Bildung für nachhaltige Entwicklung
GSa166_Mai24_ES
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www.grundschulverband.de · Mai 2024 · D9607F<br />
Grundschule aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 166<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong><br />
Zum Thema<br />
Wie weit ist weit weg? Kann man<br />
<strong>für</strong> Klimaschutz zu klein sein?<br />
Forschung<br />
Grundschulunterricht im Schnittfeld<br />
von BNE und Digitalisierung<br />
Rundschau<br />
„Erfolgreiche und Mut<br />
machende Frühjahrstagung“
Inhalt<br />
Tagebuch<br />
S. 2 Warum bin ich im Grundschulverband? (A. Grajek)<br />
Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
S. 3 „Auch das noch?!“ – oder: „Das machen wir doch<br />
schon längst!“ ? (H. Brügelmann)<br />
S. 5 Wie weit ist weit weg? (U. Oltmanns)<br />
S. 7 <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> im<br />
Sachunterricht der Grundschule (M. Wulfmeyer)<br />
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
S. 9 BNE in der Schule praktisch umsetzen – wie kann<br />
das gehen? (R. Rentz, U. Oltmanns)<br />
S. 12 Kann man <strong>für</strong> den Klimaschutz zu klein sein?<br />
(S. Wallroth)<br />
S. 13 Dem Klimawandel auf der Spur (J. Wolz)<br />
S. 15 Die GemüseAckerdemie (Ch. Schmitz, M. Töpler)<br />
S. 17 Mit Kindern auf dem Schulacker (K. v. Unold)<br />
S. 18 „Der Müll muss weg“ (S. Geese, L. Gutschik)<br />
S. 20 Im FREI DAY über sich hinauswachsen<br />
(T. Seidensticker)<br />
S. 22 Auf dem Weg zur müllfreien Grundschule<br />
(A. Potthast)<br />
S. 24 Ganzheitlich, partizipativ, Zukunft gestaltend<br />
(A. Frisch, A. Höck)<br />
S. 26 FREI DAY: Der Zukunftstag an unserer<br />
Grundschule Nord (L. Münzel)<br />
S. 28 Auf in die (Stadt)Wildnis! (J. Simon, T. Simon)<br />
S. 30 Spielen, Feiern und Entdecken (S. Spuller)<br />
S. 32 Biosphärenschulen schaffen – Gestaltungsspielräume<br />
<strong>für</strong> BNE (P. Dippold, J. Nickel, A. Jany)<br />
S. 34 Spielerisch zukunftsfähiges Denken<br />
und Handeln fördern (J. Langhof)<br />
S. 36 Kinderbücher zum Thema (M. Gutzmann)<br />
Aus der Forschung<br />
S. 38 Die Reise der Kakaobohne (L. Ade, K. Kindermann,<br />
C. Theurer, S. Pohlmann-Rother)<br />
Rundschau<br />
S. 42 Aus dem Vorstand: „Erfolgreiche und Mut<br />
machende Frühjahrstagung“<br />
(M. Gutzmann, G. Klenk, E. Bohn, H. Brügelmann)<br />
S. 47 Design Thinking in der Schule –<br />
Wenn Lehrer:innen zu Gestalter:innen werden<br />
(N. Naugk)<br />
Der Blaue Engel – das Umweltzeichen<br />
ab Grundschule aktuell – September 2024<br />
Der Blaue Engel ist Deutschlands bekanntestes und<br />
das weltweit erste Umweltzeichen. Um es nutzen zu<br />
dürfen, müssen die Anforderungen vieler Vergabekriterien<br />
eingehalten werden, denn der Blaue Engel stellt sicher, dass<br />
die ausgewiesenen Produkte hohe Ansprüche an Umwelt-, Gesundheits-<br />
und Gebrauchseigenschaften erfüllen.<br />
Auch der Grundschulverband e. V. – als Herausgeber vieler Publikationen<br />
– hat es sich zur Aufgabe gemacht, ökologisch sinnvoll<br />
zu produzieren und seiner Verantwortung <strong>für</strong> eine umwelt- und<br />
ressourcenschonende Herstellung nachzukommen. So freuen wir<br />
uns, Ihnen mitteilen zu können, dass sich der Bundesvorstand entschieden<br />
hat, ab der Septemberausgabe unserer Fachzeitschrift<br />
Grundschule aktuell ein mit dem Blauen Engel umweltzertifiziertes<br />
Papier zu verwenden. Dabei handelt es sich um ein in Deutschland<br />
produziertes Papier, hergestellt aus 100 Prozent Altpapier ohne<br />
Verwendung von Chlorbleiche im Produktionsprozess. Bei der Entscheidungsfindung<br />
sind wir zudem davon ausgegangen, dass die<br />
Mitglieder des Grundschulverbands und die Käufer:innen der Zeitschrift<br />
unsere Entscheidung gutheißen und das neue Erscheinungsbild<br />
wertschätzen werden. Lassen Sie sich überraschen.<br />
Mit besten Grüßen, Ihr Grundschulverband e. V.<br />
Impressum<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />
erscheint vierteljährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt<br />
(ausgenommen Unterstützer:innen).<br />
Das einzelne Heft kostet 12,00 € (zzgl. Versand innerhalb Deutschlands);<br />
<strong>für</strong> Mitglieder und ab 10 Exemplaren 5,00 €.<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />
Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />
Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />
www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />
Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />
gabriele.klenk@grundschulverband.de<br />
Fotos und Grafiken: novuprint GmbH (Titel illustration unter<br />
Verwendung von Fotos von T. Seidensticker, Adobe Stock / Christine Wulf)<br />
S. Spuller / Abb.1, A. L. Fischer, E. Hager (S. 30) / Abb. 2, L.-M. Mann,<br />
S. Herrmann, M. Hoffmann, M. Hampel (S. 31) / Abb. 3 R. Beyer, L. Löscher,<br />
J. Hanis, T. Szewczyk (S. 31)<br />
Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders vermerkt)<br />
Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />
Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />
info@grundschulverband.de<br />
Druck: Strube Druck & Medien GmbH, 34587 Felsberg<br />
ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6110<br />
In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />
ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />
Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />
Lösung <strong>für</strong> das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />
jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form.<br />
UII<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Diesmal<br />
Auch das noch?! –<br />
oder: Das machen wir doch schon längst!<br />
In diesem Beitrag zeigt Hans Brügelmann die Doppelbeziehung<br />
von Nachhaltigkeit und <strong>Bildung</strong> auf. Einerseits ist<br />
<strong>nachhaltige</strong>s Leben ein Ziel von <strong>Bildung</strong>, andererseits muss<br />
<strong>Bildung</strong> auch gekennzeichnet sein durch <strong>nachhaltige</strong>s Lernen.<br />
Aktivitäten im Lern- und Lebensraum Schule heute<br />
müssen Kinder in ihrer gegenwärtigen Erfahrungswelt abholen<br />
und ihnen Möglichkeiten bieten, Selbstwirksamkeit<br />
zu erleben. Nachhaltige <strong>Bildung</strong> ist kein additives Plus zum<br />
traditionellen Fächerkanon, sondern eng mit zentralen<br />
Konzepten wie Friedenserziehung, Demokratielernen und<br />
Menschenrechtsbildung verbunden. Der Dreiklang von Aufklärung<br />
in der Sache, Beteiligung an Entscheidungen und<br />
Mitverantwortung <strong>für</strong> das Zusammenleben wird in diesem<br />
einführenden Text als ein wesentliches Merkmal der Umsetzung<br />
von BNE in der Grundschule treffend begründet.<br />
Seite 3–4<br />
BNE in der Schule praktisch umzusetzen –<br />
wie kann das gehen?<br />
Ulrike Oltmanns und Rachel Rentz stellen hier dar, inwiefern<br />
„Eine Welt in der Grundschule“ als ein zentrales Projekt des<br />
Grundschulverbandes nicht nur globale Zusammenhänge<br />
deutlich machen möchte, sondern auch durch praktische Konzepte<br />
sowie die Bereitstellung von vielfältigen Materialien zu<br />
unterschiedlichen Themen einen wesentlichen Beitrag <strong>für</strong> <strong>Bildung</strong><br />
<strong>für</strong> eine <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> bereits in der Grundschule<br />
leistet. Mit den 17 Zielen <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
wird das Projekt in seinem Blick „von der Nähe in die Weite“<br />
darin bestätigt. Die Handreichung „17 Ziele – Wir <strong>für</strong> eine bessere<br />
Welt“ will Lehrkräfte mit praktischen Vorschlägen unterstützen<br />
und Handlungsideen von Kindern bündeln lassen.<br />
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und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />
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Seiten 9–11<br />
Liebe Leser*innen,<br />
die letzte Delegiertenversammlung am 19. und 20. April 2024<br />
stand vor allem unter den Eindrücken der bewegenden Verabschiedung<br />
und des Dankes an die scheidenden Vorstandsmitglieder<br />
Gabriele Klenk und Thomas Irion sowie an unseren<br />
Vorsitzenden Edgar Bohn. Gemeinsam mit Ulla Carle, Marion<br />
Gutzmann, Andrea Karlsberg und Eva Franz hat der Vorstand<br />
viele Weichen <strong>für</strong> die zukünftige Arbeit des Verbandes und <strong>für</strong><br />
notwendige Transformationen im Grundschulbereich gestellt.<br />
Dem Wirken und den Verdiensten der drei ausscheidenden Vorstandsmitglieder<br />
sowie der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft<br />
an Maresi Lassek werden wir in der nächsten Grundschule aktuell<br />
einen würdigenden Raum schaffen. Einer der Schwerpunkte<br />
des Vorstandes war die Gestaltung der Frühjahrstagung „KIN-<br />
DER! LERNEN! ZUKUNFT! JETZT! 2.0 – Herausforderungen<br />
und Perspektiven“ an der Grundschule Pestalozzi in Weimar,<br />
über die in diesem Heft ausführlich berichtet wird.<br />
Ein Blick in die Zukunft steht auch im Zentrum des Themas<br />
des aktuellen Heftes „<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>“.<br />
Seitens der UN wurde 2015 ein Weltaktionsprogramm verabschiedet,<br />
das die großen Herausforderungen unserer Zeit in<br />
Form von 17 Zielen bis 2030 aktiv angehen soll. Im Nationalen<br />
Aktionsplan <strong>für</strong> Deutschland heißt es u. a. <strong>für</strong> den Bereich<br />
Schule und formale <strong>Bildung</strong> (Seite 38): „Im Lern- und Lebensort<br />
Schule sind Aktions- und Freiräume geschaffen, die Kindern<br />
und Jugendlichen Selbstwirksamkeit, Kompetenzzuwachs<br />
und Anerkennung im Sinne von <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
(BNE) ermöglichen.“<br />
Die Praxisbeispiele im Heft veranschaulichen, wie „<strong>Bildung</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>“ mehr und mehr als Aufgabe der<br />
ganzen Schule gesehen wird und diese Aktions- und Freiräume<br />
geschaffen werden. So bieten Beiträge wie z. B. „Dem Klimawandel<br />
auf der Spur“ von Johannes Wolz, „Im FREI DAY<br />
über sich hinauswachsen“ von Tatjana Seidensticker oder „Auf<br />
dem Weg zur müllfreien Grundschule“ von Andreas Potthast<br />
ein breites Spektrum von profilbildenden Möglichkeiten,<br />
Nachhaltigkeit als Thema der Zukunft sowie als fächerübergreifendes<br />
<strong>Bildung</strong>sanliegen im Unterricht zu verankern.<br />
Auch die Arbeit von Eine Welt in der Schule als ein Projekt des<br />
Grundschulverbands ist von Beginn an davon geprägt, globale<br />
Bezüge in der Erstellung von Materialien und der Zeitschrift<br />
mit einzubeziehen.<br />
Mit dem Erscheinen dieses Heftes liegen die ersten 30 Tage<br />
der Zusammenarbeit des neuen Vorstandes hinter einem Team<br />
aus sechs Frauen. Wir freuen uns sehr über die Gewinnung<br />
von jüngeren Mitgliedern <strong>für</strong> die Vorstandsarbeit und die<br />
Wahl von Svenja Telle, Konstanze von Unold und Maxi Brautmeier-Ulrich.<br />
Als Stellvertretende Vorsitzende werden Andrea<br />
Karlsberg und Eva Franz tätig sein, als Vorsitzende des Bundesvorstands<br />
Marion Gutzmann. Wir danken den Delegierten<br />
der Landesgruppen <strong>für</strong> das große Vertrauen, das sie dem neuen<br />
Vorstand entgegenbringen.<br />
Wir bleiben sehr gerne weiterhin mit Ihnen im Austausch.<br />
Herzlichst<br />
Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />
sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
1
Tagebuch<br />
Warum bin ich im Grundschulverband?<br />
Andreas Grajek<br />
Andreas Grajek ist Grundschullehrer<br />
<strong>für</strong> die Fächer Deutsch, Mathematik,<br />
Sachunterricht, Englisch und Musik. Er<br />
ist in der ersten und der zweiten Phase<br />
der Lehrkräftebildung sowie als Fortbildner<br />
<strong>für</strong> Begabungs- und (Hoch-)<br />
Begabtenförderung im Primarbereich<br />
aktiv. Daneben betreibt er die Plattform<br />
schulimpulse.de und engagiert<br />
sich in der Landesgruppe Sachsen im Grundschulverband.<br />
Meine erste Begegnung mit dem Grundschulverband fand<br />
während des Studiums statt. In der Universitätsbibliothek<br />
fiel mir das Buch „Mathematik <strong>für</strong> Kinder – Mathematik<br />
von Kindern“ in die Hände und es beeindruckte mich<br />
sehr. Obwohl mir zu diesem Zeitpunkt die praktische<br />
Unterrichtserfahrung noch fehlte, erkannte ich sofort,<br />
dass das darin vertretene Professionsverständnis meinen<br />
Vorstellungen entsprach.<br />
Meine Reise ging weiter durch das Studium, das Referendariat<br />
und schließlich in den Lehreralltag, begleitet von<br />
den Publikationen des Grundschulverbands. Diese schärften<br />
mein Bewusstsein <strong>für</strong> die Bedeutung von Sprache im<br />
pädagogischen Kontext. Worte wie „lernlangsam“ und<br />
„lernschnell“ ersetzten in meinem Sprachgebrauch die früher<br />
gebräuchlichen Begriffe „lernschwach“ und „lernstark“<br />
und wirkten damit auch auf mein Herangehen an die Planung<br />
von Unterricht. Ebenso lies mich die differenzierte<br />
Betrachtung von Kindern „mit bildungsrelevanten Herausforderungen“<br />
gegenüber der pauschalen Kategorie „sozial<br />
benachteiligt“ die Individualität jedes Kindes stärker<br />
berücksichtigen und wertschätzen. Die Lektüre von „Didaktik<br />
der Lernkulturen“ führte mir die begriffliche Bedeutung<br />
von „Lehr-Lern-Situationen“ vor Augen und regte<br />
mich zum Nachdenken über das Wort „unterrichten“ an.<br />
Der Grundschulverband war und ist mit seiner Schwerpunktsetzung<br />
ein stetiger Begleiter meiner Professionalisierung,<br />
auch wenn mir lange nicht bewusst war, dass hinter<br />
dieser Institution Menschen stehen, die sich aktiv einbringen<br />
und engagieren.<br />
Mit der Zeit verdichteten sich die Berührungspunkte.<br />
Die Werke von Hans Brügelmann oder Erika Brinkmann,<br />
der Spracherfahrungsansatz, die Grundschrift – all<br />
dies waren Themen, die mich faszinierten und die ich unbewusst<br />
mit dem Grundschulverband verknüpfte. Meine<br />
Vorstellung vom Verband wurde konkreter, als ich in die<br />
Lehrkräftebildung wechselte und Publikationen wie die<br />
zum förderlichen Förderkonzept, zum jahrgangsübergreifenden<br />
Lernen, zur Mehrsprachigkeit oder der „Faktencheck<br />
Grundschule“ ihre inhaltliche Kraft entfalteten und<br />
meinem Herangehen an Unterricht und Schule ein breiteres<br />
Fundament gaben.<br />
Der Wendepunkt in meiner Vorstellung vom Grundschulverband<br />
war der Bundesgrundschulkongress 2019.<br />
Erst dort wurde mir bewusst, dass der Grundschulverband<br />
ein lebendiges Netzwerk von engagierten Menschen <strong>für</strong><br />
Menschen ist. Ich trat dem Verband bei, stolz darauf, nun<br />
Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich u. a. durch Tagungen,<br />
Publikationen und die Zeitschrift „Grundschule aktuell“<br />
austauscht und weiterbildet. Die Begegnungen mit<br />
Pädagoginnen und Pädagogen sowie Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftlern, deren Werke ich bis dahin nur<br />
gelesen hatte, waren beeindruckend und inspirierend. Ein<br />
kurzes Gespräch mit Maresi Lassek am Rande eines Workshops,<br />
der von Annemarie von der Groeben geleitet wurde,<br />
hinterließ ebenso wie die Workshops oder die Rede<br />
von Jörg Ramseger <strong>nachhaltige</strong> Eindrücke.<br />
Seitdem hat sich einiges beschleunigt. Ein anfänglicher<br />
Mailverkehr, angestoßen durch Edgar Bohn, mündete in<br />
digitale Runden und regelmäßigen Austausch. Begleitende<br />
Gespräche und Treffen mit Gabriele Klenk und Marion<br />
Gutzmann sowie mit Mitgliedern verschiedener Landesgruppen<br />
zeigten mir, wie viel Engagement, Herzlichkeit<br />
und Interesse am Wohl der Kinder im Grundschulverband<br />
steckt.<br />
Heute, so erscheint es mir, steht der Grundschulverband<br />
vor der spannenden Gelegenheit, in einem zunehmend digitalisierten<br />
Umfeld präsent zu sein. Dieses fordert dazu<br />
auf, die qualitativ hochwertigen und immer zur Reflexion,<br />
zum Austausch sowie zur individuellen Anpassung anregenden<br />
Ressourcen des Verbandes sichtbarer zu machen.<br />
Der Grundschulverband als Fachverband ist mehr als<br />
ein berufliches Netzwerk. Er ist <strong>für</strong> mich eine Gemeinschaft,<br />
die sich durch Professionalität sowie geteilte humanistische<br />
und demokratische Werte auszeichnet. Im Mittelpunkt<br />
steht dabei immer das Kind als zukünftiger Gestalter<br />
oder zukünftige Gestalterin unserer Gesellschaft.<br />
Dies macht den Grundschulverband <strong>für</strong> mich zu einem<br />
unverzichtbaren Teil meiner beruflichen Identität. Deshalb<br />
bin ich im Grundschulverband.<br />
2<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Hans Brügelmann<br />
„Auch das noch?!“ – oder:<br />
„Das machen wir doch schon längst!“?<br />
Nachhaltigkeit als Unterrichtsthema, als methodisches<br />
Prinzip und als Anforderung an das Schulleben<br />
Für die Grundschule stehen „Nachhaltigkeit“ und „<strong>Bildung</strong>“ in einer Doppelbeziehung<br />
zueinander: Im Blick auf die Zukunft der Kinder ist <strong>nachhaltige</strong>s Leben<br />
ein Ziel von <strong>Bildung</strong> – zugleich geht es aber auch um die Qualität der <strong>Bildung</strong><br />
selbst im Sinne eines <strong>nachhaltige</strong>n Lernens, dessen Aktivitäten <strong>für</strong> die Kinder<br />
bedeutsame Bezüge schon zu ihrer gegenwärtigen Erfahrungswelt haben.<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
(kurz BNE) ist eine weltweite<br />
<strong>Bildung</strong>skampagne der Vereinten<br />
Nationen, die international und national<br />
von einem breiten Spektrum verschiedener<br />
Akteure getragen wird. Sie soll das<br />
Individuum zu zukunftsfähigem Denken<br />
und Handeln befähigen und es allen<br />
Menschen ermöglichen, die Auswirkungen<br />
des eigenen Handelns auf die Welt zu<br />
verstehen und verantwortungsvolle,<br />
<strong>nachhaltige</strong> Entscheidungen zu treffen.“<br />
(Wikipedia, Abruf 31.1.2024)<br />
Wenn man diesen Anspruch gegenüber<br />
Lehrer*innen als Aufgabe auch der<br />
Schule benennt, hört man oft den Einwand:<br />
„Das auch noch?! Der Lehrplan<br />
ist doch jetzt schon so voll!“ Diese Abwehr<br />
ist durchaus verständlich, wenn<br />
man sich anschaut, was Schulen und<br />
Lehrer*innen in den letzten Jahren an<br />
zusätzlichen Aufgaben zu bewältigen<br />
hatten und noch haben: Digitalisierung,<br />
Inklusion, Gewaltprävention, Fernunterricht<br />
während Corona, geflüchtete Kinder<br />
ohne jede Deutschkenntnisse …<br />
Dennoch steckt hinter dem Einwand<br />
ein doppeltes Missverständnis.<br />
Erstens: Schaut man sich die 17 Global<br />
Goals for Sustainable Development<br />
konkret an (s. Abb. 1), stößt man auf<br />
Themen, die auch jetzt schon Inhalt der<br />
Lehrpläne sind.<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
erfordert insofern kein neues<br />
Fach. Allerdings werden die Themen<br />
in eine besondere Perspektive gerückt.<br />
Denn auch wenn es sich bei Themen<br />
wie Gesundheit, Konsum, Umwelt um<br />
Inhalte handelt, die in der Grundschule<br />
zum Beispiel im Sachunterricht fest<br />
etabliert sind, erfordert die Ernstnahme<br />
der 17 Ziele einen anderen Umgang mit<br />
ihnen. Es geht nicht um ein neues Fach<br />
oder um eine zusätzliche Unterrichtseinheit,<br />
sondern um einen anderen Blick.<br />
Abb. 1: Die 17 Global Goals for Sustainable Development (UNICEF o. J.)<br />
Prof. em. Dr. Hans Brügelmann,<br />
Mitglied im Vorstand der GSV-Landesgruppe<br />
Bremen<br />
Besonders klar beschreibt der – auch aus<br />
anderen Gründen lesenswerte – Schweizer<br />
„Lehrplan 21“ diese besondere Sicht:<br />
„Wie viele alltagsbezogene und komplexe<br />
Problemstellungen sind die Themen der<br />
Nachhaltigen <strong>Entwicklung</strong> in den seltensten<br />
Fällen einem einzelnen Fachbereich<br />
zuzuordnen. (…)<br />
Formen fächerübergreifenden Unterrichts<br />
sind geeignet, die Vielschichtigkeit<br />
eines komplexen Themas sichtbar, Zusammenhänge<br />
und Wechselwirkungen<br />
fassbar und verständlich zu machen.“<br />
(https://v-ef.lehrplan.ch/index.php?-<br />
code=e|200|4; ähnlich der „Perspektivrahmen<br />
Sachunterricht“, s. GDSU 2013,<br />
76 f.).<br />
Konkret bedeutet das (a. a. O., Tab. 1<br />
„Didaktische Prinzipien“), bei der Bearbeitung<br />
der Themen Bezüge in drei<br />
Spannungsfeldern herzustellen:<br />
● Verbindung verschiedener fachlicher<br />
Zugänge wie politische, ökonomische,<br />
ökologische, soziale und kulturelle Dimension;<br />
● Verknüpfung der zeitlichen Ebenen<br />
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft;<br />
● Vernetzung von lokalen und globalen<br />
Gegebenheiten.<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
3
Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Konkrete Praxisbeispiele finden sich<br />
in der Zeitschrift Eine Welt in der Schule<br />
(siehe auch Oltmanns und Rentz in diesem<br />
Heft, S. 9, und ergänzend den Sammelband<br />
von Wulfmeyer 2020).<br />
Nachhaltige <strong>Bildung</strong> ist mehr als<br />
die Vermittlung von Wissen<br />
Ein zweites Missverständnis: Schule hat<br />
nicht nur fachlich über die Bedeutung<br />
der 17 Ziele zu informieren, vielmehr<br />
sind sie in drei Perspektiven zu entfalten,<br />
wenn Nachhaltigkeit auch didaktisch<br />
und pädagogisch wirksam werden soll:<br />
– als Thema von Unterricht und Projekten,<br />
– als methodisches Prinzip in alle Fächern<br />
(„<strong>nachhaltige</strong>s Lernen“) und<br />
– als Anspruch an die Gestaltung des<br />
Schullebens („<strong>nachhaltige</strong>r Alltag“).<br />
Das ist nicht anders als bei „demokratischer<br />
<strong>Bildung</strong>“. Will Schule lebenstaugliche<br />
Kompetenzen vermitteln,<br />
also auch zur Veränderung von<br />
Einstellungen und Verhalten beitragen,<br />
darf sie sich nicht in Wissensvermittlung<br />
erschöpfen. Sie muss konkrete<br />
Erfahrungsmöglichkeiten bieten.<br />
Auch bei <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Bildung</strong><br />
geht es nicht nur um das Was, also die<br />
Frage nach den Themen einer fachlichen<br />
Aufklärung, sondern ebenso um<br />
das Wie – ganz analog zur Thematisierung<br />
der Kinderrechte in der Schule<br />
(s. Grundschule aktuell H. 159/ 2022, 3–<br />
6). „Nachhaltig“ ist <strong>Bildung</strong> erst dann,<br />
wenn sie etwas mit den Interessen und<br />
den Erfahrungen eines Menschen zu tun<br />
hat, seinen Fragen und Problemen, seinen<br />
Wünschen und Hoffnungen. Damit<br />
verbindet der Grundschulverband<br />
(2024) die Hoffnung:<br />
„Der Anspruch der Kinder auf allseitige<br />
<strong>Bildung</strong> verlangt die Schaffung von<br />
konkreten Erfahrungsräumen <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong>s<br />
und umweltgerechtes Handeln.<br />
Die Partizipation der Kinder zu stärken<br />
und reflexives Handeln zu erzeugen, sind<br />
Aspekte der <strong>Entwicklung</strong> von Gestaltungskompetenz<br />
<strong>für</strong> die Zukunft. Dies betrifft<br />
auch und in besonderer Weise das Zusammenleben<br />
und -lernen im Ganztag.“<br />
Nachhaltigkeit ist dann nicht nur zeitlich<br />
im Sinne eines dauerhaft verfügbaren<br />
Wissens und Könnens zu verstehen, z. B.<br />
durch Üben und Wiederholen (Bönsch<br />
2014), sondern als qualitative Anforderung<br />
an die Art des Lernens – ganz im<br />
Sinne des „Orientierungsrahmens <strong>für</strong> den<br />
Lernbereich Globale <strong>Entwicklung</strong>“:<br />
„Wenn Schülerinnen und Schüler bei<br />
der <strong>Entwicklung</strong> von Kompetenzen <strong>für</strong> die<br />
Gestaltung ihres eigenen Lebens im Sinne<br />
<strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong> unterstützt und<br />
aktiv beteiligt werden sollen, kommt dem<br />
Miteinander in der Schule besondere Bedeutung<br />
zu. Schüler-Beteiligung an der Planung<br />
und Gestaltung von schulischen Vorhaben<br />
und Unterricht hat einen hohen Wert.“<br />
(Schreiber/Siege 2016, 419)<br />
Auch hier wird deutlich, dass „<strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Bildung</strong>“ nicht als bloß additives<br />
Plus zum traditionellen Fächerkanon<br />
missverstanden werden darf, sondern<br />
eng mit Konzepten wie „Friedenserziehung“<br />
(s. Grundschule aktuell H.<br />
161/2023), „Demokratie lernen“ und<br />
„Menschenrechtsbildung“ (s. Grundschule<br />
aktuell H. 159/2022) und „Öffnung<br />
des Unterrichts“ verbunden ist.<br />
Nachhaltigkeit als<br />
Anforderung im Alltag<br />
Insofern sind die 17 Ziele auch als<br />
Anspruch an die Gestaltung des Schullebens<br />
insgesamt zu lesen, wie der „Orientierungsrahmen<br />
<strong>für</strong> den Lernbereich<br />
Globale <strong>Entwicklung</strong>“ deutlich fordert<br />
(vgl. Schreiber/Siege, 2016, 412 ff.).<br />
Wieder in der Fokussierung des Schweizer<br />
„Lehrplans 21“:<br />
„Die Schülerinnen und Schüler engagieren<br />
sich in der schulischen Gemeinschaft<br />
und gestalten diese mit. Sie lernen,<br />
sich eine eigene Meinung zu bilden, eigene<br />
Anliegen einzubringen und diese begründet<br />
zu vertreten. Sie befassen sich mit dem<br />
Verhältnis von Macht und Recht, diskutieren<br />
grundlegende Werte und Normen<br />
und setzen sich mit Konflikten, deren<br />
Hintergründe sowie möglichen Lösungen<br />
auseinander.“<br />
Die Kinder gewinnen Einsichten und<br />
Kompetenzen, und sie übernehmen Verantwortung:<br />
● ob in einem Repair-Café, in dem sie<br />
sich kritisch mit dem eigenem Konsumverhalten<br />
auseinandersetzen, wenn<br />
sie Defektes selbst reparieren statt<br />
gleich wegzuwerfen, was nicht mehr<br />
funktioniert (s. Eine Welt in der Schule,<br />
Nr. 149/2021);<br />
● ob über die Versorgung von Pflanzen<br />
am Beispiel eines Nahrungsmittels<br />
(wie im „Kartoffelprojekt“, s. Eine Welt<br />
in der Schule, Nr. 143/2018) bzw. über<br />
die Versorgung von Haustieren (s. das<br />
„Hühnerprojekt“ in Eine Welt in der<br />
Schule, Nr. 151/2022), oder<br />
● ob über Erfahrungen mit Recycling<br />
und Weiternutzung bei der Organisation<br />
von Kleidertauschpartys, nachdem<br />
sie sich mit dem Kreislauf unserer<br />
Kleidung und <strong>nachhaltige</strong>n Ansätzen<br />
im Herstellungsprozess auseinandergesetzt<br />
haben (s. Eine Welt in der Schule,<br />
Nr. 147/2020).<br />
Es ist dieser Dreiklang von Aufklärung<br />
in der Sache, von Beteiligung an<br />
Entscheidungen und von Mitverantwortung<br />
<strong>für</strong> das Zusammenleben, der<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> eine <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
erst nachhaltig macht.<br />
