GSa163_Sept23_ES
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www.grundschulverband.de · September 2023 · D9607F<br />
Grundschule aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 163<br />
Pausenkulturen<br />
Zum Thema<br />
• Pausenkulturen in der Grundschule<br />
• Inklusive Pause – Pause inklusiv<br />
Forschung<br />
• Wie Grundschullehrkräfte<br />
in der Ruhe Kraft finden können<br />
Rundschau<br />
• „Wir sind nicht verpflichtet,<br />
pädagogischen Unsinn<br />
zu machen!“
Inhalt<br />
Tagebuch<br />
S. 2 Ich bin im Grundschulverband, weil … (S. Nagat)<br />
Thema: Pausenkultur<br />
S. 3 Ich sage, wenn Pause ist – nicht die Klingel<br />
(M. Peschel, P. Peifer)<br />
S. 5 Aushandlung und Mitbestimmung individueller<br />
Pausenzeiten (P. Kihm)<br />
S. 9 Schule als guter Ort, auch in der Pause<br />
(A. Krawczyk)<br />
Praxis: Pausenkultur<br />
S. 13 Mach mal Pause! – Gedankensplitter zu einem<br />
vernachlässigten Thema (G. Klenk)<br />
S. 15 Pausenkultur als Thema des Sachunterrichts<br />
(S. Kneis, K. Zimmer, M. Peschel)<br />
S. 18 Bewegte Pausenkulturen – drinnen und draußen<br />
(E. Gramespacher)<br />
S. 20 Selbstbestimmt durch den Schulalltag<br />
(M. Cunis, A. Karlsberg)<br />
S. 23 Inklusive Pause – Pause inklusiv (I. Hofmann)<br />
S. 26 Sabbatical – eine Pause vom Schulsystem?!<br />
(Ch. Weichmann, C. Köhler)<br />
Aus der Forschung<br />
S. 29 Schulpausen: Wie Grundschullehrkräfte in der<br />
Ruhe Kraft finden können (J. Wendsche, Y. Z. Varol,<br />
S. Ullmann)<br />
Rundschau<br />
S. 33 Aus dem Vorstand (M. Gutzmann, E. Bohn)<br />
S. 34 Kinderbücher zum Thema (M. Gutzmann)<br />
S. 36 Der Schulwettbewerb zur Entwicklungspolitik<br />
„alle für EINE WELT für alle“ (J. Kunz)<br />
S. 38 National Coalition Deutschland: Warum ist der<br />
GSV Mitglied? (U. Carle)<br />
S. 39 Der GDSU Praxispreis 2023 wurde verliehen<br />
(S. Tänzer)<br />
S. 40 Über Chancen und Probleme eines Faches<br />
Religion in der Grundschule (H. Brügelmann)<br />
Landesgruppen aktuell – unter anderem:<br />
S. 45 Hamburg: Religionsunterricht ohne Alternative?<br />
S. 46 Hessen: Für eine konsequente Umgestaltung<br />
von Schule<br />
UIII:<br />
Nachruf auf Dr. Manfred Pollert (R. Stähling)<br />
www.<br />
grundschule-aktuell.info<br />
Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“<br />
und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />
www.<br />
grundschulverband.de/archiv/<br />
Schule als guter Ort, auch in der Pause<br />
Adrian Krawczyk, der als Architekt im Spannungsfeld von<br />
Flächennutzung und Pädagogik arbeitet, setzt sich hier mit<br />
den Räumen auseinander, in denen Schulkinder ihre Pause<br />
verbringen dürfen oder müssen. Sind sie gestaltet als eine<br />
Oase der Freiheit oder dienen sie eher dem Zweck, Lernfähigkeit<br />
zwischen disziplinierten Lerneinheiten zu steigern?<br />
Mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung bekommt<br />
die gesamte Zeit rund um den Unterricht einen besonderen<br />
Stellenwert und soll den Kindern das Empfinden vermitteln,<br />
angenommen<br />
und willkommen zu<br />
sein. In diesem Beitrag<br />
werden Möglichkeiten<br />
aufgezeigt, wie dies gelingen<br />
kann.<br />
Seite 9–12<br />
Impressum<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />
erscheint vierteljährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt<br />
(ausgenommen Unterstützer:innen).<br />
Das einzelne Heft kostet 9,00 € (inkl. Versand innerhalb Deutschlands);<br />
für Mitglieder und ab 10 Exemplaren 5,00 €.<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />
Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />
Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />
www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />
Moderation und Redaktion des thematischen Teils:<br />
Patrick Peifer, Markus Peschel<br />
Gesamtredaktion: Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />
(marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />
gabriele.klenk@grundschulverband.de)<br />
Fotos und Grafiken: Susanne Winkler / novuprint GmbH<br />
(Titel illustration unter Verwendung von Fotos der Autorinnen<br />
und Autoren: Adrian Krawczyk, Malte Cunis, Andrea Karlsberg),<br />
Pexels / Legend Vibe (S. 1, 19), ©Engagement Global / Merlin Nadja-Torma /<br />
Mandy Klötzer (S. 36–37), Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders<br />
vermerkt)<br />
Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />
Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />
info@grundschulverband.de<br />
Druck: WKS Print Partner GmbH, 34587 Felsberg<br />
ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6107<br />
Beilage: Info-Flyer Grundschulverband e. V.<br />
In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />
ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />
Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />
Lösung für das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />
jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form.<br />
UII<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Diesmal<br />
Bewegte Pausenkulturen – drinnen und draußen<br />
Bewegung und ein positives Selbst- und Körperkonzept<br />
sind Motoren für die Gesamtentwicklung des Kindes<br />
in all seinen Facetten. Dr. Elke Gramespacher stellt<br />
hier verschiedene Funktionen von Bewegungspausen<br />
dar. Dabei geht sie folgenden Fragen nach: Wie können<br />
Bewegungspausen differenziert gestaltet werden?<br />
Welche Flächen stehen hier zur Verfügung? Welche<br />
didaktischen Ansätze liegen ihrer<br />
Gestaltung zugrunde? Bewegungspausen<br />
sind Teil einer bewegten<br />
Unterrichts-, Pausen- und Grundschulkultur,<br />
deren Aufwand sich in<br />
jedem Fall lohnt.<br />
Seite 18–20<br />
Der Schulwettbewerb zur Entwicklungspolitik<br />
„alle für EINE WELT für alle“<br />
„Globaler Kurswechsel: Sei du selbst die Veränderung!“,<br />
so lautet das Thema der elften Runde des Schulwettbewerbs<br />
zur Entwicklungspolitik. Im Mittelpunkt hierzu<br />
stehen folgende Fragen: „Wie<br />
kann man junge Menschen auf die<br />
Welt von morgen vorbereiten in<br />
Anbetracht der aktuellen globalen<br />
Herausforderungen? Welche<br />
Kompetenzen benötigen sie, um<br />
diesen Wechsel mitbestimmen zu<br />
können?“ Der Schulwettbewerb<br />
richtet sich an Schüler*innen aller<br />
Jahrgangsstufen, aller Schulformen<br />
und -fächer. Einsendeschluss ist der<br />
6. März 2024. Seite 36 – 37<br />
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Liebe Leser*innen,<br />
der thematische Schwerpunkt dieser Zeitschrift wurde von<br />
Patrick Peifer, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität<br />
des Saarlandes, und Markus Peschel, Fachreferent für<br />
Lernkulturen und Sachunterricht im Grundschulverband,<br />
zusammengestellt und moderiert. Diese Form der redaktionellen<br />
Zusammenarbeit bereichert, wie auch die stärkere<br />
Beteiligung der Landesgruppen, die Zeitschrift über die sichtbare<br />
Mitgestaltung aus Praxis, Wissenschaft und Bildungspolitik.<br />
Vielen Dank vom Redaktionsteam!<br />
Patrick Peifer und Markus Peschel führen Sie, liebe Leser*innen,<br />
mit folgenden Fragen und Überlegungen in den<br />
Themenschwerpunkt „Pausenkulturen“ ein.<br />
Wofür dienen Pausen an Grundschulen und wie werden diese<br />
organisiert? Diese Frage provoziert viele Sichtweisen auf und<br />
Verständnisse für ein Schulsystem und/oder für eine Schulkultur,<br />
die in den besten Fällen gut miteinander korrespondieren.<br />
Meist aber überlagern organisatorische, strukturelle oder institutionalisierte<br />
Prozesse die der Individualität und einer Kultur,<br />
die das Individuum (v. a. Schüler*innen, Lehrer*innen, Schulleitungen)<br />
mit seinen Interessen, Kompetenzen, Chancen, Möglichkeiten<br />
und Wünschen in den Mittelpunkt der schulischen<br />
Aktivitäten – und damit auch in Bezug auf die Pausen – stellen.<br />
Dabei ist der Begriff „Pause“ keinesfalls, wie dies lange Zeit<br />
praktiziert wurde, negativ konnotiert „als eine Unterbrechung<br />
der Unterrichtsprozesse“ (Haenisch 2011, 15; vgl. Foucault 1976)<br />
oder als „leere Zeit“ (Osnabrücker Forschungsgruppe 2016, 1) anzusehen,<br />
sondern sollte vielmehr in seiner Vielfältigkeit – wie in<br />
dieser Zeitschrift skizziert wird – und als Chance begriffen werden.<br />
Unter anderem im Rahmen stärker aufkommender Ganztagsschulen<br />
gewinnen Pausen verstärkt an Bedeutung (vgl. Adelt<br />
2011; Grundschule aktuell 162), rücken in einem rhythmisierten<br />
Schulalltag unter dem „Aspekt der Regeneration […] ins Zentrum“<br />
(Haenisch 2011, 15) und werden sogar als dessen „Herzstück“<br />
(Fiegenbaum 2011, 63) tituliert – die für Lehrende und<br />
Lernende gleichermaßen erforderlich und förderlich sein sollen.<br />
Etliche Beispiele für eine Pausenkultur werden in dieser Zeitschrift<br />
aufgegriffen und von den Autor*innen aus verschiedenen<br />
Perspektiven neu gedacht, justiert, diskutiert und reflektiert.<br />
Mit dem Abschluss der Ferienpause und dem Sommerausklang<br />
geht in diesem Heft mit einem zur weiteren Diskussion<br />
anregenden Beitrag „Über Chancen und Probleme eines Faches<br />
Religion in der Grundschule“ von Hans Brügelmann unsere<br />
Serie zum Thema „Religion(en) in der Grundschule“ zu<br />
Ende. Für die Landesgruppe Hamburg ist dieses Thema aktuell<br />
bildungspolitisch sehr brisant, lesen Sie dazu auch in der<br />
Rubrik „aktuell … aus den Landesgruppen“. Im Nachruf und<br />
in der Würdigung des Gründungsvaters der Grundschule in<br />
Berg Fidel, Manfred Pollert, durch Reinhard Stähling steht beispielgebend<br />
ein Menschenbild der gegenseitigen Toleranz von<br />
Menschen mit verschiedenster Herkunft im Zentrum.<br />
Eine neue Serie mit dem thematischen Schwerpunkt des<br />
Novemberheftes „Professionalität in der Grundschule“ wird<br />
ab 2024 in Grundschule aktuell beginnen.<br />
Wir bleiben nicht nur dazu mit Ihnen weiterhin im Gespräch.<br />
Herzlichst, Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />
sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
1
Tagebuch<br />
Ich bin im Grundschulverband,<br />
weil …<br />
Saskia Nagat<br />
ist stellvertretende Schulleiterin an<br />
einer Grundschule in Rheinland-Pfalz<br />
und Vorstandsmitglied der Landesgruppe<br />
des Grundschulverbands.<br />
… ich mich hier in meiner eigenen pädagogischen Haltung<br />
wiederfinde und unterstützt fühle. Durch den<br />
Grundschulverband erhalte ich stetig neue Impulse, um<br />
meine Sichtweise auf die Gestaltung von Schule und Bildung,<br />
auf die individuellen Lernprozesse der Kinder<br />
sowie auf Unterrichtsgestaltung und -qualität zu reflektieren<br />
und zu optimieren.<br />
Als ich nach dem 1. Staatsexamen mit viel theoretischem<br />
Wissen und einem Hauch eigener Erfahrung durch<br />
Praktika die Universität verließ, hatte sich meine individuelle<br />
pädagogische Sicht auf Unterricht bereits gefestigt.<br />
Doch fehlte mir bis dahin der konstante Bezug zu praktischen<br />
Inhalten und ansprechenden Umsetzungsmöglichkeiten.<br />
Mit dem Start meines Referendariats konnte ich<br />
diese Lücke schnell schließen. Meine eigene Ausbildung<br />
empfand ich als realitätsnah, modern und vor allem passend<br />
zu meinen eigenen Vorstellungen von Schule und<br />
Unterricht.<br />
Während dieser Ausbildungszeit kam ich auch in Kontakt<br />
mit dem Grundschulverband. Mein damaliger Fachleiter<br />
war lange Jahre Vorsitzender des rheinland-pfälzischen<br />
Grundschulverbands, wodurch ich in den Seminaren<br />
bereits auf die Literaturangebote in Theorie und Praxis<br />
gestoßen bin. Dabei war vor allem zu Beginn das „Kursbuch<br />
Grundschule“ ein echter Helfer im Schul- und Seminaralltag.<br />
Von Beginn an war es mein Anspruch, nicht nur mit<br />
Heterogenität umzugehen, sondern diese im positiven<br />
Sinne für alle Schüler*innen zu nutzen. Aus meiner Mitgliedschaft<br />
im Grundschulverband wurde mit Eintritt in<br />
das „echte Berufsleben“ an einer Schwerpunktschule dann<br />
auch ein aktives Mitwirken im Verband.<br />
Auf meiner ersten Mitgliederversammlung, auf die<br />
mich meine ehemalige Konrektorin mitnahm, zeigte sich<br />
schnell ein weiterer wertvoller Aspekt der Verbandsarbeit:<br />
der gemeinsame Austausch zu aktuellen politischen Themen,<br />
zur Schulentwicklung, Unterrichtsqualität und der<br />
Sichtweise auf das Kind in unserem Bildungssystem und<br />
in der Gesellschaft. Meine damalige Schule profitierte als<br />
Schwerpunktschule in Rheinland-Pfalz stark von den Inhalten<br />
und Ideen sowie der Nähe zum Grundschulverband.<br />
Durch das Engagement von weiteren Lehrkräften<br />
flossen viele Inhalte in die schulinterne Entwicklung einer<br />
inklusiven Schule ein und wurden konkret umgesetzt.<br />
Mit Freude wurde ich dann 2016 in den Vorstand der<br />
Landesgruppe Rheinland-Pfalz gewählt und übernahm<br />
dort die Aufgaben der digitalen Gestaltung und Verwaltung<br />
sowie die Funktion als Delegierte. Eine besondere<br />
Ehre war es dann, zum ersten Mal im Rahmen einer Delegiertenversammlung<br />
auf bekannte Persönlichkeiten wie<br />
Erika Brinkmann, Hans Brügelmann und Horst Bartnitzky<br />
zu treffen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.<br />
Aus Sitzungen gehe ich oft beflügelt, motiviert und inspiriert<br />
mit neuen Ideen für die eigene Arbeit. Der Austausch<br />
gibt Energie und Kraft, insbesondere in den aktuell<br />
schwierigen Zeiten geschlossen für die Bildung unserer<br />
Grundschulkinder einzustehen, Wege aufzuzeigen und<br />
auch in politische Diskussionen zu gehen. Sich gemeinsam<br />
mit anderen Verbänden, Gewerkschaften oder Vereinen<br />
zu koordinieren, Grundschultage zu gestalten und Tagungen<br />
zu organisieren zum Wohle der Grundschulbildung ist<br />
aktuell nötiger denn je.<br />
Ich habe im Grundschulverband Lehrer*innen kennengelernt,<br />
die mit viel Leidenschaft, Kreativität und Courage<br />
für die Bildung der Kinder in unseren Grundschulen einstehen.<br />
Für mich persönlich sind diese Kontakte und der<br />
damit einhergehende Austausch besonders wichtig und<br />
wertvoll. Der Grundschulverband unterstützt mich dabei<br />
nicht nur als Lehrkraft, sondern auch in meiner neuen<br />
Rolle als stellvertretende Schulleitung.<br />
Für die Zukunft wünsche ich mir Schulen, an denen<br />
gleichberechtigte Bildung für alle Kinder möglich ist. In<br />
denen Kinder zum Lernen motiviert werden und Selbstständigkeit<br />
geschätzt wird. Schulen, die musisch-ästhetische<br />
Bildung genauso fokussieren wie einen erfolgreichen<br />
Schriftspracherwerb und logisch-mathematische Kompetenzen.<br />
Schulen, an denen Lehrkräfte gut ausgebildet sind,<br />
sich für Weiterbildung interessieren und motivieren, die<br />
den Mut haben, außerhalb der Lehrwerke und Leistungsnachweise<br />
eigene Wege zu gehen, die zu den Bedürfnissen<br />
der eigenen Klasse passen und den individuellen Kompetenzerwerb<br />
jedes einzelnen Kindes in einer heterogenen<br />
Gruppe voranbringt. Ein respektvoller und gleichberechtigter<br />
Blick der Politik und Gesellschaft auf alle Kinder<br />
und Lehrkräfte unabhängig von der Schulform sollten<br />
selbstverständlich sein.<br />
Im und mit dem Grundschulverband setze ich mich<br />
gerne ehrenamtlich für diese und weitere wünschenswerte<br />
Punkte in unserem Bildungssystem ein.<br />
2<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Thema: Pausenkulturen<br />
Markus Peschel und Patrick Peifer<br />
„Ich sage, wenn Pause ist<br />
– nicht die Klingel!“<br />
Pausenkulturen in der Grundschule<br />
Wofür dienen Pausen an Grundschulen und wie werden diese organisiert? Diese<br />
Frage provoziert viele Sichtweisen und Verständnisse auf ein Schulsystem und/<br />
oder auf eine Schulkultur, die in den besten Fällen gut miteinander korrespondieren.<br />
Meist aber überlagern organisatorische, strukturelle oder institutionalisierte<br />
Prozesse die der Individualität und einer Kultur, die das Individuum (v. a.<br />
Schüler*innen, Lehrer*innen, Schulleitungen) mit seinen Interessen, Kompetenzen,<br />
Chancen, Möglichkeiten und Wünschen in den Mittelpunkt der schulischen<br />
Aktivitäten – und damit auch in Bezug auf die Pausen – stellen.<br />
Dabei ist der Begriff „Pause“<br />
keinesfalls, wie dies lange Zeit<br />
praktiziert wurde, negativ konnotiert<br />
„als eine Unterbrechung der<br />
Unterrichtsprozesse“ (Haenisch 2011,<br />
15; vgl. Foucault 1976) oder als „leere<br />
Zeit“ (Osnabrücker Forschungsgruppe<br />
2016, 1) anzusehen, sondern sollte vielmehr<br />
in seiner Vielfältigkeit – wie in<br />
dieser Zeitschrift skizziert wird – und<br />
als Chance begriffen werden (vgl. z. B.<br />
Kneis, Zimmer & Peschel in dieser Zeitschrift).<br />
Unter anderem im Rahmen<br />
stärker aufkommender Ganztagsschulen<br />
gewinnen Pausen verstärkt an<br />
Bedeutung (vgl. Adelt 2011; Cunis &<br />
Karlsberg in dieser Zeitschrift; Grundschule<br />
aktuell 162), rücken in einem<br />
rhythmisierten Schulalltag unter dem<br />
„Aspekt der Regeneration […] ins Zentrum“<br />
(Haenisch 2011, 15) und werden<br />
sogar als dessen „Herzstück“ (Fiegenbaum<br />
2011, 63) tituliert – die für Lehrende<br />
und Lernende gleichermaßen<br />
erforderlich und förderlich sein sollen.<br />
Etliche Beispiele für eine Pausenkultur<br />
werden in dieser Zeitschrift aufgegriffen<br />
und von den Autor*innen aus verschiedenen<br />
Perspektiven neu gedacht,<br />
justiert, diskutiert und reflektiert.<br />
Wann brauchen<br />
Schüler*innen Pause(n)?<br />
Die Aufmerksamkeitsspanne, in der<br />
Grundschüler*innen (i. d. R. sechs bis<br />
zehn Jahre) Informationen aus einer<br />
(kurzzeitigen) Darbietung entnehmen<br />
und verarbeiten können, beträgt zwischen<br />
15 und 20 Minuten (vgl. Wöstmann<br />
et al. 2015) und wird in der Praxis<br />
über einen regelmäßigen Methodenwechsel<br />
immer wieder neu belebt oder<br />
auch über Bewegungspausen (vgl. GSV<br />
156; Gramespacher in dieser Zeitschrift)<br />
umgesetzt. Insofern werden zwischen<br />
Konzentrations- bzw. Lernphasen (Ausruh-)Zeiten<br />
integriert, in denen die Kinder<br />
kognitiv weniger anspruchsvollen<br />
Tätigkeiten nachgehen oder einen Wechsel<br />
ihrer Aktivitäten vollziehen (wollen)<br />
(vgl. Wendsche, Varol & Ullmann in dieser<br />
Zeitschrift) – die „Pausen“. Doch: Wie<br />
sind diese Pausen organisiert? Und von<br />
wem? Wer macht wann wie (und wie<br />
lange) Pause? Was ist, wenn manche Kinder<br />
keine Pause machen wollen?<br />
An einem trivial erscheinenden Beispiel<br />
sollen diese Impulsfragen expliziert<br />
werden: Vor, während und nach<br />
einer Pause geht es zeitweilig recht laut<br />
an Grundschulen zu: 100, 200, 400 oder<br />
mehr Kinder toben gleichzeitig (!) in<br />
die große Pause, versuchen, dort ihrem<br />
Bewegungsdrang nachzugehen, begehen<br />
Reibereien, die während des Unterrichts<br />
nicht zur Sprache kamen, essen,<br />
kommunizieren und müssen dann –<br />
zu früh, zu spät – wieder zurück in die<br />
nächste Lehr-Lern-Situation, den Unterricht.<br />
Diese Pausenzeiten berücksichtigen<br />
nicht, ob das lernende Kind vor<br />
der Pause mit seinem Lernen bzw. dem<br />
Lernprozess „fertig“ ist oder ob es schon<br />
„genug“ Pause gehabt hat. Ein tagtägliches<br />
Geschäft auch der Lehrkräfte, die<br />
zudem auf dem Pausenhof Kontrollgänge<br />
machen und damit selbst keine Pause<br />
haben (vgl. Foucault 1976; Breit, Rittberger<br />
& Sertl 2005), ggf. Streitigkeiten klären<br />
müssen, bevor es wieder in die übliche<br />
Schulstunde geht.<br />
Doch warum ist das so? Fast überall?<br />
Oder – anders gefragt: Wie könnte es anders<br />
gehen? Dazu werden im Folgenden<br />
einige Fragen aufgeworfen, die bewusst<br />
unbeantwortet bleiben, aber Hinweise,<br />
u. a. auf die Beiträge in dieser Zeitschrift,<br />
geben sollen, wie sich Schule und Organisationsstrukturen<br />
ändern könnten, um<br />
die o. g. Szenarien zu entspannen – und<br />
die Individuen als Adressat*innen zu<br />
stärken, eine neue Form der Pausenkultur<br />
und Lernkultur zu entwickeln und Schulkultur<br />
zu verändern. Verdeutlicht werden<br />
kann dies unter dem folgenden Aspekt.<br />
Pause und Kontrolle<br />
Entgegen dem häufig gewünschten disziplinierten<br />
und zivilisierten Verhalten<br />
von Grundschüler*innen werden im<br />
Rahmen videografischer Studien, die<br />
u. a. den Übergang von Pausen zum<br />
Unterricht im Klassenraum beforschen,<br />
andere, konträre Facetten deutlich (vgl.<br />
Wagner-Willi 2004). Unter Berücksichtigung,<br />
wie sich Schüler*innen in<br />
solchen Übergangs- bzw. Schwellenzuständen<br />
(sog. Liminalitäten) verhalten,<br />
konnten verbal- und nonverbal-sprachliche<br />
(z. B. Schubsen oder<br />
Drängeln beim Eintreten ins Klassenzimmer<br />
oder der Sitzplatzeinnahme,<br />
Kopfschütteln, Haare schwingen)<br />
Interaktionsmuster ausgemacht werden,<br />
die different sind zu jenen schulischen<br />
Regelstrukturen, wie sie in der<br />
Unterrichtsorganisation zum Ausdruck<br />
kommen (vgl. ebd.). Um u. a. strukturiert(er)es<br />
Verhalten der Schüler*innen<br />
zu erzielen, führen Lehrer*innen tagtäglich<br />
auf dem Pausenhof Kontrollgänge<br />
durch, die „Pausenaufsichten“.<br />
Selbstverständlich sind bspw. Mobbing<br />
oder Rangeleien, die in körperli-<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
3
Thema: Pausenkulturen<br />
Dr. Markus Peschel (links)<br />
ist Professor für Didaktik des Sachunterrichts<br />
an der Universität des Saarlandes,<br />
Fakultät NT. Seine Forschungsschwerpunkte<br />
liegen in den Bereichen<br />
Digitalisierung und Medien, (Offenes)<br />
Experimentieren sowie Naturwissenschaftliche<br />
Grundbildung.<br />
Patrick Peifer<br />
ist wissenschaftliche Hilfskraft am<br />
Lehrstuhl für Didaktik des Sachunterrichts<br />
an der Universität des Saarlandes<br />
und unterstützt die Projekte „DiMaS“<br />
und „Sprachlichkeiten – Fachlichkeiten“.<br />
Sein Forschungsinteresse liegt<br />
in der Veränderung des Sprach-Fach-<br />
Bewusstseins angehender Sachunterrichtslehrkräfte.<br />
cher Gewalt und daraus resultierenden<br />
Verletzungen ausarten (können), aus gesundheitlichen<br />
Gründen instantan zu<br />
unterbinden (vgl. Hoffmann in dieser<br />
Zeitschrift). Oft sind solche Rangeleien<br />
Thema der (auf eine Pause) folgenden<br />
Stunde und werden – gemäß dem Postulat<br />
„Störungen haben Vorrang“ (Cohn<br />
1986, 122 f.) – meist pädagogisch reflektiert.<br />
Solche pädagogischen Reflexionen<br />
fußen auf dem Umstand, dass Lehrkräfte<br />
zumeist auch in den Pausen in<br />
Schüler*innennähe präsent sind. Wenn<br />
bereits im Unterricht kontrollierte Organisation,<br />
strikte Regeln und formalisierte<br />
Strukturiertheit als unabdingbar erachtet<br />
werden, muss es Schüler*innen doch<br />
wenigstens in den Pausen gestattet sein,<br />
sich (selbstverständlich: verletzungsfrei)<br />
selbstbestimmt entfalten zu dürfen (vgl.<br />
Kihm in dieser Zeitschrift). Daher ist die<br />
Frage zu stellen: Wieso führen Lehrkräfte<br />
Kontrollen in Pausen durch? Und: Brauchen<br />
nicht auch Lehrkräfte einmal Pause?<br />
Wann brauchen<br />
Lehrer*innen Pause(n)?<br />
Lehrer*innen sind in ihrem Berufsalltag<br />
einer Vielzahl an Stressoren ausgesetzt<br />
(vgl. Rothland 2013): Neben<br />
einer intensiven Belastung der Stimme,<br />
einem meist hohen Lärmpegel,<br />
einer hohen Konzentrationsfähigkeit<br />
und Geduld (v. a.) im Umgang<br />
mit weniger disziplinierten und/oder<br />
unmotivierten Schüler*innen zählen<br />
hierzu teils längere Vorbereitungs- und<br />
Korrekturzeiten am Nachmittag. Dies<br />
geht, wenig überraschend, mit einem<br />
hohen Stresserleben bzw. -empfinden<br />
im Lehrer*innenberuf einher und nicht<br />
selten evozieren jene „berufsbedingte[n]<br />
Beanspruchungen […] Stress und Burnout<br />
bei Lehrkräften“ (Rothland 2013, 8).<br />
Daher ist es für Lehrpersonen erforderlich<br />
und förderlich, regelmäßige Pausen<br />
in ihren Arbeitsalltag zu integrieren<br />
(vgl. Wendsche & Lohmann-Haislah<br />
2018; Wendsche, Varol & Ullmann<br />
in dieser Zeitschrift). Diese können<br />
von kurzen Erholungspausen zwischen<br />
Unterrichtsstunden bis hin zu einem<br />
Sabbatical (vgl. Weichmann & Köhler in<br />
dieser Zeitschrift) reichen.<br />
Dabei soll ein Blick darauf geworfen<br />
werden, wer die schulischen Pausen(-<br />
zeiten) überhaupt organisiert: Wer setzt<br />
fest, wann eine Pause beginnt und wann<br />
sie endet? Wer teilt wen zur Pause und<br />
zur Aufsicht ein? Die Schulleitung, die<br />
Schulkonferenz, die Lehrer*innenkonferenz,<br />
der schulinterne Gong oder die<br />
Lehrperson (vgl. Klenk in dieser Zeitschrift)!<br />
Aber: Nicht jedes Individuum<br />
muss zur selben Zeit auf die Toilette, hat<br />
zur selben Zeit Hunger und/oder Durst,<br />
benötigt zur selben Zeit Bewegung, …!<br />
Dazu ein paar Anregungen bzw. Fragen,<br />
zu denen in dieser Zeitschrift einige<br />
Autor*innen ihre Erfahrungen einbringen<br />
werden:<br />
● Wie wäre es, wenn es Pausenpartner*innen<br />
gibt, also Vereinbarungen<br />
zwischen den Erziehungs- und Kontrollinstanzen<br />
sowie den Individuen?<br />
● Müssen alle Klassen gleichzeitig<br />
Pause haben? Warum? Um einen Lehrer*innenwechsel<br />
zwischen den Klassen<br />
oder Fächern zu ermöglichen? 1 Um<br />
möglichst wenigen Lehrkräften die<br />
Kontrolle über alle Schüler*innen während<br />
einer bestimmten Zeitspanne zu<br />
ermöglichen?<br />
● Warum macht nicht jede Lehrkraft<br />
mit ihrer Klasse zu einer Zeit Pause,<br />
wenn es inhaltlich angebracht erscheint<br />
oder gerade auf dem Pausenhof wenig<br />
los ist?<br />
● Warum macht nicht jedes Kind Pause,<br />
wenn es Pause benötigt? Können wir<br />
nicht Inhalte, Phasen und Individualisierung<br />
so begreifen, dass die Lernenden<br />
selbst entscheiden können, wann<br />
Phasen der Allgemeinheit, der Vermittlung,<br />
des Lernens, des Übens usw. –<br />
und der Pausen – sind? Trauen wir dies<br />
Kindern zu?<br />
● Dürfen Kinder weiter lernen, wenn<br />
sie nicht in die Pause wollen? Müssen<br />
sie dann dabei beaufsichtigt werden<br />
– was genau bedeutet das? Was lernen<br />
sie? Und wann machen Schüler*innen<br />
Pause, wenn sie in der Pause (weiter)<br />
gelernt oder gearbeitet haben?<br />
● Warum hat nicht jede Klasse ein<br />
eigenes Areal und einen direkten Zugang<br />
nach draußen, sodass es keine<br />
Konflikte von zu vielen Kindern auf zu<br />
wenig Fläche gibt?<br />
● Wie wäre es mit einer Architektur,<br />
die gemeinsames Lernen, individuelles<br />
Lernen, Rückzugsmöglichkeiten, Erholungsorte<br />
usw. bewusst mit einem flexiblen<br />
Stunden- oder – besser – Lernplan<br />
ermöglicht (vgl. Krawczyk in dieser<br />
Zeitschrift)? 2<br />
● Wie wäre es, wenn Lehrkräfte selbst<br />
Pause machen könnten – wo sie wollen,<br />
wann sie wollen?<br />
● Wollen Lehrkräfte auch zu bestimmten<br />
Zeiten oder an bestimmten Orten<br />
Pausen? Alleine? Gemeinsam? Mit<br />
schulorganisatorischen Themen – dann<br />
wäre es keine Pause …?<br />
Fazit<br />
Zugegeben: Die Beiträge in dieser Zeitschrift<br />
zeigen verschiedene Perspektiven<br />
auf, die teilweise system- bzw. schuluntypisch<br />
sind und versuchen, etablierte<br />
Strukturen zu reflektieren bzw. neu zu<br />
entwickeln. Aber: Genau darin liegt die<br />
Chance, Schüler*innen in ihrer Autonomie<br />
und Individualität zu stärken.<br />
Denn: Das Treffen von Entscheidungen,<br />
wie z. B. wer wann Pause macht und<br />
wie sich in der Pause beschäftigt<br />
wird, erfordert die Aushandlung eigener<br />
Bedarfe (Kann ich noch lernen<br />
bzw. lehren oder benötige ich eine<br />
Pause?) sowie sozial-kommunikative<br />
Aushandlungen u. a. zwischen Mitschüler*innen<br />
(Machen wir gemeinsam<br />
Pause und haben wir gleichzeitig Durst,<br />
Hunger etc.?). Alle genannten Ideen sollen<br />
zur Diskussion und Reflexion bei<br />
4 GS aktuell 163 • September 2023
Thema: Pausenkulturen<br />
angehenden und praktizierenden Lehrer*innen<br />
anregen – mit der Vision, etablierte<br />
und tradierte Schulkulturen (wie<br />
z. B. die Pausenvorschriften) kritisch zu<br />
hinterfragen und als Pausenkulturen<br />
weiterzuentwickeln (vgl. F. Peschel 2021;<br />
M. Peschel 2021).<br />
Anmerkungen<br />
1) Wie sieht es mit Lernangeboten in anderen<br />
Fachräumen aus (Sporthalle, Naturwissenschaftsraum,<br />
Musikraum)? Wird hier<br />
aufgrund eines Raumbedarfs auf Stunden<br />
und damit auf Pausen und Wechsel abgeleitet?<br />
Geht es auch anders? Könnte man nicht<br />
eine Angebots-Lern-Kultur entwickeln und<br />
Kinder nutzen – z. B. begleitet mit Beratung<br />
von Lehrkräften – entsprechende Angebote<br />
situiert, individuell?<br />
2) Als ein Beispiel der Architektur und der<br />
veränderten Auffassung von gemeinsamem<br />
und individuellem Lernen sei auf die<br />
Laborschule Bielefeld verwiesen, die einige<br />
Konzepte erprobt und adaptiert hat. In dieser<br />
Schule ist allein architektonisch eine andere<br />
Auffassung von Gebäude- und Lernkultur<br />
sichtbar.<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/<strong>GSa163</strong>Lit<br />
Pascal Kihm<br />
Aushandlung und Mitbestimmung<br />
individueller Pausenzeiten<br />
Die Möglichkeit zur flexiblen Einteilung der Zeit beim Lernen bzw. Bearbeiten<br />
von Aufgaben wird häufig als ein Merkmal der organisatorischen Öffnung von<br />
Unterricht angesehen (Hanke 2005: 42; Bohl & Kucharz 2010: 17; Grunefeld &<br />
Schmolke 2011: 11 f.; Peschel 2020: 38). Die Mitbestimmung von Schüler*innen<br />
hinsichtlich der Zeiteinteilung bezieht sich in den o. g. Publikationen allerdings<br />
meist nur darauf, wie lange die Schüler*innen mit einer Aufgabe zubringen resp.<br />
wie schnell sie eine Aufgabe bearbeiten oder zu welchem Zeitpunkt sie die Bearbeitung<br />
einer Aufgabe abschließen, um sich einer neuen Aufgabe im Wochenplan,<br />
einer neuen Station, einem neuen Arbeitsblatt usw. zuzuwenden.<br />
Es geht somit bei der Mitbestimmung<br />
bzgl. schulischer<br />
Zeitstrukturen vornehmlich um<br />
ein flexibles, eigenes Lern- bzw. Arbeitstempo<br />
und um eine freie, individuelle<br />
Zeiteinteilung – jedoch innerhalb (!)<br />
festgesetzter Lern- oder Arbeitszeiten<br />
bzw. Pausenzeiten.<br />
„Wichtig ist, dass die Kinder beim Lernen<br />
[im Unterricht; Anm. d. V.] weitmöglich<br />
ihrer Eigenzeit folgen können<br />
und nicht hilflos der Tempovorgabe<br />
oder der Zeiteinteilung des Lehrers ausgeliefert<br />
sind“ (Peschel 2019: 169; Herv.<br />
d. V.).<br />
Unabhängig von einzelnen Möglichkeiten<br />
der ‚freieren‘ Zeiteinteilung innerhalb<br />
von festgelegten Unterrichtszeiten<br />
wird oft weiterhin von für alle Mitglieder<br />
der Schule (Schüler*innen, Lehrkräfte,<br />
weitere pädagogische Mitarbeitende, …)<br />
gültigen, zeitlich geordneten und genau<br />
festgelegten (getakteten!) Unterrichtsund<br />
Pausenzeiten ausgegangen (vgl. Esslinger-Hinz<br />
2010: 274). An vielen Standorten<br />
bedeutet dies (seit 1911!), dass 45<br />
Minuten Unterricht sich mehrfach al-<br />
ternierend mit kurzen Pausen (von etwa<br />
fünf Minuten Länge) und längeren Pausen<br />
(von etwa 15–20 Minuten Länge)<br />
abwechseln (vgl. Kluth 2018) 1 . Folgende<br />
Gründe werden häufig für eine solche<br />
Rhythmisierung, also für den alternierenden<br />
Wechsel von Unterrichts- (45<br />
Minuten) und Pausenzeiten (5–15–20<br />
Minuten) angegeben:<br />
● „Kinder brauchen Orientierung und<br />
Verlässlichkeit durch zeitliche Abfolge<br />
von Aktivitäten und Ritualen“ (Holtappels<br />
2006: 84).<br />
● Rhythmisierung zielt darüber hinaus<br />
auf den Ausgleich zwischen „Anspannung<br />
und Entspannung, Konzentration<br />
und Zerstreuung, Ruhe und Bewegung“<br />
(Laging 2006: 81).<br />
● „Beim Lernen wechseln Phasen hoher<br />
Konzentration und engagierter Auseinandersetzung<br />
mit ausgleichenden Entspannungsphasen“<br />
(Peschel 2019: 169).<br />
● Grundschüler*innen benötigen „hinreichende<br />
Phasen der Erholung und<br />
Zerstreuung“ (Holtappels 2006: 84),<br />
insbesondere dann, wenn sie „fremden<br />
Vorgaben folgen und zeitgleich dazu<br />
Verbindungen zu vorhandenem Wissen<br />
herstellen“ (Peschel 2019: 169) müssen.<br />
● Eine solche, ermüdende Belastung ist<br />
immer „nur kurzzeitig möglich, weshalb<br />
Unterricht üblicherweise einen<br />
Wechsel von Spannungs- und Entspannungsphasen<br />
anstrebt“ (ebd.; vgl. auch<br />
Jürgens & Standop 2012).<br />
Angesichts der Unterschiedlichkeit der<br />
Lernvoraussetzungen und der physiologischen<br />
bzw. psycho-sozialen Bedürfnisse<br />
von Schulkindern rückt allerdings gegenwärtig<br />
m. E. zunehmend eine lern- bzw.<br />
subjektgerechtere Zeitrhythmisierung<br />
in den Blick: „Der Verlauf des Schultags<br />
sollte […] vom Lebens- und Lernrhythmus<br />
der Kinder“ (Holtappels 2006: 84)<br />
und der didaktisch-methodischen Individualisierung<br />
bestimmt werden, „nicht<br />
aber von einer von außen vorgeschriebenen,<br />
verwaltungsbürokratisch gesetzten<br />
Zeitordnung“ (ebd.).<br />
Die 45-Minuten-Taktung wird deshalb<br />
– auch unter Berufung auf die o. g. Gründe<br />
und auf die Argumente aus dem beginnenden<br />
20. Jahrhundert (s. Endnote 1) – zunehmend<br />
diskutiert: Sie sei „zu starr, presse<br />
den Lehrstoff in zu wenig Zeit, verbreite<br />
Hetze und Unruhe“ (ebd.) und überstrapaziere<br />
die Konzentrationsfähigkeit von<br />
Grundschüler*innen (vgl. auch Esslinger-Hinz<br />
2010: 297). Unter dem Stichwort<br />
Rhythmisierung wird deshalb vielfach diskutiert,<br />
ob z. B. die Zeitblöcke, in denen jeweils<br />
Unterricht stattfindet, angepasst werden<br />
sollten (z. B. 60 Minuten, 90 Minuten,<br />
…) (vgl. Jürgens & Standop 2012).<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
5
Thema: Pausenkulturen<br />
„Allen neuen Unterrichtsmodellen zum<br />
Trotz: Die 45-Minuten-Einheit bleibt<br />
die Währung der Schulleitung. Jede<br />
Lehrerstelle wird, laut Schulgesetz, mittels<br />
der 45-Minuten-Einheit verwaltet.<br />
Eine 60-Minuten-Stunde ist laut Schulverwaltung<br />
eine 1 1/3 Stunde. Die 45<br />
Minuten leben als Takt also fort, und<br />
sei es auch nur verdeckt in der Schulverwaltung“<br />
(Kluth 2018).<br />
In solchen Diskussionen ist es allerdings<br />
m. E. auffällig, dass selten „die<br />
Idee formuliert [wird], dass Schülerinnen<br />
und Schüler bei einem solchen Prozess<br />
[der Rhythmisierung bzw. Aushandlung<br />
von Unterrichts- und Pausenzeiten;<br />
Anm. d. V.] beteiligt werden<br />
könnten“ (Esslinger-Hinz 2010: 274).<br />
Stattdessen sind die Wechsel von Unterrichts-<br />
und Pausenzeiten immer „so gestaltet<br />
[…], dass […] der reibungslose<br />
Ablauf des Schulalltags“ (ebd.: 274) gesichert<br />
bleibt (vgl. dazu auch Diener &<br />
Peschel 2019). Aus diesem Grund sind<br />
Unterrichts- und Pausenphasen minutiös<br />
vorgegeben und „passen mit ziemlicher<br />
Sicherheit nicht zu den individuellen<br />
Spannungs- und Entspannungsphasen“<br />
(Peschel 2019: 169) der Schüler*innen<br />
(und im Übrigen auch der<br />
Lehrer*innen: vgl. auch den Beitrag von<br />
Klenk in dieser Zeitschrift).<br />
Diese Art der Dichotomie von Unterricht<br />
und Pause erscheint grundlegend<br />
irritierend: Es wird impliziert, dass (nur<br />
und immer) im Unterricht gelernt, gearbeitet,<br />
sich konzentriert und angestrengt<br />
wird, wohingegen im Umkehrschluss<br />
