat, Autorenrunde,<br />
Lesespaziergänge mit Fremdeinschätzung,<br />
„Warme Dusche“), lernen<br />
die <strong>Kinder</strong> wertschätzendes Feedback<br />
als selbstverständlich kennen. Außerdem<br />
sind sie mal Zuschauer*innen,<br />
mal selbst Redner*innen. So wissen<br />
sie, wie es sich anfühlt, vor allen Mitschüler*innen<br />
sprechen zu müssen.<br />
Die <strong>Kinder</strong> entwickeln eine Sensibilität<br />
für die jeweilige Leistung und vergeben<br />
individuelles Lob.<br />
16<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Häufig werden wir gefragt, was wir<br />
machen, wenn gemeine, negative oder<br />
unpassende Bemerkungen geäußert<br />
werden. Kaum zu glauben, aber die <strong>Kinder</strong><br />
zeigen in diesem Format sehr viel<br />
Einfühlungsvermögen für den anderen/<br />
die andere, auch wenn sie das im Alltag<br />
häufig nicht so schaffen. Deswegen<br />
ist uns die Zeigestunde als besonderer<br />
Rahmen so wichtig: Hier wird in hohem<br />
Maße darauf geachtet, das Positive zu<br />
sehen und ein „Wir werden zusammen<br />
besser“-Gefühl zu erschaffen.<br />
Tipprunde<br />
Zurück zu Mergim: Von dem zurückhaltenden,<br />
eher unsicheren Jungen ist<br />
gerade nichts zu sehen. Endlich war er<br />
einmal nicht Hilfesuchender, sondern<br />
hat anderen etwas beigebracht, sie für<br />
sein Thema begeistert und viele Fragen<br />
beantwortet. Nun ist Mergim auch<br />
emotional bereit, sich der Kritik zu stellen.<br />
Dabei darf er sich einen Tipp bei<br />
einem selbst gewählten Kind abholen.<br />
So erfahren die <strong>Kinder</strong> ohne Bewertung,<br />
was sie noch besser machen können.<br />
Paolo meldet sich und wird von Mergim<br />
für den Tipp aufgerufen: „Du hast<br />
das toll gemacht, aber ich finde, du musst<br />
noch länger und lauter reden. Ich weiß,<br />
du bist aufgeregt, da geht das oft nicht!<br />
Schreibe doch einen Spickzettel, dann<br />
kannst du kucken.”<br />
Mergim nimmt die Anregung dankbar<br />
an und geht stolz auf seinen Platz zurück.<br />
Wir als Lehrkräfte haben nun einen<br />
Anker, den wir ihm anbieten können,<br />
wenn er wieder einmal in einer schwierigen<br />
Situation denkt, er schaffe es nicht.<br />
Win-Win-Situation<br />
auf beiden Seiten<br />
Im schulischen Alltag passiert es immer<br />
wieder, dass der Fokus noch zu oft auf<br />
den Defiziten der <strong>Kinder</strong> liegt, die wir<br />
stets versuchen auszugleichen. Die<br />
Zeigestunde ist für uns Lehrkräfte eine<br />
Chance, jedes Kind in seinen <strong>Stärken</strong><br />
gemeinsam in der Klasse wahrzu-<br />
Ritualisierter, festgelegter Ablauf<br />
als Sicherheit für den Redner*innen:<br />
„Referat“<br />
Applaus<br />
Fragerunde<br />
Lobrunde<br />
Nur ein Tipp zur Weiterarbeit<br />
Applaus<br />
nehmen und lernplankompetenzorientiert<br />
zu fördern – und das ganz ohne<br />
Leistungsdruck. So wird das Format für<br />
alle Beteiligten mit zur schönsten Zeit in<br />
der Woche.<br />
„Da kann man sich auch für andere Sachen<br />
interessieren, die man vielleicht noch<br />
nie gesehen hat, und manches möchte ich<br />
dann auch haben.“ (Magdalena, 8)<br />
„Ich bin immer sehr gespannt, weil man<br />
da viel lernen kann und mit den mitgebrachten<br />
Sachen später mit anderen spielen<br />
kann.“ (Louisa, 8)<br />
„Ich finde es schön, dass ich zeigen<br />
kann, was ich gerne mag.“ (Lukas, 6)<br />
Viola Petersson, Irene Hoppe<br />
Ein Nachdenkprojekt zum<br />
<strong>Kinder</strong>buch „Rigo und Rosa“<br />
Das <strong>Kinder</strong>buch „Rigo und Rosa. 28 Geschichten aus dem Zoo und dem Leben“ 1<br />
wurde von Lorenz Pauli geschrieben und von Kathrin Schärer illustriert und<br />
mehrfach ausgezeichnet.<br />
Darum geht es im Buch<br />
Rigo ist ein Leopard und lebt in einem<br />
Gehege im Zoo, in dem ihm eines Tages<br />
die kleine Maus Rosa begegnet. Diese<br />
sucht bei Rigo – ausgerechnet einem<br />
Leoparden – Schutz, da sie Angst vor<br />
großen Tieren hat. Und tatsächlich verbindet<br />
das gegensätzliche Paar bald<br />
eine tiefe Freundschaft, bei der Rigo<br />
den väterlichen, lebenserfahrenen, weisen<br />
Part und Rosa den kindlichen,<br />
unbekümmerten, lebenslustigen Part<br />
einnimmt. In 28 Geschichten führen<br />
die beiden einen anregenden und kurzweiligen<br />
Gedankenaustausch über zentrale<br />
Fragen des Lebens. Wichtiges wird<br />
oft in wenigen Sätzen auf den Punkt<br />
gebracht. Die Illustrationen von Kathrin<br />
Schärer ergänzen nicht nur den<br />
tiefsinnigen, klugen Text, sondern veranschaulichen<br />
die außergewöhnliche<br />
Beziehung der beiden Figuren auf hinreißende<br />
Weise.<br />
Rigo und Rosa – ein ideales<br />
Vorlesebuch im Unterricht<br />
der Jahrgangsstufen 1–3<br />
Das Buch eignet sich hervorragend als<br />
Vorlesebuch in den Jahrgangsstufen 1 bis<br />
3. Zum Beispiel kann einmal wöchentlich<br />
eine Geschichte vorgelesen werden. Jedes<br />
Kind taucht so über einen längeren Zeitraum<br />
immer wieder in die Gedankenwelt<br />
der beiden Figuren ein und entwickelt<br />
dazu seine eigenen Deutungen.<br />
Nach dem Vorlesen jeder einzelnen<br />
Geschichte und dem Betrachten der Bilder<br />
sollte immer die Gelegenheit zur Anschlusskommunikation<br />
wahrgenommen<br />
werden: Jede der 28 Geschichten ist kognitiv<br />
herausfordernd und regt die <strong>Kinder</strong><br />
dazu an, zum Inhalt Stellung zu nehmen<br />
und eigene Gedanken zum Text zu<br />
entwickeln und mit anderen auszutauschen.<br />
Dabei <strong>erleben</strong> die <strong>Kinder</strong> in der<br />
Anschlusskommunikation die Offenheit<br />
der Deutungsspielräume. Sie lernen ähnliche<br />
und auch ganz andere Deutungen<br />
und Haltungen kennen und diese zu akzeptieren.<br />
So werden die Schülerinnen<br />
und Schüler zunehmend mit dem literarischen<br />
Austausch bzw. dem literarischen<br />
Gespräch vertraut.<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
17
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Ich vertraue<br />
– Mama, Papa, Hannes<br />
– Charlie, dass er mich<br />
nicht beißt<br />
– meiner Klasse<br />
– meiner Lehrerin<br />
– Oma und Opa<br />
Mir vertraut<br />
– meine Familie<br />
– meine Freunde<br />
28 Fragen und so viele<br />
Antwortmöglichkeiten –<br />
die eigenen Gedanken im<br />
Nachdenkheft dokumentieren<br />
Link zum LISUM-Material<br />
bildungsserver.berlin-brandenburg.de/<br />
fileadmin/bbb/themen/sprachbildung/<br />
Lesecurriculum/Leseprozesse/<br />
konzepte_usw/Nachdenk-Projekt_<br />
Rigo_Rosa_2021.pdf<br />
Neben der mündlichen Anschlusskommunikation<br />
kann die Auseinandersetzung<br />
mit den 28 einzelnen Geschichten<br />
von Rigo und Rosa durch die Arbeit<br />
mit einem „Nachdenkheft“ intensiviert<br />
werden und zum Aufschreiben der eigenen<br />
Gedanken motivieren. Hierfür wurde<br />
zu jeder der 28 Geschichten eine zentrale<br />
Frage formuliert, die auch die mündliche<br />
Anschlusskommunikation nach dem Vorlesen<br />
der Geschichte eröffnen kann. In der<br />
mündlichen Anschlusskommunikation<br />
ist es jedoch empfehlenswert, die Frage<br />
in der zweiten Person Singular zu stellen<br />
(anders als im Aufgabenblatt für die Schülerinnen<br />
und Schüler) und diese an der<br />
Tafel, dem Whiteboard oder auf einem<br />
Plakat zu präsentieren.<br />
Für das Nachdenkheft kann ein Blanko-DIN-A5-Heft<br />
genutzt werden. Man<br />
kann es aber auch selbst einfach aus sieben<br />
weißen DIN-A4-Blättern und einem<br />
weiteren festeren DIN-A4-Bogen herstellen.<br />
Die Blätter werden aufeinandergelegt,<br />
ganz unten liegt der festere Bogen.<br />
Nun faltet man alle Bögen zusammen<br />
zu einem DIN-A5-Heft. Mit einem<br />
Langhefter in der Mitte zusammengetackert,<br />
entsteht ein Heft mit 28 Seiten und<br />
einem Umschlag. Auf diesen zeichnen die<br />
<strong>Kinder</strong> nach dem Kennenlernen der ersten<br />
Geschichte die beiden Protagonisten<br />
Rigo und Rosa und tragen den Buchtitel<br />
sowie ihren Namen ein. Für die eigenen<br />
Gedanken zu jeder Geschichte bietet das<br />
Nachdenkheft jeweils eine Seite.<br />
Auf zwei Arbeitsbögen sind die 28<br />
Fragen zusammengestellt. Im Anschluss<br />
an den mündlichen Austausch schneiden<br />
die Schülerinnen und Schüler die<br />
passende Frage aus und kleben diese<br />
oben auf eine neue Seite ihres Nachdenkhefts.<br />
Vorab hat die Lehrperson mit den<br />
Schülerinnen und Schülern Ideen gesammelt,<br />
in welcher Form, in welcher<br />
Textart sie ihre Gedanken zu dieser Frage<br />
dokumentieren können:<br />
● die eigenen Gedanken in einem Satz<br />
oder mehreren Sätzen aufschreiben<br />
● eine Liste erstellen (z. B. zu Frage 2<br />
„Was ist an mir besonders?“)<br />
● ein Bild malen und dazu etwas<br />
schreiben (z. B. zu Frage 19 „Welches<br />
Spiel spiele ich am liebsten?“)<br />
● ein Akrostichon schreiben (z. B. zu<br />
Frage 15 „Was bedeutet Freiheit für<br />
mich?“)<br />
● ein Elfchen schreiben (z. B. zu Frage<br />
9 „Was möchte ich zaubern lernen?“)<br />
● eine eigene Rigo-und-Rosa-Geschichte<br />
erfinden (s. Frage 28: „Welche<br />
Geschichten sind in mir drin?“)<br />
● …<br />
In der Auseinandersetzung mit den Geschichten<br />
von Rigo und Rosa entstehen so<br />
über Monate hinweg einzigartige individuelle<br />
Gedankendokumentationen eines jeden<br />
Kindes. In Austauschrunden sollten<br />
die Schülerinnen und Schüler immer wieder<br />
angeregt werden, ihre Nachdenkhefte<br />
einander zu präsentieren.<br />
Ein Hinweis aus der Praxis 1 : Sind einige<br />
<strong>Kinder</strong> am Anfang noch unerfahren und<br />
Irene Hoppe (links)<br />
ist nach langjähriger Tätigkeit an einer<br />
Berliner Grundschule Referentin für die<br />
Schulanfangsphase, den Schriftspracherwerb<br />
und den Übergang Kita-Grundschule<br />
am Landesinstitut für Schule<br />
und Medien Berlin-Brandenburg.<br />
Viola Petersson<br />
ist seit fast 10 Jahren in Potsdam im<br />
Anfangsunterricht tätig, lange Zeit in<br />
einer Flex-Klasse und heute in einer<br />
jahrgangshomogenen Klasse. Nebenher<br />
ist sie abgeordnete Lehrkraft im<br />
LISUM Berlin-Brandenburg und dort<br />
tätig in den Bereichen Schulanfangsphase,<br />
Schriftspracherwerb und<br />
Übergang Kita-Grundschule.<br />
unsicher im mündlichen Formulieren ihrer<br />
Gedanken, so üben sie sich im Austausch<br />
mit anderen zunehmend in diese Anforderung<br />
ein. Auch das schriftliche Formulieren<br />
ihrer Gedanken gelingt den Schülerinnen<br />
und Schülern voraussichtlich immer<br />
besser. Über die Monate hinweg ist bei<br />
den meisten <strong>Kinder</strong>n diese Entwicklung<br />
in ihrem Nachdenkheft zu verfolgen.<br />
Anmerkungen<br />
1) Das Nachdenkprojekt wurde im Unterricht von<br />
Viola Petersson an der Rosa-Luxemburg-Schule in<br />
Potsdam erprobt. Die Schülerbeispiele stammen<br />
aus dem Unterricht von Viola Petersson.<br />
18<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Tanja Schubert<br />
„<strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong>“<br />
„… eine wichtige psychologische Erkenntnis: Weil das Unbewusste keine<br />
Verneinungen versteht, gelingt Lernen am besten, wenn man ein positives Bild<br />
hervorruft.“ (Hasel 2019, 102)<br />
Daraus lässt sich die Wichtigkeit<br />
ableiten, eine Lernatmosphäre<br />
zu schaffen, in der <strong>Kinder</strong> sich<br />
mit ihren individuellen <strong>Stärken</strong> gesehen<br />
und ernst genommen fühlen. Im schulischen<br />
Rahmen werden fachliche Inhalte<br />
und das Erlernen sozialer Kompetenzen<br />
häufig getrennt behandelt und als nicht<br />
gleichwertig betrachtet. Mit Blick auf<br />
das oben genannte Zitat erscheint es<br />
sinnvoll, dass Werteerziehung und die<br />
Förderung von Sozialkompetenz stets<br />
auch Unterrichtsinhalt sind und als<br />
gleichwertig betrachtet werden.<br />
Ein Ziel sollte es daher sein, positives<br />
Verstärken in den Fokus zu nehmen,<br />
denn im Kern kann man sagen: <strong>Kinder</strong><br />
wollen gut sein!<br />
In einer Klasse, in der das Miteinander<br />
durch Werte wie Respekt, Resilienz<br />
und Verantwortung geprägt ist, kann<br />
eine Atmosphäre entstehen, in der auch<br />
gut gelernt werden kann.<br />
Dazu zwei Beispiele aus dem<br />
Unterricht in einer dritten Klasse:<br />
1. Die „Gute-Taten-Leine“<br />
Um die Sozialkompetenz und die K<strong>lassen</strong>gemeinschaft<br />
zu stärken, haben wir in<br />
der Klasse eine „Gute-Taten-Leine“ eingeführt.<br />
Im wöchentlichen K<strong>lassen</strong>rat<br />
können <strong>Kinder</strong> für diese vorgeschlagen<br />
werden, wenn sie anderen geholfen oder<br />
sie getröstet haben, sich für jemanden<br />
oder eine Sache eingesetzt haben, etwas<br />
für die Gemeinschaft getan haben u. Ä.<br />
Die entsprechenden Kriterien dafür<br />
haben wir zunächst gemeinsam besprochen.<br />
Die guten Taten werden auf eine<br />
Karte geschrieben und diese wird an<br />
einer Leine, die durch den K<strong>lassen</strong>raum<br />
gespannt ist, aufgehängt. Dort bleibt sie<br />
hängen, bis die Leine voll ist. Dann werden<br />
sukzessiv von vorn nach hinten die<br />
älteren Karten durch neue Karten ersetzt.<br />
Die ausgetauschten Karten werden<br />
im Anschluss an die jeweiligen <strong>Kinder</strong><br />
ausgehändigt, sodass jedes Kind „seine“<br />
Karte mit nach Hause nehmen kann. Im<br />
Sinne einer Förderung der Selbst- und<br />
Fremdwahrnehmung werden die Schüler*innen<br />
durch das Kompliment bestärkt<br />
und lernen auf diese Weise auch,<br />
den anderen positive Rückmeldungen<br />
zu geben. Das Augenmerk in der Umsetzung<br />
liegt dabei auf positiver Bestätigung.<br />
Die „Gute Taten-Leine“ stellt daher<br />
eine Form der positiven Verstärkung innerhalb<br />
der Gruppe dar, indem die <strong>Stärken</strong><br />
des Einzelnen sichtbar gemacht werden.<br />
2. „Hände der Wertschätzung“<br />
Während eines interkulturellen Projektes<br />
wurde sichtbar, wie schwer es den<br />
Schüler*innen fiel, sich selbst, vor allem<br />
die eigenen <strong>Stärken</strong> und Fähigkeiten,<br />
einzuschätzen.<br />
Um eine Verbesserung des individuellen<br />
Selbstbildes und der Emotionalität<br />
sich selbst gegenüber zu fördern,<br />
haben wir in der Klasse unsere „Hände<br />
der Wertschätzung“ in den Blick<br />
genommen. Zunächst wurde die linke<br />
Hand mit dem Handrücken auf ein<br />
Blatt Papier gezeichnet. Nachdem alle<br />
ihre einzigartige Hand genau betrachtet<br />
und die jeweiligen Besonderheiten auf<br />
dem Papier eingezeichnet hatten, sollte<br />
jedes Kind für sich überlegen, was es<br />
Tanja Schubert<br />
ist Grundschullehrerin in Hamburg<br />
und ausgebildete Sprachlernberaterin,<br />
Förderkoordinatorin und in der Ausbildung<br />
von Lehrer*innen als Koordinatorin<br />
tätig. Aktuell ist sie K<strong>lassen</strong>lehrerin<br />
einer 3. Klasse.<br />
„Das war toll, als ich gelesen<br />
habe, was die anderen mir<br />
geschrieben haben!“<br />
Joel<br />
besonders auszeichnet. Das Ziel war es,<br />
fünf Besonderheiten über sich selbst jeweils<br />
neben die einzelnen Finger auf zu<br />
schreiben.<br />
In einer der nächsten Stunden haben<br />
alle Schüler*innen noch einmal<br />
ihre Hand auf ein Blatt Papier gezeichnet<br />
und in den Handrücken den eigenen<br />
Namen geschrieben. Dann wurden alle<br />
Hände ausgelegt. Anschließend hatten<br />
die <strong>Kinder</strong> nun den ganzen Vormittag<br />
Zeit, einem anderen Kind etwas in die<br />
Hand zu schreiben, was er oder sie besonders<br />
an diesem Kind schätzt.<br />
Die Verantwortung dafür, dass am<br />
Ende die Finger aller Hände beschrieben<br />
wurden, trug die Klasse gemeinsam.<br />
Jedes Kind hatte von sich nun zwei<br />
„Hände der Wertschätzung“: In einer<br />
Hand waren „eigene Werte“ festgehalten,<br />
in der anderen Hand „Werte, die andere<br />
<strong>Kinder</strong> wahrnehmen“.<br />
Diese Unterrichtseinheit sollte dem<br />
Aufbau eines realistischeren Selbstkonzeptes<br />
dienen und gleichzeitig eine<br />
differenziertere Sprachförderung ermöglichen.<br />
Bereits beim Aufschreiben der Wert-<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
19
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Lernziele zu ritualisierten Rückmeldungen<br />
(vgl. Schubert 2021, 15):<br />
• Förderung der Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />
• Sprachförderung (differenzierte<br />
Einschätzung statt pauschaler Beurteilung)<br />
• Überprüfung der Selbstwirksamkeit<br />
• Aufbau eines realistischen Selbstkonzeptes<br />
– Auffassung der Eigenschaften<br />
von sich selbst<br />
„Ich wusste gar nicht, dass die<br />
anderen denken, dass ich so fair<br />
beim Fußball bin …“<br />
Johan<br />
„Ich habe mich so gefreut, dass<br />
jemand geschrieben hat, dass ich<br />
so schön malen kann!“<br />
Alya<br />
schätzungen sind die <strong>Kinder</strong> miteinander<br />
ins Gespräch gekommen und mussten<br />
aufgrund des limitierten Platzes in<br />
den Händen sich genau überlegen, wie sie<br />
ihre Wertschätzung in verständliche und<br />
gleichsam aussagekräftige Worte fassen<br />
können.<br />
Die <strong>Kinder</strong> haben also schon während<br />
des Schreibprozesses miteinander über<br />
die zugeschriebenen Werte gesprochen<br />
und teilweise diese ausführlich mündlich<br />
erklärt. Am Ende bekam jeder „seine Hände<br />
der Wertschätzung“ ausgeteilt und nach<br />
einer stillen Lesezeit, in der jeder „seine<br />
Hände“ auf sich wirken <strong>lassen</strong> konnte,<br />
durften sich die <strong>Kinder</strong> in einer gemeinsamen<br />
Reflexionsphase zu „ihren Händen“<br />
äußern. Dabei standen vor allem die individuellen<br />
Empfindungen und Gefühle der<br />
<strong>Kinder</strong> im Fokus. Am Ende durften alle<br />
<strong>Kinder</strong> ihre „Hände der Wertschätzung“<br />
als Schatz mit nach Hause nehmen.<br />
Die Ergebnisse und Äußerungen der<br />
<strong>Kinder</strong> während der gemeinsamen Reflexion<br />
zeigten deutlich eine positive<br />
und nachhaltige Auswirkung auf die<br />
Selbstwahrnehmung der <strong>Kinder</strong>. <br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa165Lit<br />
20<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Miriam Remy<br />
Gemeinsam sind wir stark!<br />
Selbstwirksamkeit <strong>erleben</strong> mit dem FREI-DAY-Lernformat<br />
<strong>Kinder</strong> fühlen sich stark, wenn sie spüren, dass sie mit anpacken dürfen, dass sie<br />
gebraucht werden und ein wichtiger Teil der Gemeinschaft sind. Wenn wir ihnen<br />
signalisieren, dass ihre Gedanken, Fragen und Anliegen wichtig sind und gehört<br />
werden. Wenn wir ihnen zutrauen, dass sie auf richtig gute Ideen kommen und<br />
ihre Perspektive auf die Welt ein Geschenk auch für die Erwachsenen ist.<br />
Wenn wir ihnen vermitteln:<br />
Gemeinsam können wir das<br />
schaffen! Wenn sie sich<br />
selbst als wirksam <strong>erleben</strong> dürfen und<br />
sehen und spüren, dass sie zusammen<br />
mit anderen einen wichtigen Beitrag zu<br />
etwas Größerem geleistet haben.<br />
Dafür brauchen wir Zeit.<br />
Zeit im Schulalltag.<br />
lichen, wirtschaftlichen und im ökologischen<br />
Bereich sichtbar wird. In all<br />
seiner Komplexität. Lehrkräfte und<br />
päda gogische Fachkräfte werden dabei<br />
zu Schlüsselfiguren – sie sollen als<br />
Multiplikator*innen ausgebildet werden,<br />
die die <strong>Kinder</strong> und Jugendlichen<br />
dazu befähigen, ihre Gesellschaft und<br />
eigene Zukunft aktiv mitzugestalten<br />
und einen Handabdruck in der Welt<br />
zu hinter<strong>lassen</strong>. Doch wie können wir<br />
<strong>Kinder</strong> zur Mitgestaltung ihrer Zukunft<br />
befähigen?<br />
Aufgreifen der Fragen<br />
im Hier und Jetzt<br />
Was beschäftigt unsere <strong>Kinder</strong> zurzeit?<br />
Welche Fragen haben sie an die Welt?<br />
Neben den Tieren im Wald, Verkehrsregeln,<br />
Rechtschreibung und den<br />
Grundrechenarten wollen <strong>Kinder</strong> wissen:<br />
Was ist los in Israel und Palästina?<br />
Warum gibt es einen Krieg in der<br />
Ukraine? Was haben manche Erwachsene<br />
gegen das Elterntaxi? Wieso hat<br />
der Mann, der vor dem Supermarkt auf<br />
dem kalten Boden sitzt, keine Wohnung?<br />
Wo schläft er dann im Winter?<br />
Wieso sind manche meiner Lieblingstiere<br />
vom Aussterben bedroht? Warum<br />
ist es nicht gut, wenn meine Sitznachbarin<br />
jeden Tag ihr Pausenbrot in Alufolie<br />
verpackt mitbringt? Welche Auswirkungen<br />
auf unser Leben hat der sich<br />
verstärkende Treibhauseffekt? Und:<br />
Was können wir tun, damit wir es noch<br />
schaffen, die Klimakrise abzuwenden,<br />
über die die Erwachsenen die ganze<br />
Zeit im Radio und Fernsehen sprechen?<br />
<strong>Kinder</strong> gehen mit offenen Augen und<br />
Ohren durch die Welt und sind Meister<br />
darin, gute Fragen zu stellen. Das hilft<br />
ihnen, an all die Informationen heranzukommen,<br />
die sie brauchen, um die Welt,<br />
Miriam Remy<br />
ist seit September 2021 Bundeslandkoordinatorin<br />
für die Organisation<br />
Schule im Aufbruch in NRW. Dabei begleitet<br />
sie Lehrkräfte und Schulleitungen<br />
in der Einführung und Umsetzung<br />
des FREI-DAY-Lernformats und setzt<br />
sich für einen Bildungswandel hin zu<br />
einer zukunftsorientierten Lernkultur<br />
ein. Sie ist ausgebildete Lehrkraft,<br />
hat einige Jahre an weiterführenden<br />
Schulen unterrichtet und ist seit vielen<br />
Jahren als Bildungsreferentin im Schulentwicklungsbereich<br />
aktiv.<br />
Für die UNESCO ist klar: Bildung ist<br />
ein entscheidender Erfolgsfaktor für<br />
die Erreichung aller 17 Ziele in ihrem<br />
Weltaktionsprogramm bis 2030 für<br />
eine sozial gerechte und umweltfreundliche<br />
Welt. Schulen sind dabei aus Sicht<br />
der Regierungen in aller Welt ein zentraler<br />
Knotenpunkt für den gesamtgesellschaftlichen<br />
Wandel: Hier kommen<br />
alle <strong>Kinder</strong> jeden Tag zum Lernen<br />
zusammen, ganz egal, aus welchem<br />
Elternhaus und Stadtteil sie stammen.<br />
Weltweit. Schulen sollen sich entsprechend<br />
in „Reallabore“ für Zukunftsfähigkeit<br />
verwandeln, an denen Bil dung<br />
„experimentell, handlungsorientiert,<br />
mit lokalem Bezug und kulturspezifisch“<br />
im Sinne der 17 Nachhaltig keitsziele<br />
ausgestaltet wird (vgl. Berliner<br />
Erklärung zur Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung, Mai 2021, Abschnitt 6.e).<br />
Damit das gelingen kann, sollen Schulen<br />
sich ganzheitlich auf allen Ebenen<br />
des Lernens und Zusammenlebens<br />
weiterentwickeln. „Für das<br />
Leben lernen und das Gelernte leben“,<br />
so ist der Auftrag an die Schule im<br />
21. Jahrhundert, oder auf Englisch<br />
ausgedrückt: „Learn for the planet.<br />
Act for sustainability.“ Der schulische<br />
Alltag soll das aufgreifen, behandeln,<br />
verständlich werden <strong>lassen</strong>, was aktuell<br />
in der Welt passiert und an dringendem<br />
Veränderungsbedarf im gesellschaftin<br />
die sie hineingeboren werden, besser<br />
verstehen zu können. Sie haben einen<br />
großen Forscher*innen-Geist und feine<br />
Antennen, die manchmal auch ohne<br />
viele Worte verstehen: Hier machen<br />
sich Erwachsene Sorgen. Dieses Thema<br />
ruft starke Gefühle hervor. Hier will<br />
mir meine Mutter oder Lehrerin lieber<br />
nichts weiter darüber erzählen.<br />
Doch ihr Forscher*innen geist ist damit<br />
noch nicht zufriedengestellt. Auch<br />
die Fragen, über die wir lieber hinweggehen<br />
und auf die wir den <strong>Kinder</strong>n keine<br />