Quellen:<br />
Bönsch, M. (2014): Nachhaltiges Lernen<br />
durch Üben und Wiederholen. Schneider<br />
Hohengehren: Baltmannsweiler (3. Aufl.).<br />
GDSU (Gesellschaft <strong>für</strong> die Didaktik des<br />
Sachunterrichts) (Hrsg.) (2013): Perspektivrahmen<br />
Sachunterricht. Vollständig überarbeitete<br />
und erweiterte Ausgabe. Klinkhardt:<br />
Bad Heilbrunn (s. zum Überblick:<br />
https://gdsu.de/node/251, Abruf: 2.2.2024).<br />
Grundschulverband (2024): Standpunkt<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> Nachhaltige <strong>Entwicklung</strong> in der<br />
Grundschule – Auf dem Weg zu einer<br />
<strong>nachhaltige</strong>n Zukunft der <strong>Bildung</strong> (Entwurf).<br />
Schreiber, J.-R./Siege, H. (Red.) (2016):<br />
Orientierungsrahmen <strong>für</strong> den Lernbereich<br />
Globale <strong>Entwicklung</strong>. Hrsg. von Engagement<br />
Global im Auftrag der KMK und des BMZ.<br />
Cornelsen: Berlin (2. akt. und erw. Aufl.).<br />
Download: https://www.globaleslernen.de/<br />
sites/default/files/files/pages/orientierungsrahmen_fuer_den_lernbereich_globale_entwicklung_barrierefrei_0.pdf<br />
(Abruf: 2.2.2024).<br />
UNICEF (o. J.): Die globalen Ziele Für<br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Die zehn wichtigsten<br />
Fragen und Antworten. Download:<br />
https://www.unicef.de/informieren/<br />
ueber-uns/unicef-international/neueentwicklungsziele/entwicklungszieleverstaendlich-erklaert<br />
(Abruf: 2.2.2024)<br />
Wulfmeyer, M. (Hrsg.) (2020): <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> im Sachunterricht.<br />
Grundlagen und Praxisbeispiele. Schneider<br />
Hohengehren: Baltmannsweiler/Stuttgart.<br />
4 GS aktuell 166 • Mai 2024
Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Ulrike Oltmanns<br />
Wie weit ist weit weg?<br />
Annäherung an globale Aspekte in der <strong>Bildung</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE) ist eng verbunden mit Perspektiven<br />
zu Fragen der Gerechtigkeit und der Globalität. In der Perspektive von Gerechtigkeit<br />
im Kontext von BNE steckt unter anderem die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit,<br />
die mit der Erkenntnis und der folgenden Auseinandersetzung zu<br />
den Grenzen unseres Erdsystems in den letzten Jahren ein besonderes Gewicht<br />
bekommen hat. Spätestens seit die Folgen des menschengemachten Klimawandels<br />
immer mehr zutage treten, stellt sich die Frage dringender.<br />
Wie wird was gerecht verteilt,<br />
wenn nicht unendlich viel<br />
vorhanden ist? Wer kann aus<br />
welchen Gründen Ansprüche auf das zu<br />
Verteilende erheben?<br />
Die Nachhaltigkeitsziele<br />
Die Basis von BNE bilden Einflüsse aus<br />
der Umweltbildung und entwicklungspolitischer<br />
<strong>Bildung</strong>sarbeit, die neben<br />
weiteren <strong>Bildung</strong>sansätzen in die Konzeption<br />
von BNE eingeflossen sind. Die<br />
entwicklungspolitische <strong>Bildung</strong>sarbeit<br />
ist von jeher geprägt davon, Länder und<br />
Regionen des globalen Südens mit in die<br />
Auseinandersetzung einzubeziehen und<br />
Fragen nach Gerechtigkeit aufzugreifen.<br />
Im Besonderen auch mit Fragen zum<br />
Verhältnis von Lebensstandards im globalen<br />
Norden auf Kosten der Menschen<br />
und der Umwelt im globalen Süden.<br />
Gerade diese Frage ist über die Jahre<br />
im Wesentlichen dieselbe geblieben.<br />
Diskussionen nach einer gerechten Verteilung<br />
von Folgekosten in Form von<br />
Entschädigungsfonds aufgrund der Gewohnheiten<br />
und des Verhaltens der<br />
Menschen im globalen Norden war einer<br />
der kritischen Punkte des Abkommens<br />
bei der letzten UN-Klimakonferenz<br />
(COP28) 2023 in Dubai. Der weitere<br />
Aushandlungsprozess zu diesem<br />
Punkt wird auch die Diskussionen der<br />
nächsten Jahre bestimmen. Die Folgekosten<br />
werden durch den fortschreitenden<br />
Klimawandel weiter zunehmen und<br />
damit auch die Fragen nach den Verursacher*innen.<br />
Auf dem Weltgipfel 2015 hatten die<br />
UN-Mitgliedsstaaten mit den 17 Zielen<br />
Der Beitrag, den alle Staaten und mit ihnen<br />
die Menschen, die in ihnen leben, zu<br />
leisten haben, bezieht sich nicht nur auf<br />
die Unterstützung weniger entwickelter<br />
Länder, sondern alle Menschen sind<br />
aufgefordert, einen Beitrag zu leisten, die<br />
Ziele <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> umzusetzen.<br />
Besonders deutlich wird das z. B. in<br />
dem Ziel 4 der SDGs zu <strong>Bildung</strong>. Wurde<br />
bei den Milleniumszielen von einer<br />
Primärschulbildung <strong>für</strong> alle gesprochen,<br />
steht das SDG-Ziel 4 unter der Überschrift<br />
hochwertige <strong>Bildung</strong>.<br />
Im Unterziel 4.7, das sich mit dem<br />
Zweck und der Qualität von <strong>Bildung</strong> befasst,<br />
wird es weiter ausdifferenziert:<br />
Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden<br />
die notwendigen Kenntnisse und<br />
Qualifikationen zur Förderung <strong>nachhaltige</strong>r<br />
<strong>Entwicklung</strong> erwerben, unter anderem<br />
durch <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
und <strong>nachhaltige</strong> Lebensweisen,<br />
Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung,<br />
eine Kultur des Friedens und der<br />
Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die<br />
Wertschätzung kultureller Vielfalt und des<br />
Beitrags der Kultur zu <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong>.<br />
(Quelle: https://17ziele.de/ziele/4.html)<br />
Je mehr wir unsere Welt vernetzen,<br />
desto mehr erleben wir globale und lokale<br />
Faktoren in unserem Alltag gleichzeitig,<br />
global und lokal werden zu glo<strong>für</strong><br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (Sustainable<br />
Development Goals) versucht, den<br />
negativen Zuständen in unterschiedlichen<br />
Bereichen in der Welt eine andere<br />
Richtung zu geben. Ihnen vorangegangen<br />
waren 2000 die acht <strong>Entwicklung</strong>sziele<br />
der Vereinten Nationen, auch Milleniumsziele<br />
genannt. Interessant ist der<br />
Vergleich zwischen den Milleniumszielen<br />
und den ihnen folgenden SDGs besonders<br />
in einem Punkt: Als übergeordnetes<br />
Ziel stand 2000 die Beseitigung<br />
von Armut. Auch wenn globale Partnerschaften<br />
und der Erhalt der Umwelt<br />
explizit in den acht Zielen aufgegriffen<br />
wurden, wurden durch die weiteren<br />
Ziele wie z. B. Senkung der Mütter- und<br />
Kindersterblichkeit, Beseitigung der extremen<br />
Armut und Grundschulbildung<br />
<strong>für</strong> alle deutlich, dass ein Fokus darauf<br />
lag, Länder des globalen Südens zu unterstützen.<br />
Diese Form der Unterstützung war<br />
noch vorrangig darauf ausgerichtet, zu<br />
einem höheren allgemeinen Lebensstandard<br />
zu verhelfen. Die Reflexion über<br />
die eigene Rolle als Länder des globalen<br />
Nordens stand weniger im Vordergrund<br />
und historische Tatsachen wie der Kolonialismus<br />
und seine tiefgreifenden Folgen<br />
bis in die heutige Zeit wurden überwiegend<br />
ausgeblendet.<br />
Wenn man sich aber an dieser Stelle<br />
dem Begriff global über ein Wörterbuch<br />
nähert, stößt man auf die Definition „die<br />
ganze Erde umfassend“. Damit steckt in<br />
global eine Gleichzeitigkeit, global ist<br />
nicht nur woanders, sondern auch hier,<br />
vor Ort.<br />
In den SDGs von 2015 spiegelt sich<br />
dieses veränderte Verständnis wider.<br />
Ulrike Oltmanns,<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />
Projekt Eine Welt in der Schule des GSV<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
5
Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
kal. Nachrichten aus aller Welt erreichen<br />
uns fast ohne Zeitverzögerung zum Geschehen<br />
und sind nicht nur <strong>für</strong> Erwachsene,<br />
sondern auch <strong>für</strong> Kinder zugänglich.<br />
Unser Einfluss auf das Klima ist<br />
weltumspannend und auch die Folgen<br />
nicht an nationale Zuständigkeiten gebunden.<br />
Durch transkontinentale Migrationsbewegungen<br />
leben Familien oft<br />
nicht mehr an einem Ort. Unsere Kleidung,<br />
unsere Mobilität, z. B. durch Autos<br />
und Züge, sowie unsere Ernährung<br />
setzen sich aus Produkten zusammen,<br />
die weltweit produziert wurden und z. T.<br />
weiter gereist sind, als viele von uns es<br />
jemals tun werden. Die Produkte werden<br />
von Menschen produziert, an deren Lebensumständen<br />
wir direkt beteiligt sind.<br />
Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.<br />
Die Gleichzeitigkeit von<br />
lokal und global<br />
Die Verschränkung von globalen und<br />
lokalen Fragestellungen und Bezügen<br />
stellt uns selbst vor die Herausforderung,<br />
damit umzugehen, ohne davon<br />
permanent überfordert zu sein. Annette<br />
Scheunpflug greift in ihrem Beitrag<br />
Die globale Perspektive einer <strong>Bildung</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (2000) die<br />
Steigerung von Komplexität auf, die<br />
mit einer Globalisierung der Welt in<br />
Zusammenhang steht. In ihrem Beitrag<br />
führt sie unter den Lernaufgaben als ein<br />
Lernziel auf: „Gerade aufgrund der Komplexität<br />
der Situation müsste das Lernziel<br />
eigentlich heißen, verstehen zu lernen,<br />
dass wir die Situation nicht hinreichend<br />
verstehen können. Das ‚Verstehen des<br />
Nichtverstehens‘ so zu organisieren, dass<br />
es weitere Anschlussmöglichkeiten an<br />
Lernen bietet, ist die Herausforderung“.<br />
(Scheunpflug 2000: 321)<br />
In einem Beitrag von 2022 beschreibt<br />
sie die Menschen als Wesen, die „in ihrer<br />
spontanen Problemlösungsfähigkeit auf<br />
Erfahrungen im Nahbereich spezialisiert<br />
[sind] – und diese ist <strong>für</strong> die Erfahrungen<br />
einer globalisierten Weltgesellschaft<br />
nicht besonders gut geeignet“. (Scheunpflug<br />
2022: 10)<br />
Weiter führt sie aus, „dass [die] Möglichkeiten,<br />
mit denen die Menschen ihre<br />
Umwelt wahrnehmen und in ihr reagieren,<br />
[…] sich menschheitsgeschichtlich in<br />
Anpassung an die unmittelbare Umwelt<br />
und den sich daraus ergebenden Notwendigkeiten<br />
entwickelt [haben]. Damit werden<br />
vornehmlich die Probleme gelöst, die<br />
sinnlich erfahrbar sind.“ (Scheunpflug<br />
2022: 10)<br />
Gleichzeitig unterstellt sie den Menschen<br />
ein „hohes abstraktes Reflexionsvermögen“<br />
(Scheunpflug 2022: 10), das<br />
es möglich macht, sich einer Weltgemeinschaft<br />
in einem abstrakten sozialen<br />
Raum zugehörig zu fühlen.<br />
Dazu bedarf es einer emotionalen<br />
Verbundenheit zu einer Weltgemeinschaft:<br />
„… [ist] das Verständnis dessen<br />
von Bedeutung, was das menschliche<br />
Leben zusammenhält: die Sicht auf den<br />
Menschen als reines menschliches Wesen,<br />
seine Würde und seine grundlegenden<br />
Bürgerrechte, egal wo er sich auf diesem<br />
Planeten befindet, sowie die daraus abgeleiteten<br />
Regeln des Zusammenlebens und<br />
der Aushandlung von Differenzen. Damit<br />
geht es nicht darum, die Dinge erst im<br />
Vertrauten und dann im Fremden wahrzunehmen,<br />
sondern von vornherein die<br />
globale Verwobenheit auszuloten und zu<br />
entdecken.“ (Scheunpflug 2022: 11–12)<br />
Sich mit anderen in Beziehung zu setzen<br />
ist <strong>für</strong> uns Menschen als soziale Wesen<br />
ein wichtiger Bestandteil unseres<br />
Handelns. Eine emotionale Verbundenheit<br />
zu einer Weltgemeinschaft orientiert<br />
sich demnach auch an gemeinsam<br />
formulierten Werten und an einem Bewusstsein<br />
einer gemeinsamen Verantwortung<br />
<strong>für</strong> den Erhalt dieser Welt.<br />
Die SDGs bieten da<strong>für</strong> eine Orientierung.<br />
Aber umso wichtiger ist es auch,<br />
diese als gemeinsame Ziele in einer<br />
Weltgemeinschaft zu verstehen und zusammen<br />
an deren Umsetzung mitzuwirken,<br />
womit wir wieder bei den Herausforderungen<br />
wären, die uns ein solches<br />
Verständnis abverlangt.<br />
BNE 2030<br />
Mit der konzeptionellen <strong>Entwicklung</strong><br />
von BNE, die ein fortwährender Prozess<br />
ist, sind diese Fragen eng verbunden.<br />
Welche Art von <strong>Bildung</strong> wird<br />
gebraucht bzw. bildet die Grundlage <strong>für</strong><br />
Lehrende, um den Herausforderungen<br />
der Zukunft zu begegnen und gleichzeitig<br />
die Zukunft so zu gestalten, dass<br />
sie auf Basis des Leitbilds <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> zu einem Erhalt unserer<br />
Lebensgrundlage beiträgt?<br />
Parallel dazu geht es auch darum: Wie<br />
ist mit einer Globalisierung im direkten<br />
Lebensumfeld umzugehen? Welche Anschlussmöglichkeiten<br />
bieten wir jungen<br />
Menschen, ihre Fragen und Bedürfnisse<br />
einzubringen und sich gleichzeitig als<br />
aktiver Teil einer Gesellschaft bis hin zu<br />
einer Weltgemeinschaft zu fühlen?<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
enthält viele Elemente, die sich den Antworten<br />
auf diese Fragen nähern. Dazu<br />
gehört die intensive Auseinandersetzung<br />
mit den da<strong>für</strong> benötigten Kompetenzen,<br />
wie z. B. der Fähigkeit zur Selbstreflexion,<br />
der Empathie und des kritischen<br />
Denkens sowie mit Komplexität und<br />
Unsicherheiten umgehen zu können. Ein<br />
weiterer wichtiger Punkt ist, Beteiligung<br />
zu erfahren und im Gestaltungsprozess<br />
Selbstwirksamkeit zu spüren.<br />
Ziele von BNE und Vorschläge <strong>für</strong> die<br />
Umsetzung liegen auf dem Tisch und<br />
sind neben vielen Veröffentlichungen<br />
und Praxisbeispielen z. B. in der BNE-<br />
Roadmap 2030 ausformuliert. Diese ist<br />
das globale Rahmenprogramm (2020–<br />
2030) <strong>für</strong> die Umsetzung von BNE, in<br />
dem der Schwerpunkt auf die Rolle von<br />
<strong>Bildung</strong> zur Verwirklichung der SDGs<br />
gelegt ist. Es werden fünf Handlungsfelder<br />
priorisiert, von denen eines die<br />
ganzheitliche Transformation der Lernund<br />
Lehrumgebung umfasst. Im Sinne<br />
des Whole Institution Approachs soll sichergestellt<br />
werden, „dass wir lernen,<br />
wie wir leben, und leben, was wir lernen“<br />
(Deutsche UNESCO-Kommission<br />
2021: 3), und das ist weltumfassend relevant.<br />
<br />
Quellen:<br />
Deutsche UNESCO-Kommission (2021):<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Eine<br />
Roadmap, online abrufbar unter:<br />
https://www.bne-portal.de/bne/de/bundesweit/bne-2030/bne-2030.html<br />
(Stand<br />
14.03.2024)<br />
Scheunpflug, Annette (2022): Die globale<br />
Dimension einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong>, in: Loccumer Pelikan, Ausgabe<br />
2/2022, 9–13, online abrufbar unter:<br />
https://www.rpi-loccum.de/material/pelikan/<br />
pel2_22/2_22_Scheunpflug (Stand<br />
14.03.2024)<br />
Scheunpflug, Annette (2000): Die globale<br />
Perspektive einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong>, in: Overwien, Bernd (Hrsg.):<br />
Lernen und Handeln im globalen Kontext.<br />
Beiträge zu Theorie und Praxis internationaler<br />
Erziehungswissenschaft. Frankfurt am<br />
Main: IKO – Verl. <strong>für</strong> Interkulturelle<br />
Kommunikation (2000) S. 315–327<br />
6 GS aktuell 166 • Mai 2024
Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Meike Wulfmeyer<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
im Sachunterricht der Grundschule<br />
Die Grundschule definiert sich als erste Schule <strong>für</strong> alle Kinder. Sie hat einen Inklusionsanspruch<br />
und unterstützt Lernende nicht nur bei der <strong>Entwicklung</strong> grundlegender<br />
Kompetenzen, sondern auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und<br />
dient damit der Förderung individueller Autonomie. Die Grundschule ist seit ihrer<br />
Gründung vor mehr als 100 Jahren dynamisch geblieben, sie reagiert mal mehr,<br />
mal weniger unmittelbar auf <strong>Entwicklung</strong>en in Wissenschaft und Gesellschaft. So<br />
auch in Bezug auf das Leitbild der <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Entwicklung</strong>, das seit fast 30 Jahren<br />
öffentlich diskutiert wird und dennoch erst nach und nach in Schulen ankommt.<br />
Dieser Beitrag zeigt zunächst<br />
Grundlagen von <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE)<br />
auf und illustriert anschließend, dass<br />
und warum der Sachunterricht prädestiniert<br />
ist, Inhalte nachhaltig zu wenden.<br />
Zum Leitbild <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong><br />
Seit sich im Juni 1992 in Rio de Janeiro<br />
fast 180 Staaten der Welt auf dem bis<br />
dahin größten UN-Gipfeltreffen mit<br />
Umwelt und <strong>Entwicklung</strong> befasst haben,<br />
ist die globale Diskussion über das Leitbild<br />
der <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Entwicklung</strong> eröffnet.<br />
Im Kern geht es bei <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong><br />
darum, dass gegenwärtige Generationen<br />
ihre Bedürfnisse befriedigen<br />
können, während sie gleichzeitig da<strong>für</strong><br />
Sorge tragen, dass künftige Generationen<br />
ihre Bedürfnisse ebenso werden verwirklichen<br />
können, und dabei ihren Blick nicht<br />
nur zeitlich weiten, sondern auch globale<br />
Implikationen berücksichtigen.<br />
Das Leitbild <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
ruht auf den Hauptpfeilern Globalität,<br />
Retinität und Gerechtigkeit. Angestrebt<br />
wird die Lösung komplexer Probleme<br />
und vielfältiger Symptome von Umweltbelastungen,<br />
Umweltschädigungen sowie<br />
von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />
Problemen. Weit über die ökologische<br />
Dimension hinausgehend wird als<br />
Schlüsselprinzip der Nachhaltigkeit die<br />
Retinität angesehen, die eine Vernetzung<br />
der ökologischen, ökonomischen und<br />
soziokulturellen respektive gesellschaftlichen<br />
<strong>Entwicklung</strong> beschreibt.<br />
Die zeitlich weite Erstreckung und<br />
die globale Dimension verlangen, dass<br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> durch alle gesellschaftlichen<br />
Gruppen getragen und<br />
unterstützt wird und daher eine breite<br />
Mitsprache und Beteiligung der Menschen<br />
in einer globalen Verantwortungsgemeinschaft<br />
ermöglicht.<br />
In dem zentralen Abschlussdokument<br />
der Rio-Konferenz, der Agenda 21, verpflichten<br />
sich die unterzeichnenden Länder,<br />
nationale Nachhaltigkeitsstrategien<br />
zu entwickeln und eigene Implementierungsfelder<br />
aufzuzeigen. <strong>Bildung</strong> respektive<br />
die vielfältigen <strong>Bildung</strong>sbereiche<br />
werden im Kapitel 36 der Agenda 21<br />
als entscheidender Faktor im Kampf um<br />
eine zukunftsfähige Welt identifiziert.<br />
Die Rio-Konferenz hatte zahlreiche<br />
weitere Konferenzen sowie eine Dekade<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
(2005–2014) zur Folge. Im Jahr 2015 ist<br />
mit der Agenda 2030 und dem Weltaktionsprogramm<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> global eine neue Aufmerksamkeit<br />
erreicht worden, die u. a.<br />
durch die immer spürbareren Auswirkungen<br />
des Klimawandels sowie durch<br />
die Fridays-for-Future-Bewegung verstärkt<br />
wird.<br />
Das auf fünf Jahre (2015–2019) angelegte<br />
UNESCO-Weltaktionsprogramm,<br />
auch als GAP (Global Action Programme<br />
on Education for Sustainable<br />
Development) benannt, trat im Jahr<br />
2020 nach fünf Jahren in die sogenannte<br />
Post-GAP-Phase und in das neue Programm<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>:<br />
die globalen Nachhaltigkeitsziele<br />
verwirklichen ein. Es setzt sich zum<br />
Ziel, bis zum Jahr 2030 die 17 Sustainable<br />
Development Goals (SDGs), also 17<br />
Ziele <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong> im Rah-<br />
Prof. Dr. Meike Wulfmeyer<br />
ist Professorin <strong>für</strong> Didaktik des Sachunterrichts,<br />
Schwerpunkt Gesellschaftswissenschaften,<br />
an der Universität<br />
Bremen; Arbeitsschwerpunkte: <strong>Bildung</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>, politische<br />
<strong>Bildung</strong>, (zeit)historisches Lernen, ökonomische<br />
<strong>Bildung</strong>, Begabungsförderung<br />
im inklusiven Sachunterricht; Mail:<br />
wulfmeyer@uni-bremen.de.<br />
men der Großen Transformation umzusetzen<br />
(vgl. UN 2015). <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE) orientiert<br />
sich dementsprechend an den 17<br />
SDGs, denen mit den sogenannten 5 P<br />
fünf Kernbotschaften als handlungsleitende<br />
Prinzipien vorangestellt sind: People<br />
(Mensch), Planet, Prosperity (Wohlstand),<br />
Peace (Frieden) und Partnership<br />
(Partnerschaft). Ein neues Verständnis<br />
von Lebensqualität und Wohlstand verlangt<br />
mit dem Motto „Leave no one behind“,<br />
dass bei den gesellschaftlichen<br />
<strong>Entwicklung</strong>en besondere Rücksicht auf<br />
die Schwächsten und die Verwundbarsten<br />
gelegt wird. Es geht also um die Umsetzung<br />
einer inklusiven, chancengerechten<br />
und hochwertigen <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />
alle Menschen weltweit und um die Beteiligung<br />
von Kindern und Jugendlichen<br />
beim Aufbau von friedlichen und <strong>nachhaltige</strong>n<br />
Gesellschaften.<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Im Hinblick auf <strong>Bildung</strong>seinrichtungen<br />
entwickelt sich durch das Weltaktionsprogramm<br />
die Aufgabe, systemisches<br />
Denken und das Verständnis komplexer<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
7
Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Zusammenhänge alltagsnah erfahrbar<br />
und verständlich zu machen. Es bedarf<br />
starker Impulse zur Thematisierung des<br />
Verhältnisses zwischen Mensch und<br />
Natur bereits in Kindertageseinrichtungen<br />
und Grundschulen, denn Pioniere<br />
des Wandels, sogenannte Change Agents<br />
(vgl. WBGU 2011, 255), können bereits<br />
in frühester Kindheit Kenntnisse und<br />
Erfahrungen über komplexe Zusammenhänge<br />
sammeln und daraus Vorstellungen<br />
<strong>für</strong> die Zukunft entwickeln.<br />
Der <strong>Bildung</strong>sbegriff nach Klafki (vgl.<br />
1980; 2007) verlangt nach kritisch-reflektierender,<br />
eigenverantwortlicher und<br />
selbstbestimmter Annäherung an <strong>Bildung</strong>sinhalte.<br />
Dabei ist es unerlässlich,<br />
dass es weder zu einer kritiklosen Übernahme<br />
des normativen Leitbildes <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> kommt, noch um die<br />
ausschließliche Anhäufung von Fachwissen<br />
über Komponenten, Dimensionen,<br />
Strategien und Forderungen geht. Vielmehr<br />
soll eine kritische Auseinandersetzung<br />
mit dem Leitbild stattfinden, die<br />
Interessengegensätze und unterschiedliche<br />
Argumentationsstränge thematisiert<br />
und durch die eine kritische Reflexion<br />
echte Partizipation am Nachhaltigkeitsdiskurs<br />
sowie die <strong>Entwicklung</strong> eigener<br />
Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten<br />
fördert (vgl. Wulfmeyer 2020, 14).<br />
Welche Kompetenzen sollen mit einer<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
(BNE) gefördert werden? Entscheidend<br />
ist, dass es sich bei <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong><br />
nicht lediglich um ein weiteres<br />
(Querschnitts-)Thema handelt, sondern<br />
dass BNE die Aufgabe zukommt,<br />
im Sinne der sog. Whole-School-Approaches<br />
eine Schulkultur zu entwickeln, die<br />
Lernformen bereithält, in denen Denken<br />
und Handeln zusammenfinden; eine<br />
Schulkultur, die ihre Aufgabe in der reflexiven<br />
Auseinandersetzung mit sozialen,<br />
ökonomischen und ökologischen<br />
Fragen sowohl im lokalen als auch im<br />
globalen Raum sowie im Hinblick auf<br />
gegenwärtige und zukünftige <strong>Entwicklung</strong>en<br />
sieht.<br />
Das Verständnis der wechselseitigen<br />
Abhängigkeiten lokaler, globaler und<br />
zeitlicher Perspektiven ist daher die Voraussetzung<br />
<strong>für</strong> die <strong>Entwicklung</strong> vielfältiger<br />
wirkungsvoller Handlungsmöglichkeiten.<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> in der Grundschule<br />
Im Sinne der doppelten Anschlussfähigkeit<br />
knüpft die Grundschule an die Frühund<br />
Elementarpädagogik an und bildet<br />
gleichzeitig die Basis aller anderen Schulformen.<br />
Kinder mit den unterschiedlichsten<br />
Lebenswelten lernen gemeinsam und<br />
setzen sich mit Grundfragen des menschlichen<br />
Zusammenlebens auseinander.<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
(BNE) findet zunehmend Eingang in die<br />
<strong>Bildung</strong>spläne und Kerncurricula der<br />
Länder, und auch in den Empfehlungen<br />
der Kultusministerkonferenz (KMK) zur<br />
Arbeit in der Grundschule wird BNE als<br />
übergreifender <strong>Bildung</strong>sbereich ausgewiesen.<br />
„Die Schülerinnen und Schüler bilden<br />
grundlegende Kompetenzen aus, die sie in<br />
die Lage versetzen, <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>en<br />
als solche zu erkennen und aktiv mitzugestalten.<br />
Lehrkräfte schaffen Lernsituationen,<br />
in denen die Schülerinnen und Schüler<br />
den sorgsamen und <strong>nachhaltige</strong>n Umgang<br />
mit ökologischen, ökonomischen und sozialen<br />
Ressourcen praktizieren können. Dabei<br />
erwerben die Schülerinnen und Schüler<br />
Kenntnisse über die komplexe und wechselseitige<br />
Abhängigkeit zwischen Mensch und<br />
Umwelt. Dies ermöglicht ihnen die Auseinandersetzung<br />
mit Normen und Werten mit<br />
dem Ziel einer aktiven, kreativen und verantwortungsvollen<br />
Mitgestaltung ökologischer,<br />
ökonomischer und sozialer Prozesse<br />
und der Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten.“<br />
(KMK, 17)<br />
Die Arbeit in der Grundschule ist seit<br />
jeher Veränderungen unterworfen und<br />
muss auf <strong>Entwicklung</strong>en in Bereichen<br />
von Gesellschaft und Wissenschaft reagieren.<br />
Das gilt besonders <strong>für</strong> den naturwissenschaftlich-technischen<br />
und auch<br />
<strong>für</strong> den gesellschaftswissenschaftlichen<br />
Lernbereich, die beide in das Aufgabenfeld<br />
des Faches Sachunterricht fallen.<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> im Sachunterricht<br />
Der Sachunterricht will Kinder bei der<br />
bildungswirksamen Erschließung von<br />
Welt, ihrer Lebenswelt unterstützen.<br />
Vielfältige Phänomene stehen dabei im<br />
Mittelpunkt. Allerdings ist Sachunterricht<br />
nicht, wie später in der Sekundarstufe,<br />
in einzelne Fachdidaktiken unterteilt,<br />