in der Pause nicht gelernt, nicht<br />
gearbeitet, sich nicht konzentriert und<br />
angestrengt wird. Insbesondere ethnografische<br />
Studien zeigen aber, wie viel<br />
auch und gerade in der Pause gelernt<br />
wird (v. a. unter sozialen Aspekten) (vgl.<br />
z. B. Krappmann & Oswald 1995).<br />
Um den o. g. Unstimmigkeiten zwischen<br />
vorgeordneter Unterrichts- und<br />
Pausenzeiten und individuellen Bedürfnissen<br />
zu begegnen, schlagen verschiedene<br />
Autor*innen „individuell variable<br />
Pausenlösungen“ (Jürgens & Standop<br />
2012) vor. Dies erfordert entweder eine<br />
Abstimmung bzw. Aushandlung „hinsichtlich<br />
der […] Zeitpunkte, Dauer und<br />
Intensität sowie der Art der Lernaktivität[en]“<br />
(Holtappels 2006: 84) oder „ein-<br />
[en] eigene[n] Pausenrhythmus“ (Peschel<br />
2019: 169) und individuell variable<br />
Pausenlösungen je Schüler*in.<br />
Die Einteilung der Arbeitszeit (gemeint<br />
hier im Sinne von z. B. Aufgabenoder<br />
Projektbearbeitungszeit) richtet sich<br />
dann vollends nach den Anforderungen<br />
der jeweiligen Aufgaben, der Projekte,<br />
der Arbeit an sich, also nach den Anforderungen<br />
der Lernenden und nicht nach<br />
einer fremd vorgegebenen Zuweisung<br />
(vgl. Peschel 2016; Peschel 2021). Jedes<br />
Kind macht dann Pause, wenn es Pause<br />
benötigt – aus Sicht des individuellen<br />
Lern- und Arbeitsprozesses.<br />
Bislang wird diese Forderung der Mitbestimmung<br />
bzw. Aushandlung hinsichtlich<br />
der Pausenzeiten meist allgemeingrundschuldidaktisch<br />
oder grundschulpädagogisch<br />
begründet – mit Argumenten,<br />
die vor allem die Konzentrationsfähigkeit<br />
und Aufmerksamkeit der Schüler*innen<br />
oder die Vermeidung von Unruhen bzw.<br />
Störungen durch Ermüdung betreffen,<br />
nicht jedoch unmittelbar deren fachliche<br />
bzw. Sach-Auseinandersetzungen:<br />
„Räumt man dem Lernenden seine<br />
Eigenzeit ein, so ist festzustellen, dass er<br />
nicht nur Spannungs- und Entspannungsphasen<br />
selber am besten arrangieren<br />
kann, sondern vor allem auch, dass die<br />
Konzentrationsphasen wesentlich länger<br />
werden, da selbstgesteuertes Lernen bedeutend<br />
weniger ermüdend ist als fremdgesteuertes<br />
Lernen“ (Peschel 2019: 169).<br />
Im Forschungsprojekt doing AGEN-<br />
CY wurde – als Randaspekt 2 – der Einfluss<br />
von Pausenzeiten auf das naturwissenschaftsbezogene<br />
Lernen analysiert<br />
und damit die fachdidaktische Bedeutung<br />
der Aushandlung und Mitbestimmung<br />
individueller Pausenzeiten rekonstruiert.<br />
Die beispielhafte Vignette<br />
auf Seite 7 verdeutlicht, (a) dass die<br />
Pause Einfluss auf den fachlichen Lern-<br />
(hier: Experimentier-)Prozess der Schüler*innen<br />
hat, indem die Pause die Sach-<br />
Auseinandersetzung der Schüler*innen<br />
verzögert, stört oder sogar gänzlich<br />
unterbricht. Somit zeigt die Vignette,<br />
(b) dass diese Art der von außen festgesetzten,<br />
vorgeschriebenen und für alle<br />
Schüler*innen verpflichtenden Pause<br />
hinsichtlich der individuellen Bedürfnisse,<br />
Interessen und Lern- bzw. Erkenntnisprozesse<br />
der Schüler*innen eigentlich<br />
nie zum richtigen Zeitpunkt kommt. Die<br />
Vignette zeigt zwei Schülerinnen in der<br />
konzentrierten Auseinandersetzung mit<br />
verschiedenen Phänomenen/Erscheinungen<br />
(vgl. Wagenschein 1977; Müller<br />
& Schumann 2022), die in Zusammenhang<br />
mit dem Thema des GOFEX-Tages,<br />
Feuer, stehen. Minutenlang<br />
● vergleichen sie die Entzündungen<br />
unterschiedlich schnell an einer Reibefläche<br />
vorbeigeführter Streichhölzer,<br />
● beobachten sie abbrennende Streichhölzer<br />
oder<br />
● die Vorgänge um eine mittels Kerzenglocke<br />
gelöschte Kerzenflamme<br />
(Wachsnebel),<br />
● variieren sie die Geschwindigkeit,<br />
mit der sie die Kerzenglocke über die<br />
Kerzenflamme stülpen und „retten“ die<br />
Kerzenflamme mehrmals, indem sie<br />
die Kerzenglocke etwas anheben.<br />
Die beiden Schülerinnen wiederholen<br />
all diese Sachauseinandersetzungen<br />
mehrfach, beobachten von ganz nah, mit<br />
etwas Abstand und von allen Seiten –<br />
ohne von der Kerzenflamme abzulassen.<br />
Sie wirken fasziniert. Im kommunikativen<br />
Austausch beschreiben sie ihre Beobachtungen<br />
sehr präzise, wenn auch teilweise<br />
noch mit alltags- statt fachsprachlichen<br />
Mitteln (z. B. „weißer Rauch“ statt<br />
„Wachsnebel“). Sie verständigen sich und<br />
klären bzw. gleichen ab, was sie beobachten.<br />
Dabei kommen auch die unterschiedlichen<br />
Flammenzonen zur Sprache<br />
– Beobachtungen und Verbalisierungen,<br />
mit denen viele Erwachsene Probleme<br />
hätten (vgl. Geiss 2017).<br />
Auffällig ist nun, dass überhaupt rund<br />
zwanzig Minuten vergehen, bevor die<br />
Schülerinnen sich der intendierten Vorgehensweise<br />
(dem „Flammensprung“) zuwenden.<br />
Alle vorherigen Aktivitäten hängen<br />
dennoch mit der Experimentieraufgabe<br />
zusammen – im Sinne von Annäherungen<br />
bereiten sie den eigentlichen Versuch<br />
und seine Teilschritte (u. a. Streichholz entzünden,<br />
Flamme ersticken usw.) gewissermaßen<br />
vor. Den „Flammensprung“ selbst<br />
wiederholen sie mehrmals – aus Eigeninteresse,<br />
Faszination und Neugierde (so<br />
deute ich die Überraschungs- und Begeisterungsinterjektionen<br />
„wow“ und „boah“),<br />
aber auch, weil sie von Mitschüler*innen<br />
aufgefordert werden, das Phänomen „vorzuführen“.<br />
Auch dabei zeigen sich die o. g.<br />
Muster der anhaltenden, fokussierten und<br />
konzentrierten Beobachtung.<br />
Weiterhin wird jedoch deutlich, dass<br />
die von der leitenden GOFEX-Mitarbeiterin,<br />
also von außen, zeitlich festgesetzte,<br />
vorgeschriebene und für alle gültige<br />
Pause nicht zu den individuellen Bedürfnissen<br />
und Erkenntnisprozessen der<br />
beiden Schülerinnen S#1 und S#2 pas-<br />
6 GS aktuell 163 • September 2023
Thema: Pausenkulturen<br />
sen. Im Hinblick auf den Experimentierprozess<br />
(vgl. Murmann 2008; Fischer<br />
& Peschel 2023) kommt die Pause zu<br />
einem Zeitpunkt, als die Schülerinnen<br />
● verschiedene Handlungsgelegenheiten<br />
und Annäherungen an das Zielphänomen/den<br />
Zielversuch genutzt haben<br />
(s. o.) (Explorationen),<br />
● herausgefunden haben, wie sie ein<br />
bestimmtes Ergebnis (nämlich den<br />
„Flammensprung“) wiederholt selbst<br />
erzeugen, also reproduzieren, können<br />
(s. o.) (Wiederholungen).<br />
Dass S#1 nun (nach etwa 25 Minuten<br />
Sachauseinandersetzung) die Frage aufwirft,<br />
wie schnell und wie lange man das<br />
Streichholz in den Wachsnebel halten<br />
muss, damit der „Flammensprung“ gelingt,<br />
fügt sich nahtlos in die Modellierung<br />
des Experimentierprozesses (vgl.<br />
Murmann 2008; Fischer & Peschel 2023).<br />
Die Schülerinnen wollen nun herausfinden,<br />
wodurch etwas funktioniert und<br />
die Bedingungen des „Flammensprungs“<br />
sondieren (hier in der Variation der Geschwindigkeit<br />
und der Zeitdauer, mit der<br />
Pascal Kihm<br />
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am<br />
Lehrstuhl Didaktik des Sachunterrichts<br />
an der Universität des Saarlandes.<br />
Forschungsschwerpunkt: Interaktionsund<br />
Kommunikationsprozesse beim<br />
(Offenen) Experimentieren.<br />
das Streichholz in den Wachsnebel gehalten<br />
wird). Diese Auseinandersetzung mit<br />
den Bedingungen des Phänomens (durch<br />
Variation und ggf. auch Hypothesenaufstellung<br />
bzw. -überprüfung) ist ein wichtiger<br />
Schritt auf dem Weg zur (Er-)Klärung<br />
des Phänomens und seiner Wirkmechanismen<br />
(vgl. ebd.).<br />
Zur Umsetzung dieser geplanten Variationen<br />
kommt es allerdings nicht<br />
mehr. Die GOFEX-Mitarbeiterin leitet<br />
das Aufräumen ein bzw. zur Pause über<br />
und unterbricht damit den Experimentier-<br />
bzw. individuellen Lern- und Erkenntnisprozess<br />
dieser beiden Schülerinnen<br />
(S#1 und S#2) – und vermutlich<br />
auch weiterer Schüler*innen – zu einem<br />
individuell unpassenden Zeitpunkt. S#1<br />
und S#2 wären m. E. motiviert gewesen,<br />
sich weiterhin mit dem „Flammensprung“<br />
zu beschäftigen und hätten die<br />
Pause erst später gemacht.<br />
Die Pause hat Einfluss auf den fachlichen<br />
Lernprozess und das Experimentieren<br />
der Schüler*innen: Die Sach-Auseinandersetzung<br />
mit dem Phänomen „Flammensprung“<br />
wird unterbrochen und nach<br />
der Pause nicht mehr fortgesetzt. Die<br />
Schülerinnen beenden den Erkenntnisgang<br />
zum „Flammensprung“ mitten im<br />
Experimentierprozess (nach Exploration<br />
und Wiederholung wären nun Variationen<br />
zu erwarten – und vor der Pause von<br />
S#1 und S#2 ja auch intendiert bzw. ge-<br />
Vignette: Passung von Pausen im Experimentierprozess<br />
(Situative Kontextbedingungen: Zeitstrukturen)<br />
Vor den beiden Schülerinnen S#1 und S#2 liegt die Stationskarte/<br />
Experimentieraufgabe „Flammensprung“ 3 . Zuerst haben sie einige<br />
Minuten Streichhölzer entzündet, dabei u. a. das Streichholz unterschiedlich<br />
schnell an der Reibefläche der Streichholzschachtel bewegt,<br />
und sich beobachtend auf die abbrennenden Streichhölzer<br />
eingelassen – S#2: „Guck mal, wie es [das Feuer] sich immer weiter<br />
nach unten frisst“<br />
Später stülpt S#1, wie in der Anleitung vorgegeben, den Kerzenlöscher<br />
über die Flamme der Blockkerze. Etwas Wachsnebel weicht<br />
unter der Kerzenglocke empor und steigt nach oben. S#2 tippt<br />
ihre Mitschülerin an: „Schau mal, da geht weißer Rauch hoch“. S#1<br />
hebt die Kerzenglocke wieder hoch und ergänzt: „Und dann geht<br />
die Kerze aus!“. Die Flamme klimmt nur noch ganz schwach und<br />
noch mehr Wachsnebel steigt auf. Beide lächeln sich nun kurz an.<br />
In den folgenden Minuten wiederholen S#1 und S#2 diesen Vorgang<br />
mehrmals und wechseln sich dabei immer ab. Sie fokussieren<br />
beobachtend das Aufsteigen des Wachsnebels und wenden ihren<br />
Blick nicht ab […]. Einmal nähert S#2 den Kerzenlöscher wesentlich<br />
langsamer als zuvor an die Kerzenflamme an, stülpt ihn über,<br />
setzt ihn aber nicht ganz auf dem Kerzennapf ab, sondern hebt ihn<br />
immer noch mal um wenige Millimeter bis Zentimeter nach oben<br />
ab. Sie beschreibt: „Die Flamme wackelt irgendwie immer so. Wenn<br />
ich mit der Glocke bewege, geht die Flamme erst runter und dann<br />
wieder hoch! Ich kann sie vor dem Ausgehen retten“. Auch dieses<br />
„Spiel mit der Flamme“ wiederholen sie mehrfach […]. Dabei rücken<br />
sie ganz nahe an die Flamme, mit weit aufgerissenen Augen<br />
und leicht schief gehaltenem Kopf. Sie blinzeln kaum und lassen<br />
nicht von der Kerzenflamme ab – S#1: „Ganz oben an der Flamme<br />
ist so was weißes, helles“ (sie deutet in Richtung Flammensaum).<br />
S#2: „Die haben auch unterschiedliche Farben, also innendrin in<br />
der Kerze und dann halt weiter draußen“. […].<br />
Erst nach etwa 20 Minuten und durch Unterstützung 4 des<br />
Gofex-Mitarbeitenden G#1 setzen die Schülerinnen sich mit dem<br />
„eigentlichen Flammensprung“ (siehe Endnote 3) auseinander. S#1<br />
erstickt die Kerzenflamme und S#2 hält ein brennendes Streichholz<br />
in den aufsteigenden Wachsnebel. Eine Flamme „hüpft“<br />
vom Streichholz zum Kerzendocht und brennt dort weiter. Die<br />
Schülerinnen sind überrascht: „wow“, „boah“, rufen sie beide –<br />
sich überlagernd. Dabei schauen sie sich an, dann wieder auf die<br />
immer noch brennende Kerze. In den folgenden Minuten müssen<br />
S#1 und S#2 den „Flammensprung“ nun mehrmals „vorführen“, da<br />
inzwischen andere Schüler*innen darauf aufmerksam geworden<br />
sind und zu den beiden an den Experimentiertisch kommen […].<br />
Auch zu zweit, also ohne weitere Beobachter*innen, wiederholen<br />
sie den „Flammensprung“ noch einige Male. S#1 wirft die Frage<br />
auf, wie schnell und wie lange sie das Streichholz in den Wachsnebel<br />
halten muss, damit der „Flammensprung“ gelingt. Gerade als<br />
sie ansetzen, um die Kerze und ein Streichholz erneut anzuzünden<br />
bzw. die Kerzenflamme zu ersticken – vermeintlich, um sich die<br />
o. g. Variationen auszuprobieren –, bittet G#2, die den Gofex-Tag<br />
leitet, darum, aufzuräumen und sich für die Pause bereit zu machen<br />
(Jacken anziehen, Getränk und Essen bereithalten usw.).<br />
Die Schülerinnen S#1 und S#2 beenden ihr Experimentieren/ihre<br />
Auseinandersetzung mit dem „Flammensprung“ und räumen die<br />
Materialien weg. Nach der Pause findet eine Reflexionsrunde im<br />
Sitzkreis statt. Dort berichten sie nicht vom „Flammensprung“. In der<br />
folgenden Experimentierphase beschäftigen sie sich mit einer anderen<br />
Experimentieraufgabe. Ihre geplanten Variationen (s. o.) setzen<br />
sie dagegen nicht mehr um.<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
7
Thema: Pausenkulturen<br />
plant; s. o.). Nach der Pause beginnen sie<br />
mit einer neuen Aufgabe und einem anderen<br />
Versuch/Phänomen.<br />
Fazit<br />
Von außen festgesetzte, vorgeschriebene<br />
und für alle Schüler*innen verpflichtende<br />
Pausen kommen eigentlich nie zum<br />
richtigen Zeitpunkt. Weder allgemeingrundschuldidaktisch<br />
oder grundschulpädagogisch<br />
betrachtet (hinsichtlich<br />
der individuellen Bedürfnisse nach<br />
Erholung, Bewegung oder Zerstreuung)<br />
noch aus einer fachdidaktischen Perspektive<br />
(hinsichtlich der individuellen Interessen<br />
und Lern- bzw. Erkenntnisprozesse<br />
der Schüler*innen). Ableitung oder Konsequenz<br />
wäre m. E. eine weiterreichende<br />
Mitbestimmung von Pausenzeiten:<br />
● Minimalanspruch: Kinder dürfen<br />
weiterlernen/-arbeiten, wenn sie gerade<br />
nicht in die festgelegte, aber nicht mehr<br />
verpflichtende Pause wollen. Sie werden<br />
nicht „gezwungen, auf dem Pausenhof<br />
zu spielen ([…] bewusst polarisierende<br />
Ausdrücke, um zu zeigen, dass hierarchische<br />
und demokratische Prinzipien<br />
oftmals unbewusst transportiert werden)“<br />
(Peschel 2016: 3).<br />
● Idealanspruch: Es gibt keine speziellen,<br />
allgemein verordneten Pausenzeiten<br />
mehr, sondern Schüler*innen (ob<br />
einzeln oder in Gruppen) machen dann<br />
Pause, wenn sie es benötigen – sei es<br />
physiologisch oder psychosozial – bzw.<br />
es aus Gründen des individuellen Lernbzw.<br />
Erkenntnisprozesses inhaltlich<br />
angebracht ist.<br />
Mit dieser Ideallösung gehen m. E.<br />
neue Schwierigkeiten einher, z. B.:<br />
● Wie werden Lehrer*innenwechsel<br />
zwischen Klassen oder Fächern ermöglicht,<br />
wenn nicht mehr alle Klassen/alle<br />
Schüler*innen gleichzeitig eine Wechselpause<br />
haben?<br />
● Wie lassen sich Fachräume (Sporthalle,<br />
Naturwissenschaftsraum, Musikraum)<br />
nutzen, wenn bislang (auch) aufgrund<br />
eines Raumbedarfs auf Stunden<br />
und damit auf Pausen und Wechsel abgeleitet<br />
wird?<br />
● Wie wird die Aufsicht geregelt, wenn<br />
Schüler*innen individuelle Pausen machen?<br />
● Wo legen sie diese individuellen Pausen<br />
ein?<br />
Diese unvollständige Liste verdeutlicht<br />
m. E. ein Grundproblem der Unterrichts-<br />
und Schulentwicklung: Es lässt<br />
sich schwerlich über Veränderungen isolierter<br />
Aspekte auf einer (hier: rein organisatorischen)<br />
Dimension nachdenken.<br />
Die verschiedenen Dimensionen von<br />
Unterricht (z. B. Organisation, Methode,<br />
Inhalt) stehen immer in Wechselwirkungen<br />
zueinander bzw. mit weiteren Aspekten<br />
des organisierten Lernens. Entscheidungen<br />
bzgl. der Zeitstrukturen wirken<br />
sich auf die methodischen und inhaltlichen<br />
Strukturen des Unterrichts aus (wie<br />
Vignette 1 exemplarisch aufzeigen soll).<br />
Die Frage ist: Geht es auch anders?<br />
Könnte man nicht eine (echte) Angebots-Lehr-Lern-Kultur<br />
5 entwickeln, die<br />
Kinder dann nutzen – z. B. begleitet mit<br />
Beratung von Lehrkräften. Bestandteile<br />
wären flexible, individualisierte Stunden-<br />
oder besser Lernpläne, individuell<br />
verabredete Lernziele und eine Architektur<br />
(vgl. Krawczyk in dieser Zeitschrift),<br />
die gemeinsames sowie individuelles Lernen,<br />
Rückzugsorte und Austauschmöglichkeiten<br />
bietet. Konkretere Vorschläge<br />
und Praxisbeispiele dazu liegen bereits<br />
vor, z. B. in den Bänden 152 (Ursula Carle,<br />
Stefan Kauder, Eva-Maria Osterhues-<br />
Bruns: Schulkulturen in Entwicklung)<br />
oder 153 (Markus Peschel: Didaktik der<br />
Lernkulturen) des Grundschulverbandes.<br />
„Wenn aber nicht mehr das Lehren oder<br />
Unterrichten das zentrale Ziel von Schule<br />
ist, sondern das Lernen der Kinder die Ausbildung<br />
einer neuen Schulkultur bedingt, ist<br />
es erforderlich, sich über Formen der Aneignung<br />
von Kompetenzen auszutauschen<br />
und sich ggf. zu besinnen, wie Kinder, sofern<br />
man sie lässt, lernen“ (Peschel 2021: 22).<br />
Anmerkung<br />
1) Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert<br />
dauerte eine Schulstunde noch 60 Minuten.<br />
Unterricht fand außerdem vormittags und<br />
nachmittags statt, unterbrochen durch eine<br />
dreistündige Pause. Die Verkürzung auf 45<br />
Minuten erließ der Preußische Kultusminister<br />
August von Trott zu Solz 1911. Zum einen<br />
wurden mit dem Erlass zeitaktuelle Erkenntnisse<br />
der experimentellen Psychologie umgesetzt<br />
(die 60-Minuten-Taktung begünstigte<br />
nachweislich die Ermüdung der Schulkinder),<br />
zum anderen erfolgte die Verkürzung<br />
aus Spargründen und in Zusammenhang<br />
mit der Besoldung/Bezahlung der Lehrkräfte<br />
(vgl. Kluth 2018).<br />
2) Im Forschungsprojekt doing AGENCY<br />
wurde die Aushandlung von Selbstbestimmung<br />
beim aufgabenbasierten (Offenen)<br />
Experimentieren untersucht. Dazu wurden<br />
Schulklassenbesuche im Grundschullabor<br />
für Offenes Experimentieren (GOFEX) – sog.<br />
GOFEX-Tage – teilnehmend beobachtet.<br />
Beobachtungsprotokolle wurden anschließend<br />
mittels Grounded Theory Kodierverfahren<br />
ausgewertet (vgl. Strauss & Corbin<br />
1996; Glaser & Strauss 2010; Kihm & Peschel<br />
2017). Ergebnis ist eine Grounded (also in<br />
empirischen Daten gegründete) Theory, die<br />
die soziale Verursachtheit von Selbstbestimmung<br />
erklärt und Selbstbestimmungsaushandlungsprozesse<br />
(das doing AGENCY) als<br />
komplexe Interaktionen zwischen verschiedenen<br />
Akteur*innen (Schüler*innen, Lehrpersonen,<br />
GOFEX-Mitarbeitende) und den<br />
jeweiligen Phänomenen/Sachen im Experimentierprozess<br />
rekonstruiert. Verschiedene<br />
weitere situative Kontextbedingungen beeinflussen<br />
den Aushandlungsprozess, u. a. die<br />
Materialien, der Raum, aber eben auch Zeitstrukturen<br />
der Experimentier-Lehr-Lern-<br />
Situation, wie sie etwa Pausen darstellen.<br />
3) Der beobachtete GOFEX-Tag fand mit<br />
einer dritten Schulklasse zum Thema „Feuer“<br />
statt. Die Namen aller Akteur*innen wurden<br />
pseudonymisiert. Der Titel „Flammensprung“<br />
wird in der Vignette verwendet, um<br />
das entsprechende Phänomen/den Versuch<br />
eindeutig zu bezeichnen: Eine Kerze wird,<br />
nachdem sie einige Minuten gebrannt hat,<br />
mittels Kerzenlöscher erstickt. In den aufsteigenden<br />
Wachsnebel wird ein brennendes<br />
Streichholz gehalten. Eine kleine Flamme<br />
springt vom Streichholz auf den Kerzendocht<br />
über (und bildet sich dort kurz nach dem<br />
Überspringen wieder voll aus) (vgl. Geiss<br />
2017: 53 f.).<br />
Der dreistündige GOFEX-Tag wurde von<br />
Seiten der GOFEX-Mitarbeitenden wie folgt<br />
rhythmisiert: Auf einen gemeinsamen Einstieg<br />
(Demonstrationsexperiment; 30 min)<br />
folgten eine Experimentierphase (30 min)<br />
und eine gemeinsame Pause (15 min). Nach<br />
der Pause fand eine gemeinsame Zwischenreflexion<br />
statt (15 min), auf die eine zweite,<br />
längere Experimentierphase (60 min), das<br />
gemeinsame Aufräumen (10 min) und eine<br />
Abschlussreflexion (20 min) folgten.<br />
4) Aus Platzgründen hier nur verkürzt (und<br />
ohne Analyse bzw. Wertung/Einordnung vor<br />
dem Hintergrund des didaktischen GOFEX-<br />
Konzepts): GOFEX-Mitarbeiter G#1 bespricht<br />
die Versuchsanleitung sukzessive mit<br />
den beiden Schülerinnen und leitet auch die<br />
Umsetzung schrittweise an.<br />
5) Dies meint keine ökonomisierte Vorstellung<br />
von Lehr-Lern-Prozessen, wie sie<br />
im Angebot-Nutzungs-Modell von Helmke<br />
(2017) entwickelt wird und die trotz aller Bemühungen<br />
um Differenzierung doch wieder<br />
allen Schüler*innen ein Angebot macht, das<br />
manche eben besser als andere nutzen (vgl.<br />
zur ausführlichen Kritik am Angebot-Nutzungs-Modell<br />
auch Gruschka 2011).<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/<strong>GSa163</strong>Lit<br />
8 GS aktuell 163 • September 2023
Thema: Pausenkulturen<br />
Adrian Krawczyk<br />
Schule als guter Ort, auch in der Pause<br />
„Die Pause“ ist häufig mit der Idee verknüpft, eine „Oase der Freiheit“ zu sein:<br />
Der Unterricht wird unterbrochen und man kann den eigenen Bedürfnissen und<br />
Neigungen nachgehen, mit Freunden spielen, rennen, toben, quatschen. Soweit<br />
die idealisierte Vorstellung. Oder: Ist die Pause doch ein Mittel zum Zweck, um<br />
die Lernfähigkeit zwischen den disziplinierenden Lerneinheiten zu steigern?<br />
Pausengefühle sind vielschichtig.<br />
Pausen können das „Beste“ an<br />
Schule sein oder den „Flow“ jäh<br />
abreißen lassen. Sie können Ausgrenzung<br />
bedeuten, im Guten und Schlechten den<br />
Raum für (Wett-)Kampf eröffnen, oder<br />
wertvolle Unterrichtszeit „rauben“, wenn<br />
nach ihr z. B. erst Streitigkeiten<br />
geschlichtet oder nasse Sachen<br />
gewechselt werden müssen. Pausen können<br />
unterschiedlich bewertet, auch in<br />
ihrer Bedeutung unterschätzt werden. In<br />
der Pause kann man sich erholen,<br />
zugleich fordert sie aber auch oft heraus:<br />
Man muss in der Gruppe bestehen, sich<br />
einordnen oder behaupten. Oder man<br />
erfährt Anerkennung, vielleicht erlernt<br />
man wertvolle „skills“ und „moves“, riskiert<br />
etwas, verliert sich im Spiel und<br />
wächst über sich hinaus. Mehr oder<br />
weniger kontrolliert, entsteht Raum für<br />
Erfahrungen im dynamischen Miteinander,<br />
den Unterricht so nicht bieten<br />
kann, der aber einen wichtigen Beitrag<br />
für Sozialisierungsprozesse und Persönlichkeitsentfaltung<br />
liefert. Misst man „der<br />
Pause“ einen relevanten Wert jenseits der<br />
lernoptimierenden Unterbrechung von<br />
Unterricht zu, wird sie zum pädagogischen<br />
Handlungsfeld. Tut man das, muss<br />
sich konsequenterweise auch die Haltung<br />
bzw. die Einstellung zu Raum und Zeit<br />
ändern.<br />
Der dritte Pädagoge geht<br />
(nie) in die Pause<br />
Welche Rolle spielt der Ort der Pause?<br />
Der Raum ist der „dritte Pädagoge“ –<br />
auch in der Pause, denn er kann ja gar<br />
nicht anders als wirken. Im Idealfall hat<br />
er viel zu bieten, für alle Personen und<br />
für alle Bedürfnisse. Der Raum könnte<br />
neben seiner Qualität für Lernsettings<br />
auch danach bemessen werden, wie er<br />
auf den außerunterrichtlichen Bereich<br />
wirkt und welche weiteren Angebote er<br />
für Kinder über den ganzen Tag bieten<br />
kann.<br />
● Ist alles vorhanden, was zu einem gut<br />
ausbalancierten Wechsel zwischen Anund<br />
Entspannung (neben Lernen auch<br />
Spielen, Toben und Entspannung) dazugehört?<br />
● Wie steht es um die Atmosphäre?<br />
● Gibt es Lieblingsplätze, Aussichtsplätze,<br />
Schlupfwinkel, um abzutauchen,<br />
ausreichend Terrain für Abenteuer?<br />
● Finde ich den passenden Platz zu<br />
meinen Bedürfnissen?<br />
● Fühle ich mich an diesem Ort gut<br />
aufgehoben, kann ich mich mit ihm<br />
identifizieren, kann ich mitgestalten?<br />
● Habe ich genügend freie Räume,<br />
Freiräume?<br />
Diese Fragestellungen werden spätestens<br />
2026 an Relevanz gewinnen, wenn<br />
der Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung<br />
in Kraft tritt. Im Ganztag ist nicht<br />
nur die Mittagsverpflegung als „Pause“<br />
zu organisieren, sondern die gesamte<br />
Zeit rund um den Unterricht bekommt<br />
einen ganz anderen Stellenwert. Der<br />
Ganztag verschärft den Anspruch an den<br />
Ort Schule, der nun über den ganzen<br />
Tag das Zuhause der Kinder mit allen<br />
Konsequenzen darstellt. Mehr „Schul-<br />
Zeit“ wird schnell verkürzend mit ergänzenden<br />
Bildungsangeboten, wie z. B.<br />
kulturellen und musikalischen Angeboten<br />
verbunden. Kinder haben aber auch<br />
ein Recht auf Spiel, Freiheit und Erholung<br />
(Artikel 31, UN-Kinderrechtskonvention)<br />
– also auf „Pause“, und ihr wird<br />
Raum gegeben werden müssen. Das betrifft<br />
die zeitliche Dimension – als Frei-<br />
Spiel-Zeit –, aber auch den Ort.<br />
Schule wird ein guter Ort, wenn man<br />
vielfältige Lern- und Erfahrungsräume<br />
anbieten kann. Ein Pausenraum oder ein<br />
Außenspielgerät wird diesem Anspruch<br />
alleine nicht gerecht werden können.<br />
Will man z. B. Rückzug, Spiel und Bewegung,<br />
besser noch Selbstwirksamkeit<br />
ermöglichen, steht man vor der schwierigen<br />
Aufgabe, wo und wie man das in<br />
begrenzten Spielräumen erreichen will.<br />
Hat man sich von der oft vergeblichen<br />
Forderung nach Extrafläche irgendwann<br />
verabschiedet, wird man mit dem Vorhandenen<br />
arbeiten müssen und schnell<br />
beim Selbstverständnis von Schule und<br />
der eigenen Haltung ankommen. Schulen<br />
sind für Lernsettings optimiert und<br />
auf Kontrolle geeicht. Was könnte man<br />
darüber hinaus anbieten? Wie erweckt<br />
man z. B. Außenraum, Pausenhalle,<br />
Speiseraum oder auch Unterrichtsräume<br />
zum „Leben“? Gestaltung ist dabei<br />
die eine Komponente, wofür Schulen sicher<br />
ein Budget brauchen, und es lohnt<br />
sich, Gestaltungskompetenz von außen<br />
zu holen. Hinzu kommt die systemische<br />
Dimension bei der Schulgestaltung. Was<br />
darf ich? Wer unterstützt mich? Was<br />
steht meiner Idee/einer Umsetzung im<br />
Weg (Brandschutz, Denkmalpflege, Reinigung)?<br />
Eine besondere Herausforderung<br />
liegt aber woanders. Sie beginnt dort,<br />
wo Selbstverständliches in Frage gestellt<br />
und geändert werden will. Wie sieht es<br />
beispielsweise mit der Auslastung und<br />
Adrian Krawczyk<br />
ist Architekt und seit 2010 mit dem<br />
Thema „Ganztägigkeit“ im Spannungsfeld<br />
von Flächennutzung und Pädagogik<br />
bei der Hamburger Behörde für<br />
Schule und Berufsbildung beschäftigt.<br />
Als Referent unterstützt er im Referat<br />
für Ganztag-, Struktur- und Prozessentwicklung<br />
die qualitative Weiterentwicklung<br />
von Raumkonzepten an<br />
Schulen und verantwortet Förderprogramme<br />
an der Schnittstelle von<br />
Pädagogik und Raum.<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
9
Thema: Pausenkulturen<br />
Zugänglichkeit von Flächen aus? Sind<br />
sie eher kurze Zeit exklusiv für einen<br />
ausgewählten Teil oder von vielen über<br />
den ganzen Tag nutzbar und attraktiv?<br />
Wer darf welche Fläche wann nutzen?<br />
Teile ich Fläche, reduziere ich meinen<br />
Anspruch zu Gunsten von Vielfalt? Wie<br />
viel Freiheit lasse ich den Schüler*innen?<br />
Was bin ich bereit zu riskieren?<br />
Diese Fragen eröffnen immer wieder<br />
Spannungsfelder, mit denen man sich<br />
bewusst konfrontieren muss und die<br />
gemeinschaftlich ausgehandelt werden<br />
wollen.<br />
Schule zu einem guten Ort zu entwickeln,<br />
bedarf eines Schulentwicklungsprozesses,<br />
der häufig Impulse und Hilfestellung<br />
von außen braucht. Es wird<br />
schnell klar werden, dass es nicht allein<br />
um die Gestaltung einzelner Räume<br />
(Lernräume, Pausenräume) gehen<br />
kann. Das Prädikat „Lebensraum Schule“<br />
ist erst dann authentisch, wenn der<br />
gesamte Standort, dessen Organisation,<br />
ja seine Haltung, und letztlich über die<br />
Schulgrenze bis ins Quartier davon erfasst<br />
wird. Im Folgenden sollen Beispiele<br />
aus drei Bereichen konkrete Hinweise<br />
auf mögliche Handlungsfelder in Schule<br />
aufzeigen:<br />
Schulhof, ein Garten in der Stadt<br />
Bis 1981 sorgte noch eine Norm bundesweit<br />
für staubfreie, schnelltrocknende<br />
und somit befestigte Schulhofflächen.<br />
Heutzutage konkurrieren vielfältige<br />
Anforderungen und Nutzungswünsche<br />
miteinander. Befestigte Flächen rivalisieren<br />
mit dem Erfordernis von mehr<br />
Versickerungsflächen, Verschattung,<br />
dem Wunsch nach Naturflächen, Sandspielflächen,<br />
Außen-Sportböden. In<br />
Hamburg ist bei Neubauten und Sanierungen<br />
der Außenanlagen künftig regelhaft<br />
rund ein Drittel der Fläche naturnah<br />
zu gestalten und die Schulgemeinschaft<br />
von Beginn an zu beteiligen.<br />
Der Natur auf dem Schulhof mehr<br />
Raum zu geben, bringt nicht nur mehr<br />
„Garten“ und Versickerungsfläche in die<br />
Stadt; neben Anknüpfungspunkten für<br />
das Thema nachhaltige Entwicklung, besteht<br />
auch die Chance auf mehr Erfahrungs-<br />
und Rückzugsräume (gärtnern,<br />
verstecken, forschen). Das ist nur ein<br />
Beitrag zu der angestrebten Vielfalt an<br />
Schule. Der Ansatz entspricht den von<br />
Landschaftsarchitekten längst für den<br />
öffentlichen Freiraum verfolgten Aufgabe<br />
der Multicodierung. Unterschiedliche<br />
Interessen müssen synchronisiert<br />
und ausgehandelt werden. Das ist mühsam,<br />
bietet aber auch Chancen.<br />
Wer zum Beispiel auf dem Schulhof<br />
eine wettergeschützte Sportfläche (offen,<br />
aber überdacht) einrichten kann,<br />
wird sie sowohl für den Sportunterricht<br />
als auch in der Freizeit nutzen können.<br />
Außerdem bietet sie Wetterschutz und<br />
Verschattung bei Veranstaltungen (z. B.<br />
Flohmarkt, Feste, Konzerte) und eröffnet<br />
auf diese Weise einen Mehrwert für Begegnung<br />
und Kooperationen im Stadtteil.<br />
Auf andere Weise herausfordernd,<br />
aber wichtiger wäre es, den „Möglichkeitsraum“<br />
für Kinder zu erweitern.<br />
Mit der Verdichtung des städtischen<br />
Raumes schwinden Erfahrungsräume,<br />
mit dem Ganztag an Schule reduziert<br />
10 GS aktuell 163 • September 2023
Thema: Pausenkulturen<br />
sich der Aktionsradius von Kindern gravierend.<br />
Wo, wenn nicht an Schule, gibt<br />
es im Alltag noch Raum für Selbstwirksamkeit<br />
und phantasievolle Rollenspiele.<br />
Wer bei Kindern Entwicklung begünstigen<br />
will, muss Aneignung zulassen können<br />
und deren Eigendynamik akzeptieren.<br />
Insofern sollte man gestaltbare Bereiche<br />
schaffen, die von Schüler*innen<br />
mitgestaltet und neugestaltet werden<br />
können. Stellte man z. B. passende Flächen<br />
und Baumaterialien (z. B. Äste, Stöcke,<br />
Kisten mit Material) zur Verfügung,<br />
wäre man von dem Gestaltungswert der<br />
einfachsten Materialien schnell überrascht.<br />
Es kann passieren, dass sich nicht<br />
nur die Kleinsten, sondern bis zur vierten<br />
Klasse alle um den begehrten Abenteuerspielplatz<br />
streiten. Solche Freiräume<br />
an Schule schaffen zu wollen, wird<br />
auf verschiedenen Ebenen schnell an<br />
Grenzen stoßen. Wenn man aber Kontrollwünschen<br />
und Bedenken den Vorrang<br />
gibt, droht Kindern in der Ganztagsschule<br />
– im schlechtesten Fall – eine<br />
überbehütete Kindheit auf von Pragmatismus<br />
und Facility Management dominierten,<br />
neu normierten Schulhöfen.<br />
Wenn man die Entwicklungsdimension<br />
für Kinder nicht vernachlässigen will,<br />
wird man sich Aushandlungsprozessen<br />
auf verschiedenen Ebenen aussetzen<br />
müssen.<br />
Von der Pausenhalle<br />
zum Marktplatz<br />
Pausenhallen vermitteln nicht selten<br />
einen nüchternen Charme. Sie sind in<br />
der Regel unmöbliert und werden als<br />
Teil des Eingangsbereiches oft zu einer<br />
Art Verteilerhalle und gerne auch als<br />
Versammlungsraum genutzt. „Bestuhlt“<br />
oder leer fungieren sie als Ort für wenige<br />
Veranstaltungen im Jahr oder als<br />
Schutzraum in der Pause bei schlechtem<br />
Wetter. Den Rest der Zeit sind sie repräsentative<br />
Entrees der Schule, gekennzeichnet<br />
durch vereinzelte Vitrinen<br />
und Pflanzen. Wenn man sich jedoch<br />
das Missverhältnis zwischen Flächenangebot<br />
und Auslastung vergegenwärtigt,<br />
wird man kreativ und vielleicht<br />
kompromissbereiter werden wollen.<br />
Man kann Angebote schaffen, z. B.<br />
dadurch, dass zumindest die Ränder<br />
eingerichtet werden und für die Fläche<br />
mobile Elemente zum Einsatz kommen.<br />
In der Schule Traberweg sind es abstrahierte,<br />
unterschiedlich große „Hütten“<br />
auf Rollen, die ineinandergeschoben<br />
und für Veranstaltungen weggefahren<br />
werden können. Eingerichtet werden<br />
sie mit leicht wegzutragenden weichen<br />
Sitzelementen oder einer Sitzgarnitur.<br />
Die große Halle wird zoniert, in ihrem<br />
Maßstab gebrochen und neu auf vielerlei<br />
Weise anschlussfähig. Auch die Bühne<br />
eröffnet eine weitere Auftrittsmöglichkeit;<br />
Sitzsäcke verwandeln die Fläche<br />
zu einer gemütlichen „Empore“. Das<br />
Konzept folgt der Idee eines Marktplatzes:<br />
Der zentrale Platz in der Schule wird<br />
zum Treffpunkt über den ganzen Tag.<br />
Auch in der Pause? Immer wieder<br />
werden in Bezug auf Schule und Ganztagsbildung<br />
Partizipation und Freiwilligkeit,<br />
die Möglichkeit, selbstbestimmt<br />
entscheiden zu können, als wichtige Gelingensfaktoren<br />
für Bildungsprozesse betont.<br />
Wo bleibt diese Überzeugung aber<br />
in der Pause, wenn Kinder grundsätzlich<br />
auf den Schulhof „genötigt“ werden?<br />
Könnte die Freude über die Ausnahme,<br />
in der „Regenpause“ auch mal<br />
nicht nach draußen zu müssen, eine<br />
Sehnsucht danach sein, auch Innenräume<br />
für das eigene Spiel nutzen zu können,<br />
sie sich erobern zu dürfen, sie zum<br />
Ort „für sich“ zu machen?<br />
Wie will eine Institution Kindern<br />
und Jugendlichen, die sie fördern will,<br />
das Empfinden vermitteln, angenommen<br />
und willkommen zu sein, wenn<br />
sie Kinder immer dann, wenn die Institution<br />
sie gerade nicht als Schüler*innen<br />
betrachtet, aussperrt? So wird die<br />
„Oase der Freiheit“ (Pausenhof) zu<br />
einem Ort, der letztlich wieder von<br />
Fremdbestimmung geprägt ist.<br />
Die Aula: Der zentrale Platz<br />
in der Schule wird zum Treffpunkt.<br />
Bestückt mit<br />
abstrahierten, unterschiedlich<br />
großen „Hütten“ auf<br />
Rollen, die ineinandergeschoben<br />
und für Veranstaltungen<br />
weggefahren<br />
werden können. Eingerichtet<br />
werden sie z. B. mit leicht<br />
wegzutragenden weichen<br />
Sitzelementen oder einer<br />
Sitzgarnitur.<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
11
Thema: Pausenkulturen<br />
Ein kleines Beispiel aus einer inklusiv<br />
arbeitenden Grundschule könnte<br />
die These bestätigen. Jahrgangsbezogen<br />
dürfen „Inklusionskinder“ in der großen<br />
Pause in der Aula spielen. Jedes „Inklusionskind“<br />
darf ein Kind ohne besonderen<br />
Status mitnehmen. Das Angebot ist<br />
so begehrt, dass sich aufgrund der großen<br />
Attraktivität des besonderen Spielortes,<br />
das Rollenverständnis in der „(Inklusions)-Pause“<br />
vom passiven Benachteiligten<br />
zur aktiven Schlüsselfigur umkehrt<br />
und Anlass für gelebte Inklusion<br />
wird (vgl. dazu auch den Beitrag von<br />
Hoffmann in dieser Zeitschrift).<br />
Für Nachmittagsangebote ist die Nutzung<br />
der Innenräume selbstverständlich<br />
und attraktiv, steht aber oft in Konkurrenz<br />
zum disziplinierenden Bildungsinstitut.<br />
Auch hier sind Freiräume auszuhandeln.<br />