verständlichen Antworten anbieten,<br />
arbeiten in ihnen weiter. In diesem Fall<br />
geht die Suche nach Antworten einfach<br />
ohne unsere Hilfe weiter – oder sie verfestigt<br />
sich als diffuse Sorge und Zukunftsangst,<br />
die ungehört bleibt und<br />
<strong>Kinder</strong> auf Dauer gereizt, unkonzentriert,<br />
sprachlos oder schlaflos werden<br />
lässt. Denn diese Fragen sind dringend<br />
und beschäftigen nicht nur die <strong>Kinder</strong>,<br />
sondern viele Menschen in unserer Gesellschaft<br />
und weltweit. Davon bleiben<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
21
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Informationen zu den Angeboten von Schule im Aufbruch<br />
Die Organisation Schule im Aufbruch setzt sich seit ihrer Gründung<br />
im Jahr 2012 für die Verankerung von zukunfts- und schüler*innenorientierten<br />
Lernformaten ein und unterstützt Lehrkräfte<br />
und Schulleitungen mit Fortbildungs,- Austausch- und<br />
Beratungsangeboten im Einführungsprozess. Weitere Informationen<br />
zu ihren Angeboten, ein Magazin mit Praxisberichten<br />
sowie ein Veranstaltungskalender finden sich auf ihrer Homepage<br />
https://schule-im-aufbruch.de/.<br />
Bundesweit haben sich in den letzten Monaten bereits über<br />
720 Schulen bei uns gemeldet, weil sie sich Unterstützung bei<br />
der Einführung des FREI-DAY-Lernformats wünschen. Weitere Informationen<br />
zum Konzept sowie Erfahrungsberichte aus der Praxis<br />
finden sich auf der FREI-DAY-Homepage https://frei-day.org.<br />
In einigen Bundesländern, darunter Niedersachsen, NRW,<br />
Sachsen, Baden-Württemberg und das Saarland, ist die Teilnahme<br />
an schuljahresbegleitenden Unterstützungsprogrammen<br />
möglich. Interessierte Lehrkräfte und Schulleitungen können<br />
über ein Kontaktformular einen unverbindlichen Beratungstermin<br />
vereinbaren: (https://formulare.schule-im-aufbruch.de/<br />
jetzt-aufbrechen) oder an einer Infoveranstaltung teilnehmen.<br />
auch die <strong>Kinder</strong> unserer Zeit nicht unberührt.<br />
Wachstumsimpulse und<br />
Lernzuwachs durch BNE<br />
Hier wird sichtbar, wie groß das<br />
Wachstumspotenzial für <strong>Kinder</strong> im<br />
Kontext von BNE ist: Durch die Verankerung<br />
von BNE erhalten <strong>Kinder</strong><br />
die Möglichkeit, eigenen Forschungsfragen<br />
an die Welt lösungsorientiert<br />
nachzugehen. Dabei schließen sie sich<br />
mit anderen <strong>Kinder</strong>n, der Schulgemeinschaft,<br />
Teilen der Eltern, Nachbar*innen,<br />
lokalen Unternehmen, Politiker*innen<br />
und Initiativen vor Ort zusammen,<br />
besuchen außerschulische Bildungsorte,<br />
interviewen Expert*innen und tragen<br />
ihre Anliegen und Wünsche in eine<br />
breitere Öffentlichkeit. Ganz im Sinne<br />
der <strong>Kinder</strong>rechte bringen sie ihre Fragen,<br />
Perspektiven und Ideen in die<br />
Gesellschaft ein und wirken an der Ausgestaltung<br />
ihrer Gegenwart und Zukunft<br />
aktiv mit. Unsere Rolle als Erwachsene ist<br />
es dabei, die <strong>Kinder</strong> in ihren Sorgen und<br />
Anliegen ernst zu nehmen, sie bei der<br />
<strong>Kinder</strong> der Gottfried-Kinkel-Grundschule in Bonn<br />
Ausschärfung ihrer Forschungsfragen<br />
zu unterstützen, ihnen einen hilfreichen<br />
Rahmen für ihre Projekte zu schaffen,<br />
die Arbeit der Projektteams sinnvoll zu<br />
strukturieren, sie mit Expert*innen und<br />
Engagierten zu vernetzen, bei Herausforderungen<br />
und unerwarteten Komplikationen<br />
zu beraten und ihnen immer<br />
wieder Mut zu machen, ihre Anliegen<br />
einzubringen und in einen spürbaren<br />
und sichtbaren Beitrag zum Gemeinwohl<br />
zu verwandeln.<br />
Die Kraft des Wir <strong>erleben</strong><br />
Genau hier setzt das FREI-DAY-Lernformat<br />
von Schule im Aufbruch an.<br />
Bundesweit wissen wir bereits von<br />
mehr als 720 Schulen aller Schulformen,<br />
die seit 2019 das FREI-DAY-Lernformat<br />
bei sich eingeführt haben und es als<br />
Möglichkeit nutzen, eine Brücke in die<br />
neue Lernkultur im 21. Jahrhundert zu<br />
bauen.<br />
Im Grunde ist es ganz einfach:<br />
Einmal in der Woche erhalten <strong>Kinder</strong><br />
und Jugendliche drei bis vier<br />
Schul stunden am Stück Zeit, sich mit<br />
ihren großen Fragen an die Welt zu<br />
beschäftigen und ein Problem aus<br />
den 17 Zielen auszuwählen, das ihnen<br />
besonders am Herzen liegt. Dabei vernetzen<br />
sie sich mit außerschulischen<br />
Lernorten, Initiativen und Expert*innen<br />
vor Ort und entwickeln einen konkreten<br />
Lösungsvorschlag, wie die Welt in diesem<br />
Bereich ein Stück weit verbessert<br />
werden kann.<br />
Doch bleibt es dabei nicht bei der<br />
Theorie und Fragen nach dem „Was<br />
wäre, wenn …?“. Das große Ziel am<br />
FREI DAY ist es, die eigene Idee in der<br />
Welt auszuprobieren und sich dabei<br />
selbst als wirksam zu <strong>erleben</strong>.<br />
Förderung vielfältiger fachlicher<br />
und überfachlicher Kompetenzen<br />
Hierbei wird klar, wie viele unterschiedliche<br />
Kompetenzen und Fähigkeiten<br />
in diesem Prozess bei den <strong>Kinder</strong>n<br />
gefördert werden. Neben den grundlegenden<br />
Lese-, Schreib- und mathematischen<br />
Kompetenzen erwerben<br />
die <strong>Kinder</strong> durch die Zusammenarbeit<br />
in ihren Schüler*innen-Teams und<br />
mit Eltern, Initiativen und Expert*innen<br />
tiefe Einblicke in die komplexen<br />
Zusammenhänge unserer Welt. Bei der<br />
Ausgestaltung ihrer Aktivitäten in einer<br />
breiteren Öffentlichkeit werden – ganz<br />
nebenbei und situativ begründet – weitere<br />
Lehrplanvorgaben und fachübergreifende<br />
Querschnittsaufgaben im<br />
Sinne einer zeitgemäßen Lernkultur<br />
erfüllt: Die Schüler*innen wenden kritische<br />
Medienkompetenzen bei ihrer<br />
Recherche an, nutzen die Medien ggf.<br />
im weiteren Projektverlauf als hilfreiche<br />
Werkzeuge, um ihrem Anliegen mehr<br />
Gehör und Sichtbarkeit zu verschaffen,<br />
lernen, Gespräche und Interviews zu<br />
22<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
führen, komplexe Zusammenhänge zu<br />
verstehen, sich eigene realistische Ziele<br />
zu stecken, ihre Vorgehensweise strategisch<br />
zu planen und ggf. erneut im Verlauf<br />
anzupassen, um auf ein konkretes<br />
Ziel mit ihrer Gruppe hinzuarbeiten<br />
und ihre Ergebnisse am Ende öffentlichkeitswirksam<br />
in die Gemeinschaft einzubringen.<br />
BNE ist somit kein zusätzliches<br />
„Add-on“, sondern stellt eine<br />
wirkungsvolle Möglichkeit dar, zahlreiche<br />
Erkenntnisse und lernförderliche<br />
Empfehlungen der letzten Jahre zu<br />
bündeln und in einem motivierenden,<br />
sinnstiftenden Kontext konkret in die<br />
Umsetzung zu bringen.<br />
Um die Lehrkräfte gut auf diese Aufgabe<br />
vorzubereiten, bietet Schule im<br />
Aufbruch zahlreiche Fortbildungen und<br />
den schulübergreifenden Austausch zwischen<br />
Kolleg*innen in unserem Netzwerk<br />
von Schulen an. In einer stetig<br />
wachsenden Online-Materialsammlung<br />
stellen wir zudem inspirierende Vorlagen<br />
und Good-Practice-Beispiele zur<br />
Verfügung, um die Lernbegleiter*innen<br />
in ihrer Arbeit zu entlasten und das<br />
Von- und Miteinander-Lernen zwischen<br />
den Schulen zu ermöglichen.<br />
Stellt euch vor, …<br />
… einmal in der Woche würden die<br />
Jahrgangsstufen 3 und 4 oder die gesamte<br />
Schulgemeinschaft an ihren großen<br />
Fragen an die Welt forschen.<br />
Ihr betretet das Schulgebäude und<br />
überall haben sich kleine Gruppen von<br />
<strong>Kinder</strong>n zusammengefunden, die gemeinsam<br />
diskutieren, lesen, recherchieren,<br />
ihre Gedanken und Ergebnisse<br />
in ihrem Projekttagebuch notieren,<br />
Briefe schreiben, online zum Interview<br />
mit einem Elternteil oder einer Wissenschaftler*in<br />
verabredet sind, Telefonate<br />
führen, einen Radiobeitrag oder ein Erklärvideo<br />
vorbereiten, Plakate gestalten<br />
oder ihre nächste öffentlichkeitswirksame<br />
Aktion im Stadtteil planen.<br />
Die Lehrkräfte und pädagogischen<br />
Fachkräfte begleiten sie dabei. Sie helfen<br />
den <strong>Kinder</strong>n, ihre Vorhaben sinnvoll zu<br />
strukturieren und ihre Schritte und Ziele<br />
realistisch zu planen, als Gruppe gut<br />
zusammenzuarbeiten, ihre Ergebnisse<br />
zu dokumentieren und bei Fragen herauszufinden,<br />
wer ihnen hier am besten<br />
weiterhelfen kann. Ihre Aufgabe ist es,<br />
die <strong>Kinder</strong> dabei zu unterstützen, sich<br />
mit ihren Anliegen aktiv in die Schulgemeinschaft<br />
und ihr Lebensumfeld einzubringen<br />
und dabei die Erfahrung zu<br />
machen, dass wir gemeinsam viel erreichen<br />
können.<br />
Das große Ziel von BNE ist es ja, zu<br />
einer sichtbaren und spürbaren Veränderung<br />
in der Welt beizutragen und<br />
sich selbst und das eigene Handeln als<br />
wirksam zu <strong>erleben</strong>.<br />
Einige <strong>Kinder</strong> halten sich in diesem<br />
Moment vielleicht gar nicht im Schulgebäude<br />
auf, sondern sind gemeinsam<br />
auf dem Schulgelände unterwegs, um<br />
mit einem Handwerker aus der Elternoder<br />
Nachbarschaft eine Ruhe-Insel auf<br />
dem Schulhof einzurichten, um das Ziel<br />
„Gesundheit und Wohlbefinden“ weiter<br />
auszubauen. Andere <strong>Kinder</strong> sind gerade<br />
mitten im Gespräch mit der Reinigungsfirma,<br />
um einzufordern, dass in Zukunft<br />
nur noch umweltverträgliche Reinigungsmittel<br />
für das Putzen der Schule<br />
verwendet werden, um die Gewässer<br />
zu schützen. Wiederum andere nehmen<br />
einen Termin beim Caterer wahr,<br />
um auszuloten, was getan werden muss,<br />
damit das Schulessen leckerer, gesünder,<br />
regionaler und mehr an den Wünschen<br />
der <strong>Kinder</strong> ausgerichtet werden<br />
kann. Wiederum andere <strong>Kinder</strong> sind<br />
vielleicht gerade bei der lokalen Initiative<br />
für wohnungslose Menschen zu Besuch,<br />
um herauszufinden, was die Schulgemeinschaft<br />
tun kann, um Menschen in<br />
dieser schwierigen Situation im Winter<br />
vor dem Erfrieren zu schützen, oder um<br />
ihre in der Elternschaft und Nachbarschaft<br />
gesammelten Decken und Schlafsäcke<br />
dort abzugeben.<br />
Weitere Projektbeispiele<br />
SDGs ii einem<br />
K<strong>lassen</strong>zimmer<br />
der Gottfried-<br />
Kinkel-Grundschule<br />
in Bonn<br />
Arbeit mit den<br />
17 Zielen an der<br />
Gottfried-Kinkel-<br />
Grundschule in<br />
Bonn<br />
Einige Grundschulen berichten, dass die<br />
<strong>Kinder</strong> am FREI DAY eigene Umfragen<br />
konzipieren, um z. B. herauszufinden,<br />
wie viele <strong>Kinder</strong> nach wie vor mit dem<br />
Elterntaxi zur Schule gebracht werden<br />
und warum. Anschließend entwickeln<br />
sie im Rahmen ihres Projekts<br />
Maßnahmen, um diese Situation zu<br />
verändern: Sie schildern die Radwege<br />
für ihre Mitschüler*innen besser aus,<br />
organisieren Schulweggruppen, die<br />
gemeinsam zur Schule laufen, formulieren<br />
einen Brief an die Eltern, in dem sie<br />
darlegen, warum Elterntaxis aus ihrer<br />
Sicht keine gute Lösung sind und wie<br />
sich alle gemeinsam für sicherere Schulwege<br />
bei der Stadt starkmachen können.<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
23
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Sie führen Gespräche mit dem lokalen<br />
Busunternehmen und setzen sich bei<br />
der Stadt dafür ein, dass bei der nächsten<br />
Fahrplanänderung bessere Zeiten<br />
festgelegt werden und eine näher<br />
gelegene Bushaltestelle genutzt wird,<br />
an der eine Ampel zum Schutz der <strong>Kinder</strong><br />
beim Überqueren der Straße eingerichtet<br />
wird. Eine andere Initiative<br />
macht Werbung für die Teilnahme der<br />
Schulgemeinschaft am Stadtradeln und<br />
setzt sich dafür ein, dass ausreichend<br />
überdachte Fahrradunterstände für alle<br />
zur Verfügung gestellt werden.<br />
Wiederum andere <strong>Kinder</strong> machen sich<br />
Sorgen um die im letzten Sommer bei<br />
der anhaltenden Trockenheit oder vom<br />
Unwetter zerstörten Waldflächen in der<br />
Nähe der Schule, nehmen Kontakt zum<br />
Förster auf und wollen wissen, wie ein klimaresistenter<br />
Wald aussehen kann. Daraus<br />
ergibt sich die Idee, bei einem selbst<br />
organisierten Spielsachen- und Kleiderflohmarkt<br />
die erzielten Erlöse für den<br />
Kauf von Baumsetzlingen zu verwenden,<br />
die die <strong>Kinder</strong> anschließend gemeinsam<br />
mit den Waldarbeiter*innen sachgemäß<br />
einpflanzen und vor Wildverbiss schützen<br />
und dabei viel lernen über ökologische<br />
Zusammenhänge, spannende Berufe<br />
und die Kraft, die darin steckt, wenn wir<br />
uns gemeinsame Ziele stecken und diese<br />
zusammen wahr werden <strong>lassen</strong>.<br />
Stärkung der<br />
Handlungskompetenzen<br />
und Resilienzförderung<br />
Die Resultate ihrer Arbeit so konkret<br />
vor Augen zu haben, macht die <strong>Kinder</strong><br />
stolz und zeigt ihnen, wie wichtig es ist,<br />
gemeinsam anzupacken. Vor allem aber<br />
macht es ihnen Mut, sich in Zukunft<br />
immer wieder für das Gute einzusetzen<br />
und sich mit anderen zusammen für<br />
eine bessere Welt zu engagieren. Durch<br />
BNE öffnet sich Schule also nicht nur<br />
der aktuellen Welt der <strong>Kinder</strong> und den<br />
großen Fragen und Herausforderungen<br />
unserer Zeit, sondern die Schüler*innen<br />
erhalten darüber hinaus die Möglichkeit,<br />
ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten<br />
und die Kraft der Gemeinschaft hautnah<br />
zu <strong>erleben</strong> und sich in der Mitgestaltung<br />
ihrer Zukunft zu üben. Sie erfahren, wie<br />
viel Gutes möglich wird, wenn wir einen<br />
Raum schaffen, um über unsere Ängste,<br />
Sorgen und Wünsche miteinander ins<br />
Gespräch kommen. Sie spüren, dass sie<br />
nicht alleine sind mit diesen Sorgen und<br />
dem Wunsch, etwas zum Besseren zu<br />
verändern, und sie kommen in Kontakt<br />
mit anderen Menschen in ihrem Umfeld,<br />
die diesen Impuls auch verspüren und<br />
vielleicht sogar schon begonnen haben,<br />
sich aktiv und wirkungsvoll für eine Veränderung<br />
zu engagieren.<br />
<strong>Kinder</strong> erhalten dadurch die Möglichkeit,<br />
mit ermutigenden Geschichten, inspirierenden<br />
Vorbildern, ansteckenden<br />
Initiativen und all den Lösungsansätzen<br />
in unserer Welt in Berührung zu kommen,<br />
die es schon längst in jedem Stadtteil<br />
und überall in der Welt gibt.<br />
Ein starker Impuls für die Stärkung<br />
der Schulgemeinschaft<br />
Wie verändert solch ein Format die<br />
Schulgemeinschaft? Neben der neuen<br />
Rolle, die <strong>Kinder</strong>n in ihrer Schule zuteilwird<br />
– nämlich die Rolle von Ideengeber*innen,<br />
Mitgestalter*innen und<br />
Change Agents für den notwendigen<br />
Wandel unserer Gesellschaft, finden<br />
sich auch die Lehrkräfte in der allerorts<br />
geforderten Rolle der individuellen<br />
Lernbegleiter*in wieder. So bietet diese<br />
Art des Lernens viele Gelegenheiten für<br />
flankierende Reflexionsgespräche und<br />
die Diagnose von im Handeln sichtbar<br />
werdenden individuellen Lernbedarfen<br />
der <strong>Kinder</strong>. Aber auch einen guten<br />
Anlass für formatives Feedback und<br />
die Förderung der 4K, wie sie von der<br />
Kultusministerkonferenz für das Lernen<br />
in der digitalen Welt gefordert werden.<br />
Im Rahmenkonzept des OECD Lernkompass<br />
2030 ist von „Co Agency“ die<br />
Rede, um die „Student Agency“ und<br />
„Transformationskompetenzen“ der Schüler*innen<br />
wirkungsvoll zu stärken. Hiermit<br />
treten neben der begleitenden und unterstützenden<br />
Rolle der Lehrkraft weitere Ressourcen<br />
und Wissensvermittler*innen in<br />
den Blick: Außerschulische Lernorte, Expert*innen<br />
und alle Mitglieder der Schulgemeinschaft<br />
können dabei Quellen von<br />
hilfreichen Erfahrungsschätzen, Handlungswissen<br />
und Perspektiven werden, die<br />
die <strong>Kinder</strong> in ihren Anliegen unterstützen<br />
und weiter voranbringen können.<br />
Eltern und Großeltern erhalten dadurch<br />
die Möglichkeit, sich mit all ihrer<br />
Lebenserfahrung, wertvollen Expertise<br />
und zahlreichen Kompetenzen sinnvoll in<br />
die Schulgemeinschaft einzubringen und<br />
können die Lehrkräfte und pädagogischen<br />
Fachkräfte bei der Begleitung der Projektvorhaben<br />
der <strong>Kinder</strong> entlasten und ergänzen.<br />
Auch für die Ganztagsentwicklung<br />
bietet solch ein BNE-Projektformat und<br />
die Orientierung am geforderten „Whole<br />
School Approach“ zukunftsweisende Impulse:<br />
Die Begleitung der Projektvorhaben<br />
der <strong>Kinder</strong> bietet viele Anlässe und einen<br />
sinnstiftenden Rahmen für die die multiprofessionelle<br />
Zusammenarbeit von Lehrkräften<br />
und pädagogischen Fachkräften<br />
auf Augenhöhe und eine konkrete Möglichkeit,<br />
das Lernen am Vor- und Nachmittag<br />
sowie das formale, nonformale und<br />
informelle Lernen motivierend und gewinnbringend<br />
miteinander zu verbinden.<br />
Dabei verändert sich auch die Stellung<br />
der Schule im Stadtteil: Die Grundschule<br />
wird zunehmend zu einem Knotenpunkt<br />
für Engagement, von dem über die<br />
Projekte und Ideen der <strong>Kinder</strong> viele zukunftsorientierte<br />
Impulse in den Stadtteil<br />
ausstrahlen, Menschen mit positiven<br />
Botschaften ein und aus gehen und<br />
die <strong>Kinder</strong> mit dem Gefühl aufwachsen,<br />
dass es sich lohnt, gemeinsam Dinge in<br />
die Hand zu nehmen und zum Positiven<br />
zu verändern. Das stärkt ihre Resilienz<br />
und schenkt ihnen Hoffnung und Zuversicht<br />
in einer Zeit, in der sie sich ansonsten<br />
tagein, tagaus mit besorgniserregenden<br />
Katastrophenbildern und -szenarien konfrontiert<br />
sehen. Gemeinsam sind wir stark!<br />
Packen wir es an. <br />
Literatur<br />
Berliner Erklärung zur Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung, Mai 2021, Abschnitt 6.e<br />
https://www.unesco.de/sites/default/<br />
files/2021-05/Berliner %20<br />
Erkl %C3 %A4rung %20 f %C3 %BCr %20<br />
BNE.pdf, letzter Zugriff am 10.12.2023).<br />
Leitlinie BNE, MSB NRW 2017, Seiten 12-23,<br />
https://www.schulministerium.nrw/sites/<br />
default/files/documents/Leitlinie_BNE.pdf,<br />
zuletzt aufgerufen am 10.12.2023<br />
Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung (2017). Nationaler Aktionsplan<br />
Bildung für nachhaltige Entwicklung – BMBF,<br />
zuletzt aufgerufen am 03,01.2024)<br />
Rahmenkonzept des OECD Lernkompass<br />
2030. https://www.oecd.org/education/2030-<br />
project/contact/OECD_Lernkompass_2030.<br />
pdf, letzter Zugriff am 10.12.2023<br />
Rasfeld, M./Peter, F. (2022): Bildung für<br />
nachhaltige Entwicklung. Neuausrichtung<br />
einer der tragenden Säulen unserer Gesellschaft.<br />
report psychologie, 47 (02/2022), 34–37.)<br />
Diesen Beitrag in Langform können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa165Lit<br />
24<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Michael Bauernschuster<br />
<strong>Stärken</strong>orientierung in Unterricht,<br />
Schule und Schulberatung<br />
Laut psychologischen Studien begünstigte die Pandemie psychisch-emotionale<br />
sowie verhaltensbezogene Schwierigkeiten bei <strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen, beispielsweise<br />
Depressionen, Angst- und Essstörungen (vgl. Ravens-Sieberer et al.<br />
2022). Negative, verzerrte Grundüberzeugungen über sich selbst, andere und die<br />
Umwelt, Hoffnungs- und Hilflosigkeitserwartungen sowie sozialer Rückzug sind<br />
Erscheinungsweisen, die sich auch im Denken bzw. Verhalten von <strong>Kinder</strong>n im<br />
Schulalltag zeigen können. Wir Lehrkräfte stehen somit verstärkt vor pädagogisch-psychologischen<br />
Herausforderungen.<br />
Die gute Nachricht ist: In Schule<br />
und Unterricht können wir täglich<br />
günstige Möglichkeiten für<br />
unsere Schüler:innen schaffen, die den<br />
Aufbau, die Stabilisierung und Weiterentwicklung<br />
eines positiven (Fähigkeits-)Selbstkonzepts,<br />
von Motivation<br />
und Anstrengungsbereitschaft fördern.<br />
Dieser Beitrag lässt sich wie folgt in<br />
das Thema der vorliegenden Grundschule<br />
aktuell einordnen: Zuerst fokussiere<br />
ich die Lehrkraft als Einflussfaktor<br />
auf das Wohlbefinden von Schüler:innen.<br />
Danach erwartet Sie eine Auswahl<br />
an konkreten Maßnahmen, Methoden<br />
und Übungen für Unterricht, Schule und<br />
Schulberatung, die es den <strong>Kinder</strong>n ermöglicht,<br />
ihre <strong>Stärken</strong> zu erkennen und<br />
zu <strong>erleben</strong>. Diese Bemühungen können<br />
als Schutzfaktoren für psychisch-emotionales<br />
und soziales Belastungs<strong>erleben</strong><br />
wirken.<br />
Auf die Lehrkraft kommt es<br />
an: Haltung und Beziehung<br />
Um eine günstige Grundlage dafür zu<br />
legen, <strong>Kinder</strong> in ihrem Denken über ihre<br />
Fähigkeiten und Eigenschaften positiv<br />
prägen zu können, spielen die Haltung<br />
von Lehrkräften und Interaktionsprozesse<br />
zwischen ihnen und ihren Schüler:innen<br />
eine bedeutsame Rolle. Günstig wirkt,<br />
wenn <strong>Kinder</strong> gute K<strong>lassen</strong>führung,<br />
methodisch-didaktische Klarheit, soziale<br />
Unterstützung, Warmherzigkeit, Offenheit,<br />
direktes und formatives Feedback<br />
erfahren (vgl. Hattie 2013). Die Förderung<br />
positiver Beziehungen und Sprache,<br />
positiver Emotionen sowie von Selbstwirksamkeit,<br />
Autonomie und Wahlfreiheit<br />
steigert die individuelle mentale und<br />
körperliche Gesundheit (vgl. Lichtinger<br />
2022). Dieser Aspekt erinnert an die<br />
Selbstbestimmungstheorie, welche Autonomie,<br />
soziale Eingebundenheit und<br />
Kompetenz<strong>erleben</strong> als motivationsförderliche<br />
Grundbedürfnisse des Menschen<br />
ausweist (vgl. Deci/Ryan 2017). Wir Lehrkräfte<br />
können unseren Unterricht immer<br />
wieder auf deren Realisierung hin reflektieren<br />
und daran anpassen.<br />
Die Orientierung an <strong>Stärken</strong> und<br />
Wachstum soll sich wie ein roter Faden<br />
durch unsere Bemühungen in<br />
der Unterrichts- und Schulentwicklung<br />
ziehen. Sie beabsichtigt, dass wir<br />
<strong>Kinder</strong> erziehen zu mündigen, selbstbewussten<br />
Individuen, die ihre <strong>Stärken</strong><br />
kennen und darauf zurückgreifen, um<br />
sich Herausforderungen und Krisen in<br />
ihrem Leben resilient stellen zu können.<br />
Auf die Lehrkraft kommt es<br />
an: Lehrergesundheit<br />
Um <strong>Kinder</strong>n mit einer ressourcenorientierten,<br />
wertschätzenden Haltung<br />
begegnen zu können, ist die psychischemotionale<br />
Gesundheit von uns Lehrkräften<br />
bedeutsam, damit wir konstruktive<br />
Interaktionen sowie den <strong>Kinder</strong>n<br />
ein günstiges Modelllernen ermöglichen<br />
können. Folgende Impulse sollen der<br />
eigenen Reflexion dienen:<br />
● Neige ich zu ungünstigen Erklärungen<br />
für meine Erfolge und Misserfolge?<br />
Führe ich beispielsweise Erfolge<br />
eher auf externale Faktoren statt auf<br />
den eigenen Verdienst, Misserfolge<br />
eher auf internale Faktoren statt auf<br />
mangelnde Vorbereitung zurück?<br />
– positive, realistische Sicht auf sich,<br />
andere und die Umwelt aufbauen<br />
Michael Bauernschuster<br />
ist Lehrer an der Grundschule Baierbrunn,<br />
Beratungslehrkraft am Schulberatungszentrum<br />
Grünwald, Leiter<br />
der Regionalgruppe Oberbayern im<br />