sondern fachwissenschaftliche Perspektiven<br />
und fachdidaktische Bezüge<br />
strukturieren die vielperspektivische<br />
Sachunterrichtsdidaktik (vgl. Wulfmeyer<br />
2020, 18 f.). Im Perspektivrahmen der<br />
Gesellschaft <strong>für</strong> Didaktik des Sachunterrichts<br />
(GDSU) werden Perspektiven<br />
des Sachunterrichts definiert, die miteinander<br />
vernetzt und aus denen Phänomene<br />
betrachtet werden. „Schülerinnen<br />
und Schüler sollen zur aktiven Mitgestaltung<br />
einer an den Prinzipien der ökologischen<br />
Verträglichkeit, wirtschaftlichen<br />
Leistungsfähigkeit und sozialen Gerechtigkeit<br />
orientierten Gesellschaft befähigt<br />
werden. Dabei sollen sie auch <strong>für</strong> globale<br />
Aspekte, demokratische Grundprinzipien<br />
und kulturelle Vielfalt aufgeschlossen<br />
werden.“ (GDSU 2013, 76.) Zentral dabei<br />
ist, dass das Fach sowohl an Erfahrungen,<br />
Vorstellungen und Interessen aus<br />
der Lebenswelt der Schülerinnen und<br />
Schüler als auch an fachwissenschaftliche<br />
Traditionen, Inhalte und Methoden<br />
der Fachwissenschaften und der entsprechenden<br />
Fachdidaktiken anknüpft.<br />
Es geht um Auseinandersetzungen mit<br />
lebensweltlich relevanten Phänomenen,<br />
Situationen und Fragestellungen.<br />
Der wechselseitige Kind- und Sachbezug<br />
und der vielperspektivische Ansatz<br />
sind auch im Rahmen von BNE unverzichtbar,<br />
denn die „besondere Aufgabe<br />
des Sachunterrichts besteht darin, Schülerinnen<br />
und Schüler darin zu unterstützen,<br />
ihre natürliche, kulturelle, soziale und<br />
technische Umwelt sachbezogen zu verstehen<br />
und sich darin zu orientieren, mitzuwirken<br />
und zu handeln“ (GDSU 2013, 9).<br />
Im Sachunterricht lernen Kinder somit<br />
verschiedene Perspektiven auf eine <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> kennen, diskutieren<br />
differierende Interessen, Meinungen<br />
und Werthaltungen. Sie lernen, sich in<br />
unserer komplexen und global vernetzten<br />
Welt zu orientieren, erkennen und<br />
erproben Partizipationsmöglichkeiten<br />
und entdecken <strong>für</strong> sich Handlungs- und<br />
Gestaltungsfelder (Wulfmeyer/Hauenschild<br />
2023).<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa166Lit<br />
8 GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Rachel Rentz, Ulrike Oltmanns<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
in der Schule praktisch<br />
umzusetzen – wie kann das gehen?<br />
Das Globale im Lokalen in der Unterrichtsgestaltung aufzuzeigen, dazu bieten<br />
sich die Materialien und die Praxisbeispiele aus dem Projekt und der Zeitschrift<br />
Eine Welt in der Schule als gute Unterstützung an.<br />
Als ein Projekt des Grundschulverbands<br />
sieht sich Eine Welt in<br />
der Schule als Plattform, um<br />
Unterrichtserfahrungen von Lehrkräften<br />
in dem Themenbereich <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> mit einem<br />
Fokus auf globale Zusammenhänge<br />
sichtbar zu machen und gleichzeitig<br />
Materialien bereitzustellen, die Aktivitäten<br />
in diesem Lernbereich an Schulen<br />
und außerschulischen Lernorten unterstützen.<br />
Beiträge von Lehrkräften und<br />
außerschulischen Referent*innen in der<br />
Zeitschrift Eine Welt in der Schule zeigen<br />
darüber hinaus, in welchem Kontext<br />
Themen aufgegriffen und Materialien<br />
eingesetzt werden können, und bieten<br />
damit Anregungen und Impulse <strong>für</strong> die<br />
eigene Unterrichtsgestaltung.<br />
Seit Bestehen des Projektes richtet sich<br />
der Blick in die weite Welt. Im Mittelpunkt<br />
der Arbeit steht das Leben hier vor Ort<br />
und dessen Einbettung in weltweite Zusammenhänge.<br />
Dazu gehören auch Fragestellungen<br />
nach Gerechtigkeit und sozialem<br />
Miteinander im globalen Kontext, die sich<br />
z. B. in Themen wie Kinderrechte, fairer<br />
Handel und Zugehörigkeit widerspiegeln.<br />
Auch Produktionsketten und Verarbeitungsprozesse<br />
von Produkten aus unserem<br />
Alltag, etwa Kleidung, Lebensmittel wie<br />
Kakao, Orangen oder Cashewkerne, stehen<br />
in einer Beziehung zum Hier und Jetzt.<br />
Nicht zu vergessen ist die Inspiration,<br />
die der Blick in die Weite ermöglicht. So<br />
bieten beispielhaft Bauen und Wohnen,<br />
Kinderspiele und Ernährung gute Anknüpfungspunkte,<br />
um sich von der gelebten<br />
Vielfalt in der Welt inspirieren zu<br />
lassen, über den Reichtum unseres Planeten<br />
zu staunen und damit auch, den<br />
Umgang mit natürlichen Ressourcen<br />
und der Gestaltung unserer Weltgemeinschaft<br />
immer wieder neu zu überdenken.<br />
Für Letzteres bieten die 17 Ziele <strong>für</strong><br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (Sustainable Development<br />
Goals, kurz SDGs) mit ihren<br />
Schwerpunktsetzungen einen Bezug. Sie<br />
orientieren sich an dem Leitbild <strong>nachhaltige</strong>r<br />
<strong>Entwicklung</strong> mit dem Nachhaltigkeitsdreieck<br />
aus der Agenda 21 und der<br />
Vernetzung der drei Dimensionen Ökologie,<br />
Ökonomie und Soziales sowie deren<br />
begleitenden Aspekten von Globalität<br />
und Gerechtigkeit mit ihren intra-<br />
und intergenerationalen Ansätzen.<br />
Unterrichtsthemen zusammen mit Schüler*innen<br />
aus verschiedenen Perspektiven<br />
zu betrachten und Fragestellungen einfließen<br />
zu lassen, die Nachhaltigkeitsaspekte<br />
im Sinne des Leitbilds aufgreifen, weiten<br />
den Blick auf Zusammenhänge und Beziehungen<br />
zueinander.<br />
Auch wenn das Projekt bereits vor der<br />
Verabschiedung der SDGs in seiner inhaltlichen<br />
Arbeit den Lernbereich globale<br />
<strong>Entwicklung</strong> im Fokus hatte, ziehen<br />
sich die Themen der SDGs weiterhin<br />
wie ein roter Faden durch die Veröffentlichungen<br />
in der Zeitschrift und<br />
die angebotenen Materialien. Die SDGs<br />
wurden gewissermaßen wie eine Antwort<br />
auf jene problematischen Verhältnisse<br />
formuliert, mit denen sich das Projekt<br />
seit seinen Anfängen beschäftigt, um<br />
Lösungsstrategien zu entwickeln.<br />
Materialpakete, Klassensätze von Büchern<br />
sowie einzelne Materialien wie<br />
z. B. große Holzpuzzles oder Weltkarten<br />
auf Lkw-Plane werden in Form eines<br />
bundesweiten Ausleihservice vorgehalten.<br />
Eine Übersicht zu vorhandenen<br />
Materialien kann direkt auf der Website<br />
des Projektes eingesehen werden.<br />
Nachfolgend werden einzelne Themen<br />
und Materialien vorgestellt, die sich aus<br />
unserer Sicht gut da<strong>für</strong> eignen, konkrete<br />
Konzepte der <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> in die Unterrichtsgestaltung<br />
einfließen zu lassen, fächerübergreifende<br />
Möglichkeiten aufzuzeigen sowie Lehrkräfte<br />
zu ermutigen und Kinder zu begeistern,<br />
sich mit der Komplexität unserer<br />
Weltgemeinschaft auseinanderzusetzen.<br />
17-mal Zukunft: Die SDGs in<br />
den Unterricht bringen<br />
Die SDGs bieten eine Orientierung,<br />
wenn es darum geht, Ziele <strong>für</strong> eine<br />
Zukunft zu benennen, die nachhaltig<br />
ausgerichtet ist. Mit ihnen verbunden ist<br />
das Versprechen, dass sich die Mitgliedsstaaten<br />
der Vereinten Nationen bereits<br />
2015 auf den Weg gemacht haben, um<br />
diese Ziele bis 2030 zu erreichen. Auch<br />
wenn die Erreichung aller Ziele immer<br />
illusorischer wirkt, je näher dieses Jahr<br />
heranrückt, sind doch an einzelnen Stellen<br />
Teilerfolge, aber auch eine Entfernung<br />
von manchen Zielen zu verzeichnen.<br />
Wie bereits in Grundschule aktuell<br />
165 (S. 35) aufgeführt, können <strong>für</strong><br />
Kinder die SDGs Anhaltspunkte da<strong>für</strong><br />
geben, dass bereits an verschiedenen<br />
Stellen an einer Verbesserung der Verhältnisse<br />
und der Strukturen gearbeitet<br />
wird.<br />
Um sich in einem ersten Schritt den<br />
SDGs anzunähern und diese in der<br />
Grundschule einzuführen, bietet sich<br />
das Konzept der Handreichung 17 Ziele<br />
– Wir <strong>für</strong> eine bessere Welt! an. In der<br />
Handreichung wird an einzelnen Stationen<br />
jeweils eine der fünf Kernbotschaften<br />
(5 P: People – Planet – Prosperity –<br />
Peace – Partnership) aufgegriffen, die<br />
den SDGs als handlungsleitende Prinzipien<br />
vorangestellt sind. An vier Stationen<br />
laden Bewegungsspiele ein, Aspekte<br />
der jeweiligen Kernbotschaft in den Fokus<br />
zu nehmen. An der fünften Station<br />
werden die Ergebnisse aus den vorangegangenen<br />
Stationen zusammengeführt<br />
und münden in eine Aktion, die von<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
9
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Rachel Rentz (links)<br />
M. A. Kulturwissenschaft, seit Januar<br />
2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />
Projekt Eine Welt in der Schule<br />
Ulrike Oltmanns (rechts)<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />
Projekt Eine Welt in der Schule des GSV<br />
der Schüler*innengruppe selbst gestaltet<br />
werden kann. Die Bremer Stadtmusikant*innen<br />
begleiten die Umsetzung<br />
und verbinden die einzelnen Stationen<br />
miteinander.<br />
„Vielleicht habt Ihr schon einmal von<br />
den Bremer Stadtmusikant*innen gehört?<br />
Das ist eine Gruppe, die besteht aus einem<br />
Esel, einem Hund, einer Katze und einem<br />
Hahn. Diese vier haben sich auf eine Reise<br />
begeben, um gemeinsam eine bessere Welt<br />
zu suchen. Auf dem Weg haben sie sich<br />
angefreundet …“ (Handreichung 17 Ziele<br />
– Wir <strong>für</strong> eine bessere Welt! S. 21)<br />
Eine begleitende Materialkiste aus dem<br />
Ausleihservice erleichtert die Umsetzung<br />
mit bereits vorgefertigten Spielkarten, der<br />
Geschichte der Bremer Stadtmusikant*innen<br />
als Kamishibai, Materialien <strong>für</strong> weitere<br />
Anknüpfungsmöglichkeiten über<br />
Sachbücher zu den SDGs oder Unterrichtsprojekten,<br />
die Anregungen zu konkreten<br />
Themen <strong>für</strong> die weitere Beschäftigung<br />
bieten.<br />
Materialkisten zum<br />
Thema Kakao (li.) und<br />
Nachhaltigkeit (re.)<br />
Hafen, Handel, Schokolade?<br />
Das Thema Kakao wird bereits seit vielen<br />
Jahren in der entwicklungspolitischen<br />
<strong>Bildung</strong>sarbeit aufgegriffen und<br />
bietet aktuell immer wieder interessante<br />
Anknüpfungspunkte, um sich über<br />
verschiedene Perspektiven einem Thema<br />
zu nähern und mit Fragestellungen<br />
einer <strong>nachhaltige</strong>n Zukunftsgestaltung<br />
zu beschäftigen. Über den Ausleihservice<br />
im Projekt können verschiedene<br />
Materialpakete zu Kakao bestellt werden.<br />
Darüber hinaus stehen Beiträge<br />
von Lehrkräften aus ihrem Unterricht<br />
in den Ausgaben der Zeitschrift Eine<br />
Welt in der Schule zur Verfügung, die<br />
die praktische Umsetzung im Lernalltag<br />
veranschaulichen.<br />
Beispielhaft sei an dieser Stelle der Artikel<br />
„Der grüne Trakt geht auf Schokoexpedition“<br />
in Heft 151 unter dem Fokus<br />
Ernährung mit der Bremer Ganztagsgrundschule<br />
Auf den Heuen angeführt.<br />
Das Oberthema <strong>für</strong> das Schuljahr<br />
2021/2022 war Hafen. Schokolade und<br />
Hafen? Für Schüler*innen ist der Zusammenhang<br />
dieser beiden Themen<br />
vielleicht nicht auf den ersten Blick ersichtlich,<br />
doch das Ziel der Auseinandersetzung<br />
war, über globalen Handel<br />
und Industrialisierung ins Gespräch zu<br />
kommen. Schokolade eignet sich als anschauliches<br />
Beispiel <strong>für</strong> Globalisierung,<br />
um sich ganz praxisnah diesem Themenkomplex<br />
auf niedrigschwellige und<br />
lebensnahe Weise zu nähern. Die Schule<br />
arbeitet mit einem inklusiven jahrgangsübergreifenden<br />
Lerngruppenkonzept,<br />
das die Klassen eins bis vier umfasst.<br />
Zum Einsatz kamen die Materialien der<br />
Kakaokiste und des <strong>Bildung</strong>sbags Schokoexpedition,<br />
beide halten diverse Materialien<br />
und vor allem Realien<br />
bereit, die eine zielgruppengenaue<br />
Arbeit ermöglichen und zudem<br />
verschiedene Fähigkeiten und Bedürfnisse<br />
der Schüler*innen ansprechen.<br />
Kakaoschoten, Kakaobohnen, Kakaobutter<br />
– diese echten Objekte bieten einen<br />
sinnlichen Zugang und sind <strong>für</strong> Kinder<br />
jeden Alters interessant, da sie vermutlich<br />
nicht in ihrer alltäglichen Umgebung<br />
zu finden sind.<br />
Im Schokobag lernen die Schüler*innen<br />
Naki kennen. Ein Brief von ihr bietet<br />
einen Einstieg ins Thema, der eine<br />
Identifikation unter Kindern ermöglicht.<br />
Durch den modularen Aufbau der<br />
Materialkiste und die große Anzahl der<br />
teilnehmenden Schüler*innen (mehr als<br />
40) bot sich eine Gruppenarbeitsphase<br />
an, die immer wieder von Plenumseinheiten<br />
unterbrochen wurde, in denen<br />
sich die einzelnen Lerngruppen nach<br />
einem vorgegebenen Fragenkatalog gegenseitig<br />
Erkenntnisse vorstellten und<br />
auch Feedback zur Arbeitsweise in der<br />
Gruppe gaben. Eine Gruppe beschäftigte<br />
sich mit Ernte und Weiterverarbeitung,<br />
wobei ein besonderes Augenmerk<br />
auf fairem Handel und Fairtrade-Siegeln<br />
sowie Arbeitsbedingungen<br />
auf den Plantagen gelegt wurde. Die<br />
zweite Gruppe schaute sich den Kakaobaum<br />
und die Früchte näher an, hierbei<br />
ging es vermehrt um Wortschatzerwerb<br />
und künstlerisches Schaffen, indem<br />
der Flur mit einem Kakaobaum<br />
und den entsprechenden Fachbegriffen<br />
geschmückt wurde. Gruppe drei näherte<br />
sich auf kulinarische Weise der Schokolade<br />
und verarbeitete sie als Überzug<br />
auf selbst gebackenen Keksen. Wie viele<br />
Schüler*innen der Lerngruppe lieber<br />
Vollmilch- oder weiße Schokolade<br />
essen, fand die vierte Gruppe heraus<br />
und erstellte ein mathematisches<br />
Diagramm. Die fünfte Gruppe ging<br />
auf den Produktionsprozess einer Tafel<br />
10<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Projekt Eine Welt in der Schule<br />
www.weltinderschule.uni-bremen.de<br />
Instagram: @eineweltinderschule<br />
Aufgepasst: 20 Prozent Rabatt im Ausleihservice und Abonnement<br />
der Zeitschrift <strong>für</strong> Mitglieder des Grundschulverbandes!<br />
Zeitschrift Eine Welt in der Schule Nr. 149,<br />
Dezember 2021, mit dem Schwerpunkt Reparieren<br />
Zeitschrift Eine Welt in der Schule Nr. 151,<br />
November 2022 mit dem Schwerpunkt Ernährung<br />
Schokolade ein und lernte die einzelnen<br />
Bestandteile kennen, die da<strong>für</strong> benötigt<br />
werden. Über die Gruppenarbeitsphasen<br />
hinaus gab es ein reiches Angebot<br />
von weiteren Materialien, die bearbeitet<br />
werden konnten, u. a. Ausmalbilder<br />
einer Kakaofrucht. Auch die musische<br />
Auseinandersetzung kam an dieser Stelle<br />
zum Tragen: Zu dem Lied „Oma gibt<br />
mir Schokolade“ von der Band Deine<br />
Freunde übten die Schüler*innen einen<br />
rhythmischen Bechersong ein. Digital<br />
boten Videos von Willi Weitzel oder der<br />
Sendung mit Maus sowie ein Quiz <strong>für</strong><br />
die jüngeren und die älteren Altersstufen<br />
multimediale Zugänge zum Thema.<br />
Bei einem anschließenden Besuch im<br />
Hafen wurde ein Frachtcontainer unter<br />
der Fragestellung, wie viele Tonnen<br />
Kakaobohnen damit transportiert werden<br />
können, näher betrachtet. Das Resümee<br />
der Pädagogin Tanja Kunze über<br />
die praktische Beschäftigung mit Hafen<br />
und Handel über Schokolade fiel positiv<br />
aus. So bilanziert sie, dass vor dem<br />
Projekt nur wenige Kinder beispielsweise<br />
wussten, aus welchen Bestandteilen<br />
Schokolade besteht, woher diese stammen<br />
und wie die Arbeitsbedingungen<br />
auf den Plantagen aussehen.<br />
Weitere Anknüpfungspunkte an den<br />
globalen Handel bieten die Materialkisten<br />
zu Slow Fashion mit Fokus auf den<br />
textilen Kreislauf, die Kiste von bezev<br />
e. V. zu Cashewkernen, die vorrangig <strong>für</strong><br />
eine Zielgruppe ab 13 Jahren konzipiert<br />
ist, und die Orangenkiste, in der unter<br />
anderem der nach Deutschland importierte<br />
Orangensaft thematisiert wird.<br />
Nachhaltiger Konsum am<br />
Beispiel des Reparierens<br />
Zum Erreichen der selbsgesteckten Ziele<br />
<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> werden<br />
verschiedene Strategien diskutiert, zu<br />
denen unter anderem auch Suffizienz<br />
und Effizienz gehören. Davon<br />
ist auch der Ansatz des Reparierens<br />
berührt.<br />
In der Zeitschrift 149 aus dem Dezember<br />
2021 stand dieses Thema im Mittelpunkt<br />
der Ausgabe. In ihrem Beitrag<br />
„Wirf mich nicht weg – reparier mich!“<br />
stehen <strong>für</strong> Dr. Katharina Dutz und Heike<br />
Schaadt das Konsumverhalten und<br />
der achtsame Umgang mit Ressourcen in<br />
einem Kontext. „Die Reparatur von Alltagsgegenständen<br />
ist ein wesentlicher Aspekt<br />
einer <strong>nachhaltige</strong>n Lebensweise, weil<br />
die Nutzungsdauerverlängerung von Gegenständen<br />
dazu beiträgt, Ressourcen zu<br />
schonen, CO2-Emissionen zu verringern<br />
und Müll zu vermeiden.“ (S. 4)<br />
In dem Beitrag „Lässt sich mit Reparieren<br />
die Welt retten?“ (S. 8) stellen die<br />
Autor*innen Claudia Munz und Walter<br />
Kraus ihre Schulreparaturwerkstatt<br />
an der Rudolf-Steiner-Schule in München-Schwabing<br />
vor, die unter dem Motto<br />
„Fixing for Future“ steht. Ein von ihnen<br />
entwickelter Praxisleitfaden erleichtert<br />
die Umsetzung an anderen Schulen.<br />
Die wissenschaftliche Begleitung an der<br />
Schule attestiert dem Projekt die Wirkung<br />
auf die <strong>Entwicklung</strong> persönlicher<br />
und sozialer Kompetenzen: „Das Erleben<br />
von Selbstwirksamkeit stärkt Selbstbewusstsein<br />
und Mut, Konzentrationsfähigkeit<br />
und Durchhaltevermögen werden<br />
verbessert, die Arbeit im Team fördert die<br />
gegenseitige Unterstützung und die Zusammenarbeit<br />
mit den meist deutlich älteren<br />
ehrenamtlichen Reparaturanleitenden<br />
ermöglicht generationsübergreifende<br />
Erfahrungen am ‚gemeinsamen Dritten‘,<br />
dem Reparaturgegenstand.“ (S. 9)<br />
In ihrem Beitrag „Reparieren macht<br />
glücklich, schlau und Spaß“ greifen Marion<br />
Leitfeld und Mathias Wunderlich<br />
den Mehrwert auf, den Repair-Cafés<br />
<strong>für</strong> die Zusammenarbeit mit der Elternschaft<br />
bieten und den sie <strong>für</strong> die Öffnung<br />
der Schule in den Stadtteil bedeuten.<br />
Eine Materialkiste zum Reparieren hält<br />
das Projekt im Ausleihservice nicht vor,<br />
allerdings werden in der Materialkiste<br />
Slow Fashion über die Anlehnung<br />
an den textilen Kleiderkreislauf<br />
an zwei Stationen Reparatur<br />
und Wiederverwertung aufgegriffen.<br />
Zum Einsatz von Ressourcen und<br />
deren Wiederverwertung finden sich<br />
auch interessante Schnittstellen beim<br />
Thema Bauen und Wohnen. Das Projekt<br />
bietet dazu die Materialkiste Abenteuer<br />
Bauen an. Die kritische Betrachtung von<br />
konventionell errichteten Neubauten,<br />
ohne die Wiederverwertung von Baustoffen<br />
oder den Rückbau inklusive Recycling<br />
im Blick zu haben, öffnet Raum <strong>für</strong> die<br />
Auseinandersetzung über innovative und<br />
kreative Ansätze, mit fortschrittlichen<br />
Bau- und Rohstoffen neue Gebäude zu<br />
errichten oder alten Bestand mit diesen<br />
<strong>für</strong> eine Weiternutzung zu erhalten.<br />
Die hier genannten Beispiele möchten<br />
erste Impulse geben. Viele weitere Zugänge<br />
sind möglich, um Schüler*innen<br />
zu motivieren und <strong>für</strong> Themen mit weltweiter<br />
Relevanz zu begeistern.<br />
Global denken – lokal handeln: Unter<br />
diesem Leitsatz nimmt <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> praktisch Gestalt im<br />
Schulalltag an. Wir unterstützen Sie gern<br />
dabei!<br />
Jetzt kostenlos: Band zu BNE<br />
„<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
– Eine Aufgabe <strong>für</strong> alle Fächer und Lernbereiche“,<br />
der Band 147 der Beiträge zur<br />
Reform der Grundschule, ist ab jetzt kostenlos<br />
im Projekt Eine Welt in der Schule<br />
verfügbar!<br />
Auf gut 140 Seiten zeigt der Herausgeber<br />
Prof. Dr. Dr. Rudolf Schmitt, wie BNE im<br />
Schulalltag verankert werden kann. Der<br />
Band ist in drei Abschnitte unterteilt: Der<br />
Orientierungsrahmen <strong>für</strong> den Lernbereich<br />
Globale <strong>Entwicklung</strong>, Unterrichtsbeispiele<br />
aus Fächern der Grundschule<br />
und Materialien zur <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong>.<br />
Die Abgabe erfolgt kostenlos, auch in<br />
größeren Gebinden, entweder direkt in<br />
den Räumen des Projekts auf dem Unigelände<br />
in Bremen oder gegen Portokosten<br />
gern auch über Postversand.<br />
Weitere Infos und Bestellungen unter<br />
www.weltinderschule.uni-bremen.de<br />
und einewelt@uni-bremen.de.<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
11
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Solveig Wallroth<br />
Kann man <strong>für</strong> den Klimaschutz<br />
zu klein sein?<br />
Karl Foerster war Staudenzüchter und Gartenphilosoph. Einen Naturliebhaber<br />
als Namensgeber unserer Schule zu haben inspiriert zu vielen Aktivitäten in den<br />
verschiedenen Fachbereichen. Bei uns steht nicht nur eine fundierte Wissensvermittlung<br />
im Unterricht im Vordergrund, sondern auch das praktische Erleben<br />
und der behutsame Umgang mit den natürlichen Ressourcen unserer Erde.<br />
Solveig Wallroth<br />
ist stellvertretende<br />
Schulleiterin<br />
der Karl-Foerster-<br />
Schule Potsdam.<br />
Wir sind stolz darauf, dass<br />
unsere Schule als Preisträgerin<br />
„Energiesparschule Brandenburg<br />
2023“ sowie als mehrfache<br />
Gewinnerin des Potsdamer Klimapreises<br />
und des Energiesparpreises<br />
Potsdamer Schulen ausgezeichnet<br />
wurde.<br />
Zu klein <strong>für</strong> den<br />
Klimaschutz?<br />
wicklung. Dabei orientieren wir uns an<br />
den 17 Zielen <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>,<br />
die von allen Regierungen der<br />
Welt bis 2030 aktiv angegangen werden<br />
sollen. In unseren Unterrichtseinheiten<br />
und Projekten lernen die Kinder,<br />
wie menschliche Aktivitäten<br />
den Klimawandel beeinflussen<br />
und welche Maßnahmen<br />
zum Klimaschutz beitragen<br />
können.<br />
Beispiel: Energiespar-<br />
Detektive<br />
Ein Beispiel da<strong>für</strong> ist unser Projekt<br />
„Energiesparprogramm an der Karl-<br />
Foerster-Schule“. Jede Klasse hat zwei<br />
Energiespardetektive, die darauf achten,<br />
dass wir möglichst wenig Müll produzieren,<br />
dass das Licht nur dann eingeschaltet<br />
ist, wenn es wirklich benötigt wird,<br />
und dass wir regelmäßig lüften. Um den<br />
Müll zu reduzieren, wurde beispielsweise<br />
der plastikfreie Freitag eingeführt.<br />
An diesem Tag sollen alle Eltern darauf<br />
achten, nur solche Speisen als Früh-<br />
Über die Frage, ob man<br />
<strong>für</strong> den Klimaschutz zu klein<br />
sein kann, können die Kinder<br />
unserer Schule nur lachen. Sie wissen:<br />
Auch Grundschulkinder können einen<br />
wertvollen Beitrag zum Klimaschutz<br />
leisten und die erlernten Ideen und<br />
praktischen Anwendungen in ihre Familien<br />
tragen. Unsere Schule hat es sich zur<br />
Aufgabe gemacht, die Schülerinnen und<br />
Schüler <strong>für</strong> die Herausforderungen des<br />
Klimawandels zu sensibilisieren und sie<br />
zu befähigen, aktiv zu handeln.<br />
Eine wichtige Grundlage da<strong>für</strong> ist eine<br />
umfassende <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> Entstück<br />
mitzugeben, die keine Verpackungen<br />
haben. Einige Klassen haben als<br />
Alternative dazu selbst Bienenwachstücher<br />
hergestellt. Alle Klassenlehrer und<br />
Klassenlehrerinnen sammeln monatlich<br />
pädagogisch umweltorientierte Aktivitäten,<br />
die in einem Dokument eingetragen<br />
werden. Das können zum Beispiel Projekte,<br />
einzelne Unterrichtsthemen, Wandertage<br />
oder Ähnliches sein. Die Lehrkraft,<br />
die das Energiesparprogramm an<br />
unserer Schule leitet, gibt monatlich die<br />
von allen Klassenlehrkräften gesammelten<br />
Themen in eine vorgegebenen Tabelle<br />
ein, die an eine Berliner Energieagentur<br />
weitergeleitet wird. Dadurch haben<br />
wir bereits mehrere Preise gewonnen<br />
und konnten das Preisgeld sinnvoll <strong>für</strong><br />
umweltorientierte Projekte an unserer<br />
Schule einsetzen. Dabei wurden die<br />
Wünsche der Kinder berücksichtigt.<br />
Wie wir den Energieverbrauch an der<br />
Karl-Foerster-Schule reduzieren<br />
• Wandertage (u. a. Theater zu Fuß, Hin- und<br />
Rückweg: circa sechs Kilometer)<br />
• Projekt Umweltschule: Was bedeutet Wasser<br />
<strong>für</strong> unser Leben?<br />
• Wir nutzen nur kaltes Wasser im Klassenraum,<br />
um unsere Hände zu waschen.<br />
• Wir drehen den Hahn nach der Benutzung<br />
gut zu.<br />
• Wir benutzen Papiertücher aus recyceltem<br />
Material.<br />
• Wir sparen Licht im Klassenraum.<br />
• Wir stellen die Heizung nur wenn nötig,an.<br />
• Wir heizen und lüften effizient.<br />
• Wir trennen unseren Müll.<br />
• Wir verzichten auf zusätzliche Plastikmülltüten<br />
<strong>für</strong> den Plastikmüll.<br />
• Wir verzichten auf zusätzliche Plastikmülltüten<br />
<strong>für</strong> den Papiermüll.<br />
• Wir haben eine Schmierpapierstation im<br />
Klassenzimmer, um benutztes Papier erneut<br />
zu verwenden.<br />
• Wir nehmen an der Paper-Race-Aktion teil.<br />
• Wir nehmen am plastikfreien Freitag teil.<br />
• Wir schalten elektrische Geräte (Smartboard,<br />
PC o. Ä.) aus, die nicht gebraucht werden,<br />
oder nutzen den Energiesparmodus.<br />
• Die Pausenglocke läutet nur zum Pausenende.<br />
• Elterninfos werden fast ausschließlich per<br />
E-Mail, Schulcloud oder über die Homepage<br />
kommuniziert.<br />
• Im Speisesaal werden ausschließlich Glasund<br />
Mehrwegflaschen zur Getränkeausgabe<br />
(Wasser) genutzt.<br />
• In der Mensa wird das Essen ausschließlich<br />
auf wiederverwendbarem Geschirr serviert<br />
und Besteck wird genutzt.<br />
• Wir sparen Licht in den Fluren und im Treppenhaus.<br />
Es wird nur, wenn nötig, angeschaltet.<br />
• Wir trennen den Müll (Schulhof).<br />
• Wir werfen keinen Müll auf den<br />
Boden.<br />
• Wir achten darauf,<br />
dass bei der Toilettenspülung<br />
kein<br />
Wasser weiterläuft.<br />
• Die Lehrkräfte drucken<br />
nur das Nötigste<br />
(vorrangige Nutzung<br />
Lehrbuch und<br />
Arbeitshefte).<br />
• Wenn es Kopien<br />
gibt, dann in<br />
Schwarz-Weiß.<br />
12<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Und was noch?<br />