Speiseraum = Mittagstisch plus X<br />
Mit einer gesicherten Schulverpflegung<br />
hat man eine große Hürde auf den Weg<br />
zur Transformation von der Halbtagsschule<br />
zur Ganztagsschule genommen.<br />
Der Bau von Küche und Speiseraum<br />
sind strukturelle Voraussetzungen für<br />
den Ganztag. Das Thema Schulverpflegung<br />
ist aber viel komplexer, als die<br />
Bereitstellung von Funktionsräumen<br />
suggeriert. Schon über Küchentyp, Ausgabesystem<br />
und Organisation ließe sich<br />
viel berichten, von Elternansprüchen<br />
ganz zu schweigen. An dieser Stelle<br />
soll daher nur weitergedacht werden,<br />
was bereits Thema war: Atmosphäre,<br />
Auslastung und Freiraum für Selbstbestimmung.<br />
Aus Sicht des Gebäudemanagements<br />
wird der Reinigungsaufwand die wichtigste<br />
Rolle spielen. Am besten eignen<br />
sich Stühle mit Griffmulde in der Rückenlehne,<br />
die mit einem Handgriff auf<br />
den Tischrand gehoben werden können.<br />
Oder es werden mobile 12er-Klapptische<br />
eingesetzt, sodass das vorhandene Raumangebot<br />
besser für die Schule über die<br />
Schulverpflegung hinaus genutzt werden<br />
kann. Für durchgetaktete Essenseinnahme-Schichten<br />
optimiert, erfüllt der mit<br />
gleichen Tischreihen organisierte Raum<br />
seinen dienenden Zweck. Von Pragmatismus<br />
geleitet, schrumpft aber im gleichen<br />
Maße die Chance auf Atmosphäre<br />
und Aufenthaltsqualität, bis davon kaum<br />
etwas übrig bleibt. In Hamburg haben<br />
Selbstbestimmt mittags Pause machen<br />
(Björn Steffen, Referent für Schulcatering und Mittagsverpflegung, BSB Hamburg)<br />
Die Mittagspause sollte davon gekennzeichnet sein, für sich selbst und das eigene<br />
Wohlergehen Entscheidungen treffen zu können. Fremdbestimmung ist auf ein Minimum<br />
zu reduzieren, Überpädagogisierung zu vermeiden und die individuell unterschiedlichen<br />
Bedürfnislagen sind zu berücksichtigen.<br />
Wenn dies eine gemeinsame Haltung von Schule und Jugendhilfe ist, kann der Speiseraum<br />
für die Mittagsverpflegung an der Ganztagsschule so gestaltet werden, dass<br />
für alle Schüler*innen eine echte Pause mit ganz eigener Qualität entstehen kann. In<br />
einem solchen Setting werden keine Vorschriften gemacht, sondern Rahmenbedingungen<br />
geschaffen, die die Autonomie und das Wachstum von Kindern und Jugendlichen<br />
fördern. Dies findet nicht in einem ungeregelten Raum statt, sondern stellt<br />
hohe Anforderungen an die pädagogische Begleitung in der Pause.<br />
Gemeinsam mit dem Caterer und Fachplaner*innen sind strukturelle Bedingungen<br />
zu schaffen, in denen sich die Gäste in der Schulverpflegung wohlfühlen. Es ist über<br />
schulorganisatorische Rahmenbedingungen (Rhythmisierung, Angebotsstruktur) zu<br />
ermöglichen, dass für die folgenden Entscheidungen die größtmögliche Freiheit ermöglicht<br />
wird:<br />
• Wann will ich essen? (Im Rahmen eines möglichst großen Zeitfensters, idealerweise<br />
von 12–14 Uhr)<br />
• Wie lange? (Schnell essen ist erlaubt, genau wie längeres Verweilen am Tisch oder<br />
im Speiseraum)<br />
• An welchem Platz will ich essen? (Vielfältige Auswahl in der Möblierung sollte<br />
vorhanden und erreichbar sein)<br />
• Mit wem will ich essen? (Sollte selbstverständlich sein, ist es leider häufig nicht an<br />
Schule)<br />
• Was will ich essen? (Im Rahmen des möglichst vielfältigen Speiseplans)<br />
• Wie viel will ich essen und wie oft möchte ich mir Essen (nach-)nehmen?<br />
(Wird möglich durch Selbstbedienungsbuffets, von denen sich im Rahmen der<br />
maximalen Mengen beliebig oft genommen werden kann)<br />
• Was will ich probieren? (Dies wird am besten selbst entschieden, angeregt durch<br />
gute Beispiele aus der selbst gewählten Peer-Group. Das bevorzugte Ausgabesystem<br />
ist Free Flow (Selbstbedienungsbuffets).)<br />
sich Schulen im Rahmen der Ganztags-<br />
Qualitätsentwicklung auf den Weg gemacht<br />
und versuchen, den Speiseraum<br />
mit externer Planungskompetenz zu<br />
einem Verweilort zu entwickeln. So kann<br />
die Kantine als Gemeinschaftsraum zum<br />
Identifikations- und Ankerpunkt für die<br />
Schule über den ganzen Tag werden.<br />
Zonierungen mit unterschiedlicher Bestuhlung,<br />
anderer Beleuchtung, Dekoration<br />
oder eventuell sogar einem Kinderkochstudio<br />
(Küchenzeile, die unabhängig<br />
von der Caterer-Küche nutzbar ist)<br />
schaffen eine Infrastruktur und das notwendige<br />
Ambiente für einen lebendigen<br />
Ort, der von Lernen bis Feiern über den<br />
ganzen Tag alles ermöglicht. Wenn dann<br />
noch Freiräume (siehe Kasten) eröffnet<br />
werden, dann besteht die Chance auf<br />
einen Beitrag des „dritten Pädagogen“<br />
an einem guten Ort.<br />
Literatur<br />
Behr, S. (2023): Naturnahe Schulgeländegestaltung.<br />
Online verfügbar unter:<br />
https://li.hamburg.de/ausserschulischelernorte/zentrum-fuer-schulbiologieumwelterziehung-zsu/naturerlebnisschulhoefe-605248<br />
(Aufruf am 23.06.2023).<br />
Hoff, M., Kaup, H. & Röhr, A. (2005):<br />
Schulhöfe – planen, gestalten, nutzen.<br />
Westfalen-Lippe: Gemeindeunfallversicherungsverband<br />
(GUVV) Westfalen-Lippe.<br />
Walther B., Nentwig-Gesemann, I. & Fried, F.<br />
(2021): Ganztag aus der Perspektive von<br />
Kindern im Grundschulalter. Eine<br />
Rekonstruktion von Qualitätsbereichen und<br />
-dimensionen (3. Aufl.). Gütersloh: Verlag<br />
Bertelsmann Stiftung.<br />
Zimpel, A. F. (2014): Einander helfen.<br />
Der Weg zur inklusiven Lernkultur (2. Aufl.).<br />
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Verlag.<br />
12 GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
Gabriele Klenk<br />
Mach mal Pause! – Gedankensplitter<br />
zu einem vernachlässigten Thema<br />
Über 40 Jahre war mein Berufsfeld die Grundschule. Immer war hierbei der<br />
herkömmliche Unterrichtsalltag neben vielen anderen Aufgaben geprägt von<br />
Unterrichtszeiten und sogenannten Pausen. An manchen Schulen gibt es auch<br />
heute noch „große“ und „kleine“ Pausen von 30 oder 15 Minuten Länge. In diesem<br />
Beitrag möchte ich die Pausen in ihrer Vielfalt aus der Sicht einer Lehrkraft<br />
sowie der einer Schulleiterin beschreiben und damit aufzeigen, dass „Pausen“<br />
auch ein besonderes Konfliktpotenzial mitbringen.<br />
Mit „gutem Unterricht“ beschäftigen<br />
wir Lehrkräfte uns<br />
immer wieder, reflektieren<br />
gemeinsam darüber und versuchen, diesen<br />
weiterzuentwickeln. Zwischen den<br />
Unterrichtszeiten gibt es aber in den<br />
meisten Schulen ein akustisches Zeichen<br />
mit fast magischer Kraft, „den<br />
Pausengong“. Und mit ihm ist eine<br />
Menge an Hoffnungen, Erwartungen<br />
und Wünschen aller an Schule<br />
Beteiligten verbunden. Wenn Grundschule<br />
ein Ort der Lebens- und Lernfreude<br />
für alle sein soll, braucht es den<br />
Blick auch auf diese Rituale bzw.<br />
Pausenkultur, und es ist durchaus sinnvoll,<br />
Pausen im Kollegium sowie<br />
gemeinsam mit Kindern genauso zu<br />
thematisieren, wie wir dies mit Lernzeiten<br />
tun.<br />
Pausenrealitäten von Lehrkräften<br />
Womit die „kleinen“ oder „großen“<br />
Pausenzeiten von Lehrkräften gefüllt<br />
werden können, möchte ich hier durch<br />
einige Gedanken, die sicherlich nahezu<br />
jede*r Lehrer*in schon einmal durch<br />
den Kopf gegangen sind, aufzeigen:<br />
● „Vor der nächsten Unterrichtsstunde<br />
will ich noch die Materialien von eben<br />
wegräumen, damit es nachher gut weitergehen<br />
kann.“<br />
● „Ich darf nicht vergessen, die Fenster<br />
zu öffnen, die Tafel zu wischen, das<br />
Licht auszumachen und die Tür zu verschließen.“<br />
● „Nina findet ihr Pausenbrot nicht,<br />
ich helfe ihr rasch, es zu suchen.“<br />
● „Toms Reißverschluss klemmt wieder<br />
einmal, ich gehe schnell hin und<br />
versuche mein Glück.“<br />
● „Sina will nicht in die Pause gehen,<br />
weil ein anderes Kind sie immer ärgert.<br />
Ich spreche mal mit ihr und ihren<br />
Freundinnen, was sie gemeinsam in<br />
einem solchen Fall tun könnten.“<br />
● „Nach der Pause habe ich vier Kinder<br />
mehr im Zimmer, weil ich eben erfahren<br />
habe, dass es keine Vertretung gibt.<br />
Wo finde ich in der Pause nun die fehlenden<br />
Stühle?“<br />
● „Meine erstellten Kopien für den<br />
Unterricht reichen nicht für die Vertretungskinder,<br />
hoffentlich ist der Kopierer<br />
frei, dass ich schnell noch nachkopieren<br />
kann.“<br />
● „Die Fachlehrkraft für Werken meiner<br />
Klasse ist nur heute im Haus, da<br />
muss ich sie rasch etwas fragen, bevor<br />
ich sie nicht mehr erreichen kann.“<br />
● „Mario hat wieder keine Sportsachen<br />
dabei. So geht das nicht weiter, ich rufe<br />
mal zu Hause an.“<br />
● „Sina klagt seit einer Stunde über<br />
Bauchschmerzen und hat eindeutig Fieber.<br />
Ich versuche, ihre Eltern telefonisch<br />
zu erreichen, dass sie abgeholt wird.“<br />
● „Moritz behauptet, er dürfe heute<br />
nach der Schule nach Hause gehen statt<br />
in den Hort. Vielleicht hat die Sekretärin<br />
hierzu einen Anruf erhalten? Ich<br />
frage mal nach.“<br />
● „Im Lehrmittelzimmer kann ich die<br />
Materialien für den Versuch nicht finden,<br />
in der Ausleihliste ist kein Eintrag<br />
dazu. Da frage ich mal in der Pause<br />
nach, wer sie haben könnte.“<br />
● „Für meinen Unterrichtsgang brauche<br />
ich noch ein Formular. Das hole ich<br />
gleich ab, weil die Sekretärin später gar<br />
nicht mehr da ist.“<br />
● „Die Mutter von Linus hat mich im<br />
Mitteilungsheft um einen Rückruf ge-<br />
Gabriele Klenk<br />
war bis 2020 Schulleiterin einer großen<br />
Grundschule in Stein mit mehreren<br />
Schulstandorten. Sie ist Mitglied des<br />
Bundesvorstands des Grundschulverbandes<br />
und Vorsitzende der Landesgruppe<br />
Bayern.<br />
beten. Ich versuche es in der Pause,<br />
nachmittags ist sie selten zu erreichen.“<br />
● „Eigentlich müsste ich schon seit<br />
einer Stunde zur Toilette und ich möchte<br />
auch noch etwas essen und trinken.“<br />
● „Heute ist Pausenkonferenz, die darf<br />
ich keinesfalls vergessen und muss<br />
mich beeilen.“<br />
● „Vielleicht kann mir jemand aus dem<br />
Kollegium sagen, welche Ergotherapeutin<br />
ich den Eltern von Tina empfehlen<br />
kann?“<br />
● „Irgendwann in dieser Woche ist<br />
doch auch Feueralarm, ich muss in der<br />
Pause auf dem Plan nachsehen.“<br />
● „Heute habe ich Pausenaufsicht, da<br />
muss ich mich beeilen, dass ich rechtzeitig<br />
auf den Pausenhof komme.“<br />
● „Jetzt regnet es, da ist „Zimmerpause“.<br />
Und dabei wollte ich doch kurz in<br />
der Schule meines eigenen Kindes anrufen<br />
und um einen Gesprächstermin<br />
bitten.“<br />
● „Peter ist hingefallen und blutet am<br />
Knie, das Sekretariat ist heute geschlossen.<br />
Da hole ich ihm selbst ein Pflaster<br />
aus dem Medikamentenschrank.“<br />
● „In der nächsten Stunde habe ich<br />
im anderen Schulhaus Unterricht. Da<br />
muss ich mich beeilen, pünktlich wegzukommen.“<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
13
Praxis: Pausenkulturen<br />
● „Nach der Pause habe ich mit meiner<br />
Klasse Sport und muss mit dem Bus zur<br />
Sporthalle fahren, der Bus fährt bereits<br />
in der Pause los. Hoffentlich finden alle<br />
Kinder rasch ihre Sportsachen.“<br />
Als Schulleiterin habe ich deutlich gespürt,<br />
dass Kolleg*innen diese kurzen<br />
Zeiten dringend zum „Durchschnaufen“<br />
benötigen würden. Diese Pausenzeiten<br />
haben im Kollegium jedoch kaum zur<br />
erwarteten Entspannung geführt, sondern<br />
waren einerseits belastet durch die<br />
vielen Vorhaben der einzelnen Lehrkraft<br />
selbst, andererseits auch immer wieder<br />
durch eine Vielfalt von unvorhergesehenen<br />
Ereignissen, die der Schulalltag mit<br />
sich bringt.<br />
Und in genau diesen Pausenzeiten<br />
musste ich als Schulleiterin häufig auch<br />
noch mit weiteren Anliegen an Kolleg*innen<br />
herantreten …<br />
Pausenrealitäten von<br />
Schulleitungen<br />
Viele Lehrkräfte sind in Teilzeit und<br />
damit an manchen Tagen nicht und<br />
an anderen Tagen nur stundenweise<br />
im Schulhaus. Sie sind evtl. weder vor<br />
8.00 Uhr wegen der Aufsichtspflicht<br />
im Klassenzimmer noch nach Unterrichtsschluss<br />
um 13.00 Uhr vor Ort zu<br />
erreichen. Während der Unterrichtszeit<br />
sollten weder Lehrkräfte noch Schüler*innen<br />
durch mich gestört werden.<br />
Es bleiben also nur wenige Zeiten – die<br />
Pausen –, um mit einzelnen Kolleg*innen<br />
oder dem Kollegium in einen Kurzaustausch<br />
zu gelangen. Man kann zwar<br />
argumentieren, dass der Berufsalltag<br />
von Lehrkräften nicht nur aus Unterrichtszeiten<br />
(und Pausen) besteht, und<br />
sie auch an anderen Zeiten am Vormittag<br />
oder Nachmittag für wichtige<br />
Anliegen erreichbar sein müssen.<br />
Warum Schulleitungen aber eben in den<br />
Pausenzeiten auf Kolleg*innen zugehen<br />
müssen, zeigen Gedanken, die sicherlich<br />
nicht nur mir als Schulleiterin durch<br />
den Kopf gegangen sind:<br />
● „Jetzt hatte ich die Vertretung für<br />
die beiden Klassen bereits geplant, den<br />
Kolleg*innen mitgeteilt und den Elternbrief<br />
zur veränderten Unterrichtszeit geschrieben,<br />
nun ist ein zusätzlicher Kollege<br />
krank und der Ersatzplan für morgen<br />
muss erneut geändert werden. Ich bitte<br />
die Lehrkräfte in der Pause, den Kindern<br />
die neuen Zeiten notieren zu lassen.“<br />
● „Die Eltern von Sina haben bei mir<br />
angerufen und sich bitter über die<br />
Lehrkraft beschwert. Sie fordern ein rasches<br />
Gespräch mit ihr und mir, sonst<br />
wenden sie sich ans Schulamt. Ich muss<br />
schnell Terminvorschläge bei der Lehrkraft<br />
einholen, hoffentlich finden wir<br />
überhaupt einen gemeinsamen Termin.“<br />
● „Gerade hat die Fachlehrkraft angerufen<br />
und sich krankgemeldet, die nach<br />
der Pause die Klasse von Frau Müller<br />
übernehmen sollte. Nun muss ich Frau<br />
Müller bitten, die Kinder auf mehrere<br />
andere Klassen nach der Pause aufzuteilen.“<br />
● „Das Schulamt hat angerufen und<br />
darum gebeten, dass Herr Peters in der<br />
zweiten Pause zurückruft. Ich schaue<br />
mal, ob ich ihn irgendwo finden kann.“<br />
● „Die Religionslehrkraft steckt im<br />
Stau und kommt nicht rechtzeitig zum<br />
Unterricht. Da muss ich die Klassenlehrkraft<br />
bitten, die Klasse noch ein<br />
wenig zu beaufsichtigen, bevor sie nach<br />
Hause gehen kann.“<br />
● „Manche Kolleg*innen kommen in<br />
der Pause gar nicht ins Lehrerzimmer,<br />
weil sie ihre Ruhe haben wollen und im<br />
Klassenzimmer bleiben. Ich habe sie in<br />
dieser Woche noch gar nicht gesehen,<br />
das ist wirklich sehr schade.“<br />
● „Heute ist Pausenkonferenz im anderen<br />
Schulhaus, hoffentlich habe ich<br />
alle Unterlagen dabei für die Information<br />
der Lehrkräfte dort. Und nach der<br />
Pause habe ich ja dort Fachunterricht,<br />
wo habe ich meine Unterrichtsvorbereitung<br />
abgelegt?“<br />
● „Ausgerechnet jetzt, als es zur Pause<br />
klingelt und ich dringend Frau Maier<br />
Bescheid geben muss, dass Nina heute<br />
nach der Schule nicht nach Hause,<br />
sondern zur Oma gehen soll, ruft das<br />
Schulamt an. Da muss ich kurz rangehen.“<br />
● „Eigentlich würde ich mich auch mal<br />
gerne in der Pause ins Lehrerzimmer<br />
setzen, eine Tasse Kaffee trinken und<br />
etwas essen, wahrscheinlich komme<br />
ich aber nicht dazu, weil ich schon angesprochen<br />
werde, wenn ich nur mein<br />
Rektorat verlasse.“<br />
Diesen Umgang mit Pausen habe ich<br />
sowohl als Lehrkraft wie auch als Schulleiterin<br />
immer wieder erlebt. Er schien<br />
mir kaum änderbar, obwohl er viele<br />
Lehrkräfte und auch mich immer wieder<br />
belastet hat.<br />
Natürlich gab es auch Pausenzeiten, in<br />
denen ich mit anderen Lehrkräften herzlich<br />
lachen konnte, in denen ich fragen<br />
konnte, wie es ihren eigenen Kindern<br />
denn gerade geht, in denen ich mich erkundigen<br />
konnte, ob sie sich nach ihrer<br />
Erkrankung schon wieder fit fühlen oder<br />
ob sie für die bevorstehenden Ferien<br />
schon etwas geplant haben. Diese positiven<br />
Pausenzeiten aber waren „Glückssache“<br />
und keinesfalls planbar oder verlässlich.<br />
Pausenzeiten wurden an meiner<br />
Schule jedenfalls nicht so in den Blick<br />
genommen wie Unterrichtszeiten.<br />
Pausenzeiten für Lehrkräfte<br />
– Wie könnte das gehen?<br />
Das deutsche Arbeitszeitgesetz schreibt<br />
für acht Stunden Arbeitszeit pro Tag<br />
eine 30-minütige Pause vor. Zusätzlich<br />
können weitere Pausen vertraglich vereinbart<br />
werden. Niemand darf länger als<br />
sechs Stunden ununterbrochen arbeiten.<br />
Dies gilt auch für Lehrkräfte und ist bei<br />
einem Unterrichtsvormittag zwischen<br />
8.00 Uhr und 13.00 Uhr ja gar keine<br />
Frage, da dies unter sechs Stunden liegt<br />
(vgl. dazu auch den Beitrag von Wendsche,<br />
Varol & Ullmann in dieser Zeitschrift).<br />
Was aber bedeuten die 15 oder 30 Minuten<br />
der „kleinen“ oder „großen“ Pausen<br />
für Lehrkräfte? Sind sie Arbeitszeit?<br />
Können wir sie als „Pausenzeit“ verstehen?<br />
Genau diese Frage wäre m. E. sehr<br />
wichtig und zentral für zielführende Lösungen<br />
innerhalb eines Kollegiums. Daraus<br />
ergeben sich weitere Fragestellung,<br />
wie z.B.:<br />
● Wie sollte der Unterrichtstag strukturiert<br />
sein, dass Lehrkräfte auch „echte<br />
Pausenzeiten“ zur Verfügung haben?<br />
● Was bedeuten Pausen für die Stundenplangestaltung?<br />
● An welchem Ort kann ich mich als<br />
Lehrkraft für meine Pause zurückziehen?<br />
● Wo könnte ich Kolleg*innen zu einer<br />
entspannten Unterhaltung im kleinen<br />
Kreis treffen?<br />
● Welche Aufgaben kann ich auf andere<br />
Zeiten verlegen, damit ich „zwischen<br />
den Unterrichtsstunden“ Verschnaufpausen<br />
habe?<br />
● Was würde sich verändern, wenn wir<br />
an unserer Schule den Pausengong einfach<br />
abschalten würden?<br />
● Gäbe es Möglichkeiten, die Pausengestaltung<br />
für Kinder zu verändern,<br />
14<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
damit diese für alle stressfreier erlebt<br />
werden kann?<br />
● Was würde ein rhythmisierter oder<br />
offener Schulalltag oder auch Ganztag<br />
für Pausenzeiten verändern?<br />
● Wäre es nicht sinnvoll, sich innerhalb<br />
eines Kollegiums mit eigenen Fragen<br />
auf den Weg zu machen zu „echten<br />
Pausenzeiten“?<br />
Vielleicht sind Sie an Ihrer Grundschule<br />
dem Ziel nach Entspannungszeiten<br />
für alle (Lehrkräfte, Schulleitung und<br />
auch Schüler*innen) schon ein Stück nähergekommen?<br />
An Ihren Ideen wären<br />
sicherlich viele Lehrkräfte und Schulleitungen<br />
interessiert. Schreiben Sie uns!<br />
Gerne stellen wir Ihre Ideen in einem<br />
eigenen Beitrag zusammen und veröffentlichen<br />
sie in der nächsten Grundschule<br />
aktuell.Lehrkräfte wie auch Schulleitungen<br />
haben eine pädagogische Lernund<br />
Leistungskultur im Blick und wollen<br />
diese mitgestalten. Fangen wir damit<br />
an, auch über eine sinnvolle und gesundheitsförderliche<br />
„Pausenkultur“ miteinander<br />
ins Gespräch zu kommen.<br />
Sarah Kneis, Kira Zimmer und Markus Peschel<br />
Pausenkultur als Thema<br />
des Sachunterrichts<br />
Klickern, Fadenspiele, Reifenschlagen, Himmel und Hölle – Begriffe aus einer<br />
anderen Zeit, sowohl für Schüler*innen wie oftmals auch für Lehrkräfte. Pausenkultur<br />
hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Wo Kinder<br />
früher noch mit Murmeln spielten, sind heute andere Spielzeuge – häufig auch<br />
digitale Medien – auf Pausenhöfen vertreten. „Schule früher und heute“ ist ein<br />
Themenkomplex, der in vielen Curricula vertreten ist und von Lehrkräften gerne<br />
als Unterrichtsthema gewählt wird. Meist steht dabei im Mittelpunkt, wie der<br />
Unterricht früher stattfand – wobei „früher“ als Zeitraum weitestgehend vage<br />
bleibt. Pausen bleiben beim Thema „früher und heute“ dagegen oftmals außen<br />
vor, dabei sind sie ein wichtiger Teil des Schulalltags und somit auch der Lebenswelt<br />
von Kindern (Reuter 2015, 7). Wie kann Pausenkultur und ihre Entwicklung<br />
zeitgemäß im Sachunterricht aufgegriffen werden?<br />
Der Wandel der Pausenkulturen<br />
sollte als Unterrichtsthema<br />
möglichst vielperspektivisch im<br />
Sachunterricht thematisiert werden.<br />
Dabei spielt nicht nur die historische<br />
Entwicklung von Pausen eine Rolle,<br />
sondern auch beispielsweise die sozialwissenschaftliche<br />
Bedeutung von Pausen,<br />
gerade auch im Hinblick auf<br />
Arbeits- und Lernprozesse in verschiedenen<br />
Gesellschaftsformen. Eine<br />
solche vielperspektivische Betrachtung<br />
kann zudem sinnvoll mit einer Nutzung<br />
von digitalen Medien verknüpft werden,<br />
um neben Sach- und Fachkompetenzen<br />
auch Kompetenzen im Zusammenhang<br />
mit der Ausbildung einer digital literacy<br />
(Peschel 2022, 191) zu fördern (s. u.).<br />
Pausenkultur im Wandel<br />
Aus historischer Sicht gibt es pädagogisch-didaktische<br />
Überlegungen<br />
zu Pausen in Bezug auf Lernprozesse<br />
bereits seit Comenius, der 1632 in seiner<br />
„Großen Didaktik“ die Bedeutung<br />
von Bewegung und Erholung vom<br />
Unterricht hervorhebt (Flitner 1966,<br />
100). Während im 19. Jahrhundert<br />
die Pause vor allem zur Förderung der<br />
Arbeitsleistung als notwendig erachtet<br />
wurde, entdeckte die Pädagogik sie zu<br />
Beginn des 20. Jahrhunderts (u. a. Weimarer<br />
Republik) als Lebensraum Heranwachsender,<br />
in denen diese ihre sozialemotionalen<br />
und motorischen Kompetenzen<br />
schulen können (Osnabrücker<br />
Forschungsgruppe 2016, 38 f.). Ob sich<br />
die Schüler*innen durch Spiele, Spaziergänge<br />
oder Unterhaltungen im Sitzen<br />
oder Stehen erholen, sollte dabei freigestellt<br />
werden (Besele 1999, 58).<br />
Nach der Zeit des Nationalsozialismus,<br />
in dem die Pause vor allem einen Erziehungsschwerpunkt<br />
hatte und körperliche<br />
Aktivität im Mittelpunkt stand (Menz<br />
1997, 196 f.), dominieren seit den 1950er<br />
Jahren Fragen hinsichtlich Rhythmisierung<br />
und Taktung eines Schultages, in<br />
dem der Wechsel von Anspannung und<br />
Entspannung im Vordergrund steht (Osnabrücker<br />
Forschungsgruppe 2016, 39).<br />
Dabei kommen Pausen grundlegend<br />
drei Funktionszuschreibungen zu:<br />
● Pause als Produktionsfaktor,<br />
● Pause als Ort der Gesundheitsförderung<br />
und<br />
● Pause als Sozialraum (Osnabrücker<br />
Forschungsgruppe 2016, 40).<br />
Wie Schüler*innen ihre Pause gestalten,<br />
ist ihnen dabei weitestgehend selbst<br />
überlassen – wobei insbesondere in der<br />
Grundschule früher wie heute das Spielen<br />
und Toben im Vordergrund stehen<br />
dürften.<br />
Pausenkultur als Unterrichtsthema<br />
Als häufig genutzter Ausgangspunkt für<br />
die (sach-)unterrichtliche Auseinandersetzung<br />
mit Pausen kann das historische<br />
Lernen dienen. Dieses orientiert<br />
sich im Sachunterricht grundsätzlich an<br />
der sogenannten historischen Methode,<br />
die auch die Begegnung mit historischen<br />
Quellen umfasst und sich im<br />
Perspektivrahmen Sachunterricht unter<br />
anderem in der Historischen Methodenund<br />
Medienkompetenz widerspiegelt<br />
(GDSU 2013, 57). Insofern sollten die<br />
Schüler*innen in einem ersten Schritt<br />
im Unterricht anhand von historischen<br />
Quellen, wie etwa alten Fotos oder alten<br />
Spielgeräten und Spielsachen, Informationen<br />
sammeln, mit was sich Kinder<br />
früher in den Pausen beschäftigt<br />
haben. Dabei ist auch eine zeitliche Eingrenzung<br />
wichtig, um eine zielgerichtete<br />
Auseinandersetzung mit einer Zeitperiode<br />
bzw. Epoche anzuregen. Die<br />
Schüler*innen sollten Fragen an die his-<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
15
Praxis: Pausenkulturen<br />
Kurzbeschreibung der Online-Plattform kidipedia<br />
torischen Quellen formulieren, um sich<br />
diesen zu nähern.<br />
Möglich ist dies beispielsweise mit<br />
der Historischen Fragehand, die fünf<br />
W-Fragen vorgibt, an denen sich die<br />
Schüler*innen während der historischen<br />
Quellenarbeit orientieren können:<br />
„Was? Wer? Wann? Wo? Warum?“<br />
(Becher/Gläser 2016, 46).<br />
Es bietet sich an, auch in Hinblick auf<br />
ein mögliches Projekt zur Einladung von<br />
Zeitzeug*innen, einen Fokus auf die jüngere<br />
Vergangenheit (Großeltern- und<br />
Elterngeneration der Kinder) zu legen.<br />
Selbstverständlich können aber auch andere<br />
Zeitperioden anhand historischer<br />
Quellen beleuchtet werden, wie etwa die<br />
Pausenkultur zur Zeit von Comenius<br />
(17. Jahrhundert) oder in der Weimarer<br />
Republik. Als beispielhafte Pausenspiele<br />
könnten Murmeln (Klickern), Reifenschlagen<br />
oder Himmel und Hölle betrachtet<br />
werden, die den heutigen Kindern<br />
vermutlich wenig vertraut sind.<br />
Im Anschluss an die historische Quellenarbeit<br />
erhalten die Schüler*innen die<br />
Möglichkeit, die Spiele selbstentdeckend<br />
kennenzulernen, auszuprobieren und zu<br />
reflektieren, ob sich die Ergebnisse ihrer<br />
vorherigen historischen Quellenarbeit<br />
mit ihren eigenen Erfahrungen decken.<br />
In dieser Phase kann es zudem sinnvoll<br />
sein, die Schüler*innen mit mobilen<br />
Endgeräten (z. B. Tablets) Fotos und<br />
Videos von ihren Spielversuchen anfertigen<br />
zu lassen.<br />
Nachdem Aspekte der historischen<br />
Entwicklung von Pausenkultur anhand<br />
der Pausenspiele erarbeitet wurden, können<br />
im Sinne der Vielperspektivität in darauffolgenden<br />
Unterrichtsstunden auch<br />
andere Aspekte betrachtet werden, wie<br />
etwa zur sozialwissenschaftlichen oder<br />
auch zur naturwissenschaftlichen Perspektive<br />
des Sachunterrichts. Potenzielle<br />
Fragen dazu sind: Warum brauchen wir<br />
überhaupt Pausen? Lernen wir in Pausen<br />
auch etwas? Was passiert mit unserem<br />
Gehirn, wenn wir Pause machen?<br />
Machen Erwachsene beim Arbeiten auch<br />
Pausen? Gibt es Gesetze, die vorschreiben,<br />
dass wir Pausen machen müssen?<br />
Was wäre, wenn es keine Pausen geben<br />
würde? Gab es schon immer Pausen?<br />
Darüber hinaus ist die Einbindung in<br />
ein größeres Projekt möglich, innerhalb<br />
dessen noch weitere Themen in Bezug<br />
auf Pausenkultur zur Sprache kommen.<br />
Sinnvoll ist vor allem auch ein Vergleich<br />
zu heutigen Pausen, um den Kindern<br />
die Veränderungen oder auch die Ähnlichkeiten<br />
über die Zeit zu verdeutlichen<br />
und an ihre schul-/lebensweltlichen Erfahrungen<br />
anzuknüpfen. Ebenso könnte<br />
ein Vergleich zwischen Pausenkultur<br />
in verschiedenen Zeitepochen von den<br />
Schüler*innen erarbeitet werden. Außerdem<br />
ist es, wie bereits angeklungen, gut<br />
realisierbar, Zeitzeug*innen einzuladen,<br />
die über ihre eigene Schulzeit berichten<br />
und so den Schüler*innen einen Einblick<br />
in Oral History und den Umgang<br />
damit ermöglichen. Auch Expert*inneninterviews,<br />
beispielsweise aus der Bildungspolitik<br />
oder aus der Psychologie<br />
bzw. den Neurowissenschaften, könnten<br />
gewinnbringend in ein Projekt integriert<br />
werden, ebenso wie kreative Rollenspiele.<br />
Weitere Möglichkeiten bieten sich<br />
außerdem in Hinblick auf die Einführung<br />
und Etablierung von Pausenmediationsprogrammen<br />
oder Diskussionen<br />
über aktuelle Pausenregeln an der eigenen<br />
Schule und die demokratische Mitgestaltung<br />
durch die Schüler*innen.<br />
Pausenkultur digital<br />
dokumentieren und präsentieren<br />
Nachdem die Informationssuche und<br />
-sammlung zur historischen Pausenkultur<br />
abgeschlossen ist und auch<br />
andere vielperspektivische Aspekte<br />
betrachtet wurden, schließt sich<br />
eine Dokumentationsphase an, in der<br />
die Schüler*innen ihre Erfahrungen,<br />
Ergebnisse und Reflexionen festhalten.<br />
Als Alternative zu klassischen<br />
Präsentationsmedien, wie etwa Wandplakaten,<br />
Klassenzeitschriften etc., kann<br />
die Online-Plattform kidipedia genutzt<br />
werden. So können die Schüler*innen<br />
parallel ebenso digitalisierungsbezogene<br />
Kompetenzen erwerben, die aufgrund<br />
der Bedeutung digitaler Medien und<br />
Artefakte in der Digitalität in den sachunterrichtlichen<br />
Bildungsauftrag integriert<br />
sind (GDSU 2021, 1).<br />
Die Schüler*innen erstellen zunächst<br />
zu den jeweiligen Pausenspielen kidipedia-Beiträge<br />
mit dem Beitragseditor und<br />
erläutern zum Beispiel die Spielregeln,<br />
Besonderheiten oder Tipps und Tricks.<br />
Diese Beiträge werden nicht nur schriftlich<br />
präsentiert, sondern können auch<br />
multimedial gestaltet werden mit zuvor<br />
aufgenommenen Fotos und Videos. Ergänzend<br />
können auch historische Fotos<br />
als historische Quellen hinzugefügt werden.<br />
So ist es auch Kindern mit nur wenig<br />
(digitalen) Medienerfahrungen oder<br />
Lesefähigkeiten möglich, ihre Ergebnisse<br />
digital zu publizieren. Es ist didaktisch<br />
naheliegend, zuvor schon eine themenunabhängige<br />
Einführung in die Arbeit<br />
mit der Plattform vorzunehmen. So können<br />
die Schüler*innen im Vorfeld kognitiv<br />
entlastet werden und sich mit kidipedia<br />
und den verschiedenen Funktionsweisen<br />
vertraut machen.<br />
kidipedia fungiert als eine funktionsreichere<br />
Alternative zu analogen Präsentationsmedien.<br />
Da die Plattform als<br />
interaktives Wiki konzipiert ist, können<br />
die Kinder im Laufe der Zeit kooperativ<br />
an ihren Beiträgen weiterarbeiten und<br />
diese erweitern. Sinnvoll möglich ist<br />
16<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
förderung und als Sozialraum (Osnabrücker<br />
Forschungsgruppe 2016, 40) können<br />
Schüler*innen zudem ihre eigenen Pausengewohnheiten<br />
reflektieren und diese<br />
als ein Stück ihrer Schul- und Lebenswelt<br />
bildungswirksam erschließen.<br />
Sarah Kneis (links)<br />
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Didaktik des Sachunterrichts an<br />
der Universität des Saarlandes im Projekt kidipedia.<br />
Kira Zimmer (Mitte)<br />
ist studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Didaktik des Sachunterrichts an der Universität<br />
des Saarlandes im Projekt kidipedia.<br />
Dr. Markus Peschel (rechts)<br />
ist Professor für Didaktik des Sachunterrichts an der Universität des Saarlandes,<br />
Fakultät NT. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Digitalisierung<br />
und Medien, (Offenes) Experimentieren sowie Naturwissenschaftliche Grundbildung.<br />
dies unter anderem in Feedbackrunden,<br />
in denen sich die Schüler*innen gegenseitig<br />
kriteriengeleitet Rückmeldungen<br />
zu ihren Beiträgen geben und diese gemeinsam<br />
überarbeiten. Das Potential zur<br />
gemeinsamen (Online-)Beitragsüberarbeitung<br />
ist grundsätzlich vielfältig und<br />
kann verschiedene Schwerpunkte aufweisen:<br />
Orthografie und Grammatik,<br />
multimediale Gestaltung, fachliche Ergänzungen<br />
oder Korrekturen sowie formale<br />
Gestaltungsaspekte (Überschrift,<br />
Gliederung, Textkohärenz usw.).<br />
Ausgehend von ihren Beiträgen zu<br />
den Pausenspielen ergänzen die Schüler*innen<br />
ihre Beiträge zudem stetig um<br />
die thematisierten vielperspektivischen<br />
Aspekte zu Pausen und Pausenkultur,<br />
sodass eine Sammlung an Beiträgen zu<br />
Pausenkultur und deren Entwicklung<br />
entsteht und diese stetig weiterentwickelt<br />
und verbessert wird.<br />
Fazit<br />
Hinterbühne des Schulalltags fungieren“<br />
(Osnabrücker Forschungsgruppe 2016,<br />
37).<br />
Pausen sollten als Thema des Sachunterrichts<br />
im Sinne des Aufzeigens von<br />
Gestaltungs- und Handlungspotential<br />
– auch in Bezug auf die eigenen individuellen<br />
Bedürfnisse – aufgegriffen werden.<br />
In der Verknüpfung des Themas<br />
mit dem Einsatz von digitalen Medien,<br />
im vorliegenden Beispiel der Plattform<br />
kidipedia, ergeben sich darüber hinaus<br />
Chancen in der Förderung einer digital<br />
literacy, wie etwa das Hinterfragen der<br />
Gemachtheit von (digitalen) Informationen<br />
oder die Veränderung von (digitalen)<br />
Informationen (Kneis/Peschel 2023,<br />
245). Durch die Auseinandersetzung<br />
mit Pausenkulturen als Unterrichtsthema<br />
samt ihrer historischen Entwicklung,<br />
sozialen Funktion sowie weiteren Aspekten<br />
in Bezug auf ihre Funktionen als<br />
Produktionsfaktor, Ort der Gesundheits-<br />
Literatur<br />
Becher, A./Gläser, E. (2016): Geschichte<br />
erforschen mit historischen Quellen.<br />
Förderung historischer Methodenkompetenz<br />
mit vorstrukturierten Materialien.<br />
In: Becher, A., Gläser, E., Pleitner, B. (Hrsg.):<br />
Die historische Perspektive konkret. Begleitband<br />
2 zum Perspektivrahmen Sachunterricht.<br />
Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 40–52.<br />
Besele, S. (1999): Pausenlust statt Schulhoffrust.<br />
Management kindgerechter Geländegestaltung.<br />
Dortmund: Borgmann.<br />
Flitner, A. (1966): Grosse Didaktik.<br />
München: Küpper.<br />
GDSU (2013): Perspektivrahmen Sachunterricht.<br />
Vollständig überarbeitete und erweiterte<br />
Ausgabe. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.<br />
Kneis, S./Peschel, M. (2023): kidipedia<br />
– produzieren und konsumieren in einer<br />
Kultur der Digitalität. In: Irion, T., Peschel,<br />
M., Schmeinck, D. (Hrsg.): Grundschule und<br />
Digitalität. Grundlagen, Herausforderungen,<br />
Praxisbeispiele. Frankfurt a.M.: Grundschulverband<br />
e.V., 238–247.<br />
Menz, U. (1997): Schulbau und Schuleinrichtungen.<br />
In: Liedtke, M. (Hrsg.): Handbuch<br />
des Bayrischen Bildungswesens.<br />
Bad Heilbrunn: Eigenverlag, 187–232.<br />
Osnabrücker Forschungsgruppe (2016):<br />
Mittagsfreizeit an Ganztagsschulen. Theoretische<br />
Grundlagen und empirische Befunde.<br />
Wiesbaden: Springer VS.<br />
Peschel, M. (2022): Digital literacy – Medienbildung<br />
im Sachunterricht. In: Kahlert, J.,<br />
Fölling-Albers, M., Götz, M. et al. (Hrsg.):<br />
Handbuch Didaktik des Sachunterrichts.<br />
3. Überarbeitete Auflage. Bad Heilbrunn:<br />
Klinkhardt, 188–197.<br />
Reuter, S. (2015): Aktive Pausen für die<br />
Klassen 5–7. Erste Schritte eines Gymnasiums<br />
auf dem Weg zu einer bewegten Schule.<br />
Hamburg: Diplomica Verlag.<br />
Während aus Sicht der Lehrkräfte Pausen<br />
häufig als Unterbrechung des Lernens<br />
angesehen werden, stellen diese für<br />
die Schüler*innen meist einen wichtigen<br />
sozialen Interaktionsraum dar und<br />
sind damit auch ein wichtiger Teil ihrer<br />
Schulwelt. Oder, wie es die Wissenschaftler*innen<br />
der Osnabrücker<br />
Forschungsgruppe formulieren: „Die<br />
Schüler gehen […] oft wegen der Pausen<br />
in die Schule, die als übrig gebliebenes<br />
Stück Freiheit auf der sogenannten<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
17
Praxis: Pausenkulturen<br />
Elke Gramespacher<br />
Bewegte Pausenkulturen –<br />
drinnen und draußen<br />
Bewegungspausen bilden einen Teil bewegter Lernkulturen an Grundschulen.<br />
Sie finden in allen Schulräumen statt, die ausreichend Platz dafür bieten, und sie<br />
haben verschiedene Funktionen.<br />
An Grundschulen sind Bewegung,<br />
Spiel und Sport von besonderer<br />
Bedeutung: „In keinem Lebensabschnitt<br />
spielt Bewegung eine so große<br />
Rolle wie in der Kindheit und zu keiner<br />
Zeit sind körperlich-sinnliche Erfahrungen<br />
so wichtig. Bewegung und ein<br />
positives Selbst- und Körperkonzept<br />
sind Motoren für die Gesamtentwicklung<br />
des Kindes in allen seinen<br />