Grundschulverband e. V.<br />
● Erkenne ich automatisierte Verhaltensmuster<br />
aufgrund eigener negativer<br />
Lernerfahrungen?<br />
– beobachtende, akzeptierende Haltung<br />
gegenüber eigenen unangenehmen<br />
Emotionen aufbauen; negative<br />
Glaubenssätze entlarven<br />
● Bemerke ich bei mir geistige, emotionale<br />
und/oder körperliche Unausgeglichenheit?<br />
– Pausen, Belohnungen, Meditation,<br />
Sport, Yoga … Was brauche ich,<br />
damit ich mich wohl, ausgeglichen<br />
und vollständig fühle?<br />
● Tendiere ich manchmal zu einem<br />
eher einseitigen Blick auf das, was<br />
mir fehlt, was ich nicht habe oder<br />
was ich nicht geschafft habe an<br />
einem Tag?<br />
– reflexive Rituale zu Dankbarkeit,<br />
Selbstwirksamkeit, <strong>Stärken</strong>, Erfolgen<br />
…<br />
Im Anschluss lege ich den Schwerpunkt<br />
auf eine Auswahl an Maßnahmen für<br />
Unterricht, Schule und Schulberatung,<br />
um <strong>Kinder</strong> ihre <strong>Stärken</strong> erkennen und<br />
<strong>erleben</strong> zu <strong>lassen</strong>.<br />
Maßnahmen im<br />
schulischen Bereich<br />
● <strong>Stärken</strong>, Interessen und Talenten<br />
von <strong>Kinder</strong>n eine Bühne geben<br />
durch Beiträge und Präsentationen<br />
in Schulversammlungen, Auffüh-<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
25
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Kindes ein Akrostichon mit anschließender<br />
Präsentation<br />
● Kraftfigur: <strong>Kinder</strong> gestalten in Kunst/<br />
Werken eine Figur als Visualisierung,<br />
die sie in herausfordernden Zeiten an<br />
ihre <strong>Stärken</strong> erinnern und somit stabilisieren<br />
soll; z. B. Superheld:in<br />
Maßnahmen im häuslichen Bereich<br />
Ressourcenkreis<br />
rungen wie Konzerten oder Musicals,<br />
im Sport- und Musikunterricht,<br />
bei Aktionen …<br />
● Journaling/schriftliche und mündliche<br />
Wochenreflexion/Gesprächsund<br />
Schreibanlässe: Das ist gut gelaufen<br />
diese Woche: …, Auf das bin<br />
ich stolz: …, Das ist mir super gelungen:<br />
…, Diese Herausforderung habe<br />
ich diese Woche gemeistert: …, Das<br />
ist gut so, wie es ist: …, Diesen Erfolg<br />
möchte ich mit euch teilen: …, Andere<br />
schätzen an mir: … mit anschließender<br />
Präsentation<br />
● Musik-Stopp-Spiel: <strong>Kinder</strong> bewegen<br />
sich während Musik durch das K<strong>lassen</strong>zimmer;<br />
beim Musik-Stopp teilen<br />
sich zwei <strong>Kinder</strong> gegenseitig mit, was<br />
sie an dem anderen genau wertschätzen<br />
bzgl. <strong>Stärken</strong>, Eigenschaften, Fähigkeiten,<br />
(Lern-)Fortschritten etc.<br />
● Lerntagebuch führen über mit der<br />
Lehrkraft vereinbarte, konkrete, messbare,<br />
erreichbare, attraktive Lernziele,<br />
die positiv und prozesshaft formuliert<br />
sind; Lehrkraft ermöglicht Fortschritte<br />
● Erfolge von <strong>Kinder</strong>n verbal auf eigene<br />
Anstrengungen und Fortschritte<br />
zurückführen, sodass das Kind lernt,<br />
dass es (Teil-)Ziele durch das eigene<br />
Tun und Handeln erreichen kann<br />
● Selbstständige Auswahl der Reihenfolge<br />
von zu bearbeitenden Aufgaben,<br />
des Schwierigkeitsgrads, der<br />
Lernhilfen, Lernwege, der Lernpartner:innen,<br />
der Sozialform, der Zeiteinteilung,<br />
der Raumnutzung, der<br />
Selbstkorrektur …<br />
– Möglichkeiten schaffen für das<br />
Entwickeln von und Handeln nach<br />
eigenen <strong>Stärken</strong><br />
● Gelegenheiten zum entdeckenden,<br />
problemlösenden, handlungsorientierten,<br />
selbstverantwortlichen Ler nen<br />
(vgl. Bohl, Kucharz 2010). Aufbau von<br />
Motivation, <strong>Stärken</strong>, Selbstvertrauen<br />
● Mitbestimmen, mitentscheiden, mitgestalten<br />
im K<strong>lassen</strong>rat und im Schülerparlament:<br />
Wünsche, Anliegen für<br />
Unterricht und Schule, Konflikte klären<br />
… (auf Umsetzung achten).<br />
● Aufbau von Selbstwirksamkeit und<br />
Kontrollüberzeugungen<br />
● <strong>Stärken</strong>hand als Vorlage mit Umriss<br />
einer Hand: Kind zeichnet Umriss<br />
seiner Hand auf Papier; alle Mitschüler:innen<br />
schreiben erkannte<br />
Erfolge und <strong>Stärken</strong> des jeweiligen<br />
Kindes in dessen Hand<br />
● <strong>Stärken</strong>-Akrostichon: <strong>Kinder</strong> erstellen<br />
mit den Buchstaben ihres Vornamens/des<br />
Vornamens eines anderen<br />
● Außerschulische Interessen, Hobbys,<br />
<strong>Stärken</strong> und Talente fördern<br />
als positive (Selbst-)Erfahrungen, die<br />
möglicherweise schulischen Misserfolg<br />
kompensieren können<br />
● Erfolgs-/<strong>Stärken</strong>tagebuch: 3 Dinge<br />
täglich aufschreiben, bei denen man<br />
erfolgreich war, die gut gelaufen sind,<br />
auf die man stolz sein kann … (vgl.<br />
Seligman 2012)<br />
● <strong>Stärken</strong>mauer an der Wand im <strong>Kinder</strong>zimmer<br />
aufbauen; <strong>Stärken</strong> jeweils<br />
auf einen Zettel schreiben; jeder Zettel<br />
bildet einen Stein der Mauer, die<br />
sich mit der Zeit vergrößert<br />
● <strong>Stärken</strong>blume: Kind sowie Personen<br />
im Umfeld des Kindes (Erziehungsberechtige,<br />
Lehrkraft, Erzieher:innen<br />
…) sammeln in Blüten einer gebastelten<br />
<strong>Stärken</strong>blume jeweils erkannte<br />
Potenziale des Kindes; das Kind bekommt<br />
die Blume als Geschenk zum<br />
Aufhängen.<br />
Maßnahmen in der Schulberatung<br />
● Ressourcenkreis: In der Mitte einer<br />
Vorlage schreibt man mit dem Kind<br />
eine Stärke, ein Hobby, ein Interesse<br />
(z. B. Fußball spielen); außen herum<br />
erarbeitet und notiert man mit<br />
dem Kind Fähigkeiten, die es dafür<br />
braucht (z. B. genau beobachten, konzentrieren,<br />
schnell reagieren, Ausdauer<br />
haben …); danach überlegt<br />
man mit dem Kind, welche Fähigkeit<br />
es für einen als problemhaft empfundenen<br />
Bereich heranziehen kann und<br />
wie das genau aussehen könnte, um<br />
ein Problem zu reduzieren.<br />
Schwäche<br />
Veränderbarkeit<br />
0 = nicht veränderbar<br />
5 = veränderbar<br />
zu sensibel 2 4<br />
Motivation<br />
zum Verändern<br />
0 = passt schon<br />
5 = definitiv<br />
Übung zum Perspektivenwechsel auf Schwächen<br />
<strong>Stärken</strong> der Schwäche<br />
- tiefere, genauere Wahrnehmung, mehr Freude, intensivere Gefühle<br />
- förderlich fürs Musikmachen/Songwriting<br />
- sozial stark, empathisch, hohes Einfühlungsvermögen: Menschen schätzen<br />
mich, tiefe Freundschaften fürs Leben, sozialer Rückhalt<br />
26<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
● Ressourcenbaum (vgl. Meyer 2018,<br />
66 f.) als Vorlage mit Umriss eines<br />
Baumes: In den Ästen des Baumes<br />
schreibt man mit dem Kind eine<br />
bereits bekannte Fähigkeit (z. B. soziale<br />
Kompetenz), in die Blätter des<br />
Baumes, welche Fähigkeiten hinter<br />
der bekannten Kernfähigkeit stecken<br />
(z. B. zuhören, verzeihen können<br />
…), in die Baumkrone klebt das<br />
Kind Fotos von Menschen, Ereignissen,<br />
Vorbildern etc., die es bewegen,<br />
die in seinem Leben wichtig sind, in<br />
die Wurzeln notiert das Kind eigene<br />
Kraftquellen und <strong>Stärken</strong>, auf die es<br />
in herausfordernden Situationen zurückgreifen<br />
kann<br />
● Übung zum Perspektivenwechsel<br />
auf Schwächen (in Schwächen<br />
<strong>Stärken</strong> erkennen): Mit dem Kind<br />
wird eine Schwäche notiert, die<br />
es als belastend empfindet; auf<br />
einer Skala wird die Veränderbarkeit<br />
und die Veränderungsmotivation<br />
eingeordnet; gemeinsam<br />
wird mit dem Kind erarbeitet,<br />
ob in der vermeintlichen Schwäche<br />
auch <strong>Stärken</strong> stecken könnten.<br />
Diese Methode sollte nicht isoliert<br />
und als Verleugnung unangenehmer<br />
Gefühle ausgelegt werden. In diesem<br />
Kontext soll sie lediglich einen Impuls<br />
aufzeigen, <strong>Kinder</strong>n, die negative<br />
Grundüberzeugungen aufweisen,<br />
ausgewogenere, günstigere Blickwinkel<br />
auf sich selbst zu eröffnen.<br />
In Unterricht und Schule können<br />
wir Lehrkräfte <strong>Kinder</strong>n stärken- und<br />
wachstumsorientierte Erfahrungen<br />
ermöglichen. Welche Ideen haben Sie<br />
noch, dass <strong>Kinder</strong> ihre <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong>,<br />
reflektieren und für Herausforderungen<br />
nutzen lernen? Ich freue mich über<br />
Ihre Anregungen in einer E-Mail an<br />
michael.bauernschuster@schulberatung.<br />
gsms-ob.de<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa165Lit<br />
Ludwig Voß<br />
Die Reformen im <strong>Kinder</strong>fußball –<br />
Chancen und Potenziale für eine kindgerechte<br />
Bewegungsförderung<br />
Die Veränderungen und Reformen im <strong>Kinder</strong>fußball und der damit verbundene<br />
neue Spielmodus „Funiño“ haben zuletzt für viele Schlagzeilen in der deutschen<br />
Medienlandschaft gesorgt.<br />
Seit Sommer 2022 läuft im Bundesland Bremen eine zweijährige Testphase für<br />
„Funiño“ in den Altersbereichen der G-, F- und E-Junioren (U6-U11), die federführend<br />
der Bremer Fußball-Verband e. V. gemeinsam mit den Vereinen des<br />
Bundeslandes umsetzt und organisiert. Der SV Werder Bremen unterstützt diese<br />
Testphase und organisiert zusätzliche sogenannte „Kleinfeld-Festivals“ bei<br />
Partnervereinen. Ziel ist es dabei, die neuen Spielformen und damit verbundenen<br />
Reformen bekannter zu machen, zu sensibilisieren und mit den <strong>Kinder</strong>fußball-Trainer:innen<br />
der Vereine in den Austausch zu kommen.<br />
Funiño setzt sich aus dem englischen<br />
Begriff „Fun“ (Spaß) und<br />
dem spanischen Wort „Niño“<br />
(Kind) zusammen und bezeichnet einen<br />
speziellen Spielmodus, der insbesondere<br />
im Kleinfeldbereich bei den jüngsten<br />
Sportler:innen im Alter von 5-11 Jahren<br />
umgesetzt wird. Bei „Funiño“ ist der klassische<br />
Ligawettkampf, bei dem durch<br />
Siege in der Tabelle geklettert werden<br />
kann und am Ende das erfolgreichste<br />
Team die Meisterschaft gewinnt, aufgehoben.<br />
Vielmehr wird durch<br />
sogenannte „Funiño“- bzw. „Kleinfeld-<br />
Festivals“ ein Turniermodus praktiziert,<br />
bei dem die <strong>Kinder</strong> im Drei-gegen-drei<br />
Ludwig Voß<br />
wurde 1992 in Freiburg im Breisgau<br />
geboren. Er studierte in Greifswald und<br />
ist Diplom-Betriebswirt. Im Rahmen<br />
seines Studiums absolvierte er Praktika<br />
beim F.C. Hansa Rostock e.V., bei<br />
AMANDLA Edu Football e. V. in Südafrika<br />
und beim Sport-Club Freiburg e. V.<br />
Seit November 2018 arbeitet er für den<br />
SV Werder Bremen und ist in seiner<br />
aktuellen Funktion im Nachwuchs-Leistungszentrum<br />
als „Referent <strong>Kinder</strong>fußball“<br />
für die <strong>Kinder</strong>fußball-Entwicklung<br />
in Bremen und der Region zuständig.<br />
auf einem 25 Meter langen und 20 Meter<br />
breiten Feld mit jeweils zwei Minitoren<br />
pro Team ohne feste Torhüter:innen<br />
gegeneinander antreten.<br />
Der veränderte Spielmodus soll dafür<br />
sorgen, dass möglichst viele <strong>Kinder</strong>,<br />
unabhängig von ihren individuellen<br />
Fähigkeiten, einen niedrigschwelligen<br />
und motivierenden Einstieg in den<br />
Sport bzw. <strong>Kinder</strong>fußball erlangen. Die<br />
<strong>Kinder</strong> sollen den Sport selbst <strong>erleben</strong>,<br />
wahrnehmen, ausprobieren und Erfahrungen<br />
sammeln, um letztlich Gefallen<br />
an regelmäßigem Fußballspielen zu entwickeln.<br />
Eine frühzeitige Selektion oder<br />
Leistungsbewertung durch den:die Trainer:in<br />
bleibt aus bzw. wird durch kleinere<br />
Teams, die parallel auf verschiedenen<br />
„Funiño“-Feldern antreten, umgangen.<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
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Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
32-minütige Einheit<br />
pro Spieler:in<br />
Sieben-gegen-sieben<br />
Drei-gegen-drei<br />
BALLAKTIONEN 50 200<br />
ZWEIKÄMPFE 30 100<br />
TORSCHÜSSE 5 25<br />
Wissenschaftliche Studien zu „Funiño“ (eigene Grafik); (Quelle: DFB)<br />
<strong>Kinder</strong> abseits von Erwartungen der<br />
Erwachsenen entwickeln und wachsen<br />
zu <strong>lassen</strong> und letztlich in ihrer Selbstständigkeit<br />
und Kreativität zu stärken ist das<br />
Ziel eines veränderten Regelwerks. Die<br />
Persönlichkeitsbildung rückt in den Vordergrund.<br />
Selbstständigkeit, Kreativität,<br />
Umgang mit (Miss-)Erfolg, Lernverhalten<br />
und Entscheidungsfindung werden gefördert<br />
und durch eine verringerte Möglichkeit<br />
zur Einflussnahme der Trainer:innen<br />
und Eltern auf das Nötigste minimiert.<br />
Der zuletzt oft angebrachte Kritikpunkt,<br />
dass <strong>Kinder</strong> durch den neuen<br />
Spielmodus nicht mehr lernen, mit Gewinnen<br />
und Verlieren umzugehen, ist<br />
nur unzureichend aufgearbeitet. Im Regelwerk<br />
von „Funiño“ ist der sogenannte<br />
„Champions League Modus“ hinterlegt,<br />
der eine Festivalorganisation so vorsieht,<br />
dass das Siegerteam nach jedem Spiel ein<br />
Feld aufrückt und das Verliererteam ein<br />
Feld zurückrückt. Durch diesen Modus<br />
wird gewährleistet, dass möglichst gleich<br />
starke Spieler:innen und Teams aufeinandertreffen<br />
und das „Gewinnen oder<br />
Verlieren“ eine Berücksichtigung in der<br />
Umsetzung der Festivals findet.<br />
Neben bereits skizzierten persönlichkeitsbildenden<br />
Aspekten sind weitere<br />
sportlich-inhaltliche Pluspunkte des<br />
neuen Spielmodus auszumachen:<br />
● altersgerechte Spielfeldgrößen<br />
(„Felder wachsen mit den <strong>Kinder</strong>n“)<br />
● viel Spielzeit für jedes Kind<br />
Weiterbildungsabend bei Werder Bremen<br />
● viele Ballkontakte für jedes Kind<br />
● viele Erfolgserlebnisse für jedes Kind<br />
gemäß seinen individuellen Fähigkeiten<br />
● viele Aktionen mit und ohne Ball für<br />
jedes Kind<br />
● hohe Aktivität, Bewegungsrate und<br />
Beteiligung eines jeden Kindes<br />
● altersgerechte Herausforderungen<br />
(Torgröße etc.)<br />
● positionsunabhängiges Spielen und<br />
Lernen<br />
Wissenschaftliche Studien der Deutschen<br />
Sporthochschule Köln und Universität<br />
Rostock untermauern diese<br />
Aspekte mit Zahlen.<br />
Nichtsdestotrotz gehen die Meinungen<br />
zu den Reformen im <strong>Kinder</strong>fußball<br />
und dem „Funiño“-Spielmodus weiterhin<br />
auseinander und polarisieren sowohl<br />
bei Trainer:innen, Lehrer:innen als<br />
auch den Eltern und in der Öffentlichkeit<br />
(„Aufgabe des Leistungsanspruchs“).<br />
Die Kritik, dass der Modus beispielsweise<br />
dazu führt, dass keine Torhüter:innen<br />
mehr ausgebildet werden, ist nicht<br />
vollkommen aus der Welt zu schaffen.<br />
Für diesen und weitere Kritikpunkte<br />
(Organisationsaufwand eines Festivals<br />
für Vereine etc.) gilt es letztlich, adäquate<br />
Lösungsansätze zu diskutieren<br />
und zu entwickeln. Ein Ansatz für das<br />
Torhüter:innen-Problem könnte sein,<br />
sogenannte „Mixed-Games“ zu organisieren,<br />
bei denen die Teams sowohl auf<br />
dem „Funiño“-Feld ohne Torhüter:innen<br />
im Drei-gegen-drei als auch parallel im<br />
Vier-gegen-vier plus Torhüter:innen<br />
auf größere Tore antreten und so das gesamte<br />
Team/der Kader parallel auf unterschiedlichen<br />
Feldern zum Einsatz und<br />
zu Spielzeit kommt.<br />
Wichtig ist das Verständnis, dass „Funiño“<br />
nicht die einzige und ausschließliche<br />
Spielform im Trainings- und Spielbetrieb<br />
sein muss, sondern es durchaus<br />
sinnvoll sein kann, diesen kombiniert<br />
(„Mixed-Games“) umzusetzen. Eine<br />
vollständige Nichtberücksichtigung bzw.<br />
Nichtumsetzung macht jedoch sportlichinhaltlich<br />
und entwicklungstechnisch<br />
aus Sicht des Kindes wenig Sinn und<br />
lässt viele Potenziale liegen.<br />
Der SV Werder möchte in seiner Rolle<br />
als einziger Profifußballklub des Bundeslandes<br />
als Impulsgeber wirken, der<br />
durch die Organisation von Weiterbildungsabenden<br />
für Trainer:innen, Lehrer:innen<br />
und Eltern, zusätzlichen Kleinfeld-Festivals<br />
und Schulligaformaten für<br />
die Reform sensibilisiert, Chancen und<br />
Mehrwerte der Reform ausreichend beleuchtet,<br />
Kritikpunkte diskutiert und Lösungsansätze<br />
gemeinsam mit den Beteiligten<br />
ausarbeitet.<br />
Werder versteht sich dabei als Sozialakteur<br />
im Bereich Sport- und Bewegungsförderung,<br />
der im Rahmen seiner<br />
eigenen Kernkompetenz, dem Sport,<br />
versucht, den Aufbau einer möglichst<br />
kindgerechten Bewegungslandschaft so<br />
zu unterstützen, dass möglichst viele<br />
<strong>Kinder</strong> eine Sportbiografie im Fußball,<br />
aber auch in anderen Sportarten schreiben<br />
können!<br />
Werders SPIELRAUM-Konzept bietet<br />
dafür die Basis und verfolgt die Mission,<br />
möglichst vielen <strong>Kinder</strong>n mit und ohne<br />
Beeinträchtigung und/oder Migrationshintergrund<br />
eine Sportbiografie in Bremen<br />
und der Region zu ermöglichen, sie<br />
für Sport und Bewegung nachhaltig zu<br />
begeistern und die Gesellschaft durch<br />
Sport positiv zu verändern. Kurzum:<br />
<strong>Kinder</strong> sollen sich bewegen, in einem<br />
möglichst freudbetonten Umfeld die<br />
Vielseitigkeit des Sports kennenlernen<br />
dürfen – in der Betreuungszeit, in ihrer<br />
Freizeit und in der Ferienzeit. Die angeschobenen<br />
Reformen im <strong>Kinder</strong>fußball<br />
leisten hierfür einen wichtigen Beitrag,<br />
dieser Mission ein Stück näher zu kommen,<br />
dies zeigen nicht zuletzt auch die<br />
jüngsten wissenschaftlichen Studien.<br />
28<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Marion Gutzmann<br />
<strong>Kinder</strong>bücher zum Thema „<strong>Kinder</strong>stärken –<br />
<strong>Kinder</strong> stärken – starke <strong>Kinder</strong>“<br />
Die <strong>Stärken</strong> eines Kindes sind vielfältig. <strong>Kinder</strong> haben oftmals auch mehr <strong>Stärken</strong>,<br />
als für andere sichtbar sind. Woher wissen wir jedoch und die <strong>Kinder</strong> selbst, welche<br />
<strong>Stärken</strong> sie haben? <strong>Stärken</strong> zu erkennen und wahrzunehmen ist die Basis für die<br />
Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls und von Selbstvertrauen. Aus <strong>Stärken</strong><br />
können <strong>Kinder</strong> Kraft schöpfen, um auch Niederlagen oder Misserfolge meistern<br />
zu können. All diese Facetten greift <strong>Kinder</strong>literatur auf und bietet über die<br />
Identifikation mit den unterschiedlichsten Figuren Anregungen für Gespräche zu<br />
verschiedenen Themen des Miteinand<strong>erleben</strong>s in der Lebenswelt Familie, im Lernund<br />
Lebensraum Schule, in der Gesellschaft. Geschichten mit verschiedenen Charakteren<br />
und Figuren wie Milla, Archie, Ludwig, Pepe oder Rico können <strong>Kinder</strong><br />
auf vielfältige Weise (be-)stärken, sich selbst zu akzeptieren, Erlebtes zu verarbeiten,<br />
schwierige Situationen zu bewältigen, andere und das Anderssein zu verstehen<br />
oder sich daran zu orientieren, neue Perspektiven einzunehmen und sich zu selbstbewussten,<br />
starken Persönlichkeiten zu entwickeln.<br />
Mit der einfühlsamen Vorgeschichte „Rico und die Tuchlaterne“, die<br />
einen guten Einstieg in die preisgekrönte Rico-und-Oskar-Reihe von<br />
Andreas Steinhöfel bietet, können auch jüngere Leserinnen und Leser<br />
in sechs kleinen Kapiteln mit kurzen Sätzen und in großer Schrift<br />
sowie in Kombination mit vielen Bildern die Welt mit Rico aus einer<br />
anderen Perspektive entdecken. Manchmal umranden Sprechblasen<br />
die Dialoge, manchmal gibt es auch eine doppelseitige Hintergrundillustration.<br />
In der kleinen herzerwärmenden Geschichte wird nachvollziehbar,<br />
dass Rico ein bisschen anders ist als andere <strong>Kinder</strong> – mehr<br />
um die Ecke herum denkt und vielleicht auch etwas langsamer. Beim<br />
Einschulungstest findet Rico originelle Begründungen, warum auf<br />
seiner Zeichnung kein Dreieck zu sehen ist, und zeichnet statt eines Dreiecks einen Punkt mit<br />
einer runden Ecke. Manchmal hat er auch Schwierigkeiten und verliert schnell die Orientierung,<br />
wenn er auf der Straße um Ecken herumgeht und sich den Weg nicht merken kann – in<br />
einer großen Stadt wie Berlin ein echtes Problem. Dank seiner Mama kommt Rico an eine<br />
Schule, die seinen vielen Fähigkeiten und dem Anderssein Raum gibt.<br />
Die Mama findet auch eine Lösung für das Verlaufen, und so<br />
erfährt man am Schluss der Geschichte auch, was es mit<br />
der Tuchlaterne, die an einer Ecke steht, auf sich hat.<br />
(ab 6–8 Jahren)<br />
Andreas Steinhöfel (2023):<br />
Rico und die Tuchlaterne<br />
Carlsen Verlag GmbH<br />
64 Seiten, € 9.00<br />
Das Bilderbuch der<br />
schwedischen Autorin<br />
Lisen Adbåge mit<br />
prägnanten Dialogen<br />
und mit lebensfrohen,<br />
an <strong>Kinder</strong>zeichnungen<br />
erinnernden Bildern<br />
erzählt eine einfache<br />
Geschichte, in der <strong>Kinder</strong><br />
sich gemeinsam auf ihre eigenen <strong>Stärken</strong><br />
besinnen. Die <strong>Kinder</strong>, die im Buch mit „wir“<br />
bezeichnet werden und gemeinsam spielen<br />
wollen, weichen immer dann eingeschüchtert<br />
und traurig der Gruppe der „Bestimmer“<br />
aus, wenn diese in verschiedenen Szenen an<br />
der Schaukel, am Klettergerüst oder beim<br />
Budebauen auftauchen und sagen, wo es<br />
langgehen soll. Beide Gruppen werden auf<br />
der ersten Doppelseite vorgestellt – die vier<br />
Bestimmer haben das „Sagen“, die anderen<br />
sind die, die nicht mehr mitmachen dürfen.<br />
Bis zu dem Moment auf dem Bolzplatz, in<br />
dem sie sich darauf besinnen, „Nein“ zu<br />
sagen. Da wird klar, dass man zu viert nicht<br />
zwei Mannschaften zum Fußballspielen<br />
aufstellen kann und dass sie nun selbst<br />
bestimmen können, bei den Bestimmern<br />
nicht mitzuspielen. Das Bilderbuch stärkt all<br />
jenen den Rücken, die ähnliche Situationen<br />
auf dem Spielplatz, dem Schulhof oder an<br />
anderen Orten <strong>erleben</strong>, und kann durchaus<br />
auch in der Schule eingesetzt werden, ist hier<br />
doch von einem Schulhof die Rede. „Die Bestimmer“<br />
wurde 2022 als außergewöhnliches<br />
Buch auf dem<br />
internationalen<br />
Literaturfestival<br />
Berlin ausgezeichnet.<br />
(ab 4–6 Jahren)<br />
Lisen Adbåge (2020):<br />
Die Bestimmer<br />
Aus dem Schwedischen<br />
Beltz & Gelberg<br />
32 Seiten, € 13,95<br />
„Wenn ich ein Tier wäre, dann wäre ich ein Hase. Ein scheuer, stiller Hase mit großen Augen,<br />
denen nichts entgeht.“ Mit diesen Worten beschreibt sich der Ich-Erzähler, der sich oft als unsichtbar<br />
für andere empfindet und zu den <strong>Kinder</strong>n gehört, die nicht auffallen. Das ändert sich,<br />
als ein Neuer in die Klasse kommt und ihn zum Freund auserwählt. Der Neue ist Vincent, wild<br />
und stark wie ein Nashorn. An seiner Seite fühlt sich der Ich-Erzähler das erste Mal von seinen<br />
Mitschüler:innen wahrgenommen und beachtet. In kurzen, prägnanten Texten und zurückhaltend<br />
zart kolorierten Illustrationen lernen die Leser:innen den Ich-Erzähler und Vincent in<br />
ihrer Unterschiedlichkeit kennen. Die außergewöhnliche Freundschaft bricht, als Vincent seine<br />
Wut gegen einen Jungen aus der Parallelklasse richtet und der Ich-Erzähler sich zwischen Paul<br />
und Vincent entscheiden muss. Dabei wird er sich seines Mutes und seiner<br />
anderen Fähigkeiten bewusst – „ein pfiffiger, schneller Hase zu sein, der Haken schlagen kann“. Das<br />