Aber nicht nur im Schulgebäude setzen<br />
wir uns <strong>für</strong> den Klimaschutz ein.<br />
Unsere Schülerinnen und Schüler werden<br />
ermutigt, möglichst mit dem Fahrrad<br />
zur Schule zu kommen. Im Sachunterricht<br />
der vierten Klassen absolvieren<br />
sie eine Fahrradausbildung und legen<br />
eine Prüfung ab. Zudem legen wir großen<br />
Wert auf Gesundheitsförderung<br />
und Umweltbewusstsein. Wir vermeiden<br />
Müll bei Schulveranstaltungen und<br />
achten auf eine gesunde Ernährung.<br />
Ein wichtiger Lernort unserer Schule ist<br />
unser 1200 Quadratmeter großer Schulgarten.<br />
Dort erleben die Kinder selbst,<br />
wie Pflanzen angebaut werden, können<br />
sich davon im Kunstunterricht inspirieren<br />
lassen oder nutzen das Grüne Klassenzimmer<br />
<strong>für</strong> ein Leseprojekt.<br />
Die Teilnahme an Wettbewerben wie<br />
„Umweltschule in Europa – Internationale<br />
Nachhaltigkeitsschule“, wobei wir<br />
seit 2001 jedes Jahr mit unseren Projekten<br />
den Titel erringen konnten, und<br />
der zweimalige Gewinn des „Potsdamer<br />
Klimapreises – Schulen aktiv <strong>für</strong> Klimaschutz“<br />
zeigen, dass unsere Bemühungen<br />
Früchte tragen. Wir sind stolz darauf,<br />
dass unsere Schule als Vorbild <strong>für</strong><br />
<strong>nachhaltige</strong>s Handeln in der Region<br />
wahrgenommen wird.<br />
Um den Gedanken des Klimaschutzes<br />
weiter zu verbreiten, beteiligen wir<br />
uns regelmäßig an Veranstaltungen<br />
und Austauschprogrammen. Zudem<br />
organisieren wir Ausflüge in die Natur,<br />
um den Kindern die Zusammenhänge<br />
zwischen Umwelt und Klimaschutz<br />
hautnah zu vermitteln.<br />
Unsere Schülerinnen und Schüler<br />
sind die Zukunft und sie haben<br />
das Potenzial, die Welt zu verändern.<br />
Indem wir sie frühzeitig <strong>für</strong> den<br />
Klimaschutz sensibilisieren und sie in<br />
ihren Handlungsmöglichkeiten stärken,<br />
leisten wir einen wichtigen Beitrag zur<br />
Bewältigung der globalen<br />
Herausforderungen. Denn: Man<br />
kann nie zu klein sein, um <strong>für</strong> den Klimaschutz<br />
einzustehen!<br />
Johannes Wolz<br />
Dem Klimawandel auf der Spur<br />
Durch handlungsorientiertes Lernen Umweltbewusstsein stärken<br />
In der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Klimawandel lernen<br />
Kinder, wie tiefgreifende Veränderungen in Politik und Wirtschaft das globale<br />
Klima beeinflussen. Sie begreifen die Wichtigkeit gemeinsamer Anstrengungen<br />
<strong>für</strong> die Zukunft unseres Planeten und finden Inspiration <strong>für</strong> eigenes Engagement.<br />
Die Bekämpfung des Klimawandels<br />
gehört zu den dringlichsten<br />
Aufgaben unserer Zeit, wobei<br />
<strong>Bildung</strong> eine Schlüsselrolle spielt. Angeregt<br />
durch die Agenda 2030, insbesondere<br />
Ziel 13 der 17 Ziele <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> (Sustainable Development<br />
Goals – SDGs), das dringend zu Maßnahmen<br />
gegen den Klimawandel auffordert,<br />
widmeten wir uns über zwei Schuljahre<br />
hinweg intensiv diesem entscheidenden<br />
Thema.<br />
Erste Schritte im Grünen: Wald-<br />
Jugendspiele und Klimaschutz<br />
men wir bei den Vorbereitungen <strong>für</strong> die<br />
Wald-Jugendspiele Rheinland-Pfalz im<br />
Jahr 2023. Im Rahmen eines Wandertages<br />
begaben sich die 23 Schüler*innen<br />
der Klasse 3b auf einen etwa drei Kilometer<br />
langen Waldparcours mit elf Stationen.<br />
Sie wurden mit Fragen zum Lebensund<br />
Naturraum Wald, dessen Bedeutung<br />
<strong>für</strong> den Klimaschutz sowie den klimabedingten<br />
Herausforderungen konfrontiert.<br />
Immer wieder tauchten dabei auch komplexe<br />
Begriffe wie Nachhaltigkeit, Klimawandel<br />
und Kohlendioxid auf, die schnell<br />
die Neugier der Kinder weckten und zu<br />
zahlreichen weiteren Überlegungen und<br />
Vermutungen führten. Um den allgemeinen<br />
Überblick zu behalten und gleichzeitig<br />
die wichtigen Vorerfahrungen fest-<br />
Unsere ersten Schritte in Richtung<br />
Umwelt- und Klimaschutz unternahzuhalten,<br />
ermutigte ich sie im Anschluss,<br />
ihre Gedanken schriftlich zu dokumentieren.<br />
Zurück im Klassenzimmer füllte<br />
sich die magnetische Wand des Luftfilters<br />
innerhalb der nächsten Tage kontinuierlich<br />
mit gelben (was wir wissen wollen)<br />
und grünen (was wir schon wissen)<br />
Kärtchen. Das lebhafte Interesse und die<br />
umfangreiche Fragesammlung unterstrichen<br />
die Notwendigkeit, den Klimawandel<br />
umfassend im Unterricht zu behandeln,<br />
weit über einen ersten Einblick hinaus.<br />
Klima versus Wetter: eine<br />
grundlegende Unterscheidung<br />
Ein idealer Anknüpfungspunkt ergab<br />
sich durch die Faszination der Kinder<br />
<strong>für</strong> Wetterphänomene, deren Veränderungen<br />
und den Einfluss des Menschen<br />
auf die Umwelt. Entsprechend entschied<br />
ich mich, zunächst die Grundlagen von<br />
Wetter und Klima zu beleuchten, als<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
13
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Johannes Wolz<br />
ist Grundschullehrer in Rheinland-Pfalz<br />
und Vorstandsmitglied der Landesgruppe<br />
des Grundschulverbands. Seit<br />
2021 führt er den Blog „Milos Welt“ mit<br />
Einblicken in die eigene Unterrichtspraxis<br />
und selbst gestaltete Materialien.<br />
notwendige Basis, um die komplexen<br />
Zusammenhänge des Klimawandels<br />
erfassbar und verständlich zu machen.<br />
Interaktives Lernen mit Pindactica<br />
Für die strukturierte Planung und Durchführung<br />
dieser Unterrichtseinheit lehnte<br />
ich mich eng an das interaktive PDF Klimawandel<br />
verstehen vom gemeinnützigen<br />
und unabhängigen <strong>Bildung</strong>sverein Pindactica<br />
e. V. aus Berlin an. Dieses Lehrmaterial<br />
erwies sich als unschätzbar wertvoll,<br />
indem es eine schrittweise Herangehensweise<br />
zur Erarbeitung der Thematik aufzeigte<br />
und durch seine interaktiven Elemente<br />
das Lernen nicht nur lebendiger,<br />
sondern auch greifbarer machte. So gelang<br />
es mir, eine Brücke von den ursprünglichen<br />
Fragen der Kinder zu einem tieferen<br />
Verständnis der wissenschaftlichen und<br />
gesellschaftlichen Herausforderungen des<br />
Klimawandels zu bauen.<br />
Nachdem wir die Grundlagen von<br />
Wetter und Klima beleuchtet hatten, galt<br />
es herauszufinden, was den Unterschied<br />
zwischen beiden Phänomenen ausmacht.<br />
Diese Unterscheidung ist essenziell, wenn<br />
wir über den Klimawandel sprechen, da sie<br />
grundlegend verschiedene Phänomene beschreibt.<br />
Wetter bezieht sich auf kurzfristige<br />
Änderungen in der Atmosphäre – was<br />
wir täglich erleben, etwa Regen, Sonnenschein<br />
oder Wind. Klima hingegen umfasst<br />
die statistischen Wetterbedingungen über<br />
einen langen Zeitraum in einer bestimmten<br />
Region. Dieses Wissen ist entscheidend,<br />
denn der Klimawandel lässt sich an<br />
langfristigen Daten und Trends ablesen,<br />
nicht an einzelnen Wetterereignissen.<br />
Experimentieren und analysieren:<br />
Klimawandel begreifen<br />
Die klare Herausstellung dieses Unterschieds<br />
erleichterte es den Kindern, das<br />
Konzept langfristiger Klimaveränderungen<br />
zu verstehen. Auf dieser Grundlage<br />
folgte eine Reihe von Aktivitäten und Projekten<br />
im Unterricht, um das Bewusstsein<br />
und das Verständnis <strong>für</strong> den Klimawandel<br />
sowie dessen Ursachen und Folgen weiter<br />
zu vertiefen und zu strukturieren:<br />
● Die Kinder erforschten die verschiedenen<br />
Klimazonen der Erde und ihre<br />
Merkmale. Sie erkannten, dass diese<br />
vor allem durch die unterschiedliche<br />
Sonneneinstrahlung entstehen und sich<br />
Tiere und Pflanzen im Laufe von Jahrtausenden<br />
an die Klimazonen angepasst<br />
haben. Dies half ihnen zu verstehen, wie<br />
die geografische Lage die klimatischen<br />
Bedingungen einer Region beeinflusst.<br />
● Treibhausgase wie CO2 machen zwar<br />
nur einen sehr kleinen Teil unserer<br />
Luft aus, haben jedoch eine signifikante<br />
Wirkung. Je mehr Treibhausgase in<br />
der Atmosphäre vorhanden sind, desto<br />
stärker ist die Erwärmung. Diese Erkenntnis<br />
war wichtig, um die Mechanismen<br />
des Klimawandels zu begreifen.<br />
● Durch die Einbindung mathematischer<br />
Kompetenzen konnten die Kinder<br />
Klimadaten und CO2-Konzentrationen<br />
aus den Pindactica-Schaubildern<br />
genauer unter die Lupe nehmen und<br />
analysieren. Dies förderte nicht nur ihr<br />
Verständnis <strong>für</strong> die quantitative Dimension<br />
des Klimawandels, sondern<br />
auch ihre Fähigkeit, Daten kritisch zu<br />
hinterfragen und zu interpretieren.<br />
● Durch ausgewählte Hands-on-Experimente<br />
erlebten die Kinder anschaulich,<br />
wie der Treibhauseffekt mit CO2 funktioniert.<br />
Die praktische Erfahrung verstärkte<br />
ihr Verständnis <strong>für</strong> die Prozesse,<br />
die zur globalen Erwärmung führen.<br />
● Ein weiterer Fokus lag auf der Auseinandersetzung<br />
mit den direkten und<br />
den indirekten Folgen des Klimawandels<br />
durch Bilder, Reportagen und Sachtexte.<br />
Diese umfassten Themen wie Wetterextreme,<br />
Verlust der Biodiversität und die<br />
Auswirkungen auf menschliche Gesellschaften.<br />
Von Fakten zu Farben:<br />
Ausdruck des Gelernten<br />
Nach der detaillierten Auseinandersetzung<br />
mit den wissenschaftlichen Aspekten des<br />
Klimawandels entschieden wir uns, das<br />
erworbene Wissen auf eine kreative Weise<br />
umzusetzen. Die Kinder wählten da<strong>für</strong> als<br />
Medium Plakate und Postkarten, um ihre<br />
Erkenntnisse und Überlegungen visuell zu<br />
kommunizieren. Ziel dieses Ansatzes war<br />
es, das Bewusstsein und die Reflexion über<br />
Klimathemen zu vertiefen. Die erstellten<br />
Kunstwerke reflektierten nicht nur das<br />
Verständnis der Kinder <strong>für</strong> den Klima-<br />
Experiment – Treibhauseffekt mit CO2<br />
Ein Zeichen <strong>für</strong> den Klimaschutz mit handgemalten Postkarten<br />
14<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
wandel, sondern brachten auch ihre Hoffnungen<br />
und Appelle <strong>für</strong> eine <strong>nachhaltige</strong>re<br />
Zukunft zum Ausdruck.<br />
Ausgewählte Arbeiten wurden beim<br />
Wettbewerb „Der Erde eine Zukunft geben“<br />
im Jahr 2024 eingereicht, was den<br />
Kindern ermöglichte, ihre Botschaften<br />
einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen<br />
und ihr Engagement <strong>für</strong> den Klimaschutz<br />
zu unterstreichen.<br />
Expedition Klimaschutz: Viertklässlerinnen<br />
und Viertklässler in Aktion<br />
Nach dem Ende der Sommerferien setzten<br />
wir die Arbeit am Thema Klimawandel<br />
fort, wobei ich besonders darauf abzielte,<br />
das theoretische Wissen durch direkte<br />
Erfahrungen in der realen Umwelt zu<br />
ergänzen. Die folgenden unterrichtlichen<br />
Aktivitäten waren zudem eng mit zwei<br />
weiteren Zielen <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
(SDGs) verbunden: Ziel 6 – Sauberes<br />
Wasser und Sanitäreinrichtungen,<br />
Ziel 7 – Bezahlbare und saubere Energie.<br />
Die erste Exkursion im vierten Schuljahr<br />
führte uns in die regionale Kläranlage.<br />
Dort entwickelten die Kinder ein<br />
praktisches Verständnis <strong>für</strong> den Umgang<br />
mit Wasserressourcen und erkannten<br />
die Bedeutung des Umweltschutzes,<br />
was direkt Ziel 6 der SDGs<br />
widerspiegelt. Die Auseinandersetzung<br />
mit dem Wasseraufbereitungsprozess<br />
verdeutlichte ihnen, wie essenziell jeder<br />
Beitrag zum Schutz unserer Wasserressourcen<br />
ist. Die nächste Exkursion zum<br />
örtlichen Wasserwerk unterstrich die<br />
Wichtigkeit von sauberem Trinkwasser<br />
und veranschaulichte den Kindern Prozesse,<br />
die unser Wasser trinkbar machen.<br />
Diese Erfahrung zeigte nicht nur<br />
die Bedeutung sauberen Wassers <strong>für</strong><br />
die menschliche Gesundheit, sondern<br />
auch dessen Wichtigkeit <strong>für</strong> die Erhaltung<br />
der Umwelt. Besonders eindrücklich<br />
war in der Folgestunden die Betrachtung<br />
der Verteilung des Salz- bzw.<br />
Süßwassers auf der Erde in Anlehnung<br />
an den Zehn-Liter-Eimer-Vergleich der<br />
NaturDetektive des Bundesamtes <strong>für</strong><br />
Naturschutz (BfN).<br />
„Stell dir vor, das ganze Wasser der<br />
Erde würde in einen 10-Liter-Eimer passen.<br />
Dann wäre er fast bis zum Rand mit<br />
Salzwasser gefüllt. Eine kleine Schüssel<br />
voller Eiswürfel wäre das Süßwasser, das<br />
am Nord- und Südpol und in den Gletschern<br />
als Eis gefroren ist – also auch<br />
nicht trinkbar. Nur vier ganze Teelöffel<br />
voll Süßwasser wären das Wasser, das wir<br />
trinken können – drei Teelöffel Grundwasser<br />
und ein Teelöffel aus allen Flüssen<br />
und Seen zusammen. Wasser ist also sehr<br />
wertvoll. Deshalb ist es wichtig, dass wir<br />
es sauber halten, denn ohne Wasser ist<br />
kein Leben auf der Erde möglich.“ (BfN,<br />
naturdetektive.bfn.de, 2024)<br />
Einige Wochen später beleuchtete eine<br />
Energie-Schnitzeljagd im Schulhaus,<br />
durchgeführt mit der gleichnamigen App<br />
der Stiftung Kinder forschen, den alltäglichen<br />
Energieverbrauch und förderte<br />
das Bewusstsein <strong>für</strong> Energieeffizienz, was<br />
Ziel 7 der SDGs entspricht. Die Kinder<br />
lernten, wie wichtig eine effiziente Energieverwendung<br />
ist und wie sie aktiv zum<br />
Energiesparen beitragen können.<br />
Darüber hinaus bot die Radfahrausbildung<br />
im Rahmen der Verkehrserziehung<br />
eine ausgezeichnete Gelegenheit,<br />
das Thema Klimawandel anzusprechen.<br />
Wir diskutierten, wie das Fahrradfahren<br />
im Vergleich zu motorisierten Verkehrsmitteln<br />
die Umweltbelastung verringern<br />
kann und wie <strong>nachhaltige</strong> Mobilitätslösungen<br />
aussehen könnten.<br />
Zusammen <strong>für</strong> das Klima: Wie<br />
<strong>Bildung</strong> den Weg <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
Generationen ebnet<br />
Insgesamt waren die praktischen Erfahrungen<br />
entscheidend, um bei den Kindern<br />
ein tieferes Bewusstsein und Verständnis<br />
<strong>für</strong> die Komplexität des Klimawandels<br />
und die Notwendigkeit<br />
<strong>nachhaltige</strong>n Handelns zu fördern. Sie<br />
erkannten die Wichtigkeit, dass jede<br />
und jeder Einzelne zur Erreichung von<br />
Ziel 13 der SGDs, dem Kampf gegen<br />
den Klimawandel, beitragen kann.<br />
Ich ermutige Lehrkräfte, dieses entscheidende<br />
Thema kontinuierlich mit<br />
ihren Schüler*innen in Theorie und<br />
Praxis zu erleben. Besonders erfolgreich<br />
wird es, wenn zu aktiver Teilnahme an<br />
Projekten motiviert werden kann, die<br />
unser gemeinsames Ziel einer <strong>nachhaltige</strong>ren<br />
Zukunft unterstützen. So legen<br />
wir nicht nur den Grundstein <strong>für</strong> verantwortungsbewusstes<br />
Handeln in den<br />
kommenden Generationen, sondern<br />
tragen auch aktiv zur Verwirklichung<br />
dieser globalen Bestrebungen bei.<br />
Die GemüseAckerdemie<br />
Dr. Christoph Schmitz, Gründer und Geschäftsführer der GemüseAckerdemie,<br />
im Interview mit Michael Töpler<br />
MT: Herr Dr. Schmitz, die Gemüse-<br />
Ackerdemie wird 2024 zehn Jahre alt.<br />
Hat sich in der konkreten Zusammenarbeit<br />
mit den Schulen vor Ort etwas<br />
verändert?<br />
CS: Die Fragen zur Umsetzung vor<br />
Ort sind ähnlich geblieben, allerdings<br />
müssen wir nicht mehr erklären, warum<br />
Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema<br />
ist, das auch über den reinen Anbau<br />
des Gemüses hinaus <strong>für</strong> die Schule von<br />
Bedeutung ist. Die Schulen sind sehr<br />
interessiert und unsere Erfahrungen der<br />
letzten Jahre machen die Zusammenarbeit<br />
leichter.<br />
MT: Inhaltlich leuchtet sofort ein, wie<br />
der Gemüseanbau die Nachhaltigkeitsfragen<br />
direkt in die Schulen und zu<br />
den Schüler:innen trägt. Ist denn die<br />
Verankerung des Themas im Kollegium<br />
auch dauerhaft gesichert?<br />
Weitere Informationen:<br />
Ackerreport:<br />
https://t1p.de/m1v4b<br />
www.acker.co/Standorte<br />
CS: Die Verantwortung <strong>für</strong> das Projekt<br />
ruht immer auf mehreren Schultern.<br />
Besonders durch unsere stark ausgebaute<br />
Onlinelernplattform können immer<br />
wieder neue Kolleg:innen herangeführt<br />
werden, wenn einmal jemand ausscheidet.<br />
Auch durch die gute Begleitung der<br />
Fachkräfte haben bislang nur etwa fünf<br />
Prozent der Schulen das Projekt beendet.<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
15
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Michael Töpler (links)<br />
M. A. der Philosophie, Geschichte und<br />
Literatur wissenschaft<br />
Dr. Christoph Schmitz,<br />
Sozialunternehmer, Agrarökonom,<br />
Mentor<br />
MT: Hat die Arbeit der GemüseAckerdemie<br />
vor Ort in erster Linie Projektcharakter,<br />
oder wirkt sich das Angebot<br />
auch auf den Fachunterricht aus?<br />
CS: Der Acker bietet sich als fächerübergreifender<br />
Lernort an. Mathematische<br />
Fragen lassen sich hier ebenso bearbeiten<br />
wie Themen, die im Sachunterricht oder<br />
im Kunstunterricht verortet sind.<br />
MT: Kann man sagen, wie sich die<br />
Arbeit auf dem Acker auf die Kinder<br />
konkret auswirkt?<br />
CS: Wir beobachten, dass die Sozialkompetenzen<br />
der Kinder steigen. Insbesondere<br />
das eigenverantwortliche Arbeiten<br />
in Kleingruppen hat positive Effekte.<br />
Die Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />
beim Anbauen und beim Ernten sind<br />
enorm, das stärkt die Kinder.<br />
MT: Wirkt die Arbeit auch in die<br />
Familien hinein?<br />
CS: Natürlich. Die Kinder tragen ihre<br />
Erfahrungen als Botschafter:innen<br />
nach Hause und bringen auch manche<br />
Eltern intensiver in Kontakt mit saisonalem<br />
Gemüse. Dieses kann ja zu Hause<br />
unmittelbar verarbeitet werden.<br />
MT: Kann auch das Schulessen vom<br />
Acker aus bereichert werden?<br />
CS: Das ist <strong>für</strong> besondere Anlässe möglich,<br />
zum Beispiel mit einer Kürbisaktion<br />
im Herbst. Für die alltägliche Versorgung<br />
einer Mensa reichen die Erträge<br />
nicht. Das ist aber auch nicht der<br />
Anspruch.<br />
MT: Inwiefern wirkt sich Ihre Arbeit<br />
auf das Leben und das Arbeiten an der<br />
Schule insgesamt aus?<br />
CS: Ein wichtiger Baustein sind regelmäßige<br />
Fortbildungen <strong>für</strong> die Lehrkräfte,<br />
die durch unsere Onlineplattform<br />
flexibel gestaltet werden können.<br />
Dadurch kommt das Thema Nachhaltigkeit<br />
immer wieder ins Bewusstsein. Die<br />
kontinuierliche Beschäftigung mit unseren<br />
Angeboten gibt häufig Anstöße zu<br />
unterrichtlichen und außerunterrichtlichen<br />
Aktivitäten.<br />
MT: Nachhaltigkeit scheint schon fast<br />
ein Modewort zu sein, dass nicht unbedingt<br />
mit der Transformation verbunden<br />
wird, die wir vor uns haben.<br />
Besteht die Gefahr, dass die Schulen zu<br />
sehr an der Oberfläche bleiben?<br />
CS: Das Problem sehen wir, aber wir<br />
sehen noch stärker die sichtbaren Fortschritte.<br />
Alle müssen sich dem Thema<br />
widmen und tun dies in unterschiedlicher<br />
Intensität. Im Rahmen der Gemüse<br />
Ackerdemie wird zum einen der Lernort<br />
„draußen“ als Standard etabliert, der<br />
Garten, der Schulhof und die Umgebung<br />
werden verstärkt zum pädagogischen<br />
Raum.<br />
MT: Bedeutet das, dass es eine Standardlösung<br />
<strong>für</strong> alle Schulen gibt, wie<br />
das jeweilige Gelände gestaltet werden<br />
muss?<br />
CS: Nein, das ist sehr individuell und<br />
bietet Raum <strong>für</strong> viele Ideen. Es gibt tolle<br />
Beispiele, wo Schulen noch weit über<br />
unsere Initiative hinausgegangen sind.<br />
Jede Schule ist in der Umsetzung ein<br />
Unikat.<br />
MT: Gibt es Probleme mit der Frage,<br />
wie man die Angebote der Gemüse<br />
Ackerdemie im Rahmen der Lehrpläne<br />
umsetzt?<br />
CS: Nein, das ist vollkommen unproblematisch.<br />
Auf unserer Plattform ist die Verankerung<br />
in den jeweiligen Lehrplänen<br />
der Länder hinterlegt. In diesem Bereich<br />
hat sich einiges getan. BNE ist zwar in<br />
unterschiedlicher Weise formuliert, die<br />
Umsetzung ist aber meist sehr offen.<br />
MT: Bereitet der Föderalismus Probleme?<br />
CS: Auf der inhaltlichen Seite nicht.<br />
Lediglich im Bereich der Förderung<br />
unseres Angebotes gibt es einige Unterschiede,<br />
das kann manchmal etwas<br />
komplizierter werden.<br />
MT: Wie sieht die Verteilung im Bundesgebiet<br />
inzwischen aus? Kann<br />
grundsätzlich jede Schule in Deutschland<br />
teilnehmen?<br />
CS: Ja, inzwischen sind wir flächendeckend<br />
aktiv. In einigen Bundesländern<br />
sind wir schon stark vertreten, andere<br />
ziehen aber allmählich nach. Durch<br />
unser Netz von 520 Coaches mussten<br />
wir seit 2020 keiner Schule mehr aus<br />
Kapazitätsgründen absagen.<br />
MT: Wie sieht die Nachfrage im<br />
Bereich der Grundschulen aus?<br />
CS: Grundschulen haben weiter großes<br />
Interesse, die Nachfrage ist eher steigend.<br />
MT: Hat sich das Programm in den<br />
letzten zehn Jahren grundsätzlich<br />
geändert?<br />
CS: Wir haben uns kontinuierlich weiterentwickelt,<br />
insbesondere auch durch<br />
die zahlreichen Rückmeldungen aus den<br />
Schulen. So konnten Programm und<br />
Materialien immer weiter verbessert<br />
werden.<br />
MT: Kommen Sie selbst noch hin und<br />
wieder auf den Acker?<br />
CS: Zum Glück kommt das immer wieder<br />
vor, bei größeren Events oder in der<br />
Schule meiner Kinder vor Ort. Jede:r<br />
unserer Mitarbeiter:innen muss einmal<br />
pro Saison auf den Acker, damit der<br />
Kontakt zur Basis lebendig bleibt. Das<br />
macht weiterhin viel Freude!<br />
MT: Herr Dr. Schmitz, ich danke<br />
Ihnen sehr <strong>für</strong> dieses Gespräch.<br />
16<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Konstanze von Unold<br />
Mit Kindern auf dem Schulacker<br />
Erfahrungen aus einer Ackerschule<br />
Auf dem Schulacker wird nicht nur mit Kopf, Herz und Hand, sondern auch mit<br />
dem Gaumen, den Füßen und der Nase gelernt: In der Gemeinschaft pflanzen<br />
Kinder und Erwachsene Kräuter und Gemüse, beobachten die Pflanzen beim<br />
Wachsen, hacken den Boden, sammeln Schnecken, ernten, mulchen, essen und<br />
verkaufen. Und so ganz nebenbei bewegen wir uns an der frischen Luft – so lernen<br />
wir mit den Kindern zusammen viel über eine gesunde Lebensführung. Das<br />
prägt sogar uns Erwachsene nachhaltig.<br />
Konstanze von<br />
Unold<br />
ist Rektorin an<br />
der Grundschule<br />
Baierbrunn.<br />
Seit dem Schuljahr 2019/2020 ist die<br />
Grundschule Baierbrunn Ackerschule.<br />
Mit Unterstützung von<br />
Acker e. V. wurden zunächst die Erwachsenen<br />
– Lehrkräfte, die Jugendsozialarbeiterin<br />
der Schule und einige Eltern – in die<br />
Arbeit mit einem Schulacker eingeführt.<br />
Wir hatten das große Glück, dass die Kosten<br />
<strong>für</strong> das Anlegen des Ackers, die professionelle<br />
Betreuung durch die Gemüse<br />
Ackerdemie sowie <strong>für</strong> Pflanzen, Werkzeug<br />
sowie ein Gerätehäuschen vom Landkreis<br />
München, der Gemeinde Baierbrunn, der<br />
Stiftung eines Baumarkts und unserem<br />
Förderverein gemeinsam getragen wurden.<br />
Unser zweites Glück: Auf unserer<br />
großen Schulwiese war Platz <strong>für</strong> einen<br />
Gemüseacker – andere Schulen<br />
haben <strong>für</strong> ihren Acker ein großes<br />
Stück Pausenhof geopfert<br />
oder Hochbeete angelegt.<br />
Auch das ist möglich, aber<br />
nicht optimal.<br />
Das erste Anlegen des<br />
Ackers wurde von einem örtlichen<br />
Landwirt übernommen, der da<strong>für</strong><br />
mit den geeigneten Maschinen kam. Seitdem<br />
jedoch benötigen wir keine Maschinen<br />
mehr auf unserem Acker.<br />
Inzwischen gehört die Grundschule<br />
Baierbrunn als erfahrene Ackerschule<br />
zu den „Ackergurus“ und benötigt nur<br />
noch wenig Unterstützung der Gemüse<br />
Ackerdemie. Dennoch können wir auf<br />
die zahlreichen Informationen, Lehrfilme,<br />
Pflanzpläne etc. von www.acker.co<br />
zurückgreifen. Auch die Pflanzen wurden<br />
bisher durch die Ackerdemie bei einem<br />
regionalen Biogärtner bestellt. Wir<br />
müssen mit ihm lediglich zwei Anlieferungstermine<br />
vereinbaren.<br />
Alle Klassen werden <strong>für</strong> jeweils eine<br />
Woche zum Ackerdienst eingeteilt. Die-<br />
Selbst gemacht –<br />
Natur – Gemüse – umweltfreundlich<br />
– alles ist<br />
gut. (Klasse 4b)<br />
se Einteilung gilt auch in den Ferien und<br />
wird in jedem Schuljahr bis zum September<br />
geplant. Zusätzlich unterstützt<br />
die Umwelt-AG (von der Jugendsozialarbeiterin<br />
geführt) bei der Ackerpflege.<br />
Und so läuft ein Ackerjahr<br />
an der Grundschule Baierbrunn ab<br />
Winter:<br />
● Das Werkzeug wird überprüft und<br />
ggf. wird neues gekauft.<br />
● Die Planungen der Pflanztermine<br />
und der Beeteinteilung erfolgt im Winter<br />
durch die betreuende Lehrkraft mit<br />
Unterstützung der Ackerdemie.<br />
● In diesem Jahr hat eine zweite Klasse<br />
skizziert und ausgerechnet, wie<br />
groß der Acker sein muss:<br />
Nachdem das Gras aus der<br />
Schulwiese jedes Jahr ein<br />
Stück in den Acker hineinwächst,<br />
muss jedes Jahr neu<br />
ausgemessen und ein Stück<br />
Grasnarbe entfernt werden.<br />
Hacken zum Befreien von Unkraut und<br />
zur besseren Wasseraufnahme<br />
März/April:<br />
● Eltern (unser Elternbeirat organisiert<br />
da<strong>für</strong> ausreichend Helfer) arbeiten<br />
Mulch in den Acker ein. Da<strong>für</strong> wird der<br />
Acker spatentief umgegraben.<br />
April:<br />
● Eine Klasse legt Beete und Wege an:<br />
Mit Schnüren und Stöcken werden die<br />
Beete markiert und Wege getrampelt.<br />
Ein Infofilm zeigt uns, wie das geht.<br />
● Die erste Pflanzung erfolgt an ein bis<br />
zwei Tagen durch mehrere Klassen und<br />
helfende Eltern. Gepflanzt wird alles,<br />
was bei uns wachsen kann: Kartoffeln,<br />
Palmkohl, Mangold, Kohlrabi, Bete, Karotten,<br />
Radieschen, Knoblauch, Frühlingszwiebeln,<br />
verschiedene Salate, Fenchel,<br />
Pastinaken und Zuckererbsen.<br />
● In den Wochen danach werden vom<br />
jeweiligen Ackerdienst Schnecken gesammelt<br />
und zum Isarabhang gebracht, Beete<br />
durch Hacken von Unkraut befreit und<br />
zur besseren Wasseraufnahme gelockert.<br />
Wie groß muss<br />
der Schulacker<br />
sein? Skizze einer<br />
2. Klasse<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