Facetten“ (Billmeier & Ziroli 2014, 123).<br />
Kinder sollen sich im Schulalltag nicht<br />
nur in den durch den Stundenplan und<br />
-ablauf gesetzten kleinen und großen<br />
Pausen bewegen, spielen und Sport treiben.<br />
Vielmehr gilt es, auch im Unterrichtsgeschehen<br />
integrierte Bewegungspausen<br />
umzusetzen, die nicht zwingend<br />
zum fachlichen Lernen genutzt werden<br />
(Gramespacher & Ziroli 2017).<br />
Bewegte Pausen haben verschiedene<br />
Funktionen:<br />
● Sie dienen der Erholung und Regeneration.<br />
● Sie dienen der Rhythmisierung des<br />
Schulalltags.<br />
● Sie sind grundsätzlich lernförderlich,<br />
da sie zum motorischen Lernen der<br />
Schüler*innen und zur Hirndurchblutung<br />
beitragen.<br />
Abb. 1: Feinmotorische Spiele in freien<br />
oder geführten Unterrichtspausen:<br />
Die eigene Socke mit allen Zehen hochheben<br />
(alternativ: Tücher, Murmel,<br />
Würfel, ...).<br />
Dr. Elke Gramespacher<br />
ist die Leiterin der Professur Bewegungsförderung<br />
und Sportdidaktik im<br />
Kindesalter, Pädagogische Hochschule<br />
FHNW, Schweiz.<br />
Auch soziales Lernen verbindet sich<br />
mit dem bewegten Spiel, wenn Schüler*innen<br />
in Pausen beispielsweise gemeinsam<br />
Bewegungsspiele neu erfinden<br />
oder bekannten Spielen neue Regeln geben.<br />
Bewegungsspiele in Pausen eröffnen<br />
die Chance, die miteinander vereinbarten<br />
Regeln direkt zu erproben.<br />
Beim Durchführen und Entwickeln bewegter<br />
Pausentätigkeiten im sozialen<br />
Gefüge einer Klasse oder auch klassen-<br />
bzw. jahrgangsübergreifend werden<br />
die Pausen zu „bewegten Lernkulturen<br />
an Grundschulen“ (Gramespacher et<br />
al. 2021).<br />
Um Bewegungspausen differenziert<br />
zu gestalten, bedarf es angemessen großer<br />
und zugleich bewegungsanregender<br />
Räumlichkeiten – drinnen und draußen.<br />
Erforderlich sind ausreichend Platz im<br />
Klassenzimmer sowie die Erlaubnis, die<br />
Verkehrs- und Funktionsflächen, namentlich<br />
Schulgänge, Garderoben und<br />
Treppenhäuser, für Bewegungsspiele<br />
zu nutzen. Im Außenraum sind bewegungsanregende<br />
Pausenhöfe – überdacht<br />
und unter freiem Himmel, unter<br />
Bäumen und im Gebüsch – wichtig. Diese<br />
haben Flächen ohne und mit Spielgeräten<br />
(z. B. Klettertürme), halten bewegungsanregende<br />
Bodenbemalungen vor<br />
und bieten gegebenenfalls auch naturbelassene<br />
Bereiche für Bewegungsaktivitäten<br />
der Schüler*innen.<br />
Verschiedene didaktische Ansätze dienen<br />
der Gestaltung von Bewegungspausen:<br />
Sie können durch Lehrpersonen<br />
geführt werden oder diese überlassen<br />
es den Schüler*innen selbst, wie intensiv<br />
sie sich auf welche Weise bewegen<br />
(Streit et al. 2014). Das Zusammenspiel<br />
von geführten Sequenzen und freier<br />
Umsetzung seitens der Schüler*innen<br />
ist optimal: Im Sportunterricht können<br />
Bewegungsspiele eingeführt werden und<br />
Schüler*innen können diese in ihren<br />
Pausen selbstständig spielen und weiterentwickeln.<br />
Auch im zeitlichen Umfang<br />
finden wir diverse Möglichkeiten für Bewegungspausen;<br />
die längste, freie Pause<br />
am Schulvormittag ist die „Große Pause“,<br />
auch „Hofpause“ genannt. Sie findet<br />
in aller Regel draußen auf dem Schulhof<br />
statt. Im Ganztag kommt die Mittagspause<br />
hinzu. Der Schulalltag ist aber vor<br />
allem durch viele „kleine Pausen“ rhythmisiert.<br />
Diese liegen sowohl zwischen<br />
den als auch während der Unterrichtsstunden.<br />
In Kasten 1 und in Kasten 2<br />
finden sich räumliche, zeitliche, didaktische<br />
und materielle Rahmenbedingungen<br />
von Bewegungspausen. Diese werden<br />
in den beiden Kästen getrennt nach<br />
innen- und außenliegenden Räumlichkeiten<br />
aufgeführt, denn schulische Lernorte<br />
eröffnen oder schließen verschiedene<br />
Optionen für die Bewegungsaktivitäten<br />
der Schüler*innen.<br />
Bewegungspausen drinnen<br />
Die im Unterricht integrierten Bewegungspausen<br />
sind kleinräumig und<br />
meist geführt, da sie im Klassenraum<br />
in der Klasse stattfinden. Hier kommen<br />
Bewegungsübungen am Arbeitsplatz<br />
infrage: sitzend oder hinter dem Stuhl<br />
oder im Kreis stehend. Möglich sind<br />
dabei Bewegungen mit den Extremitäten<br />
sowie Spiele zur Förderung der<br />
Feinmotorik (beispielsweise Finger- und<br />
Zehenspiele mit Material: z. B. Murmeln,<br />
18<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
Bewegungspausen drinnen<br />
• Wo? im Klassenraum, im Schulgebäude<br />
• Wie lange? ca. 2 bis 10 Minuten;<br />
zwischen Schulstunden („Kleine<br />
Pause“), integriert im Unterricht<br />
• Wozu? Unterbrechung im Unterrichtsprozess<br />
während einer Schulstunde,<br />
Gestaltung „Kleiner Pausen“<br />
• Wie? angeleitet oder frei<br />
• Welches Material? bewegungsanregende<br />
Materialien, die kleinräumig/<br />
in Innenräumen genutzt werden<br />
können<br />
Bewegungspausen draußen<br />
• Wo? auf dem Schulhof (z. T. überdacht), in Spielzonen/an immobilen Installationen<br />
und in Naturzonen, Gestaltung von Übergängen und Wegen im Außenraum (z. B.<br />
zur Sporthalle, zum Schwimmbad)<br />
• Wie lange? 15 bis 90 Minuten; Pause/Hofpause („Große Pause“), Mittagspause im<br />
Ganztag<br />
• Wozu? Erholung „an der frischen Luft“, gemeinsames Spiel bekannter Spiele, gemeinsames<br />
(Er-)Finden von Spielregeln ohne Anleitung im peer-to-peer learning,<br />
auch klassen- und jahrgangsübergreifend<br />
• Wie? in der Regel frei, implizit angeleitet (u. U. Einführung im Sportunterricht)<br />
• Welches Material? Pausenhof mit bewegungsanregenden Bodenbemalungen,<br />
„Kiste“ mit Sport- und Spielmaterial, feste Installationen von Spielgeräten, naturbelassene<br />
Bereiche<br />
Tücher, Würfel oder die eigene Socke (s.<br />
dazu Abb. 1)). Auch Übungen zur Achtsamkeit<br />
(Fessler & Knoll 2018; s. Kasten<br />
3) oder aus dem Kinderyoga (z. B.<br />
Brug 2018) beanspruchen wenig Raum.<br />
Sie können sich auf den ganzen Körper<br />
beziehen. Bewegungspausen dieser Art<br />
dienen der Ruhe, Konzentration und der<br />
Entspannung.<br />
Für die freie Nutzung kleiner Bewegungsmaterialien<br />
im und vor dem Klassenzimmer<br />
(z. B. Kippbrettchen, Seile)<br />
können in der Klasse Regeln aufgestellt<br />
werden. Hilfreich ist beispielsweise<br />
eine Sanduhr, mit der die Schüler*innen<br />
selbst sehen können, ob bzw. dass sie<br />
eine vereinbarte Pausenzeit einhalten.<br />
Hinzu kommen Bewegungspausen auf<br />
dem Schulgang bzw. im Treppenhaus –<br />
Hüpfspiele auf Treppen können gut gespielt<br />
werden, wenn die Schüler*innen<br />
dazu Platz und Ruhe haben. Außerhalb<br />
des Klassenzimmers ist neben der zeitlichen<br />
Limitierung darauf zu achten, dass<br />
eine kleine Anzahl von Schüler*innen<br />
gemeinsam bewegt pausiert und dass<br />
andere Klassen dadurch nicht gestört<br />
werden. Denkbar sind dazu etwa Absprachen<br />
unter den Lehrer*innen (z. B.<br />
unterschiedliche Bewegungspausen-Zeiten<br />
für bestimmte Klassen).<br />
Auch der Übergang von einem Raum<br />
in einen nächsten kann bewegt gestaltet<br />
werden. So kann ein Stück des Weges<br />
mit Hüpfspielen oder balancierend auf<br />
einer (ggf. gedachten) Linie absolviert<br />
werden – oder die Klasse läuft einen Teil<br />
des Weges rückwärts.<br />
Bewegungspausen draußen<br />
Auf Schulhöfen können mit einfachen<br />
Mitteln diverse Bewegungsanreize<br />
gesetzt werden. So laden Ecken mit<br />
naturbelassenen Räumen zur Bewegung<br />
ein – Hüpfspiele von Stein zu Stein können<br />
hier angeregt werden. Auch auf<br />
den Boden kann vieles gemalt werden,<br />
etwa das tradierte Hüpfspiel „Himmel<br />
und Hölle“ (s. Abb. 2). Damit nicht nur<br />
fixierte Malereien verfügbar sind, können<br />
„Pausenkisten“ neben mobilem<br />
Bewegungsmaterial (z. B. Gummis für<br />
Gummitwist, Bälle, Indiaca) auch Bodenkreide<br />
beinhalten. Das Bewegungsmaterial<br />
aus den „Pausenkisten“ kann<br />
im Schulsport oder in Arbeitsgemeinschaften<br />
eingeführt werden.<br />
Auch fest installiertes Spielgerät ist für<br />
Bewegungspausen bedeutsam; so sprechen<br />
z. B. Klettergerüste Grundschulkinder<br />
stark an. Eine Kombination von<br />
fest installiertem Spielgerät und immobilem<br />
Zubehör erweitert das Angebot: Die<br />
Tischtennisplatte lädt mehrere Kinder<br />
zum „Rundlauf “ ein, wenn ausreichend<br />
viele Tischtennisschläger und -bälle in<br />
der „Pausenkiste“ zu finden sind und<br />
das Fußballtor kann in kleinen Gruppen<br />
gemeinsam oder im Wettstreit bespielt<br />
werden, sofern ein Ball vorhanden ist.<br />
Bewegte Pausenkulturen:<br />
offen, vielfältig – und sicher<br />
Wie offen und vielfältig bewegte Pausenkulturen<br />
gestaltet werden können, hängt<br />
von einer möglichst umfassenden<br />
und bewegungsanregenden und<br />
-gestattenden Nutzung schulischer<br />
Räume, der Schul- und Unterrichtszeiten<br />
sowie von vielfältigen Ideen und<br />
(im-)mobilem Bewegungsmaterial ab.<br />
Um dabei der Vielfalt der Schüler*innen<br />
gerecht zu werden, können Grundschullehrer*innen<br />
auch „Bewegungsspiele<br />
Achtsamkeitsübungen<br />
(Hinweise aus Fessler & Knoll<br />
2018)<br />
• Wo? in Innenräumen<br />
• Wie lange? max. 10 Minuten<br />
• Wozu? Ruhe, Konzentration und<br />
Entspannung<br />
• Wie? angeleitet (u. U. im Sportunterricht)<br />
• Welches Material? kein Material<br />
oder kleine Materialien<br />
Beispiel: „(1) Bequem auf dem Stuhl<br />
sitzen, (2) den Blick auf die Finger<br />
richten und (3) aufrecht sitzen in der<br />
Luft „Klavier“ spielen und andere<br />
Fingerübungen machen“ (vgl.<br />
Fessler & Knoll 2018, aus: Hand-Arm-<br />
Übung 1: Mit den Händen spielen)<br />
Abb. 2: „Himmel und Hölle“ – ein<br />
tradiertes Hüpfspiel auf Pausenhöfen<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
19
Praxis: Pausenkulturen<br />
aus aller Welt“ aufgreifen (z. B. Murmelboule<br />
aus Frankreich, siehe unter www.<br />
gruppenspiele-hits.de/wenig-materialspiele/Murmelboule.html)<br />
und im Sportunterricht<br />
allenfalls auch gemeinsam mit<br />
den Schüler*innen, welche diese Spiele<br />
kennen, einführen. Damit Schüler*innen<br />
alle Spiele im freien Bewegungsspiel<br />
spielen können, sollte das für diese Spiele<br />
erforderliche Material für die Bewegungspausen<br />
drinnen und/oder draußen verfügbar<br />
sein. Wichtig ist, bei der Einrichtung<br />
diverser Bewegungsmöglichkeiten<br />
an Grundschulen grundsätzlich<br />
sicherheitsbezogene Aspekte zu beachten<br />
(www.sichere-schule.de).<br />
Fazit<br />
Bewegungspausen haben verschiedene<br />
Funktionen und sollten daher in für<br />
die entsprechenden Funktionen je<br />
angemessenen Räumlichkeiten stattfinden.<br />
Zum Teil muss für Bewegungspausen<br />
auch bewegungsanregendes<br />
Material angeboten werden. Der damit<br />
verbundene Aufwand lohnt sich, denn<br />
Bewegungspausen bereichern nicht nur<br />
den Schulalltag; vielmehr leisten sie einen<br />
Beitrag zu einer bewegten Unterrichts-,<br />
Pausen- und Grundschulkultur.<br />
Literatur<br />
Billmeier, U./Ziroli, S. (2014): Bewegungsbildung<br />
in der frühen Kindheit. Zur Begleitung<br />
und Gestaltung von Bewegungssituationen.<br />
In: D. Kucharz/K. Mackowiak/S. Ziroli/A.<br />
Kauertz/E. Rathgeb-Schnierer/M. Dieck<br />
(Hrsg.) (2014): Professionelles Handeln im<br />
Elementarbereich (PRIMEL). Eine deutschschweizerische<br />
Videostudie. Münster:<br />
Waxmann, 123–144.<br />
Brug, F. (2018): Achtsamkeit und Yoga in der<br />
Grundschule. Kleine Übungen leicht erklärt<br />
und sinnvoll umgesetzt. Mühlheim/Ruhr:<br />
Verlag an der Ruhr.<br />
Fessler, N./Knoll, M. (2018): Achtsamkeitstraining<br />
für Kinder. Konzentriert und<br />
entspannt in KiTa & Grundschule mit<br />
fantasievollen Geschichten und Körper-<br />
Achtsamkeitsübungen (2. Aufl.). Aachen:<br />
Ökotopia.<br />
Gramespacher, E./Störch Mehring, S./Bucher,<br />
Z./Klostermann, C. (2021): Lernkulturen im<br />
Grundschulsport und bewegte Lernkulturen<br />
an Grundschulen. In: M. Peschel (Hrsg.):<br />
Didaktik der Lernkulturen (Beiträge zur<br />
Reform der Grundschule, Bd. 153). Frankfurt/Main:<br />
Grundschulverband e.V., 265–284.<br />
Gramespacher, E./Ziroli, S. (2017): Kleine<br />
Pausen mit großer Wirkung. Bewegungspausen<br />
im Unterricht. In: Grundschule Sport,<br />
4. Jg., Heft 4, 10–11.<br />
Streit, C./Künzli David, C./Hildebrandt, E.<br />
(2014): Besonderheiten des Lernens und<br />
Lehrens auf der Bildungsstufe der 4- bis<br />
8-Jährigen – ein Diskussionsbeitrag. In: E.<br />
Hildebrandt/M. Peschel/M. Weißhaupt (Hrsg.)<br />
(2014): Lernen zwischen freiem und instruiertem<br />
Tätigsein. Bad Heilbrunn: Klinkhardt,<br />
17–31. https://doi.org/10.35468/5375_02<br />
URL: https://sichere-schule/de, Aufruf am<br />
02.05.2023.<br />
URL: https://www.gruppenspiele-hits.de/<br />
wenig-material-spiele/Murmelboule.html,<br />
Aufruf am 13.06.2023.<br />
Malte Cunis und Andrea Karlsberg<br />
Selbstbestimmt durch den Schultag<br />
Offene Pause an der Wi*R<br />
Die Winterhuder Reformschule (Wi*R) arbeitet nach einem reformpädagogischen<br />
Konzept, das die Kinder in den Mittelpunkt rückt, sie zu eigenständigem<br />
Lernen motiviert und ein Ort des respektvollen Miteinanders, ein Lebensort<br />
sein will. Es gibt keine Unterrichtsfächer im 45-Minuten-Takt, der Schultag ist<br />
fächerübergreifend und durch Arbeits- und Entspannungsphasen rhythmisiert.<br />
Die Kinder steuern aktiv ihren Tag, ihr Lernen und ihren Tagesablauf. Sie setzen<br />
sich ihre eigenen Ziele und arbeiten in den Arbeitszeiten an ihren individuellen<br />
Plänen. Im Zentrum des Lernens stehen selbstgewählte Projekte. Diese Autonomie<br />
setzt sich in der Pausengestaltung fort.<br />
zeiten zu ermöglichen. Als gebundene<br />
Ganztagsschule gehört das Mittagessen<br />
fest zum Tagesablauf. Auch hier gilt<br />
inzwischen die Selbststeuerung der Kinder,<br />
das Prinzip des Free Flow: Die Kinder<br />
gehen während der Mittagspause dann<br />
zum Essen, wenn sie Hunger haben, und<br />
bedienen sich am Buffet selbst.<br />
Pausenaktivitäten<br />
Julia arbeitet an ihrem individuellen<br />
Arbeitsplan. Den hat sie letzte Woche<br />
Wir möchten einen kleinen Einblick<br />
in den Tagesrhythmus<br />
und dabei besonders in die<br />
Pausen geben. Aus organisatorischen<br />
Gründen gibt es zwei längere, zentrale<br />
Pausen: einmal zwischen 10.30 Uhr und<br />
11.00 Uhr eine Frühstückspause und<br />
dann von 12.00 bis 14.00 Uhr eine lange<br />
Mittagspause. Kurze Pausen gibt es nicht,<br />
die entwickeln sich individuell im Tagesverlauf<br />
von alleine. Die längeren Pausen<br />
sind notwendig, um auch den<br />
Erwachsenen Pausen und Austauschmit<br />
ihrer Lehrerin gemeinsam erstellt<br />
und sich vorgenommen, Knobelaufgaben<br />
in Mathematik anzugehen. Sie<br />
hat sich gerade in Zahlenmauern vertieft<br />
und freut sich, dass sie am Ende<br />
aufgehen. Plötzlich fällt ihr Blick auf die<br />
Uhr: Es ist schon 10.30 Uhr. Sie steht<br />
auf, geht zur Klangschale und schlägt<br />
sie leise an. „Bitte Arbeitssachen einräumen<br />
und dann ist Pause!“, sagt sie<br />
mit fester Stimme. Einige Kinder sind<br />
schnell dabei und eilen in die Garderobe,<br />
um Schuhe und Jacke anzuziehen.<br />
Andere arbeiten ruhig weiter, weil sie<br />
diese eine Aufgabe noch beenden wollen.<br />
Matti trägt in seinen Plan ein, was<br />
er eben noch erledigt hat, und holt dann<br />
sein Buch aus dem Rucksack. Er will<br />
unbedingt wissen, wie es weitergeht.<br />
Diese Vielfalt an „Pausen“-Aktivitäten<br />
ist normal und kein Problem, denn die<br />
Lerngruppenräume bleiben während der<br />
Pause geöffnet. Es gilt die Verabredung,<br />
20<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
dass drinnen nur ruhige Dinge passieren<br />
und alles, was laut und voller Bewegung<br />
ist, draußen auf dem Hof stattfindet. Die<br />
Kinder können selbst entscheiden, ob sie<br />
ihre Pause drinnen oder draußen verbringen.<br />
Die offenen Räume bieten so<br />
Rückzugsmöglichkeiten für Kinder, die<br />
Ruhe suchen, lesen, Sammelkarten tauschen<br />
oder einfach etwas weiterarbeiten<br />
möchten.<br />
Matti hat es sich inzwischen mit seinem<br />
Buch auf dem Sofa gemütlich gemacht.<br />
Nebenan basteln zwei Kinder,<br />
jemand anderes zeichnet, zwei Kinder<br />
stärken sich beim zweiten Frühstück,<br />
solange die Brotdosen noch etwas hergeben.<br />
Viele wissen aber, dass es ihnen guttut,<br />
wenn sie draußen Bewegung und frische<br />
Luft bekommen. Jonas hatte sich als<br />
Erster den Ball geschnappt und ist schon<br />
längst auf den Sportplatz gedüst. Er<br />
weiß, dass „jetzt das Kribbeln aus seinen<br />
Beinen raus muss“. Der Sportplatz ist<br />
mitten auf dem Gelände und steht den<br />
Kindern aus allen Stufen zur Verfügung.<br />
Oft kommt es zu jahrgangs- und stufenübergreifenden<br />
Aktivitäten. Woanders<br />
gibt es Kletter- und Spielmöglichkeiten.<br />
Eine Elterninitiative hat einen Tiefseilgarten<br />
und andere Bewegungsstationen<br />
angelegt und entwickelt diesen Park immer<br />
weiter.<br />
Lars und Mia können es kaum abwarten.<br />
Sie stehen vor der Holzwerkstatt und<br />
wollen endlich an ihrem Auto weiterbauen.<br />
Eine gelernte Tischlerin, die als Honorarkraft<br />
arbeitet, wird ihnen gleich<br />
den Raum öffnen und mit Rat und Tat<br />
zur Seite stehen. Denn neben den ganz<br />
freien Pausenbeschäftigungen gibt es<br />
während der langen Mittagspause einige<br />
Offene Pausenangebote (OPA). Sie werden<br />
im Rahmen der gebundenen Ganztagsschule<br />
(GTS) durch Erzieher*innen,<br />
Honorarkräfte oder Lehrkräfte angeboten.<br />
Die Kinder können täglich zwischen<br />
Töpfern, Gärtnern, Basteln, Malen, Tanzen,<br />
Bauen u. v. m. wählen. Sie müssen<br />
sich nicht für ein Angebot verpflichten,<br />
sondern kommen spontan vorbei, wenn<br />
sie Lust haben. Ist der Raum, in dem ein<br />
Angebot stattfindet, voll, kommt man<br />
später noch einmal wieder oder versucht<br />
es an einem anderen Tag.<br />
Auf dem Gelände gibt es eine umfangreiche<br />
Spielzeugausleihe. Hier können<br />
die Kinder verschiedene Fahrzeuge,<br />
Tischtennisschläger und Spiele für<br />
draußen ausleihen. Julia hat heute gemeinsam<br />
mit ihrer Freundin „Ausleih-<br />
Dienst“. Sie sind für eine halbe Stunde in<br />
der Mittagspause dafür verantwortlich,<br />
dass die Geräte ausgegeben und auch<br />
wieder zurückgebracht werden. Den<br />
Schlüssel haben sie sich aus dem Mitarbeiter*innen-Zimmer<br />
geholt, und nun<br />
stehen sie vor einer kleinen Schlange<br />
zwischen den Fahrzeugen. Matti möchte<br />
das Dreirad mit dem Anhänger haben<br />
und hinterlegt seine Ausleih-Karte dafür<br />
bei Julia. Dann setzt er sich ins Fahrzeug<br />
und braust davon.<br />
Selbstbestimmung an der Wi*R<br />
Selbstbestimmung wird an der Winterhuder<br />
Reformschule großgeschrieben.<br />
Die Kinder bestimmen maßgeblich mit,<br />
wie ihr Tag abläuft, was sie tun und wie<br />
Andrea Karlsberg<br />
ist seit 2010 an der Winterhuder<br />
Reformschule und leitet seit 2012 die<br />
Primarstufe. Seit 2020 ist sie Vorstandsmitglied<br />
des Grundschulverbandes und<br />
in der Landesgruppe Hamburg tätig.<br />
Malte Cunis<br />
ist seit 2005 in der Primarstufe der<br />
Winterhuder Reformschule als Lerngruppenleitung<br />
tätig. Er war Mitglied der<br />
Initiative „Reformschule Hamburg e. V.“<br />
sie es am besten schaffen. Sie erleben<br />
aber immer wieder, dass das auch heißt,<br />
Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung<br />
für ihr Handeln und speziell<br />
für ihre Pausen und Erholungszeiten.<br />
Ein solches Schulleben ist nicht konfliktfrei;<br />
hier und da entsteht Streit. Das ist<br />
ganz normal; man muss ja nur wissen,<br />
wie man solche Meinungsverschiedenheiten<br />
klärt.<br />
Wie kann man trotzdem friedlich<br />
auseinandergehen und sich beim nächsten<br />
Mal wieder in die Augen sehen?<br />
Auch das will gelernt sein und auch das<br />
braucht Raum und Expert*innen. Unter<br />
den Kindern gibt es ausgebildete Streitschlichter*innen.<br />
Sie lernen über ein halbes<br />
Jahr in einem Wahlpflichtkurs, wie<br />
man anderen hilft, Streitigkeiten beizulegen.<br />
Wer seine Streitschlichtungsausbil-<br />
Prinzip des Free<br />
Flow: Die Kinder<br />
gehen während<br />
der Mittagspause<br />
dann zum<br />
Essen, wenn sie<br />
Hunger haben,<br />
und bedienen<br />
sich am Buffet<br />
selbst.<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
21
Praxis: Pausenkulturen<br />
Rückzugsmöglichkeit<br />
für die Kinder:<br />
die gemütliche<br />
Bücherecke<br />
dung erfolgreich abgeschlossen hat, hat<br />
einmal pro Woche „Dienst“.<br />
Das Streitschlichterbüro ist in den<br />
Pausen immer besetzt und so kann auch<br />
das in Regie der Kinder gelöst werden.<br />
Natürlich gibt es auch Konflikte, die<br />
einen Erwachsenen brauchen und die<br />
sich nicht in der Pause lösen lassen. Aufsichten<br />
sind in allen Gebäuden und im<br />
Außengelände unterwegs. Grundsätzlich<br />
fühlen sich aber alle Erwachsenen zuständig<br />
und sind ansprechbar, wenn die<br />
Kinder Hilfe suchen. Nach dem Grundsatz<br />
„Störungen haben Vorrang“ (Cohn<br />
1986, 122 f.) gilt auch hier immer, nach<br />
einer guten Lösung zu suchen, die sich<br />
im Rahmen der gemeinsamen Schulregeln<br />
bewegt. Denn nur, wenn es einem<br />
gut geht, kann man mit dem Vertrauen<br />
in die eigenen Stärken den Tag meistern.<br />
Seit einem Jahr ist auch das Mittagessen<br />
in die Selbstverantwortung der Kinder<br />
übergegangen. „Free Flow“ nennen<br />
die Fachleute das Prinzip. Die Mensa<br />
hat die ganze Mittagspause geöffnet. Die<br />
Kinder kommen, wenn sie Hunger haben<br />
oder wenn ihnen das Essen in ihren<br />
Tag passt. Jonas, der vorhin erst einmal<br />
mit seinen Kumpeln Fußball spielen<br />
musste, hat die Fußballtore inzwischen<br />
anderen überlassen. Er legt den<br />
Ball in die Ecke. Gemeinsam schnappen<br />
sie sich jetzt Tablett, Teller und Besteck<br />
und füllen sich am warmen Büfett Nudeln<br />
und Soße auf. Sie setzen sich zusammen<br />
an einen Tisch und diskutieren<br />
ihr Spiel nochmal. Die Kanne Wasser<br />
auf dem Tisch ist zügig geleert und wird<br />
von Jonas neu aufgefüllt. Nebenbei lässt<br />
er seinen Blick über die Salatbar schweifen,<br />
aber heute gewinnen doch die Nudeln.<br />
Beim Nachtisch wird er nachher<br />
zuschlagen.<br />
Einige Eltern hatten anfänglich die<br />
Befürchtung, ihre Kinder würden das<br />
Essen vergessen bzw. alleine nicht zum<br />
Essen gehen. Diese Befürchtung konnten<br />
wir, aber vor allem die Kinder selbst,<br />
sehr schnell widerlegen. Wichtig ist, dass<br />
das Essen schmeckt, und wenn sich am<br />
Tag herumspricht, dass es etwas Leckeres<br />
gibt oder der Speiseplan, den die Kinder<br />
am Whiteboard einsehen können, ein<br />
leckeres Menü zeigt, dann ist die Mensa<br />
voll.<br />
Für eine Schule, die auch Lebensort<br />
der Kinder sein will, ist das Mittagessen<br />
ein zentrales Thema. Gerade läuft<br />
eine Umfrage in der ganzen Schule zum<br />
Thema Mittagessen: „Was wünscht ihr<br />
euch?“. Wie wichtig das für die Kinder<br />
ist, zeigt sich auch daran, dass die Werkstatt<br />
„Hmm, das schmeckt lecker!“, die<br />
wöchentlich als verbindlicher Wahlpflichtkurs<br />
stattfindet, von 200 Kindern<br />
Vielfältige Angebote auf dem Schulhof laden zum Spielen und sich Bewegen ein<br />
22<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
angewählt wurde. Wichtig ist, Kinder am<br />
Thema „Gesunde Ernährung“ zu beteiligen<br />
und sie zu befähigen, die Verantwortung<br />
für sich und ihre eigenen Bedürfnisse<br />
zu übernehmen. Und wenn es einmal<br />
nicht so schmeckt, dann darf auch<br />
das mal sein.<br />
Abschluss<br />
Der Zeiger rückt auf 14.00 Uhr, die<br />
Mittagspause geht zu Ende. Während<br />
sich der Schulhof leert und Mia, die<br />
von Julia inzwischen den Dienst an der<br />
Spielzeugausleihe übernommen hat, die<br />
Fahrzeuge wieder fachgerecht einparkt,<br />
erinnern die Kinder sich gegenseitig an<br />
das Pausenende. Einen Schulgong gibt<br />
es hier nicht! Alle wissen, wenn auf dem<br />
Schulhof keine Kinder mehr sind, geht<br />
es in den Lerngruppenräumen weiter.<br />
Drinnen räumen die Kinder ihre Sachen<br />
aus der Pause ein. Gleich ist wieder<br />
Arbeitszeit, schließlich ist heute ein langer<br />
Tag bis 16.00 Uhr. Das bringt die<br />
gebundene Ganztagsschule mit sich.<br />
Aber wenn der Tag so stark von den<br />
Kindern mitgestaltet werden kann,<br />
dann fühlt sich das ganz anders an als<br />
ein klassischer halber Schultag, an dem<br />
die Strukturen fest vorgegeben sind:<br />
Das Unterrichtsfach und das Stundenpensum,<br />
eine „Sitzordnung“ wird<br />
genauso festgelegt wie der Arbeitsrhythmus.<br />
Alle Kinder müssen in der<br />
Pause auf den Schulhof gehen und der<br />
Raum wird abgeschlossen. Das Mittagessen<br />
wird aufgefüllt und findet zu vorgegebener<br />
Zeit statt. All das sind von<br />
Erwachsenen gemachte Vorgaben, die<br />
wir an unserer Schule in die Hände der<br />
Kinder geben. Wir trauen es ihnen zu<br />
und wir muten es ihnen zu.<br />
Morgen braucht Julia unbedingt einen<br />
schönen Stock, den sie sich auf dem<br />
Heimweg im Park besorgen will. Schließlich<br />
gibt es in der Mittagspause ein Angebot<br />
zum Schnitzen.<br />
Literatur<br />
Cohn, R. C. (1986): Von der Psychoanalyse<br />
zur themenzentrierten Interaktion. Von der<br />
Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für<br />
alle (7. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.<br />
Ilka Hoffmann<br />
Inklusive Pause – Pause inklusiv<br />
Pausen sollen den Schultag gliedern und rhythmisieren und Zeit für Bewegung,<br />
Spielen und Unterhaltung lassen. Da die Pausenbedürfnisse von Kindern sehr<br />
unterschiedlich sein können, haben einige Schulen auch flexible Formen der<br />
Pausengestaltung geschaffen.<br />
Die Regelung an den meisten<br />
Schulen ist allerdings weiterhin<br />
die klassische, gemeinsame<br />
Hofpause. Die Hofpause ist leider nicht<br />
für alle Kinder eine Zeit der Erholung.<br />
Manche Kinder erleben auch Ausgrenzung<br />
und Mobbing. Deshalb soll es<br />
in diesem Beitrag um die Frage gehen,<br />
wie die Hofpause möglichst diskriminierungsfrei<br />
und inklusiv gestaltet<br />
werden kann.<br />
Pause barrierefrei<br />
Gerade Grundschulkinder nutzen die<br />
Pause für Bewegung und Spielen. Häufig<br />
sind Kinder mit motorischen Einschränkungen,<br />
aber auch mit Sinnesschädigungen<br />
von diesen Aktivitäten<br />
ausgeschlossen. Das Thema „Barrierefreiheit“<br />
wird indes in erster Linie baurechtlich<br />
diskutiert. Dies ist einerseits<br />
sinnvoll, denn es gibt bei der barrierefreien<br />
Gestaltung von Schulbauten und<br />
Pausenhöfen vielerorts einen immensen<br />
Nachholbedarf. Die barrierefreie<br />
Raum- und Hofgestaltung ist auch eine<br />
Grundvoraussetzung für die Umsetzung<br />
inklusiver Bildung – und Pausen.<br />
Andererseits gelingt eine barriereund<br />
diskriminierungsfreie Pausengestaltung<br />
nur über ein Konzept, das hilft,<br />
Exklusionen zu vermeiden und die soziale<br />
Integration aller Kinder zu erleichtern.<br />
Wenn Kinder mit Beeinträchtigungen<br />
nicht in die Aktivitäten der anderen<br />
Kinder eingebunden werden, dann<br />
ist das nicht immer auf bewusste Ausgrenzung<br />
zurückzuführen. Vielmehr<br />
gibt es in den meisten Lerngruppen feste<br />
Untergruppen und soziale Bindungen,<br />
die relativ stabil sind. Die soziale Integration<br />
aller Kinder in den Pausenzeiten<br />
oder auf Schulwegen muss somit schon<br />
in den Lern- und Unterrichtszeiten mitbedacht<br />
werden. Oft sind die Teilhabe-<br />
Barrieren auch den Erwachsenen nicht<br />
in ihrer ganzen Tragweite bewusst. So<br />
war es auch an Förderschulen für Hörgeschädigte<br />
teilweise verpflichtend, während<br />
der Corona-Zeit auf das Tragen<br />
einer Maske aufmerksam zu machen.<br />
Die erheblichen Kommunikationseinschränkungen<br />
aufgrund der fehlenden<br />
Gesichtsmimik, die die Maskenpflicht<br />
für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen<br />
bedeutete, wurden dagegen nicht<br />
überall diskutiert und behoben.<br />
Auch ein hoher Geräuschpegel auf<br />
dem Pausenhof kann für Kinder mit<br />
Wahrnehmungsstörungen und Hörproblemen<br />
zu einer echten Qual werden.<br />
Hier können Ausweichmöglichkeiten in<br />
ruhigere Räumlichkeiten und eine Sensibilisierung<br />
aller Mitglieder der Schulgemeinschaft<br />
für Hörbeeinträchtigungen<br />
und physische Barrieren hilfreich sein.<br />
Die tatsächlichen Barrieren können am<br />
ehesten im sensiblen Dialog mit den Betroffenen<br />
herausgearbeitet werden.<br />
Gemeinsam mit der jeweiligen Lerngruppe<br />
sollte überlegt werden, wie diese<br />
Barrieren überwunden werden können:<br />
Welche Anpassungen von Spiel- und<br />
Entspannungsräumen sind notwendig?<br />
Wer kann helfen, dass kein Kind bei gemeinsamen<br />
Aktivitäten außen vor bleibt<br />
(Peer-Support)? Wie können Spiele modifiziert<br />
oder neu erfunden werden? Einige<br />
entsprechende Spielideen finden<br />
sich auch in der pädagogischen Literatur<br />
(vgl. Buschmann 2016). Die Chancen<br />
für eine gute soziale Integration von<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
23
Praxis: Pausenkulturen<br />
Kindern mit Beeinträchtigungen sind<br />
besonders gut, wenn die Klasse oder<br />
Lerngruppe die Überwindung von Barrieren<br />
als gemeinsames Projekt bearbeitet.<br />
Aber nicht nur physische Barrieren<br />
können die soziale Integration behindern.<br />
Auch gruppendynamische Prozesse<br />
können zur Exklusion einzelner<br />
Kinder führen.<br />
ist zu beachten, dass diese nicht immer<br />
selbstsicher und psychisch stabil sind.<br />
Oft ist es einer spezifischen Gruppendynamik<br />
geschuldet, wer Opfer und<br />
wer Täter wird. Typische Schulstrafen,<br />
wie sie in den meisten Schulerlassen in<br />
einem Katalog aufgeführt sind, bringen<br />
erfahrungsgemäß keine nachhaltige<br />
Prävention von Mobbing. Allzu oft verschärfen<br />
sie die Konflikte sogar noch.<br />
Der Grundsatz inklusiver Pausen ist gegenseitige Wertschätzung und ein Gefühl der<br />
Zusammengehörigkeit innerhalb der Schulgemeinschaft (Bildquelle: Wikimedia)<br />
Pause mobbingfrei<br />
Manche Kinder blicken voller Angst auf<br />
die so genannte große Pause. Denn in<br />
den Zeiten, in denen es keine Aufsicht<br />
und Kontrolle (durch Lehrpersonen)<br />
gibt, sind sie häufig Mobbing und Ausgrenzung<br />
ausgesetzt. Meistens bemerkt<br />
man das Mobbing erst, wenn das Opfer<br />
schon Verhaltensveränderungen wie<br />
Ängstlichkeit, Schulverweigerung und<br />
sozialen Rückzug zeigt. Gerade, weil<br />
Mobbing so schwer festzustellen ist,<br />
und die Opfer sich schwertun, offensiv<br />
mit dem Problem umzugehen, sind<br />
Präventionsprogramme wichtig. Zwar<br />
kommen nahezu alle wissenschaftlichen<br />
Studien zum Thema Mobbing<br />
zu dem Schluss, dass dies in weiterführenden<br />
Schulen häufiger vorkommt<br />
als in Grundschulen. Dennoch sollte<br />
die Gefahr auch an Grundschulen nicht<br />
unterschätzt werden. Auch hier gilt: Je<br />
intensiver die Prävention im Unterricht<br />
stattfindet, umso besser kann Mobbing<br />
in den Pausen vorgebeugt werden! Beim<br />
Umgang mit den Mobbing-Täter*innen<br />
Als hilfreich hat sich hier der in England<br />
entwickelte No-Blame-Approach<br />
erwiesen (vgl. Blum/Beck 2012). In diesem<br />
Ansatz wird bewusst auf Schuldzuweisungen<br />
und Strafen verzichtet. Es<br />
geht vielmehr darum, mit der jeweiligen<br />
Kindergruppe gemeinsam Lösungen<br />
zu finden, damit sich alle Kinder in der<br />
Schule wohlfühlen. Um Mobbingvorkommnisse<br />
in der Grundschule zu vermeiden,<br />
ist es notwendig, sensibel auf<br />
Verhaltensänderungen zu achten, ein<br />
Klima gegenseitiger Achtung und Wertschätzung<br />
zu entwickeln sowie eine tragfähige<br />
Präventions- und Interventionsstrategie<br />
zu etablieren.<br />
Wertschätzung der Vielfalt innerhalb<br />
der Schulgemeinschaft ist auch ein<br />
Schlüssel zu mehr Toleranz und Wohlbefinden.<br />
Dies betrifft auch die sprachliche<br />
und ethnische Vielfalt.<br />
Pause mehrsprachig<br />
Aus Politik und Öffentlichkeit kommt<br />
immer mal wieder die Forderung, dass<br />
es für die Hofpausen ein Deutsch-Gebot<br />
geben soll. Als Begründungen werden<br />
angeführt, dass so das Deutschlernen<br />
erleichtert würde, dass durch<br />
den Gebrauch der Herkunftssprachen<br />
die deutschsprachigen Kinder von der<br />
Kommunikation ausgeschlossen seien<br />
und dass so der Bildung von „Parallelgesellschaften“<br />
vorgebeugt würde. Wie<br />
haltbar sind diese Begründungen?<br />
Zum einen wird dabei die Erkenntnis<br />
missachtet, dass solide Kenntnisse von<br />
Herkunftssprachen den Erwerb einer<br />
Zweitsprache fördern. Zum anderen ist<br />
Monolingualität auf der Welt eher eine<br />
Ausnahme. Viele Staaten sind Vielvölkerstaaten<br />
und Mehrsprachigkeit einfach<br />
normal. Die gezielte Förderung von<br />
Mehrsprachigkeit wirkt nachweislich<br />
Bildungsbenachteiligungen entgegen<br />
und fördert die sprachlichen Kompetenzen<br />
insgesamt (Wiese/Tracy 2020).<br />
Die bewusste Förderung der Mehrsprachigkeit<br />
ist indes auch ein Beitrag<br />
zur Inklusion. In Kanada werden z. B.<br />
Kinder gleicher Herkunftssprache, die<br />
schon länger in Kanada leben, gezielt<br />
eingesetzt, um bei der sozialen Integration<br />
von Neuankömmlingen zu helfen.<br />
Leistungsnachweise in den Sachfächern<br />
können teilweise auch in der Herkunftssprache<br />
erbracht werden. Mehrsprachigkeit<br />
wird gefördert und als Bildungsziel<br />
anerkannt (Hoffmann 2017).<br />
Für die positive Gestaltung und Förderung<br />
von Mehrsprachigkeit gibt es<br />
zahlreiche didaktische Ansätze. Eine<br />
Grundlage ist auch hier Wertschätzung<br />
der Vielfalt und die gleichwertige Betrachtung<br />
aller Herkunftssprachen. Oft<br />
hört man folgenden Satz mit negativer<br />
Konnotation: „In der Familie wird NUR<br />
türkisch (oder kurdisch, arabisch, ukrainisch,<br />
…) gesprochen.“ Aber – positiv<br />
konnotiert: „Toll! Das Kind spricht auch<br />
Französisch (Englisch, Spanisch).“ Kinder<br />
spüren (im zuerst genannten Fall)<br />
die Abwertung ihrer Herkunftssprache<br />
und damit ihrer kulturellen Wurzeln.<br />
Diese negative Einstellung gegenüber<br />
ihrer Herkunftssprache und Ethnie<br />
führt nicht zu einer besseren Inklusion,<br />
sondern eher zu einem Rückzug in die<br />
eigene kulturelle Nische. Auch hier versuchen<br />
bereits viele Schulen, die sprachliche<br />
und kulturelle Vielfalt positiv aufzugreifen.<br />
Ein weiterer Punkt spricht gegen ein<br />
Deutsch-Gebot in der Pause: Die Pau-<br />
24<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
se dient der Erholung. Wenn man selbst<br />
schon einmal über längere Zeit im Ausland<br />
gelebt hat, weiß man, wie anstrengend<br />
es ist, den ganzen Tag in einer<br />
Zweit- oder Fremdsprache zu kommunizieren.<br />
Der Gebrauch der Herkunftssprache<br />
dient auch der Entspannung –<br />
und dazu sind Pausen da.<br />
Auch in diesem Zusammenhang<br />
heißt der Schlüsselbegriff für eine erholsame<br />
und aufmunternde Pause für<br />
alle: „Wertschätzung“.<br />
Wenn in der Schule allgemein die<br />