Bilderbuch von Stefan Karch bietet mit der kleinen, philosophisch geprägten Geschichte jedoch<br />
keine einfache Lösung und ist auch für den Einsatz im Unterricht und für Gespräche mit älteren<br />
Leser:innen durchaus zu empfehlen. Zwar entscheidet sich der Erzähler mutig für den Weg der<br />
Zivilcourage, doch offen bleibt, wie es zum Beispiel mit Vincent weitergeht. (ab 6 Jahren)<br />
Stefan Karch (2023):<br />
Vincent und ich<br />
TYROLIA<br />
48 Seiten, € 18,00<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
29
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Vier beste Freund:innen werden mit ihren Vorlieben und<br />
Abneigungen, mit dem, was sie mögen und gut können,<br />
und dem, was ihnen weniger liegt, auf den ersten Seiten<br />
der Geschichte vorgestellt. Die vielfältigen Charaktere<br />
bieten den Leser:innen vergnügliche Identifikationsmöglichkeiten.<br />
Als Nico aus der 3a erzählt, wie er eine Katze gerettet<br />
hat, wollen Ludwig, Pepe, Mila und die Ich-Erzählerin<br />
auch Held:innen sein. Reicht es, einen Frosch zu retten und<br />
ihm über die Straße zu helfen oder Pepe vor zu viel Computerspielen<br />
zu bewahren? Oder zählt eher ihre Hilfe, mit<br />
Ludwig Fahrradfahren zu üben, dass er die Fahrradprüfung bestehen kann? Oder<br />
ist es etwas Besonderes, Erwachsenen gegenüber zusammenzuhalten, als Ludwig<br />
Maike Harel (2023):<br />
Wir vier Helden<br />
Carlsen Verlag GmbH<br />
64 Seiten, € 9,00<br />
Unrecht geschieht? Verschiedene Comicelemente<br />
sowie kleine Texteinheiten in Kombination mit vielen<br />
Bildern laden zum Lesen der Freundschaftsgeschichte<br />
ein, die <strong>Kinder</strong> in ihrer Unterschiedlichkeit<br />
füreinander einstehen lässt. (ab 6–8 Jahren)<br />
Geschrieben aus der Ich-Perspektive von Billy, erzählt Helen<br />
Rutter in dem <strong>Kinder</strong>buch die Geschichte von dem sympathischen<br />
elfjährigen Billy Plimpton, der es liebt, Witze zu<br />
erzählen, und damit andere zum Lachen bringen möchte<br />
– weil er aber stottert, traut er sich kaum, etwas zu sagen.<br />
Sein größter Fan ist seine Großmutter, die über sein Stottern<br />
hinwegsieht und ihn ermutigt, er selbst zu sein. Anschaulich<br />
stellt Billy die Reaktionen von Menschen, die ihn stottern<br />
hören, dar – z. B. die Ermutiger, die Scherzbolde oder die<br />
Gedankenlesenden. Am liebsten sind ihm die Abwartenden,<br />
die ihm Zeit geben und geduldig sind. Sein größter Wunsch<br />
ist es, beim Talentewettbewerb am Schuljahresende aufzutreten und nicht mehr zu<br />
stottern. Doch all die Tipps, wie man das Stottern überwinden kann, helfen kaum.<br />
Die Idee seines Lieblingslehrers, Schlagzeug spielen zu lernen, lässt Billy selbstbewusster<br />
werden. So fiebern die Lesenden auch mit, als Billy an seiner neuen<br />
Schule das erste Mal vor der Klasse „spricht“ und dafür einzelne beschriebene Poster<br />
nutzt. Sehr berührend beschreibt Helen Rutter das Gefühlschaos des Jungen und<br />
die Erleichterung, dass er mit diesem Einfall für seinen Vortrag sein Stottern nicht<br />
mehr verheimlichen muss. „Ich heiße Billy Plimpton“ ist ein mit viel Witz und Humor<br />
geschriebenes Mut-mach-Buch, das die<br />
Stärke und die persönliche Entwicklung<br />
von Billy überzeugend herausstellt und für<br />
den Alltag und die Herausforderungen von<br />
<strong>Kinder</strong>n, die stottern, sensibilisiert.<br />
(ab 10 Jahren)<br />
Lilou, die Ich-Erzählerin, ist auf den ersten Blick ein gewöhnliches,<br />
schüchternes 12-jähriges Mädchen. Innerlich hat Lilou<br />
eine besondere Begabung, von der auch nur ihre Mutter weiß.<br />
Lilou kann Stimmungen schmecken und riechen. Wenn Lilou<br />
wütend oder ängstlich ist oder sich ärgert, hat sie immer einen<br />
Salmiakgeschmack im Mund. In ihrem Kopf kann sie Gerüche<br />
und Geschmäcker mit Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen<br />
verbinden, z. B. schmeckt eine Lüge nach faulen Äpfeln<br />
oder ihre Mathelehrerin leuchtet schwefelgelb. In einem hellblauen<br />
Heft notierte sie in Listen, was sie im Kopf sortieren muss. Diese Synästhesie<br />
ist Lilou jedoch peinlich und auch anstrengend. Das ändert sich, als der grummelige<br />
Großvater, der sich beide Arme gebrochen hat, bei ihnen einzieht und Onno, ein<br />
K<strong>lassen</strong>kamerad, unbedingt Hilfe braucht. Plötzlich bekommt Lilou die Chance, all<br />
das, was in ihr steckt, zu offenbaren. Katja Ludwig hat Lilous Listen in die Geschichte<br />
eingeflochten. So bekommen die Leser:innen einen guten Einblick in Pläne für<br />
Räume und die Umgebung, in Assoziationen<br />
zu Zahlen, Menschen und<br />
Dingen und werden angeregt, selbst<br />
kreativ zu sein. (ab 10–12 Jahren)<br />
Helen Rutter (2021):<br />
Ich heiße Billy Plimpton<br />
Aus dem Englischen<br />
Atrium <strong>Kinder</strong>buch Zürich<br />
244 Seiten, € 15,00<br />
Katja Ludwig (2023):<br />
Innerlich bin ich aus Lakritze<br />
Atrium Verlag Zürich, WooW Books<br />
160 Seiten, € 14,00<br />
Katharina Schödes <strong>Kinder</strong>roman<br />
„Hey Milla! Mein geheimer Wünschesommer“<br />
ist ein mitreißender<br />
Serienauftakt zu einer Reihe<br />
von Milla-Bänden, in dem die<br />
neunjährige Milla, die allein bei<br />
ihrem Vater aufwächst, im Mittelpunkt<br />
steht. Obwohl Milla vor<br />
Ideen und Geschichten nur so<br />
übersprudelt, ist Deutsch nicht<br />
ihr Lieblingsfach. Witzig erzählt Milla als Ich-Erzählerin<br />
auch von ihren Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben.<br />
Die Buchstaben sind Millas Albtraum und verwandeln<br />
sich vor ihren Augen in eine böse Ameisenbande,<br />
die sie verhöhnt. Milla soll deshalb nach den Ferien in<br />
eine Förderklasse, sie hat eine furchtbare Angst davor<br />
und stellt sich schon den Spott der anderen aus der<br />
Klasse vor. Erfinderisch und abenteuerlustig schmiedet<br />
Milla einen tollen Rettungsplan für die Sommerferien,<br />
der allerdings einen Haken hat. Glücklicherweise kann<br />
sie die Ferien bei ihrem Onkel verbringen, der wie ein<br />
Einsiedler in den Bergen lebt und sich der Sorgen und<br />
Ängste von Milla annimmt. Ein origineller Hilfsplan<br />
schenkt Milla<br />
wieder das Selbstvertrauen,<br />
lesen zu<br />
lernen.<br />
(ab 8 Jahren)<br />
In „Neun Wünsche für Archie“<br />
erzählt Helen Rutter die<br />
berührende Geschichte des<br />
elfjährigen Archie, der sich<br />
daheim um alles kümmern<br />
muss, seit sein Vater die Familie<br />
ver<strong>lassen</strong> hat und seine<br />
vormals lebensfrohe Mutter<br />
depressiv erkrankt ist. In der<br />
neuen Familie seines Vaters<br />
wird Archie auch nur geduldet.<br />
Archie entflieht am liebsten<br />
seinem Alltag, indem er sich mit seiner Freundin<br />
Maus trifft. Nach einem Fahrradsturz bekommt Archie<br />
fantastische Hilfe von seinem Fußballidol Lucas Bailey,<br />
der ihm neun Wünsche schenkt. Auch wenn Archie<br />
nicht an Zauberei oder an Lucas Bailey als Glücksfee<br />
glaubt, passieren merkwürdige Dinge. So kann er<br />
nach seinem ersten Wunsch tatsächlich einen Tag lang<br />
im Bett bleiben, weil zufällig die Schule ausfällt, und<br />
er kann auf der Xbox Fifa spielen, weil die Nachbarin<br />
einen Karton vorbeibringt, in dem eine Xbox ist. Doch<br />
eigentlich hat Archie nur einen einzigen Wunsch: dass<br />
es seiner Mama endlich besser gehen soll. Am Anfang<br />
jedes Kapitels steht ein lebensbejahender Spruch von<br />
Lucas Bailey und darunter die Reaktion von Archie auf<br />
diesen Spruch, was humorvoll die anfängliche Unsicherheit<br />
Archies und sein wachsendes Selbstvertrauen<br />
widerspiegelt. Das Buch wurde für den Jungendliteraturpreis<br />
2023<br />
in der Sparte<br />
<strong>Kinder</strong>buch<br />
nominiert.<br />
(ab 10–12 Jahren)<br />
Katharina Schöde (2020):<br />
Hey Milla! Mein geheimer<br />
Wünschesommer<br />
Loewe<br />
208 Seiten, € 8,00<br />
Helen Rutter (2022):<br />
Neun Wünsche für Archie<br />
Aus dem Englischen<br />
Atrium Verlag Zürich<br />
272 Seiten, € 17,00<br />
30<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> Aus der <strong>erleben</strong> Forschung <strong>lassen</strong><br />
Jacqueline Dreischer & Miriam Hess<br />
Chancen von Social Entrepreneurship<br />
Education in der Grundschule<br />
Social Entrepreneurship<br />
Education – was ist das?<br />
Hinter einer Social Entrepreneurship<br />
Education (SEE) steckt die Bearbeitung<br />
gesellschaftlicher Herausforderungen<br />
mit unternehmerischen Herangehensweisen.<br />
Hierbei wird das Ziel verfolgt,<br />
Menschen zu zukunftsfähigem Denken<br />
und Handeln zu befähigen sowie zur<br />
Entwicklung von verantwortungsvollen<br />
und kreativen Lösungen für bestehende<br />
und zukünftige Herausforderungen zu<br />
ermutigen (BMWi, 2019). Die Inhalte<br />
einer Social Entrepreneurship Education<br />
überschneiden sich somit mit<br />
Inhalten einer Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung (StMUG, 2011). Denn<br />
auch eine Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />
(BNE) verfolgt den Ansatz,<br />
Menschen dazu zu befähigen, die<br />
Zukunft in einer zunehmend globalisierten<br />
Welt aktiv, eigenverantwortlich<br />
und verantwortungsbewusst zu<br />
gestalten (Michelsen & Fischer, 2019;<br />
Valentin, 2021). Damit soll vor allem<br />
die Bereitschaft, Verantwortung für das<br />
eigene Handeln zu übernehmen, mit<br />
Social Entrepreneurship Education (SEE)<br />
Ökonomisches<br />
Basiswissen<br />
Elementare Persönlichkeits-<br />
bzw. Schlüsselkompetenzen<br />
für<br />
lebenslanges Lernen<br />
Lösung gesellschaftlicher<br />
Probleme mit<br />
unternehmerischen<br />
Mitteln<br />
Schnittmenge einer SEE und BNE<br />
Verantwortung<br />
übernehmen<br />
Partizipative Teilhabe<br />
an der Gesellschaft<br />
Schlüsselkompetenzen, wie eigenständiges<br />
Handeln, gesellschaftliche<br />
Chancen & Probleme erkennen, Ideen<br />
umsetzen, Selbstwirksamkeit,<br />
werteorientiertes Denken, etc.<br />
Triple Bottom Line<br />
(Bezug zur Gesellschaft,<br />
Ökonomie & Ökologie)<br />
Unsicherheiten und Widersprüchen<br />
umzugehen, Probleme zu lösen und an<br />
der Gestaltung einer vielfältigen Gesellschaft<br />
mitzuwirken, gefördert werden<br />
(BMBF, o. J.).<br />
Übergeordnetes Ziel der beiden<br />
Konzepte BNE und SEE ist es, die<br />
Abb. 1: Schnittmenge einer SEE und BNE; Eigene Darstellung<br />
drei Bereiche Ökologie, Soziales und<br />
Ökonomie gestärkt in eine Balance zu<br />
bringen (BMWi, 2019; STMUG, 2011).<br />
SEE zielt darüber hinaus auf die Ausbildung<br />
unternehmerischer Fähigkeiten<br />
und Kompetenzen (Bisanz, Hueber, Jambor<br />
und Lindner, 2019). Diese persönlichen<br />
Fähigkeiten sollten jedoch nicht<br />
erst an Hochschulen oder im Berufsleben<br />
adressiert, sondern bereits bei jungen<br />
Menschen frühzeitig gefördert werden<br />
(Lindner, 2016). Damit kommt (angehenden)<br />
Lehrkräften eine bedeutende<br />
Rolle zu, denn sie prägen junge Menschen<br />
und deren Lebenseinstellungen<br />
und können als zukünftige Multiplikator*innen<br />
bereits in Schulen integrative<br />
Nachhaltigkeitstrias<br />
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)<br />
One-Health-Ansatz<br />
Whole Institutional<br />
Approach<br />
Vielschichtigkeit<br />
lokaler und globaler<br />
Zusammenhänge<br />
Interdisziplinäres<br />
Wissen<br />
Verständnis für<br />
natürliche Kreisläufe<br />
Problemorientierung<br />
Sustainable<br />
Development Goals<br />
(SDG)<br />
Lernprozesse einer SEE und BNE anstoßen<br />
(RKW-Kompetenzzentrum, 2015).<br />
Gelingen soll dies zum Beispiel durch<br />
die aktive Gestaltung einer Kultur des<br />
innovativen und kreativen Lernens. Dabei<br />
steht es im Vordergrund, Raum für<br />
individuelle Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />
zu schaffen, in welchem sich<br />
<strong>Kinder</strong> ausprobieren sowie ihre persönlichen<br />
<strong>Stärken</strong> und Fähigkeiten kennenlernen<br />
dürfen (Bisanz et al., 2019).<br />
Wieso ist eine Social<br />
Entrepreneurship<br />
Education bedeutend?<br />
Um zukünftige gesellschaftliche, soziale<br />
und ökologische Herausforderungen zu<br />
meistern, bedarf es einer Gesellschaft,<br />
die sich durch kreatives und lösungsorientiertes<br />
Denken auszeichnet, die<br />
lernt, komplexe und unsichere Situationen<br />
zu meistern, Offenheit gegenüber<br />
Veränderungen und Innovationen<br />
zeigt und sich selbst als proaktiven Teil<br />
von Lösungen versteht (BMWi, 2019).<br />
Eine Social Entrepreneurship Education<br />
(SEE) setzt genau hier an: Denn<br />
unter einer SEE wird insbesondere die<br />
Förderung elementarer Persönlichkeitsund<br />
Schlüsselkompetenzen für lebenslanges<br />
Lernen verstanden (Lindner,<br />
2016). Dazu gehören beispielsweise Verantwortungsübernahme,<br />
Eigeninitiative,<br />
Innovationsfreude, kontrollierte Risikobereitschaft,<br />
konstruktiver Umgang mit<br />
Fehlschlägen und Umbrüchen, Selbstvertrauen,<br />
Durchhaltevermögen etc.,<br />
also Kompetenzen, die für eine lebendige<br />
und vielfältige Zivilgesellschaft ebenso<br />
wichtig sind wie für die Bewältigung<br />
privater Herausforderungen (Lindner,<br />
2016). Daher ist es eine zentrale<br />
Aufgabe für Lehrkräfte, <strong>Kinder</strong>n aktiv<br />
einen Raum für Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />
im Unterricht zu eröffnen<br />
(BMBF, 2022; Valentin, 2021). Eine<br />
mögliche Herangehensweise kann dabei<br />
die gezielte Befähigung von angehenden<br />
Lehrkräften zu Multiplikator*innen<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
31
Aus Praxis: der <strong>Kinder</strong> Forschung <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
für sozialunternehmerisches Denken<br />
und Handeln mit dem Fokus auf einer<br />
Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />
sein. Durch ganzheitliche Lernprozesse<br />
soll ein grundlegendes Verständnis des<br />
Zusammenhangs von Ökologie, Ökonomie<br />
und Sozialem entstehen, welches<br />
sich an der Lebenswelt der Schüler*innen<br />
orientiert und an ihren bisherigen<br />
Vorstellungen anknüpft (Marquardt-<br />
Mau & Schroeder, 2022; Wulfmeyer,<br />
2020).<br />
Möglichkeiten der Integration<br />
einer Social Entrepreneurship<br />
Education in die Lehrkräftebildung<br />
laufen einen Prozess der eigenständigen<br />
Entwicklung möglicher Lösungsansätze<br />
bis hin zu einem konkreten Endprodukt<br />
(oder einer konkreten Dienstleistung).<br />
In Projektgruppen setzen sie<br />
sich intensiv mit einer von ihnen selbst<br />
ausgewählten Thematik auseinander,<br />
arbeiten kooperativ und probieren<br />
sich selbst aus, indem sie ihre unterschiedlichen<br />
Fähigkeiten und persönlichen<br />
<strong>Stärken</strong> ausleben – so, wie es<br />
in der Schulpraxis auch die Grundschüler*innen<br />
tun würden. Gleichzeitig<br />
schlüpfen die Studierenden auch immer<br />
wieder in die Rolle der Lehrkraft, welche<br />
während der gesamten Projektarbeit mit<br />
den Schülern*innen eine begleitendunterstützende<br />
Rolle einnimmt, um so<br />
ein selbstwirksames Lernen gewährleisten<br />
zu können (BMBF, 2022). Einen<br />
Einblick in das vollständige Seminarkonzept<br />
erhalten Sie im Beitrag „Bildung<br />
für nachhaltige Entwicklung in<br />
Verknüpfung mit einer Social Entrepreneurship<br />
Education in heterogenen<br />
Lerngruppen – Konzeptvorstellung<br />
eines Blockseminars im Grundschullehramtsstudium“<br />
von Dreischer & Hess<br />
(in Druck). Dort finden Sie auch erste<br />
Ergebnisse einer begleitenden qualitativen<br />
Studie in Form von Interviews mit<br />
den teilnehmenden Studierenden des<br />
Blockseminars. Insgesamt zeigten die<br />
Mit dem Konzept des Blockseminars<br />
„BNE-Projekte in der Grundschule:<br />
sozial(unternehmerisch) Denken und<br />
Handeln im Sachunterricht – geht<br />
das?“ wurde an der Universität Bamberg<br />
erstmals eine Veranstaltung konzipiert,<br />
in welcher geeignete Projekte<br />
für Grundschüler*innen auf Grundlage<br />
von Social-Entrepreneurship-Methoden<br />
sowie Methoden der Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung und der Didaktik<br />
des Sachunterrichts von teilnehmenden<br />
Studierenden selbstständig geplant, vorgestellt<br />
und anschließend reflektiert<br />
wurden. Ziel des Blockseminars ist die<br />
Vermittlung von vielfältigen Handlungsoptionen<br />
innerhalb des Sachunterrichts.<br />
Durch die Verknüpfung von<br />
Inhalten einer BNE und SEE werden die<br />
Lehramtsstudierenden dazu angehalten,<br />
sich unter anderem mit den Sustainable<br />
Development Goals (Vereinte Nationen,<br />
2015) auseinanderzusetzen. Aktuelle<br />
und zukünftige gesellschaftliche<br />
Herausforderungen, die sich auch in der<br />
Lebenswelt der Schüler*innen wieder-<br />
„Durch die Verknüpfung von BNE und SEE kann man<br />
<strong>Kinder</strong> gut erreichen, es macht konkrete Themen zur<br />
Nachhaltigkeit greifbar, stellt einen Bezug zur Lebenswelt<br />
der Schüler und Schülerinnen her und macht auch<br />
Selbstwirksamkeit erfahrbarer für sie.“<br />
finden (Wulfmeyer, 2020), wie z. B. die<br />
Lebensmittelverschwendung, das stetig<br />
wachsende Abfallaufkommen oder die<br />
schwindende Artenvielfalt, werden – je<br />
nach K<strong>lassen</strong>stufe – schüler*innengerecht<br />
als mögliches Projektkonzept<br />
von den Studierenden selbstständig<br />
ausgearbeitet. Dabei werden Schlüsselkompetenzen,<br />
wie Problemlösekompetenz<br />
werteorientiertes Denken<br />
oder Verantwortungsübernahme bei<br />
den Studierenden geschärft und Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />
ermöglicht.<br />
Die Studierenden begeben sich somit<br />
gedanklich immer wieder in die Rolle<br />
der Grundschüler*innen und durch-<br />
Interviews, dass die Studierenden eine<br />
Verknüpfung von BNE und SEE für<br />
bedeutsam und sinnvoll halten. Auch<br />
erhöhte sich die Selbsteinschätzung in<br />
Bezug auf die eigene fachdidaktische<br />
Kompetenz im Sinne einer BNE und<br />
SEE sowie die persönliche Motivation,<br />
sozialunternehmerische Projekte auch<br />
als zukünftige Lehrkraft in der Schulpraxis<br />
umzusetzen.<br />
Zitat eines Studierenden aus dem<br />
Blockseminar: „Durch die Verknüpfung<br />
von BNE und SEE kann man <strong>Kinder</strong> gut<br />
erreichen, es macht konkrete Themen zur<br />
Nachhaltigkeit greifbar, stellt einen Bezug<br />
zur Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen<br />
her und macht auch Selbstwirksamkeit<br />
erfahrbarer für sie.“<br />
Wie kann eine Social<br />
Entrepreneurship Education<br />
konkret umgesetzt werden?<br />
Seminar „BNE-Projekte in der Grundschule: sozial(unternehmerisch) Denken und<br />
Handeln im Sachunterricht – geht das?“: Studierende bei der Ideenfindung für mögliche<br />
Projektkonzepte.<br />
Durch den gezielten Einsatz vielfältiger<br />
Methoden im Unterricht sollen unterschiedliche<br />
Handlungsfelder für Schüler*innen<br />
eröffnet werden (Lindner,<br />
2016). Die Anwendung von Methoden<br />
im Sinne einer BNE und SEE können<br />
dabei besonders unterstützen, um so<br />
unter anderem Verantwortungsbewusstsein<br />
für sich selbst, gegenüber der<br />
Gesellschaft und auch gegenüber der<br />
32<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> Aus der <strong>erleben</strong> Forschung <strong>lassen</strong><br />
Jacqueline Dreischer (links)<br />
Institut: Otto-Friedrich-Universität<br />
Bamberg<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />
Projekt „Teachers as Changemakers“<br />
(TaC) und an der Professur für Didaktik<br />
der Grundschule.<br />
Thematische Schwerpunkte: Bildung<br />
für nachhaltige Entwicklung (BNE) in<br />
Verknüpfung mit Social Entrepreneurship<br />
Education (SEE) in der Lehrkräftebildung<br />
und an Schulen<br />
Prof. Dr. Miriam Hess (rechts)<br />
Institut: Otto-Friedrich-Universität<br />
Bamberg<br />
Professorin und Lehrstuhlinhaberin des<br />
Lehrstuhls für Grundschulpädagogik<br />
und Grundschuldidaktik.<br />
Inhaltliche Teilprojektleitung im Projekt<br />
„Teachers as Changemakers“ (TaC).<br />
Thematische Schwerpunkte: Einsatz<br />
von Videos in der Lehrerinnen- und<br />
Lehrerbildung, videobasierte Unterrichtsforschung,<br />
Digitalisierung in<br />
der Lehrerinnen- und Lehrerbildung,<br />
Unterrichtsqualität und Unterrichtsgestaltung,<br />
Feedback, Umgang mit<br />
Heterogenität im Unterricht.<br />
Umwelt zu entwickeln (BMWi, 2019;<br />
Valentin, 2021). Aufgabe der Lehrkraft<br />
ist es dabei, mit ausgewählten Methoden<br />
im Sinne einer BNE und SEE in<br />
die Rolle des Lernbegleiters zu schlüpfen,<br />
um Schüler*innen in ihren selbstständigen<br />
Denk- und Entwicklungsprozessen<br />
zu unterstützen (BMBF,<br />
2022). Geeignete Methoden im Sinne<br />
einer Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />
sind z. B. Positionsspiele oder<br />
Classroom-Gallery-Walks (BNE Box,<br />
2021); geeignete Methoden im Sinne<br />
einer Social Entrepreneurship Education<br />
sind z. B. das Design-Thinking oder<br />
die Persona-Methode (SEEd, 2019).<br />
Mit Positionsspielen werden Schüler*innen<br />
sich über ihren eigenen Standpunkt<br />
in Bezug auf eine bestimmte Fragestellung<br />
bewusst. Die Lehrkraft stellt<br />
eine Frage und erläutert die beiden Antwortmöglichkeiten,<br />
die sich jeweils für<br />
die beiden Enden der (imaginären) Linie<br />
ergeben. Die Schüler*innen positionieren<br />
sich entsprechend ihrer Antwort<br />
entlang dieser Linie im K<strong>lassen</strong>raum –<br />
dabei können, je nach Fragestellung, die<br />
Antwortmöglichkeiten variieren („ja“ –<br />
„nein“, „oft“ – „selten“, „stimme zu“ –<br />
„stimme nicht zu“ etc.). Anschließend<br />
können einzelne Positionierungen von<br />
den jeweiligen Schüler*innen begründet<br />
und im Plenum diskutiert werden. Auf<br />
diese Weise können unterschiedliche<br />
Wertvorstellungen und Weltbilder gemeinsam<br />
erarbeitet, diskutiert und sichtbar<br />
gemacht werden. Durch die eigene<br />
körperliche Verortung bei der Positionierung<br />
in Relation zur Klasse wird den<br />
<strong>Kinder</strong>n zudem ein physisch-emotionaler<br />
Zugang zum Thema ermöglicht (BNE<br />
Box, 2021).<br />
Ein Classroom-Gallery-Walk eignet<br />
sich besonders, um erarbeitete (Zwischen-)Ergebnisse<br />
wie bei einem Museumsbesuch<br />
zu präsentieren und auf<br />
Grundlage dessen mit den Mitschüler*innen<br />
in den Austausch zu kommen<br />
(BNE Box, 2021). So können ggf.<br />
neue Handlungsimpulse entstehen und<br />
im Sinne des Design-Thinking-Prozesses<br />
(wird folgend erläutert) die eigenen<br />
Projektideen noch einmal angepasst und<br />
überarbeitet werden.<br />
Mithilfe des Design-Thinking-Ansatzes<br />
werden die <strong>Kinder</strong> durch die<br />
verschiedenen Phasen ihrer Ideenentwicklung<br />
geleitet: angefangen bei der<br />
Identifizierung einer konkreten (gesellschaftlichen)<br />
Herausforderung über das<br />
Definieren der potenziellen Zielgruppe<br />
bis hin zur Formulierung von Lösungsansätzen<br />
sowie dem Entwickeln eines<br />
Prototyps. Während des gesamten Design-Thinking-Prozesses<br />
ist die Kreativität<br />
der <strong>Kinder</strong> besonders gefragt – sie<br />
dürfen und sollen sich ausprobieren sowie<br />
ihre eigenen Ideen testen, modellieren,<br />
skizzieren und präsentieren. Dabei<br />
geht es nicht darum, am Ende die „perfekte<br />
Lösung“ vorstellen zu können, sondern<br />
vielmehr darum, während des gesamten<br />