17
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Mitte bis Ende Mai:<br />
● Bei der zweiten Pflanzung<br />
kommen frostempfindliche<br />
Pflanzen auf den<br />
Acker: Gurken, Tomaten,<br />
Kürbis, Zucchini, Mais und<br />
Bohnen.<br />
Sommer bis Frühherbst:<br />
● Jetzt darf geerntet werden.<br />
● Vor den Sommerferien wird nachgesät.<br />
● Einmal wöchentlich findet bis Ende<br />
Oktober unser Ackerverkauf statt, bei<br />
dem Kinder, Eltern und Passanten unser<br />
eigenes Gemüse kaufen können. Der<br />
Erlös geht an den Förderverein, dem<br />
Kinder, Eltern und Lehrkräfte Wünsche<br />
<strong>für</strong> Neuanschaffungen (<strong>für</strong> den Acker,<br />
Pausenspiele, Bücher <strong>für</strong> die Bücherei<br />
etc.) nennen dürfen.<br />
● Einen Teil der Ernte verarbeiten wir<br />
selbst. Besonders gut kommen Palmkohlchips<br />
an!<br />
Spätherbst:<br />
● Nach der letzten Ernte sammeln wir<br />
Grasschnitt, Strauchschnitt und Laub.<br />
Beim Ackerverkauf<br />
muss jeder<br />
Stoffbeutel mitbringen.<br />
So brauchen wir kein<br />
Plastik. (Klasse 1)<br />
Damit wir der komplette Acker gemulcht,<br />
damit er im Frühjahr wieder viele Nährstoffe<br />
<strong>für</strong> die nächste Saison hat.<br />
Fazit<br />
Lohnt sich denn der ganze<br />
Aufwand? Kostet das<br />
nicht enorm viel Zeit? Und<br />
wo bleiben die Basiskompetenzen<br />
in Deutsch und Mathematik?<br />
Wir freuen<br />
uns auf die<br />
Palmkohlchips.<br />
(Klasse 2a)<br />
Rezept <strong>für</strong> Palmkohlchips:<br />
Zutaten:<br />
circa 500 g Palmkohlblätter<br />
6 EL Olivenöl<br />
1 EL Meersalz<br />
Zubereitung:<br />
1. Palmkohlblätter waschen und trocken<br />
schütteln<br />
2. Blattrippe entfernen und die Blätter auf<br />
Chipsgröße klein zupfen<br />
3. In einer Schüssel mit dem Öl und dem Salz<br />
vermischen<br />
4. Chips auf einem Blech verteilen und bei<br />
130 Grad im Ofen rösten<br />
(Umluft ermöglicht mehrere Bleche)<br />
Umweltschule und Ackerschule – wird<br />
das nicht ein bisschen viel? Jedes Jahr<br />
wieder ackern?<br />
Das Team der Grundschule<br />
Baierbrunn mit Eltern und<br />
Kindern hat sich trotz solcher<br />
Fragen von Jahr zu Jahr da<strong>für</strong><br />
entschieden, Ackerschule zu<br />
bleiben: Der Aufwand lohnt sich,<br />
<strong>für</strong> alle!<br />
Susanne Geese, Lisa Gutschik<br />
„Der Müll muss weg“<br />
In einer Welt, in der Kinder immer öfter mit gesellschaftlichen Unruhen, kriegerischen<br />
Auseinandersetzungen und Auswirkungen des Klimawandels umgehen<br />
müssen und sich diesen weitgehend machtlos ausgesetzt fühlen, wollen wir<br />
an unserer Schule den Kindern die Möglichkeit geben, aktiv an demokratischen<br />
Strukturen teilzunehmen und sich selbstwirksam und wahrgenommen zu fühlen.<br />
Deshalb führen wir in regelmäßigen<br />
Abständen Schulforen<br />
durch, in denen aktuelle Herausforderungen<br />
und Aufgaben der<br />
Schulgemeinschaft besprochen, diskutiert<br />
und Lösungsansätze gesucht werden.<br />
Als ein wiederkehrendes Problem<br />
zeigte sich Müll auf dem Pausenhof.<br />
BNE als gesamtübergreifendes<br />
Unterrichtsprinzip<br />
Die Relevanz des Umweltproblems und<br />
insbesondere die Müllproblematik nehmen<br />
die Kinder in ihrer Lebenswelt,<br />
hier ganz konkret auf dem Pausenhof<br />
und anhand von überquellenden Mülleimern<br />
wahr. Daraus entstanden ist<br />
ein Unterrichtsprojekt, das uns in der<br />
Schule nachhaltig über alle Klassenstufen<br />
verteilt das Schuljahr begleiten soll.<br />
Die grundschulpädagogische Begründung<br />
einer BNE soll sowohl ein<br />
Lernen <strong>für</strong> eine <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
als auch ein Lernen als eine <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> beinhalten (Rieckmann,<br />
2021) und sich an Fragen der<br />
Kinder orientieren, die dann aufgegriffen<br />
werden, um die heutige Welt in ihrer<br />
Komplexität ein wenig mehr zu verstehen<br />
(Remy, 2024). Curricular wird<br />
BNE bislang überwiegend dem Fach<br />
Sachunterricht zugeschrieben. In diesem<br />
Projekt wird BNE aber dominierend<br />
Kunst und Musik zugeordnet, was<br />
BNE als Querschnittsaufgabe <strong>für</strong> alle<br />
Susanne Geese (links)<br />
ist Lehrerin 4. Jahrgang, Grundschule an<br />
der Platanenstraße, Landsberg am Lech.<br />
Lisa Gutschik<br />
ist Lehrerin 1. Jahrgang, Grundschule<br />
an der Platanenstraße, Landsberg am<br />
Lech, und wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
am Lehrstuhl <strong>für</strong> Schulpädagogik<br />
der Primarstufe, TU Chemnitz.<br />
Fächer darstellt und auch die inhaltliche<br />
Komplexität des Themenfelds deutlich<br />
macht.<br />
18<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
„Der Müll muss weg“ – ein Rap als<br />
Vorbereitung zur Müllsammelzeit<br />
in der Freitagspause<br />
Die Kinder der vierten Klasse wollten<br />
ihre Mitschülerinnen und Mitschüler<br />
auf dieses Problem aufmerksam machen<br />
und motivieren, gemeinsam da<strong>für</strong> Sorge<br />
zu tragen, den Müll sowohl zu reduzieren<br />
als auch aufzusammeln und dann<br />
zu recyceln. Damit ist die Idee entstanden,<br />
im nächsten Schülerforum einen<br />
Rap vorzutragen, in dem es inhaltlich<br />
um Müllvermeidung und Müllsammeln<br />
geht. Als Einstieg wurde anhand des<br />
Mülls auf dem eigenen Pausenhof, sowie<br />
später auch anhand von Bildmaterial<br />
erörtert, wo Müll entsteht und welchen<br />
Müll die Kinder selbst in ihrer Lebenswelt<br />
produzieren. Anhand der Realien<br />
wurden Strategien der Mülltrennung<br />
und des Recyclings besprochen und<br />
praktiziert. Daraus ergab sich die Frage<br />
nach Möglichkeiten, Müll prinzipiell zu<br />
vermeiden. Dadurch sollte auch angeregt<br />
werden, das eigene Konsumverhalten<br />
zu reflektieren und sich des sparsameren<br />
Umgangs mit Ressourcen der<br />
Natur bewusst zu werden. Anschließend<br />
erarbeiteten die Kinder anhand von<br />
Informationsmaterial Erkenntnisse über<br />
globale Umweltprobleme wie Mikroplastik<br />
in den Weltmeeren, Rodung von<br />
Regenwäldern und Vernichtung heimischer<br />
Insekten durch den großflächigen<br />
Einsatz von Pestiziden.<br />
Im Musikunterricht wurde der Müll-<br />
Rap in Kleingruppen unter Vorgabe eines<br />
gemeinsamen Beats gereimt, ausgearbeitet<br />
und eingeübt. Später wurde er<br />
auch von im Kunstunterricht selbst gebastelten<br />
Upcycling-Müllinstrumenten<br />
begleitet. Die Inszenierung in Müll-Outfits<br />
erfolgte dann mit Mülltonnen, die als<br />
Trommeln benutzt wurden.<br />
Vom Problem zur Lösung:<br />
vom Müll zum Müllsammeln als<br />
gesamtschulischem Anliegen<br />
Auf einer Schautafel wird der Verlauf<br />
der Müllsammelaktionen präsentiert<br />
Im Nachgang der Präsentation erklärten<br />
die Viertklässlerinnen und Viertklässler<br />
ihre Idee, immer am Freitag den<br />
Müll auf dem Pausenhof zu sammeln.<br />
Jeder Klassenstufe wurde ein Areal des<br />
Pausenhofes zugeteilt, den die Kinder<br />
mit Müllzangen und Handschuhen<br />
säubern sollen. Dieser Müll wird dann<br />
in großen Behältern gesammelt und in<br />
der Aula präsentiert. Die Klassenlehrkräfte<br />
betrachten nach der Pause mit<br />
ihren Klassen den Müll. So entsteht ein<br />
regelmäßiger Austausch über Müllvermeidung,<br />
Recycling oder andere von<br />
den Kindern angestoßene Thematiken.<br />
Ziel ist es, einen müllfreien Pausenhof<br />
zu schaffen. Der Verlauf wird in Fotos<br />
dargestellt und <strong>für</strong> die Kinder an einer<br />
Schautafel präsentiert. Daraus ergeben<br />
sich immer wieder Gespräche, die Ängste<br />
und Resignation der Kinder deutlich<br />
machen, aber auch zeigen, wie Partizipation<br />
und die Möglichkeit, langfristig<br />
etwas in ihrer Lebenswelt zu bewirken,<br />
die Kinder zu aktiven Gestalterinnen<br />
und Gestaltern der Gegenwart und der<br />
Zukunft machen.<br />
Müll-Rap<br />
Unser Pausenhof ist voller Dreck<br />
und der muss weg.<br />
Dieser Müll ist wirklich doof,<br />
drum räum ihn vom Hof!<br />
Schmeiß den Müll nicht auf den Boden,<br />
dann werden wir dich loben.<br />
Willst du cool sein, mach ihn weg,<br />
diesen Riesendreck!<br />
In der Recycling-Tonne,<br />
ist der Müll ’ne Wonne!<br />
Wir müssen weniger Müll produzieren,<br />
also lasst ihn uns reduzieren!<br />
Schmeiß dein’ Müll nicht aufs Gelände,<br />
dann bist du ’ne Legende.<br />
Und wirfst du den Müll ins Meer,<br />
haben wir bald kein sauberes Wasser mehr.<br />
Und wir bitten dich auch sehr,<br />
verschwende bloß kein Wasser mehr!<br />
Mit der Müllzange den Pausenhof säubern<br />
Literatur:<br />
Rieckmann, Marco (2021): <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>. merz 65 (04): 10–17.<br />
Remy, Miriam (2024): Gemeinsam sind wir<br />
stark! Selbstwirksamkeit erleben mit dem<br />
FREI DAY Lernformat. Grundschule aktuell<br />
165, 02/2024.<br />
Refrain: DER MÜLL MUSS WEG!<br />
DER MÜLL MUSS WEG!<br />
Lass das Plastikkaufen sein,<br />
kauf lieber clever ein!<br />
Pack deine Brotzeitdose ein,<br />
doch lass das Plastik daheim.<br />
Versuche, Plastik zu vermeiden,<br />
sonst muss die Erde leiden!<br />
Niemals was verschwenden,<br />
sondern alles wiederverwenden.<br />
Bist du auch so’n cooler Reimer,<br />
dann schmeiß den Müll in Eimer.<br />
Sei auch du ein Held,<br />
und rette unsre Welt.<br />
Refrain: DER MÜLL MUSS WEG!<br />
DER MÜLL MUSS WEG!<br />
(Refrain jeweils begleitet durch<br />
Müllinstrumente)<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
19
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Tatjana Seidensticker<br />
Im FREI DAY über sich hinauswachsen<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE) – dieser Grundsatz wird gerade wie<br />
die Statue einer goldenen Kuh auf die verstaubten <strong>Bildung</strong>svorgaben in Niedersachsen<br />
und anderen Bundesländern aufgesetzt. Per Erlass (RdErl. d. MK<br />
v. 1.3.2021 – Az. 23.5 80009/ 1 – VORIS 22410) soll das Verständnis der Schüler*innen<br />
und vor allem der Lehrkräfte <strong>für</strong> ökologische, ökonomische, soziale,<br />
politische, kulturelle sowie ethische und religiöse Themen gefördert werden.<br />
Jede Schule muss eine Lehrkraft <strong>für</strong><br />
BNE beauftragen. Die goldene Kuh<br />
ist wichtiger denn je – das wissen<br />
alle –, aber sie wird lieber bestaunt als<br />
geführt und gefüttert.<br />
Selbstwirksamkeit ist der<br />
Schlüssel zum eigenen Handeln<br />
Ich bin der Ansicht, dass Kinder längst<br />
ein Bewusstsein <strong>für</strong> soziale und ökologische<br />
Probleme haben. Sie engagieren<br />
sich gern politisch und verfolgen ethische<br />
Ziele, wenn sie den Raum da<strong>für</strong><br />
haben. An der Grundschule Bredenbeck<br />
ist das Lernformat FREI DAY seit<br />
Jahren verankert. In einigen Jahrgängen<br />
arbeiten die Kinder immer freitags<br />
klassenübergreifend an selbst gewählten<br />
Projekten rund um die 17 Ziele <strong>für</strong><br />
Nachhaltigkeit. Jeder Freitag beginnt<br />
mit einem Plenum, in dem jede Gruppe<br />
ihre Arbeit kurz präsentiert und Ziele<br />
<strong>für</strong> den heutigen Tag festlegt. Fragen<br />
und Tipps der anderen Schüler*innen<br />
bringen die Akteur*innen oft voran. So<br />
Wasser ist wertvoll: Julien Fischer,<br />
Mitarbeiter der UN, erforscht mit Kindern<br />
der Grundschule Bredenbeck die<br />
Bedeutung von Wasser in unserer Welt<br />
arbeiten einige Kinder an einem Vortrag<br />
über Eisbären, andere bauen Insektenhotels,<br />
Nistkästen oder entwickeln Konzepte,<br />
um Müll zu vermeiden und Strom<br />
zu sparen. Wieder eine andere Gruppe<br />
organisiert einen Spendenlauf, um mit<br />
dem Erlös ein ukrainisches Kinderheim<br />
zu unterstützen. Einige Viertklässler*innen<br />
haben mit einer Umfrage unter<br />
allen Schüler*innen festgestellt, dass<br />
viele Kinder mit dem Auto zur Schule<br />
gefahren werden. Daraufhin haben diese<br />
Kinder Holzwegweiser gebaut, um einen<br />
Fahrradweg zu beschildern – mit Erfolg:<br />
Der Fahrradständer ist voller geworden.<br />
Allein an dieser Aktion wird deutlich,<br />
dass Selbstwirksamkeit der Schlüssel<br />
zum eigenen Handeln ist. Sie ist der<br />
Motor <strong>für</strong> politisches Engagement. Die<br />
Kinder stehen den großen Herausforderungen<br />
unserer Gesellschaft nicht<br />
machtlos gegenüber. Sie können den<br />
Krisen, die sie in sämtlichen Medien<br />
meist ungefiltert sehen, wenigstens ein<br />
Stück weit aktiv begegnen. Das eigene<br />
Tun bewirkt Veränderung. In die-<br />
Selbstwirksames Handeln: Die selbst<br />
gebauten Wegweiser füllen den Fahrradständer<br />
der Schule. Weniger Kinder<br />
werden mit dem Auto gebracht<br />
Tatjana Seidensticker<br />
leitet seit zehn Jahren die Grundschule<br />
Bredenbeck, eine kleine ländliche Schule<br />
in der südlichen Region Hannover. Die<br />
Schule ist Mitglied im Netzwerk Schule im<br />
Aufbruch und hat im Dezember 2023 <strong>für</strong><br />
besonderes Engagement im Bereich BNE<br />
den Schulpreis youstartN gewonnen.<br />
sem Fall ist es der Gruppe gelungen, die<br />
gesamte Schülerschaft aufzuklären, ihr<br />
neue Wege aufzuzeigen und somit das<br />
Ziel „mehr Fahrradfahrer und weniger<br />
Autos“ zu erreichen. Unsere goldene<br />
Kuh ist lebendig, wird gestreichelt.<br />
Verschiedene Kompetenzen<br />
verzahnen sich im FREI DAY<br />
Ein weiteres Beispiel einer Gruppe von<br />
Jungen der Grundschule Bredenbeck<br />
zeigt, wie sehr sich verschiedene Kompetenzen<br />
im FREI DAY verzahnen.<br />
Lesen, Schreiben, Rechnen, religiöse,<br />
politische, ökologische, ökonomische<br />
und sportliche Fähigkeiten werden<br />
gefordert, wenn sich Kinder vornehmen,<br />
den Wald (Deister) von Bredenbeck<br />
zu retten. Große Kahlflächen im<br />
Wald, die durch Trockenheit und Borkenkäfer<br />
entstanden sind, haben die Silhouette<br />
des Deisters verändert und sind<br />
<strong>für</strong> die Menschen im Ort täglich sichtbar.<br />
Der Klimawandel ist zu einem Thema<br />
der Kinder in Bredenbeck geworden.<br />
Er betrifft sie. Die Kinder werden<br />
aktiv: Gespräche mit dem Förster vor<br />
Ort, Organisation eines Schulbasars,<br />
um die Kosten <strong>für</strong> 500 Bäume zu erwirtschaften,<br />
Termine koordinieren, Presseinformationen<br />
formulieren, sich über<br />
Pflanzbedingungen informieren, Bäume<br />
pflanzen – dabei lernen die Kinder<br />
20<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
lesen, schreiben, rechnen, recherchieren,<br />
planen, verhandeln, argumentieren<br />
und sich präsentieren. Die Lerninhalte<br />
kommen aus dem Herzen, gehen durch<br />
die Hand und bleiben im Kopf. Kinder<br />
mit unterschiedlichen Fähigkeiten<br />
können sich einbringen oder wachsen<br />
über sich hinaus.<br />
Rollen und Aufgaben der<br />
Lehrkräfte verändern sich<br />
Die Aufgabe der Lehrkraft verändert<br />
sich am FREI DAY. Sie wird zum*zur<br />
Lernbegleiter*in, öffnet Türen und Räume.<br />
Sie benötigt allerdings auch ein<br />
hohes Maß an Toleranz. Der Unterricht<br />
bewegt sich weniger in den gewohnten<br />
Abläufen und Bahnen. Er ist nicht gut<br />
planbar, erfordert Flexibilität, weil die<br />
Kinder eigene Pläne haben. Zudem wird<br />
die Arbeit am FREI DAY nicht bewertet.<br />
Das schreckt zahlreiche Kolleg*innen<br />
ab, sich mit dem neuen Lernformat zu<br />
beschäftigen. Zeit, sich auf Neues einzustellen,<br />
bleibt im Schulalltag selten. Wer<br />
allerdings einmal dabei ist, der erkennt,<br />
wie viel größer und intensiver der Lernzuwachs<br />
der Kinder durch die intrinsische<br />
Motivation in den Projekten des<br />
FREI DAYs ist. Dieser wirkt sich auf alle<br />
Fächer aus.<br />
Im FREI DAY sind alle Fächer verzahnt.<br />
Eine Vernetzung von Fächern<br />
und Kompetenzen, aber auch von Schule<br />
und schulischem Umfeld sind im<br />
Schulleben verankert. Regional sind Betriebe<br />
und Eltern in die Projekte eingebunden.<br />
Überregional helfen die Kinder<br />
beispielsweise einem Kinderheim in der<br />
Ukraine. Oder sie machen auf sich aufmerksam.<br />
So haben Kinder aus Bredenbeck<br />
den youstartN-Preis 2023 der Stiftung<br />
<strong>Bildung</strong> im vergangenen Dezember<br />
in Berlin gewonnen.<br />
Es lohnt sich, gemeinsam<br />
<strong>für</strong> ein Ziel zu arbeiten<br />
Zahlreiche Projekte, die Kinder umsetzen<br />
wollen, kosten Geld, das weder der<br />
Schulträger noch die Landesregierung<br />
zur Verfügung hat. Schon in der Grundschule<br />
lernen die Kinder, dass es sich<br />
lohnt, <strong>für</strong> ein Ziel zu arbeiten – ein Ziel,<br />
das Geld kostet. So möchte eine Gruppe<br />
von Dritt- und Viertklässler*innen der<br />
Grundschule Bredenbeck aktuell einen<br />
neuen Schulgarten bauen. Die Schüler*innen<br />
wollen damit mehr Lebensraum<br />
<strong>für</strong> Bienen schaffen und allen<br />
Kindern der Schule zeigen, wann welche<br />
Frucht reift. Sie möchten erreichen,<br />
dass die Bredenbecker Obst und Gemüse<br />
saisonal und regional kaufen und<br />
essen. Darum hat die Gruppe mit einem<br />
Tischler und einer Gartenarchitektin<br />
des Ortes gesprochen, um die Pläne<br />
zu vertiefen. Schnell wurde klar: Selbst<br />
wenn die Arbeit der beiden Expert*innen<br />
ehrenamtlich ist, muss das Holz <strong>für</strong><br />
Hochbeete erwirtschaftet werden. Darum<br />
haben die Kinder den Landwirt im<br />
Ort um Saatgut <strong>für</strong> Blühstreifen gebeten.<br />
Dieses haben die Kinder in bemalte<br />
Tüten abgepackt und sie in den Pausen,<br />
im Ort und im Umweltausschuss der<br />
Gemeinde verkauft. Zudem haben zwei<br />
Mädchen einen Spendenbrief an verschiedene<br />
Unternehmen geschrieben –<br />
einfach formuliert, aber wirkungsvoll.<br />
Das Holz konnte beschafft und große<br />
Hochbeete konnten gebaut werden.<br />
Dabei bekam die Gruppe Unterstützung<br />
von Eltern, ehemaligen Schüler*innen<br />
und natürlich dem Hausmeister. Die<br />
Erde hat ein Bauer von einem benachbarten<br />
Feld mit dem Trecker gebracht.<br />
Gleich nach Ostern sollen die gespendeten<br />
Bäume und Sträucher sowie das<br />
selbst vorgezogene Gemüse gepflanzt<br />
Vom Herz in die Hand und fest im Kopf<br />
verankert: Der Hochbeetebau motiviert,<br />
fordert und vernetzt Kompetenzen<br />
werden. Sie haben es geschafft. Die Kinder<br />
haben ihr Ziel erreicht – unter großer<br />
Anstrengung. Ob sie sich ebenso<br />
angestrengt hätten, wenn sie den Brief<br />
an die Spender als Aufsatz geschrieben<br />
hätten? Hätten sie die Kosten <strong>für</strong><br />
die Hochbeete in Form einer Textaufgabe<br />
genauso motiviert errechnet? Ich<br />
bezweifele es.<br />
Um herauszufinden, ob die Kinder im<br />
FREI DAY besser lernen, begleitet eine<br />
Gruppe von Professor*innen der Medizinischen<br />
Hochschule Hannover nun<br />
mit einer Studie die Kinder der Grundschule<br />
Bredenbeck. Eine empirische<br />
Untersuchung der Vorteile von selbstbestimmtem<br />
und selbstwirksamem Lernen<br />
könnte die goldene Kuh lebendig<br />
machen. Die <strong>Bildung</strong>svorgaben müssten<br />
angepasst und Kapazitäten <strong>für</strong> innovative<br />
Lehrkräfte und motivierte Kinder geschaffen<br />
werden. BNE darf keine Statue<br />
sein. Die goldene Kuh wird nur lebendig,<br />
wenn wir sie dazu bringen, zu fressen,<br />
sich zu bewegen und zu vermehren.<br />
Kinder haben mehr Fantasie als wir Erwachsenen.<br />
Also geben wir ihnen die<br />
Möglichkeit, ihre Ziele und ihre Zukunft<br />
zu gestalten.<br />
Stolz: Die Projektgruppe Schulgarten hat <strong>für</strong><br />
den Bau der Hochbeete hart gearbeitet. Lesen,<br />
Schreiben, Rechnen, politische, ökologische und<br />
ethische Fähigkeiten verzahnen sich dabei<br />
Hier geht es<br />
zum Video<br />
vom FREI DAY<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
21
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Andreas Potthast<br />
Auf dem Weg zur müllfreien Grundschule<br />
Im Klima-Schulnetzwerk Delbrücker Land lernen<br />
sechs Grundschulen voneinander<br />
Es ist eines der großen Querschnittsthemen der Grundschule: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE). Grundlage der thematischen Arbeit bilden die<br />
17 Nachhaltigkeitsziele der UN, die auch von Deutschland ratifiziert worden sind.<br />
Die sechs Grundschulen der Stadt<br />
Delbrück haben sich auf den<br />
Weg gemacht, gemeinsam an<br />
diesem Thema zu arbeiten und sich als<br />
Netzwerk im Landesprogramm „Schule<br />
der Zukunft“ zertifizieren zu lassen. Ziel<br />
ist es, die Zukunftskompetenz der Schülerinnen<br />
und Schüler in den Blick zu nehmen<br />
und zu fördern. Die Kinder der sechs<br />
Grundschulen sollen befähigt werden,<br />
über ihre Zukunft nachzudenken und<br />
konkrete Ideen zu deren Gestaltung im<br />
schulischen und im häuslichen Umfeld zu<br />
entwickeln. Seit dem Schuljahr 2022/2023<br />
kooperieren die sechs Grundschulen, die<br />
zudem im Arbeitskreis Delbrücker<br />
Grundschulen zusammengeschlossen<br />
sind, thematisch eng miteinander.<br />
Die Schüler*innenakademie<br />
„Wir könnten doch einfach unser eigenes<br />
Handtuch mitbringen!“ Die Idee<br />
stammt von Johannes. Der Viertklässler<br />
ist einer der Teilnehmer*innen der<br />
Delbrücker Schüler*innenakademie, die<br />
sich mit dem Thema „Auf dem Weg zur<br />
müllfreien Schule“ befasst.<br />
An zwei Vormittagen trafen sich vier<br />
bis sechs Schüler*innen aus jeder der<br />
sechs Grundschulen auf dem Stadtgebiet<br />
Delbrück. Unter der Leitung des NABU<br />
BNE Regionalzentrums in Bad Lippspringe<br />
entwickeln die Kinder nach der<br />
Methode „Zukunftswerkstatt“ Ideen zur<br />
Verbesserung der Müllsituation.<br />
Über eine „Meckerphase“, die sich<br />
mit Fragen befasst wie „Was ist schlecht,<br />
was funktioniert nicht oder was nervt?“,<br />
konnten die Kinder in einer „Traumphase“<br />
ihre Wunschschule in Zusammenhang<br />
mit der Reduzierung von Müll entwickeln.<br />
Um der Müllproblematik noch<br />
mehr Nachdruck zu verleihen, wurde an<br />
einem zweiten Tag der Zukunftswerk-<br />
statt zunächst einmal der Müll aus allen<br />
sechs Grundschulen zusammengetragen,<br />
den die Kinder jeweils im Vorfeld auf den<br />
Grundstücken aufgelesen hatten. Für die<br />
verschiedenen Probleme in den Schulen<br />
und auf den Schulhöfen wurden konkrete<br />
Lösungen gesammelt. Abschließend<br />
ging es in die Praxis. Es wurde überlegt,<br />
welche der entstandenen Ideen umsetzbar<br />
sind, welcher Unterstützung es bedarf<br />
und wann gestartet werden kann.<br />
Jede*r bringt sein*ihr<br />
eigenes Handtuch mit<br />
Die Ergebnisse der Schüler*innenakademie<br />
wurden schließlich in die verschiedenen<br />
Schulen getragen, wo es anschließend<br />
an die Umsetzung ging. So wurde<br />
die Idee von Johannes an einer Schule<br />
bereits umgesetzt. Dort bringen seit<br />
einigen Wochen die Kinder ihr eigenes<br />
Handtuch mit. Wenn die Schüler*innen<br />
während des Unterrichts zur Toilette<br />
müssen, wird das Handtuch am<br />
Waschbecken im Vorraum aufgehängt,<br />
nach dem Händewaschen benutzt und<br />
anschließend wieder mit in die Klasse<br />
genommen. Dort hängt es bis zum<br />
nächsten Einsatz an einem Haken am<br />
Tisch. Freitags nehmen die Schüler*innen<br />
das Handtuch zum Waschen mit<br />
nach Hause. Der Hausmeister der Schule<br />
wurde vom Schülerparlament gebeten,<br />
in der nächsten Zeit zu überprüfen,<br />
ob der Verbrauch der Einmalpapierhandtücher<br />
tatsächlich sinkt. An<br />
einer anderen Grundschule wurde festgestellt,<br />
dass sich zu wenige Mülleimer<br />
auf dem Schulhof befinden. Hier wurde<br />
durch einen Antrag beim Bauhof der<br />
Stadt Abhilfe geschaffen. In zwei weiteren<br />
Schulen stieß die fehlende oder<br />
nicht konsequente Mülltrennung in den<br />
Klassenräumen auf Kritik.<br />
Andreas Potthast<br />
ist seit 2002 Schulleiter. Seit 2017 leitet<br />
er den Grundschulverbund Westenholz-Hagen<br />
in Delbrück. Außerdem<br />
steht er seit 2016 als Mitglied des Ensembles<br />
Grundschulkabarett Lehrgut<br />
auf nordrhein-westfälischen Bühnen.<br />
Mail: andreas.potthast@gsvwhdel.de<br />
Beim kleinen FREI DAY<br />
sind alle sehr motiviert<br />
„Die Zukunft kann man am besten voraussagen,<br />
indem man sie selbst erfindet.“<br />
Ganz nach dem Satz des amerikanischen<br />
Informatikers Alan Kay übernehmen<br />
Kinder Verantwortung und<br />
erleben Selbstwirksamkeit. Sie merken:<br />
Sich einzusetzen, Ideen zu entwickeln<br />
und diese in die Schule und darüber<br />
hinaus weiterzugeben lohnt sich und<br />
trägt Früchte.<br />
Was beim Thema <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> besonders ins Auge<br />
sticht, ist die unglaubliche Motivation,<br />
mit der sich die Schüler*innen in Delbrück<br />
und sicherlich auch anderswo mit<br />
den Zukunftsthemen auseinandersetzen.<br />
Einmal „angezündet“, arbeiten sie ideenreich<br />
und voller Elan daran, ihre Zukunft<br />
besser zu gestalten. Diese Tatsache wiederum<br />
motiviert die Lehrer*innen, das Thema<br />
mit den Schüler*innen vor Ort anzupacken.<br />
So entstand an einer der Grundschulen<br />
in den Wochen nach der Zukunftswerkstatt<br />
der „Kleine FREI DAY“.<br />
Kinder aus einem vierten und einem<br />
zweiten Schuljahr treffen sich seitdem an<br />
22<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Ablauf der<br />
Zukunftswerkstatt<br />
Upcycling,<br />
Müllsammlung und<br />
Energieeinsparung<br />
jedem Freitag in zwei Unterrichtsstunden<br />
und arbeiten an Zukunftsthemen.<br />
Eine Gruppe befasst sich beispielsweise<br />
mit dem Thema Palmöl, während andere<br />
Kinder aus alten Kleidungsstücken<br />
schicke Taschen und Portemonnaies nähen.<br />
Diese sollen in wenigen Wochen auf<br />
einem Flohmarkt verkauft werden. Ein<br />
weiteres Team setzt sich gerade mit dem<br />
Thema Windkraft intensiv auseinander.<br />
Auf einem Trödelmarkt wollen die Kinder<br />
ihre Arbeit vorstellen und die zahlreichen<br />
Gegenstände, die von ihnen upgecycelt<br />
worden sind, verkaufen. Dann sollen<br />
auch die zu Stiftehaltern umfunktionierten<br />
Konservendosen fertig sein, die der<br />
Bürgermeister der Stadt Delbrück beim<br />
Besuch in der Schule <strong>für</strong> das neue Rathaus<br />
in Auftrag gegeben hat.<br />
Energiesparen macht Schule!<br />
Auch das ist Teil der Kooperation in<br />
Zusammenhang mit <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong>: der sorgsame Umgang<br />
mit den Energieressourcen. Energiedetektive<br />
sorgen in allen sechs Grundschulen<br />