Vielfalt der Lernenden begrüßt wird,<br />
wird auch die Mehrsprachigkeit auf dem<br />
Schulhof nicht als Bedrohung, sondern<br />
als Bereicherung erlebt. Um eine feste<br />
Cliquenbildung etwas aufzulockern,<br />
kann den Kindern die Möglichkeit gegeben<br />
werden, Hofspiele, Abzählreime<br />
u. Ä. aus ihrer Sprache und Kultur mitzubringen<br />
und den anderen Kindern<br />
vorzustellen.<br />
Ethnische Konflikte auf<br />
dem Pausenhof<br />
Auch hier dürften die Probleme im<br />
Pubertätsalter bzw. in der Sekundarstufe<br />
größer sein. Dennoch können ethnische<br />
Konflikte auch schon in der Grundschule<br />
zum Problem werden und auch<br />
in tätliche Auseinandersetzungen münden.<br />
In den meisten Bundesländern gibt<br />
es spezielle Beratungsstellen für den<br />
Umgang mit interreligiösen oder ethnischen<br />
Konflikten. Es ist notwendig,<br />
hier nicht die Augen vor den oft tiefgreifenden<br />
Problemen zu verschließen<br />
oder nur mit dem üblichen Maßnahmenkatalog<br />
zu reagieren, sondern<br />
sich gezielt präventive Beratung und<br />
Unterstützung zu holen.<br />
Ethnische Konflikte können den<br />
Schulalltag erheblich belasten und Pausen<br />
zu einem Stress- statt einem Erholungsfaktor<br />
machen. Auch hier gilt:<br />
Eine gute, erholsame und diskriminierungsfreie<br />
Pause fußt auf einer inklusiven<br />
Schul-, Unterrichts- und Pausenentwicklung.<br />
Damit ethnische Konflikte in<br />
der Schule nicht zu einer extremen Belastung<br />
werden, sollte ein Präventionskonzept<br />
entwickelt werden, das den<br />
Kindern die Probleme bewusstmacht<br />
und beim Abbau von Spannungen und<br />
Konflikten hilft. Ein solches Unterrichtsprogramm<br />
ist beispielsweise von Meltem<br />
Avci-Werning entwickelt und evaluiert<br />
worden. Es geht dabei um die Reflexion<br />
von Vorurteilen und die Entwicklung<br />
von gegenseitigem Verständnis. Es gibt<br />
aber auch noch weitere Anregungen und<br />
Programme, die genutzt werden können<br />
(vgl. Gutzmann 2018).<br />
Partizipation und<br />
Mitverantwortung als Schlüssel<br />
Dr. Ilka Hoffmann<br />
ist Lehrerin und Erziehungswissenschaftlerin<br />
mit einer mehrjährigen<br />
Tätigkeit in inklusiven Schulen.<br />
Seit 2022 ist sie Leiterin der Koordinierungsstelle<br />
Gemeinsames Lernen in<br />
Saarbrücken.<br />
Eine inklusive Pause gelingt nur in<br />
einem insgesamt inklusiven und diskriminierungsfreien<br />
Schulklima. Konflikte<br />
und soziale Exklusionen, die im<br />
Unterricht vielleicht nur latent wahrnehmbar<br />
sind, brechen in den Pausen<br />
dann offen zutage. Eine gute präventive<br />
Konfliktstrategie, die Sensibilität<br />
gegenüber diskriminierenden Routinen<br />
und Einstellungen sowie die Aufmerksamkeit<br />
gegenüber Mobbing sollten im<br />
gesamten Schulalltag handlungsleitend<br />
sein.<br />
Konflikte zwischen den Kindern lassen<br />
sich hierbei am besten im Dialog<br />
lösen. Oft entwickeln die Kinder selbst<br />
kreative und originelle Lösungsansätze<br />
bei Konflikten und Problemen. Kinder<br />
können an Maßnahmen gegen Barrieren<br />
und Ausgrenzung aktiv mitarbeiten.<br />
Die Partizipation an der Gestaltung<br />
des Schulklimas und inklusiver Pausen<br />
stärkt das Gefühl der Zusammengehörigkeit<br />
sowie die Übernahme von Verantwortung.<br />
Wichtig ist es, stets mit den Lernenden<br />
in einen kritisch-konstruktiven Dialog zu<br />
treten und mit ihnen gemeinsam nach<br />
Lösungen zu suchen. Der Grundsatz inklusiver<br />
Pausen (und eines harmonischen<br />
Schullebens insgesamt) ist gegenseitige<br />
Wertschätzung und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit<br />
innerhalb der Schulgemeinschaft.<br />
Und dies wird durch Partizipation,<br />
Dialog und Mitverantwortung<br />
der Kinder gestärkt.<br />
Literatur<br />
Avci-Werning, M. (2004): Prävention<br />
ethnischer Konflikte in der Schule.<br />
Ein Unterrichtsprogramm zur Verbesserung<br />
interkultureller Beziehungen. Münster.<br />
Blum, H./Beck, D. (2012): No Blame<br />
Approach. Köln.<br />
Buschmann, B. (2016): Pausengestaltung an<br />
der inklusiven Grundschule. Spielideen,<br />
Organisationshilfen, Projekte. Hamburg.<br />
Gutzmann, M. (Hrsg.) (2018): Sprachen und<br />
Kulturen. Grundschulverband. Beiträge zur<br />
Reform der Grundschule 146.<br />
Hoffmann, I. (2017): Die Bedeutung des<br />
Inklusionskonzepts für die Schule in der<br />
Einwanderungsgesellschaft. In: Thiele, S./<br />
Schlaak, C. (Hrsg.): Migration, Mehrsprachigkeit<br />
und Inklusion. Strategien für<br />
den schulischen Unterricht und die<br />
Hochschullehre. Stuttgart.<br />
Wiese, H./Tracy, R./Sennema, A. (2020):<br />
Deutschpflicht auf dem Schulhof?<br />
Warum wir Mehrsprachigkeit brauchen?<br />
Berlin.<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
25
Praxis: Pausenkulturen<br />
Christiane Weichmann und Claudia Köhler<br />
Sabbatical – eine Pause<br />
vom Schulsystem?!<br />
In Israel sind für Lehrkräfte regelmäßige Sabbatzeiten eingeplant, in denen sie<br />
aufgefordert sind, sich sowohl beruflich mit Kursen als auch auch persönlich<br />
weiterzubilden. In Deutschland ist es Lehrkräften freigestellt, ob sie die Sabbatzeit<br />
zur Regeneration, Persönlichkeitsstärkung, Blickwinkelerweiterung oder<br />
Reflexion und Restrukturierung ihrer Arbeit nutzen.<br />
Im Folgenden beschreiben zwei Lehrerinnen<br />
ihre Beweggründe für das<br />
Sabbatical, ihre Erfahrungen während<br />
ihrer jeweiligen Freistellungsphase<br />
sowie ihre Erkenntnisse und Wünsche,<br />
die sie mit in den Schulalltag nehmen<br />
wollen.<br />
Beweggründe für die Sabbatzeit<br />
Beide haben wir unser Sabbatical 2016<br />
beantragt, mit einer 5-jährigen „Ansparphase“<br />
sowie einer ein- bzw. zweijährigen<br />
„Freistellungsphase“. Ebenso war es uns<br />
beiden wichtig, vor bzw. während der<br />
Auszeit Coaching in Anspruch zu nehmen,<br />
um diese bewusst zu planen und<br />
hinterher zufrieden darauf zurückblicken<br />
zu können. Unsere Lebensumstände und<br />
Beweggründe für die Freistellungsphase<br />
unterschieden sich jedoch.<br />
Claudia in Lappland<br />
Christiane<br />
Das Konzept des Sabbaticals<br />
beschäftigte mich bezüglich meines<br />
damals nahenden 50. Geburtstages und<br />
wurde tatsächlich 2021/22 wahr: „Was<br />
ist mir wichtig im Leben?“, „Welchen<br />
Ballast kann ich loswerden?“ – diesen<br />
Fragen wollte ich Raum geben und mich<br />
auch auf die Unsicherheit bewusst einlassen:<br />
„Ich verlasse etwas Vertrautes –<br />
was kommt jetzt?“. „Wer bin ich, wenn<br />
ich keine Lehrerin bin, wenn ich mein<br />
Pflichtbewusstsein ablege?“ Ich hatte<br />
bereits mehrere einjährige Auszeiten in<br />
meinem Leben. Nach dem Abitur arbeitete<br />
ich in England in einem christlichen<br />
Freizeitzentrum im Gästeservice als<br />
Freiwillige mit, anschließend besuchte<br />
ich eine Bibelschule. 2002/03 ging ich<br />
zwischen zwei Anstellungen für eine<br />
Tanzausbildung in die USA.<br />
Claudia<br />
Mit meinem Mann und unseren beiden<br />
Kindern lebte ich von 2007 bis 2015 in<br />
Australien und Papua-Neuguinea, wo<br />
ich sowohl in Preschools, Primary und<br />
Grammar Schools als auch in Homeschool-Cooperations<br />
mitarbeiten und<br />
wertvolle Erfahrungen sammeln durfte.<br />
In Buschschulen, mit einfachsten Unterrichtsmitteln,<br />
wie Stöckchen, Muscheln,<br />
Steinen und simplen, alten Tafeln,<br />
erkannte ich immer wieder, wie entscheidend<br />
die Lehrpersönlichkeit, ihre<br />
Kreativität und ihr Enthusiasmus für<br />
das gemeinsame Lernen ist. 2015 brachte<br />
der Re-Entry in die deutsche Gesellschaft<br />
und das bayerische Schulsystem<br />
viele Herausforderungen mit sich. Mit<br />
einer zweijährigen, bezahlten Sabbatzeit<br />
ab 2021 eröffnete sich die Option,<br />
eventuell noch einmal ins Ausland zu<br />
gehen. Eine Perspektive, die 2016 für<br />
mich wirklich essenziell war. Aufgrund<br />
unserer familiären und beruflichen Entwicklungen<br />
kam für 2021 kein längerfristiger<br />
Auslandsaufenthalt mehr in<br />
Frage.<br />
Erfahrungen während<br />
des Sabbaticals<br />
Für uns beide war eine der grundlegendsten<br />
und bedeutsamsten<br />
Erfahrungen die: einfach Zeit zu haben –<br />
für die Menschen und Erlebnisse, die uns<br />
wichtig sind, sowie gleichzeitig von der<br />
Einengung der Gedanken auf den Beruf<br />
befreit zu sein. Gerade in den letzten Jahren<br />
haben wir zunehmend und verstärkt<br />
erlebt, dass die Konzentration unserer<br />
Lebenswelt auf den Schulalltag zunimmt,<br />
sich viele unserer Gedanken auch außerhalb<br />
der Unterrichtsverpflichtung sehr<br />
stark um berufsrelevante Themen drehen,<br />
Beziehungen und außerschulische<br />
Interessen vernachlässigt werden. Die<br />
Freistellungsphase erlebten wir als<br />
Öffnung zeitlicher und gedanklicher<br />
Räume, so dass wir uns vertieft mit<br />
selbst gewählten Themen auseinandersetzen<br />
und bestehende Beziehungen<br />
aktiver und intensiver pflegen sowie neue<br />
Beziehungen knüpfen konnten.<br />
Christiane<br />
Bezüglich der Ausgestaltung eines<br />
Sabbatjahres gibt es vielfältige Möglichkeiten.<br />
Aber was passt zu mir? Entscheidungen<br />
treffen heißt auch, anderes<br />
auszuschließen, was innerhalb eines<br />
Jahres nicht möglich ist. Ja, ich bin im<br />
Sabbatjahr viel unterwegs gewesen,<br />
die Ruhephasen und Zeiten zu Hause<br />
waren jedoch sehr wichtig für mich.<br />
Ich nahm meine eigenen Bedürfnisse<br />
dahingehend ernst, dass ich Eindrücke<br />
verarbeiten wollte und musste. Ich hatte<br />
ein großes Privileg: Es gab für mich keinen<br />
äußeren Ballast, keine Krankheiten,<br />
keine familiären Belastungen, keine<br />
finanziellen Unsicherheiten. Ich konnte<br />
mein gewohntes Umfeld verlassen<br />
und aufbrechen … und wieder voller<br />
Erfahrungen nach Hause kommen.<br />
26<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
Im Laufe des Jahres habe ich meinen<br />
eigenen Rhythmus gefunden und das als<br />
große Freiheit empfunden. Meine Nachbarin<br />
meinte eines Tages: „Darf ich dir<br />
mal rückmelden, dass du in diesem Jahr<br />
viel mehr Gelassenheit und Offenheit<br />
ausgestrahlt hast!?“<br />
Diese Offenheit, aber gerade auch das<br />
Alleine-Unterwegs-Sein, ermöglicht<br />
mir immer wieder Begegnungen und<br />
Gespräche mit fremden Menschen, die<br />
schnell in die Tiefe gehen. Der beiderseitige<br />
Austausch und die (Lebens-)Geschichten<br />
der anderen bereichern und<br />
hinterlassen Spuren im Alltag. Nur selten<br />
erlebte ich mürrische Reaktionen, viel<br />
öfter wurde ich beschenkt durch Hilfsbereitschaft<br />
und Herzlichkeit. Sehr prägend<br />
war die Begegnung mit einer ehemals<br />
Inhaftierten, die mittlerweile in der<br />
Gefängnisseelsorge arbeitet und Menschen<br />
nun neue Hoffnung bringt.<br />
Eines meiner Vorhaben war es, während<br />
der Sabbatzeit einige Wochen in<br />
Israel zu verbringen. Pandemiebedingt<br />
wurde von einem Tag auf den anderen<br />
die Reisemöglichkeit dorthin untersagt,<br />
sodass meine Planung komplett auf den<br />
Kopf gestellt wurde. Im Nachhinein war<br />
es das Beste, was passieren konnte. Ich<br />
erlebte Israel verspätet im Frühling. Es<br />
waren vor allem die wenigen Wüstenerfahrungen,<br />
die mich auf einem Teil<br />
des Weitwanderwegs „Israel National<br />
Trail“ am meisten geprägt haben: Weniges<br />
schätzen, allein sein und doch Hilfe<br />
zur rechten Zeit bekommen, Lösungen<br />
finden in schwierigen Situationen …<br />
und immer wieder die Begegnungen mit<br />
anderen. „Mit wem du in Israel Freundschaft<br />
geschlossen hast, der bleibt dir als<br />
Freund dein Leben lang erhalten!“, erklärte<br />
mir eine Hamburgerin. Und tatsächlich<br />
begleiten und bereichern mich<br />
diese dort geschlossenen Kontakte auch<br />
weiterhin.<br />
Ab Dezember verbrachte ich statt in<br />
Israel sehr spontan mehr als zwei Monate<br />
in Costa Rica. Ich kannte die Sprache<br />
nicht, hatte keinen Reiseführer und<br />
war auf die Menschen vor Ort – Einheimische<br />
und Backpacker – angewiesen.<br />
Ich traf dort herzliche Menschen und<br />
war oftmals mit alternativen Lebensentwürfen<br />
konfrontiert: Rente, was ist das<br />
und wozu überhaupt? Leben mit und in<br />
der Natur, Permakultur/Landbesitz und<br />
selbstständiger Umgang mit der Zeit.<br />
Überdies half ich bei neu gewonnenen<br />
Christiane in Israel<br />
Freunden auf einem kleinen Bauernhof<br />
in den Bergen im Landesinneren aus. Sie<br />
leben ein hartes Leben mit viel Herzblut.<br />
Neben weiteren Reisen konnte ich Zeit<br />
für Freundschaften und Familie nutzen.<br />
Es ist eine besondere Zeit, die endlich ist.<br />
Es ist wie ein kostbarer Schatz, der Auswirkungen<br />
hat, auch wenn ich nur einen<br />
Bruchteil davon erzählen und durch<br />
mein Leben (mit-)teilen kann.<br />
Claudia<br />
Nachdem ein längerer Auslandsaufenthalt<br />
aus familiären Gründen nicht in<br />
Frage kam, genoss ich es einfach – ohne<br />
Vorgaben von außen – Zeit zu haben.<br />
Zeit, gemeinsam mit einer Freundin aus<br />
dem Kurs eine umfangreiche Diplomarbeit<br />
als Abschluss zur Montessoripädagogik-Ausbildung<br />
zu erstellen.<br />
Intensive, erfüllende Arbeit und<br />
Gemeinschaft. Zeit, in verschiedenen<br />
Montessori-Einrichtungen zu hospitieren<br />
und dabei stets den Gedanken zu<br />
bewegen, was ich von dem, was mich<br />
an der Arbeit in der Montessorischule<br />
überzeugt, mit in die Regelschule nehmen<br />
kann. Ist das überhaupt möglich,<br />
wenn ich Noten geben muss?<br />
Zeit, mich intensiv um die Familie zu<br />
kümmern, die flügge werdenden Kinder<br />
zu unterstützen und zu ermutigen, wo<br />
es nötig ist, und gleichzeitig zu lernen,<br />
sich zurückzunehmen. Zeit, kürzere und<br />
längere Touren mit dem Ehemann durch<br />
Deutschland zu unternehmen – ohne<br />
einen einzigen Gedanken, was ich für<br />
die Schule in den Ferien noch vorbereiten<br />
sollte. Zeit, intensiv für meine „große“<br />
Reise zu trainieren: mit Schneeschuhen<br />
auf einem Fernwanderweg in Lappland.<br />
120 km auf dem Schnee, Selbstversorgung<br />
in einfachen Hütten, kein<br />
Handyempfang und ab und zu auch stürmisches<br />
Wetter oder die Lawinengefahr<br />
einschätzen müssen. Auf der Heimreise<br />
mit neuem Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten<br />
im Gepäck, aber auch der großen<br />
Frage: „Welche Erfahrungen verweigere<br />
ich mir selbst – ohne Ausprobieren<br />
–, weil ich sie mir nicht zutraue?“<br />
Diese Frage ist nun mein ständiger Begleiter<br />
und hat mich zu neuen Erlebnissen<br />
ermutigt. Ich habe – mit der Unsicherheit<br />
eines frischen Diploms und wenig<br />
praktischer Erfahrung – über mehrere<br />
Monate in einer Montessori-Schule<br />
mitgearbeitet und erlebt, in eine vertrauensvolle,<br />
respektvolle Atmosphäre von<br />
den Mitarbeiter*innen, den Kindern und<br />
den Eltern aufgenommen zu werden.<br />
Dabei konnte ich pädagogische Fachkräfte<br />
aus der Ukraine bei ihrem Hospitationsbesuch<br />
in Deutschland begleiten<br />
und wurde eingeladen, sie in ihren<br />
Einrichtungen in der Ukraine zu besuchen.<br />
Dort berührte und bewegte mich<br />
die Hingabe der Mitarbeiter*innen zutiefst.<br />
In diesen Zeiten der Unsicherheit<br />
lassen sie sich nicht von den äußeren<br />
Umständen lähmen, sondern arbeiten<br />
unermüdlich in den inklusiven Montessori-Kinderhausgruppen,<br />
bauen eine<br />
inklusive Montessori-Grundschule auf,<br />
erarbeiten ein Montessori-Curriculum<br />
für Grundschulen, um es staatlich genehmigen<br />
zu lassen. Sie bilden staatliche<br />
Lehrkräfte in Montessori-Pädagogik aus<br />
und entwickeln Konzepte für Inklusion<br />
und die Schulung von Schulbegleiter*innen.<br />
Dabei stehen sie immer wieder – so<br />
wie wir in Deutschland auch – vor der<br />
Herausforderung, neue Flüchtlingskinder<br />
aus dem Osten der Ukraine zu integrieren,<br />
in diesem oft überwältigenden<br />
Spannungsfeld zwischen kindgerechter<br />
Pädagogik und fragwürdigen staatlichen<br />
Vorgaben. Mit großem Herzen und viel<br />
Kreativität, das Vorhandene zu nutzen,<br />
ermöglichen sie es den Kindern, Selbstwirksamkeit<br />
und selbstreguliertes Lernen<br />
zu erfahren, auch wenn dies manchmal<br />
bei Fliegeralarm im Schutzraum des<br />
Kellers stattfinden muss.<br />
Ich habe die Ausbildung zur Didaktik<br />
des Deutschen als Zweitsprache (DaZ)<br />
begonnen und darf dabei auch Arabisch<br />
sprechen und schreiben lernen,<br />
was mich dankenswerterweise sehr in<br />
die Selbsterfahrung der Rolle der Lernenden<br />
treibt. Vertieft konnte ich mich<br />
mathematischen Fortbildungen auch in<br />
anderen Bundesländern widmen und<br />
so dortige Kolleg*innen kennenlernen.<br />
Durch einen dieser Kontakte durfte ich<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
27
Praxis: Pausenkulturen<br />
für einen Tag Teil der Schulgemeinschaft<br />
in der Grundschule im Dichterviertel<br />
in Mülheim a. d. Ruhr sein und erleben,<br />
was intensive Teamarbeit bewirken<br />
kann und der Grundsatz, dass für mich<br />
als Erwachsener jedes Kind dieser Schule<br />
„mein“ Kind ist – egal, ob es offiziell<br />
in meiner Lerngruppe oder OGT-Gruppe<br />
ist oder nicht. Und dazwischen gab es<br />
immer wieder viel Zeit, mit „wildfremden“<br />
Menschen ins Gespräch zu kommen,<br />
mit älteren Mitmenschen in meiner<br />
Umgebung, mit Mitreisenden, mit<br />
Obdachlosen in verschiedenen Städten,<br />
mit Menschen in anderen Berufen, die<br />
ich ohne Zeitdruck ganz anders wahrnehmen<br />
kann.<br />
Aus dem Sabbatical zurück<br />
in den Schulalltag<br />
Claudia Köhler (links)<br />
ist Lehrerin in Mittelfranken und war<br />
vor der Sabbatzeit überwiegend als<br />
Klassenleitung in einer jahrgangsgemischten<br />
1/2 tätig.<br />
Christiane Weichmann<br />
ist angestellte Lehrerin an einer evangelischen<br />
Privatschule in Mittelfranken<br />
und Klassenleitung in einer jahrgangsgemischten<br />
1/2. Seit September 2022<br />
ist sie wieder im Schuldienst.<br />
Was nehmen wir mit aus unserer Auszeit?<br />
Was ist uns wichtig geworden? Was<br />
bleibt?<br />
Wir möchten unserem Beruf einen<br />
klareren Rahmen geben. Wir sind leidenschaftlich<br />
gern Grundschullehrerinnen<br />
und stecken viel Energie in unsere<br />
Arbeit. Um uns diese Energie zu erhalten<br />
und unseren Enthusiasmus zu bewahren,<br />
wollen wir für unsere Arbeit zeitliche,<br />
klar kommunizierte Rahmen setzen,<br />
in denen man z. B. für Kolleg*innen und<br />
Eltern erreichbar ist, und für uns selbst<br />
einen Sabbattag in der Woche wirklich<br />
freinehmen. Dazu gehört aber auch, immer<br />
wieder bewusst das gedankliche<br />
Kreisen um berufliche Themen wahrzunehmen<br />
und abzustellen, freie Zeiten<br />
einzuplanen und zu gestalten. Dafür<br />
ist es notwendig, in Distanz zu gehen,<br />
sich die Zeit zu nehmen, zu reflektieren<br />
durch die Möglichkeiten im Rahmen<br />
von Supervision, kollegialer Fallbesprechung,<br />
kollegialer Hospitation oder<br />
einfach nur im persönlichen Austausch.<br />
Oder auch gezielt anderen Tätigkeiten<br />
nachzugehen, wie beispielsweise durch<br />
ein Ehrenamt in der Gemeinschaft, sich<br />
vertieft mit Themen auseinanderzusetzen,<br />
die außerhalb der Schule liegen.<br />
Wir nehmen uns vor, diesen erweiterten<br />
Blickwinkel mit in den Schulalltag<br />
hineinzunehmen, weniger (auf<br />
Lehrplaninhalte) zu gängeln, sondern<br />
verstärkt die unterschiedlichen Kinderund<br />
Kolleg*innenpersönlichkeiten und<br />
deren Lebenswelten wahrzunehmen und<br />
anzunehmen. Notwendige Schulreformen<br />
von höheren Gremien dauern uns<br />
zu lange! Um weiterhin gerne in einem<br />
Umfeld stets zunehmender Anforderungen<br />
zu arbeiten, fühlen wir uns herausgefordert,<br />
nach Möglichkeiten zu<br />
suchen, wie professionelles Arbeiten an<br />
unserem Arbeitsplatz in einem vernünftigen<br />
Zeitrahmen zu schaffen ist. Dabei<br />
sind uns folgende Fragen wichtig geworden:<br />
Wie können wir gewinnbringend<br />
im Kollegium zusammenarbeiten?<br />
Wie arbeiten wir mit anderen Professionen<br />
(Erzieher*innen in Hort und Kita)<br />
so zusammen, dass wir uns gegenseitig<br />
und zum Wohl der Kinder unterstützen?<br />
Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit<br />
mit Eltern, Schülerpat*innen, kulturellen<br />
Einrichtungen gibt es?<br />
Und ganz wichtig: die Erkenntnisse,<br />
die wir in Fortbildungen und Hospitationen<br />
gewonnen haben, umsetzen, Unterrichtsmethoden<br />
und -materialien aus<br />
den schier unerschöpflichen Ressourcen<br />
kritisch hinterfragen und auf die eigene<br />
Situation anwenden. Das geht nur, wenn<br />
man innere Stärke hat und gut für sich<br />
selbst sorgt.<br />
Fazit<br />
Wir halten die Sabbatzeit für eine wichtige<br />
Möglichkeit, die eigene psychische<br />
und physische Gesundheit zu erhalten<br />
bzw. wiederherzustellen, neue, vor allem<br />
über den schulischen Alltag hinausgehende<br />
Impulse zu gewinnen, aber<br />
auch, um neue Kompetenzen für unseren<br />
Beruf zu erwerben. Bedauernswert finden<br />
wir, dass in Bayern die Möglichkeit<br />
einer Freistellungsphase für Beamt*innen<br />
momentan ausgesetzt ist. Ob somit<br />
dem vorhandenen Lehrer*innenmangel<br />
entgegengewirkt wird bzw. unser Beruf<br />
an Attraktivität gewinnt, bezweifeln wir.<br />
Wir kehren jedenfalls erst mal mit neuer<br />
Motivation und neuen Schwerpunkten in<br />
unseren Schulalltag zurück.<br />
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Lernen dargestellt und verschiedene Handlungsfelder<br />
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28<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Aus Pausenkulturen<br />
der Forschung<br />
Johannes Wendsche, Yasemin Z. Varol und Sten Ullmann<br />
Schulpausen: Wie Grundschullehrkräfte<br />
in der Ruhe Kraft finden können<br />
Schulpausen gehören zum Alltag von allen Grundschüler*innen. Doch für<br />
Lehrkräfte sind Pausen meist eher wenig erholsam, da diese meist mit organisationalen<br />
Aufgaben beschäftigt sind, den Unterrichtsraum wechseln oder ihrer<br />
Aufsichtspflicht nachkommen müssen. Schlichtweg: Die Schulpause ist für die<br />
Lehrkraft eher normale Arbeitszeit.<br />
In diesem Beitrag beantworten wir<br />
aus Sicht der Forschung, warum<br />
Arbeitspausen für Lehrkräfte so<br />
wichtig sind, wie sie gestaltet sein können<br />
und unter welchen Rahmenbedingungen<br />
eine gesundheitsförderliche<br />
Pausenorganisation gelingen kann.<br />
Was sind Arbeitspausen?<br />
Sobald wir arbeiten, sind wir körperlichen<br />
und psychischen Belastungen ausgesetzt<br />
und können uns dadurch beansprucht<br />
oder „gestresst“ fühlen. Unser<br />
Körper reagiert auf diese Belastungen<br />
und fährt seine Funktionen hoch. Der<br />
Prozess der Erholung ermöglicht es dem<br />
Körper, zu seiner ursprünglichen Funktionsweise<br />
wie vor der Belastungseinwirkung<br />
zurückzukehren. Arbeitspausen<br />
als Arbeitsunterbrechungen während<br />
einer Arbeitsschicht können diesen Erholungsprozess<br />
bei Beschäftigten unterstützen<br />
(Wendsche/Lohmann-Haislah<br />
2018).<br />
Arbeitspausen sind von längeren Erholungsphasen<br />
nach getaner Arbeit –<br />
der Ruhezeit – und von anderen Unterbrechungsarten<br />
abzugrenzen. Der Feierabend,<br />
das Wochenende, der Urlaub und<br />
die Sabbatzeit liefern einen bedeutsamen<br />
Beitrag zur Erholung. Dahingegen können<br />
Störungen der Erholungszeit oder<br />
z. B. Rufbereitschaftszeiten häufig erneut<br />
zu einem Belastungsanstieg führen und<br />
somit die Erholung und damit letztlich<br />
auch die Arbeitsleistung sowie das allgemeine<br />
Wohlbefinden beeinträchtigen<br />
(Puranik/Koopman/Vough 2020).<br />
Arbeits- und Erholungsphasen regelmäßig<br />
abwechselten und dass bereits<br />
vor über 3000 Jahren Pausensysteme<br />
die Arbeiter im Alten Ägypten beim<br />
Bau der Pyramiden und in der Landwirtschaft<br />
regelmäßig von der schweren<br />
Arbeit entlasteten. Als mit der fortschreitenden<br />
Industrialisierung im 19.<br />
Jahrhundert Kinder unter ex-trem langen<br />
Arbeitszeiten in Fabriken arbeiten<br />
mussten und dabei ihre Schulpflicht verletzten,<br />
entstand mit dem Preußischen<br />
Regulativ (1839) – einem Vorläufer des<br />
heutigen Arbeitsschutzgesetzes – das<br />
erste Gesetz, das die tagtägliche Höchstarbeitszeit<br />
jugendlicher Arbeiter*innen<br />
begrenzte und sie zu regelmäßigen<br />
Arbeitspausen verpflichtete.<br />
Forscher*innen begannen Ende des<br />
19. Jahrhunderts zunächst die Wirkungen<br />
von Pausen bei Schüler*innen zu<br />
untersuchen (Wendsche 2017). So konnte<br />
bspw. gezeigt werden, dass sich durch<br />
regelmäßige Pausen beim Diktat, beim<br />
Lernen von Zahlenreihen oder bei Rechenaufgaben<br />
die (Lern-)Leistung verbessern<br />
lässt. Die Vorteile von Lernpausen<br />
im Vergleich zum Lernen ohne Pausen<br />
sind inzwischen gut belegt (www.<br />
visiblelearningmetax.com/Influences).<br />
Pausenstudien zur Verbesserung der<br />
Arbeitsleistung bei industriellen Tätigkeiten<br />
schlossen sich an. Inzwischen wurden<br />
zahlreiche Gestaltungsmerkmale von<br />
Arbeitspausen, ihre Wirkungen und ihre<br />
Einflussgrößen untersucht (s. Abb. 1). Sie<br />
werden nachfolgend erläutert.<br />
Wie sieht die Erholungs- und<br />
Pausensituation bei Lehrkräften<br />
in Deutschland aus?<br />
In der BIBB-BAuA-Erwerbstätigenbefragung<br />
2012 berichteten 34 % der<br />
Beschäftigten aus Erziehung und Unterricht,<br />
dass ihre Ruhepausen häufig ausfallen<br />
(Lohmann-Haislah 2012). In<br />
der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2017<br />
berichten von den Grundschullehrkräften<br />
sogar 42 %, dass ihre Pausen<br />
häufig ausfallen und 52 %, dass ihre<br />
Pausen häufig unterbrochen/verkürzt<br />
werden. Die Daten sind allerdings aufgrund<br />
der kleinen Stichprobe (N = 65)<br />
vorsichtig zu interpretieren. Sie deuten<br />
aber darauf hin, dass die Probleme mit<br />
Historischer Rückblick (Wendsche<br />
2017)<br />
Die Gliederung des Arbeitstages durch<br />
regelmäßige Pausen ist keine Erfindung<br />
der Neuzeit. Aus anthropologischen Studien<br />
ist bekannt, dass sich bereits in vorzeitlichen<br />
Jäger- und Sammlerkulturen<br />
Abb. 1: Einflussgrößen, Gestaltungsmerkmale und Wirkungen der Pausenorganisation<br />
(siehe Wendsche/Lohmann-Haislah 2018)<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
29
Aus Praxis: der Pausenkulturen<br />
Forschung<br />
der Pausenorganisation häufiger als bei<br />
Lehrkräften anderer Schulstufen (bspw.<br />
Sekundar- und Berufsschullehrkräfte;<br />
Pausenausfall/Pausenunterbrechung:<br />
37/33 %, N = 705) und bei Beschäftigten<br />
anderer Berufe (Pausenausfall/Pausenunterbrechung:<br />
28/16 %, N = 7.556) auftreten.<br />
In der Gesamtstichprobe hingen<br />
der häufigere Pausenausfall und die<br />
häufigere Pausenunterbrechung/-verkürzung<br />
mit höheren gesundheitlichen<br />
Beschwerden zusammen (Vieten et al.<br />
2023).<br />
Betrachtet man nur die Grund- und<br />
Sekundarschullehrkräfte (N = 316), so<br />
zeigen sich vergleichbare Risiken für das<br />
Erleben von Ermüdungs- und Erschöpfungssymptomen<br />
(s. Abb. 2).<br />
Bei einer Mitarbeiter*innenbefragung<br />
in sächsischen Schulen bemängelte die<br />
Mehrheit der Schulleitungen und Personalvertretungen<br />
eingeschränkte Erholungsmöglichkeiten<br />
der Lehrkräfte in den<br />
Pausen (Debitz/Hubrich/Roitzsch 2022).<br />
Dies zählte schulartübergreifend zu den<br />
stärksten Belastungsquellen in der Arbeit.<br />
Auch in der Niedersächsischen Arbeitsbelastungsstudie<br />
2016 beschreiben über<br />
80 % der Lehrkräfte ein Belastungserleben<br />
aufgrund fehlender Erholungsmöglichkeiten<br />
in den Schulpausen (Mußmann/Hardwig/Riethmüller<br />
2017). Eine Nachfolgestudie<br />
ergab ähnliche Ergebnisse, zusätzlich<br />
berichteten 77 %, dass sie häufig ihre<br />
Pausen verkürzen oder ausfallen lassen<br />
müssen (Mußmann et al. 2020).<br />
Aktuelle Pausengestaltung bei Lehrkräften<br />
Insgesamt zeigen diese Daten, dass<br />
bei Lehrkräften, insbesondere im<br />
Grundschulbereich, (1) Mindestanforderungen<br />
an die Gestaltung von<br />
Ruhepausen laut Arbeitszeitgesetz oft<br />
nicht eingehalten werden, (2) damit<br />
akuter Verbesserungsbedarf hinsichtlich<br />
der Pausenorganisation besteht<br />
und (3) solche Maßnahmen potenziell<br />
gesundheitsförderliche Wirkungen für<br />
die Lehrkräfte erzielen dürften.<br />
In der Forschung wurden acht zentrale<br />
Funktionen von Arbeitspausen ermittelt<br />
(Wendsche 2017). (1.) Erholung findet<br />
in den Pausen statt, wenn nicht<br />
gearbeitet oder die Tätigkeit gewechselt<br />
wird. Daher spielt die Auswahl erholsamer<br />
Aktivitäten eine wichtige Rolle<br />
für den Pausenerfolg. Erholungsförderlich<br />
und damit entscheidend für den<br />
Erfolg von Pausen ist es, wenn man sich<br />
in der Erholungspause mental von der<br />
Arbeit distanzieren kann, sich entspannt,<br />
sich sozial eingebunden fühlt und die<br />
Erholungsphase als sinnhaft, lernförderlich<br />
sowie beeinflussbar erlebt. Pausen<br />
haben (2.) eine motivationale und (3.)<br />
ablauforganisatorische Funktion, indem<br />
sie die Gesamtarbeitszeit in kürzere Teilabschnitte<br />
gliedern. Sie dienen weiterhin<br />
dem (4.) Belastungsausgleich und<br />
der (5.) Belastungsbegrenzung und bieten<br />
Zeitfenster, um über bewältigte und<br />
anstehende Arbeitsziele zu reflektieren<br />
(6. Feedbackfunktion). Pausen ermöglichen<br />
es auch, (7.) individuellen Bedürfnissen<br />
(Individualfunktion) nachzukommen,<br />
die durch oder während der<br />
Arbeit nur wenig befriedigt werden (z. B.<br />
Bewegung oder Nahrungsaufnahme).<br />
Nicht zu vergessen sind (8.) die sozialen<br />
und betriebskulturellen Aspekte der<br />
Pause (Sozial- und Kulturfunktion) zur<br />
Unterstützung der Arbeit und des sozialen<br />
Austausches in Arbeitsgruppen.<br />
Was sind Stellgrößen der<br />
Pausenorganisation?<br />
Die Pausenorganisation ist durch<br />
gesetzliche und betriebliche Regeln,<br />
das Pausenregime, die Pausentätigkeit,<br />
die Pausenumgebung und die individuellen<br />
Einflussmöglichkeiten des/der<br />
Beschäftigten auf die zuvor genannten<br />
Merkmale beschreib- und gestaltbar.<br />
Zu den gesetzlichen und betrieblichen<br />
Regeln (z. B. im Rahmen von Dienstoder<br />
Betriebsvereinbarungen) gehören<br />
Anforderungen an die Mindestpausendauer,<br />
die Pausenlage, die zeitliche Erfassung<br />
von Pausenzeiten und Kurzpausenregeln.<br />
Das Pausenregime wird durch die<br />
Gesamtpausendauer an einem Arbeitstag,<br />
die Dauer und Häufigkeit von Einzelpausen<br />
(sowohl Ruhepausen ≥ 15 Minuten<br />
als auch Kurz-, Mini-, und Mikropausen<br />
< 15 Minuten) sowie deren Lage und Verteilung<br />
beschrieben. Erholungsförderlich<br />
ist es, wenn Pausen planbar sind.<br />
Hinweis zur Gestaltung<br />
von Pausenaktivitäten<br />
Insbesondere Aktivitäten, die Anforderungen<br />
aus der Arbeit kompensieren,<br />
d. h. gegenteilig zur Arbeit sind, werden<br />
als erholsam erlebt.<br />
Anforderungen an die Gestaltung<br />
von Pausen- und Sozialräumen sind in<br />
den Arbeitsstättenregeln (ASR 4.2) formuliert.<br />
Zu vermeiden sind dabei starke<br />
physikalische Stressoren (z. B. Hitze,<br />
Lärm). Pausen in natürlichen Umwelten,<br />
wie z. B. in Parks oder in Pausenräumen<br />
mit Naturelementen, und v. a. das Verlassen<br />
des Arbeitsplatzes fördern die Erholung<br />
zusätzlich (Wendsche 2023). Wichtig<br />
ist es, dass Beschäftigte bei der Gestaltung<br />
betrieblicher Pausenregeln mitbestimmen<br />
können, da häufigere und<br />
selbstbestimmte Pausen oft erwünscht<br />
sind (Pardion/Lazar 2017).<br />
Welche Funktionen haben Pausen?<br />
Abb. 2: Relative Häufigkeiten berichteter Ermüdungs- und Erschöpfungssymptome<br />
in Abhängigkeit von der Pausenorganisation bei Primar- und Sekundarschullehrkräften<br />
(N = 316 bis 65 Jahre mit gesetzlichem Pausenanspruch,<br />
BAuA-Arbeitszeitbefragung 2017)<br />
30<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Aus Pausenkulturen<br />
der Forschung<br />
Welche gesetzlichen<br />
Regeln gibt es?<br />
Handlungsleitend für die Pausenorganisation<br />
sind die Mindestanforderungen<br />
aus dem Arbeitszeitgesetz<br />
(ArbZG). Demnach muss die<br />
Gesamtpausendauer bei sechs- bis<br />
neunstündiger Gesamtarbeitszeit mindestens<br />
30 Minuten betragen und mindestens<br />
45 Minuten bei mehr als neun<br />
Stunden Gesamtarbeitszeit. Einzelne<br />
Ruhepausen müssen mindestens<br />
15 Minuten lang sein. Nach aktueller<br />
Rechtsprechung ist die Arbeitszeit der<br />
Lehrkräfte inklusive Pausen- und Ruhezeiten<br />
zu dokumentieren.<br />
Die Lage und Verteilung der Ruhepausen<br />
müssen bereits zu Beginn der<br />
Arbeitsaufnahme planbar sein. Ruhepausen<br />
dürfen nicht an den Anfang<br />
und/oder das Ende der Arbeitszeit gelegt<br />
werden („Abfeiern“). Beschäftigte müssen<br />
während der Ruhepause nicht arbeiten<br />
und sich nicht für zwischenzeitlich<br />
anfallende Arbeitstätigkeiten bereithalten.<br />
Die Wahl der Pausentätigkeiten und<br />
des Pausenortes obliegt den Beschäftigten.<br />
Regelungen zur Pausenorganisation,<br />
die über diese Mindestanforderungen<br />
hinausgehen, können durch spezielle<br />
Betriebs- oder Dienstvereinbarungen<br />
geschlossen werden; bspw. die Einführung<br />
regelmäßiger Kurzpausen. Zusätzlich<br />
kann es bei einer regelmäßig extrem<br />
hohen physiologischen Arbeitsbelastung<br />
(z. B. starke Konzentrationsanforderungen<br />
bei Fluglotsen) nötig sein, bezahlte<br />
Kurzpausen einzuführen, um eine Überschreitung<br />
der Grenzen der Dauerleistungsfähigkeit<br />
vorzubeugen.<br />
Welche Wirkungen haben Pausen?<br />
Erholungsaktivitäten, die nur geringe<br />
Anforderungen an den Beschäftigten<br />
stellen (z. B. Musik hören), positive<br />
Erholungserfahrungen (z. B. Abschalten<br />
von der Arbeit, Entspannung) und das<br />
Erholungserleben hängen mit zahlreichen<br />
erwünschten Folgen positiv<br />
zusammen (z. B. Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit,<br />
Schlaf und Arbeitsleistung;<br />
Steed et al. 2021).<br />
Auch die Wirkungen von Arbeitspausen<br />
sind gut untersucht (Wendsche/Lohmann-Haislah<br />
2016). Demnach tragen<br />
Pausen zur Vorbeugung körperlicher<br />
und psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen<br />
bei, sie erhöhen die Arbeitsleistung,<br />
sie wirken lern- und kreativitätsförderlich<br />
und reduzieren Risiken für<br />
das Auftreten von Arbeitsunfällen und<br />
Fehlzeiten bei Mitarbeiter*innen. Pausen<br />
tragen substanziell zur Mitarbeiter*innenbindung<br />
bei und verringern Risiken,<br />
dass Beschäftigte kündigen.<br />
Die Vorteile von Kurzpausen (z. B. 5 Minuten<br />
pro Stunde) sind ebenso nachgewiesen,<br />
bspw. hinsichtlich eines höheren körperlichen<br />
und psychischen Wohlbefindens,<br />
einer geringeren physiologischen<br />
Thema Veränderungsvorschläge Mögliche Herausforderungen<br />
Aufklärung und<br />
Sensibilisierung der<br />
Lehrkräfte für Pause<br />
und Erholung<br />
Veränderung der<br />
Ablauforganisation<br />
im Schulalltag<br />
„One-fits-all“ und<br />
schulspezifisches<br />
Vorgehen<br />
Pausenregime<br />
Pausenort und<br />
Pausentätigkeit<br />