Prozesses seine persönlichen<br />
<strong>Stärken</strong> kennen- und schätzen zu lernen,<br />
mit den Mitschüler*innen gemeinsam<br />
ein Ziel zu verfolgen und sich der eigenen<br />
Möglichkeiten im Alltag in Bezug<br />
auf nachhaltige Verhaltensweisen bewusst<br />
zu werden. Die Design-Thinking-<br />
Methode hat zum Ziel, kreative Lösungen<br />
für Probleme zu entwickeln und sich<br />
somit innovativ an bestehenden oder zukünftigen<br />
Herausforderungen zu beteiligen<br />
(Grots & Pratschke, 2009).<br />
Die Persona-Methode ist ein geeignetes<br />
Tool, wenn es darum geht, sich während<br />
des Design-Thinking-Prozesses Gedanken<br />
darüber zu machen, wen man mit<br />
einer bestimmten Projekt- oder Produktidee<br />
erreichen möchte. Mit dieser Methode<br />
lernen <strong>Kinder</strong>, sich in die Lage anderer<br />
hineinzuversetzen, und entwickeln ein<br />
Verständnis für Bedürfnisse, Befindlichkeiten,<br />
Ängste oder Einstellungen anderer<br />
Menschen. Ziel der Persona-Methode ist<br />
es, eine konkrete Person zu visualisieren,<br />
welche die Eigenschaften der potenziellen<br />
Zielgruppe verkörpert (SEEd, 2019).<br />
Durch gezielte Fragestellungen erarbeiten<br />
sich die <strong>Kinder</strong> ein konkretes Bild ihrer<br />
Zielpersonen:<br />
● Was ist der Person wichtig im Leben?<br />
● Was wünscht sich die Person?<br />
● Wovor hat die Person Angst?<br />
● Wie erreicht man diese Person? Wo<br />
sieht sie Werbung?<br />
● Warum möchte die Person euer Angebot<br />
kaufen/nutzen?<br />
● Warum könnte die Person euer Angebot<br />
nicht kaufen/nutzen wollen?<br />
Insbesondere die Kompetenz des<br />
Perspektivwechsels wird bei dieser<br />
Methode gefördert. Durch eine<br />
Personenzeichnung an der Tafel/am<br />
Smartboard oder einer physischen Verkörperung<br />
durch eine Puppe kann die<br />
Persona-Methode visuell unterstützt<br />
und beispielsweise in eine Geschichtenerzählung<br />
eingebunden werden, sodass<br />
die Vorstellungskraft für Bedürfnisse<br />
von anderen bei den Schüler*innen verstärkt<br />
gefördert wird.<br />
Wie kann ein<br />
sozialunternehmerisches<br />
Projekt aussehen?<br />
Im Folgenden werden zwei beispielhafte<br />
Projektideen vorgestellt, die von<br />
den teilnehmenden Studierenden des<br />
o. g. Blockseminars erarbeitet wurden.<br />
Beide Projekte orientieren sich aufgrund<br />
der vielfältigen thematischen<br />
Anknüpfungspunkte und des K<strong>lassen</strong>lehrkraftprinzips<br />
in der Grundschule an<br />
einer interdisziplinären Einbindung in<br />
den Unterricht.<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
33
Aus Praxis: der <strong>Kinder</strong> Forschung <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Seminar „BNE-Projekte<br />
in der Grundschule:<br />
sozial(unternehmerisch)<br />
Denken und Handeln im<br />
Sachunterricht – geht<br />
das?“: Studierende<br />
arbeiten die Konzepte<br />
ihrer Projektideen im<br />
Sinne einer SEE und<br />
BNE aus (Bild rechts);<br />
Studierende präsentieren<br />
mögliche Upcycling-Produkte,<br />
die sie im<br />
Rahmen der Projektidee<br />
„Aus Alt mach Neu“<br />
selbst hergestellt haben<br />
(Bild links).<br />
Projektbeispiel: Herstellung von<br />
Saatgutsäckchen<br />
Mit diesem Projekt soll das Bewusstsein<br />
von <strong>Kinder</strong>n für Umwelt und<br />
Natur gestärkt werden. Die Schüler*innen<br />
sollen ein Verständnis für den<br />
Natur-, Arten- und Insektenschutz<br />
bekommen und die Zusammenhänge<br />
ökologischer Kreisläufe auf kreative Art<br />
und Weise entdecken – insbesondere<br />
in Bezug auf die Bedeutung vielfältiger<br />
Bepflanzung in der eigenen unmittelbaren<br />
Umgebung. Die Saatgutsäckchen<br />
werden eigenständig von den <strong>Kinder</strong>n<br />
hergestellt, wobei sie ihrer Kreativität<br />
freien Lauf <strong>lassen</strong> können. Damit kann<br />
entweder der Schulgarten bepflanzt<br />
oder ein Verkauf organisiert werden.<br />
Mit einer Einbettung des Projekts in<br />
den Unterricht können die Schüler*innen<br />
aktiv Einfluss auf ihre nähere<br />
Umgebung nehmen und <strong>erleben</strong> Selbstwirksamkeit<br />
im Kontext der Herausforderung<br />
des Insektenschwindens und<br />
den damit verbundenen weitreichenden<br />
Konsequenzen für Natur und Mensch.<br />
Durch einen eigenständig organisierten<br />
Verkauf der Produkte erlangen die <strong>Kinder</strong><br />
zudem wertvolle persönliche Fähigkeiten<br />
im Sinne einer SEE.<br />
Projektbeispiel: „Aus Alt mach Neu“ –<br />
Herstellung von Upcycling-Produkten<br />
In diesem Projekt stellen Schüler*innen<br />
Upcycling-Erzeugnisse aus Abfallprodukten<br />
her, welche sie zuvor selbst<br />
sammeln sollen, beispielsweise werden<br />
Dosen zu Windlichtern, Bienenhotels<br />
oder Blumenübertöpfen. Auf<br />
diese Weise kommen die <strong>Kinder</strong> mit<br />
den Themen Abfallaufkommen, Plastikverschmutzung<br />
sowie der Problematik<br />
der begrenzten Aufnahmefähigkeit<br />
der Natur in Berührung. Dabei soll<br />
im Unterricht auf diese Thematiken<br />
näher eingegangen werden, sodass die<br />
Lernenden z. B. die zahlreichen Auswirkungen<br />
von Plastik, welches in die<br />
Umwelt gelangt, nachvollziehen können<br />
oder verstehen, warum eine Kreislaufwirtschaft<br />
sinnvoll und wichtig für<br />
den Erhalt von Natur und Umwelt ist.<br />
Das Erkennen solcher Zusammenhänge<br />
kann Schüler*innen motivieren,<br />
sich mit ihrem eigenen alltäglichen Verhalten<br />
und dessen Auswirkungen auf<br />
die Umwelt auseinanderzusetzen und<br />
sich alternative Handlungsoptionen zu<br />
überlegen. Durch einen Verkauf der<br />
hergestellten Upcycling-Produkte auf<br />
einem Schulfest, dem Weihnachtsmarkt<br />
oder einem örtlichen Markt erhalten<br />
die <strong>Kinder</strong> erste Einblicke in unternehmerische<br />
Prozesse und werden auch<br />
hier in ihren persönlichen Fähigkeiten<br />
gezielt gestärkt.<br />
Ausblick<br />
Angesichts der zunehmenden aktuellen<br />
und künftigen gesellschaftlichen<br />
Herausforderungen, mit denen auch<br />
bereits <strong>Kinder</strong> und Jugendliche konfrontiert<br />
werden (BMBF, 2022), sollten<br />
Lehrkonzepte im Sinne einer Bildung<br />
für nachhaltige Entwicklung (BNE)<br />
und Social Entrepreneurship Education<br />
(SEE) mehr und mehr im Kontext der<br />
Schule mitgedacht und im Unterricht<br />
umgesetzt werden. Damit einhergehend<br />
sollten bei (angehenden) Lehrkräften<br />
zunehmend fächerübergreifende Handlungskompetenzen<br />
und Denkweisen<br />
gefördert werden, um zukünftige Schüler*innen<br />
gezielt auf einen proaktiven<br />
Umgang mit diesen Herausforderungen<br />
vorzubereiten und ihnen Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />
sowie eine Kultur<br />
des kreativen und innovativen Lernens<br />
im Unterricht zu ermöglichen (Lindner,<br />
2016; Bisanz et al., 2019). Handlungskompetenzen<br />
sowie Wahrnehmungsund<br />
Bewertungsprozesse im Sinne einer<br />
BNE, die damit bereits im Grundschulalter<br />
gefördert werden (Hauenschild &<br />
Bolscho, 2022), können durch eine SEE<br />
sinnvoll bestärkt und erweitert werden.<br />
Das bedeutet, dass auch die Lehrkräftebildung<br />
herausgefordert ist, neben<br />
(fach-)wissenschaftlichen insbesondere<br />
didaktisch-methodische Kompetenzen<br />
im Sinne einer BNE und SEE<br />
angemessen zu vermitteln. Persönliche<br />
Kompetenzen und soziale Fähigkeiten,<br />
die dabei gefördert werden, ermöglichen<br />
es Schüler*innen, sich selbst und<br />
ihre Umwelt ganzheitlich zu betrachten<br />
sowie ihre individuellen persönlichen<br />
Fähigkeiten zu entfalten und zu stärken<br />
(Bisanz et al., 2019).<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa165Lit<br />
34<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> Rundschau <strong>lassen</strong><br />
Rundschau<br />
Projekt Eine Welt<br />
Mit kleinen Schritten (vielleicht) etwas Großes bewirken<br />
In aktuellen Veröffentlichungen für<br />
<strong>Kinder</strong> zu nachhaltigen Themen sind<br />
in den letzten Jahren vermehrt Titel<br />
aufgetaucht, in denen es darum geht,<br />
gleich die ganze Welt zu retten. Hinweise<br />
und Tipps für dieses Vorhaben werden in<br />
den Inhalten oft mitgeliefert. Grundsätzlich<br />
lässt sich hinterfragen, ob es nicht<br />
zuallererst Aufgabe der Erwachsenen ist,<br />
für eine intakte Welt zu sorgen und diese<br />
nachfolgenden Generationen in einem<br />
guten Zustand zu übergeben. Erwachsene<br />
sitzen mehrheitlich in Positionen, in<br />
denen Entscheidungen getroffen werden,<br />
die direkte Auswirkungen auf das Weltgeschehen<br />
haben.<br />
Aber dafür zu sensibilisieren, dass<br />
Dinge zusammenhängen und dass das<br />
eigene Verhalten Auswirkungen auf die<br />
Umwelt und Natur oder andere Mitmenschen<br />
hat, bleibt wichtig und lässt<br />
sich schon an einfachen Beispielen festmachen.<br />
Es geht weniger darum, für die<br />
Rettung der ganzen Welt zuständig zu<br />
sein, sondern Möglichkeiten zu erkennen,<br />
sich aktiv zu beteiligen, mitzugestalten,<br />
eigene und Bedürfnisse anderer<br />
mit einzubringen und dabei auch Probleme<br />
mit aus dem Weg zu räumen.<br />
<strong>Kinder</strong> sind immer auch die Erwachsenen<br />
von morgen und Mitgestaltung<br />
bedarf einer besonderen Wahrnehmung<br />
und Übung, um sie auch für sich<br />
und andere nutzen zu können. Mit den<br />
<strong>Kinder</strong>rechten und ihrem besonderen<br />
Schwerpunkt auf der Beteiligung von<br />
<strong>Kinder</strong>n, den starken Stimmen von jungen<br />
Menschen in Bewegungen wie Friday<br />
for Future und Ansätzen in Projekten<br />
wie FREI DAY finden sich Beispiele,<br />
in denen jungen Menschen mehr Gehör<br />
zuteilwurde bzw. sie durch ihr Engagement<br />
selbst dafür gesorgt haben. Die<br />
Beispiele machen deutlich, dass <strong>Kinder</strong><br />
eine eigene Stimme haben und sich nach<br />
ihren Möglichkeiten einbringen können,<br />
wenn die nötigen Strukturen dafür vorhanden<br />
sind. Ausbaufähig bleiben alle<br />
Ansätze und Projekte trotzdem.<br />
Die zehnjährige Schülerin Greta S. hat<br />
das in einem Interview zu dem Projekt<br />
„SDGs im Kinospot“ in der Zeitschrift<br />
Eine Welt in der Schule 151 folgendermaßen<br />
auf den Punkt gebracht:<br />
„Wir wollten, dass die Leute wirklich<br />
merken, was mit unserer Welt passiert<br />
und dass man handeln muss! Die Leute<br />
sollten uns beachten und nicht als kleine<br />
<strong>Kinder</strong> sehen, die irgendwas sagen und<br />
es dann süß finden, sondern als Leute,<br />
die versuchen, hier etwas zu<br />
verändern.“<br />
An der Albert-<br />
Schweitzer-Schule<br />
in Langen hatte<br />
eine 4. Klasse<br />
sich auf den Weg<br />
gemacht, die 17<br />
Ziele für nachhaltige<br />
Entwicklung<br />
(SDGs) in<br />
ihrer Stadt bekannt<br />
zu machen.<br />
Mit Unterstützung einer Cutterin<br />
hat die Klasse Werbespots zu den einzelnen<br />
Zielen gedreht und den Inhaber des<br />
kommunalen Kinos überzeugt, diese als<br />
Vorspann im Kino laufen zu <strong>lassen</strong>. Auslöser<br />
dieses Projektes waren Gespräche<br />
in der Klasse zu aktuellen Fragen, die<br />
die <strong>Kinder</strong> beschäftigten und mit in die<br />
Schule gebracht hatten. Corona, Klimakrise<br />
und politische Konflikte taten viele<br />
Problemfelder auf, zu denen es keine<br />
einfachen oder kurzfristigen Lösungen<br />
gab. Die Auseinandersetzung mit den<br />
SDGs gab den <strong>Kinder</strong>n nach Angaben<br />
der Lehrkraft aus der Klasse das Gefühl,<br />
dass erste Schritte bereits unternommen,<br />
die Probleme zumindest angegangen<br />
und an Lösungsvorschlägen gearbeitet<br />
wurde. Die <strong>Kinder</strong> waren motiviert, die<br />
SDGs bekannter zu machen, mit Ideen<br />
im direkten Umfeld zu verknüpfen und<br />
somit sich selbst aktiv einzubringen und<br />
ihren Teil beizutragen.<br />
Auch das Projekt FREI DAY nutzt die<br />
SDGs als Einstieg zu eigenen Projektvorhaben<br />
der <strong>Kinder</strong> vor Ort und bietet<br />
über die Auseinandersetzung mit den<br />
Inhalten der einzelnen Ziele eine Klammer<br />
und Orientierung bzw. Anknüpfungspunkte,<br />
auf die immer wieder einzeln<br />
oder im K<strong>lassen</strong>verbund Bezug genommen<br />
werden kann.<br />
Die SDGs als ersten Einstieg zu nutzen,<br />
das Engagement von <strong>Kinder</strong>n zu<br />
wecken und über diese auf Themen aufmerksam<br />
zu machen, findet sich auch<br />
im Konzept der Handreichung 17 Ziele<br />
Wir für eine bessere Welt wieder und in<br />
der ergänzenden Materialkiste, die als<br />
Unter- stützung für die Umsetzung<br />
der Handreichung<br />
gedacht<br />
ist. Mehr Informationen<br />
dazu siehe<br />
im begleitenden<br />
Kasten.<br />
Die SDGs<br />
aufzugreifen ist<br />
eine Möglichkeit,<br />
auf komplexe Zusammenhänge<br />
aufmerksam<br />
zu machen,<br />
neben Problemen<br />
auf bereits<br />
erfolgreiche Veränderungen<br />
einen Fokus zu setzen, über die<br />
eigenen Möglichkeiten nachzudenken<br />
und sich einzubringen. Die Ziele wurden<br />
von einer Staatengemeinschaft 2015<br />
beschlossen und sollen bis 2030 umgesetzt<br />
werden. Die Welt zu retten liegt<br />
bei den Erwachsenen, das schließt aber<br />
nicht aus, als junger Mensch auch schon<br />
einen kleinen Teil dazu beizutragen. So<br />
überlasse ich Greta S. noch mal das Wort<br />
zum Abschluss:<br />
„Ein großes Ziel unseres Projektes war,<br />
die Leute zu motivieren. Ich glaube, jedem<br />
von uns war es sehr wichtig, dass die Leute<br />
endlich mehr dafür sorgen, dass diese Welt<br />
in Ordnung bleibt, und das als Gemeinschaft,<br />
nicht nur mit der Stadt oder der<br />
Klasse, sondern als Weltgemeinschaft.“<br />
(Greta S.)<br />
Ulrike Oltmanns<br />
Mehr zu der Handreichung „17 Ziele.<br />
Wir für eine bessere Welt! “<br />
auf der Seite des Projektes<br />
Eine Welt in der Schule unter<br />
www.weltinderschule.uni-bremen.de<br />
Informationen zum Projekt FREI DAY<br />
unter www.frei-day.org<br />
Anmerkung<br />
Nachweis Zitate: Greta S. (10 Jahre) in einem<br />
Interview zu dem Projekt „SDGs im Kinospot“,<br />
S. 20 in der Zeitschrift Eine Welt in der<br />
Schule 151/2022<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
35
Praxis: Rundschau <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Bürgerinnen und Bürger machen mobil für eine bessere Bildung<br />
„Gute Bildung, gutes Leben – sollte es für alle geben …“<br />
Am 23. September 2023 sind in 29<br />
Städten mehr als 25.000 Menschen<br />
auf die Straße gegangen<br />
und haben für eine „Bildungswende<br />
JETZT!“ demonstriert – mit der Unterstützung<br />
von über 190 Organisationen,<br />
darunter der Grundschulverband. In<br />
Bayern, Berlin und Bremen haben die<br />
Landesgruppen auch konkret die Aktionen<br />
vor Ort mit organisiert.<br />
Die Forderungen der Initiative, die<br />
sich aus einer Aktion im Berliner Landtagswahlkampf<br />
2022 zu einer bundesweiten<br />
Kampagne entwickelt hat, sind<br />
nicht neu (s. Kasten). Neben bildungspolitisch<br />
engagierten Gruppen aus den<br />
Parteien und verschiedenen Verbänden<br />
haben über viele Jahre hinweg auch Expertenkommissionen<br />
mehr Bildungsgerechtigkeit,<br />
ein inklusives Bildungssystem,<br />
andere Lehr-/Lernformen und eine<br />
auskömmliche Finanzierung und personelle<br />
Ausstattung der Kitas und Schulen<br />
eingefordert.<br />
Die Aktionen haben in den Medien<br />
viel Aufmerksamkeit erregt und damit<br />
den Forderungen erneut Nachdruck verliehen.<br />
Sie haben auch dazu beigetragen,<br />
dass sich regional Personen und Organisationen<br />
zusammengefunden und neue<br />
Netzwerke gebildet oder bestehende gestärkt<br />
haben.<br />
Bleibt die Frage, wie es weitergeht. In<br />
der Kritik an den Mängeln des Systems<br />
und in Pauschalforderungen sind sich<br />
alle schnell einig. Hoffentlich bleibt das<br />
auch so, wenn es darum geht, die Forderungen<br />
zu konkretisieren. Mehr Geld,<br />
auch kleinere Gruppen, multiprofessionelle<br />
Teams oder Doppelbesetzung für<br />
inklusive Einrichtungen sind wichtige<br />
Forderungen. Angesichts des derzeitigen<br />
Mangels an Pädagog*innen und anderen<br />
Fachkräften für die Schule muss<br />
man sich aber verständigen, was aktuell<br />
wirklich getan werden kann.<br />
Vielleicht brauchen Schulen und<br />
Kitas in dieser Situation zunächst einmal<br />
mehr Freiraum, um über Budgets<br />
vor Ort zu verfügen und selbst mit den<br />
situativ verfügbaren Ressourcen kreative<br />
Lösungen zu finden. Um diese zusätzlichen<br />
Organisationsanforderungen bewältigen<br />
zu können, werden die Schulleitungen<br />
allerdings erhebliche Unterstützung<br />
durch zusätzliche Verwaltungsund<br />
Bürokräfte brauchen. Zudem kann<br />
man in die Gebäudesanierung und in die<br />
Ausstattung von Kitas und Schulen investieren.<br />
Ebenso in die Ausbildung von<br />
Pädagog*innen, deren Ertrag aber leider<br />
erst in 10 Jahren spürbar werden dürfte.<br />
Vermutlich werden nur die <strong>Kinder</strong><br />
und Jugendlichen, die das Glück haben,<br />
selbstständig arbeiten zu dürfen und von<br />
ihren Pädagog*innen unterstützend begleitet<br />
zu werden, einigermaßen schadenfrei<br />
durch diese Zeit kommen. Bildungspolitik<br />
und -verwaltung sollten<br />
dafür bessere Rahmenbedingungen<br />
Prof. em. Hans Brügelmann,<br />
Mitglied im Vorstand der GSV-Landesgruppe<br />
Bremen<br />
schaffen, damit mehr Kitas und Schulen<br />
diesen Weg gehen, auch die in herausfordernden<br />
Lagen.<br />
Aber das Kernproblem ist die Akzeptanz<br />
dieses ganz anderen Bilds von Lernen<br />
und Unterricht (vgl. dazu die Zukunftsperspektiven<br />
des Grundschulverbands<br />
für die Grundschule unter https://<br />
t1p.de/GSV_zukunft). Seine Umsetzung<br />
scheitert nur zum Teil an rechtlichen<br />
Vorgaben oder fehlenden Mitteln, sondern<br />
auch an Pädagog*innen, die sich<br />
immer noch an ihren gleichschrittigen<br />
Lehrgängen festhalten. Und an Eltern,<br />
die mit Freiarbeit und selbstständigem<br />
Lernen nichts anfangen können. Ohne<br />
einen tiefgreifenden Mentalitätswandel<br />
in der Gesellschaft und in der Profession<br />
wird es keine echte Bildungswende<br />
geben.<br />
Der Bürgerrat Bildung und Lernen<br />
Dass dies aber keine Utopie bleiben<br />
muss, zeigt eine andere Initiative, in der<br />
nach Zufall ausgewählte Bürger*innen<br />
aus verschiedenen Regionen, aus unterschiedlichen<br />
sozialen Schichten und kulturellen<br />
Milieus in den vergangenen drei<br />
Jahren darüber nachgedacht und miteinander<br />
gerungen haben, wie sich das<br />
Bildungssystem in den nächsten Jahren<br />
entwickeln muss, um zukunftsfähig zu<br />
werden: der ebenfalls vom Grundschulverband<br />
unterstützte Bürgerrat Bildung<br />
und Lernen.<br />
Die Bürger*innen haben sich nach<br />
Beratungen in mehreren Runden und<br />
wechselnden Gruppen schließlich auf<br />
Vorlagen verständigt, die dann im März<br />
2023 im Plenum abgestimmt wurden.<br />
36<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> Rundschau <strong>lassen</strong><br />
Rundschau<br />
Zur Illustration der inhaltlichen Positionen<br />
– und ihrer unterschiedlich breiten<br />
Akzeptanz – einige ausgewählte<br />
Empfehlungen zu den drei Bereichen<br />
(s. im Einzelnen https://www.buergerrat-bildung-lernen.de/k-eine-chance):<br />
Es stimmten u. a. …<br />
83 % für die Einrichtung von Familienzentren<br />
im Kita-Bereich<br />
58 % für eine Kita-Pflicht in den letzten<br />
zwei Jahren vor der Schule<br />
(mit begründeten Ausnahmen)<br />
98 % für die Ausweitung des Fachpersonals<br />
an Schulen und damit<br />
die kontinuierliche Betreuung<br />
durch multiprofessionelle Teams<br />
62 % für ein längeres gemeinsames Lernen<br />
bis zum 16. Lebensjahr – bei<br />
individueller Förderung<br />
54 % für Selbstwirksamkeitserfahrung<br />
und soziale Kompetenz als verbindliches<br />
durchgängiges Unterrichtsprinzip<br />
93 % für eine transparente finanzielle<br />
Förderung von Ausbildung und<br />
Studium für alle Berufe<br />
74 % für mehr Berufsorientierung (ab<br />
Klasse 7) mit verpflichtenden<br />
Praktika<br />
Wie die Zahlen zeigen, gibt es zum Teil<br />
einen breiten Konsens. Andere Vorschläge<br />
waren umstrittener. Aber selbst<br />
das politisch heiße Eisen „Eine Schule<br />
für alle“ haben die Bürger*innen<br />
beherzt angefasst – und mit der klug<br />
balancierten Forderung nach einem<br />
Lernen auf eigenen Wegen, aber in<br />
einem gemeinsamen Unterricht dem<br />
Einwand einer gleichmacherischen Einheitsschule<br />
ebenso den Wind aus den<br />
Segeln genommen wie dem Vorwurf,<br />
Schüler*innen würden in Einzelarbeit<br />
alleinge<strong>lassen</strong>.<br />
Diese konstruktiven Beratungen im<br />
Bürgerrat Bildung und Lernen ermutigen,<br />
für die Lösung der anstehenden<br />
Probleme „Runde Tische“ auch vor Ort<br />
einzurichten und die „Intelligenz der<br />
Praxis“ (Reinhard Kahl) einzuladen,<br />
Ideen und Erfahrungen auszutauschen:<br />
Die Initiative „Bildungswende JETZT!“ fordert …<br />
engagierte Pädagog*innen, Schüler*innen<br />
und ihre Eltern, aber auch Vertreter*innen<br />
zivilgesellschaftlicher Initiativen,<br />
die sich für Bildung engagieren –<br />
wie bei den Protesten der Initiative „Bildungswende<br />
JETZT!“. <br />
Hans Brügelmann<br />
1. Schule und Kita INKLUSIV und ZUKUNFTSFÄHIG zu machen<br />
• Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wirkungsvoll als verbindlichen Lerninhalt zu<br />
verankern, damit sich Schüler*innen auf die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts<br />
vorbereiten können<br />
• Lehrpläne und Lerninhalte schüler*innenorientiert und diskriminierungskritisch zu überarbeiten,<br />
um Freiräume für die intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung der<br />
Schüler*innen zu schaffen und die Bildungsqualität zu erhöhen<br />
• alternative Leistungsbewertungen zu ermöglichen statt zu viele Vergleichsarbeiten<br />
durchzuführen<br />
• Schulentwicklung gemeinsam zu gestalten, auf Nachhaltigkeit auszurichten und<br />
durch passende Aus- und Weiterbildung zu unterstützen<br />
• multiprofessionelle Teams als festen Bestandteil in allen Schulen zu verankern und zu<br />
finanzieren<br />
2. eine AUSBILDUNGSOFFENSIVE für Lehrer*innen und Erzieher*innen<br />
• einen Staatsvertrag Lehrkräftebildung, der alle Bundesländer dazu verpflichtet, genügend<br />
Lehrkräfte auszubilden und die Studienabschlüsse gegenseitig anzuerkennen<br />
• die Überarbeitung und engere Verzahnung des Lehramtsstudiums mit der Praxis und<br />
neue Wege ins Lehramt<br />
• einen Plan, wie die Ausbildung von ausreichend und gut qualifizierten Erzieher*innen<br />
bei attraktiven Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen sichergestellt werden kann, und<br />
dessen Umsetzung<br />
3. ein SONDERVERMÖGEN Bildung und ausreichende Finanzierung<br />
• ein Sondervermögen Bildung in Höhe von mindestens 100 Mrd. € für die notwendigen<br />
Investitionen in Kita und Schule<br />
• mindestens 10 % des BIP jährlich für Bildung und Forschung, wie es beim Dresdner<br />
Bildungsgipfel 2008 vereinbart wurde<br />
4. einen echten BILDUNGSGIPFEL auf Augenhöhe<br />
• einen vom Bundeskanzler in Absprache mit den Regierungschef*innen der Länder einberufenen<br />
Bildungsgipfel, um gemeinsam mit Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft und<br />
Bildungspraxis über Auswege aus der Bildungskrise und den Aufbau eines gerechten,<br />