da<strong>für</strong>, dass das Licht in den Pausen<br />
und nach dem Unterricht aus ist.<br />
Auch das Thema Stoßlüften ist den<br />
Schüler*innen präsent. Und wenn dies<br />
im Eifer des Unterrichtsgeschehens einmal<br />
zu kurz kommt, schalten sich auch<br />
die Energiedetektive ein. Hinzu kommt<br />
ein extrinsischer Motivationsfaktor.<br />
Spart die Schule Energiekosten ein, bekommt<br />
sie einen Teil davon im kommenden<br />
Jahr ausgezahlt.<br />
Netzwerktreffen als Herzstück<br />
der Zusammenarbeit<br />
Im Netzwerk Delbrücker Land geht es<br />
zudem um den Austausch der Lehrkräfte<br />
untereinander. Herzstück dabei<br />
bildet das Netzwerktreffen, das vierteljährlich<br />
unter der Leitung des NABU<br />
und des Klimaschutzmanagers der Stadt<br />
Delbrück durchgeführt wird. Hier sprechen<br />
die teilnehmenden Lehrkräfte<br />
offen über Ideen, die in einzelnen Schulen<br />
schon erfolgreich umgesetzt worden<br />
sind. So werden die Vertreter*innen der<br />
anderen Schulen animiert, diese auch<br />
auszuprobieren. „Tue Gutes und rede<br />
darüber“ könnte frei nach Goethe das<br />
Motto der Netzwerktreffen lauten.<br />
Klimabildungsgutscheine helfen<br />
Auch hiervon profitiert das Netzwerk:<br />
Die Klimakommission der Stadt Delbrück<br />
stellt jeder Schule, die im Netzwerk<br />
mitarbeitet, Klimabildungsgutscheine<br />
im Wert von jeweils 5300 Euro<br />
zur Verfügung. Dabei können aus einem<br />
Katalog von Maßnahmen passende Projekte<br />
<strong>für</strong> jede Schule ausgesucht werden.<br />
Der Besuch im ortsansässigen Wasserwerk<br />
wird dabei ebenso unterstützt wie<br />
die Fahrt auf das ehemalige Landesgartenschaugelände<br />
in Rietberg oder die<br />
Jahreszeitenwerkstatt eines Biobauernhofs<br />
im Nachbarort. Der Maßnahmenkatalog<br />
bietet Aktionen <strong>für</strong> alle Jahrgänge,<br />
wovon jede der sechs Schulen in vollem<br />
Umfang profitieren kann.<br />
Unterstützung aus dem Rathaus<br />
Auch der Bürgermeister der Stadt Delbrück<br />
unterstützt das Klima-Schulnetzwerk<br />
seiner Stadt. So besuchte er<br />
an einer der sechs Grundschulen vor<br />
Kurzem das Schüler*innenparlament,<br />
das sich derzeit schwerpunktmäßig mit<br />
dem Bereich <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> befasst. Die Schüler*innen<br />
teilten ihm ihre gesammelten Ideen zur<br />
Müllreduzierung in der Schule mit und<br />
baten um Unterstützung.<br />
Die Ergebnisse des Bürgermeisterbesuchs<br />
werden selbstverständlich beim<br />
nächsten Netzwerktreffen vorgestellt.<br />
Dann werden die Vertreter*innen aus jeder<br />
Schule sicher wieder aufmerksam zuhören,<br />
was in den übrigen Schulen passiert<br />
ist. Sie verbindet die Hoffnung, gute<br />
Ideen <strong>für</strong> die eigene Schule übernehmen<br />
zu können. Ganz nach dem Motto: „Tue<br />
Gutes und rede darüber!“<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
23
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Anja Frisch, Anton Höck<br />
Ganzheitlich, partizipativ,<br />
Zukunft gestaltend<br />
GS Pullach – eine Umweltschule in Bayern<br />
Die Auszeichnung „Umweltschule in Europa / Internationale Nachhaltigkeitsschule“<br />
ist Teil eines auf allen Kontinenten vertretenen Eco-School-Netzwerks<br />
mit fast 60.000 Schulen der Foundation for Environmental Education (F. E. E.);<br />
in Deutschland sind acht Bundesländer beteiligt. Als Netzwerk und Label ist es<br />
eines der global größten Programme <strong>für</strong> wert- und umweltbewusste <strong>nachhaltige</strong><br />
Schulen 1 . In Bayern koordiniert der Landesbund <strong>für</strong> Vogel- und Naturschutz (LBV)<br />
in Kooperation mit Umwelt- und Kultusministerium den Wettbewerb und die<br />
Auszeichnung. Es wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, der die gesamte Schule<br />
im Rahmen der Schulentwicklung unter dem Leitbild einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> (BNE) voranbringt.<br />
Die Grundschule Pullach ist seit<br />
fünf Jahren Teil dieses Netzwerkes.<br />
Anmeldung und Teilnahme<br />
waren <strong>für</strong> uns naheliegend, denn in der<br />
wohlhabenden Gemeinde im Süden<br />
Münchens mit interessanten Naturräumen<br />
entlang des Isartals und am Rande<br />
eines großen Forstgebiets bestehen hervorragende<br />
Bedingungen: Das Rathaus<br />
verfügt über ein Umweltamt mit aufgeschlossenem<br />
Gemeindeförster und eigenem<br />
pädagogischen Budget, der Kreisjugendring<br />
unterhält fußläufig zur Grundschule<br />
ein Naturerlebniszentrum und der<br />
Elternbeirat zeigt mit seinem Ausschuss<br />
Umwelt schon seit Jahren eine rege ökologische<br />
Aktivität. So lag der erste Wettbewerbsbeitrag<br />
bereits auf der Hand:<br />
Autofrei – wir sind dabei!<br />
Gleich zu Beginn eines jeden Schuljahres<br />
findet in unserer Aula unter der<br />
Schirmherrschaft der Bürgermeisterin<br />
die Auftaktveranstaltung <strong>für</strong> drei Autofrei-Wochen<br />
statt. Banner in Schul- und<br />
Rathausnähe werben <strong>für</strong> die Aktion. Veranschaulicht<br />
durch einen lustigen Sketch,<br />
erfahren schon die Schulneulinge und<br />
deren Eltern, zu welchen Problemen es<br />
führen würde, wenn alle Kinder mit dem<br />
privaten Pkw, allgemein auch Elterntaxi<br />
genannt, zur Schule gebracht werden<br />
würden. Zusammen mit den Kindern<br />
erarbeiten wir, wie wir den Schulweg<br />
sicher, an der frischen Luft und CO 2 -neutral<br />
zurücklegen können und welchen<br />
Mehrwert dies bringt. Danach werden<br />
Wegstrecken, die autofrei zurückgelegt<br />
werden, jeden Morgen dokumentiert und<br />
mittlerweile digital aufsummiert; die Kinder<br />
sehen als visualisiertes Ergebnis, wie<br />
ein Baum mit Blattstempeln immer grüner<br />
wird. Nach drei Wochen wird alles<br />
ausgewertet, einmal die Gesamtstrecke<br />
der klimaneutral zurückgelegten Kilometer<br />
(z. B. von München bis Bombay<br />
oder vom Nordkap bis Gibraltar), zum<br />
anderen werden die jeweils drei Gewinnerklassen,<br />
die im Spätherbst mit dem<br />
Förster Bäume pflanzen und nachforsten<br />
dürfen, herausgefunden. Eine Plakette<br />
an der Neupflanzung weist die Klasse<br />
aus; mittlerweile schmücken viele Bäume<br />
mit solchen Plaketten unser Gemeindegebiet<br />
und Jugendliche erinnern sich noch<br />
Jahre danach an „ihren“ Baum. Kein Kind<br />
verlässt unsere Grundschule, ohne den<br />
Zusammenhang von Klima, Kohlendioxid<br />
und Bäumen zu verstehen.<br />
Werte schätzen – unterschiedliche<br />
Tauschbörsen – ein weiteres Projekt<br />
Im letzten Schuljahr hatten wir als eines<br />
von zwei Jahresthemen „Nachhaltiger<br />
Konsum – ökologische und soziale Verantwortung“<br />
gewählt. Unser Projektthema<br />
stand unter dem Motto „Werte<br />
schätzen: Lieber tauschen, reparieren,<br />
umnutzen anstatt wegwerfen …“. Wir<br />
planten zusammen mit den Kindern<br />
ein besonderes Schulfest, bei dem dieses<br />
Motto eine zentrale Rolle spielte. Es gab<br />
Anja Frisch<br />
ist Lehrerin, Umweltbeauftragte der<br />
GS Pullach, Wald-Pädagogin.<br />
Anton Höck<br />
ist Rektor der GS Pullach, Regionalgruppe<br />
München-Oberbayern des<br />
Grundschulverbands.<br />
eine große Tauschaktion, ähnlich wie<br />
bei einem Flohmarkt. Dazu bekam jedes<br />
Kind eine Woche vor dem Schulfest<br />
einen Stoffbeutel, der, mit Namen versehen,<br />
in den einzelnen Klassen verschieden<br />
gestaltet wurde. Jedes Kind sollte<br />
in Absprache mit den Eltern drei Dinge<br />
da<strong>für</strong> aus dem Kinderzimmer aussuchen<br />
und in den Beutel geben. In den<br />
einzelnen Klassen wurden die Regeln<br />
<strong>für</strong> „Handeln und Tauschen“ besprochen<br />
und ein Zettel mit den „Spielregeln“<br />
verfasst. Dieser kam zusätzlich in<br />
jeden Stoffbeutel hinein. Jeder Tausch<br />
wurde mit Handschlag besiegelt und<br />
somit als gültig bestätigt.<br />
Die Schüler*innen waren aktiv eingebunden.<br />
Wir konnten beobachten, dass<br />
die Kinder die einfachen Tauschregeln<br />
beachteten und eigenverantwortlich umsetzten.<br />
Sie lernten Nachhaltigkeit in ih-<br />
Lotti, 4. Klasse<br />
„Unsere Schule ist eine tolle Umweltschule. Als Aktionen<br />
haben wir Autofrei, Rama dama und Pflanzaktionen.<br />
Unser Schulmaterial ist plastikfrei, der<br />
Inhalt der Brotzeitboxen verpackungsfrei. Auf dem<br />
Schulacker hat jede Klasse ihr eigenes Beet; wir<br />
ernten Gemüse und beziehen Schulobst. Unser<br />
Elternbeirat hat sogar einen Umwelt-AK.“<br />
24<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
rer ökonomischen, sozialen und ökologischen<br />
Dimension aktiv gestaltend kennen,<br />
verstanden die Auswirkungen ihres<br />
Handelns und erfuhren Selbstwirksamkeit.<br />
Indem sie gebrauchte Gegenstände<br />
wertschätzten und weiterverwendeten,<br />
bewiesen sie einen bewussten Umgang<br />
mit Ressourcen; die „Regeln des Handels<br />
und des Tauschens“ und der Handschlag<br />
lehrten soziale Verantwortung und Fairness.<br />
Die Kinder konnten aktiv das Geschehen<br />
bestimmen, brachten eigene<br />
Ideen ein und übernahmen Verantwortung<br />
<strong>für</strong> ihr Handeln.<br />
Des Weiteren entwickelten die Schüler*innen<br />
mit ihren Lehrer*innen spielerische<br />
Aktivitäten und Upcycling-Bastelaktionen<br />
wie Klopapierrollentiere, Insektenhotels<br />
aus Dosen oder Windlichter<br />
aus Gläsern und erkannten darin den<br />
Zusammenhang von Rohstoffschonung<br />
und Biodiversität. Kommunale Umweltinitiativen<br />
wie der örtliche Unverpackt-<br />
Laden und die Reparaturwerkstatt als<br />
Agenda-2030-Projekt waren eingebunden.<br />
Der Elternbeirat finanzierte die<br />
wiederverwendbaren Stoffrucksäcke und<br />
verfolgte bei der Durchführung des Festes<br />
konsequent eine plastikfreie Strategie.<br />
Mithilfe von selbst mitgebrachtem<br />
Geschirr, Mehrwegbechern und einem<br />
Wassersprudler entstand kaum Müll.<br />
Eine Schulmaterialbörse ist schon<br />
längere Zeit eine Selbstverständlichkeit;<br />
demnächst soll eine ähnliche Tauschbörse<br />
mit Haus- und Turnschuhen ins Leben<br />
gerufen werden.<br />
Das Jahresmotto „Werte schätzen“<br />
wurde auf diese Weise aktiv umgesetzt<br />
und prägte die Schüler*innen nachhaltig.<br />
Auf Wunsch der Kinder wurde ein<br />
halbes Jahr später die Tauschbörse wiederholt.<br />
Dieses Mal standen weniger<br />
Spielsachen als vielmehr Bücher, Leseund<br />
Hörmedien im Mittelpunkt.<br />
Projektorientierung und Partizipation<br />
von Anfang an – was schon<br />
gelungen ist und woran wir arbeiten<br />
Dass hier auf konstruktive Weise bereits<br />
viele Akteur*innen bestens kooperieren,<br />
stellt in Pullach eine Voraussetzung <strong>für</strong><br />
das Gelingen dar. Zusammenarbeit und<br />
Öffentlichkeitswirksamkeit bilden dabei<br />
eine unserer Stärken. Im letzten Schuljahr<br />
ist uns die Beteiligung der Schüler*innen<br />
bei der Umsetzung und der<br />
Durchführung gut gelungen. Bei der<br />
Tauschbörse (li.); Werbeplakate <strong>für</strong> den autofreien Schulweg (oben re.); auf Papier<br />
konzipiert wurde die Umgestaltung der Straße vor der Schule zur „Sommerstraße“<br />
„Können wir regelmäßig solche Aktionen und<br />
Projekte machen wie die Tauschbörsen?“, bittet<br />
ein Klassensprecher der 3. Klasse bei der Schulversammlung<br />
den Schulleiter.<br />
jeweils im Herbst vorzunehmenden Themenwahl<br />
und bei der Projektentwicklung<br />
und -steuerung erfüllen wir jedoch unsere<br />
eigenen Erwartungen noch nicht, wie<br />
wir selbstkritisch eingestehen müssen.<br />
In einer vierjährigen Grundschule mit<br />
Sechs- bis Zehnjährigen ist dies aber auch<br />
die größte Herausforderung.<br />
Auf der einen Seite werden eine<br />
– „kontinuierliche Beschäftigung der<br />
Schüler*innen mit den Handlungsfeldern“,<br />
– „langfristige Verankerung der Ergebnisse<br />
im Schulleben und dauerhafte<br />
Verhaltensänderung“,<br />
– „fortlaufende Kommunikation innerhalb<br />
der Schulgemeinschaft über<br />
Aktivitäten und Erfolge“ 2<br />
erwartet, auf der anderen Seite sind<br />
jedes Jahr wieder zwei Themen neu<br />
innerhalb vorgegebener Handlungsfelder<br />
zu wählen und weitere neue Projekte<br />
und Maßnahmen zu entwickeln.<br />
Wie Partizipation bei der Themenwahl<br />
und im Projektablauf gelingen kann, zeigte<br />
sich bei einem Kooperations- und Förderprojekt<br />
vom Kreisjugendring/Naturerlebniszentrum.<br />
Jeweils eine Klasse war<br />
eingeladen, aus den 17 Sustainable Development<br />
Goals (SDGs) ein Ziel in den<br />
Fokus zu nehmen und daraus ein konkretes<br />
Projekt zu formulieren. Hierbei gelangen<br />
sowohl die Beteiligung von Anfang<br />
an als auch eine eher begleitende Unterstützung<br />
der Schüler*innen bei der weitgehend<br />
selbstständigen Umsetzung ihrer<br />
eigenen Ideen und Vorstellungen. Als Ergebnis<br />
wurde die Straße vor der Schule in<br />
der letzten Schulwoche zu einer „Sommerstraße“<br />
umgewidmet, die weder parkende<br />
noch fahrende Autos zuließ und<br />
unseren Pausen- und Spielhof faktisch<br />
erweiterte. Es wurden ein Bücherflohmarkt,<br />
Geschicklichkeits- und Umweltspiele<br />
organisiert, Umweltplakate künstlerisch<br />
hergestellt, die Umgestaltung der<br />
Straße fantasievoll auf Papier konzipiert,<br />
das Klimamobil bestellt und eine Pressekonferenz<br />
<strong>für</strong> das Anliegen veranstaltet.<br />
Es war nicht das, was wir zu Schuljahresbeginn<br />
als Thema wählten, aber es war in<br />
jedem Schritt partizipativ, und nahm als<br />
Nachhaltigkeitsziel durch das Handeln<br />
von Kindern konkret Gestalt an.<br />
Es wäre ein wichtiger <strong>Entwicklung</strong>sschritt,<br />
wenn dieses offen pädagogische,<br />
projektorientierte, selbstwirksame Handeln<br />
beispielgebend <strong>für</strong> den (Sach-)Unterricht<br />
in den Klassen würde.<br />
Darüber hinaus ließe sich vielleicht<br />
ein „Umweltschülerrat“ in der Schule<br />
etablieren, um <strong>nachhaltige</strong>s Handeln<br />
noch mehr von unten zu initiieren, und<br />
Demokratielernen durch Demokratieleben<br />
als zentralen Aspekt von BNE zu integrieren.<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
25
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Das Ziel – Whole School Approach<br />
Die Grundschule Pullach ist noch nicht<br />
am Ziel. Immer noch erleben wir es als<br />
mühsames Add-on-Thema, zwei dokumentierbare<br />
BNE-Projekte innerhalb<br />
eines Schuljahres zu entwickeln und zu<br />
gestalten. Oftmals stehen die Handlungsfelder<br />
noch isoliert im Raum und werden<br />
erst vereinzelt mitgetragen. Hier gilt<br />
es, Stellschrauben in der Steuerung zu<br />
drehen. So sehr Nachhaltigkeit schon in<br />
unserer Schul- und Organisationskultur<br />
(Ökokiste Schulobst, Schulacker, plastikfreies<br />
Schulmaterial), in unserem Betrieb<br />
(Müllvermeidung und -trennung,<br />
Umstellung auf LED-Beleuchtung)<br />
und in den unterschiedlichen Kooperationen<br />
integriert ist, den Kernbereich<br />
unserer schulischen Arbeit, nämlich<br />
das Unterrichten und alle Lernprozesse,<br />
durchdringt <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> als Leitidee erst ansatzweise.<br />
Nur in dieser ganzheitlichen<br />
Sichtweise kann BNE zum „Motor“<br />
von Unterrichts- und Schulentwicklung<br />
werden 3 . Es ist auch eine Frage der<br />
Haltung, und deshalb wird das „Näherkommen“<br />
(approach) noch ein längerer<br />
Weg bleiben. Umso mehr wissen wir<br />
es zu schätzen, in ein Netzwerk eingebunden<br />
und durch den Erfahrungsaustausch<br />
angeregt zu sein sowie vom LBV,<br />
durchaus hilfreich begleitet, jährlich neu<br />
herausgefordert zu werden, uns dem<br />
Anspruch zu stellen. <br />
Anmerkungen:<br />
1) Weitere Informationen zum weltweiten<br />
Netzwerk unter http://www.ecoschools.<br />
global oder bei der bayerischen Landeskoordination<br />
unter www.lbv.de/umweltschule<br />
2) LBV: Umweltschule in Europa / Internationale<br />
Nachhaltigkeitsschule – Ausschreibung<br />
<strong>für</strong> Bayern – Schuljahr 2023/2024, 5<br />
3) Ebenda, 8 u. 9<br />
Lisa Münzel<br />
FREI DAY: Der Zukunftstag an<br />
unserer Grundschule Nord<br />
„Gibt es morgen wieder unseren FREI DAY?“, verabschiedet sich fragend ein<br />
Kind der Klasse 2c nach Schulschluss. Es vergeht kein Mittwoch, ohne dass diese<br />
Frage von mehreren Schüler*innen gestellt wird. Die Begeisterung <strong>für</strong> den neuen<br />
Schultag, an dem die Kinder zu den 17 Nachhaltigkeitszielen in ihrem eigenen<br />
Tempo und mit intrinsischer Motivation arbeiten können, ist riesig.<br />
Gestartet sind wir in diesem<br />
Schuljahr mit der zweiten Jahrgangsstufe<br />
als Pilotprojekt.<br />
Wöchentlich entwickelt unser<br />
Team aus drei Lehrkräften und<br />
einer Sozialpädagogin das<br />
neue Lernformat zu Themen<br />
der <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />
<strong>für</strong> unsere Grundschule<br />
weiter und passt<br />
es flexibel an die Bedürfnisse<br />
der Kinder und die<br />
Gegebenheiten an.<br />
Nach den Interessen der<br />
Kinder haben sich folgende<br />
fünf Projektgruppen gebildet:<br />
Klimaküche, Upcycling,<br />
Mensch, Wald und die Traumschule.<br />
Hier setzen die Schüler*innen<br />
ihre Ideen in einem Zeitraum<br />
von circa sechs Wochen um. Nach den<br />
Abschlusspräsentationen wählen sich die<br />
Kinder ein neues Projekt.<br />
In diesem Freiraum von wöchentlich<br />
vier Unterrichtsstunden bilden die Schüler*innen<br />
in ihren neuen Rollen als kreati-<br />
ve Entdecker und Ideensammler verschiedene<br />
Lösungsansätze <strong>für</strong> die drängenden<br />
Zukunftsfragen unserer Zeit heraus.<br />
Auch die Funktion der<br />
Lehrkraft ist neu: Wir<br />
agieren als Lernbegleiter*innen<br />
und stehen den<br />
Kindern mit all unserem<br />
Wissen zur Seite, ohne<br />
den Lernweg vorzugeben<br />
und ohne diesen<br />
zu bewerten.<br />
Der gemeinsame<br />
Start in den<br />
Zukunftstag<br />
Am Donnerstag ist es dann<br />
wieder so weit: Bepackt mit<br />
Beuteln samt leeren Milchpackungen,<br />
Joghurtbechern<br />
und Klopapierrollen<br />
betreten die Kinder das<br />
Schulgebäude. Einige der Schüler*innen<br />
bringen Eier, Äpfel, Karotten und Rezeptideen<br />
mit.<br />
Dieser Schultag beginnt anders als<br />
die anderen. Gemeinsam und voller<br />
Vorfreude starten die zweiten Klassen<br />
Hand in Hand in unseren FREI DAY in<br />
der Aula mit den „Good News“: „Zehn,<br />
neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei,<br />
zwei, eins, null: Wir gemeinsam <strong>für</strong> eine<br />
bessere Welt!“ ertönen energiegeladen<br />
die Stimmen der Kinder.<br />
Wer das Mikrofon auf der Bühne in<br />
seiner Hand hält, darf sprechen – vor<br />
großem Publikum. Immerhin sind es<br />
nicht weniger als 160 Ohren und Augen,<br />
die gespannt hören und sehen möchten,<br />
welche guten Neuigkeiten sich im kleinen<br />
oder im großen Kosmos – unserem<br />
Planeten Erde – zugetragen haben.<br />
Eine Schülerin der Klasse 2c meldet<br />
sich zu Wort: „Meine Name ist E. Ich bin<br />
in der Gruppe Wald. Die Tulpenzwiebeln,<br />
die wir auf dem Schulhof eingebuddelt haben,<br />
sind schon zu sehen.“ Tosender Applaus<br />
erklingt in der Aula.<br />
Aus der Klasse 2a steht nun ein Junge<br />
auf der kleinen Schulbühne: „Ich heiße<br />
M. aus der Gruppe Klimabüro. Ich bin<br />
verliebt.“ Wieder ertönt der Applaus.<br />
Die nächste Meldung kommt von M.<br />
aus der Klasse 2b: „Meine Gruppe heißt<br />
Mensch und ich bin froh, dass viele Helfer<br />
die Menschen im Krieg nicht alleinlassen.“<br />
26<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Lisa Münzel<br />
ist Grundschullehrerin und BNE-Ansprechpartnerin<br />
an der Grundschule<br />
Nord, Mitglied des Vereins Schule im<br />
Aufbruch, 2022 Wechsel aus Berlin<br />
nach Neubrandenburg, 2023 Einführung<br />
des neuen Lernformats.<br />
Großer Applaus füllt die kleine Aula<br />
unserer Schule.<br />
Eine Lernbegleiterin teilt die gute<br />
Neuigkeit, dass die Kinder vom Klimabüro<br />
(aus der Gruppe Traumschule) erfolgreich<br />
farbige Mülleimer <strong>für</strong> alle Klassenräume<br />
der Schule bestellen konnten.<br />
Jetzt können die Kinder vom Upcycling-Team<br />
die Schüler*innenschaft über<br />
richtige Mülltrennung informieren.<br />
Nach dieser positiven gemeinsamen<br />
Einstimmung finden sich die Kinder<br />
motiviert und voller Tatendrang in ihren<br />
selbst gewählten Arbeitsgruppen zusammen.<br />
Ehrenamtliche Expert*innen als<br />
Unterstützung in der Schule<br />
Ein wichtiger Faktor in der Begleitung<br />
von kleineren Projektgruppen ist die<br />
Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen<br />
Expert*innen.<br />
Auf der Suche nach diesem Engagement<br />
sind wir auf einer gemeinsamen Elternversammlung<br />
fündig geworden und<br />
konnten einige ehrenamtliche Helfer*innen<br />
<strong>für</strong> das neue Lernformat gewinnen:<br />
Unsere Waldgruppe wird seitdem von einem<br />
regionalen Waldexperten, dem Jäger,<br />
begleitet. Hier können die Kinder<br />
sich auf Spurensuche begeben, Bäume<br />
bestimmen und den Schulhof zum Blühen<br />
bringen.<br />
In der Kräuterschule stellt eine fachkundige<br />
Expertin mit interessierten<br />
Kindern Parfüm und Seife her und bestimmt<br />
giftige und essbare Pflanzen in<br />
der Umgebung.<br />
Eine sich bereits in Rente befindende<br />
Pädagogin und Gartenexpertin engagiert<br />
sich flexibel in der Projektgruppe, in der<br />
ein Team am meisten Unterstützung benötigt.<br />
Durch den regen Austausch mit den<br />
Eltern ergeben sich stetig neue Kooperationen:<br />
So konnten die Kinder der Gruppe<br />
Mensch bereits ein selbst geschriebenes<br />
Theaterstück bei einem Weihnachtsessen<br />
<strong>für</strong> bedürftige Menschen aufführen.<br />
Die Schüler*innen der Klimaküche<br />
ernteten fleißig Äpfel auf dem Gelände<br />
einer regionalen Wohnungsgesellschaft<br />
und verarbeiteten diese zu gesunden<br />
Pausensnacks.<br />
Kooperativ und nachhaltig in<br />
der Klimaküche: ein Einblick<br />
Die Projektgruppe Klimaküche versammelt<br />
sich im Kreis in der Mensa und erste<br />
Ideen sprudeln aus den Kindern hervor:<br />
„Ich möchte heute einen Apfelkuchen<br />
backen. Wer kommt in mein Team?“<br />
Es meldet sich ein Kind: „Ich habe Äpfel<br />
mitgebracht und möchte auch backen.“<br />
Ein weiteres Mädchen macht sich durch<br />
Handzeichen bemerkbar: „Kann ich bei<br />
euch mitmachen?“ Die anderen zwei Kinder<br />
nicken und zu dritt holen sie sich das<br />
Projektblatt ab, auf dem sie ihr Vorhaben<br />
festhalten und genau notieren, welche<br />
Zutaten benötigt werden.<br />
In der Zwischenzeit hat sich eine weitere<br />
Gruppe von Kindern geeinigt, Gemüsesticks<br />
mit Dip herzustellen. R. legt<br />
die mitgebrachten Karotten und die Gurke<br />
auf den Tisch, nur der Quark <strong>für</strong> den<br />
Dip fehlt. Schnell findet sich eine kleine<br />
Gruppe von Kindern, die einkaufen gehen<br />
möchte. Im Supermarkt gegenüber<br />
der Schule lesen wir sorgfältig jedes Etikett<br />
und achten auf den Kauf von Produkten<br />
aus der Region.<br />
Als wir das Schulgebäude nach dem<br />
Einkauf betreten, duftet es bereits im gesamten<br />
Schulgebäude nach Apfelkuchen<br />
und selbst gemachten Waffeln. Die ersten<br />
Kinder sind bereits auf dem Weg, um<br />
ihre FREI DAY-Gefährt*innen mit Gemüsesticks<br />
zu versorgen. Der Hausmeister<br />
und die Schulsekretärin schauen in<br />
der Küche vorbei, weil es einfach zu gut<br />
duftet, und ja – selbstverständlich dürfen<br />
sie probieren. Wertschätzung begegnet<br />
den Kindern heute auf allen Ebenen.<br />
Zu Beginn der vierten Stunde ist die<br />
Tafel in der Mensa reich gedeckt. Das<br />
Team der Klimaküche kommt zu einem<br />
gemeinsamen Abschluss zusammen. Es<br />
Waffeln backen in der Klimaküche<br />
Präsentation Trickfilm Zukunftsschule<br />
wird von allen Köstlichkeiten probiert,<br />
über Rezepte gesprochen und erste Ideen<br />
<strong>für</strong> die kommende Woche werden gesammelt.<br />
Im Team erledigen die Kinder<br />
abwechselnd den Abwasch und bringen<br />
die Schulküche wieder in Ordnung. Jedes<br />
Kind übernimmt gern als Teil dieser<br />
kleinen Gemeinschaft seine Aufgabe. Erfüllt<br />
und die Herzen voller neuer Ideen<br />
<strong>für</strong> die kommende Woche beenden wir<br />
im Abschlusskreis unseren Zukunftstag<br />
in der Klimaküche.<br />
Das Lernformat FREI DAY wurde von<br />
der Organisation Schule im Aufbruch entwickelt<br />
und soll deutschlandweit bis 2025<br />
an 13.500 Schulen umgesetzt werden.<br />
In Mecklenburg-Vorpommern sind wir<br />
die erste Grundschule, die mit dem neuen<br />
Lernformat <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
fest im Stundenplan verankert.<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
27
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Jaqueline Simon, Toni Simon<br />
Auf in die (Stadt)Wildnis!<br />
Wildnisbildung als Beitrag zu einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> (BNE) – auch in der Primarstufe<br />
Zur Lösung der globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wie Klimawandel,<br />
Naturkatastrophen, Ressourcenverknappung wird dem Leitbild der<br />
<strong>nachhaltige</strong>n <strong>Entwicklung</strong> eine große Bedeutung zugesprochen. Für die Umsetzung<br />
einer BNE werden seit mittlerweile 20 Jahren die besonderen Potenziale<br />
der Wildnisbildung diskutiert – dennoch ist diese Konzeption in der Primarpädagogik<br />
bisher weitgehend unbeachtet geblieben.<br />
Wildnisbildung knüpft am Thema<br />
Wildnis an, das u. a. bezogen<br />
auf Kernprobleme des globalen<br />
Wandels öffentlich, politisch und<br />
wissenschaftlich diskutiert und als geeignetes<br />
Thema <strong>für</strong> eine BNE gilt (DUK<br />
2015). Sie zielt auf das sinnlich-leibliche<br />
Erleben von wilder bzw. verwildernder<br />
Natur sowie darauf, dass komplexe Systemzusammenhänge<br />
verstanden, Nachhaltigkeitsfragen<br />
hinsichtlich des Mensch-<br />
Bei Wildnisbildung sollen keine eigenen<br />
Spuren hinterlassen, fremde ggf. sogar<br />
beseitigt werden. Doch was passiert mit<br />
diesem Schuh? Entfernt man ihn, oder ist<br />
er bereits ein Teil der Natur geworden?<br />
Zentrale Themenfelder der Wildnisbildung sind:<br />
Natur-Verhältnisses kritisch reflektiert<br />
sowie Möglichkeiten und Grenzen <strong>nachhaltige</strong>ren<br />
Handelns erörtert werden (vgl.<br />
Lindau/Mohs/Reinboth 2021).<br />
Was ist das Besondere<br />
von Wildnisbildung?<br />