• Information und Schulung<br />
• Teaminterne Fortbildungen, Erfahrungsaustausch<br />
(bspw. gegenseitiges Vorstellen von Best-Practice-<br />
Beispielen)<br />
• Stundenorganisation ändern, um längere Übergänge<br />
und Pausen zu ermöglichen<br />
• Blockunterrichtszeiten<br />
• Lehrkraftaufgaben (z. B. Vor-/Nachbereitung) aus den<br />
Schulpausen verlagern<br />
• Aufsichten optimieren (Helfer*innen, Schulkinder<br />
ermächtigend einbeziehen)<br />
• Individuelle Mitsprache bei Übernahme von Aufsichten<br />
(Tageszeit, Ort) stärken<br />
• Springersysteme entwickeln, evtl. Wechselsysteme bzgl.<br />
Pausenort (Hof- vs. Zimmerpausen) für Schulkinder<br />
• Gesetzliche Muss-Regeln umsetzen<br />
• Schulkontext und Rahmenbedingungen berücksichtigen<br />
• Partizipatives Vorgehen bei Maßnahmenentwicklung<br />
• Längere Pausen ermöglichen (z. B. Unterrichtspause<br />
von 50 Minuten in der Mittagszeit)<br />
• Feste Pausenregeln installieren<br />
• Lehrkraftzimmer und Schulzimmer erholungsförderlich<br />
gestalten, Ruhebereiche gestalten, freie Zimmer für<br />
Pause nutzen<br />
• Störungsfreie Pausen sichern und Regeln für Schulkinder<br />
ausstellen, wann Lehrkraftgespräche möglich sind<br />
• Angebote für verschiedene Pausenaktivitäten erarbeiten<br />
(z. B. Trink-, Obst-, Bewegungs-, Gesprächs-, Entspannungspausen)<br />
• Kurzpausen in der Unterrichtsstunde<br />
• Reaktanz durch Rollenkonflikte<br />
(selber „belehrt“ werden)<br />
• Abbau negativer Einstellungen zu Pause und Erholung<br />
• Stärkung der Eigenverantwortung<br />
• Infragestellung etablierter Stundenplanungskonzepte<br />
• Strukturelle Barrieren (z. B. Abfahrtszeiten der<br />
Schulbusse, externe Essensversorgung)<br />
• Eventuelle Aufwandsteigerung ohne Reduktion der<br />
Arbeitsmenge<br />
• Klassenanzahl und räumliche Gegebenheiten als<br />
Determinanten der Aufsichtsorganisation<br />
• Unstimmigkeiten bei Zuordnung zu Pausengruppen<br />
(bspw. Gefühl der Unfairness)<br />
• Ungünstige räumliche Bedingungen nicht ad hoc<br />
veränderbar<br />
• Fehlende Mitwirkungsbereitschaft der Lehrkräfte<br />
• Unterrichtsende verschiebt sich nach hinten<br />
• Gefühl, kontrolliert zu werden<br />
• Finanzielle Kosten, Platzmangel<br />
• Regeln einhalten und kontrollieren<br />
• Umgang mit kritischen Situationen (Schulkind stört<br />
doch die Lehrkraftpause)<br />
• Geringe Mitwirkungsbereitschaft in Gruppenpausen<br />
(z. B. gemeinsame bewegte Pause)<br />
• Aufbau und Pflege neuer Pausenrituale dauert<br />
Tab. 1: Vorschläge für die Reorganisation von Pausen bei Lehrkräften und mögliche Herausforderungen<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
31
Aus Praxis: der Pausenkulturen<br />
Forschung<br />
Belastung und einer höheren Arbeitsleistung<br />
(Wendsche/Lohmann-Haislah/Wegge<br />
2016). Daher sollte der Arbeitstag nicht<br />
nur längere Ruhepausen, sondern auch regelmäßige<br />
Kurzpausen beinhalten.<br />
Welche Faktoren beeinflussen<br />
die Pausengestaltung?<br />
Dr. Johannes Wendsche, (links)<br />
Diplom-Psychologe, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundesanstalt für<br />
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Gruppe 3.3 „Arbeitsgestaltung bei personenbezogenen<br />
Dienstleistungen“, Fabricestrasse 8, D-01099 Dresden,<br />
E-Mail: wendsche.johannes@baua.bund.de.<br />
Dr. Yasemin Z. Varol,<br />
M. Sc. Psychologie, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Pädagogische<br />
Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt/Main, Theodor-W.-Adorno-<br />
Platz 6, D-60629 Frankfurt am Main, E-Mail: varol@psych.uni-frankfurt.de.<br />
Sten Ullmann,<br />
ist staatlich examinierte Grundschullehrkraft und Moderator beim Austausch für<br />
Beratungslehrkräfte in Sachsen, Dresden, E-Mail: StenUllmann@T-online.de.<br />
Es wurden zahlreiche Faktoren identifiziert,<br />
die Beschäftigte motivieren, eine<br />
Pause einzulegen oder aber diese ausfallen<br />
zu lassen (Phan/Beck 2023). Auslöser<br />
von Pausen sind das Erleben von<br />
Ermüdung, der Wunsch, individuelle<br />
Bedürfnisse zu befriedigen (z. B.<br />
Hunger, sozialer Kontakt, Distanzierung<br />
von der Arbeit), sowie das Gefühl,<br />
dass die eigene Arbeitsleistung nachlässt.<br />
Treiber des Pausenausfalls sind<br />
hohe Arbeitsanforderungen (z. B. Zeitdruck,<br />
hohe emotionale oder kognitive<br />
Anforderungen), der Wunsch, die<br />
Arbeitsaufgaben zeitnah zu beenden,<br />
eine starke intrinsische Motivation (z. B.<br />
reduziertes Zeiterleben, Vertiefung in die<br />
Aufgabe) sowie die Erfüllung von (vermeintlichen)<br />
gruppenbezogenen Normen<br />
(z. B. in Bezug auf die Erwartungen<br />
des Kollegiums).<br />
Die Schulleitung spielt ebenso eine<br />
zentrale Rolle, wenn es darum geht,<br />
konkrete Regeln und Praktiken zur Erholungsförderung<br />
zu implementieren<br />
(Wendsche 2023). Studien zeigen, dass<br />
in Organisationen mit einer starken Erholungskultur,<br />
Führungskräfte eher gesundheitsförderlich<br />
führen (als Vorbild<br />
und als Unterstützung ihrer Mitarbeiter*innen)<br />
und die Beschäftigten dort<br />
ein günstigeres Erholungsverhalten (z. B.<br />
weniger Pausenausfall, seltener Arbeit in<br />
der Ruhezeit) sowie ein höheres Wohlbefinden<br />
und eine höhere Arbeitsmotivation<br />
berichten.<br />
Auch die Erholungsfähigkeit und die<br />
Pausenabsicht der Beschäftigten beeinflussen<br />
ihre Erholung (Blasche et al.<br />
2021). Allerdings berichten Lehrkräfte<br />
wesentlich häufiger von Erholungsproblemen<br />
als Beschäftigte in anderen Berufsgruppen,<br />
was einen starken Risikofaktor<br />
für das Auftreten von gesundheitlichen<br />
Beschwerden sowie Krankentagen<br />
darstellen kann (Schulz et al. 2020; Varol<br />
et al. 2021).<br />
Neben der Beseitigung erholungskritischer<br />
Arbeitsbedingungen (Verhältnisprävention)<br />
sollten Beschäftigte daher betriebliche<br />
Angebote zur Förderung ihrer<br />
Erholungsfähigkeit bekommen (Verhaltensprävention).<br />
So haben sich z. B.<br />
Schlaf-, Achtsamkeits- und Emotionsregulationstrainings<br />
sowie Trainings zur<br />
Verbesserung der Grenzziehung zwischen<br />
Arbeit und Privatleben als wirksam<br />
erwiesen (Karabinski et al. 2021).<br />
Wie kann man die Pausenkultur in<br />
Grundschulen ändern und welche<br />
Herausforderungen gibt es dabei?<br />
Typische Themen bei der Ableitung<br />
von Maßnahmen zur Verbesserung der<br />
Pausenorganisation sind die Festlegung<br />
der Anzahl und Verteilung von Pausen,<br />
die Gestaltung des Pausenortes und der<br />
Pausentätigkeiten, die Veränderung weiterer<br />
Arbeitsbedingungsfaktoren (z. B.<br />
Art und Anzahl der Unterrichtsstunden,<br />
tageszeitliche Aufgabenverteilung) und<br />
betriebsorganisatorische Aspekte (z. B.<br />
Planung/Konzeption, Rückmeldung<br />
und Partizipation) mit Einfluss auf<br />
die Pausen. Dabei hat es sich als hilfreich<br />
erwiesen, Lösungsvorschläge von<br />
Beschäftigten hinsichtlich der Bedarfe<br />
und Umsetzbarkeit einzuholen.<br />
Zunächst müssen allerdings die Vorgaben<br />
umgesetzt werden, die gesetzlich<br />
erforderlich sind und dann weitere, die<br />
mit den Beschäftigen (= Lehrpersonen)<br />
gemeinsam gestaltet werden. Am Beispiel<br />
der Reorganisation von Pausen in<br />
der Pflege kann die Wichtigkeit eines<br />
solchen kooperativen Prozess verdeutlicht<br />
werden (Jaensch et al. 2020). In<br />
einem Arbeitsbereich, bei dem – wie in<br />
der Schule – Pausen oft ausfallen oder<br />
unterbrochen werden und zudem häufig<br />
Überwachungsaufgaben während<br />
der Pausenzeiten anfallen – vergleichbar<br />
mit der Pausenaufsicht in Schulen<br />
–, haben sich Pausengruppen und rotierende<br />
Springersysteme bewährt. In solchen<br />
Organisationsformen werden die<br />
Beschäftigten vor Arbeitsbeginn verschiedenen<br />
Pausengruppen zugeordnet,<br />
die dann zeitlich versetzt pausieren bzw.<br />
täglich wechselnd einzelne Personen bestimmt,<br />
die sich anfallenden arbeitsbedingten<br />
Pausenunterbrechungen (z. B.<br />
Schülernachfragen im Lehrkraftzimmer)<br />
widmen (Melzer/Wendsche 2021).<br />
In Tabelle 1 haben wir zur Anregung<br />
einige Veränderungsvorschläge und<br />
mögliche Herausforderungen im Kontext<br />
der Reorganisation von Lehrkraftpausen<br />
gesammelt und ergänzt (siehe<br />
Debitz/Hubrich/Roitzsch 2022; Mußmann/Hardwig/Riethmüller<br />
2017).<br />
Fazit<br />
Lehrkräfte sind zahlreichen beruflichen<br />
Belastungen ausgesetzt, die bei einem<br />
Mangel an regelmäßiger Erholung<br />
langfristig zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen<br />
führen können. Da der<br />
32<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
Lehrer*innenberuf häufig erfordert,<br />
dass unterrichtsvor- und unterrichtsnachbereitende<br />
Tätigkeiten<br />
am häuslichen Arbeitsplatz erledigt<br />
werden, entstehen durch die<br />
Vermischung von Arbeitswelt und<br />
außerberuflicher Lebenswelt Risiken<br />
für die tägliche Erholung nach<br />
der Arbeit (Türktorun/Weiher/<br />
Horz 2020).<br />
Aus arbeitswissenschaftlicher<br />
Sicht empfiehlt es sich daher, den<br />
Anteil an Heimarbeit zu reduzieren<br />
und schultypische Tätigkeiten<br />
(bspw. Korrigieren) an einen ergonomisch<br />
eingerichteten Arbeitsplatz<br />
in die Schule zu verlegen. Erholungsrisiken<br />
sind allerdings auch<br />
während der Arbeitszeit in der<br />
Schule offensichtlich, da ein Großteil<br />
der Lehrkräfte einen Mangel an<br />
Pausenzeiten berichtet. Neben der<br />
Sensibilisierung von Lehrkräften<br />
für das Thema Erholung und dem<br />
Angebot von individuellen Maßnahmen<br />
zur Förderung der Erholungsfähigkeit,<br />
bedarf es allerdings<br />
struktureller Veränderungen, die<br />
zur Einhaltung der gesetzlich geforderten<br />
Arbeitszeitvorschriften (Pausen-<br />
und Ruhezeiten) beitragen.<br />
Es gibt verschiedene Bereiche, in<br />
denen Verbesserungen vorgenommen<br />
werden können. Dazu gehören<br />
die Stunden- und Pausenorganisation,<br />
die Gestaltung von Erholungsorten<br />
in der Schule, die Aufsichts-<br />
und Tätigkeitsplanung sowie<br />
die Einführung von Pausengruppen<br />
und Springersystemen.<br />
Aus bisherigen Untersuchungen<br />
können wir ableiten, dass eine hohe<br />
Arbeitsintensität zu den stärksten<br />
Risikofaktoren für den Ausfall<br />
von Pausen zählt (Wendsche/Lohmann-Haislah<br />
2018). Bei der Festlegung<br />
des Lehrdeputats müssen<br />
deshalb potenzielle Risiken für die<br />
Erholung der Lehrkraft bekannt sein<br />
(dazu gibt es nach unserem Wissen<br />
keine umfangreichen Studien) und<br />
möglichst grenzwertbasiert vorgebeugt<br />
werden.<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website<br />
herunterladen:<br />
https://t1p.de/<strong>GSa163</strong>Lit<br />
Aus dem Vorstand<br />
Verantwortung für Bildungsgerechtigkeit<br />
Zwei wichtige Veranstaltungen der<br />
letzten Zeit sollen hier von unserer<br />
Seite aus noch einmal in den<br />
Blick genommen werden: Die<br />
Delegiertenversammlung vom Mai 2023<br />
sowie die gemeinsame Veranstaltung<br />
mit der GGG „Verantwortung für<br />
Bildungsgerechtigkeit – Startchancen-<br />
Programm als Chance“ am 10. Juni 2023<br />
an der Fritz-Karsen-Schule Berlin.<br />
Besonders erfreulich ist, dass sich offensichtlich<br />
immer mehr junge Menschen<br />
in der Verbandsarbeit engagieren.<br />
So konnten wir bei der Mai-Delegiertenversammlung<br />
eine Reihe von jungen<br />
Neuen begrüßen, die sich allesamt aktiv<br />
in die Diskussion einbrachten.<br />
Mit Blick auf die 2020 eingesetzten<br />
Arbeitsgruppen können wir eine offensichtlich<br />
positive Wirkung auf das Verbandsgeschehen<br />
feststellen:<br />
● Neben einem steten, wenn auch moderaten<br />
Rückgang der Austritte von<br />
Mitgliedern ist ein ebenso steter und<br />
moderater Zugang bei den Neueintritten<br />
zu verzeichnen.<br />
● Mit der Neuordnung der Beitragsstruktur<br />
erreichte uns eine Fülle von<br />
Änderungswünschen. Diese zeigen,<br />
dass diese Änderungen den Wünschen<br />
vieler Mitglieder entgegenkommen.<br />
● Durch gezielte Aktivitäten im Social-<br />
Media-Bereich erreichen wir immer<br />
mehr auch junge Menschen und machen<br />
unseren Fachverband auch in<br />
dieser Gruppe bekannter.<br />
● Die steigende Zahl der Abonnent*innen<br />
des neugestalteten Newsletters<br />
zeigt, dass wir auch hier auf einem<br />
guten Weg sind.<br />
Nachdem Prof. Dr. Ulla Carle ihr Amt,<br />
wie angekündigt, in der Novemberversammlung<br />
zurückgegeben hatte, konnte<br />
mit der Neuwahl von Prof. Dr. Eva<br />
Franz (Uni Trier) der Vorstand wieder<br />
vervollständigt werden. Sie wurde ebenso<br />
herzlich begrüßt wie Prof. Dr. Uta<br />
Häsel-Weide (Uni Paderborn) und Prof.<br />
Dr. Marcus Nührenbörger (Uni Münster),<br />
die als neue Fachreferent*innen<br />
für den Bereich mathematisches Lernen<br />
im Kontext von Heterogenität<br />
gewonnen werden konnten und gleichfalls<br />
einstimmig gewählt wurden. Den<br />
Neugewählten gilt unser Dank für ihre<br />
Bereitschaft, im Verband mitzuwirken<br />
– wir freuen uns auf die zukünftige<br />
Zusammenarbeit!<br />
Neben vielen intensiv diskutierten Tagesordnungspunkten<br />
wurde der überarbeitete<br />
Standpunkt Inklusion von den<br />
Delegierten verabschiedet, sukzessive<br />
werden alle Standpunkte auf den Prüfstand<br />
gestellt und ggfs. Überarbeitungen<br />
vorgenommen, wo dies sinnvoll erscheint.<br />
Die Delegiertenversammlung bot<br />
auch den Rahmen, Michael Töpler, der<br />
sieben Hefte von Grundschule aktuell<br />
redaktionell betreut hatte, würdevoll aus<br />
dieser Verantwortung zu verabschieden<br />
und sich für seine Bereitschaft einer weiteren<br />
Mitarbeit zu bedanken.<br />
Erstmalig haben die Gemeinnützige<br />
Gesellschaft Gesamtschule (GGG) und<br />
der Grundschulverband (GSV) eine gemeinsame<br />
Veranstaltung zum Startchancenprogramm<br />
organisiert und am<br />
10.06.2023 in Berlin durchgeführt. Vortrag,<br />
Podiumsgespräch und vier Foren<br />
boten einen wirkungsvollen Rahmen<br />
für eine überzeugende Positionierung<br />
beider Verbände zum Startchancenprogramm,<br />
das Kindern und Jugendlichen<br />
bessere Bildungschancen eröffnen soll.<br />
In der derzeitigen endlosen Debatte von<br />
Bund und Ländern um die Mittelverteilung<br />
fordern wir schnellste Einigung,<br />
um Bildungsbiografien und -erfolge von<br />
Kindern nicht mehr länger herkunftsbedingt<br />
einzuschränken, das Kinderrecht<br />
auf allseitige Bildung einzulösen und<br />
Schulen in herausfordernden Lagen besonders<br />
zu unterstützen und zu begleiten.<br />
Bei aller Freude über erzielte Fortschritte<br />
und gemeinsame Aktivitäten<br />
wurde deutlich: Wir alle müssen gemeinsam<br />
stetig daran arbeiten, den Verband<br />
weiter voranzubringen. Wir freuen uns<br />
über alle, die sich dabei aktiv und engagiert<br />
einbringen und im Bund und den<br />
Landesgruppen mitwirken. Kommen Sie<br />
mit vielen Menschen ins Gespräch und<br />
werben Sie für unseren Grundschulverband.<br />
Jede Stimme zählt!<br />
Edgar Bohn, Marion Gutzmann<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
33
Praxis: Rundschau Pausenkulturen<br />
Marion Gutzmann<br />
Kinderbücher zum Thema:<br />
Kulinarisches und Literarisches für die Pause<br />
Wie in der Winterhuder Reformschule (vgl. Cunis & Karlsberg in dieser Zeitschrift)<br />
Kindern Freiräume in den Pausen und beim Essen geschenkt werden, macht deutlich,<br />
dass es sich lohnt, das Mittagessen oder das Frühstück in der Schule für alle<br />
Kinder geschmackvoll, genussvoll und erfahrungsreich zu organisieren. Das Essen<br />
soll schmecken und das Miteinander-Essen Spaß machen. Viele Kinderbücher greifen<br />
diese Aspekte auf. Ob die Esssituationen durch erheiternde Sprüche eröffnet<br />
und damit auch sprachlich begleitet werden, Rituale und Praktiken beim Inszenieren<br />
von Pausenfrühstück und Mittagessen reflektiert werden oder dem Weg von<br />
Lebensmitteln auf die Spur gekommen wird: Es lohnt sich, die Potenziale der Thematik<br />
für die Gestaltung des Schulalltags und die Entwicklung einer Pausenkultur<br />
zu nutzen. Aktuelle Themen wie Ernährungsbildung, Klimaschutz, Biodiversität,<br />
Fair Trade oder Upcycling bilden Anknüpfungspunkte – und: Mit dem Blick über<br />
den Tellerrand bietet es sich an, Länder und Kulturen auch vom Esstisch aus zu erkunden.<br />
Tischsprüche für jeden Geschmack und mehr Spaß beim Essen<br />
regen stimmungsvoll zum Mitreimen und zu guter Laune<br />
in gemeinsamen Esssituationen an. Wie der Titel „Lirum Larum<br />
Lecker – Reime zum Reinhauen“ und das lustige Cover schon<br />
verraten, sind in diesem quadratischen Buch viele originelle<br />
Reime, sowohl bekannte Verse aus der eigenen Kinderzeit<br />
als auch neue freche Sprüche, in unterschiedlichen Dialekten<br />
und als englischer Reim kunterbunt versammelt. Reime wie der von den kleinen<br />
Räubern bringen zusätzlich Bewegung in das sprachliche Vergnügen: „… Erst mal mit<br />
den Fingern zappeln,/kräftig mit dem Popo wackeln./Liebevoll die Bäuche streichen,/<br />
über Kreuz die Hände reichen./ …“ Witzig und schräg verbreiten die Illustrationen<br />
und Collagen von Saskia Pape, kombiniert mit Fotos, zusätzlich Spaß und gute Laune.<br />
Der Klett-Kinderbuch-Verlag hat das Buch als<br />
Neuausgabe aufgrund vieler Nachfragen mit<br />
neuem Cover, passend zu einem Gedicht von<br />
Frantz Wittkamp, frisch aufgetischt.<br />
(Ab 2 Jahren)<br />
Die unterschiedlichen Geschmäcker beim Essen lassen<br />
das Thema schnell zu einem Lieblings- oder einem<br />
Reizthema werden. In diesem mit Freude gereimten<br />
Buchspaß von Werner Holzwarth setzt er 10 Kinder abwechselnd<br />
zu Tisch. Spinat, Hühnerfrikassee, Milchreis,<br />
Forelle oder Pute werden von den einen sehr gemocht,<br />
von den anderen zutiefst verschmäht. Doch wohin mit<br />
dem Essen? Und so wiederholt sich zehnmal „Die geb ich Waldi unterm Tisch, der<br />
frisst fast alles, außer Fisch.“ Neunmal geht dies gut, beim letzten Mal gibt es Forelle,<br />
und Forellen sind doch Fisch! Auch wenn manche der Reimgeschichten nichts für<br />
Feinschmecker sind, den Kindern scheinen die Verse und die witzigen plakativen<br />
Illustrationen sehr zu gefallen. Zweimal wurde das Buch von Kindern für einen Preis<br />
ausgewählt und 2016 mit dem Bilderbuchpreis<br />
„Barmstedter Sternchen“ sowie<br />
mit dem „Witticher Wanderraben“<br />
ausgezeichnet.<br />
(Ab 5 Jahren)<br />
Saskia Pape (2023):<br />
Lirum Larum Lecker –<br />
Reime zum Reinhauen<br />
Klett Kinderbuch<br />
48 Seiten, € 14.00<br />
Werner Holzwarth (2015):<br />
Mag ich! Gar nicht!<br />
Ein Reim- und Magenbilderbuch<br />
Klett Kinderbuch<br />
32 Seiten, € 14,00<br />
Mit der Titelfrage<br />
„Wo kommt unser<br />
Essen her“ lädt das<br />
großformatige Sachbilderbuch<br />
zum Betrachten,<br />
Begreifen<br />
und Beantworten<br />
vieler Kinderfragen<br />
rund um Nahrungsmittel<br />
ein. Jede der Doppelseiten regt<br />
zum Nachdenken an, wie und wo Essen<br />
produziert und verarbeitet wird. Was ist<br />
z. B. anders, wenn ein Brötchen aus der<br />
Backstube vom Bäcker oder aus einer<br />
großen Backfabrik kommt? Julia Dürr erklärt<br />
mit leicht verständlichen Texten und<br />
detailreichen Bildern, woher Lebensmittel<br />
wie Brot, Milch, Fisch, Fleisch, Äpfel, Eier<br />
oder Tomaten kommen und welchen Weg<br />
sie nehmen, bis sie – wie auf dem Cover<br />
abgebildet – im Kühlschrank oder auf den<br />
Tellern landen. Jeweils 2 Doppelseiten<br />
widmen sich den einzelnen Lebensmitteln<br />
und wertfrei zwei verschiedenen Herstellungsweisen<br />
– auf der linken Seite ist<br />
z. B. abgebildet, wie Brot in der Backstube<br />
produziert wird, auf der rechten Seite<br />
„Brot aus der Backfabrik“ als Form der<br />
Großproduktion. Die erste Doppelseite<br />
zeigt großformatige Abbildungen mit<br />
einzelnen Begriffserklärungen wie z. B.<br />
Backstube, Gärschrank, Packmaschine<br />
oder Brötchenpresse. Auf der folgenden<br />
Doppelseite werden die Vorgänge der<br />
jeweiligen Herstellungsform mit kurzen<br />
Texten und Bildern erklärt. Abschließend<br />
bietet die letzte Doppelseite Impulse,<br />
selbst per Website, QR-Code oder Kennzeichnungen<br />
die Herkunft von Lebensmitteln<br />
zu ermitteln. Julia Dürrs Buch<br />
wurde 2021 von der Stiftung Buchkunst<br />
zu einem der schönsten deutschen<br />
Bücher gekürt sowie als MINT-Buch des<br />
Monats September 2020 (STUBE) und als<br />
Umweltbuch des Monats November 2020<br />
(Deutsche Akademie für Kinder- und<br />
Jugendliteratur) ausgezeichnet.<br />
(Ab 6 Jahren)<br />
Julia Dürr (2020):<br />
Wo kommt unser Essen her?<br />
Beltz & Gelberg<br />
40 Seiten, € 14.95<br />
34<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
Die beiden Autorinnen haben in ihrem kunstvoll<br />
gestalteten Sachbilder-Kochbuch viele spannende<br />
Informationen über Essgewohnheiten, Kultur<br />
und Alltag rund um den Globus zusammengetragen.<br />
In dieser außergewöhnlichen Weltreise<br />
werden Informationen, Kartenauszüge, Rezepte,<br />
Rätsel und Mitmachtipps vorgestellt und von<br />
Stephania Marian detailreich illustriert und<br />
grafisch ansprechend mit Fotos zu Architektur,<br />
Landschaften, Porträts, Speisen und Getränken umgesetzt. 13 Kinder<br />
aus 13 Ländern, die im Buch zu Wort kommen und bereits im Inhaltsverzeichnis<br />
mit einem Foto und der Seitenzahl zu ihrem Beitrag sowie<br />
einem Pfeil auf der Weltkarte, der zu ihrem Land zeigt, vorgestellt werden,<br />
lernen die Leser:innen auf jeweils vier Doppelseiten Wissenswertes<br />
über Geschichte und Geografie des Landes kennen, erhalten Einblick in<br />
den Alltag der Kinder, in die Kultur und Essgewohnheiten. Abgerundet<br />
wird der Beitrag jeweils mit Spezialitäten-Rezepten des Landes und<br />
entsprechender Zutatenliste, die für Kinder verständlich und leicht<br />
nachkochbar sind. Interessant ist der Interviewbogen, in dem die<br />
Kinder u. a. befragt werden, was sie als Snack in der Lunchbox für das<br />
Pausenfrühstück in der Schule haben, was ihr Lieblingsessen oder was<br />
für sie gesundes Essen ist. Sprachlich anregend ist auch der Vergleich<br />
der Listen mit Chunks, wie man z. B. „Guten Appetit“, „Ich habe Durst“<br />
oder „Das schmeckt<br />
Paola Frattola Gebhardt,<br />
Leyla Köksai-Mergner (2022):<br />
Die Welt schmecken und entdecken –<br />
Eine kulinarische Weltreise für Kinder<br />
Südpol Verlag GmbH<br />
120 Seiten, € 24,00<br />
gut“ in der jeweiligen<br />
Sprache sagt.<br />
(Ab 6 bis 9 Jahren)<br />
Leckere und gesunde<br />
Pausensnacks für die<br />
Schule, die eine ausgewogene<br />
Ernährung<br />
bieten, wenig Vorbereitung<br />
erfordern und<br />
auch toll aussehen – das<br />
wünschen sich vor<br />
allem Kinder und Eltern.<br />
Dieses Buch von Veronika<br />
Pichl aus einer Reihe von Büchern zum<br />
Thema Ernährung bietet 60 Ideen zum Füllen<br />
einer Lunchbox. Jeder Vorschlag wird auf einer<br />
Doppelseite mit dem Rezept, der Zutatenliste<br />
und einem großen Farbfoto vorgestellt. Den<br />
Pausenbox-Ideen sind einleitend Hinweise<br />
zur gesunden Ernährung sowie Tipps zu gemeinsamen<br />
Ritualen von Eltern und Kindern<br />
zur Planung und zum Einkauf der Inhalte der<br />
Lunchbox vorangestellt. Insgesamt bietet das<br />
Buch eine Vielfalt von Möglichkeiten, die Brotdosen<br />
der Kinder abwechslungsreich zu füllen<br />
und ansprechend zu gestalten.<br />
Veronika Pichl (2022):<br />
MEAL PREP für Kinder – 60 leckere<br />
und gesunde Ideen für Pausenbrot<br />
und Lunchbox<br />
riva Verlag<br />
160 Seiten, € 15,99<br />
Felicita Salas’ liebevoll illustriertes Bilderbuch-<br />
Kochbuch lädt in die Wohngemeinschaft der<br />
Gartenstraße Nr. 10 ein, in der die Bewohner:innen<br />
auf jedem Stockwerk und in jeder<br />
Wohnung emsig ihre Lieblingsgerichte kochen,<br />
backen, brutzeln, abschmecken. In jeder Küche<br />
gibt es Besonderheiten und liebevolle Details<br />
zu entdecken, z. B. asiatische Schriftzeichen, die<br />
unterschiedliche Kleidung der Menschen, auch<br />
ein Baby in der Trage ist dabei. Da sieht man<br />
Frau Flores, die einen schmackhaften Bohneneintopf kocht, Herrn Ping,<br />
der Brokkolibäumchen mit Sesam brät, Penelope, die grünen Reis und<br />
Oliven zubereitet, oder Pilar, die gerade Tomaten für eine spanische Salmorejo-Suppe<br />
püriert. 15 Rezepte aus aller Welt laden die Leser:innen<br />
ein, die Vielfalt der Küchen verschiedener Kulturen zu entdecken. Ob<br />
ein Erdbeeren-Mandel-Crumble, eine Tomaten-Basilikum-Soße, Schoko-<br />
Erdnuss-Cookies oder ein arabischer Auberginendip – das Buch bietet<br />
neben den Rezepten viel Raum zum Entdecken, Erzählen, Ergänzen und<br />
lädt zum Mitkochen, Mitschmecken, Mitriechen und Mitessen ein. Zum<br />
Schluss laufen alle mit ihren Schüsseln, Platten und Töpfen durch das<br />
Treppenhaus, um im<br />
Garten alle Köstlichkeiten<br />
zu präsentieren<br />
und gemeinsam ein<br />
Fest zu feiern.<br />
(Ab 6 Jahren)<br />
Felicita Sala (2019):<br />
Grüner Reis und Blaubeerbrot –<br />
Lieblingsrezepte für Kinder aus aller Welt<br />
Aus dem Französischen<br />
Prestel Verlag<br />
44 Seiten, € 14,00<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
35
Praxis: Rundschau Pausenkulturen<br />
Kinder stark machen für die Zukunft<br />
Der Schulwettbewerb zur Entwicklungspolitik<br />
„alle für EINE WELT für alle“<br />
Unsere Welt ist geprägt von vielen<br />
komplexen und globalen<br />
Herausforderungen wie Krieg,<br />
Pandemie, Klimakrise, Wirtschaftskrise<br />
und Inflation. All diese Veränderungen<br />
drängen dazu, Lösungsansätze zu finden<br />
und Zukunftsvisionen zu entwickeln,<br />
um mit dieser Komplexität umgehen zu<br />
können. Dafür braucht es Mut. Mut<br />
zum Andersdenken, Mut zur Veränderung.<br />
Den Mut der Kinder und<br />
Jugendlichen, den globalen Kurswechsel<br />
mitzubestimmen, Chancen für Veränderungen<br />
zu identifizieren und eigene<br />
Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln.<br />
Wie Kinder und Jugendliche mit Krisen<br />
umgehen, hängt mit ihrer Resilienz<br />
und Widerstandsfähigkeit zusammen.<br />
Besonders in Krisenzeiten müssen sie<br />
in ihrer eigenen Selbstwirksamkeit gestärkt<br />
werden, da Krisen sich auch auf<br />
die Psyche von jungen Menschen auswirken<br />
können. Resilienz und Widerstandsfähigkeit<br />
können erlernt werden,<br />
dabei spielt insbesondere der schulische<br />
Kontext eine wichtige Rolle. Dazu zählt<br />
unter anderem, dass die Kinder ermutigt<br />
werden müssen, den globalen Kurswechsel<br />
mitzugestalten und dass jede und jeder<br />
von uns seinen Beitrag dazu leisten<br />
kann!<br />
Der Schulwettbewerb zur<br />
Entwicklungspolitik startet in seine<br />
elfte Runde<br />
Wie kann man junge Menschen auf die<br />
Welt von morgen vorbereiten, besonders<br />
in Anbetracht der aktuellen globalen<br />
Herausforderungen? Welche Kompetenzen<br />
müssen wir ihnen an die Hand<br />
geben, um den globalen Kurswechsel<br />
mitbestimmen zu können? Diese Fragestellungen<br />
stehen auch im Fokus der elften<br />
Runde des Schulwettbewerbs zur<br />
Entwicklungspolitik mit dem Rundenthema<br />
„Globaler Kurswechsel: Sei du<br />
selbst die Veränderung!“. Kinder und<br />
Jugendliche sollen nicht nur lernen,<br />
komplexe Zusammenhänge zu verstehen,<br />
sondern vor allem eigene Handlungsspielräume<br />
zu entdecken, um das<br />
Weltgeschehen mitgestalten zu können.<br />
Der Wettbewerb ruft Schülerinnen und<br />
Schüler dazu auf, mutig zu sein und das<br />
Schicksal unseres Planeten selbst in die<br />
Hand zu nehmen. Ziel ist es, Kindern<br />
und Jugendlichen ein vertieftes Verständnis<br />
nachhaltiger Entwicklung zu<br />
ermöglichen und ihnen damit die Chance<br />
zu geben, angesichts zunehmender<br />
Komplexität der Welt ihre Unsicherheit<br />
und Ängste zu überwinden und<br />
damit das Rüstzeug zu erlangen, das sie<br />
benötigen, um als Gestalter von morgen<br />
heranzuwachsen.<br />
@Engagement Global<br />
Der Schulwettbewerb in Ihrem<br />
Unterricht<br />
Die begleitenden Unterrichtsmaterialien<br />
zur elften Runde des Schulwettbewerbs<br />
zur Entwicklungspolitik für die Klassen<br />
1–6 vermitteln Basiswissen zu den<br />
17 Zielen für nachhaltige Entwicklung<br />
und regen zur vertieften Beschäftigung<br />
mit ausgewählten Zielen und globalen<br />
Fragestellungen an: „Wie kann Energie<br />
nachhaltig sein? Was passiert, wenn<br />
Lebensmittel nicht mehr im Supermarkt<br />
ankommen? Und: glücklich sein in<br />
Krisenzeiten – geht das eigentlich?“ Die<br />
Schwerpunktthemen sollen die Schülerinnen<br />
und Schüler in ihrer eigenen<br />
Lebenswelt abholen und die Lernenden<br />
anregen, das Erlernte wieder zurück in<br />
ihre eigene Lebenswelt zu überführen.<br />
Die Beschäftigung mit den Themendossiers<br />
soll Mut machen, positiv in die<br />
Zukunft zu blicken und Chancen zu erkennen,<br />
diese zu ergreifen und eigene<br />
Handlungsoptionen zu entwickeln. Anhand<br />
von Beispielen, die sich an ihrer<br />
Lebenswelt orientieren, können die<br />
Schülerinnen und Schüler erkennen,<br />
dass Herausforderungen nicht unüberwindbar<br />
vor ihnen stehen müssen, und<br />
gleichzeitig lernen, mit Komplexität und<br />
Unsicherheiten umzugehen.<br />
Das Unterrichtsmaterial besteht aus<br />
einer Handreichung für Lehrkräfte mit<br />
Hintergrundinformationen und unterschiedlichen<br />
Impulsen für die Umsetzung<br />
im Unterricht. Begleitend dazu gibt es zu<br />
jedem Themendossier Arbeitsblätter zur<br />
selbstständigen Bearbeitung der Schülerinnen<br />
und Schüler. Das Unterrichtsmaterial<br />
ist kostenfrei und in digitaler sowie<br />
gedruckter Form erhältlich. Weiterführende<br />
Materialien zu den Themendossiers<br />
sowie zum Globalen Lernen finden sich<br />
in der großen Online-Materialsammlung<br />
auf der Website des Schulwettbewerbs zur<br />
Entwicklungspolitik.<br />
Kompetenzerwerb und der<br />
Orientierungsrahmen für den<br />
Lernbereich Globale Entwicklung<br />
Um Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />
systematisch im Unterricht aller Fächergruppen<br />
und Schulformen zu verankern,<br />
36<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
Info<br />
Alle Materialien und Informationen zum Schulwettbewerb<br />
zur Entwicklungspolitik sind auf<br />
der Website unter www.eineweltfueralle.de<br />
zu finden!<br />
Kontakt:<br />
Schulwettbewerb zur Entwicklungspolitik<br />
Geschäftsstelle<br />
Engagement Global gGmbH<br />
Service für Entwicklungsinitiativen<br />
Friedrich-Ebert-Allee 40<br />
53113 Bonn<br />
Telefon: 0228 207172347<br />
Fax: 0228 207172321<br />
haben die Kultusministerkonferenz und<br />
das Bundesministerium für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung<br />
gemeinsam den Orientierungsrahmen<br />
für den Lernbereich Globale Entwicklung<br />
initiiert. Dieser ist ein Beitrag zur Agenda<br />
2030 und zum UN<strong>ES</strong>CO-Weltaktionsprogramm<br />
„Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung“. Er benennt elf<br />
Kernkompetenzen in den Kompetenzbereichen<br />
Erkennen – Bewerten – Handeln,<br />
von denen sich fachbezogene<br />
Kompetenzen ableiten lassen. Der<br />
Orientierungsrahmen ist kostenfrei auf<br />
der Website des Schulwettbewerbs zur<br />
Bestellung oder zum Download verfügbar.<br />
Die Beschäftigung mit globalen Themen<br />
soll bei der Erarbeitung der Wettbewerbsbeiträge<br />
besonders den Kompetenzerwerb<br />
fördern. Die Grundschulmaterialien<br />
des Schulwettbewerbs tragen<br />
zur Erreichung der Kernkompetenzen des<br />
Orientierungsrahmens bei. Sie sprechen<br />
dabei insbesondere die Teilkompetenzen<br />
an, die bis zum Ende der vierten Jahrgangsstufe<br />
erworben werden sollten und<br />
die für jüngere und ältere Altersstufen<br />
entsprechend angepasst werden können.<br />
In der elften Runde des Schulwettbewerbs<br />
werden insbesondere Kompetenzen<br />
angesprochen, die es den Schülerinnen<br />
und Schülern ermöglichen, globale<br />
Herausforderungen aus unterschiedlichen<br />
Perspektiven und auf verschiedenen<br />
Handlungsebenen zu betrachten, unterschiedliche<br />
Lösungsmöglichkeiten zu beurteilen<br />
und eigene Handlungsspielräume<br />
zu identifizieren und zu nutzen. Der<br />
Erwerb von globalen Kompetenzen und<br />
Perspektivenwechsel ist dabei eine zentrale<br />
Fähigkeit, um den globalen Kurswechsel<br />
aktiv mitgestalten zu können.<br />
Teilnehmen am Schulwettbewerb<br />
zur Entwicklungspolitik<br />
Der Schulwettbewerb zur Entwicklungspolitik<br />
findet seit dem Schuljahr<br />
2003/2004 alle zwei Jahre unter<br />
der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten<br />
und im Auftrag des<br />
Bundesministeriums für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung statt.<br />
Ziel des Schulwettbewerbs ist es, den<br />
Lernbereich Globale Entwicklung im<br />
Unterricht aller Jahrgangsstufen zu verankern<br />
und Kinder und Jugendliche für<br />
die EINE WELT zu sensibilisieren und<br />
zu aktivieren.<br />
Der Schulwettbewerb richtet sich an<br />
Schülerinnen und Schüler aller Klassen<br />
und Jahrgangsstufen, aller Schulformen<br />
und -fächer. Ob Texte, Fotos, Filme,<br />
Kunstwerke, Theater- oder Musikstücke,<br />
Plakate oder digitale Arbeiten – gesucht<br />
werden vielfältige, ideenreiche Projekte,<br />
Konzepte und Handlungsideen in jeder<br />
denkbaren Form. Wichtig ist, dass sich<br />
die Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen<br />
globalen Perspektiven beschäftigen<br />
und sich mit den verschiedenen<br />
Aspekten der nachhaltigen globalen<br />
Entwicklung auseinandersetzen. Auch<br />
ist zu beachten, dass es sich um einen<br />
Teamwettbewerb handelt, daher sind<br />
leider keine Einzeleinsendungen möglich.<br />
Der Einsendeschluss der 11. Runde<br />
des Schulwettbewerbs zur Entwicklungspolitik<br />
ist der 6. März 2024, es gilt das<br />
Datum des Poststempels!<br />
Inspirationen, wie ein Beitrag aussehen<br />
kann, bietet die Wanderausstellung<br />
des Schulwettbewerbs. Sie beinhaltet<br />
ausgewählte Exponate und Inspirationen<br />
aus den vergangenen Wettbewerbsrunden.<br />
Alle Arbeiten vermitteln auf anschauliche<br />
Art verschiedenste Themen<br />
Globaler Entwicklung aus der Perspektive<br />
der Schülerinnen und Schüler. Die<br />
Wanderausstellung kann von Bildungseinrichtungen<br />
kostenfrei über die Website<br />
des Schulwettbewerbs angefordert<br />
werden. Sie wird für einen Zeitraum von<br />
zwei Wochen zur Verfügung gestellt und<br />
nach Altersgruppe und Themenschwerpunkt<br />
individuell zusammengestellt.<br />
Julia Kunz, Engagement Global<br />
Inspirationen von der Preisverleihung<br />
zur 10. Runde des Schulwettbewerbs<br />
zur Entwicklungspolitik<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
37
Praxis: Rundschau Pausenkulturen<br />
„National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention e.V.“<br />
Was ist das? Und warum ist der<br />
Grundschulverband Mitglied?<br />
Das Übereinkommen über die<br />
Rechte des Kindes, das am 20.<br />
November 1989 von der Generalversammlung<br />
der Vereinten Nationen verabschiedet<br />
wurde und am 2. September<br />
1990 völkerrechtlich in Kraft trat, zählt zu<br />
den am meisten unterzeichneten und ratifizierten<br />
Menschenrechtsverträgen. Alle<br />
Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen<br />