inklusiven und zukunftsfähigen Bildungssystems zu diskutieren<br />
(sprachlich leicht angepasst aus: https://schule-muss-anders.de/bildungsprotest-2023/,<br />
die Petition kann noch unterzeichnet werden unter www.change.org/Bildungsprotest2023)<br />
Der Bürgerrat Bildung und Lernen …<br />
… ist der größte unabhängige Bürgerrat in<br />
Deutschland und der einzige, der <strong>Kinder</strong><br />
und Jugendliche aktiv einbezieht (s. dazu<br />
den offenen Brief unter www.besserlernen.<br />
schule und den Bericht in Grundschule aktuell,<br />
H. 159, 7 – 10). Über 700 Menschen aus<br />
allen Teilen der Republik haben bisher aktiv<br />
an Sitzungen des Bürgerrats teilgenommen.<br />
Anders als die meisten Bürgerräte wurde<br />
der Bürgerrat Bildung und Lernen nicht von<br />
einem politischen Gremium beauftragt. Er<br />
wird finanziert von der unabhängigen und<br />
gemeinnützigen Montag Stiftung Denkwerkstatt<br />
in Bonn.<br />
Gestartet waren die Mitglieder des Bürgerrats<br />
Bildung und Lernen 2021 mit einem „weißen<br />
Blatt Papier“: Es gab keine inhaltlichen<br />
Vorgaben, welchen Themen in Bezug auf<br />
Bildung und Lernen sie sich widmen sollten.<br />
Im Dezember 2021 veröffentlichte der Bürgerrat<br />
seine breit angelegten „Empfehlungen<br />
für ein Sofortprogramm“ (www.buergerratbildung-lernen.de/sofortprogramm/)<br />
sowie<br />
die Forderungen der <strong>Kinder</strong> und Jugendlichen<br />
im Bürgerrat (https://t1p.de/BRBLkinderbroschüre).<br />
Im April 2022 beschloss<br />
der Bürgerrat, bei seiner Arbeit das Thema<br />
„Chancengleichheit“ in den Fokus zu rücken.<br />
Am 10. Juli 2023 hat er der Präsidentin der<br />
Kultusministerkonferenz in Berlin seine Empfehlungen<br />
übergeben – für mehr Bildungsgerechtigkeit<br />
durch Verbesserungen in drei<br />
Bereichen:<br />
- frühkindliche Bildung<br />
- allgemeinbildende Schulen<br />
- berufliche Bildung<br />
(ausführlicher:<br />
www.buergerrat-bildung-lernen.de)<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
37
Praxis: Rundschau <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Aus dem Vorstand<br />
Frühjahrstagung des GSV am 2. März 2024 in Weimar<br />
KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT! 2.0 –<br />
Herausforderungen und Perspektiven<br />
Wir freuen uns sehr darüber,<br />
dass wir unsere bundesweite<br />
Frühjahrstagung am 2. März<br />
2024 an der Grundschule „Pestalozzi“ in<br />
Weimar als Grundschulverband e. V. in<br />
Kooperation mit der Landesgruppe<br />
Thüringen durchführen können, und<br />
laden Sie recht herzlich ein, an der Veranstaltung<br />
teilzunehmen.<br />
Gemeinsam werden wir mit den Teilnehmenden<br />
über Herausforderungen,<br />
Perspektiven und Visionen diskutieren,<br />
innovative Praxiskonzepte austauschen<br />
und uns mit Kolleginnen und Kollegen<br />
aus ganz Deutschland vernetzen. Mit der<br />
Tagung soll eine besondere Anerkennung<br />
und Wertschätzung der Arbeit in<br />
den Grundschulen des Landes entgegengebracht<br />
werden. Freuen<br />
Sie sich auf ein anspruchsvolles,<br />
vielseitiges und methodisch<br />
abwechslungsreiches<br />
Tagungsprogramm zu fachbezogenen<br />
und überfachlichen,<br />
zu bildungspolitisch<br />
relevanten und gesellschaftspolitischen<br />
Fragestellungen.<br />
Sind Sie interessiert?<br />
Dann schauen Sie in unser<br />
Programm und melden sich<br />
bitte auf der Website des Grundschulverbands<br />
an.<br />
Vielen Dank! Wir freuen uns auf Sie!<br />
Für den Vorstand Marion Gutzmann<br />
2.0<br />
Ein erster Einblick in die verschiedenen Workshops und Vorträge:<br />
Imagine if. Wenn Grundschule Zukunft gestaltet<br />
Dr. Michael Kirch, Ludwig-Maximilians Universität München<br />
Mehr Mitbestimmung für <strong>Kinder</strong> in der Grundschule!<br />
Aber wie?<br />
Prof. Dr. Sabine Martschinke, Universität Erlangen-Nürnberg,<br />
Fachreferentin GSV<br />
LernWelten: Horster Modell im Fokus – Lernraumkultur,<br />
Individualisierung und Schulbauarchitektur<br />
Aenne Thurau, Grundschule Op de Host<br />
Mathematische Basisfähigkeiten in<br />
heterogenen Gruppen entwickeln – rechnen lernen<br />
Gabriele Klenk, Bundesvorstand GSV<br />
Mit dem FREI DAY Zuversicht, Wirksamkeit<br />
und Sinn erfahren<br />
Margret Rasfeld, Schule im Aufbruch<br />
Bildung für nachhaltige Entwicklung – Grundlagen,<br />
Ansprüche und Beispiele aus der Praxis<br />
Prof. Dr. Meike Wulfmeyer, Universität Bremen;<br />
Ulrike Oltmanns, Projekt Eine Welt in der Schule<br />
Schrift im digitalen Zeitalter<br />
Maxi Brautmeier-Ulrich und Anna Fruhen-Witzke,<br />
Projektgruppe Grundschrift GSV<br />
Potenziale des jahrgangsübergreifenden Unterrichts<br />
für eine zukunftsfähige Grundschule<br />
Eva-Maria Osterhues-Bruns, Fachreferentin GSV<br />
Schularchitektur und Lernraumkultur<br />
Andrea Karlsberg, Malte Cunis, Reformschule Winterhude<br />
Inklusion? – Ach ja, das mit dem Rollstuhl!<br />
Dr. Gerald Klenk, Lernwirkstatt Inklusion<br />
Qualifikation von Grundschullehrkräften für die<br />
Fächer der Primarstufe – Fokus Sachunterricht<br />
Prof. Dr. Markus Peschel, Universität des Saarlandes,<br />
Fachreferent GSV<br />
SAVE EARTH! – Digitale Tools im Kontext von<br />
Klimawandel nutzen<br />
Johannes Wolz, Carl-Küstner-Grundschule<br />
Gute Texte schreiben lernen – in der „Schreibzeit“<br />
Dr. Beate Leßmann, IQSH Kiel<br />
Social Media im Grundschulalter – zwischen Verbot<br />
und Kompetenzerwerb<br />
Prof. Dr. Thomas Irion, PH Schwäbisch Gmünd,<br />
Bundesvorstand GSV Änderungen vorbehalten (Stand 9. Januar 2024)<br />
Alle Informationen und das<br />
Anmeldeformular finden Sie unter:<br />
www.grundschulverband.de<br />
Wir rechnen mit einer großen Teilnehmerzahl und<br />
empfehlen eine zeitnahe Anmeldung und Hotelbuchung.<br />
Eine Teilnahme an der Frühjahrstagung ist<br />
mit und ohne Mitgliedschaft möglich. Die Vergabe der<br />
Plätze erfolgt nach Reihenfolge der Anmeldung.<br />
38<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> Rundschau <strong>lassen</strong><br />
Rundschau<br />
Eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern zur Entwicklung von Potenzialen und Talenten<br />
LemaS – Leistung macht Schule<br />
Verschiedene Schulleistungsstudien<br />
wie IGLU oder PISA<br />
weisen schon seit vielen Jahren<br />
darauf hin, dass auch durch das scheinbar<br />
begabungsgerechte dreigliedrige<br />
deutsche Schulsystem ein nur relativ<br />
geringer Anteil von Schülerinnen und<br />
Schülern die beiden höchsten Kompetenzstufen<br />
in den Fächern Mathematik,<br />
Deutsch und/oder Englisch erreicht.<br />
Vor diesem Hintergrund beschloss die<br />
KMK im Jahr 2015 eine Förderstrategie<br />
für leistungsstarke Schülerinnen und<br />
Schüler (KMK 2015) mit dem Ziel, „die<br />
Förderung von leistungsstarken und potenziell<br />
leistungsfähigen Schülerinnen<br />
und Schülern zu verbessern“ (KMK<br />
2015, S. 3). Aus diesem Beschluss ist die<br />
Initiative LemaS – Leistung macht Schule<br />
erwachsen.<br />
Einzigartig ist diese Initiative, weil<br />
erstmals eine Zusammenarbeit zwischen<br />
Bund und Ländern im Hinblick auf<br />
schulische Qualitätsentwicklung erfolgte.<br />
Der Bund erklärte sich unter Federführung<br />
des Ministeriums für Bildung<br />
und Forschung dazu bereit, die Initiative<br />
Leistung macht Schule (zunächst Wir<br />
können mehr) wissenschaftlich zu begleiten,<br />
die Kultusministerien der Länder<br />
erarbeiteten unterschiedliche Strategien,<br />
um die teilnehmenden Schulen in<br />
ihrer Arbeit zu unterstützen.<br />
Zeitlich ist diese Initiative auf insgesamt<br />
zehn Jahre angelegt und in zwei<br />
fünfjährige Förderphasen unterteilt.<br />
Für die erste Phase der Initiative im<br />
Zeitraum zwischen 2018 bis 2023 wurden<br />
insgesamt 300 Schulen aller Schulformen<br />
aus ganz Deutschland ausgewählt,<br />
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />
von 18 Universitäten aus<br />
unterschiedlichen Disziplinen begleiteten<br />
die ausgewählten Schulen. Diese<br />
Phase war primär darauf ausgerichtet,<br />
Strategien, Konzepte und Maßnahmen<br />
zur Förderung von Schülerinnen und<br />
Schülern mit besonderen Potenzialen<br />
bzw. zur Identifikation von <strong>Kinder</strong>n mit<br />
möglichen besonderen Leistungspotenzialen<br />
zu entwickeln, basierend auf einer<br />
stärkenorientierten Diagnose. Organisatorisch<br />
war diese Phase dadurch gekennzeichnet,<br />
innerhalb thematischer<br />
Teilmodule zu arbeiten, welche in weiten<br />
Teilen an den gängigen Fächerkanon<br />
angelehnt, aber auch an überfachlichen<br />
Kompetenzen ausgerichtet waren 1 .<br />
Einen weiteren wichtigen Baustein stellte<br />
die Implementierung der Begabungsund<br />
Leistungsförderung innerhalb des<br />
schulischen Leitbildes dar (Kernmodul<br />
1; Teilprojekte 1 bis 3). Dadurch sollte<br />
die Begabungs- und Leistungsförderung<br />
als ein zentrales Element der Schul- und<br />
Unterrichtsentwicklung hervorgehoben<br />
werden.<br />
In der Fortführung der Initiative soll<br />
es in einem weiteren fünfjährigen Zeitraum<br />
in der zweiten Phase darum gehen,<br />
die gewonnenen Erkenntnisse in<br />
eine breitere Schullandschaft zu transferieren.<br />
Um einen intensiven Austausch der<br />
teilnehmenden Schule zu ermöglichen,<br />
steht in der zweiten Phase die Arbeit<br />
in fünf regionalen Netzwerken im Vordergrund.<br />
Ausgewählte Schulen aus<br />
der ersten Phase agieren, gemeinsam<br />
mit Vertreter:innen eines Landesinstituts<br />
und/oder Qualitätseinrichtungen<br />
(vgl. https://www.lemas-forschung.de/<br />
themen/lemas-transfer), hier als Multiplikator:innenteams<br />
und begleiten die<br />
neu hinzugekommenen Schulen bei der<br />
Umsetzung der Lemas2-Produkte, den<br />
Ergebnissen der ersten Phase. Wissenschaftler:innen<br />
von nunmehr 15 vom<br />
Bundesministerium für Bildung und<br />
Forschung (BMBF) geförderten sowie<br />
zwei assoziierten Universitäten sollen<br />
nun die Multiplikator:innenteams beraten<br />
und professionalisieren.<br />
Eine für den Grundschulverband interessante<br />
Perspektive der Initiative eröffnet<br />
sich durch die Erweiterung des<br />
Adressatenkreises in der Begabungsförderung.<br />
Es stehen nicht primär solche<br />
Projekte im Vordergrund, die ausschließlich<br />
auf eine separierende Begabungsförderung<br />
einzelner Schülerinnen<br />
und Schüler in Form der bekannten<br />
Maßnahmen wie z. B. dem „Drehtürmodell“<br />
setzen. In der Initiative Leistung<br />
macht Schule geht es insbesondere<br />
auch darum, im Regelunterricht Lernumgebungen<br />
zu gestalten und Lernarrangements<br />
anzubieten, innerhalb derer<br />
Alle Informationen zu<br />
LemaS – Leistung macht<br />
Schule finden Sie unter:<br />
www.lemas-forschung.de<br />
Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />
ist Fachberaterin für Unterrichtsqualität<br />
und Fachreferentin für Pädagogische<br />
Praxis im Grundschulverband<br />
möglichst viele <strong>Kinder</strong> ihre Potenziale<br />
entfalten können. „Potenzialentwicklung<br />
und Leistungsförderung für alle<br />
<strong>Kinder</strong> [stellt] einen selbstverständlichen<br />
Auftrag für alle Schulen [dar]“ (Fischer/Fischer-Ontrup<br />
2021). Somit will<br />
die Initiative auch zu mehr Bildungsgerechtigkeit<br />
beitragen und nicht einer<br />
Elitebildung sog. „Hochbegabter“ Vorschub<br />
leisten. <br />
Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />
Anmerkungen<br />
1) Eine Übersicht über alle Teilmodule findet<br />
sich unter https://www.lemas-forschung.de/<br />
projekte?page=2<br />
2) Entwicklung von Diagnose- und Förderkonzepten<br />
für eine adaptierte Gestaltung der<br />
Übergänge (Kita-Grundschule, Grundschuleweiterführende<br />
Schule) von leistungsstarken<br />
und potenziell besonders leistungsfähigen<br />
<strong>Kinder</strong>n im Regelunterricht der MINT-<br />
Fächer (hier: GS Nordholz, Teilprojekt 3,<br />
begleitet durch die FU Berlin)<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa165Lit<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
39
Praxis: Rundschau <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Bündnis „Eine für alle – Die inklusive Schule für die Demokratie“<br />
Eine gemeinsame Schule für Alle<br />
Wir, der GSV, sind Teil eines<br />
bundesweiten Bündnisses<br />
von sechs Organisationen,<br />
das nun schon seit vielen Jahren die<br />
Transformation des bundesdeutschen<br />
segregierenden Schulsystems in ein<br />
inklusives für ALLE Schüler*innen fordert.<br />
Wir wollen EINE gemeinsame<br />
Schule für alle Schüler*innen ab Klasse 1<br />
bis mindestens Klasse 10, ohne Auslese<br />
in ungleichwertige Sekundarschulen<br />
nach der Grundschulzeit oder in Sonderschulen<br />
für <strong>Kinder</strong> mit Beeinträchtigungen.<br />
ALLE sollen mit- und<br />
voneinander lernen können in konstruktiver<br />
Nutzung jeglicher Heterogenität.<br />
ALLE sollen die gleichen Bildungschancen<br />
haben. Das wäre demokratisch.<br />
Das bedeutet eine entschiedene Strukturreform.<br />
Weil das die Mehrheit der<br />
politisch Verantwortlichen in unseren<br />
Parteien und Kultusverwaltungen,<br />
in Standesverbänden und auch in den<br />
Ausleseschulen selbst nicht wollen, weil<br />
sie Privilegien und Machtebenen erhalten<br />
wollen, weil grundsätzliche und radikale<br />
Veränderungen teuer und schwierig<br />
sind, wird diese Strukturreform nicht<br />
angegangen, werden keine Umsetzungswege<br />
gesucht. Obwohl gerade wieder<br />
mal ein sehr negatives PISA-Untersuchungsergebnis<br />
gebrandmarkt hat, dass<br />
unser deutsches Schulsystem auch infolge<br />
dieser Gliederung ungerecht ist<br />
und nicht allen Schüler*innen qualitativ<br />
hohe Bildung vermittelt. Im Unterschied<br />
Die Heftreihe ist über die<br />
GSV-Geschäftsstelle oder die GEW<br />
kostenlos erhältlich. Lasst sie euch zuschicken,<br />
verteilt sie in euren<br />
Kollegien und Versammlungen,<br />
stärkt euch mit Informationen<br />
und Argumenten!<br />
zu Ländern, die u. a. keine so auslesend<br />
gegliederten Schulsysteme haben.<br />
Der „PISA-Schock“ hat niemanden<br />
mehr überrascht. Es wird sorgenvoll die<br />
Stirn gerunzelt. Vielleicht hier und da<br />
eine Deutsch- oder Mathestunde mehr,<br />
vermehrt K<strong>lassen</strong>arbeiten sowie Bewertungs-<br />
und Vergleichseifer, Einstellung<br />
von immer mehr unqualifiziertem Lehrpersonal<br />
wegen des gravierenden Lehrkräftemangels<br />
usw. usw. – die Rolle geht<br />
weiter rückwärts und abwärts. Grundsätzlich<br />
wird sich seitens der politisch<br />
Verantwortlichen nichts tun.<br />
Was können und müssen WIR tun?<br />
Nicht jeden systemstärkenden Druck<br />
mitmachen, lauter werden mit unseren<br />
Transformationsforderungen, um die<br />
<strong>Kinder</strong> vor der sie bedrückenden und<br />
behindernden Auslese zu bewahren, die<br />
<strong>Kinder</strong> immer wieder in kleinen Schritten<br />
inklusiv stärken und lernen <strong>lassen</strong><br />
(und nicht nach Hause schicken, weil<br />
zusätzliche „Förderstunden“ nicht vorhanden<br />
sind!), mehr mit den Eltern<br />
kooperativ in diesem Sinne handeln, uns<br />
gegenseitig ermutigen und Belastungen<br />
trotzen (z. B. indem wir unnötig ausufernde<br />
bürokratische Arbeiten zurückweisen<br />
oder radikal reduzieren). Und<br />
natürlich müssen wir weiterhin öffentlich,<br />
politisch energisch auftreten.<br />
Unser Bündnis tut dies zurzeit …<br />
● aktuell durch die Unterstützung<br />
(Briefe, Gespräche) der Initiative zur<br />
Ulla Widmer-Rockstroh<br />
Grundschullehrerin i. R., Vertreterin<br />
des GSV im Bündnis „Eine für alle –<br />
Die inklusive Schule für die<br />
Demokratie“, vormals Fachreferentin<br />
Inklusive Bildung des GSV<br />
Einrichtung einer Enquete-Kommission<br />
des Deutschen Bundestages zur<br />
endlichen Umsetzung der UN-BRK<br />
(2008 im Bundestag ratifiziert und in<br />
Kraft getreten!);<br />
● durch die laufende Veröffentlichung<br />
einer Schriftenreihe, mit Informationen<br />
und Argumentationen zu Menschenrechten,<br />
Inklusionsanspruch<br />
und inklusionsverhindernder Politik.<br />
So deckte Heft 8 (2023) auf, wie das<br />
so demokratisch scheinende „Elternwahlrecht“<br />
zur Verhinderung von<br />
Inklusion und Stärkung eines segregierenden<br />
Förderschulsystems missbraucht<br />
wird. Im Frühjahr 2024 erscheint<br />
Heft 9, in dem Prof. Hans<br />
Wocken am Beispiel Bayerns (angeblich<br />
so Bildungs-vorbildlich!) darlegt,<br />
wie Inklusion im Land der Separation<br />
Worthülse bleibt.<br />
Der Transformationsanspruch für<br />
eine gemeinsame inklusive Schule<br />
für ALLE wird auch gefordert vom<br />
Institut für Menschenrechte mit seiner<br />
massiven Kritik am diesjährigen<br />
Staatenbericht Deutschlands zur<br />
Inklusionsentwicklung (die keine positive<br />
ist!!). Im Februar 2024 wird es<br />
deshalb gemeinsam mit dem Bundesbehindertenbeauftragten<br />
Jürgen Dusel<br />
in Berlin eine Veranstaltung durchführen,<br />
auch zur Unterstützung der Forderung<br />
nach Einrichtung einer Enquete-<br />
Kommission.<br />
So viel für diesmal.<br />
Ulla Widmer-Rockstroh<br />
40<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> Rundschau <strong>lassen</strong><br />
Rundschau<br />
Zur Serie: Ein Beispiel aus der Lehrkräftebildung in der Grundschuldidaktik Mathematik<br />
Phasenübergreifende Vernetzung<br />
In diesem Beitrag wird ein Lehrprojekt<br />
zur phasenübergreifenden Vernetzung<br />
in der Grundschuldidaktik Mathematik<br />
vorgestellt. Das Projekt nutzt Synergiepotenziale<br />
aus der 1. und 2. Phase der<br />
Lehrkräftebildung. Studierende und Lehrkräfte<br />
im Vorbereitungsdienst arbeiten<br />
dabei eng zusammen und entwickeln<br />
gemeinsam offene Aufgaben für den<br />
Mathematikunterricht an Grundschulen.<br />
Im Artikel werden Einblicke in den ersten<br />
Projektdurchlauf gegeben sowie erste<br />
Forschungsergebnisse vorgestellt.<br />
Zur Reduktion wahrgenommener Diskontinuitäten<br />
zwischen Theoriebezügen<br />
in der Hochschule und Anforderungen<br />
im Schulalltag entwickelte die 2020 gegründete<br />
Projektgruppe ein Konzept zur<br />
Stärkung der phasenübergreifenden Vernetzung<br />
in der Lehrer*innenbildung im<br />
Fach Mathematik der Grundschule. Dieses<br />
zeigt eine Möglichkeit, der fehlenden<br />
Kohärenz der Phasen durch synergetische<br />
Kooperation (Qualitätsoffensive Lehrerbildung<br />
/ TUD Sylber) zu begegnen und<br />
den Transfer von aktuellen fachdidaktischen<br />
Erkenntnissen in die Schulpraxis<br />
zu stärken (vgl. Wissenschaftsrat 2023).<br />
Die Projektgruppe setzt sich aus Vertreter*innen<br />
der 1. und 2. Phase der<br />
Lehrkräftebildung zusammen. Federführend<br />
wird das Projekt geleitet von Dr.<br />
Susanne Wöller (Technische Universität<br />
Dresden), Annett Mathea-Kreuter (Landesamt<br />
für Schule und Bildung Dresden,<br />
Lehrerausbildungsstätte) und Andreas<br />
Grajek (Universität Leipzig).<br />
Bevor das Konzept allerdings im Detail<br />
entwickelt werden konnte, waren einige<br />
Absprachen notwendig. In diesem<br />
Kontext fanden zunächst informative<br />
Treffen statt. Der Fokus dieser Treffen<br />
lag auf dem Austausch über die Inhalte,<br />
die Prüfungsformate sowie die Rahmenbedingungen<br />
in den jeweiligen Phasen.<br />
Auf dieser Basis konnte festgestellt werden,<br />
dass die Behandlung offener Aufgabenformate<br />
wie beispielsweise Lernumgebungen<br />
(vgl. u. a. Hirt/Wälti 2014;<br />
Wollring 2009) zur Förderung eines natürlich<br />
differenzierenden Mathematikunterrichts<br />
(vgl. Krauthausen/Scherer<br />
2014) in beiden Phasen gleichermaßen<br />
vertreten und von hoher Relevanz ist.<br />
Durchführung des Lehrprojekts<br />
Das Herzstück des Projekts liegt in der<br />
Verzahnung von Studium und Vorbereitungsdienst,<br />
die durch eine phasenübergreifende<br />
gemeinsame Konzeption,<br />
Durchführung und Reflexion von<br />
mathematischen Lernumgebungen<br />
für den Mathematikunterricht in der<br />
Grundschule realisiert wird. In diesem<br />
Kontext arbeiten Studierende eng<br />
mit Lehrkräften im Vorbereitungsdienst<br />
(LiV) zusammen. Dabei werden<br />
relevante fachdidaktische Modelle der<br />
1. Phase praxisnah implementiert. Auf<br />
diese Weise entstehen vielfältig durchdachte,<br />
natürlich differenzierende Aufgaben<br />
für den Mathematikunterricht an<br />
Grundschulen.<br />
Andreas Grajek (links)<br />
Universität Leipzig<br />
andreas.grajek@uni-leipzig.de<br />
Dr. Susanne Wöller (Mitte)<br />
TU Dresden<br />
susanne.woeller@tu-dresden.de<br />
Annett Mathea-Kreuter (rechts)<br />
Landesamt für Schule und Bildung<br />
Dresden, Lehrerausbildungsstätte<br />
annett.mathea-kreuter@lasub.smk.<br />
sachsen.de<br />
Konkrete Umsetzung des Projekts<br />
Um den Austausch und die Vernetzung<br />
zwischen den beteiligten Akteur*innen<br />
zu fördern, werden sogenannte Tandempartnerschaften<br />
aus zumeist zwei<br />
bis drei Studierenden und einer LiV<br />
eta-bliert. Die erste Kontaktaufnahme<br />
erfolgt durch Kurzsteckbriefe an die Studierenden.<br />
Diese Steckbriefe enthalten<br />
Basisinformationen wie Namen und<br />
Ort der Schule, K<strong>lassen</strong>stufe, Kontaktmöglichkeiten<br />
sowie eine persönliche<br />
Botschaft. Initiiert wird die Kontaktaufnahme<br />
durch die Lehrbeauftragten der 1.<br />
und 2. Phase. Die beteiligten Akteur*innen<br />
führen individuelle Absprachen und<br />
tauschen sich aus. Studierende erhalten<br />
zudem die Möglichkeit, in den K<strong>lassen</strong><br />
der LiV zu hospitieren.<br />
Eine curriculare Einbettung erfährt<br />
das Projekt sowohl in der 1. als auch<br />
in der 2. Phase. In der 1. Phase werden<br />
die Studierenden im Rahmen eines Seminars<br />
an der Technischen Universität<br />
Dresden begleitet und betreut. Sie erhalten<br />
die notwendigen theoretischen<br />
Grundlagen zur Konzeption von Lernumgebungen<br />
und treten während der<br />
Planungsphase in den Austausch mit<br />
anderen Studierenden und der Seminarleitung.<br />
Nach der Durchführung der<br />
Lernumgebung in den Grundschulk<strong>lassen</strong><br />
der LiV stellen die Studierenden ihre<br />
Ergebnisse im Seminar vor. Dabei geben<br />
sie Einblicke in die Arbeitsprozesse<br />
der Tandempartnerschaften, reflektieren<br />
ihren durchgeführten Unterricht<br />
und überarbeiten ihre Lernumgebungen<br />
wissenschaftsbasiert. Die Teilnahme von<br />
Lehrbeauftragten der 2. Phase wird explizit<br />
angestrebt, um einen ganzheitlichen<br />
Austausch zu gewährleisten.<br />
In der 2. Phase ist das Konzipieren<br />
von mathematischen Lernumgebungen<br />
Bestandteil der täglichen Unterrichtsgestaltung<br />
und damit auch ein wichtiges<br />
Thema in den Lehrveranstaltungen.<br />
Die LiV ermöglichen den Studierenden<br />
das Hospitieren in der eigenen Klasse,<br />
um die Lernvoraussetzungen der Schüler*innen<br />
berücksichtigen zu können.<br />
Auf dieser Basis und im Dialog mit der<br />
LiV erfolgt eine passgenaue Planung.<br />
Die Umsetzung geschieht durch die Studierenden<br />
oder zusammen mit der LiV<br />
im Teamteaching. Im Anschluss reflektieren<br />
die Beteiligten den Prozess, wobei<br />
die LiV schon die Rolle einer Mentorin<br />
bzw. eines Mentors einnimmt und ihre<br />
Reflexionskompetenz durch den Perspektivwechsel<br />
schärft. Im Rahmen eines<br />
Markts der Möglichkeiten der 2. Phase<br />
stellen die LiV die erprobten Lernumgebungen<br />