Wildnisbildung entstand Anfang der<br />
2000er-Jahre als ein eigenständiger<br />
Bereich der Natur- und Umweltbildung<br />
in Nationalparks. Beeinflusst wurde sie<br />
von Konzeptionen wie z. B. der Umwelterziehung,<br />
dem Flow-Learning, der<br />
Rucksackschule oder der Öko-Umwelt<br />
Erlebnis- und Wildnispädagogik (vgl.<br />
Hottenroth/van Aken/Hausig/Lindau<br />
2017). Von diesen grenzt sich Wildnisbildung<br />
allerdings wie folgt ab:<br />
1. Sie bezog sich ursprünglich nur auf<br />
Jugendliche und Erwachsene und wurde<br />
nur in Nationalparks umgesetzt.<br />
2. Das Erleben wilder Räume und der<br />
Wirkmächtigkeit von Natur wird durch<br />
(zum Teil extreme) Grenzerfahrungen,<br />
also unvorhergesehene Situationen, die<br />
das Überschreiten persönlicher Grenzen<br />
verlangen und stark belastend sein<br />
können, verstärkt.<br />
a) das Ökosystem Wildnis<br />
b) die Wertschätzung von Wildnis<br />
c) Gerechtigkeit, Verantwortung und Empathie<br />
d) Wildnis als „Gegenwelt“<br />
e) Suffizienz (gezielter Verzicht z. B. auf Komfort wie fließendes Wasser oder Handys<br />
bzw. sparsamer Umgang mit Ressourcen und die Reflexion von Konsumverhalten)<br />
f) das eigene und das gesellschaftliche Mensch-Natur-Verhältnis<br />
Bezogen auf diese Themenfelder werden ökologische, ökonomische, soziale und politische<br />
Fragen in Zusammenhang mit dem Erleben von wilden bzw. verwildernden<br />
Räumen erörtert.<br />
Jaqueline Simon,<br />
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,<br />
Lehrkraft <strong>für</strong> besondere Aufgaben<br />
Dr. Toni Simon,<br />
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
3. Das Erleben des Kontrasts zwischen<br />
wilden und anthropogen genutzten Räumen<br />
(Grenz- und Kontrasterfahrung)<br />
wird angeregt.<br />
4. Eingriffe in die Natur müssen stets<br />
minimal bleiben (Prinzip „minimal<br />
impact“) und sind kritisch auf ihre Notwendigkeit<br />
zu prüfen (das <strong>für</strong> tradierte<br />
Umweltbildung geläufige Bauen eines<br />
„Tipis“ aus Totholz oder Landart werden<br />
daher eher als problematisch gesehen).<br />
Wildnisbildung – auch in der Stadt?<br />
Seit 2016 hält Wildnisbildung auch Einzug<br />
in den (sub)urbanen Raum sowie<br />
damit einhergehend in die Bereiche<br />
der Elementar- und Primarpädagogik.<br />
Wichtige Impulse hier<strong>für</strong> wurden mit<br />
dem durch die Deutsche Bundesstiftung<br />
Umwelt (DBU) von 2016 bis 2021 geförderten<br />
Projekt „Wilde Nachbarschaft“<br />
(www.mlu.de/495g7) gesetzt. Das Projekt<br />
verfolgte u. a. die Ziele der Wildnisbildung<br />
noch stärker als Strömung von<br />
BNE zu etablieren und sie auf Basis eines<br />
modernen Wildnisverständnisses räumlich<br />
zu entgrenzen – raus aus Nationalparks,<br />
rein in (sub)urbane Räume. Dem<br />
liegt das Verständnis zugrunde, dass<br />
Wildnis auch in kleinen Räumen und i. S.<br />
verwildernder Flächen vorkommt. Hier-<br />
28<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Auch in der Stadt kann man viele (ver)wilde(rnde)<br />
Räume finden<br />
Wenn Wildnis und Stadt aufeinandertreffen – Kontrasterfahrungen<br />
lassen sich auch in der Stadt gut sammeln<br />
zu zählen z. B. Brachflächen, Wohngebiete<br />
mit großflächigem Abstandsgrün,<br />
(Stadt-)Wälder – also Orte, an denen<br />
der Mensch weniger oder gar nicht mehr<br />
gestaltet und sich Natur frei entfalten<br />
kann.<br />
Wildnisbildung – auch<br />
in der Primarstufe?<br />
Durch das Projekt Wilde Nachbarschaft<br />
wurden erstmals Konzepte <strong>für</strong> Wildnisbildung<br />
mit Kindern im Elementar- und<br />
Primarbereich entwickelt. Wichtig hier<strong>für</strong><br />
war u. a. die kritische Auseinandersetzung<br />
mit bis dahin geltenden Prinzipien<br />
und Methoden von Wildnisbildung<br />
hinsichtlich möglicher und nötiger<br />
Adaptionen (z. B. Simon 2022), wie<br />
beispielsweise:<br />
a) mehr Zeit <strong>für</strong> das Explorieren und<br />
Erleben des Ortes (u. a. zum emotionalen<br />
Ankommen)<br />
b) mehr körperbasierte, ästhetische und<br />
handlungsorientierte Zugangsweisen<br />
c) Barrierereduktionen z. B. mithilfe digitaler<br />
Medien (auf die nach dem Suffizienzprinzip<br />
eigentlich verzichtet wird),<br />
sodass beispielsweise komplexe oder langsam<br />
ablaufende Prozesse, die die Fähigkeit<br />
starker Abstraktion oder Imagination voraussetzen,<br />
entwicklungsgerecht aufbereitet<br />
werden (z. B. Folgen der Beeinträchtigung<br />
von Mykorrhizen im Wald; Nachvollziehen<br />
von Kontrasten zwischen verwildernden<br />
und stark genutzten Räumen)<br />
d) Limitation von Grenzerfahrungen<br />
zur Vermeidung von Kindeswohlgefährdung<br />
Wildnisbildung als Neuland<br />
der Primarpädagogik<br />
Die <strong>für</strong> eine BNE seit etwa 20 Jahren<br />
relevante Wildnisbildung ist <strong>für</strong> die Primarpädagogik<br />
noch immer Neuland,<br />
denn erst jüngst finden ihre Rezeption<br />
und Weiterentwicklung <strong>für</strong> die Primarstufe<br />
statt (v. a. seitens der Sachunterrichtsdidaktik;<br />
siehe Simon 2022).<br />
Eine umfangreichere und konkrete<br />
Anregung <strong>für</strong> Wildnisbildung im urbanen<br />
Raum mit Kindern haben Lindau,<br />
Simon und Simon (2023) vorgelegt.<br />
Beispielhafte Fragen und Methoden <strong>für</strong> Wildnisbildung im urbanen Raum<br />
(orientiert an den Bereichen Erleben, Erkennen, Bewerten, Handeln):<br />
Wo und wie gewinnt die Natur in der Stadt Räume zurück? Wo und wie findet Verwilderung<br />
statt?<br />
• städtische Räume erkunden und die Wirkmächtigkeit von Natur entdecken<br />
• darüber sprechen, wie Räume aussehen würden, wenn der Mensch sie in Ruhe ließe,<br />
wo und warum das wichtig sein könnte<br />
• sich fragen, ob es auf dem Schulgelände (oder zu Hause) Räume gibt, die verwildern<br />
können, damit sich Flora und Fauna ausbreiten<br />
• Wie alt können Bäume werden und warum sind sie wichtig?<br />
• einen <strong>für</strong> die Kinder möglichst mächtig wirkenden Baum multisensorisch wahrnehmen<br />
(Was sehe, fühle, rieche, höre ich?), sein Alter schätzen und dann ermitteln (z. B. mit<br />
einem Maßband, siehe Lerneinheit „Wie alt ist ein Baum“ von Wilde Nachbarschaft)<br />
• darüber sprechen, ob es den Baum schon gab, als die (Ur-)Großeltern jung waren<br />
• über die Bedeutung von Bäumen und ihre menschengemachte/-beeinflusste Gefährdung<br />
sprechen<br />
• Möglichkeiten des Schutzes von Bäumen besprechen, ggf. einen Baum pflanzen<br />
Wildnisbildung braucht Zeit – zum<br />
emotionalen Ankommen, zum Ruhen<br />
und zum Staunen<br />
Auch Tiere<br />
erobern sich<br />
Räume zurück<br />
(hier ein<br />
Taubennest)<br />
Diese zielt u. a. auf das Erkunden eines<br />
Stadtwaldes zur Sensibilisierung <strong>für</strong> klimabedingte<br />
Schäden v. a. in Monokulturwäldern<br />
ab. Diese exkursionsdidaktische<br />
Konzeption, die auch der Förderung<br />
von Raumkonzepten z. B. durch<br />
subjektives Kartieren dient, kann mitsamt<br />
Hinweisen zur unterrichtlichen<br />
Vor- und Nachbereitung, zu didaktischen<br />
Materialien etc. kostenfrei online<br />
abgerufen werden (unter https://doi.<br />
org/10.25656/01:27137).<br />
Weitere unterschiedlich umfangreiche<br />
zielgruppenspezifische Lerneinheiten<br />
können auf der Website von Wilde<br />
Nachbarschaft abgerufen werden (unter<br />
www.mlu.de/495g7).<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa166Lit<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
29
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Siglinde Spuller<br />
Spielen, Feiern und Entdecken<br />
„Elementare Interaktion“ als fächerübergreifendes Prinzip<br />
Durch Aktivitätsformen wie Spielen, Feiern und Entdecken entsteht ein lebendiger<br />
und fächerübergreifender Lernraum, der zur Interaktion einlädt. Gerade Inhalte<br />
einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> werden so auf greifbare und einprägsame<br />
Weise vermittelt und in das Erleben und das Handeln der Lernenden eingebunden.<br />
Beim fächerübergreifenden Unterrichten<br />
gibt es keine klare, einheitliche<br />
Definition in der Fachliteratur.<br />
Stattdessen findet man viele ähnliche<br />
Bezeichnungen, die nebeneinander existieren.<br />
Moegling (2010) versteht darunter<br />
alle handlungsorientierten Problemlösungen,<br />
bei denen unterschiedliche Fachperspektiven<br />
zusammengeführt werden.<br />
Huber (2011) hingegen differenziert in<br />
die Kategorien „fächerübergreifend“ und<br />
„fächerverbindend“. Während erstere von<br />
einem Fach ausgeht und dessen Grenzen<br />
inhaltlich überschreitet, wird bei letzterer<br />
ein bestimmtes Thema in mehreren<br />
Fächern zeitgleich behandelt. In diesen<br />
Kontext lässt sich <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> als „inter- und transdisziplinärer<br />
Bereich“ (Hauenschild/Bolscho<br />
2022) einordnen. Sie erfordert nicht nur<br />
fachspezifisches Wissen, sondern auch<br />
die Fähigkeit zu vernetztem Denken, eine<br />
Wahrnehmung aus verschiedenen Perspektiven<br />
sowie ein Handeln in komplexen<br />
Situationen (vgl. Overwien 2016).<br />
Spiele, Feste und digitale<br />
Entdeckerwerkstätten<br />
Im Unterricht kommen Prinzipien des<br />
fächerübergreifenden und gemeinsamen<br />
ko-konstruktiven Lernens vor allem bei<br />
Aktivitäten des Spielens, des thematischen<br />
Feierns und auch in interaktiven<br />
digitalen Entdeckerwerkstätten zum Einsatz.<br />
Hier können Kinder auf ganzheitliche<br />
Weise durch körperliche Bewegung,<br />
sensorische Wahrnehmung, kognitive<br />
Verarbeitung sowie positive emotionale<br />
Reaktionen und soziale Interaktionen<br />
agieren. Ganz im Sinne einer <strong>Bildung</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> liegt der<br />
Schwerpunkt nicht auf „Bedrohungsund<br />
Elendsszenarien“ (Haan 2007), sondern<br />
vielmehr darauf, „etwas über kreative<br />
Lösungen zu lernen“ (ebd.). Dies soll<br />
anhand von drei fächerübergreifenden<br />
und interaktiv ausgerichteten Umsetzungsmöglichkeiten<br />
<strong>für</strong> den Unterricht<br />
der Grundschule zum Thema „Bienen“<br />
transparent gemacht werden. Studierende<br />
der Martin-Luther-Universität Halle-<br />
Wittenberg haben diese in Seminaren des<br />
Arbeitsbereichs der fächerübergreifenden<br />
Grundschuldidaktik entwickelt.<br />
Brettspiel – „Die Reise zum Honig“<br />
„Spiele überraschen uns immer wieder,<br />
nehmen einen unvorhergesehenen<br />
Verlauf, lassen sich mit Themen verbinden,<br />
die zunächst völlig unvereinbar<br />
mit einem Spielgeschehen erscheinen“<br />
(Heimlich 2023). „Die Reise zum Honig“<br />
(https://blogs.urz.uni-halle.de/sdg-interactivelearning/download-spiele/)<br />
ist ein<br />
informatives Brettspiel über die Entstehung<br />
von Honig, aber auch über die ökologischen<br />
Bedingungen sowie die anthropogenen<br />
Einflüsse auf das Bienenleben.<br />
Das Spiel behandelt das aktuelle Thema<br />
des Bienensterbens und untersucht die<br />
menschlichen Handlungen, die dies verursachen.<br />
Es bietet interessante Einblicke<br />
in Möglichkeiten, wie man im täglichen<br />
Leben zum Schutz der Bienen beitragen<br />
kann. Neben der Vermittlung wichtiger<br />
Fakten über das Bienenleben und die<br />
Dr. Siglinde Spuller,<br />
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />
Bereich der Fächerübergreifenden<br />
Grundschuldidaktik an der Martin-<br />
Luther-Universität Halle-Wittenberg.<br />
Honigproduktion unterstützt das animierende<br />
Spiel die Förderung des Umweltbewusstseins<br />
und des Verständnisses<br />
<strong>für</strong> komplexe ökologische Zusammenhänge.<br />
Die Spielkomponenten umfassen<br />
ein Spielbrett, Ereignis- und Fragekarten,<br />
Etappenkärtchen, Spielfiguren und<br />
einen Würfel. Gelangt man auf ein orangefarbenes<br />
Feld, darf man sich entscheiden,<br />
ob man eine Ereigniskarte oder eine<br />
Fragekarte ziehen möchte. Eine Frage<br />
könnte sein: „Wie viele Blumen bestäubt<br />
eine Biene an einem Tag? 40 oder 100<br />
oder 7000 (richtig)“. Eine Ereigniskarte<br />
beschreibt eine <strong>für</strong> die Bienen hilfreiche<br />
oder negative Situation, welche eine<br />
Aktion erfordert, so zum Beispiel „Der<br />
Nektar schmeckt so lecker wie noch nie.<br />
Gehe zwei Felder vor!“. Wer das Ziel als<br />
Erste*r überfliegt, war die fleißigste Biene<br />
und hat ihren*seinen Topf Honig gefüllt.<br />
Abb. 1:<br />
Brettspiel<br />
„Die Reise zum<br />
Honig“ von<br />
Anna Lena<br />
Fischer und<br />
Elaine Hager<br />
30<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Themenfest – „Der Flug der Bienen“<br />
Die Konzeption des Themenfests basiert<br />
auf einem besonderen Ansatz des projektbasierten<br />
Lernens, der verschiedene<br />
Disziplinen unter einem bestimmten<br />
Thema fächerübergreifend in festiver<br />
Weise miteinander verknüpft. Hierbei<br />
werden Kinder zu Akteur*innen ihres<br />
Lernprozesses, indem sie Inhalte eigenständig<br />
erschließen und während des<br />
Unterrichts sowie des Festes souverän<br />
Verantwortung übernehmen. Diese zwei<br />
Elemente, Fest und Unterricht, sind<br />
untrennbar miteinander verbunden,<br />
da das Fest organisch aus den durchgeführten<br />
Projekten erwächst. Die festlichen<br />
Aktivitäten, wie der Bienentanz,<br />
humorvolle Aspekte (Witze), informative<br />
Rätsel, theatralische Darstellungen<br />
von Bienengeschichten und interaktive<br />
Spiele, sind wie die Teile eines Puzzles,<br />
die flexibel an die individuellen Bedürfnisse<br />
der Klasse angepasst werden können.<br />
Das Bienenfest, wie auch alle<br />
anderen Festkonzeptionen, ist als kleines<br />
Booklet verfasst, welches direkt im<br />
Abb. 2: Themenfest „Der Flug der Bienen“<br />
von Lisa-Marie Mann, Sarah Herrmann,<br />
Marie Hoffmann und Markus Hampel<br />
Unterricht eingesetzt werden kann und<br />
in dessen Anhang sich viele interessante<br />
Internetlinks zum Thema und zu Unterrichtsmaterialien<br />
befinden.<br />
Zudem werden die eingeladenen Familienmitglieder<br />
aktiv in das Festgeschehen<br />
einbezogen, um eine intensive<br />
Partizipation zu ermöglichen. Dies<br />
kann zum Beispiel in einem gemeinsamen<br />
Spiel mit den Familien geschehen<br />
oder durch eine quizartige PowerPoint-<br />
Präsentation, die im Stil eines Infotainments<br />
Unterhaltung und Information<br />
in geschickter Weise miteinander verbindet.<br />
Abschließend bietet das Fest<br />
ein köstliches Buffet, das den informellen<br />
Austausch zwischen allen Beteiligten<br />
fördert. Im Rahmen einer Erziehungsund<br />
<strong>Bildung</strong>spartnerschaft trägt dieser<br />
abschließende Teil des Festes dazu bei,<br />
soziale Interaktion durch positive Gesprächsanlässe<br />
bereitzustellen, Vertrauen<br />
aufzubauen und zu stärken und eine<br />
Atmosphäre der Zusammengehörigkeit<br />
zu schaffen. Jedes Fest ist ein Unikat und<br />
damit einzigartig!<br />
Digitale Entdeckerwerkstatt –<br />
„Die spannende Welt der Bienen“<br />
Die virtuelle Pinnwand eröffnet die<br />
Möglichkeit, Inhalte aus unterschiedlichen<br />
Fächern in verschiedenen Formaten<br />
wie Texten, Bildern, Videos und<br />
Links zu teilen und gemeinsam zu bearbeiten.<br />
Diese flexible Plattform eignet<br />
sich sowohl <strong>für</strong> digitales als auch<br />
<strong>für</strong> analoges Lernen und schafft eine<br />
fächerübergreifende und interaktive<br />
Lernumgebung. Die kreative Nutzung<br />
Website „sdg-interactive learning“<br />
Website zu Spielen, Festen, digitalen<br />
Entdeckerwerkstätten und Projekten<br />
rund um das Thema „<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> / Globales Lernen“<br />
Eine Vielzahl von Materialien, sowohl die<br />
hier dargestellten als auch zahlreiche<br />
weitere zum Themenbereich „<strong>Bildung</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> / Globales<br />
Lernen“ stehen auf der Website<br />
„sdg-interactive learning“<br />
(https://blogs.urz.uni-halle.de/sdginteractivelearning/)<br />
kostenlos zum<br />
Download zur Verfügung.<br />
Diese Seite wird<br />
kontinuierlich<br />
aktualisiert und<br />
erweitert.<br />
ermöglicht es den Schüler*innen, spielerisch<br />
und handlungsorientiert in Einzel-,<br />
Partner- oder Gruppenarbeit <strong>nachhaltige</strong><br />
und globale Themen zu erforschen.<br />
Parallel dazu entsteht ein analoges<br />
Themenheft, das als individuelles<br />
und selbst hergestelltes Erinnerungsund<br />
Nachschlagewerk <strong>für</strong> das Kind und<br />
die gesamte Familie dient.<br />
In der Entdeckerwerkstatt „Die spannende<br />
Welt der Bienen“ begrüßt die Bienenkönigin<br />
Sabine die Kinder und begleitet<br />
sie als freundliche Ansprechpartnerin<br />
durch die einzelnen Stationen. Die<br />
„Flugroute“ verschafft den Kindern einen<br />
strukturierten Überblick über die<br />
verschiedenen Themen und dient gleichzeitig<br />
als Stationszettel zum Abhaken.<br />
Die konzeptionelle Ausrichtung der abwechslungsreichen<br />
Werkstatt knüpft an<br />
das bestehende Vorwissen der Kinder an.<br />
Mithilfe eines QR-Codes werden sie eingeladen,<br />
ihre vorhandenen Kenntnisse<br />
über Bienen zu aktivieren. Anschließend<br />
bietet die Entdeckerwerkstatt detaillierte<br />
Informationen über den Aufbau der Bienen,<br />
gewährt Einblicke in ihren Lebensraum<br />
und die Aufgabenverteilung innerhalb<br />
des Bienenstocks. Sie weist auf Gefahren<br />
hin, thematisiert wichtige Schutzmaßnahmen,<br />
erläutert die Entstehung<br />
von Honig und sensibilisiert <strong>für</strong> den unverzichtbaren<br />
Nutzen der Bienen <strong>für</strong> das<br />
Ökosystem. <br />
Abb. 3: Digitale Entdeckerwerkstatt „Die spannende Welt der Bienen“ von<br />
Rieke Beyer, Luise Löscher, Jael Hanis und Tina Szewczyk<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa166Lit<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
31
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Petra Dippold, Jutta Nikel, Angelika Jany<br />
Biosphärenschulen schaffen<br />
Gestaltungsräume <strong>für</strong> BNE<br />
Die <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE) ist in der Nationalen Naturlandschaft<br />
„Biosphärengebiet Schwäbische Alb“ fest verankert. Viele Akteur*innen<br />
der <strong>Bildung</strong>sarbeit haben das Konzept der BNE in einer Modellregion <strong>für</strong><br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> wie einem Biosphärengebiet angestoßen und entwickeln<br />
dieses kontinuierlich weiter. Inhalte und Strukturen der BNE sind im<br />
Rahmenkonzept unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten des<br />
Biosphärengebiets darzulegen und Maßnahmen in enger Zusammenarbeit mit<br />
bestehenden <strong>Bildung</strong>strägern umzusetzen (MAB, 2020).<br />
Der Nationale Aktionsplan BNE<br />
des Bundesministeriums <strong>für</strong><br />
<strong>Bildung</strong> und Forschung (2023)<br />
fordert, BNE als Gesamtaufgabe des<br />
<strong>Bildung</strong>swesens zu etablieren und diese<br />
strukturell zu verankern. Als geeignete<br />
Maßnahme wird unter anderem<br />
die Zertifizierung von <strong>Bildung</strong>seinrichtungen<br />
bzw. -angeboten genannt.<br />
Für die <strong>Bildung</strong>sarbeit in den Nationalen<br />
Naturlandschaften (NNL) spielen<br />
das BNE-Verständnis des Programmes<br />
„Der Mensch und die Biosphäre“<br />
(BMBF 2018, 98 ff.) und das BNE-Leitbild<br />
der NNL eine zentrale Rolle (vgl.<br />
NNL 2023). BNE wird hier als neues<br />
Konzept und nicht als eine Weiterentwicklung<br />
der Umweltbildung ver-<br />
Im Streuobst-Unterricht lernen die Schüler*innen<br />
spielerisch und erlebnisreich<br />
den Lebensraum Streuobstwiese kennen<br />
An einer Biosphärenschule durchläuft<br />
jedes Schulkind in seiner vierjährigen<br />
Grundschulzeit verschiedene Unterrichtsmodule<br />
und hat so nicht nur die<br />
Möglichkeit, das Biosphärengebiet zu entdecken<br />
und komplexe Zusammenhänge<br />
besser zu verstehen, sondern rückt vor allem<br />
das <strong>nachhaltige</strong> Handeln im Schulalltag<br />
in den Mittelpunkt. Das Projekt<br />
erreicht über die Grundschulen und die<br />
damit verbundene Schulpflicht alle Kinder<br />
des Einzugsgebiets. So werden auch<br />
Kinder integriert, die im Alltag weniger<br />
Zugang zu Natur und Nachhaltigkeit haben.<br />
Die Inhalte der Unterrichtsmodule<br />
orientieren sich an den Kernthemen des<br />
Biosphärengebiets wie biologische Vielfalt,<br />
Natur und Landschaft, Kultur, Handwerk<br />
sowie Land- und Forstwirtschaft.<br />
Die Module sind fest im Schulkonzept<br />
bzw. im Curriculum/Jahresplan verankert<br />
und schaffen einen regionalen Bezug zum<br />
<strong>Bildung</strong>splan. Die klassenorientierten<br />
und -übergreifenden Aktionen geben den<br />
Schulen Planungssicherheit im Jahresverlauf.<br />
Das Lernen findet regelmäßig außerhalb<br />
der Schule auf der Streuobstwiese,<br />
der Wacholderheide, auf dem Acker oder<br />
im Wald, kurzum in der Natur- und Kulturlandschaft<br />
statt. Die Kinder haben so<br />
die Möglichkeit, mit allen Sinnen und<br />
gemeinsam im Klassenverband das Biosphärengebiet<br />
vor ihrer Schultür zu entstanden.<br />
Damit rückt neben Naturerfahrung<br />
und dem Wissenserwerb das Handeln<br />
und das gesellschaftliche Gestalten<br />
stärker ins Zentrum: „Damit <strong>Bildung</strong>sprozesse<br />
zur Gestaltung eines verantwortlichen<br />
Verhältnisses von Mensch und Natur<br />
und der Menschen untereinander befähigen,<br />
ist […] eine integrative Betrachtungsweise<br />
erforderlich“ (BMBF 2018, 99).<br />
Auf dieser Basis hat die Geschäftsstelle des<br />
Biosphärengebiets Schwäbische Alb den<br />
Dreiklang ENTDECKEN – VERSTEHEN<br />
– GESTALTEN definiert, an dem sich alle<br />
Lernangebote orientieren.<br />
Das Projekt „Zertifizierung von Schulen<br />
im Biosphärengebiet Schwäbische Alb als<br />
Biosphärenschulen“ spricht Grund- und<br />
weiterführende Schulen an und bietet mit<br />
dem Zertifizierungsprozess eine Orientierung,<br />
wie diese Lernangebote zu BNE sukzessive<br />
bildungsplankonform entwickeln<br />
und die Verankerung von BNE im Schulalltag<br />
voranbringen können. Die Auszeichnung<br />
der Schulen erfolgt nach einjähriger<br />
<strong>Entwicklung</strong>sphase auf der Basis<br />
der Erfüllung von acht Kriterien (vgl.<br />
BSG Schwäbische Alb 2019). Bei diesen<br />
handelt es sich um formal zu erfüllende<br />
Kriterien, Kriterien der Dokumentation<br />
der Maßnahmen und der Öffentlichkeitsarbeit<br />
sowie um Kriterien der inhaltlichen<br />
Ausgestaltung. Die Schule verpflichtet sich<br />
mit der Auszeichnung zu einem ganzheitlichen<br />
institutionellen Ansatz, der darauf<br />
zielt, Lernen mit Themen des Biosphärengebiets<br />
im Sinne der BNE im (Ganztags-)<br />
Schulalltag und in der Schulgemeinschaft<br />
zu verankern. Durch einen Beschluss der<br />
Gesamtlehrerkonferenz startet die Kooperation,<br />
die durch die Geschäftsstelle des<br />
Biosphärengebiets Schwäbische Alb begleitet<br />
wird.<br />
Umsetzungsbeispiele zur Verdeutlichung<br />
von Möglichkeiten <strong>für</strong> Schulen<br />
• Anschaffung und Haltung von Honigbienen,<br />
im insektenfreundlichem Garten. Ausgehend<br />
hiervon entdecken die Schüler*innen Zusammenhänge<br />
zwischen Wildbiene und Honigbiene<br />
sowie Bestäubung und Ernte.<br />
• Umgestalteter Schulhof mit naturnahen Erlebnisräumen<br />
wie Hochbeet, Blühwiese mit<br />
Insektenhotel, Barfußpfad und heimischen<br />
Stauden. Der Schulhof wird gezielt in den<br />
Unterricht einbezogen. Fragen von Artenvielfalt,<br />
Lebensräumen und Bedingungen unter<br />
Klimawandel sowie Nutzungskonflikte auf<br />
dem Schulhof werden zum Thema.<br />
• Pflanzung, ganzjährige Beobachtung und<br />
Pflege eines „Schul-Apfelbaums“ auf einer<br />
Streuobstwiese (siehe Bild) ermöglichen die<br />
Thematisierung von Kreisläufen in der Natur<br />
sowie einer <strong>nachhaltige</strong>n Nutzung des Lebensraums.<br />
32<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Von links:<br />
Petra Dippold, Regionalmanagerin/<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>, Biosphärengebiet<br />
Schwäbische Alb e. V., korrespondierende Autorin: p.dippold@verein-biosphaerengebiet-alb.de<br />
Dr. Jutta Nikel, Institut <strong>für</strong> Erziehungswissenschaft, Pädagogische Hochschule Freiburg<br />
Angelika Jany, Büro werKstatt.landschaft GbR Reutlingen, Projektkoordinatorin Biosphärenschulen<br />
Schwäbische Alb<br />
decken. Es werden Pädagog*innen gewonnen<br />
(z. B. Streuobst- oder Waldpädagogik)<br />
sowie weitere außerschulische Akteur*innen<br />
(Expert*innen bzgl. Imkerei,<br />
Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Schutzgebiet),<br />
welche die Schulen bei der Umsetzung<br />
der Unterrichtsmodule begleiten.<br />
Der ganzheitliche Ansatz der Biosphärenschulen<br />
reicht über eine reine Wissensvermittlung<br />
hinaus. Kinder werden befähigt,<br />
komplexen Fragestellungen nachzugehen,<br />
Zusammenhänge zu verstehen,<br />
künftige <strong>Entwicklung</strong>en zu bewerten und<br />
vor allem selbst ins <strong>nachhaltige</strong> Handeln<br />
zu kommen (siehe Kasten auf S. 32). Der<br />
gemeinsame Einsatz <strong>für</strong> z. B. den Erhalt<br />
der Artenvielfalt und das Verstehen von<br />
<strong>nachhaltige</strong>n Lebens- und Arbeitsweisen<br />
im Klassen- oder im Schulverband stärkt<br />
den sozialen Zusammenhalt und trägt zur<br />
Persönlichkeitsentwicklung bei.<br />
Das Projekt „Zertifizierung von<br />
Grundschulen im Biosphärengebiet<br />
Schwäbische Alb als Biosphärenschulen“<br />
wurde 2018 gestartet und mittlerweile<br />
sind zehn Grundschulen ausgezeichnet.<br />
Die Zertifizierung ist seit 2020 auch <strong>für</strong><br />
weiterführende Schulen möglich. Hier<br />
wurden 2023 sechs Schulen der Sekundarstufe<br />
ausgezeichnet.<br />
Chance und Herausforderung zugleich<br />
stellt die Vernetzung im Projekt<br />
dar: Im Laufe des Projektes ist bereits ein<br />
vertrauensvolles und effektives Netzwerk<br />
aus Schulen, Schulträgern, Schulamt, außerschulischen<br />
Akteur*innen sowie der<br />
Geschäftsstelle des Biosphärengebiets<br />
Schwäbische Alb entstanden. Jährliche<br />
Fortbildungen und Netzwerktreffen bieten<br />
den Schulen die Möglichkeit, sich<br />
untereinander auszutauschen und Synergieeffekte<br />
zu schaffen. Dieses Netzwerk<br />
gilt es in Zukunft weiterhin zu stärken<br />
sowie den Aufbau von schulspezifischen<br />
Netzwerken nachhaltig zu fördern.<br />
Auf Ebene der Einzelschule werden<br />
durch die Erweiterung der Zertifizierung<br />