(UN) – außer den USA – haben das<br />
Abkommen zwischenzeitlich ratifiziert. Es<br />
anerkennt Kinder als Träger von<br />
Menschenrechten und propagiert u.a. das<br />
Prinzip des Vorrangs des Kindeswohls<br />
und der Antidiskriminierung. Die 54<br />
Artikel der UN-KRK lassen sich inhaltlich<br />
in drei Gruppen gliedern: Förderung und<br />
Entwicklung, Schutz und schließlich<br />
Beteiligung.<br />
Die Bedeutung der UN-KRK für<br />
Grundschulkinder<br />
Für die Schule ergibt sich aus der UN-<br />
KRK u.a., dass sie jedes Kind gemäß<br />
seiner multiplen persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten<br />
allseitig fördern<br />
muss. Jede Verarmung des schulischen<br />
Bildungsangebots z. B. durch Wegfall von<br />
sogenannten Nebenfächern oder von<br />
Fremdsprachen vermindert die Chance,<br />
dass jedes Kind sich in der Schule<br />
allseitig bilden kann. Insbesondere die<br />
Auslesemechanismen des deutschen<br />
Schulsystems und die (statistisch hohe)<br />
Abhängigkeit des Schulerfolgs von der<br />
Herkunft zeigen, dass das Prinzip der<br />
Antidiskriminierung verletzt wird. Das<br />
Recht jedes einzelnen Kindes auf Förderung<br />
und Entwicklung der Persönlichkeit<br />
wird nicht ernst genug genommen.<br />
Auch hinsichtlich der Schutzrechte sieht<br />
es an Grundschulen in Deutschland oft<br />
nicht gut aus. So gibt es nur selten ausgearbeitete<br />
Schutzkonzepte. Sogar das<br />
Recht auf Beteiligung aller Kinder (ab<br />
Beginn der Grundschulzeit) ist in vielen<br />
Grundschulen weder strukturell auf<br />
Schulebene (z. B. Schulparlament), auf<br />
Klassenebene (Klassenrat) noch individuell<br />
als Beteiligung an der inhaltlichen<br />
und methodischen Gestaltung<br />
des eigenen Lernprozesses verankert.<br />
Die meisten Grundschulkinder kennen<br />
die Kinderrechte nicht und wissen<br />
auch nicht, wie und wo sie ihr Recht einfordern<br />
können.<br />
Vergleicht man die Kinderrechte mit<br />
den Prinzipien des Grundschulverbands,<br />
so wird deutlich, dass es Sache des GSV<br />
sein muss, sich für die Rechte der Kinder<br />
einzusetzen. Und das heißt, sich auf allen<br />
Ebenen (Bund, Land, Kommune, Einzelschule,<br />
Klassenzimmer) und ressortübergreifend<br />
(z. B. Bildung, Soziales, Gesundheit)<br />
für die Rechte der Kinder und die<br />
Verbesserung der strukturellen, materiellen<br />
und pädagogischen Bedingungen einzusetzen.<br />
Dabei liefert das Netzwerk zur<br />
Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention<br />
Austausch, Anregungen und die<br />
Möglichkeit der politischen Intervention.<br />
Monitoring der Umsetzung der<br />
Kinderrechte in Deutschland<br />
Das Bundesministerium für Familie,<br />
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)<br />
legt alle 5 Jahre dem UN-Ausschuss für<br />
die Rechte des Kindes einen Staatenbericht<br />
vor. Er informiert über die wichtigsten<br />
kinderrechtlichen Entwicklungen<br />
in Deutschland hinsichtlich aller Artikel<br />
der UN-KRK. Zur Überwachung<br />
der Umsetzung der Kinderrechte haben<br />
etwa 100 Staaten eigene Institutionen<br />
beauftragt, die jedoch dem zuständigen<br />
Ministerium nicht unterstellt sind. In<br />
Deutschland ist es das Deutsche Institut<br />
für Menschenrechte e.V. in Berlin,<br />
das für das Monitoring aller Menschenrechte<br />
zuständig ist. Aufgabe des Deutschen<br />
Instituts für Menschenrechte ist<br />
hinsichtlich der UN-KRK die Verfassung<br />
eines Parallelberichts zum Staatenbericht<br />
für Deutschland. Die größte Schwierigkeit<br />
hierbei ist, dass es keine geeignete<br />
Datenlage gibt, um Indikatoren gestützt<br />
Info<br />
die kinderrechtliche Entwicklung in<br />
Deutschland zu verfassen. Ein Monitoring<br />
ist somit auf Informationen aus der<br />
Zivilgesellschaft, aus Nichtregierungsinstitutionen<br />
(NGOs) angewiesen, die<br />
einen möglichst guten Einblick in die<br />
Lage der Kinderrechte in ihrem Tätigkeitsfeld<br />
haben. Zur institutionellen<br />
Absicherung der Zusammenarbeit der<br />
NGOs gründeten diese 1995 anlässlich<br />
der ersten Staatenberichterstattung ein<br />
Netzwerk (National Coalition Deutschland),<br />
das am 21. Juni 2013 als Verein<br />
mit dem Ziel institutionalisiert wurde,<br />
die UN-Kinderrechtskonvention in der<br />
Öffentlichkeit bekannt zu machen und<br />
Verantwortungsträgerinnen auf allen<br />
Ebenen „deutlich zu machen, welche<br />
Verpflichtungen aus der UN-Kinderrechtskonvention<br />
folgen und welche<br />
Anstrengungen unternommen werden<br />
müssen, um die Kinderrechte zu verwirklichen“<br />
(Präambel der Satzung des<br />
Vereins). Mittlerweile sind 109 NGOs<br />
in der National Coalition Deutschland<br />
zusammengeschlossen und arbeiten aktiv<br />
in zwei Themennetzwerken. Der Grundschulverband<br />
ist Mitglied der National<br />
Coalition Deutschland und arbeitet seit<br />
seiner Gründung im Themennetzwerk<br />
Bildung mit. Es werden Informationen<br />
ausgetauscht, wie die Mitglieder die Verbreitung<br />
der Kinderrechte vorantreiben.<br />
Einen großen Raum nimmt auch die<br />
Identifikation von Schwachstellen bei der<br />
Umsetzung der Kinderrechte ein. Und<br />
schließlich mündet das Insiderwissen der<br />
Netzwerkmitglieder in den Kreislauf der<br />
Staatenberichterstattung. <br />
Ursula Carle<br />
In einem Video wird der Kreislauf anschaulich beschrieben:<br />
https://t1p.de/Staatenberichterstattung.<br />
Von der Mitarbeit des Grundschulverbands können Grundschulen auch praktisch profitieren,<br />
z. B. durch Materialien, die verschiedene Mitglieder entwickelt haben und<br />
die auf dem Kinderrechteportal gesammelt werden: https://kinderrechte-portal.de/.<br />
38<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU)<br />
Der GDSU-Praxispreis 2023 wurde verliehen<br />
Seit einigen Jahren verleiht die<br />
Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts<br />
(GDSU) jährlich den<br />
mit EUR 1000,00 dotierten GDSU-<br />
Praxispreis. Mit diesem Preis soll das<br />
besondere Engagement von Pädagog*innen<br />
gewürdigt werden, bildungswirksame<br />
Sachlernprozesse in der Schule<br />
sowie in vor- und außerschulischen<br />
pädagogischen Handlungsfeldern zu<br />
initiieren. Ausgezeichnet werden Maßnahmen,<br />
in denen<br />
● innovative Sachunterrichtskonzepte<br />
theoretisch fundiert umgesetzt und/<br />
oder<br />
● aktuelle Forschungsbefunde im Sachunterricht<br />
praktisch angewandt und<br />
reflektiert und /oder<br />
● sachunterrichtsdidaktisch relevante<br />
Kooperationsprojekte zur Sicherung<br />
der Anschlussfähigkeit zwischen Elementar-,<br />
Primar- und Sekundarbereich<br />
initiiert und reflektiert werden.<br />
Der GDSU-Praxispreis 2023:<br />
Salzburg Begreifen<br />
Im Rahmen der Jahrestagung 2023<br />
wurde der GDSU-Praxispreis an die<br />
drei Lehrerinnen Gabriele Wagner,<br />
Susanne Fink und Elisabeth Grutschnigg<br />
der Volksschule Bad Gastein<br />
(Österreich) für die Entwicklung eines<br />
umfangreichen multimedialen Unterrichtsmaterials<br />
mit dem Titel „Salzburg<br />
Begreifen“ (https://www.salzburgbegreifen.at/)<br />
verliehen.<br />
Unzufrieden mit den verfügbaren<br />
Unterrichtsmitteln zum Thema „Heimatort/Bundesland“,<br />
hatten sie die Idee,<br />
eine mehrdimensionale Bodenlandkarte<br />
von Salzburg zu entwickeln, die<br />
durch das Aufstellen unterschiedlichster<br />
Materialien zu einer lebendigen 3-D-<br />
Landschaft verwandelt wird. „Wir wollten<br />
weg von der Wandkarte“, so Gabriele<br />
Wagner, Susanne Fink und Elisabeth<br />
Grutschnigg, „hin zu einem Begehen,<br />
Begreifen, Erleben und Verstehen“. Die<br />
Kinder bewegen sich mit ihrem ganzen<br />
Körper durch diese Landschaft, nehmen<br />
Räume und Lebenssituationen innerhalb<br />
dieser Räume bewusst wahr, reflektieren<br />
dabei eigene Vorstellungen und<br />
entwickeln diese weiter. Sie gewinnen<br />
Die Preisträgerinnen: Gabriele Wagner, Susanne Fink und Elisabeth Grutschnigg<br />
Einsichten und Erkenntnisse nicht nur<br />
aus raumbezogener Perspektive, sondern<br />
erschließen sich selbstständig und<br />
auf handlungsorientierte Weise ökologische<br />
und ökonomische, technische oder<br />
soziokulturelle Gegebenheiten und Zusammenhänge.<br />
„Salzburg Begreifen“ begann als klassisches<br />
Aktionsforschungsprojekt: Die<br />
drei Lehrerinnen waren unzufrieden<br />
mit vorhandenen Unterrichtsmaterialien<br />
und haben im Wechselspiel zwischen<br />
Reflexion und Aktion ein materialbasiertes<br />
Unterrichtskonzept für die eigene<br />
Schule entwickelt, umgesetzt, evaluiert<br />
und weiterentwickelt, das mittlerweile<br />
durch eine eigens gegründete<br />
GmbH vertrieben wird und mit dem Pädagog*innen<br />
in mehr als 60 Schulen, in<br />
der Stadtbibliothek Salzburg, einem Nationalparkzentrum<br />
und der PH Salzburg<br />
arbeiten. Und dabei wird es nicht bleiben,<br />
denn aktuell arbeiten die drei Lehrerinnen<br />
gemeinsam mit der Pädagogischen<br />
Hochschule Salzburg, der Universität<br />
Salzburg und der Fachhochschule<br />
Salzburg an einer Weiterentwicklung<br />
des Materials um digitale Elemente. Und<br />
auch die Frage der Anschlussfähigkeit an<br />
die Sekundarstufe steht im Raum.<br />
Auf diesem Wege möchten wir Gabriele<br />
Wagner, Susanne Fink und Elisabeth<br />
Grutschnigg nochmals herzlich<br />
zum GDSU-Praxispreis gratulieren!<br />
Einblick in die mehrdimensionale<br />
Bodenlandkarte<br />
Bewerbungen für den GDSU-<br />
Praxispreis sind jederzeit herzlich<br />
willkommen!<br />
Zugleich laden wir Studierende, Referendar*innen<br />
im Vorbereitungsdienst, Lehrer*innen<br />
der Grund- und Sekundarschule<br />
sowie pädagogische Fachkräfte aus dem<br />
Elementar- und Ganztagsschulbereich ein,<br />
sich für den Praxispreis 2024 zu bewerben<br />
und damit die Chance zu ergreifen, ein<br />
innovatives Sachunterrichtskonzept und/<br />
oder eine fruchtbare und bildungswirksame<br />
Kooperation zwischen Elementar-,<br />
Primar- und Sekundarstufe überregional<br />
sichtbar zu machen und zu würdigen.<br />
Nähere Informationen finden Sie unter:<br />
https://gdsu.de/auszeichnungen<br />
Arbeitsgruppe „Phasenvernetzende<br />
Lehrer*innenbildung“<br />
Prof. Dr. Sandra Tänzer<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
39
Praxis: Rundschau Pausenkulturen<br />
Die Serie zum Thema Religion(en) in der Grundschule geht zu Ende<br />
Neben den Themenschwerpunkten jedes einzelnen Heftes<br />
nimmt sich die Redaktion von Zeit zu Zeit bestimmten Themen<br />
in Form einer Serie über mehrere Hefte hinweg an. Beginnend<br />
in der GS aktuell 158 haben fünf Autor*innen ihre Überlegungen<br />
dargelegt, mit dem nachfolgenden Beitrag von Hans Brügelmann<br />
endet nun diese Serie. Ich möchte Sie einladen, noch<br />
einmal alle Beiträge zu lesen und diese zusammen mit den Gedanken<br />
von Hans Brügelmann mit ihren Kolleg*innen zu diskutieren.<br />
Wie stellen Sie sich den Umgang mit Religionen und<br />
religiöser Bildung in der Grundschule künftig vor? Unser Auftakt<br />
war der Artikel von Dr. Petra Lenz, in dem sie die enge Verbindung<br />
von kultureller und religiöser Bildung betont. Bert Schmid<br />
macht im Anschluss deutlich, dass die Notwendigkeit zur Transformation<br />
unseres Bildungswesens auch die religiöse Bildung zu<br />
einer Neuaufstellung zwingt. Bei Dr. Damaris Knapp erfahren wir<br />
vieles über die bereits laufenden Veränderungen in den Zielen<br />
und Formen des Religionsunterrichts an Grundschulen. Dr. Heribert<br />
Prantl setzt sich mit dem Ethik-Unterricht als Ersatz oder<br />
Ergänzung des Religionsunterrichtes auseinander. Zuletzt richtet<br />
Axel Backhaus sein Augenmerk auf die Bekenntnisschulen als<br />
hochproblematischen Teil eines auf Inklusion ausgerichteten<br />
Bildungswesens.<br />
Wir freuen uns über eine kurze Rückmeldung von Ihnen zu<br />
unserer Serie. Welches Thema würde Sie in einer weiteren Serie<br />
interessieren? Schreiben Sie uns an gabriele.klenk@grundschulverband.de<br />
oder marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de<br />
Und nun viel Freude bei unserem abschließenden Artikel.<br />
Michael Töpler<br />
„Der Religionsunterricht ist die letzte Oase …“<br />
Über Chancen und Probleme eines Faches Religion in der<br />
Grundschule<br />
Konfessioneller oder ökumenischer<br />
Religionsunterricht, daneben<br />
noch ein Angebot für Muslime<br />
oder doch besser ein Lernbereich<br />
„Lebensgestaltung–Ethik–Religionskunde“<br />
(LER) für alle? Über die Frage,<br />
wo und wie Religion ihren Ort im Curriculum<br />
der Grundschule finden soll, ist<br />
in den letzten Jahren heftig gestritten<br />
worden. 1<br />
Grundschulpädagoge (GP): Ich respektiere<br />
religiöse Bekenntnisse, aber<br />
in unserer pluralistischen Gesellschaft,<br />
finde ich, hat Religion in der Schule<br />
nichts zu suchen. Dafür gibt es Kirchen,<br />
Konfirmations- und Kommunionsunterricht.<br />
Kirche und Staat werden<br />
auch in anderen Demokratien selbstverständlich<br />
getrennt, zum Beispiel bei<br />
unseren Nachbarn in Frankreich. Wenn<br />
überhaupt, dann ein Angebot für freiwilligen<br />
Nachmittagsunterricht analog<br />
zur Koranschule der Muslime.<br />
Aktualisierte Fassung von: Warum heute noch<br />
Religion unterrichten? Über Chancen und<br />
Schwierigkeiten eines Faches Religion in der<br />
Grundschule. In: Grundschulzeitschrift, 22. Jg.,<br />
H. 212/213, 13–15.<br />
Religionslehrer (RL): Aber das kann<br />
man doch nicht vergleichen. Historisch<br />
hat sich die Beziehung von Christentum<br />
und Staat in Deutschland eben anders<br />
entwickelt als in Frankreich. Und in arabischen<br />
Ländern muss der christliche<br />
Religionsunterricht auch nachmittags in<br />
den Kirchen stattfinden. Bei uns ist der<br />
Religionsunterricht in Art. 7 des Grundgesetzes<br />
verfassungsrechtlich garantiert<br />
– übrigens ausdrücklich „in Übereinstimmung<br />
mit den Grundsätzen der<br />
Religionsgemeinschaften!“ …<br />
GP: … wobei ich denke, die Situation<br />
hat sich erheblich verändert seit Verabschiedung<br />
des Grundgesetzes 1949<br />
– die Bedeutung von Religion und Kirchen<br />
in der Gesellschaft, vor allem aber<br />
die der konfessionellen Zugehörigkeit<br />
hat abgenommen, da kann man die fast<br />
75 Jahre alten Gesetze nicht einfach so<br />
übernehmen …<br />
Grundschullehrerin (GL): … obwohl:<br />
die zu ändern, das ist eher ein politisches<br />
Problem. Für mich als Lehrerin<br />
stellt sich die Frage spezifischer:<br />
Gehört Religion schon in die Grundschule?<br />
Es ist doch kein Zufall, dass<br />
selbst die Kirchen Kommunions- und<br />
Konfirmationsunterricht erst für ältere<br />
Kinder vorsehen<br />
Religionsdidaktikerin (RD): Aber man<br />
muss doch zur Kenntnis nehmen, dass<br />
schon kleine Kinder über Leben und<br />
Tod, über Gerechtigkeit und Schicksalsschläge<br />
nachdenken. Was haben Sie also<br />
konkret gegen eine Beschäftigung mit<br />
Religion in der Grundschule?<br />
GP: Wenn das heißt, dass Schule die<br />
existenziellen Erfahrungen der Kinder<br />
ernst nehmen soll, verändert sich<br />
für mich die Frage. Religion in diesem<br />
Sinne gehört auch für mich zur<br />
Allgemeinbildung, wie sie beispielsweise<br />
von Heymann in vier seiner sieben<br />
Dimensionen konkretisiert wird. 2<br />
Probleme habe ich aber mit zwei<br />
anschließenden Fragen:<br />
Sollte diese Auseinandersetzung in<br />
einem eigenständigen Fach geschehen?<br />
Und zudem: Ist dieses konfessionsgebunden<br />
auszurichten?<br />
RD: Nicht so schnell: Wir sind uns also<br />
darin einig, dass mit Kindern schon im<br />
Grundschulalter ernsthaft über religiöse<br />
Fragen gesprochen werden kann und<br />
zweitens, dass auch die Schule Raum<br />
für die Sinnfragen und für die persönlichen<br />
Erfahrungen der Kinder bieten<br />
muss?<br />
GL: Ja, aber nur, wenn man „religiös“<br />
weit fasst, also als Beschäftigung<br />
40<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Praxis: Pausenkulturen<br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
mit Grundfragen des Lebens versteht.<br />
Und vor allem: wenn man darauf verzichtet,<br />
Kinder zu einem Bekenntnis zu<br />
bekehren.<br />
RD: Dem kann ich zustimmen. Die<br />
ältere Generation kann angesichts ihres<br />
moralischen und politischen Versagens<br />
in Fragen des Überlebens der Menschheit<br />
keine besondere Autorität für Antworten<br />
und „Lösungen“ beanspruchen.<br />
Es geht um die Fragen der Kinder, die<br />
müssen ernst genommen werden. Wir<br />
müssen ihnen aber auch eine hoffnungsvolle<br />
Zukunftsperspektive eröffnen und<br />
ihnen helfen, widerstandsfähig zu werden<br />
gegen die Zumutungen einer reinen<br />
Verwertungsgesellschaft.<br />
GP: In dieser Sicht sind wir uns durchaus<br />
einig. Aber noch einmal: Brauchen<br />
wir dazu Religion als Fach?<br />
RL: Ich denke, schon. In der Schule<br />
heute mit Dauer-Tests, sogar schon vor<br />
Schulanfang, mit der Auslese am Ende<br />
der Grundschule geht es doch nur noch<br />
um Fachleistungen und um verwertbare<br />
Qualifikationen. Wer kümmert sich<br />
denn noch um die Ängste und Sinnfragen<br />
der Kinder? Dafür ist keine Zeit,<br />
und es gibt auch keinen Ort – außer im<br />
Religionsunterricht.<br />
GP: Aber genau das ist doch die Aufgabe<br />
einer Klassenlehrerin. Als Pädagogin<br />
hat gerade sie eine besondere Verantwortung<br />
für die Persönlichkeitsentwicklung<br />
der Kinder!<br />
RD: Hat sie angesichts der Testeritis und<br />
Fixierung auf sog. „Basisqualifiksationen“<br />
denn noch Zeit dafür? Und wenn<br />
man das Fach Religion aufgäbe, wären<br />
die zwei Stunden für dessen Themen<br />
schnell ganz verschwunden.<br />
GL: Aber was ist das für ein Religionsunterricht,<br />
der Kinder nach Konfessionen<br />
trennt, der sie von oben belehrt<br />
oder gar zu bekehren versucht?<br />
RD: Das ist doch ein Zerrbild …<br />
GL: … welches leider vielerorts immer<br />
noch traurige Realität ist …<br />
RD: … aber nicht in aktuellen Konzepten<br />
für den Religionsunterricht. Heute<br />
stellen wir uns den existenziellen Fragen<br />
der Kinder. So bilden wir auch die jungen<br />
Religionslehrer aus, und so steht es<br />
in immer mehr Lehrplänen und Schulbüchern.<br />
Sicher kann jeder hier genug<br />
problematische Beispiele aus den 1950er<br />
und 1970er Jahren berichten. Wir sollten<br />
aber über die gegenwärtige Situation<br />
reden.<br />
GP: Na ja, in Lehrplänen steht viel, das<br />
wissen wir auch von anderen Fächern<br />
… Zudem wird der Religionsunterricht<br />
weiter – zumindest indirekt –<br />
von den Kirchen kontrolliert, und das<br />
passt doch nicht zu einer Schule, in<br />
der ihre Mitglieder oft nur noch eine<br />
Minderheit darstellen. Wie viele Kinder<br />
gehören heute noch den beiden christlichen<br />
Konfessionen oder überhaupt<br />
einer Kirche an? Wir müssen doch die<br />
Erfahrungen aller Kinder aufnehmen …<br />
RL: Gerade den Kindern ohne Zugang<br />
zu Glaubensfragen muss dieser eröffnet<br />
werden …<br />
GP: … aber nicht durch Festlegung auf<br />
ein Bekenntnis, sondern indem wir miteinander<br />
über unterschiedliche Vorstellungen<br />
ins Gespräch kommen.<br />
GL: Ja – allerdings sind Sinnfragen eng<br />
verwoben mit anderen Aspekten des alltäglichen<br />
Zusammenlebens. Ich finde<br />
deshalb, sie sollten situativ bei konkreten<br />
Anlässen aufgenommen werden,<br />
also als Unterrichtsprinzip, nicht über<br />
ein Fach.<br />
RD: Das reicht doch nicht! Die Schule<br />
hat mit dem Fach Religion die Chance,<br />
den Kindern, die in unserer Gesellschaft<br />
aufwachsen, die jüdisch-christlichen<br />
Traditionen als Grundlage des abendländischen<br />
Denkens nahebringen …<br />
GP: … dafür haben wir doch den Sachunterricht.<br />
Außerdem gehören die<br />
arabische Kultur und die Aufklärung<br />
genauso zu unserer Tradition.<br />
GL: Ich finde Religion als Fach auch aus<br />
einem anderen Grund problematisch:<br />
Oft wird der Religionsunterricht von<br />
einer dritten Person erteilt, einer Fachlehrerin<br />
oder einem Pfarrer. Ist sie nur<br />
zwei Stunden in der Woche da, fehlen<br />
beispielsweise persönliches Vertrauen<br />
und die notwendige soziale Einbettung<br />
für offene Gespräche. Auch darum halte<br />
ich es für wichtig, dass die den Kindern<br />
(und mit ihrer Geschichte) vertraute<br />
Klassenlehrerin aktuelle Anlässe situativ<br />
aufgreift.<br />
RD: Aber dafür fehlt den Lehrer*innen<br />
doch nicht nur die Zeit, sondern meist<br />
auch die Kompetenz. Wie sollen Lehrer*innen<br />
ohne besondere Ausbildung<br />
dem Anspruch gerecht werden, die verschiedenen<br />
Religionen sachgerecht darzustellen?<br />
GP: Wir haben es mit Kindern zu tun!<br />
Da kommt es doch nicht auf Finessen<br />
der theologischen Dogmatik an!<br />
GL: Außerdem: Was bietet der<br />
Religionsunterricht denjenigen, die<br />
einer nicht-christlichen Religion<br />
angehören – oder gar keiner Konfession?<br />
Alle Kinder haben Sinnfragen<br />
und Ängste. Außerdem brauchen wir in<br />
unserer multi-kulturellen Gesellschaft<br />
starke integrative Kräfte. Die Primarstufe<br />
bietet wenigstens für vier Jahre<br />
eine „Schule für (fast…) alle“. Da wirkt<br />
der konfessionelle Religionsunterricht<br />
segregativ. Sollen wir das etwa noch<br />
weiter auffächern – durch einen muslimischen,<br />
einen jüdischen Religionsunterricht<br />
usw.?<br />
RD: Konfessionell muss der Religionsunterricht<br />
in der Tat nicht ausgerichtet<br />
sein. Aber die Scheinneutralität eines<br />
Lernbereichs „Ethik und Religion“<br />
bringt uns auch nicht weiter.<br />
GP: Ich finde, alle Lehrer*innen müssten<br />
dazu befähigt werden, mit Kindern<br />
existenzielle Themen sensibel zu<br />
besprechen – und verschiedene Sichtweisen<br />
ins Spiel bringen.<br />
RD: Das reicht mir nicht: Kinder müssen<br />
Personen begegnen, die authentisch<br />
für bestimmte Positionen stehen. Eine<br />
neutrale Darstellung ist doch gar nicht<br />
möglich.<br />
GP: Gut, abstreifen kann und muss man<br />
seine Position nie ganz. Aber eine Trennung<br />
von persönlichem Bekenntnis zu<br />
einer Gruppe oder Organisation und<br />
sachlicher Aufklärung im Unterricht<br />
wird Lehrern doch sonst auch abverlangt.<br />
Denken Sie nur an den Bereich<br />
der politischen Bildung.<br />
RD: Das kann man doch nicht vergleichen<br />
– Tagesentscheidungen und<br />
existenzielle Grundfragen!<br />
GP: Wieso nicht? In der Politik geht es<br />
auch um Wertfragen und um konkurrierende<br />
Positionen.<br />
RL: Damit wir uns nicht missverstehen:<br />
Niemand will Kinder und Jugendliche<br />
durch fromme Vorbilder und mit der<br />
Forderung, religiöse Geschichten zu<br />
glauben, in die Enge treiben. Uns geht<br />
es nicht darum, „Glaubenszeugen“ in<br />
die Schule einzuschleusen. Aber glaubwürdig<br />
über Religion sprechen kann<br />
doch nur, wer sich persönlich mit ihr<br />
auseinandergesetzt hat. Nur in Auseinandersetzung<br />
mit solchen Menschen<br />
können auch Kinder eine eigene Position<br />
entwickeln.<br />
GL: Die kann man doch in den Unterricht<br />
einladen! Da Schule die Auf-<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
41
Praxis: Rundschau Pausenkulturen<br />
gabe hat, Kindern neue Erfahrungsmöglichkeiten<br />
zu eröffnen, ist Pluralität<br />
unerlässlich. Schule sollte ein Ort der<br />
Begegnung sein, an dem verschiedene<br />
Lebens- und Sichtweisen zusammenkommen.<br />
Wir müssen Kinder darauf<br />
vorbereiten, dass sie ihren eigenen Weg<br />
finden. 3<br />
RD: Ja, aber wie? Dafür braucht es doch<br />
ernst zu nehmende Inhalte. Ich kenne<br />
kein Medium, das sich besser für solche<br />
Gespräche eignet als die Bibel. Die Bibel<br />
ist ein Buch, in dem sich grundlegende<br />
menschliche Erfahrungen kristallisiert<br />
haben. Über einen nun bereits viele<br />
hundert Jahre andauernden Prozess sind<br />
sie immer wieder hin und her bewegt<br />
worden, Generationen haben sich mit<br />
ihren Erfahrungen eingeschrieben, sich<br />
daran gerieben, daran festgehalten. Das<br />
ist das Besondere an diesem Buch.<br />
GP: Ich bestreite nicht den Reichtum<br />
dieser Geschichten und ihr Potenzial<br />
in sensiblen Händen. Mich stört jedoch<br />
der beanspruchte Vorrang biblischer<br />
Texte, mal ganz abgesehen davon, dass<br />
diese eurozentrierte Sicht des Christentums<br />
nicht in unsere globale Welt passt.<br />
Ihre persönliche biografische Erfahrung<br />
darf doch nicht zur Norm werden. Für<br />
andere Menschen könnten ganz andere<br />
Zugänge hilfreich sein, um Hoffnung zu<br />
finden …<br />
GL: … zum Beispiel anspruchsvolle<br />
Kinder- und Jugendliteratur wie die<br />
„Brüder Löwenherz“ von Astrid Lindgren.<br />
RD: Finden Sie es nicht selbst etwas<br />
komisch, die „Brüder Löwenherz“ mit<br />
der Bibel zu vergleichen? Ich spüre in<br />
dieser Art Jugendliteratur immer allzu<br />
stark die „guten Absichten“ und die<br />
Anfälligkeit für Kitsch. Ich weiß nicht,<br />
ob Sie unsere Arbeit 4 wirklich verstehen.<br />
Sie lebt von der Entdeckung, in welcher<br />
Tiefe Kinder eigene Erfahrungen und<br />
Sehnsüchte in biblischen Texten wie<br />
den Psalmen entdecken und dadurch<br />
für sich selbst eine Sprache finden.<br />
GP: Gut, aber lesen Sie mal Heide Bambachs<br />
Erfahrungsbericht „Erfundene<br />
Geschichten erzählen es richtig“ 5 . Da<br />
zeigt sich, wie stark auch die Lektüre<br />
von anspruchsvoller Literatur Kinder<br />
zum Nachdenken, Sprechen und<br />
Schreiben über ihre ganz persönlichen<br />
Themen anregen kann. Menschen können<br />
dieselben Erfahrungen eben in ganz<br />
verschiedenen Situationen machen.<br />
RL: Ich fürchte, jetzt wird’s beliebig …<br />
RD: … und ihr Grundschulpädagogen<br />
solltet endlich merken, dass wir eure<br />
letzten Verbündeten im Kampf für das<br />
Eigenrecht der Kinder sind und der<br />
Religionsunterricht die letzte Oase in<br />
der Nach-PISA-Schule, die mehr und<br />
mehr ökonomisiert wird!<br />
GL: Ihr Angebot ist für mich ambivalent.<br />
Ja, es gibt ReligionspädagogInnen,<br />
die ich als Verbündete erlebe – aber es<br />
gibt auch genau das Gegenteil. Ich finde,<br />
es ist eine schwierige Einschätzung, ob<br />
man hofft, dass sich das Fach wirklich<br />
zu einer Bastion gegen die Verzweckung<br />
der Schule entwickelt, oder ob hier doch<br />
nur andere Autoritätsansprüche durchgesetzt<br />
werden. Und zudem habe ich die<br />
Sorge, dass der übrige Unterricht vielleicht<br />
noch mehr verarmt, wenn gesagt<br />
wird „dafür haben wir ja Religion“.<br />
GP: In der Tat: Die Sinnfragen der Kinder<br />
müssen schon in der Grundschule<br />
wahrgenommen und in ernsthaftem<br />
Austausch besprochen werden. Aber<br />
dass sollte möglichst anlassbezogen<br />
geschehen, und dabei müssen unterschiedliche<br />
Sichtweisen zur Sprache<br />
kommen.<br />
Hans Brügelmann<br />
Anmerkungen<br />
1) Der vorliegende Beitrag ist eine konstruierte<br />
PRO-und-CONTRA-Diskussion,<br />
realitätsnah nacherfunden von Hans Brügelmann<br />
mit konkreten Bezügen auf einen<br />
Diskussionsabend in der OASE-Lernwerkstatt<br />
an der Universität Siegen (mit Folker<br />
Albrecht, Axel Backhaus, Ingo Baldermann,<br />
Jörg Begler, Janina Bernshausen, Hendrik<br />
Coelen, Ute Gause, Anne Höfer, Barbara<br />
Müller-Naendrup, Anna-Lena Wagener,<br />
Anne Witt). Die Rollenvertreter‘innen<br />
PRO (blau) bzw. CON (rot) Religionsunterricht<br />
entsprechen aber keinen realen<br />
Personen.<br />
2) Heymann, H. W. (1996): Allgemeinbildung<br />
und Mathematik. Bildungstheoretische<br />
Reflexionen zum Mathematikunterricht<br />
an allgemeinbildenden Schulen. Beltz:<br />
Weinheim. Hier besonders: Stiftung kultureller<br />
Kohärenz; Verantwortungsbereitschaft;<br />
Verständigung und Kooperation;<br />
Stärkung des Schüler-Ichs.<br />
3) Ausführlicher: Kap. 39, 1 und 2 in:<br />
Brügelmann, H. (2005): Schule verstehen<br />
und gestalten – Perspektiven der Forschung<br />
auf Probleme von Erziehung und Unterricht.<br />
Libelle: CH-Lengwil.<br />
4) vgl. Baldermann, I. (1998): Kinder und der<br />
Sinn des Lebens – ihre Hoffnungen, Ängste,<br />
Fragen. In: Brügelmann, H. (Hrsg.)<br />
(1998): Kinder lernen anders: vor der Schule<br />
– in der Schule. Libelle: CH‐Lengwil, S.<br />
107–127.<br />
5) Bambach, H. (1989): Erfundene Geschichten<br />
erzählen es richtig. Lesen und Leben in<br />
der Schule. Ekkehard Faude Verlag: Konstanz<br />
(2. Aufl. 1993 Libelle: CH-Lengwil).<br />
42<br />
GS aktuell 163 • September 2023
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Gabriele Klenk<br />
https://grundschulverband-bayern.de<br />
Gespräch mit der<br />
Grundschulreferentin im<br />
Kultusministerium,<br />
MRin Maria Wilhelm<br />
Zum traditionellen Austausch<br />
zwischen Mitgliedern des<br />
Landesgruppenvorstands<br />
und der Grundschulreferentin<br />
am Staatsministerium für<br />
Unterricht und Kultus trafen<br />
sich Ende April Gabriele<br />
Klenk, Bianca Ederer und<br />
Konstanze v. Unold online<br />
mit der Ministerialrätin Maria<br />
Wilhelm. Wie jedes Mal fand<br />
in einem sehr konstruktiven,<br />
vertrauensvollen Gespräch<br />
ein Austausch über wichtige<br />
Gabriele Klenk (l.) und Konstanze v. Unold<br />
im Bayerischen Landtag<br />
Belange der Grundschule<br />
statt: Es bestand Einigkeit<br />
darüber, fachliche Aspekte<br />
der Arbeit in der Grundschule<br />
trotz der Pandemie-Auswirkungen<br />
und des Lehrkräftemangels<br />
nicht aus den Augen<br />
zu verlieren. Leseförderung,<br />
flexible Grundschule,<br />
Stärkung des Mathematikunterrichts<br />
durch Sinus- bzw.<br />
QuaMath-Schulen wurden<br />
ebenso angesprochen wie<br />
die Wichtigkeit, Heterogenität<br />
als Chance zu betrachten.<br />
Für Herbst 2023 wurde ein<br />
weiteres Gespräch angedacht.<br />
Besuch der Veranstaltung<br />
„Gute Ganztagsbildung<br />
für Grundschulkinder“ im<br />
Bayerischen Landtag der<br />
Grünen-Fraktion<br />
Am Samstag, den 06. 05. 23<br />
kamen verschiedene<br />
Akteur:innen aus Wissenschaft<br />
und Praxis zusammen,<br />
um im Landtag einer Keynote,<br />
Podiumsdiskussionen<br />
und Workshops zum Ganztag<br />
beizuwohnen, der mit dem<br />
Rechtsanspruch auf Ganztag<br />
ab 2026 ein aktuelles<br />
bildungspolitisches Thema<br />
für uns alle darstellt. Es wurde<br />
deutlich, welches Potenzial<br />
kindgerechte, partizipative<br />
und inklusive Ganztagsbildung<br />
haben kann, legt<br />
man ihr ein pädagogisches<br />
Konzept und Leitbild zugrunde,<br />
das den Vor- und Nachmittag<br />
miteinander verzahnt<br />
und rhythmisiert, das den<br />
Kindern Autonomie, Frei- und<br />
Entscheidungsspielräume<br />
ermöglicht – getragen von<br />
multiprofessionellen Teams,<br />
Sozialarbeit, Vereinen, Verbänden<br />
und Ehrenamtlichen.<br />
Organisatorische und bürokratische<br />
Schwierigkeiten<br />
zeigen sich in der geteilten<br />
Zuständigkeit des Kultusministeriums<br />
und Sozialministeriums<br />
in Bayern. Wünschenswert<br />
wären vereinheitlichte<br />
Standards, um das Potenzial,<br />
das in der Ganztagsbildung<br />
liegt, auszuschöpfen, und<br />
um Bildungserfolg in Teilen<br />
von der sozialen Herkunft zu<br />
entkoppeln. In kurzen Pausen<br />
konnten wir uns über den<br />
jeweiligen Input austauschen<br />
und an einer Führung durch<br />
den Landtag teilnehmen.<br />
Happy Hour zu einem Beitrag<br />
aus der Grundschule<br />
aktuell „Ganztagsschule –<br />
Den ganzen Tag Schule?“<br />
˘<br />
Am Mittwoch, den 14. 06. 23<br />
stellten uns Rektorin Susanne<br />
Meyer und Konrektorin<br />
Christiane Knott ihren Artikel<br />
„Daheim in der Schule?“ zum<br />
Offenen Ganztag der Grundschule<br />
Hans-Sachs-Straße in<br />
Fürth vor. Dabei beschrieben<br />
die beiden Lehrerinnen<br />
Aspekte wie eine klar ritualisierte<br />
Tagesstruktur mitsamt<br />
selbst gewählten freien<br />
Spielzeiten, ein gemeinsames<br />
Mittagessen, vielseitige<br />
künstlerische, musische und<br />
naturwissenschaftlich-technische<br />
Angebote in Arbeitsgemeinschaften<br />
am Nachmittag<br />
und die Bedeutung eines<br />
intensiven, regelmäßigen,<br />
wertschätzenden Austauschs<br />
zwischen Klassenlehrkraft<br />
und nachmittäglichem<br />
Betreuungspersonal. Teamtreffen,<br />
Mitarbeitergespräche,<br />
kurze Kommunikationswege,<br />
gemeinsam besprochene<br />
Schulentwicklungsziele gewährleisten<br />
die Qualität der<br />
Zusammenarbeit.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Michael Bauernschuster und<br />
Konstanze v. Unold<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
43
Praxis: aktuell Pausenkulturen<br />
… den Landesgruppen<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer<br />
gsv-brandenburg@posteo.de, www.grundschulverband.de<br />
Erfolgreiche Proteste –<br />
Rücknahme der pauschalen<br />
Stellenkürzungen<br />
Nach zahlreichen Protesten<br />
des Grundschulverbandes,<br />
des Landeselternrates, des<br />
Landesschulbeirates, der<br />
Lehrerverbände und der<br />
GEW gegen die pauschalen<br />
Stellenkürzungen wurde<br />
diese geplante Maßnahme<br />
durch den neuen Bildungsminister<br />
des Landes Brandenburg,<br />
Steffen Freiberg,<br />
zurückgenommen. An<br />
zwei Gesprächsrunden im<br />
Bildungsministerium vertrat<br />
Hannes Fischer die Positionen<br />
des Vorstandes. Die geplanten<br />
Stundenkürzungen<br />
u.a. für die flexible Schuleingangsphase<br />
(Flex), den<br />
Ganztag und das gemeinsame<br />
Lernen konnten erfolgreich<br />
verhindert werden. Im<br />
neuen Schuljahr sollen nicht<br />
besetzte Lehrerstellen in<br />
Stellen für Assistenzen, z. B.<br />
für Verwaltungsaufgaben und<br />
Schulsozialarbeit, umgewandelt<br />
werden können. Wie<br />
dies konkret in der Praxis zur<br />
Unterstützung der Schulen<br />
umgesetzt werden kann, ist<br />
noch offen.<br />
Ein Brandenburg-<br />
Phänomen – Wo bleibt<br />
der Blick fürs Ganze?<br />
Mitte Juni erhielten alle<br />
Schulen ein Schreiben des<br />
Ministeriums zur Verstärkung<br />
der Stundentafel durch die<br />
verbindliche Nutzung der<br />
Schwerpunktstunden in<br />
den Bereichen Deutsch und<br />
Mathematik. Das Verfahren ist<br />
zu kritisieren: Verkündigung<br />
von oben kurz vor Schuljahresende<br />
statt Beteiligung<br />
der Praxis und der Schulämter<br />
ist wenig hilfreich in<br />
den ohnehin schwierigen<br />
Stellenbesetzungsverfahren.<br />
Aussagen zur Umsetzung<br />
der Umwidmung nicht besetzter<br />
Lehrerstellen fehlen<br />
komplett ebenso wie zur<br />
Umsetzung des Modells 63<br />
plus. Viele Schulen nutzen<br />
die Schwerpunktstunden<br />
bereits seit Jahren zur Verstärkung<br />
von Deutsch und<br />
Mathematik. Die Festlegung<br />
der Schwerpunktstunden<br />
für die Jgst. 1 und 2 als<br />
Deutschstunden und für die<br />
Jgst. 3 und 4 als Mathematikstunden<br />
ist nicht nachvollziehbar.<br />
Schulen sollen<br />
selbst entscheiden können,<br />
in welcher Jahrgangsstufe<br />
welche Schwerpunkte in<br />
welcher Quantität gesetzt<br />
werden. Die verbindliche<br />
Festlegung von 45 min (einer<br />
Wochenstunde) aus dem<br />
Sachunterricht zur Förderung<br />
der mathematischen und<br />
sprachlichen Kompetenzen<br />
ist quasi eine Kürzung<br />
der Unterrichtszeit für die<br />
Sachthemen. Auch diese<br />
Festlegung, Kompetenzen<br />
in „Extrastunden“ selektiv zu<br />
vermitteln, missachtet, dass<br />
sich die Schulen zur Sprachförderung<br />
in allen Fächern<br />
verständigt und Maßnahmen<br />