und Arbeitsergebnisse vor<br />
und stoßen damit Erfahrungsaustausch<br />
und Diskussionen über Adaptionsmög-<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
41
Praxis: Rundschau <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
lichkeiten der Lernumgebung an. Sowohl<br />
die Präsentation im Seminar an<br />
der Universität als auch der Markt der<br />
Möglichkeiten stehen für Teilnehmende<br />
der jeweils anderen Phase offen. Studierende<br />
erhalten zudem erste Einblicke in<br />
den Vorbereitungsdienst und für die LiV<br />
wird der Bezug zu aktuellen Inhalten des<br />
Studiums hergestellt.<br />
Ziele des Lehrprojekts<br />
Das übergeordnete Ziel des Lehrprojekts<br />
ist es, eine effektive und strukturierte<br />
Verzahnung zwischen der<br />
1. Phase des Studiums und der 2. Phase<br />
des Vorbereitungsdienstes in der Lehrkräftebildung<br />
zu erreichen. Durch die<br />
Nutzung von Synergien soll ein Umfeld<br />
geschaffen werden, in dem Studierende,<br />
LiV, Dozierende und Lehrbeauftragte<br />
gleichermaßen voneinander profitieren<br />
können. Für die jeweiligen Phasen<br />
ergeben sich damit im Rahmen des<br />
Lehrprojekts die im Kasten aufgeführten<br />
Ziele.<br />
Mehrwert für alle Beteiligten<br />
Die Studierenden profitieren von der<br />
Vernetzung, indem sie besser verstehen,<br />
warum sie bestimmte Inhalte<br />
im Studium erlernen und wie diese<br />
in der Schulpraxis Anwendung finden.<br />
Für die LiV wird das im Studium<br />
erlernte Wissen in den Kontext der<br />
aktuellen schulischen Realität gesetzt.<br />
Der Perspektivwechsel in die temporäre<br />
Rolle einer Mentorin bzw. eines Mentors<br />
hat das Potenzial, die LiV zu reflektierteren<br />
Lehrpersonen auszubilden. Beide<br />
Gruppen agieren zudem als Multiplikator*innen,<br />
die ihr Wissen und ihre<br />
Erfahrungen an die Lehrkräfte im Schuldienst<br />
weitergeben. Die Schüler*innen<br />
profitieren von den passgenauen Lernangeboten<br />
und den Individualisierungspotenzialen<br />
im Teamteaching.<br />
Die Dozierenden und die Lehrbeauftragten<br />
profitieren von Aktualität und<br />
Vernetzung der Inhalte beider Phasen.<br />
Durch den regelmäßigen Austausch<br />
über ein zeitgemäßes, kompetenzorientiertes<br />
und fachdidaktisch fundiertes<br />
Leistungs- und Unterrichtsverständnis<br />
wird eine kontinuierliche Anpassung<br />
und Verbesserung der Lerninhalte sichergestellt.<br />
Eine solche nahtlose, kompetenzorientierte<br />
und praxisnahe Ausbildung<br />
der zukünftigen Lehrkräfte mildert<br />
den sogenannten „Praxisschock“.<br />
Ziele in der 1. Phase (Studium)<br />
• Die Studierenden wenden die erworbenen<br />
Theorien und Modelle aus der<br />
Fachdidaktik (im Bereich der natürlichen<br />
Differenzierung) auf konkrete<br />
Unterrichtssituationen an. Bei der<br />
Planung von Unterricht berücksichtigen<br />
sie die Lernvoraussetzungen der<br />
Schüler*innen.<br />
• Die Studierenden können die Wirksamkeit<br />
ihres entwickelten Unterrichts<br />
im Hinblick auf das mathematische<br />
Lernen der Schüler*innen in der<br />
Grundschule begründet einschätzen.<br />
Darauf basierend, können sie die konzipierten<br />
Lernangebote entsprechend<br />
überarbeiten.<br />
Ziele in der 2. Phase (Vorbereitungsdienst)<br />
• Die LiV nutzen fachdidaktische Modelle<br />
für ihre Unterrichtsplanung.<br />
• Sie übernehmen die Rolle einer Mentorin<br />
bzw. eines Mentors, indem sie Studierende<br />
bei der Konzeption und der<br />
Durchführung von Lernumgebungen<br />
begleiten, und entwickeln ihre professionellen<br />
Reflexionsfähigkeiten weiter.<br />
Erfahrungen aus dem ersten<br />
Projektdurchlauf<br />
Der erste Durchlauf des Lehrprojekts im<br />
Wintersemester 2022/2023 hat wichtige<br />
Einblicke und Erfahrungen sowohl für<br />
Studierende als auch für LiV geliefert. Insgesamt<br />
wurden acht Tandems gebildet, die<br />
jeweils aus zwei Studierenden und einer<br />
LiV bestanden. Die Tandems befanden<br />
sich das ganze Semester hinweg in einer<br />
intensiven Zusammenarbeit. Sie konzipierten<br />
gemeinsam die Lernumgebungen<br />
und entwickelten Unterrichtsmaterialien,<br />
die am Ende des Semesters allen<br />
beteiligten Akteur*innen als Ideenpool<br />
für die weitere Unterrichtsplanung<br />
zur Verfügung standen. Die Vielfalt der<br />
erarbeiteten Unterrichtsmaterialien war<br />
beachtlich. Themen wie „Körperforscher“,<br />
„Symmetrien an Schneeflocken“, „Bandornamente“,<br />
„Geheimnisvolle Mauern“,<br />
„Wichtelzahlen“ und „Wir bauen einen<br />
Zoo“ kamen zur Anwendung. Die konzipierten<br />
Lernumgebungen wurden in<br />
Grundschulk<strong>lassen</strong> der Jahrgangsstufen<br />
1 bis 3 durchgeführt. Nach der Durchführung<br />
fanden in den jeweiligen Tandems<br />
Reflexionen der von den Studierenden<br />
durchgeführten Unterrichtseinheiten<br />
statt.<br />
Das Feedback der beteiligten Studierenden<br />
war durchweg positiv. Eine der<br />
Studierenden betonte die Bedeutung<br />
der Anwesenheit und Unterstützung der<br />
LiV im K<strong>lassen</strong>raum: „Ich fand das sehr<br />
sympathisch. Sie war immer da, also<br />
jetzt im K<strong>lassen</strong>raum, wenn sie was gesehen<br />
hat, was wir nicht wissen konnten,<br />
dann hat sie mich da unterstützt. Sie hatte<br />
auch Ideen, wie wir das noch gestalten<br />
könnten.“<br />
Die sorgfältige Nachbereitung des<br />
Unterrichts durch die LiV wurde ebenfalls<br />
hervorgehoben. „Also was uns sehr<br />
positiv aufgefallen ist, die Referendarin<br />
hat sich danach die Zeit genommen, die<br />
Stunde mit uns gemeinsam auszuwerten,<br />
und hat uns auch gesagt, was wir verbessern<br />
könnten in unserem Umgang mit<br />
den Schülern oder auch bei unserem<br />
Auftreten“, so das Feedback einer anderen<br />
Studierenden.<br />
Auch die LiV fanden das Projekt gewinnbringend.<br />
Eine Teilnehmerin merkte<br />
an: „Ich hatte Lust auf das Projekt und<br />
fand das praktische Ausprobieren sehr<br />
wertvoll. Solche Projekte sollte es öfter<br />
geben.“ Die intensive, wenn auch zeitintensive<br />
Zusammenarbeit wurde als<br />
gewinnbringend für beide Seiten beschrieben.<br />
Eine andere Teilnehmerin resümierte:<br />
„Die Zusammenarbeit war für<br />
mich sehr angenehm. Es gab immer wieder<br />
gemeinsame Absprachen, die zwar<br />
relativ zeitintensiv waren, aber dennoch<br />
gewinnbringend.“ Besonders wertvoll<br />
schien der fortlaufende gemeinsame<br />
Austausch: „Wir haben viel diskutiert.<br />
Teamteaching ist einfach toll.“<br />
Reflexive Fähigkeiten von<br />
Studierenden<br />
Design des Forschungsprojekts<br />
Das Lehrprojekt wird seitens der Technischen<br />
Universität wissenschaftlich<br />
begleitet. Die qualitative Studie gibt<br />
Einblicke in die reflexiven Fähigkeiten<br />
von Studierenden des Lehramts Grundschule<br />
im Fach Mathematik. Dabei wird<br />
zwei grundlegenden Forschungsfragen<br />
nachgegangen:<br />
1. Welche Reflexionsanlässe nehmen<br />
Studierende in ihren selbst durchgeführten<br />
und videografierten Unterrichtssituationen<br />
wahr?<br />
2. Wie genau erfolgt diese Reflexion der<br />
Studierenden?<br />
Die Datenerhebung erfolgte im Winter<br />
2022/2023 in Dresden und umfasste<br />
42<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> Rundschau <strong>lassen</strong><br />
Rundschau<br />
Interviews mit den Studierenden, die<br />
am Seminar an der TU Dresden teilnahmen.<br />
Da die Studierenden die im<br />
Tandem konzipierte Lernumgebung<br />
gemeinsam in den Grundschulk<strong>lassen</strong><br />
durchführten, wurden auch die Interviews<br />
in Zweiergruppen durchgeführt.<br />
Die Basis für das Interview bildeten<br />
Videovignetten. Diese zeigen kleinere<br />
ca. 20- bis 30-minütige Ausschnitte des<br />
durchgeführten Unterrichts und fangen<br />
sowohl die Schüler*innen bei der<br />
Bearbeitung der offenen Mathematikaufgabe<br />
als auch die Begleitung des<br />
Unterrichts durch die Studierenden ein.<br />
Einblicke in erste Ergebnisse<br />
Abbildung 1 und 2 zeigen Schüler*innen<br />
der 2. Klasse, die das Thema „Symmetrie<br />
an Schneeflocken“ erkunden. Das<br />
Tandem entwickelte dazu eine Lernumgebung,<br />
bei der sich die Lernenden<br />
zunächst mithilfe einer Bastelanleitung<br />
für vierzackige schneeflockenartige Faltfiguren<br />
(Abb. 1) mit der Aufgabe vertraut<br />
machten und ihre feinmotorischen<br />
Fähigkeiten schulten.<br />
Anschließend wurden die Schüler*innen<br />
zu eigenen Entdeckungen ermutigt,<br />
indem sie gefragt wurden, wie man die<br />
Faltung nun verändern müsste, um eine<br />
Schneeflocke mit sechs Zacken oder<br />
weitere schneeflockenartige Faltfiguren<br />
mit acht oder mehr Zacken herzustellen<br />
(Abb. 2).<br />
Im Interview haben die Studierenden<br />
insbesondere zu dieser gefilmten Unterrichtssequenz<br />
(Abb. 2) sehr detaillierte<br />
Analysen des Bearbeitungsprozesses<br />
der abgebildeten Schülerin vorgenommen.<br />
Die Studierenden zeigten eine ausgeprägte<br />
Fähigkeit, die Gedankengänge<br />
der Schülerin bei der Bearbeitung der<br />
Aufgabe nachzuvollziehen, und sie legten<br />
den Fokus auf individuelle Zugänge<br />
der Schülerin zur Aufgabe. Auch die<br />
Interaktionen zwischen den Lehrpersonen<br />
(die Studierenden selbst) und der<br />
Schülerin standen im Fokus der Reflexionen.<br />
Zudem legten die Studierenden<br />
Wert auf individuelle Entwicklungen<br />
im Lernprozess der Schülerin, d. h. sie<br />
zogen auch vorher gesehene Videosequenzen<br />
mit in ihre Betrachtungen ein<br />
und entwickelten darauf basierend eine<br />
fundierte Einschätzung zum aktuellen<br />
Lernstand der Schülerin.<br />
Interessant ist, dass die Videovignetten<br />
bei dieser Studierendengruppe oft<br />
an Stellen pausiert wurden, an denen<br />
die Studierenden zugaben, dass ihnen<br />
bestimmte Aspekte während des Unterrichtens<br />
gar nicht aufgefallen seien und<br />
diese nun durch das Betrachten des Videos<br />
zutage treten würden. Über solche<br />
Unterrichtssequenzen fand naturgemäß<br />
im Interview ein reger Austausch unter<br />
den Studierenden statt, in denen allgemeine<br />
Beobachtungen, Vermutungen<br />
und Interpretationen komplex miteinander<br />
verwoben waren. Dies verdeutlicht<br />
insbesondere die Relevanz von Reflexionsphasen<br />
in der Lehrkräftebildung<br />
anhand sinnvoll eingesetzter Methoden,<br />
wie beispielsweise durch selbst erstellte<br />
Videovignetten.<br />
Abb.3 zeigt Entdeckungen bei Bearbeitungswegen<br />
von Lernenden in der<br />
2. Jahrgangsstufe. Die Studierenden entwickelten<br />
eine offene Aufgabe zum Erkunden<br />
der Achsensymmetrie. Achsensymmetrische<br />
Figuren entstanden dabei<br />
durch das Zusammenfalten eines<br />
A4-Blattes. Die Schüler*innen wurden<br />
zunächst dazu angeregt, eine Seite ihres<br />
gefalteten Blattes mit je individuell schönen<br />
Mustern zu gestalten und anschließend<br />
die Falthandlung durchzuführen.<br />
In der hier ausgewählten Unterrichtssequenz<br />
(Abb. 3) fällt den Studierenden<br />
während der Betrachtung der Videovignette<br />
auf, dass sie die Lernenden womöglich<br />
durch ihre Faltanleitung sowie mitgebrachten<br />
Beispiele in ihren Bearbeitungswegen<br />
beeinflusst haben könnten.<br />
Während der Durchführung des Unterrichts<br />
trat diese Erkenntnis augenscheinlich<br />
nicht zutage. Im Interview führte<br />
diese Erkenntnis nun zu Überlegungen,<br />
wie die Studierenden zukünftig unterschiedliche<br />
Lösungsansätze eher fördern<br />
können und wie sie dementsprechend<br />
ihr Aufgabenangebot überarbeiten<br />
müssten.<br />
Im Allgemeinen bieten die beiden<br />
Studierenden im Interview sehr elaborierte<br />
Interpretationen an. Im Fokus stehen<br />
dabei sowohl die Handlungen und<br />
Äußerungen der Lernenden als auch ihr<br />
eigenes unterrichtliches Handeln. Die<br />
Perspektiven der Lernenden und der<br />
Lehrenden sind dabei eng miteinander<br />
verbunden. Hervorzuheben ist ebenso,<br />
dass Interpretationen der Studierenden<br />
teilweise erst durch den Dialog in der<br />
Zweiergruppe während des Betrachtens<br />
der Videovignette zustande kommen.<br />
Diese Beobachtung zeugt von der Relevanz<br />
von Reflexionsphasen insbesondere<br />
in der Peer-Gruppe.<br />
Zusammenfassung<br />
Die aktuellen Ergebnisse <strong>lassen</strong> vermuten,<br />
dass die Studierenden in der<br />
Lage sind, vielfältige Bezüge zwischen<br />
den beobachteten Handlungen sowie<br />
Äußerungen der Schüler*innen und<br />
ihrem eigenen Unterrichtshandeln herzustellen.<br />
Dabei fokussieren die Studierenden<br />
nicht nur auf mathematische<br />
Korrektheit, sondern auch auf<br />
diverse Gründe für ihre methodischen<br />
und didaktischen Entscheidungen.<br />
Schwierigkeiten der Lernenden bei<br />
der Bearbeitung der Aufgabe stehen<br />
Abb. 1: Basteln vierzackiger Schneeflocken<br />
nach Bastelanleitung<br />
Abb. 2: Erkundungen zum Thema<br />
„Symmetrie an Schneeflocken“<br />
Abb. 3: Bearbeitungswege beim<br />
Entdecken der Achsensymmetrie<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
43
Praxis: Rundschau <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
ebenso im Fokus ihrer Betrachtungen.<br />
Außerdem ziehen die Studierenden<br />
weitreichende Schlüsse für ihr<br />
zukünftiges Unterrichtshandeln und<br />
leiten begründet Alternativen ab. Im<br />
Projekt ist deutlich geworden, dass die<br />
Studierenden die beobachteten Unterrichtssequenzen<br />
nicht nur oberflächlich<br />
auf einer beschreibenden Ebene reflektieren,<br />
sondern komplexe Zusammenhänge<br />
wahrnehmen und die Lern- und<br />
Bearbeitungsprozesse der Schüler*innen<br />
tiefgründig interpretieren.<br />
Aktuelle Entwicklungen des<br />
Lehrprojekts und Ausblick<br />
Das Lehrprojekt wurde nach dem ersten<br />
Durchlauf einer internen Evaluation<br />
unterzogen. Dabei wurden insbesondere<br />
für das Seminar an der Universität einige<br />
Anpassungen vorgenommen. So sollen<br />
beispielsweise mehr Möglichkeiten<br />
des Austauschs unter allen Akteur*innen<br />
(Lehrbeauftragte beider Phasen, Studierende,<br />
LiV) an zwei festen Terminen im<br />
Semester angeboten werden. Im aktuell<br />
laufenden Wintersemester 2023/2024<br />
wird das Lehrprojekt inklusive der<br />
wissenschaftlichen Begleitung seitens der<br />
Universität nochmals durchgeführt.<br />
Perspektivisch ist geplant, auch die Entwicklung<br />
berufsbezogener Reflexionsfähigkeiten<br />
von LiV durch den temporären<br />
Rollenwechsel in die Funktion einer<br />
Mentorin bzw. eines Mentors noch während<br />
des Vorbereitungsdienstes zu untersuchen.<br />
Damit verbunden ist ein Modell<br />
einer weiterhin phasenorientierten Lehrkräfteausbildung,<br />
die phasenübergreifend<br />
kooperiert, um angehende Lehrkräfte mit<br />
einer starken Berufsorientierung ohne<br />
Vernachlässigung der Wissenschaftsbasierung<br />
auszubilden. Dabei können diese<br />
Synergien auch dafür genutzt werden,<br />
um dem Lehrkräftemangel durch eine<br />
Entlastung von Mentor*innen zu begegnen.<br />
Vielversprechend wird die erneute<br />
Projektbeteiligung der Studierenden nach<br />
dem Wechsel in den Vorbereitungsdienst<br />
sein.<br />
Die hier vorgestellten Erfahrungen am<br />
Beispiel der Grundschuldidaktik Mathematik<br />
regen dazu an, Synergiepotenziale<br />
phasenübergreifender Zusammenarbeit<br />
auch in anderen Fachdidaktiken sowie<br />
Schularten zu erproben. Ebenso ist zukünftig<br />
eine überregionale Vernetzung<br />
über den Standort Dresden hinaus angedacht.<br />
<br />
Andreas Grajek,<br />
Annett Mathea-Kreuter, Susanne Wöller<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa165Lit<br />
Mitteilung<br />
Zum Tod von Gertraud Greiling –<br />
ein langjähriges Mitglied des GSV<br />
Anfang November 2023 verstarb mit 87 Jahren Gertraud<br />
Greiling, eine große Pädagogin, die sich bis zu ihrem Tod<br />
für die Reform der Grundschule eingesetzt hat.<br />
Gertraud Greiling war frühzeitig im Grundschulverband, damals<br />
„Arbeitskreis Grundschule“, aktiv – im sogenannten Beirat nach<br />
der Vereinsgründung. Gemeinsam mit Mitakteurinnen erhielt<br />
sie 1981 von Erwin Schwarz, dem Gründer des Verbandes, den<br />
„Grundschulpreis 81 für hartnäckige Lehrerinnen“ verliehen. An<br />
der Wartburg-Grundschule in Münster-Gievenbeck hatte Gertraud<br />
Greiling gemeinsam mit Lehrerinnen und einer Sozialpädagogin<br />
über Jahre hinweg die pädagogische Arbeit grundlegend<br />
verändert:<br />
• kindgerechte Rhythmisierung statt verfächertem Stundenplan<br />
• Lernwerkstatt und freie Arbeit statt Stillsitzunterricht<br />
• Welterkundung innerhalb und außerhalb der Schule statt<br />
Buchunterricht<br />
• Öffnung des Unterrichts für unterschiedliche Interessen und<br />
Lernwege statt lehrerzentriertem Unterricht<br />
• Teamarbeit statt Lehrkraft als Einzelkämpfer<br />
• pädagogisch durchgestalteter Ganztag statt vormittäglicher<br />
Stundenschule (siehe Band 148/149 „Auf dem Weg zur<br />
kindergerechten GS“ S. 208 ff.).<br />
Die 1980er-Jahre waren in Grundschulen eine pädagogische<br />
Aufbruchzeit.<br />
40 Jahre später haben diese Impulse für Schulentwicklung in<br />
keiner Weise an Bedeutung verloren.<br />
Nach ihrer Pensionierung hat Gertraud Greiling als Gründungsschulleiterin<br />
der KOSMOS-Bildung Münsterlandschule Tilbeck<br />
ihr zweites Großprojekt als engagierte, unermüdliche Pädagogin<br />
begonnen und mit Hartnäckigkeit und Biss immer im Sinne<br />
jedes einzelnen Kindes und der Lebensgemeinschaft in der<br />
Schule Empathie und Führungsstärke gezeigt und pädagogisch<br />
Sinnvolles gegen alle Windmühlen erkämpft.<br />
Von Pädagoginnen wie Gertraud Greiling dürfen wir auch heute<br />
noch lernen, uns gemeinsam mit vielen anderen im GSV zu<br />
engagieren, denn wir alle wissen, wofür wir dies tun: KINDER.<br />
LERNEN.ZUKUNFT. Jetzt!<br />
Gabriele Klenk<br />
44<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer<br />
gsv-brandenburg@poteo.de, www.grundschulverband.de<br />
Das Thema Inklusion bewegt<br />
… im Fachgespräch<br />
mit dem Ministerium und<br />
im Verband<br />
Im November hatte das<br />
Ministerium den Grundschulverband<br />
und den Verband<br />
der Sonderpädagogik zu<br />
einem Fachgespräch eingeladen.<br />
Im Mittelpunkt<br />
des regen Austausches<br />
standen Fragen zur aktuellen<br />
Qualitätsentwicklung im<br />
Land Brandenburg, zur<br />
Leistungsbewertung in der<br />
Grundschule sowie zum Fachkräftemangel.<br />
Intensiv wurde<br />
zur Weiterentwicklung des<br />
gemeinsamen Lernens diskutiert<br />
und die aktuelle starke<br />
Belastung der Kolleg:innen<br />
auf der Ebene der Lehrkräfte<br />
und der Schulleitung thematisiert.<br />
Seitens des Verbandes<br />
der Sonderpädagogik wurde<br />
u. a. eingebracht, dass Eltern<br />
zunehmend wahrnehmen,<br />
dass Förderstunden an<br />
Grundschulen ausfallen,<br />
und deshalb wieder eher<br />
die Beschulung an einer<br />
Förderschule wünschen. Hier<br />
stehen wir als Verband nach<br />
wie vor für eine vorrangige<br />
Beschulung im gemeinsamen<br />
Unterricht und sehen<br />
dafür als unabdingbar die<br />
erforderliche Ausstattung der<br />
Grundschulen mit personellen<br />
Ressourcen für die<br />
Arbeit in multiprofessionellen<br />
Teams. Kein Konsens bestand<br />
zu Fragen des geplanten<br />
Distanzlernens als Variante,<br />
dem Lehrermangel zu begegnen.<br />
Dies lehnen wir für<br />
die Grundschulen strikt ab.<br />
Rege diskutiert wurde auch<br />
beim „Online-Kaffeeklatsch<br />
mit Steffi“ am 7.12.2023.<br />
Erfreulich war die Teilnahme<br />
von Kolleg:innen aus vier<br />
Bundesländern. Der länderübergreifende<br />
Austausch<br />
war sehr anregend und es<br />
gab viele Denkanstöße zur<br />
Weiterarbeit an Themen wie<br />
PISA-Ergebnisse, Umsetzung<br />
des gemeinsamen Lernens<br />
trotz fehlender Ressourcen,<br />
jahrgangsgemischtes Lernen<br />
und gemeinsames Lernen von<br />
1 bis 10. Als Vorstand ist es uns<br />
sehr wichtig, Schulen in ihrer<br />
schulischen Praxis zu unterstützen<br />
und bildungspolitisch<br />
aktiv zu bleiben. Wir freuen uns<br />
deshalb sehr, dass wir unseren<br />
nächsten Grundschultag am<br />
24. April 2024 in der Nashorn-Grundschule<br />
Vehlefanz<br />
durchführen werden.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Stefanie Gärtner,<br />
Marion Gutzmann<br />
Berlin<br />
Kontakt: Agnieszka von Prondzinski, agivonp@gmail.com<br />
www.gsv-berlin.de<br />
Die Landesgruppe Berlin<br />
– hurra – konnte sich weiter<br />
konsolidieren und hat wieder<br />
einen Vorstand. Gewählt<br />
wurden am 24. November als<br />
gleichberechtigtes Vorsitzenden-Trio<br />
auf Beschluss der<br />
Versammlung: Ines Garlisch,<br />
Sabine Jennerjahn und<br />
Agnieszka von Prondzinski.<br />
Weitere Vorstandsmitglieder<br />
wurden nicht gewählt, aber<br />
einige Teilnehmer*innen<br />
bekundeten ihr Interesse, zu<br />
den Vorstandsgruppentreffen<br />
eingeladen zu werden.<br />
Mitarbeiten wird weiterhin<br />
auch Ulla Widmer-Rockstroh.<br />
Außerdem wurden als Delegierte<br />
und Ersatzdelegierte<br />
Ines Garlisch und Sabine<br />
Jennerjahn gewählt.<br />
Die Wahlen fanden im<br />
Anschluss an unsere<br />
Jahresveranstaltung statt,<br />
auf der sehr umfang- und<br />
materialreich zum Schwerpunkt<br />
Lese-Schreib-Ideen<br />
für den Anfangsunterricht<br />
von Claudia Wenzel und<br />
Irene Hoppe, langjährige<br />
Grundschullehrerinnen und<br />
Fortbildnerinnen aus Berlin<br />
bzw. dem berlin-brandenburgischen<br />
Landesbildungsinstitut,<br />
referiert wurde: „Ein<br />
guter Beginn ist der halbe<br />
Gewinn“. Irene Hoppe hatte<br />
eine große Materialausstellung<br />
aufgebaut, Claudia<br />
Wenzel stellte ein gut<br />
40-seitiges Handout zur<br />
Verfügung. Wir waren 20<br />
Teilnehmer*innen bei der<br />
Veranstaltung. Dieses Interesse<br />
werten wir im Sinne des Veranstaltungstitels<br />
als guten Beginn<br />
und hoffen, dass das Angebot<br />
für unsere weiteren Aktivitäten<br />
Gewinn bringen wird.<br />
Agnieszka von Prondzinski, Sabine Jennerjahn, Ines Garlisch<br />
(von links)<br />
Tätigkeiten der Landesgruppe<br />
im vergangenen Jahr:<br />
• Gespräche mit den<br />
bildungspolitischen<br />
Sprecher*innen der demokratischen<br />
Parteien;<br />
• eine Online-Umfrage zu<br />
den Interessen der Mitglieder<br />
und die nun erfolgte Veranstaltung;<br />
• Einrichtung eines Instagram-Accounts.<br />
• Eine Vertreterin des GSV<br />
wurde in eine Expert*innenkommission<br />
der Bildungsverwaltung<br />
zur Lehrkräftebildung<br />
berufen. Dahinter<br />
steht u. a. der Anspruch,<br />
durch mögliche Änderungen<br />
in der Lehrkräftebildung die<br />
Attraktivität des Berufs zu erhöhen<br />
und dem derzeitigen<br />
massiven Lehrkräftemangel<br />
zu begegnen.<br />
• Wir halten Netzwerkkontakte<br />
zu „Schule muss anders<br />
– Bildungswende JETZT“ und<br />
einer Elternorganisation zur<br />
schulischen Inklusion.<br />
Unsere Vorhaben für das<br />
kommende Jahr – dazu gehört<br />
auch die Beteiligung an<br />
der Fachtagung am 1./2. März<br />
2024 in Weimar – beraten<br />
wir aktuell in unserer neuen<br />
Vorstandsgruppe in der<br />
Hoffnung, dass unser Berliner<br />
GSV-Engagement zunehmend<br />
mehr Echo findet.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Ines Garlisch, Sabine Jennerjahn,<br />
Agnieszka von Prondzinski<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
45
Praxis: aktuell <strong>Kinder</strong> … aus <strong>Stärken</strong> den Landesgruppen<br />
<strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Gabriele Klenk<br />
https://grundschulverband-bayern.de<br />
Happy Hour mit Mitgliederversammlung<br />
Selbstverständlich möchten<br />
wir auch im Jahr 2024 mit<br />
Ihnen im Gespräch bleiben<br />
oder neu ins Gespräch kommen.<br />
Die Happy Hour bietet<br />
die Möglichkeit, sich über<br />
einen Artikel aus Grundschule<br />
aktuell auszutauschen, Ideen<br />
für den Alltag zu sammeln<br />
und unsere Arbeit in der<br />
Grundschule in lockerer<br />
Runde zu reflektieren.<br />
Die nächste Happy<br />
Hour am 16.4.2024<br />
von 17.00 – 18.30 Uhr widmet<br />
sich dem Thema „<strong>Kinder</strong><br />
<strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong>“. Im<br />
Anschluss daran wird eine<br />
Mitgliederversammlung mit<br />
Wahl des neuen Landesgruppenvorstands<br />
stattfinden. Da<br />
es sich um eine Online-Veranstaltung<br />
handelt, können<br />
sich hoffentlich viele Mitglieder<br />
an der Wahl beteiligen.<br />
Darüber hinaus freuen wir<br />
uns auch auf jedes Mitglied,<br />
das sich vorstellen kann, uns<br />
im Landesgruppenvorstand<br />
zu unterstützen. Sprechen Sie<br />
uns gern an!<br />
Auch die weiteren Happy-<br />
Hour-Termine für das Jahr<br />
2024 stehen schon fest:<br />
20.6.24, 9.10.24, 10.12.24<br />
(jeweils von 17.00 – 18.00 Uhr).<br />
Auf der Website unserer Landesgruppe<br />
können Sie sich<br />
rechtzeitig über das Thema<br />
informieren, sich anmelden<br />
und über das verlinkte Padlet<br />
Eindrücke vergangener Veranstaltungen<br />
sammeln. Wir<br />
freuen uns auf einen inspirierenden<br />
und motivierenden<br />
Austausch mit Ihnen.<br />
Grundschultag<br />
November 2024<br />
Die Planungen für unseren<br />
Grundschultag am<br />
Samstag, 23.11.2024,<br />
sind bereits angelaufen.<br />
„Nachhaltig und FAIRtieft<br />
lernen. Bildungsräume der<br />
Zukunft.“ – so lautet der<br />
derzeitige Arbeitstitel der Veranstaltung,<br />
die von 10.00 bis<br />
17.00 Uhr an der Grundschule<br />
und im Bürgerhaus Pullach<br />
stattfinden wird. Neben einem<br />
Impulsvortrag von Prof. Dr.<br />
Jörg Ramseger zum Thema<br />
des in Kürze erscheinenden<br />
Bandes „Lernräume und<br />
Schularchitektur“ arbeiten<br />
wir an einem breit gefächerten<br />
Workshopangebot zu<br />
aktuellen pädagogisch-psychologischen,<br />
didaktischen<br />
und bildungspolitischen<br />
Themen mit inspirierenden<br />
ReferentInnen aus Schulpraxis<br />
und -forschung. Wie können<br />
<strong>Kinder</strong> aktiv, selbstbestimmt<br />
und eigenverantwortlich<br />
lernen? Wie kann nachhaltige<br />
Entwicklung ganzheitlich, partizipativ<br />
und inklusiv erfahrbar<br />
gemacht werden?<br />
Merken Sie sich den Termin<br />
gern jetzt schon vor! Eine<br />
Anmeldung wird Anfang<br />
September möglich sein.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Kathrin Ettner<br />
Baden-Württemberg<br />
Vorsitzender: Edgar Bohn<br />
edgar-bohn@gsv-bw.de, https://gsv-bw.de<br />
Wiedereinführung G9 in<br />
BW – Auswirkungen auf die<br />
Grundschulen?<br />
In der ersten Vorstandssitzung<br />
2024 gaben wir<br />
unserem Jahresprogramm<br />
erste Konturen. Bereits<br />
am 23. Februar starten wir<br />
mit dem Fachtag „<strong>Kinder</strong><br />
beteiligen – Demokratie<br />
lernen“. Gemeinsam mit dem<br />
Zentrum für Schulqualität<br />
und Lehrerbildung und der<br />
Landeszentrale für politische<br />
Bildung haben wir ein interessantes<br />
und abwechslungsreiches<br />
Programm vorbereitet.<br />
Der Fachtag findet online<br />
statt, das Programm findet<br />
sich hier: https://gsv-bw.de/<br />
kinder-beteiligen-demokratie-lernen/<br />
Neben den Regelgesprächen<br />
mit Politik und der Kultusadministration<br />
planen wir einen<br />
Grundschultag in Stuttgart<br />
mit anschließender Mitgliederversammlung.<br />
Hier wird<br />
der Vorstand neu gewählt. Da<br />
die Wiedereinführung des G9<br />
Auswirkungen auf alle Schularten<br />
haben wird, bleibt die<br />
Frage, wie es gelingen kann,<br />
Grundschulen nicht wieder<br />
unter die Räder geraten zu<br />
<strong>lassen</strong>. Wir freuen uns auf<br />
engagierte Mitstreiter:innen<br />
in diesem Prozess.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Edgar Bohn<br />
Thüringen<br />
Vorsitzende: Steffi Jünemann<br />
grundschulverband-thueringen@gmx.de<br />
Frohes neues Jahr<br />
Auch wenn 2024 schon ein<br />
paar Wochen alt ist, möchten<br />
wir als Landesgruppe nicht<br />
versäumen, euch und Ihnen<br />
ein erfolgreiches, gesundes<br />
und glückliches neues Jahr zu<br />
wünschen. Wir hoffen, dass<br />
die Feiertage und der Jahreswechsel<br />
gut überstanden<br />
wurden und Kraft getankt<br />
werden konnte, um das neue<br />
Jahr mit viel Energie und<br />
Kreativität zu bestreiten.<br />
Frühjahrstagung<br />
Wer dem Grundschulverband<br />
und den Landesgruppen auf<br />
den Social-Media-Kanälenanälen<br />
folgt, hat sicher schon<br />
mitbekommen, dass am<br />
1. /2. März die Frühjahrstagung<br />
des<br />
Grundschulverbandes<br />
stattfindet. Wir als Landesgruppe<br />
Thüringen möchten<br />
also auch auf diesem Wege<br />
auf die Veranstaltung aufmerksam<br />
machen. Es werden<br />
nicht nur viele interessante<br />
Themen diskutiert, sondern<br />
die Teilnehmenden haben<br />
auch die Möglichkeit, in das<br />
schöne Thüringen, genauer<br />
nach Weimar zu reisen. Mehr<br />
Informationen zum Ablauf<br />
der Tagung und zur Anmeldung<br />
sind auf der Website<br />
des Grundschulverbands zu<br />
finden.<br />
Der Vorstand der Landesgruppe<br />
Thüringen wird auch<br />
vor Ort sein.<br />
Wir freuen uns auf euch und<br />
Sie!<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Leah Kästner<br />
46<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Niedersachsen<br />
Kontakt: www.gsv-nds.de<br />
gsv.nds@gmail.com<br />
Fachtag BNE<br />
Endlich wieder in Präsenz<br />
konnte am 4. November 2023<br />
unser Fachtag durchgeführt<br />
werden. Anknüpfend an den<br />
in Niedersachsen geltenden<br />
BNE-Erlass sowie den Demokratieerlass,<br />
aber auch an in<br />
der Schulwirklichkeit immer<br />
wichtiger werdenden Themen<br />
bzw. bei Projekten wie<br />
<strong>Kinder</strong>rechte oder FREI DAY<br />
konnten wir mit Cindy Fitzner<br />
eine ausgesprochen kompetente<br />
Referentin gewinnen.<br />
In ihrem Vortrag führte sie<br />
sachkundig und gleichzeitig<br />
anschaulich in den sehr<br />
umfangreichen Bereich der<br />
Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung ein. Gerade auch<br />
ihre praktischen Beispiele<br />
belegten eindrucksvoll, wie<br />
Verabschiedung von Helmut Forberg<br />
diese Querschnittsaufgabe in<br />
der Grundschule umgesetzt<br />
werden kann. Ulrike Oltmanns<br />
vom Projekt Eine Welt<br />
in der Schule stellte danach<br />
eine Auswahl der im Projekt<br />
entwickelten Materialkisten<br />
vor. Diese sehr an praktischer<br />
Arbeit und handelndem Tun<br />
ausgerichteten Materialkisten<br />
bieten eine gute Grundlage,<br />
um sich dem Thema BNE in<br />
der Grundschule zu nähern,<br />
und sind bei Interesse für<br />
einzelne Schulen entleihbar<br />
www.weltinderschule.<br />
uni-bremen.de).<br />
Anschließend wurde in der<br />
Mitgliederversammlung<br />
Helmut Forberg auf eigenen<br />
Wunsch aus seiner Funktion<br />
als Vorstandsmitglied<br />
ent<strong>lassen</strong>. Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />
und Svenja Telle<br />
danken ihm für die äußerst<br />
kollegiale, zuverlässige und<br />
konstruktive Zusammenarbeit<br />
in den letzten vier<br />
Jahren. Eva-Maria Osterhues-<br />
Bruns und Svenja Telle<br />
wurden in der anschließenden<br />
Vorstandswahl in ihren<br />
Ämtern bestätigt.<br />
Klönschnack im Norden<br />
„Dem Vorurteil Die verbundene<br />
Druckschrift bewirkt<br />
unleserliche Handschriften<br />
und ist ein Angriff auf die<br />
Kultur! begegnen“ lautete das<br />
Motto des Klönschnacks im<br />
Norden am 6. Dezember. In<br />
Zusammenarbeit mit Anna<br />
Fruhen-Witzke und Maxi<br />
Brautmeier-Ulrich als Vertreterinnen<br />
des Projektteams<br />
Grundschrift hat unsere Landesgruppe<br />
diesen digitalen<br />
Klönschnack vorbereitet und<br />
durchgeführt. In Anlehnung<br />
an die im Faktencheck dargelegten<br />
Thesen erhielten die<br />
Teilnehmer:innen zunächst<br />
einen kurzen theoretischen<br />
Einblick durch die beiden<br />
Referentinnen. Die sich an<br />
die jeweiligen Erläuterungen<br />
der einzelnen Thesen anschließenden<br />
Diskussionen<br />
unter den Teilnehmer:innen<br />
erwiesen sich als intensiv.<br />
Sie zeigten deutlich, dass die<br />
Grundideen der Entwicklung<br />
einer formklaren, flüssigen<br />
und gut lesbaren Handschrift<br />
sowie das Lernen einer Handschrift<br />
ohne Brüche inklusive<br />
des didaktischen Konzeptes<br />
auf eine breite Zustimmung<br />
innerhalb der teilnehmenden<br />
Lehrkräfte stießen.<br />
Freiräumeprozess – den<br />
Schulen Freiräume<br />
ermöglichen<br />
Unter diesem Motto hatte<br />
das niedersächsische Kultusministerium<br />
am 19. Dezember<br />
2023 zu einem Forum<br />
Eigenverantwortliche Schule<br />
eingeladen. Vertreter:innen<br />
der Verbände diskutierten<br />
mit Vertreter:innen des MK<br />
sowie der RLSB darüber, ob<br />
Schulen mehr Freiräume für<br />
ihre Arbeit benötigen und<br />
wenn ja, wie diese aussehen<br />
könnten bzw. müssten.<br />
Diese Veranstaltung war der<br />
Auftakt zu weiteren Verbändegesprächen<br />
zu diesem<br />
Thema. Parallel dazu findet<br />
im Februar 2024 die dritte<br />
Veranstaltung zum Dialogforum<br />
„Dem Fachkräftemangel<br />
mit pädagogischen Maßnahmen<br />
begegnen“ statt, an dem<br />
wir als Vertreterinnen der<br />
Landesgruppe teilnehmen<br />
werden.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />
Kartensatz „Grundschrift – Damit <strong>Kinder</strong> besser schreiben lernen“<br />
Kartei zum Lernen und Üben<br />
Teil 1<br />
Die Buchstaben<br />
© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen & Layout: www.designritter.de<br />
Kartei zum Lernen und Üben<br />
Teil 2<br />
Schreiben mit Schwung<br />
© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen & Layout: www.designritter.de<br />
Kartensatz: 56 Karten (Teil 1)<br />
und 20 Karten (Teil 2)<br />
Überarbeitete 4. Auflage,<br />
bestellbar unter<br />
www.grundschulverband.de/<br />
produkt/grundschrift-kartei/<br />
22,00 € – 33,00 € inkl. MwSt.<br />
Entwickelt von Horst Bartnitzky, Ulrich<br />
Hecker, Christina Mahrhofer-Bernt<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
47
Praxis: aktuell <strong>Kinder</strong> … aus <strong>Stärken</strong> den Landesgruppen<br />
<strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Bremen<br />
Vorstandssprecher: Chris Barnick, c.barnick@uni-bremen.de<br />
www.grundschulverband-bremen.de<br />
Die Landesgruppe engagiert<br />
sich weiter in der Aktion<br />
„Bildungswende jetzt!“. Im<br />
November und Dezember<br />
haben Treffen des Organisationsteams<br />
um Philine<br />
Schubert von der <strong>Kinder</strong>schule<br />
Bremen mit der Senatorin<br />
für <strong>Kinder</strong> und Bildung und<br />
mit den Vertreter*innen der<br />
Bürgerschaftsfraktionen in<br />
der Bildungsdeputation stattgefunden.<br />
Neben den grundsätzlichen,<br />
eher langfristig<br />
wirksamen Forderungen<br />
des bundesweiten Bündnisses<br />
haben wir konkret die<br />
Finanzierung eines Fachtags<br />
angesprochen, auf dem sich<br />
Lese-und Schreibwerkstatt in Bremen<br />
Kolleg*innen aus KITAs und<br />
Schulen über aktuelle Probleme<br />
der Praxis und konkrete<br />
Ideen zu ihrer Überwindung<br />
austauschen und<br />
entsprechende Unterstützung<br />
durch Träger, Verwaltung<br />
und Politik einfordern<br />
können. Damit soll der<br />
geplante Bildungsgipfel auf<br />
Bundesebene auch inhaltlich<br />
vorbereitet werden.<br />
Lese- und Schreibwerkstatt<br />
Unsere Mitglieder Erika Brinkmann<br />
und Hans Brügelmann<br />
haben im November eine<br />
Lese- und Schreibwerkstatt<br />
eröffnet, um <strong>Kinder</strong> (und Ältere)<br />
mit besonderen Schwierigkeiten<br />
beim Schriftspracherwerb<br />
zu unterstützen.<br />
Zurzeit werden an drei Tagen<br />
junge Menschen im Alter von<br />
6 bis 24 Jahren, mit und ohne<br />
Migrationshintergrund, z. T.<br />
mit Behinderungen, kostenlos<br />
gefördert.<br />
Zusätzlich bietet die<br />
Lese- und Schreibwerkstatt<br />
Mitgliedern der Landesgruppe<br />
einen monatlichen<br />
Klönschnack über „Probleme<br />
beim Lesen- und Schreibenlernen<br />
– und Möglichkeiten<br />
zu ihrer Überwindung“ an.<br />
Das erste Treffen hat am<br />
15.1.2024 von 17:00 bis<br />
18.30 Uhr in der Lese- und<br />
Schreibwerkstatt, Admiralstraße<br />
14 in Findorff, stattgefunden.<br />
Zukünftig sind die<br />
Treffen (ohne Verpflichtung<br />
zu regelmäßiger Teilnahme)<br />
jeweils auf den ersten<br />
Montag eines jeden Monats<br />
von 17.00 bis 18.30 Uhr terminiert.<br />
Wegen des begrenzten<br />
Platzes bitten wir jeweils um<br />
persönliche Anmeldung über<br />
hans.bruegelmann@gmx.de<br />
(und ggf. Absage, um den<br />
Platz an Nachrücker*innen<br />
auf der Warteliste weitergeben<br />
zu können).<br />
Der im Projekt<br />
„KINDER*RECHTE*SCHULE<br />
entwickelte Leitfaden steht<br />
interessierten Kolleg*innen<br />
aus anderen Bundesländern<br />
zur Erprobung zur Verfügung.<br />
Anfragen an:<br />
kinderrechteschule@<br />
uni-bremen.de<br />
Die Gruppe „Junger Grundschulverband“<br />
informierte<br />
sowohl digital mit Videos<br />
und Fotos über die Social-<br />
Media-Kanäle der Landesgruppe<br />
Bremen als auch in<br />
den Veranstaltungen der<br />
Universität Bremen über den<br />
Verband, um neue Mitglieder<br />
zu gewinnen. Zudem wurde<br />
organisiert, Mitgliederbände<br />
des GSV an Studierende<br />
zu verteilen. Des Weiteren<br />
generiert der Junge Grundschulverband<br />
neue Projektideen,<br />
welche sich besonders<br />
auf die Internetpräsenz des<br />
Grundschulverbands richten.<br />
Für den Vorstand:<br />
Hans Brügelmann<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Kontakt: Thekla Mayerhofer, Am Sopienhafen 6, 06108 Halle (Saale)<br />
May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />
Eltern-Uni<br />
Am 17.11.23 ging unsere<br />
Eltern-Uni in die letzte<br />
Runde. Die Eltern-Uni, die<br />
eine Zusammenarbeit des<br />
Grundschulverbandes<br />
Sachsen-Anhalt und des<br />
Instituts für Schulpädagogik<br />
und Grundschuldidaktik der<br />
Martin-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg ist, bestand<br />
aus vier Teilen. Interessierte<br />
Eltern und natürlich auch<br />
andere konnten sich an vier<br />
Abenden zu verschiedenen<br />
Themen informieren und<br />
miteinander diskutieren.<br />
Unter dem Thema „Von der<br />
Schiefertafel zum Tablet. Wie<br />
neue Medien unsere Welt<br />
verändern und wie Schule<br />
darauf reagieren kann“ wurde<br />
der letzte Abend von Ralph<br />
Thielbeer und Michael Ritter<br />
erfolgreich gestaltet.<br />
Treffen mit der<br />
Bildungsministerin<br />
Am 20.10.23 trafen sich<br />
Mitglieder des Vorstandes<br />
unserer Landesgruppe in<br />
Magdeburg mit Bildungsministerin<br />
Eva Feußner,<br />
Grundschulreferent Herrn<br />
Eickel und dem persönlichen<br />
Referenten der Ministerin zu<br />
einem Gespräch. Im Mittelpunkt<br />
stand das Thema Ganztagsschulen.<br />
Die Ministerin<br />
berichtete von den aktuellen<br />
Bemühungen zu der Einrichtung<br />
bzw. Umsetzung von<br />
Ganztagsschulen in Sachsen-<br />
Anhalt. Momentan werden<br />
bestehende Modelle, die auf<br />
der Kooperation von Grundschulen<br />
mit Horten beruhen,<br />
bezüglich ihrer Konzeption<br />
geprüft. Grundsätzlich<br />
signalisierte die Ministerin<br />
Offenheit bei der pädagogischen<br />
Idee des Ganztags,<br />
48<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Vorsitzender: Ralph Grote, Hasengang 3, 17309 Pasewalk<br />
grundschulverband.mv@gmail.com<br />
Leseband und<br />
Lehrermangel<br />
Das Land legt ein umfangreiches<br />
Maßnahmenpaket<br />
auf, um die grundlegenden<br />
Fähigkeiten aller <strong>Kinder</strong><br />
zu verbessern und die<br />
Schülerinnen und Schüler so<br />
zu fördern, dass keine und<br />
keiner den Anschluss verliert.<br />
Die geplanten Vorhaben des<br />
Landes setzen in der Kita an<br />
und werden in der Grundschule<br />
fortgeführt. Ab dem<br />
Schuljahr 2024/2025 soll<br />
in allen Grundschulen des<br />
Landes ein flächendeckendes<br />
Leseband eingeführt werden.<br />
An drei bis fünf Tagen sind<br />
Lautlesetrainings in der<br />
Schule vorgesehen. Dafür<br />
sind pro Tag 20 Minuten der<br />
Unterrichtszeit fest eingeplant<br />
– unabhängig vom zu<br />
unterrichtenden Fach. Um die<br />
basalen Kompetenzen noch<br />
stärker zu fördern, werden<br />
die Rahmenpläne der Grundschule<br />
überarbeitet und aktuelle<br />
Bildungsstandards mit<br />
aufgenommen: So wird die<br />
Stundenzahl für die Fächer<br />
Deutsch und Mathematik ab<br />
dem Schuljahr 2024/2025<br />
in der Grundschule erhöht.<br />
Unsere Landesgruppe, die<br />
auch Mitglied des Bildungsrates<br />
ist, begrüßt diese Erhöhung<br />
der Stundenzahl. Aber<br />
woher sollen die Lehrerstunden<br />
dafür kommen? Unsere<br />
Landesgruppe befürchtet,<br />
dass bei den ganztägig<br />
arbeitenden Schulen Abstriche<br />
in der Stundenzuweisung<br />
geplant sind, die dann mit<br />
einer Erhöhung der finanziellen<br />
Zuwendung kompensiert<br />
werden sollen. Damit sollen<br />
die Schulen externe Kräfte<br />
aus Vereinen für die Arbeit<br />
gewinnen. Das wiederum<br />
stellt Schulen besonders in<br />
strukturschwachen Regionen<br />
bzw. im ländlichen Raum vor<br />
große Herausforderungen<br />
in der Planung. Aber auch<br />
Abstriche bei musisch-künstlerischen<br />
Fächern, Sport oder<br />
früh beginnendem Englisch<br />
könnten eine indirekte<br />
unerwünschte Folge dieser<br />
Stundenerhöhung sein.<br />
Auch insgesamt bleibt die<br />
Arbeitslage für Lehrerinnen<br />
und Lehrer in MV angespannt.<br />
Der Lehrkräftemangel<br />
steigt stetig und bringt so<br />
manches Kollegium an (und<br />
über) die Belastungsgrenze.<br />
So steigt besonders in den<br />
Schulamtsbereichen Greifswald<br />
und Neubrandenburg<br />
die Seiteneinsteigerquote<br />
immer weiter. Das Institut<br />
für Qualitätsmanagement<br />
(IQMV) versucht, dem<br />
entgegenzusteuern mit<br />
der Verbesserung der<br />
Vorqualifizierungen für die<br />
Kolleginnen und Kollegen<br />
ohne Studium, um fehlende<br />
Schulpraxis sowie Didaktik<br />
und Pädagogik zu vermitteln,<br />
bevor sie ins kalte Wasser<br />
geworfen werden. Doch auch<br />
immer weniger Männer und<br />
Frauen sind überhaupt bereit<br />
zu einem Seiteneinstieg in<br />
die Schule. Und auch bezüglich<br />
der multiprofessionellen<br />
Teams an den Schulen sieht<br />
es düster aus. Immer mehr<br />
Sonderpädagogikstellen<br />
können nicht besetzt werden.<br />
Unterstützendes pädagogisches<br />
Fachpersonal (upF)<br />
wird vermehrt zur Betreuung<br />
und sogar zur K<strong>lassen</strong>leitung<br />
eingesetzt, anstatt die so<br />
dringend benötigte Arbeit<br />
am Kind leisten zu können.<br />
Lerngruppen mit sonderpädagogischen<br />
Förderbedarfen,<br />
aber auch DaZ-Unterricht<br />
und Vork<strong>lassen</strong> werden<br />
aus Personalmangel eingestampft.<br />
Alltagshilfen<br />
wurden wiederum befristet<br />
bis März 2024 und so manch<br />
eine Kollegin und ein Kollege<br />
unter ihnen verliert so<br />
langsam den Glauben an eine<br />
Festanstellung und somit die<br />
Motivation. Die versprochene<br />
Ausschreibung der entsprechenden<br />
Stellen mit Entfristung<br />
ist noch immer nicht in<br />
Sicht. Die angekündigten zusätzlichen<br />
Alltagshilfestellen<br />
stehen auch weiter infrage.<br />
Wir brauchen dringend mehr<br />
personelle Unterstützung<br />
und eine Entschlackung<br />
des überbürokratisierten<br />
pädagogischen Alltags in der<br />
Grundschule, sonst bricht<br />
das System an der Basis bald<br />
ein, wie die immer höheren<br />
Teilzeitquoten und Krankenstände<br />
zeigen.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Sandra Stolzenburg und<br />
Ralph Grothe<br />
äußerte auch konkrete<br />
Ideen zur Verankerung von<br />
traditionellen Nachmittagsangeboten<br />
(Sportvereine<br />
etc.) im Ganztagsangebot<br />
der Grundschulen. Darüber<br />
hinaus ermutigte sie Schulen,<br />
sich „individuell auf den<br />
Weg“ zu machen. (Erfahrene<br />
verstehen nach einem Augenzwinkern<br />
die Bedeutung<br />
der in Anführungsstriche<br />
gesetzten Wortgruppe.) Die<br />
Ministerin zeigte auf, wie<br />
schwierig es ist, die administrativen<br />
Grundlagen für<br />
Ganztagsschulen zu schaffen,<br />
da in Sachsen-Anhalt die<br />
Zuständigkeit für Schule und<br />
Hort in unterschiedlichen<br />
Ministerien liegt. Ermutigend<br />
ist, dass den Schulen, die sich<br />
für das Pilotprojekt, welches<br />
zur Erfassung und Evaluierung<br />
gelingender Praxis<br />
gestartet wurde, beworben<br />
haben, offensichtlich hinreichend<br />
Geld zur Verfügung<br />
steht.<br />
Weitere Informationen:<br />
www.gsv-lsa.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Wolfgang Grohmann<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
UIII
Grundschule aktuell<br />
Grundschulverband e. V.<br />
Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />
Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />
info@grundschulverband.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />
D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />
Versandadresse<br />
Ausblick Grundschule aktuell 166<br />
Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />
Der Auftrag an eine Schule im 21. Jahrhundert beinhaltet auch einen umfassenden<br />
Begriff einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Alle Regierungen der Welt haben 2015<br />
ein Weltaktionsprogramm verabschiedet, das die großen Herausforderungen unserer<br />
Zeit in Form von 17 Zielen bis 2030 aktiv angehen soll.<br />
Hierzu hat die Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan für Deutschland ausgearbeitet,<br />
der bereits 2017 von der Kultusministerkonferenz verabschiedet wurde.<br />
Darin heißt es u. a. für den Bereich Schule und formale Bildung (Seite 38):<br />
„Im Lern- und Lebensort Schule sind Aktions- und Freiräume geschaffen, die <strong>Kinder</strong>n<br />
und Jugendlichen Selbstwirksamkeit, Kompetenzzuwachs und Anerkennung im Sinne<br />
von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ermöglichen.“<br />
In diesem Heft wollen wir unseren Fokus legen auf Bildung für nachhaltige Entwicklung als<br />
• Thema und Inhalt von Unterricht,<br />
• fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip,<br />
• Anspruch an Schule und als gesamtschulisches Anliegen,<br />
auch mit außerschulischen Partnern.<br />
Viele Grundschulen machen sich bereits auf den Weg und stellen Beispiele und gute Praxis<br />
u. a. in den Bereichen Gesundheit, Mobilität und Umwelt vor.<br />
Die nächsten<br />
Themen<br />
Mai 2023<br />
September 2023<br />
November 2023<br />
Heft 167 | September 2024<br />
Lehramt studieren –<br />
Lehrkraft sein<br />
Heft 168 | November 2024<br />
Beobachten – Staunen – Forschen:<br />
naturwissenschaftliches Lernen<br />
in der GS<br />
Heft 169 | Februar 2025<br />
Schrift und Schreiben<br />
www.<br />
grundschule-aktuell.info