zum sprachsensiblen Fachunterricht<br />
festgelegt haben.<br />
Grundschultag mit<br />
Mitgliederversammlung –<br />
Neuer Vorstand gewählt<br />
Am 20.6.2023 fand in der Fontane<br />
Grundschule Niederlehme<br />
der Grundschultag unter<br />
dem Motto „Kinder lernen<br />
Lesen. Jetzt!“ mit anschließender<br />
Mitgliederversammlung<br />
und Vorstandswahl nach<br />
4 Jahren erstmalig wieder<br />
als Präsenzveranstaltung<br />
statt. In der gastgebenden<br />
Fontane Grundschule war<br />
alles bestens vorbereitet und<br />
organisiert. Dafür danken wir<br />
v. l. n. r.: Hannes Fischer, Stefanie Gärtner, Sabine Wendt, Marion<br />
Gutzmann und Denise Sommer.<br />
Stefanie Gärtner, der Schulleitung<br />
und dem Kollegium<br />
sehr herzlich. Ein entspanntes<br />
Ankommen bei Kaffee und<br />
selbstgebackenem Kuchen<br />
machte den 28 Teilnehmenden<br />
Lust auf die pädagogischen<br />
Inputs. Denise Sommer<br />
stellte den Grundschulverband<br />
und die Brandenburger<br />
Arbeitsschwerpunkte vor.<br />
Nach einem aktivierenden<br />
Impulsvortrag mit freudvollen<br />
Lese- und Schreibaktivitäten<br />
von Marion Gutzmann<br />
erhielten die Teilnehmenden<br />
in drei Workshops zum<br />
Lesenkönnen, zur LRS im<br />
Englischunterricht und zu<br />
differenzierten Klassenarbeiten<br />
im Mathematikunterricht<br />
weitere Anregungen für die<br />
Unterrichtspraxis. Die Feedbacks<br />
zu diesem Grundschultag<br />
waren durchweg wertschätzend<br />
und sehr positiv.<br />
Die Abfrage zu zukünftigen<br />
Formaten ergab eine klare<br />
Präferenz für Grundschultage<br />
als Präsenzveranstaltung an<br />
einer Grundschule möglichst<br />
im Wechsel der Regionen<br />
unseres Flächen-Bundeslandes.<br />
In der anschließenden<br />
Mitgliederversammlung<br />
dokumentierte der Rechenschaftsbericht<br />
die vielfältigen<br />
Arbeitsbereiche des Landesgruppenvorstandes<br />
und<br />
bilanzierte die letzten 5 Jahre.<br />
Deutlich erkennbar waren die<br />
Stärkung des bildungspolitischen<br />
Arbeitsschwerpunktes<br />
in Verbindung mit dem Aufbau<br />
und der Intensivierung<br />
zahlreicher Kooperationen<br />
sowie die internen Prozesse<br />
zur zukünftigen Ausrichtung<br />
des Verbandes auf Bundesebene.<br />
Einstimmig wurde der neue<br />
Vorstand für die Landesgruppe<br />
Brandenburg gewählt.<br />
Ihm gehören an: Hannes<br />
Fischer, Marion Gutzmann,<br />
Stefanie Gärtner, Denise Sommer<br />
und Sabine Wendt. Der<br />
Vorsitz und die Absicherung<br />
der Arbeitsaufgaben werden<br />
zukünftig im Team erfolgen.<br />
Wir freuen uns, dass Dr. Anna<br />
Lena Wagener und Franziska<br />
Milke die Vorstandsarbeit<br />
weiterhin unterstützen.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Denise Sommer<br />
44<br />
GS aktuell 163 • September 2023
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Bremen<br />
Vorstandssprecher: Chris Barnick, c.barnick@uni-bremen.de<br />
www.grundschulverband-bremen.de<br />
In diesem Jahr prägt das<br />
Thema „Kinderrechte“ die<br />
Arbeit der Landesgruppe<br />
Bremen in besonderem<br />
Maße.<br />
Im Rahmen einer Ausschreibung<br />
der Senatorin für Klimaschutz<br />
und Umwelt, Umweltbildung<br />
Bremen hat die<br />
Landesgruppe gemeinsam<br />
mit dem Projekt „Eine Welt in<br />
der Schule“ an der Universität<br />
einen Antrag für ein Vorhaben<br />
„Kinder*Rechte*Schule“<br />
gestellt. Die Finanzierung aus<br />
Erträgen der Bingo-Lotterie<br />
wurde jetzt bewilligt. Mit<br />
diesen Mitteln sollen gemeinsam<br />
mit ausgewählten<br />
Bremer Schulen Hilfen zur<br />
Umsetzung der Kinderrechte<br />
und zur Demokratisierung<br />
von Schule und Unterricht<br />
entwickelt und in der Praxis<br />
erprobt werden (darunter<br />
zwei Mitgliedsschulen des<br />
GSV; zusätzlich soll das<br />
Projekt in Kooperation mit<br />
Prof’in Dr. Wulfmeyer von der<br />
Universität in die Erprobung<br />
des neuen Bildungsplans<br />
Sachunterricht einbezogen<br />
werden). Sowohl für die Hand<br />
der Schüler’innen (Bilder- und<br />
Kinderbücher) als auch zur<br />
Unterstützung der Lehrer’innen<br />
(Planungs- und Arbeitshilfen)<br />
werden Materialkisten<br />
mit einem begleitenden<br />
Leitfaden erstellt, die von<br />
Schulen ausgeliehen werden<br />
können (nach Abschluss der<br />
Erprobung 2024 auch bundesweit<br />
über das Projekt „Eine<br />
Welt in der Schule“; Kontakt:<br />
u.oltmanns@uni-bremen.de).<br />
Die „Kinderrechte in Schule<br />
und Unterricht“ werden auch<br />
Thema der Fachveranstaltung<br />
bei der jährlichen Mitgliederversammlung<br />
der Landesgruppe<br />
im Herbst sein. Zudem<br />
wird Hans Brügelmann<br />
am 5. 10. 2023<br />
in der nächsten<br />
Diskussionsveranstaltung<br />
des Klub Universum zum<br />
Thema referieren (mehr<br />
Informationen unter:<br />
https://klub-universum.de/).<br />
Save the date<br />
Am 23.9. 2023<br />
finden bundesweit<br />
Aktionen der Initiative<br />
#schulemuss-anders statt,<br />
die wir als Landesgruppe<br />
auch in Bremen unterstützen<br />
(aktuelle Infos über die<br />
Telegram-Gruppe Bremen:<br />
https://t.me/+<br />
AwYXjPboe_owYzY6 ).<br />
Ebenfalls in Bremen findet<br />
vom 14. bis<br />
17. 11 2023 der<br />
bundesweite Ganztagsschulkongress<br />
statt.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Hans Brügelmann<br />
Hamburg<br />
Kontakt: Marion Lindner, Plinkstraße 81, 25337 Elmshorn<br />
Lindner_Marion@t-online.de, https://gsvhh.de<br />
Hamburger Religionsunterricht<br />
(Klasse 1–6)<br />
ohne Alternative?<br />
Der Hamburger Religionsunterricht<br />
steht in einer<br />
langen Tradition mit dem<br />
Anspruch, ein Religionsunterricht<br />
für alle Kinder<br />
zu sein.<br />
Bereits bei der Stellungnahme<br />
unserer Landesgruppe<br />
zum Bildungsplanentwurf der<br />
Schulbehörde im Sommer<br />
des letzten Jahres merkten<br />
wir an, dass im Bildungsplan<br />
Religion Kinder ohne<br />
Religionszugehörigkeit kaum<br />
bedacht und in erheblichem<br />
Maß diskriminiert werden,<br />
und forderten eine Überarbeitung<br />
unter Beteiligung<br />
nicht-religiöser Träger, damit<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
ohne Zugehörigkeit zu einer<br />
Religionsgemeinschaft, deren<br />
Anteil in Hamburger Schulen<br />
mittlerweile die Mehrheit<br />
bildet, ausreichend Berücksichtigung<br />
finden.<br />
Leider finden wir in den<br />
mittlerweile veröffentlichten<br />
Bildungsplänen keinerlei<br />
Aufnahme unserer kritischen<br />
Anmerkungen. Gemeinsam<br />
mit dem Arbeitskreis Philosophie<br />
und Religion der GEW<br />
wollen wir aber weiter daran<br />
arbeiten, dass, wie in anderen<br />
Bundesländern auch, in den<br />
Klassen 1 bis 6 zumindest ein<br />
Alternativfach angeboten<br />
wird.<br />
Auf Einladung der GEW war<br />
Prof. Dr. Hartmut Kreß aus<br />
Bonn für einen Vortrag zu<br />
dieser Thematik nach Hamburg<br />
gekommen. Die Veranstaltung<br />
war gut besucht und<br />
in der sich anschließenden<br />
Diskussion wurde die Einführung<br />
eines Alternativfaches<br />
ausgiebig beleuchtet. Eine<br />
große Mehrheit sprach sich<br />
dafür aus, dass es eine Alternative<br />
zum „Religionsunterricht<br />
für alle“ in den Klasse 1<br />
bis 6 geben müsse.<br />
Es geht nicht um eine<br />
grundsätzliche Kritik an den<br />
Bildungsplänen Religion, die<br />
den Anspruch „für alle“ haben,<br />
die aber ausschließlich<br />
von Religionsgemeinschaften<br />
getragen werden und<br />
Kindern aus religionsfernen<br />
Familien keine Alternative<br />
anbieten. Damit werden sie<br />
zu Außenseitern gemacht,<br />
wenn sie das Verfassungsrecht<br />
einer Nicht-Teilnahme<br />
für sich in Anspruch nehmen.<br />
Sie erhalten kein „identitätsstiftendes<br />
Angebot“, wie es<br />
der rot-grüne Hamburger<br />
Koalitionsvertrag vorsieht.<br />
Wir werden uns auf eine lange<br />
Auseinandersetzung mit<br />
der Schulbehörde einstellen<br />
müssen.<br />
Schulentwicklung ist notwendig<br />
– unbestritten –,<br />
aber so?<br />
Forschende und Lehrende<br />
der beiden Berliner Universitäten<br />
haben in einem<br />
offenen Brief eine Wende<br />
im wissenschaftlichen und<br />
öffentlichen Diskurs gefordert<br />
und insbesondere Kritik<br />
an den aktuellen Vorschlägen<br />
der „Ständigen Wissenschaftlichen<br />
Kommission der<br />
Kultusministerkonferenz“<br />
geübt. Sie wenden sich insbesondere<br />
gegen ein verengtes<br />
Kompetenzverständnis, die<br />
Kurzfristigkeit vieler aktueller<br />
Maßnahmen in der (Grundschul-)Bildung,<br />
eine einseitige<br />
auf messbare Aspekte hin<br />
ausgerichtete Forschung und<br />
sprechen sich für eine auf<br />
die Lebenswelt von Kindern<br />
bezogene Förderung aus.<br />
Als Grundschulverband,<br />
Landesgruppe Hamburg,<br />
unterstützen wir die zentralen<br />
Anliegen dieser „Berliner<br />
Erklärung gegen eine Verengung<br />
des Bildungsdiskurses“<br />
und wünschen eine große<br />
Verbreitung der Thesen.<br />
Wenn Sie sich auch diesem<br />
Brief anschließen wollen, ist<br />
dies unter folgendem Link<br />
möglich: https://t1p.de/<br />
bildungsdiskurs<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Marion Lindner<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
45
Praxis: aktuell Pausenkulturen<br />
… den Landesgruppen<br />
Hessen<br />
Vorsitzender: Mario Michel<br />
mario.michel@gsvhessen.de, www.gsvhessen.de<br />
Halbherzige Ansätze nutzen<br />
– Für eine konsequente<br />
Umgestaltung von Schule<br />
In der zu Ende gehenden<br />
Legislaturperiode hatten<br />
sich CDU und Bündnis 90/<br />
Die Grünen Bildungspolitik<br />
als zentrales Thema auf die<br />
Fahnen geschrieben. Ein<br />
„Aufbruch im Wandel durch<br />
Haltung, Orientierung und<br />
Zusammenhalt“ sollte es<br />
werden – klingt gut!<br />
Antworten auf die drängenden<br />
Fragen der Zeit<br />
waren angekündigt. Die<br />
Kapitelüberschriften im<br />
Koalitionsvertrag lesen sich<br />
hoffnungsvoll:<br />
Chancen für alle durch eine<br />
verlässliche Bildungspolitik,<br />
Grundschule: Gute Bildung<br />
von Anfang an, Ganztagsschule<br />
und Ausbau der Ganztagsangebote,<br />
Entlastung<br />
für Schulen und Lehrkräfte,<br />
Begabungen entwickeln und<br />
Chancen fördern, Inklusion, …<br />
Aus Sicht des Grundschulverbandes<br />
reichen die gemachten<br />
Ansätze nicht aus. Die<br />
grundlegendste und nachhaltigste<br />
Forderung des GSV<br />
für eine zeitgemäße Schule<br />
ist im Koalitionsvertrag<br />
nicht einmal angedacht. Ein<br />
zukunftsfähiges deutsches<br />
Schulwesen braucht eine<br />
grundlegende Strukturreform.<br />
Kinder brauchen ein<br />
längeres gemeinsames Lernen,<br />
keine Selektion nach vier<br />
gemeinsamen Jahren, nach<br />
denen sie in ungleichwertige<br />
Folgesysteme aufgeteilt<br />
werden. Spielen hier doch<br />
nach wie vor soziale und<br />
sozioökonomische Hintergründe<br />
eine viel größere<br />
Rolle als die Potenziale der<br />
Kinder. Die Überwindung der<br />
Viergliedrigkeit (H, R, Gym<br />
und Fö) und die Einrichtung<br />
von inklusiven Gemeinschafts-<br />
und Langformschulen<br />
muss priorisiertes Ziel<br />
von Bildungspolitik werden,<br />
um allen Kindern und dem<br />
Förderauftrag von Schule<br />
gerecht zu werden.<br />
Bereits in der Präambel des<br />
Koalitionsvertrags steht: „Wir<br />
wollen den Zusammenhalt<br />
der Gesellschaft stärker in<br />
den Mittelpunkt rücken. …<br />
Wir fördern ein gesellschaftliches<br />
Klima, in dem gegenseitige<br />
Achtung, Rücksichtnahme<br />
und Solidarität wachsen<br />
können.“ Schule kann hierzu<br />
einen erheblichen Beitrag<br />
leisten – in einem Schulsystem,<br />
das auf Selektion<br />
und Auslese verzichtet und in<br />
dem es genügend Zeit gibt,<br />
um Begabungen zu entwickeln,<br />
Chancen zu fördern<br />
und ein demokratisches<br />
Miteinander zu leben.<br />
Bildungs- und Betreuungszeit<br />
muss ausgeweitet werden<br />
zu gebundenen Ganztagsschulen<br />
mit qualitätsvoller<br />
Personalausstattung und<br />
anregungsreichen Lernumgebungen.<br />
Um Grundschularbeit mit<br />
den aktuell sich stellenden<br />
Anforderungen (Inklusion,<br />
Integration, Superdiversität)<br />
qualitätsvoll, im Sinne der<br />
Kinder und der Gesellschaft,<br />
leisten zu können, müssen<br />
entsprechende Rahmenbedingungen<br />
gegeben sein.<br />
● Der im Koalitionsvertrag<br />
angedachte Klassenteiler 20<br />
ab der Dreizügigkeit einer<br />
Grundschule müsste grundsätzlich<br />
gelten.<br />
● Außerunterrichtlichen<br />
Tätigkeiten und der Arbeit in<br />
multiprofessionellen Teams<br />
muss durch geeignete Zeitund<br />
Arbeitsräume angemessen<br />
Rechnung getragen<br />
werden.<br />
● Teamarbeit, Unterrichtsund<br />
Schulentwicklungsarbeit,<br />
Beratungstätigkeiten,<br />
Kooperationsaufgaben<br />
müssen kalkuliert und in ein<br />
neues Arbeitszeitmodell für<br />
Lehrkräfte fließen.<br />
● Der Anstieg der außerunterrichtlichen<br />
Aufgaben<br />
muss eine Absenkung der<br />
Pflichtstunden für die Lehrkräfte<br />
zur Folge haben.<br />
● Gleichzeitig fordert der<br />
Grundschulverband eine<br />
Erhöhung der verbindlichen<br />
Unterrichtsstunden für die<br />
Kinder auf 30 Wochenunterrichtsstunden,<br />
um sowohl<br />
eine förderorientierte, auf<br />
individuelle Bedarfe gerichtete<br />
Grundschulbildung<br />
nicht nur im Bereich der<br />
Kulturtechniken zu erreichen,<br />
sondern gleichwertig auch<br />
im musisch-ästhetischen und<br />
Welterfahrungsbereich.<br />
Tatsächlich war und ist ein<br />
zentraler bildungspolitischer<br />
Aktivitätsbereich die „Stärkung<br />
der Bildungssprache<br />
Deutsch“ – sicher nicht zu<br />
Unrecht. Lesen und Schreiben<br />
sind Schlüsselqualifikationen<br />
für die Teilhabe an<br />
Gesellschaft. Die verbindliche<br />
Arbeit mit der Handreichung<br />
zum Grundwortschatz<br />
Hessen dient dem Ziel der<br />
Stärkung der Bildungssprache.<br />
Mit Ausnahme der<br />
Vorgaben zur Fehlerkorrektur<br />
stellt die Handreichung<br />
tatsächlich ein hilf- und<br />
anregungsreiches Werk für<br />
die Grundschullehrkräfte<br />
dar. Auch und besonders die<br />
Ausweitung der Stundentafel<br />
im Fach Deutsch um eine<br />
Wochenunterrichtsstunde sei<br />
hier positiv vermerkt.<br />
Mut allerdings zu wirklich<br />
grundlegenden, strukturellen<br />
und zukunftsweisenden Entscheidungen<br />
in der Bildungspolitik,<br />
die freilich nicht nur<br />
auf hessischem Boden gefällt<br />
werden dürften, fehlte und<br />
fehlt landauf und landab.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Pia Hölzel<br />
46<br />
GS aktuell 163 • September 2023
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Saarland<br />
Vorsitzende: Sonja Köhler<br />
info@grundschulverband.saarland, www.grundschulverband.saarland<br />
Neuer Vorstand<br />
Bereits im März wurde in<br />
der Mitgliederversammlung<br />
ein neuer Vorstand gewählt.<br />
Nachdem sich Anke Jungmann<br />
nach ihrer vierjährigen Arbeit<br />
als erste Landesgruppenvorsitzende<br />
aus familiären Gründen<br />
nicht mehr zur Wahl stellte,<br />
wurde nun Sonja Köhler in<br />
dieses Amt gewählt. Auch Mark<br />
Prediger (stellvertretender<br />
Landesgruppenvorsitzender)<br />
und Aline Schmidt (Beisitzerin)<br />
traten nicht erneut zur Wahl<br />
an. Neu im Amt sind nun Pascal<br />
Kihm als stellvertretender<br />
Vorsitzender, Christina Surges<br />
als Schriftführerin und Marie<br />
Fischer sowie Anna Schümmer<br />
als Beisitzerinnen. Im Amt<br />
bestätigt wurden Markus<br />
Peschel als stellvertretender<br />
Landesgruppenvorsitzender<br />
und Anika Valentini als Schatzmeisterin.<br />
Vielen Dank an Anke, Mark und<br />
Aline für eure wertvolle Arbeit<br />
in den letzten Jahren!<br />
Forderungen an eine tragfähige<br />
Personalisierung saarländischer<br />
Grundschulen<br />
Nachdem im Februar unsere<br />
sechs Forderungen an eine tragfähige<br />
Personalisierung saarländischer<br />
Grundschulen mit der<br />
Überschrift „Was Grundschullehrer*innen<br />
können, können<br />
nur Grundschullehrer*innen“ an<br />
die Presse und die bildungspolitischen<br />
Vertretungen geschickt<br />
wurde, ergaben sich diverse<br />
Gespräche im Ministerium, mit<br />
dem Studienseminar und mit<br />
der SPD-Landtagsfraktion. Wir<br />
unterbreiteten u. a.. Vorschläge,<br />
um die Einstellung in den<br />
saarländischen Schuldienst<br />
für Grundschullehrer*innen<br />
attraktiver zu gestalten und<br />
so z. B. den Abwanderungen<br />
in benachbarte Bundesländer<br />
entgegenzuwirken. Weitere<br />
Forderungen bezogen sich auf<br />
die Stärkung multiprofessioneller<br />
Teams, die Aufstockung der<br />
Studienplätze im Studiengang<br />
Lehramt für die Primarstufe<br />
v. l. n. r.: Anna Schümmer, Pascal Kihm, Sonja Köhler, Christina<br />
Surges, Marie Fischer, Markus Peschel, fehlend: Anika Valentini<br />
an der Universität des Saarlandes,<br />
eine dynamische<br />
Weiterentwicklung der zweiten<br />
Ausbildungsphase sowie eine<br />
finanzielle Aufstockung von<br />
Sachmitteln der Grundschulen.<br />
Auch die Angleichung der Besoldung<br />
an die Besoldung von<br />
Lehrpersonen der weiterführenden<br />
Schulen war und ist immer<br />
wieder Thema der Gespräche.<br />
Sitzkreis – GSV Saar lädt ein<br />
In Anlehnung an den „Klönschnack“<br />
in Bremen oder die<br />
„Happy Hour“ in Bayern haben<br />
nun auch wir einen regelmäßigen<br />
Austausch für interessierte<br />
Grundschullehrkräfte initiiert.<br />
Unser Sitzkreis bietet einen<br />
Austausch über Themen wie<br />
Studium und Referendariat,<br />
Examensprüfungen, Schulkonzepte,<br />
aktuelle bildungspolitische<br />
Forderungen (s. o.) oder<br />
pädagogisch-didaktische Themen<br />
wie die Grundschrift oder<br />
Ansätze zur Leseförderung. Die<br />
Termine und Themen werden<br />
auf unserer Homepage https://<br />
www.grundschulverband.<br />
saarland und in den sozialen<br />
Netzwerken veröffentlicht.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Pascal Kihm<br />
Niedersachsen<br />
Kontakt: www.gsv-nds.de<br />
Gespräch im<br />
Kultusministerium<br />
Zu einem ersten gemeinsamen<br />
Gespräch lud die<br />
niedersächsische Kultusministerin<br />
Julia Hamburg den<br />
Vorstand der Landesgruppe<br />
Niedersachsen ein. Am 26.<br />
April waren dann neben Frau<br />
Hamburg auch die Referatsleiterin<br />
Frau Rehn sowie Frau<br />
Graf, Mitarbeiterin im Referat,<br />
vor Ort. Nach einem Rückblick<br />
auf das Dialogforum<br />
stand insbesondere die pädagogische<br />
Leistungskultur<br />
im Fokus. Dabei diskutierten<br />
wir Möglichkeiten, Kinder auf<br />
ihrem individuellen Lernweg<br />
zu begleiten. Gelungen<br />
konnten wir Forderungen des<br />
Grundschulverbandes wie<br />
z. B. die Durchführung von<br />
Lerngesprächen einbringen<br />
und intensiv diskutieren. Ein<br />
weiterer Gesprächsgegenstand<br />
war der Verzicht auf<br />
Noten und Ziffernzeugnisse.<br />
Insgesamt fand das Gespräch<br />
in einer vertrauensvollen und<br />
konstruktiven Atmosphäre<br />
statt; Interesse an der pädagogischen<br />
Ausrichtung des<br />
Grundschulverbandes wurde<br />
deutlich. Abschließend stand<br />
die Einladung zu einem weiteren<br />
Gespräch zum Thema<br />
„Inklusion“.<br />
Das Dialogforum<br />
geht weiter …<br />
Zu einem zweiten Dialogforum<br />
hat die niedersächsische<br />
Kultusministerin Frau<br />
Hamburg am Montag, den<br />
12.06.2023 Vertreter:innen<br />
des MK, der RLSB sowie<br />
einzelner Verbände geladen.<br />
In der IGS Langenhagen diskutierten<br />
die Teilnehmer:innen<br />
in unterschiedlichen<br />
Arbeitsgruppen zum Thema<br />
Lehrkräftegewinnung. Dabei<br />
stand die Frage im Vordergrund,<br />
wie die Unterrichtsversorgung<br />
in Niedersachsen<br />
bei gleichzeitiger möglicher<br />
Entlastung der Lehrkräfte<br />
verbessert werden kann. Die<br />
Ergebnisse dieses Tages sollen<br />
in verschiedenen Arbeitsgruppen<br />
weiterentwickelt<br />
werden. Über den Fortgang<br />
werden wir an dieser Stelle<br />
sowie in den sozialen Medien<br />
weiter berichten.<br />
Save the date<br />
Am Samstag, den<br />
04.11.2023 findet in Bremen<br />
unsere Mitgliederversammlung<br />
inklusive der Neuwahlen<br />
des Vorstandes statt. Zuvor<br />
laden wir herzlich zum Fachvortrag<br />
zum Thema „BNE“<br />
ein. Frau Fitzer, Fachberaterin<br />
für BNE am Regionalen<br />
Landesamt für Schule und<br />
Bildung, führt in das Thema<br />
ein. Anschließend wird Ulrike<br />
Oltmanns vom Projekt „Eine<br />
Welt in der Schule“ durch ihre<br />
Räumlichkeiten führen und<br />
unter anderem die direkt in<br />
der Praxis einzusetzenden<br />
Materialkisten vorstellen.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Eva Osterhues-Bruns<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
47
Praxis: aktuell Pausenkulturen<br />
… den Landesgruppen<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Vorsitzende: Christiane Mika, Ruhrbogen 30,<br />
45529 Hattingen; www.grundschulverband-nrw.de<br />
Fortsetzung des pädagogischen<br />
Frühstücks<br />
Das während der Pandemie<br />
entstandene und fortgeführte<br />
digitale Format eines<br />
‚pädagogischen Frühstücks‘<br />
für Mitglieder und Interessierte<br />
verzeichnet weiterhin<br />
regen Zulauf. Für eine Stunde<br />
bieten wir einmal im Quartal<br />
samstags ein digitales Format<br />
mit je einem Impulsvortrag<br />
und daran anschließenden<br />
Möglichkeiten zum Austausch<br />
und zur Vertiefung in<br />
digitalen Räumen an. Beim<br />
vergangenen pädagogischen<br />
Frühstück stellte Dr. Beate<br />
Leßmann den 80 Teilnehmenden<br />
in einem spannenden<br />
und inspirierenden Impulsvortrag<br />
vor, wie das Schreiben<br />
eigener Texte und das<br />
Rechtschreiben von Anfang<br />
an verbunden werden kann.<br />
Über das große Interesse an<br />
der Veranstaltung haben wir<br />
uns sehr gefreut, sodass wir<br />
auch im nächsten Schuljahr<br />
weitere pädagogische Frühstücke<br />
im digitalen Format<br />
anbieten werden.<br />
Bildungspolitische<br />
Beteiligungen und<br />
Kontakte in NRW<br />
Im Mai vertrat Christiane<br />
Mika in ihrer Funktion als<br />
Vorstandsvorsitzende den<br />
Grundschulverband in einem<br />
telefonischen Gespräch mit<br />
Dorothee Feller (Ministerin<br />
für Schule und Bildung des<br />
Landes Nordrhein-Westfalen).<br />
In dem Gespräch wurden<br />
von Seiten des Verbandes<br />
noch einmal die besonderen<br />
Bedarfe der Grundschule in<br />
Abgrenzung zu den anderen<br />
Schulformen betont. Insbesondere<br />
sinnvolle Hilfs- und<br />
Unterstützungsmaßnahmen<br />
für die Grundschule wurden<br />
in diesem Zuge diskutiert.<br />
Zum weiterführenden<br />
Austausch über diesen<br />
Themenkomplex wurde ein<br />
Termin für ein Videomeeting<br />
vereinbart.<br />
Grundschultag NRW 2023 –<br />
save the date!<br />
Zu unserem diesjährigen<br />
Grundschultag laden wir am<br />
28.10.2023 in die Gebrüder-<br />
Grimm-Schule in Hamm ein.<br />
Die Preisträgerschule des<br />
Deutschen Schulpreises 2019<br />
können alle Teilnehmenden<br />
anhand eines Schulrundgangs<br />
kennenlernen und im<br />
Einführungsvortrag mehr<br />
über die Konzeption der<br />
Schule erfahren.<br />
Unter dem Leitthema<br />
KINDER. LERNEN. ZUKUNFT.<br />
JETZT! werden verschiedene<br />
Workshops angeboten.<br />
Weitere Infos folgen im<br />
Newsletter und auf dem<br />
Instagram-Kanal unserer<br />
Landesgruppe.<br />
28.10.2023<br />
10:00 – 15:00 Uhr<br />
Gebrüder-Grimm-Schule,<br />
Hamm<br />
Anmeldung unter:<br />
grundschulverbandnrw@t-online.de<br />
Ansprechperson: Maxi<br />
Brautmeier-Ulrich<br />
Für die Landesgruppe<br />
Nordrhein-Westfalen:<br />
André Richter<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Kontakt: Thekla Mayerhofer, Hafenstr. 44, 06108 Halle (Saale)<br />
May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />
Klausurtagung<br />
des Vorstandes<br />
Alle zwei Jahre trifft sich der<br />
Vorstand unserer Landesgruppe<br />
zu einer Klausurtagung,<br />
um Aktuelles und<br />
Zukünftiges zu beratschlagen<br />
und neue Ideen zu akquirieren.<br />
Themen des diesjährigen<br />
Treffens am 16. Juni waren<br />
u.a. die vom Land angedachte<br />
Kooperation von Schulen<br />
und Horten zur Umsetzung<br />
des geplanten Ganztagsanspruchs<br />
2026. Gemeinsam<br />
mit der DKJS (Deutsche<br />
Kinder- und Jugendstiftung)<br />
wollen wir Impulse setzen,<br />
die Bedeutung dieser<br />
Entwicklung hervorheben<br />
und notwendige Strukturen<br />
einfordern. Erster Anlaufpunkt<br />
soll ein Treffen mit<br />
der Bildungsministerin zum<br />
gemeinsamen Austausch<br />
sein. Ein zweites Thema war<br />
der Seiteneinstieg, der ohne<br />
Anerkennung, eine kontinuierliche<br />
Qualifizierung, einen<br />
sachgerechten Einsatz und<br />
eine gute Einbindung an den<br />
Schulen durch z. B. Mentoring<br />
nur schwer gelingen kann –<br />
auch hierzu wollen wir den<br />
Kontakt zum MB noch einmal<br />
aufnehmen. Zudem ist in<br />
Sachsen-Anhalt unsere Idee<br />
des Primarstufenlehramts,<br />
das die starre Trennung in<br />
das Lehramt für Grundschulen<br />
und für Förderschulen<br />
aufweichen würde, neu in der<br />
Diskussion, das beim letzten<br />
Treffen mit den bildungspolitischen<br />
Sprecher*innen des<br />
Landes im März Gehör fand.<br />
Eine Arbeitsgruppe der Philosophischen<br />
Fakultät III der<br />
Martin-Luther-Universität, in<br />
der drei unserer Mitglieder<br />
mitarbeiten, arbeitet an<br />
einem Konzeptpapier.<br />
„Eltern-Uni“<br />
Im März und Juni fanden die<br />
ersten beiden Eltern-Unis als<br />
Kooperation des Grundschulverbandes<br />
Sachsen-Anhalt<br />
und des Instituts für Schulpädagogik<br />
und Grundschuldidaktik<br />
der Martin-Luther-<br />
Universität Halle-Wittenberg<br />
statt. Der erste Termin stellte<br />
die Frage nach Leistungsbewertung:<br />
Brauchen Kinder<br />
Noten, um sich fürs Lernen<br />
zu motivieren? Nach einem<br />
Faktencheck berichteten<br />
Lehrkräfte der Freien Schule<br />
Riesenklein in Halle den<br />
etwa 50 Zuhörer*innen von<br />
Möglichkeiten der Leistungsrückmeldung<br />
ohne Zensuren.<br />
Im Juni ging es um die Frage<br />
„Wozu rechnen? Gibt doch<br />
Taschenrechner!“. Unser<br />
Vorstandsmitglied Wolfgang<br />
Grohmann zeigte dabei auf,<br />
was guter Mathematikunterricht<br />
leisten kann, und nahm<br />
den Eltern die Sorge vor dem<br />
Versagen ihrer Kinder im<br />
Mathematikunterricht. Wir<br />
freuen uns zudem auf die<br />
nächsten beiden Termine, in<br />
denen es um alte und neue<br />
Gewissheiten im Rechtschreibunterricht<br />
sowie<br />
Digitalisierung in der Grundschule<br />
geht.<br />
Weitere Informationen:<br />
www.gsv-lsa.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Dr. Nadine Naugk<br />
48<br />
GS aktuell 163 • September 2023
Nachruf auf Dr. Manfred Pollert<br />
„Wir sind nicht verpflichtet,<br />
pädagogischen Unsinn zu machen!“<br />
Als 1985 die neuen Richtlinien für Grundschulen in NRW veröffentlicht<br />
wurden, wussten viele, dass Grundschulrektor Manfred<br />
Pollert als Vorsitzender der Richtlinienkommission die<br />
wichtigsten Akzente gesetzt hatte. Erstmalig fand man Freie Arbeit<br />
in den Richtlinien. Busweise pilgerten Lehrerinnen und Lehrer nach<br />
Münster, um in Pollerts Grundschule Berg Fidel die Praxis zu sehen.<br />
In seiner eigenen Klasse probierte Pollert alles aus, so wie andere<br />
Pioniere es in der Zeit taten. Ein Vierteljahr konnten dort die Projekte<br />
dauern, z. B. über Indigene oder das Mittelalter. Die Kinder beschäftigten<br />
sich mit einem gemeinsamen Gegenstand, bauten Zelte,<br />
machten Musik, tanzten, schrieben Geschichten, druckten sie selbst<br />
für eine Zeitung, rechneten in anderen Maßeinheiten und untersuchten<br />
Kultur. Dabei nahm er immer ernst, was Kinder ihm sagten.<br />
Mit viel Geduld ermutigte er Kinder und gab ihnen und ihren Eltern<br />
Sicherheit. Seine Schule wurde zu einer Laborschule im Grundschulbereich.<br />
Nie verleugnete Pollert, dass er alles von den alten Meistern<br />
wie Freinet, Montessori oder Petersen „abgeguckt“ hatte.<br />
Pollert faszinierte in Vorträgen, teils zusammen mit dem befreundeten<br />
Schulrat Gerhard Sennlaub, Hunderte von Zuhörer*innen<br />
und überzeugte auch im eigenen Kollegium. Sennlaub fasste die<br />
Grundsätze im Buch „Spaß beim Schreiben“ (1980) zusammen.<br />
In Pollerts Schulklasse entstanden die Karteikarten für den CVK-<br />
Rechtschreiblehrgang, den Pollert und Sennlaub zu einem Renner<br />
machten. Auch viele seiner Schulbücher bestanden hier ihre<br />
Praxisprobe.<br />
Als ich 1992 als sein Stellvertreter in seine Schule kam, sagte Manfred<br />
Pollert in typisch knapper Art zu mir: „Ich bin Klassenlehrer,<br />
die Schule leite ich nebenbei!“ Er setzte sich stets warmherzig<br />
für die Kinder ein. Konsequent verfolgte er sein Ziel, dass alle ihre<br />
höchstmöglichen Erfolge erleben und selbstständig arbeiten konnten.<br />
Er integrierte auf „stille“ Art möglichst viele aus dem Stadtteil<br />
Berg Fidel. Pollert wollte, dass kein Kind auf eine Sonderschule<br />
käme, auch deshalb, weil dort so wenig differenziert wurde, sodass<br />
er die Kinder lieber „bei sich“ lernen ließ.<br />
„Differenzieren kann man lernen“, antwortete er Skeptikern. Er überzeugte,<br />
indem er ihre Sorgen ernst nahm und mit Eltern und Lehrkräften<br />
zusammen in Arbeitskreisen Wege suchte, allen Kindern<br />
gerecht zu werden. Seine schlichte Erklärung dafür hieß: „Weil es<br />
nicht anders geht!“<br />
In den Behörden fand er immer Verbündete, die unterstützten, was<br />
Pollert für jeden verstehbar erklären konnte. Im Zweifel praktizierte<br />
er das Motto „Nicht fragen, sondern einfach machen!“. „Ungehorsam<br />
im Schuldienst“ und kreative Lösungen konnten wir bei ihm<br />
lernen. Wenn Behörden sich etwas ausgedacht hatten, was in der<br />
Praxis nicht funktionierte, sagte er rigoros und zugleich gelassen:<br />
„Wir sind nicht verpflichtet, pädagogischen Unsinn zu machen!“<br />
Pollert gehört zu den „entschiedenen Schulreformern“, die in den<br />
1970er- und 1980er-Jahren die Grundschule in Westdeutschland zu<br />
einem Ort der „ermutigenden“ Pädagogik gemacht haben und den<br />
Boden der Integrations- und Inklusionspädagogik gelegt haben.<br />
Seine Wirkung für ganz NRW (und mit seinen Publikationen weit<br />
darüber hinaus) entspricht dem Wirken von Hermann Schwarz in<br />
Hamburg. Mit seinem Buch „Lernen und Leben im ersten Schuljahr“<br />
(2002) gelang ihm ein unvergleichlicher Praxisbericht, der für Lehrkräfte<br />
noch heute eine hilfreiche Fundgrube ist.<br />
Dr. Manfred Pollert (4.6.1938–30.5.2023), ein „entschiedener<br />
Schulreformer“, ist im Mai 2023 im Alter von 85 Jahren<br />
gestorben. Hier zu sehen mit seinem Nachfolger als Schulleiter<br />
Dr. Reinhard Stähling (l.)<br />
Als er 2002 pensioniert wurde, war es für ihn selbstverständlich,<br />
dass wir als seine Nachfolger die Altersmischung einführten, zumal<br />
er doch selbst als Junglehrer eine einklassige evangelische<br />
Dorfschule im westlichen Münsterland geführt hatte. Die älteren<br />
unterrichteten die jüngeren Kinder. Davon hatte er erzählt.<br />
Eigentlich wollte Pollert Gemeindepfarrer werden. Er wurde Lehrer, Seminarleiter<br />
und schließlich Gründungsvater der Grundschule in Berg<br />
Fidel und „nebenbei“ promovierte er in Erwachsenenbildung. Was<br />
auch immer er anfasste, gelang leicht und hatte Zukunft. Im Stadtteil<br />
Berg Fidel, der den Ruf eines sozialen Brennpunktes hatte, war<br />
er derjenige, der mit allen Institutionen wie Kitas, Jugendhilfe- und<br />
Beratungsstellen, aber auch mit allen Verwaltungschefs in enger Kooperation<br />
stand und als Vorsitzender des Stadtteilarbeitskreises sehr<br />
viel bewirkte. So fanden schon früh Schulgottesdienste statt, die die<br />
Schule in einer christlichen Kirche mit einem Vertreter des Islam, einem<br />
evangelischen Pastor und einem katholischen Priester zusammen gestalteten.<br />
Die gegenseitige Toleranz von Menschen mit verschiedenster<br />
Herkunft wurde im Stadtteil immer selbstverständlicher.<br />
Nach seiner Pensionierung machte er dann seinen früheren Berufswunsch<br />
wahr und wurde Seelsorger des Altenheims in Berg Fidel.<br />
Bis zu seinem Tod mit 85 Jahren ging er täglich zu Bewohner*innen<br />
und hielt Andachten in der Kirche. Mit Hingabe begleitete er viele<br />
bis zu ihrem Tod. Zufrieden und selbstbewusst lebte er seine Vision<br />
vom weltoffenen, toleranten und sozialen Christentum.<br />
Manfred Pollert ist am 30.5.2023 nach kurzer Krankheit gestorben.<br />
Seine Spuren werden noch Generationen später zu sehen sein. So<br />
hätte es ohne seine fundamentale Vorarbeit zwölf Jahre nach seiner<br />
Pensionierung keine Erweiterung der Schule zu einer Primus-<br />
Schule bis zur Klasse zehn gegeben. In Dankbarkeit können wir<br />
uns vor diesem großen Lehrer und Schulreformer verneigen - und<br />
seinen Weg fortsetzen. Das wäre ganz in seinem Sinne.<br />
Dr. Reinhard Stähling war seit 1992 Manfred Pollerts Stellvertreter und<br />
seit 2002 sein Nachfolger als Schulleiter der Grundschule Berg Fidel. Bis<br />
zu seiner Pensionierung im Jahr 2022 leitete er die Primus-Schule Berg<br />
Fidel - Geist, eine Gesamtschule mit den Jahrgängen 1–10, die 2014<br />
aus der Grundschule Berg Fidel hervorgegangen ist.<br />
Dr. Reinhard Stähling<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
U III
Grundschule aktuell<br />
Grundschulverband e. V.<br />
Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />
Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />
info@grundschulverband.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />
D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />
Versandadresse<br />
Ausblick Grundschule aktuell 164<br />
Professionalität in der Grundschule<br />
In der Diskussion um Qualität von Schule und die damit verbundenen Erwartungen an das<br />
Kollegium angesichts des akuten Lehrkräftemangels steht auch immer die Frage im Raum,<br />
was Grundschulkinder brauchen, um gute Bildung in der Schule zu erleben.<br />
In der kommenden Ausgabe von Grundschule aktuell steht das Thema „Professionalität“<br />
im Mittelpunkt. Diesem Thema wollen wir uns aus vier Perspektiven nähern:<br />
Entwicklung ...<br />
• der Kompetenzen und Sichtweisen Einzelner auf der Basis ihrer persönlichen Erfahrung,<br />
• des Kollegiums durch gemeinsames Nachdenken in der Schule,<br />
• der Schule durch den Austausch mit anderen Schulen in Netzwerken wie dem<br />
„Blick über den Zaun“ und<br />
• der Kooperation mit außerschulischen Partner*innen wie z. B. Unis oder Einrichtungen<br />
der Jugend- oder Sozialarbeit.<br />
Sowohl in den Leitartikeln als auch in den Praxisbeiträgen gehen wir folgenden Fragen<br />
nach: Welche Art von Kompetenz (Wissen / Können …) zeichnet eine gute Lehrkraft<br />
aus und wie lässt sich diese Kompetenz entwickeln? Welches Potenzial haben dabei<br />
z. B. „professionelle Lerngemeinschaften“? Welche Strukturen sind für das Konzept und<br />
das professionelle Handeln in einer Schule tragend und welche Wirkungen haben<br />
Leitungswechsel oder Veränderungen im Kollegium?<br />
Die nächsten<br />
Themen<br />
November 2022<br />
Februar 2023 Mai 2023<br />
Heft 165 | Februar 2024<br />
Kinder Stärken erleben lassen<br />
Heft 166 | Mai 2024<br />
Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung<br />
Heft 167 | September 2024<br />
Lehramt studieren –<br />
Lehrkraft sein<br />
www.<br />
grundschule-aktuell.info