auf weiterführende Schulen schulstufen-<br />
und schulartspezifische Unterschiede<br />
deutlich: Es entsteht eine heterogene<br />
Gruppe an Biosphärenschulen,<br />
die mit unterschiedlichen Personal- und<br />
Rahmenbedingungen sowie unterschiedlichen<br />
Ausrichtungen hinzukommen.<br />
Häufiger Personalwechsel, vor allen an<br />
den Grundschulen, und die großen Kollegien<br />
an den weiterführenden Schulen<br />
haben zur Folge, dass das Konzept der<br />
Biosphärenschulen sowie der BNE im<br />
Allgemeinen immer wieder „in Erinnerung“<br />
gerufen werden muss. Eine enge<br />
und offene Absprache im Kollegium<br />
über die Kooperation sowie die Durchführung<br />
der Module ist wichtig.<br />
Eine Evaluierung der Zertifizierung erfolgte<br />
im Jahr 2020/2021 durch die Pädagogische<br />
Hochschule Freiburg (Nikel,<br />
Rollett & Stüwe 2021). In einer qualitativen<br />
Interviewstudie wurde untersucht,<br />
ob und wie es den sieben Pilotschulen<br />
gelungen ist, Lernangebote/Lernen mit<br />
Themen des Biosphärengebiets im Sinne<br />
der BNE im (Ganztag-)Schulalltag und<br />
in der Schulgemeinschaft zu verankern<br />
und wie dieser Prozess durch die Zertifizierung<br />
bzw. die Erfüllung der Kriterien<br />
unterstützt wird. Die Ergebnisse zeigen,<br />
dass Schulen einen klaren Mehrwert in<br />
der Teilnahme resümieren, machen aber<br />
gleichzeitig deutlich, dass Schulentwicklungsprozesse<br />
eines „langen Atems“ bedürfen.<br />
Beides verdeutlichen die Worte<br />
einer Schulleiterin eindrücklich (s. Kasten<br />
unten). <br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa166Lit<br />
Die Biosphärenschule<br />
Die Lindenschule in Unterlenningen bei Stuttgart ist eine ein- bis zweizügige<br />
Grundschule mit einer Vorbereitungsklasse sowie einer angegliederten<br />
Grundschulförderklasse. Als Biosphärenschule, die im Jahr 2020 erstmalig<br />
ausgezeichnet wurde, hat sie sich <strong>für</strong> die jährlichen Unterrichtsmodule zur Erarbeitung<br />
von Fragestellungen rund um Schaf, Streuobstwiese, Getreide und<br />
Kartoffel entschieden. So wird in Klasse 1 das Modul „Mit Schafen den Teckberg<br />
erhalten?“ durchgeführt. Die Schüler*innen gehen dieser Fragestellung nach<br />
und begleiten über ein Jahr hinweg eine Schafherde. Ziel ist es, gemeinsam zu<br />
erarbeiten, wie Schafhaltung und Erhalt von Kulturlandschaften zusammenhängen<br />
und was dies mit dem eigenen Handeln zu tun hat (Einkaufen von<br />
Kleidung und Fleisch, Verhalten beim Spazierengehen). Selbst aktiv werden die<br />
Schüler*innen bei der Wollverarbeitung und filzen allerlei Wolliges. Folgender<br />
Interviewausschnitt gibt aus der Perspektive von Schulleiterin M. Amann (SL)<br />
Einblicke in schulische Veränderungsprozesse in der Lindenschule (März 2024):<br />
I: Was hat sich an Ihrer Schule seit der Teilnahme am Biosphärenschulen-<br />
Programm verändert?<br />
SL: Also, ich würde sagen, dass wir unseren roten Faden gefunden haben. Das<br />
einfach ganz klar ist, auf was wir Wert legen, wie unsere Aktionen und Feste<br />
auch im Jahreslauf sind, was im Schulprogramm ist und was evtl. auch jede*r<br />
Lehrer*in <strong>für</strong> sich noch zusätzlich anders machen kann. […] Und verändert hat<br />
sich auch, dass irgendwie sich so langsam jetzt Dinge fügen. Also, dass wir oft<br />
von außen Anfragen bekommen, hey, wir könnten euch da unterstützen […].<br />
Wo ich gar nicht aktiv auf die Suche gehen muss […].<br />
I: Wie kann man sich das vorstellen, dass sich eine Schule auf den Weg<br />
macht?<br />
SL: Es kommt mir vor wie ein „Spinnennetz weben“. Also, dass man eben mal<br />
wo anfängt, an einer Stelle, und sich aber auch nicht zu viel vornimmt, sondern<br />
sagt, jetzt starten wir mal da und dann ergibt sich immer wieder ein anderer<br />
Faden: in einer anderen Klasse, mit einem anderen externen Partner, was auch<br />
immer. Und so wächst das irgendwie und manchmal lässt man einen Faden<br />
wieder los, weil man sagt, das passt jetzt eigentlich nicht so gut.<br />
I: Sie arbeiten mit außerschulischen Partner*innen. Wie hat dies das Lernen<br />
an der Schule verändert?<br />
SL: Für die Kinder ist es klar, zu dem Thema gibt es Expert*innen und der*die<br />
Lehrer*in ist jetzt nicht er*die Expert*in <strong>für</strong> alles. Und da kann man dann auch<br />
speziellere Fragen stellen. Ich glaube, das ist ganz wichtig <strong>für</strong> die Kinder, das<br />
einfach auch zu sehen, dass wir [Lehrer*innen] jetzt nicht die Allwissenden sind,<br />
sondern eben auch mitlernen mit ihnen an ganz vielen Stellen der Thematik.<br />
Und das ist, glaube ich, auch wichtig, mit auf den Weg zu nehmen.<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
33
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Julia Kristin Langhof<br />
Spielerisch zukunftsfähiges<br />
Denken und Handeln fördern<br />
Was wäre, wenn …? (vgl. ebd.). Was wäre, wenn zukunftsfähiges Denken und<br />
Handeln schon in jungen Jahren gefördert und Nachhaltigkeit von klein auf gelernt<br />
wird? Was wäre, wenn Kinder ihre Rechte kennen und lernen, aktiv ihre<br />
Zukunft mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen? Was wäre, wenn<br />
wir in unseren Grundschulen mehr spielen und stärker Zukunftskompetenzen<br />
wie Kreativität und kritisches Denken fördern, statt Arbeitsblätter abarbeiten zu<br />
lassen? Was wäre, wenn Schule ein Ort ist, wo die Stärken jedes Kindes entdeckt<br />
und gefördert werden? Was wäre, wenn wir unsere Vorstellungskraft nutzen, um<br />
Schule und Lernen neu zu denken? Was wäre, wenn …?<br />
Im Rahmen des an der Universität<br />
Trier <strong>für</strong> alle Grundschullehramtsstudierenden<br />
in den <strong>Bildung</strong>swissenschaften<br />
verpflichtenden Bachelorseminars<br />
„Demokratie- und Menschenrechtsbildung“<br />
haben sich Studierende<br />
im Wintersemester 2023/2024 anhand<br />
des Themas „Kinderrechte = Zukunftsrechte“<br />
(Dozentin: Dr. Julia Langhof)<br />
solche „Was wäre, wenn …“-Fragen<br />
gestellt und nach Antworten gesucht.<br />
Kinder haben Rechte<br />
Im Kontext der UN-Kinderrechtskonvention,<br />
der 17 Ziele <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> der Agenda 2030 sowie der<br />
im September 2023 in Genf vom UN-<br />
Kinderrechtsausschuss verabschiedeten<br />
Allgemeinen Bemerkung Nr. 26 zu Kinderrechten<br />
und Umwelt mit besonderem<br />
Fokus auf Klimawandel rezensierten<br />
die Studierendn zum Thema „Kinderrechte<br />
= Zukunftsrechte“ Sach(bilder)bücher<br />
(siehe hierzu auch Franz<br />
et al. 2023). Anschließend wurden von<br />
der Seminargruppe zwei Bücher aus-<br />
Sachbilderbücher zum Thema<br />
Kinderrechte = Zukunftsrechte<br />
Ziel war es, in Kleingruppen möglichst<br />
<strong>nachhaltige</strong> Spiele und Spielverpackungen<br />
(Upcycling) zu entwickeln, mit denen<br />
Future-Skills gefördert werden. Die Spiele<br />
sollten eine <strong>für</strong> Kinder verständliche<br />
Spielanleitung inklusive Reflexionsfragewählt,<br />
mit denen in Hinblick auf das<br />
Recht, zu spielen (Art. 31 UN-Kinderrechtskonvention),<br />
weitergearbeitet wurde.<br />
Hierbei handelte es sich um die beiden<br />
Bücher „Die besten Weltuntergänge“<br />
von Andrea Paluch und Annabelle<br />
von Sperber sowie „Mach dich stark <strong>für</strong><br />
eine bessere Welt“ von Keilly Swift, das<br />
2021 <strong>für</strong> den Deutschen Kinderbuchpreis<br />
nominiert wurde.<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> spielerisch fördern<br />
„Das Spiel ist die höchste Form der Forschung“<br />
(Albert Einstein)<br />
Zu den beiden Büchern wurden in<br />
Kleingruppen Spiele zu BNE-Themen<br />
(u. a. SDG 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“)<br />
entwickelt und erprobt, die<br />
Future Skills/21st Century Skills (siehe<br />
hierzu auch Langhof 2024) fördern sowie<br />
zukunftsfähiges Denken und Handeln<br />
bei Grundschulkindern stärken<br />
sollen. Lernspiele sind nicht nur motivierend.<br />
Die entwickelten Spiele unterstützen<br />
ein fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip,<br />
denn <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> ist Querschnittsaufgabe<br />
und wird im besten Fall im Sinne eines<br />
Whole School Approachs ganzheitlich<br />
mit Kooperationspartnern umgesetzt.<br />
Das 4-K-Modell –<br />
Zukunftskompetenzen stärken<br />
Um in einer komplexen BANI-Welt<br />
(Cascio 2020), die sich als brüchig,<br />
ängstlich, nicht linear und unbegreiflich<br />
zeigt, gut zurechtzukommen, braucht es<br />
Dr. Julia Kristin Langhof<br />
arbeitet als Akademische Rätin in der<br />
Abteilung Grundschulforschung und<br />
Pädagogik der Primarstufe an der Universität<br />
Trier. In Lehre und Forschung<br />
befasst sie sich aktuell u. a. mit der<br />
spielerischen Förderung von zukunftsfähigem<br />
Denken und Handeln.<br />
Lern- und Innovationsfähigkeiten. Im<br />
4-K-Modell finden sich vier zentrale<br />
Kompetenzen <strong>für</strong> das Lehren und Lernen<br />
im 21. Jahrhundert:<br />
Kreativität meint, Neues denken, arbeiten<br />
und lernen zu können.<br />
Kritisches Denken impliziert, selbst<br />
denken, arbeiten und lernen zu können.<br />
Kollaboration bedeutet, mit anderen<br />
zusammen denken, arbeiten und lernen<br />
zu können.<br />
Kommunikation beinhaltet, eigenes<br />
Denken, Arbeiten und Lernen (mit)teilen<br />
zu können (Battelle for Kids 2019;<br />
Muuß-Merholz 2017).<br />
Die Seminarteilnehmenden hatten die<br />
Aufgabe, ein Spiel <strong>für</strong> Grundschulkinder<br />
zu entwickeln, mit dem die 4 K gefördert<br />
werden. Durch die Spielentwicklung und<br />
-erprobung im Seminar wurden die Zukunftskompetenzen<br />
der Studierenden<br />
gefördert.<br />
Nachhaltige Spiele entwickeln<br />
34<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
„Spiel der Welten“<br />
gen zum Spiel sowie einen ergänzenden<br />
didaktischen Kommentar <strong>für</strong> die Lehrkraft<br />
enthalten, der z. B. über benötigte<br />
Vorkenntnisse informiert. Ein besonderes<br />
Augenmerk lag auf der Reflexion der<br />
Fragen, wie Demokratie- und Menschenrechtsbildung<br />
sowie Future-Skills durch<br />
das jeweilige Spiel gefördert werden sollen.<br />
Hier<strong>für</strong> wurden den Studierenden<br />
von der Dozentin zur Strukturierung folgende<br />
Vorlagen zur Verfügung gestellt.<br />
Im Seminarkontext wurden bewusst<br />
analoge Spiele entwickelt, da sich die Studierenden<br />
in ihrem Studiumsverlauf im<br />
Zusammenhang mit Diagnostik und Differenzierung<br />
noch intensiv mit digitalen<br />
Lernapps befassen werden, bei denen sich<br />
weiteres Lernspielpotenzial anbietet. Unter<br />
den entwickelten Spielen befinden sich<br />
sowohl bekannte adaptierte Spielformate<br />
wie Activity, Domino, Leiterspiel, Memory<br />
oder Tabu als auch weitere Quizformate,<br />
Glücksrad bis hin zu neueren Spielideen<br />
in Form von Exit-Games. Die teilnehmenden<br />
Studierenden haben erstmalig<br />
ein Spiel entwickelt. Zum Teil wurden<br />
z. B. Spielfiguren aus alten Weinkorken<br />
gebastelt oder kreative Spielverpackungen<br />
aus „Müll“ gestaltet.<br />
Exemplarisch werden nachfolgend<br />
drei Spielformate vorgestellt, mit denen<br />
Nachhaltigkeit gelernt werden kann.<br />
Escape-Game<br />
„Flut“ (oben)<br />
Beispiel 1: „Spiel der Welten“<br />
Orientiert am Brettspielklassiker „Spiel<br />
des Lebens“ entwickelte die Kleingruppe<br />
zu unterschiedlichen Weltuntergängen,<br />
die im Buch „Die besten Weltuntergänge“<br />
gezeigt und beschrieben werden,<br />
ein „Spiel der Welten“, bei dem die Kinder<br />
erleben sollen, dass auch sie etwas in<br />
unserer Welt verändern können und ein<br />
Recht auf Mitsprache haben. Da<strong>für</strong> muss<br />
das eigene Handeln reflektiert werden.<br />
Im Spielverlauf müssen sich die Kinder<br />
immer wieder neu entscheiden, in welcher<br />
Welt sie leben wollen, um am Ende<br />
des Spiels in eine Endwelt zu gelangen.<br />
Hierbei sind kritisch und kreativ Reflexionsfragen<br />
zu beantworten, die sich<br />
damit auseinandersetzen, wie wir aktiv<br />
dazu beitragen, die Welt, in der wir<br />
leben, mitzugestalten und <strong>für</strong> ihr Wohlergehen<br />
zu sorgen. Außerdem ist die<br />
eigene Vorstellungskraft gefragt in Hinblick<br />
auf die Frage, wie wir leben wollen.<br />
Beispiel 2: Escape-Games „Flut“ und<br />
„Raus aus der Pandemie“<br />
Bei den Escape-Games sind als Team in<br />
begrenzter Zeit unterschiedliche Rätsel<br />
zu lösen, um einen Code zu knacken.<br />
Gemeinsam müssen Problemlösungsstrategien<br />
entwickelt werden. Kritisches<br />
Denken und Kreativität sind gefordert,<br />
genauso wie Kommunikation und Kollaboration.<br />
Beim Lösen der Rätsel kommen<br />
fächerübergreifende Aspekte zum Tragen<br />
(z. B. Inhalte aus den Fächern Deutsch,<br />
Mathematik, Sachunterricht). Sollten<br />
Kinder Schwierigkeiten haben, ein Rätsel<br />
zu lösen, unterstützen Tippkarten.<br />
Beispiel 3: „Umweltdetektive“<br />
Bei dem Spiel „Umweltdetektive“ steht<br />
das Thema „Klimawandel“ im Vordergrund.<br />
Ein grundlegendes<br />
Verständnis<br />
<strong>für</strong> Prozesse<br />
und Folgen<br />
des Klimawandels<br />
inklusive der Auswirkungen<br />
auf das<br />
Leben von Menschen<br />
und Tieren<br />
soll mit dem<br />
Spiel gefördert<br />
werden. Als Umweltdetektive sollen<br />
die Kinder darüber nachdenken, was<br />
der Umwelt schadet und was das Klima<br />
schützt. Mögliche Lösungsansätze sollen<br />
gemeinsam diskutiert werden. Integriert<br />
sind Tipps <strong>für</strong> umweltfreundliche<br />
Handlungsmöglichkeiten, um die eigene<br />
Zukunft nachhaltig mitzugestalten.<br />
„Ich hätte nicht gedacht, dass man<br />
durch Spielen so viel lernen und Demokratiebildung<br />
fördern kann.“ So lautet<br />
das Feedback einer teilnehmenden Studierenden.<br />
In ihren Seminarreflexionen<br />
verweisen die Studierenden darauf,<br />
dass ihnen teilweise zu Beginn des Seminars<br />
nicht klar war, was Demokratiebildung<br />
ist, und dass sie überrascht waren,<br />
wie viele Themenbereiche (z. B. Familie,<br />
Kinderrechte, Migration, Umwelt)<br />
sich dahinter verbergen. Neben der theoretischen<br />
Verortung nehmen die Studierenden<br />
konkrete Realisierungsmöglichkeiten<br />
mit, wie sie in der Schulpraxis<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>,<br />
Demokratiebildung und Future-Skills<br />
fördern können (zu den Wirkungen einer<br />
grundschuldidaktischen Auseinandersetzung<br />
auf die Beliefs Studierender<br />
zu Demokratie- und Menschenrechtsbildung<br />
siehe Langhof/Franz 2024).<br />
Spiele zu entwickeln und zu erproben<br />
ist nicht nur eine effektive Methode, um<br />
Zukunftskompetenzen bei angehenden<br />
Lehrpersonen zu fördern und sie <strong>für</strong> das<br />
Thema Future-Skills zu sensibilisieren,<br />
sondern auch ein Weg, um Future-Skills<br />
bei Grundschulkindern zu stärken. Im<br />
Sinne eines pädagogischen Doppeldeckers<br />
(Wahl 2002) äußerten die Studierenden<br />
den Wunsch, in ihrem späteren<br />
Unterricht Lernspiele zu integrieren und<br />
Grundschulkinder eigene Spiele entwickeln<br />
zu lassen.<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa166Lit<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
35
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Marion Gutzmann<br />
Kinderbücher zum<br />
Thema BNE<br />
Unsere Erde ist einzigartig. Um die Zukunft auf unserem Planeten zu sichern,<br />
stecken seit 2015 die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen<br />
wegweisend den Rahmen <strong>für</strong> die <strong>Entwicklung</strong> einer gerechten<br />
Welt ab. Auch Kinder werden mit wichtigen Themen wie Umweltverschmutzung,<br />
Klimawandel, Naturschutz, erneuerbare Energien, hochwertige <strong>Bildung</strong><br />
und Gesundheit konfrontiert. Die Bücher zum Thema bieten eine große Palette<br />
an Zugängen und Unterstützung zur Thematik – gezielt mit ausdrucksstarken<br />
Illustrationen und Grafiken und kindgerechten Texten gestaltet. Bücher <strong>für</strong> alle,<br />
denen die Zukunft der Erde am Herzen liegt und die nicht nur mitreden, sondern<br />
auch handeln wollen. An uns allen liegt es, etwas zum Guten zu wenden<br />
und heute mitzuentscheiden, in welcher Welt und an welchen lebenswerten Orten<br />
Menschen in Zukunft leben können.<br />
Jede Doppelseite des Bilderbuches von Judith Drews widmet sich<br />
einem der 17 Ziele <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>. In einer Präambel<br />
verweist die Autorin einführend auf die Einzigartigkeit der Welt<br />
und die Verantwortung jedes Einzelnen, die Ziele bis 2030 zu<br />
erreichen. Übersichtlich werden nachfolgend alle 17 Ziele auf einer<br />
Doppelseite mit kurzen Überschriften und „Wir wollen …“-Sätzen<br />
vorgestellt – z. B. Ziel 13 mit dem Titel „Maßnahmen zum Klimaschutz“<br />
und der Formulierung „Wir wollen viel, viel mehr Klimaschutz<br />
und gute Ideen da<strong>für</strong>“. Dazu finden sich zu zu jedem Ziel auf je einer<br />
Doppelseite eine thematisch passende Illustration mit Kindern als<br />
Protagonist:innen und zum Ziel 13 der Satz „Wir brauchen DICH, weil du weißt, dass wir<br />
unser Klima schützen müssen, damit wir noch lange auf der Erde leben können“. Auch wenn<br />
die Kinder zu jedem Ziel direkt angesprochen werden, wie bereits auf dem Cover mit „Wir<br />
brauchen dich!“, betreffen die Ziele keinesfalls nur die Kinder. Eine gemeinsame Lektüre des<br />
mit alltäglichen Situationen in verschiedenen Ländern ausdrucksstark illustrierten Buchs<br />
mit Erwachsenen ist unverzichtbar – tragen sie doch<br />
insbesondere die Verantwortung <strong>für</strong> die notwendigen<br />
politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen. Im<br />
April 2023 hat die Deutsche Akademie <strong>für</strong> Kinder- und<br />
Jugendliteratur den Titel als Klimabuchtipp des Monats<br />
gewählt. (ab 5 Jahren)<br />
Judith Drews (2023):<br />
Die 17 Ziele der UN <strong>für</strong><br />
eine bessere Welt<br />
Verlagshaus Jacobi & Stuart<br />
48 Seiten, 15,00 €<br />
Oliver Jeffers<br />
möchte mit<br />
seinem bisher<br />
persönlichsten<br />
Buch, das er zur<br />
Geburt seines<br />
Sohnes Harland<br />
geschrieben hat,<br />
kindgemäß die<br />
Welt in ihrer Vielfalt erklären – respektvoll<br />
und einfühlsam, mit wenigen präzise<br />
gewählten Worten und eindrücklichen<br />
Bildern als Anleitung zum Leben<br />
auf der Erde. Das kunstvoll gestaltete<br />
Bilderbuch lebt von wundervollen Bildideen<br />
– z. B. auf den ersten Seiten, auf<br />
denen unser Sonnensystem als eines<br />
von Billionen Sonnensystemen und die<br />
Erde als große, im All schwebende Kugel<br />
vorgestellt wird. Die Vorstellung der<br />
Erde endet mit den Worten „So, das ist<br />
sie also, die Erde. Pass gut auf sie auf, sie<br />
ist alles, was wir haben.“ Oliver Jeffers<br />
gelingt es, aus einer persönlichen Intention<br />
heraus Werte wie Achtsamkeit,<br />
Wissen um Nachhaltigkeit und Respekt<br />
vor dem Umgang miteinander, mit der<br />
Natur, den Tieren anzusprechen. Der<br />
Spiegel-Jahresbestseller 2019 bei Sachbüchern<br />
<strong>für</strong> Kinder, ausgezeichnet mit<br />
dem Leipziger Lesekompass 2019 sowie<br />
dem Goldenen Raben 2018, macht<br />
neugierig auf das Leben auf unserem<br />
Planeten, erzeugt Respekt vor der Vielfalt<br />
des Lebens und schenkt Zuversicht<br />
<strong>für</strong> die Zukunft mit der Ermutigung,<br />
nachzufragen: „Und wenn ich mal nicht<br />
da bin, kannst du immer noch jemand<br />
anderes fragen. Denn du wirst nie allein<br />
sein auf der Welt.“ (ab 4 Jahren)<br />
Oliver Jeffers (2018):<br />
Hier sind wir<br />
Aus dem Englischen<br />
NordSüd Verlag<br />
48 Seiten, 18,00 €<br />
Das Buch von der englischen Tierärztin Dr. Jesse French, die sich leidenschaftlich <strong>für</strong> den Naturschutz einsetzt,<br />
sensibilisiert Kinder <strong>für</strong> das wichtige Thema Umwelt und wie unsere Umwelt generell besser geschützt und bewahrt<br />
werden kann. So geben Zahlen und Fakten, leicht verständliche Infografiken und anschauliche Abbildungen<br />
einen umfassenden Einblick in das Thema Müll, veranschaulichen, wie Müll entsteht, was er <strong>für</strong> die Umwelt<br />
bedeutet und wie Müll vermieden werden kann. Es geht nicht nur um klassischen Müll, Recycling, Plastik,<br />
Elektro- und Weltraumschrott, sondern auch um Luftverschmutzung und erneuerbare Energien. So erfahren<br />
die Kinder z. B., dass der Müll, der weltweit in einem Jahr produziert wird, in Lastwagen verladen 24-mal als<br />
Lkw-Schlange um die Erde reichen würde. Oder dass 92 Prozent der Menschen auf der Erde dreckige Luft<br />
atmen, dass der gigantische größte Müllteppich, der große pazifische Müllstrudel im Pazifischen Ozean, etwa<br />
dreimal so groß wie Frankreich ist und aus ungefähr 1,8 Billionen Abfallteilen besteht. Oder dass es auf der Erde 3000 Milliarden<br />
Bäume gibt und jedes Jahr 15 Milliarden gefällt werden oder mehr als 500.000 kleine und große<br />
Schrottteile im Weltraum um die Erde kreisen und die ganz kleinen Teile sich mit einer Geschwindigkeit<br />
von bis zu 28.163 km/h fortbewegen und wie Geschosse Löcher in Raumschiffe schlagen können.<br />
Sehr anschaulich wird die Aufmerksamkeit auf bestimmte Fakten gelenkt und damit weden Denkanstöße<br />
zum Umdenken gegeben. Ein Vorwort der NAJU, ein Begriffsglossar und eine Auflistung und<br />
Kurzbeschreibung von Umweltschutzorganisationen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz am<br />
Ende des Buches runden das leicht zugängliche Kindersachbuch ab. (ab 7 Jahren)<br />
Jesse French (2019):<br />
So viel Müll<br />
Aus dem Englischen<br />
Dorling Kindersley<br />
72 Seiten, 12,95 €<br />
36<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Das von Adelina Lirius illustrierte großformatige<br />
Sachbilderbuch mit den vertieft geprägten<br />
Buchstaben des Titels auf dem Cover und den<br />
farbenfrohen, mit Liebe zum Detail gestalteten<br />
Illustrationen weckt schon beim ersten<br />
Betrachten das Interesse am Thema. Loll Kirby<br />
erzählt von zwölf Jungen und Mädchen, die<br />
sich <strong>für</strong> unseren Planeten einsetzen, und zeigt,<br />
was Kinder auf der ganzen Welt durch ihr Engagement<br />
<strong>für</strong> Natur, Umweltschutz und Erhalt des Planeten erreichen<br />
können. So werden zunächst alle zwölf Kinder auf einer Doppelseite<br />
vorgestellt und wo<strong>für</strong> sie sich in ihrem Land engagieren – z. B. Felix aus<br />
Deutschland, der sich <strong>für</strong> die Wiederaufforstung einsetzt und Mitbegründer<br />
von Plant for the Planet ist, oder Amy und Ella aus England,<br />
die sich mit Kids Against Plastic <strong>für</strong> die Abschaffung von Einwegplastik<br />
engagieren, oder Enuita aus Kenia, die mit einem Gemeinschaftsgarten<br />
Insekten schützt und die natürliche Blütenbestäubung unterstützt.<br />
Auf jeweils einer Doppelseite werden die Kinder mit einem Kurzsteckbrief<br />
(Name, Land, Ziel) und ihren Projekten in kurzen Texten vorgestellt<br />
und Möglichkeiten erläutert, mit denen man sich aktiv <strong>für</strong> dieses<br />
Anliegen einsetzen kann. Das Vorwort von Anna Taylor, die sich bereits<br />
seit ihrer Jugend <strong>für</strong> den Klimaschutz einsetzt, die zahlreichen Tipps<br />
am Ende des Buches – zehn<br />
Tipps, um zur Rettung der Welt<br />
beizutragen, und zehn Tipps, um<br />
gehört zu werden – sowie die<br />
entsprechenden Links <strong>für</strong> die<br />
weitere Lektüre runden das Buch<br />
ab. (ab 4 Jahren)<br />
Loll Kirby (2020):<br />
Groß genug,<br />
die Welt zu retten<br />
Aus dem Englischen<br />
Insel Verlag<br />
32 Seiten, 16,95 €<br />
Auch im Sachbuch „Palmen am<br />
Nordpol“ wird das anspruchsvolle<br />
Thema Klimawandel informativ<br />
und unterhaltsam <strong>für</strong> Leser:innen<br />
ab zehn Jahren aufbereitet. Marc<br />
ter Horst schlägt in seinem Sachbuch<br />
zunächst einen Bogen in die<br />
Vergangenheit bis zur Entstehung<br />
der Erde, um die heutigen Herausforderungen verständlich<br />
zu machen. „Einst standen Palmen am Nordpol. Könnt<br />
ihr euch das vorstellen? … In ferner Zukunft wachsen ja<br />
vielleicht wieder welche dort“, heißt es in seiner Einleitung.<br />
Das Buch führt pointiert und humorvoll über den Urknall,<br />
Dinosaurier, Urkontinente und Megatiere sowie die Entdecker<br />
des Treibhauseffekts bis hin zu dem von Menschen<br />
gemachten Klimawandel und was man dagegen machen<br />
sollte und auch muss. Mit einem Abschiedsbrief an Kohle,<br />
Erdgas und Erdöl, der Vorstellung von sechs Energiequellen<br />
der Zukunft und klimafreundlicheren Methoden der Energieerzeugung<br />
sowie einem Resümee über das ständige Hin<br />
und Her in Sachen Klimawandel beschließt der Autor sein<br />
Klimabuch. Das witzige Klima-Bingo am Schluss des Buches<br />
regt an, Ereignisse anzukreuzen, sobald sie auftreten – z. B.<br />
„erstes Algenkraftwerk“.<br />
Und nicht zu<br />
vergessen: Dieses<br />
Buch ist klimafreundlich<br />
gedruckt!<br />
(ab 10 Jahren)<br />
Marc ter Horst (2020):<br />
Palmen am Nordpol<br />
Aus dem Niederländischen<br />
Gabriel Verlag<br />
184 Seiten, 19,00 €<br />
Der Klett-Kinderbuch-Verlag hat<br />
mit dem Sachbuch „Am Arsch der<br />
Welt und andere spannende Orte“,<br />
das u. a. mit dem JugendSachbuch-<br />
Preis 2022 ausgezeichnet worden<br />
ist, ein Buch vorgelegt, das Wichtiges<br />
aus Kindersicht vom Leben auf<br />
diesem Planeten mit seinen Wundern<br />
und Gegensätzen darstellt.<br />
Mit einem vielgestaltigen Blick auf<br />
unsere Welt haben Birk Grüling und Tine Schulz 25 Karten<br />
bzw. Schaubilder mit interessanten, auch lustigen Fakten<br />
aus der ganzen Welt zusammengetragen. Klischeearm<br />
und vielfältig wird das Leben der Menschen, vor allem<br />
auch der Kinder, dargestellt. Dieses großformatige Kartenbuch<br />
lädt zu einer ungewöhnlichen Weltreise ein mit<br />
Fragen wie z. B.: Wo auf der Welt ist es extrem kalt, extrem<br />
heiß, extrem nass, extrem trocken? Welche Länder trifft<br />
der Klimawandel am stärksten, welche am wenigsten?<br />
Welche wichtigen Kinderrechte gelten, welche Rechte<br />
haben Mädchen weltweit, welche Strafen <strong>für</strong> Kinder gibt<br />
es in anderen Ländern? Wo sind Kinder auf der Flucht?<br />
Was essen Kinder woanders zum Frühstück und was sind<br />
die verrücktesten Gesetze weltweit? Die kindgerechte<br />
Darstellung von ernsten Themen wie auch die skurrilen<br />
Informationen im Buch erklären Kindern Nachrichten aus<br />
aller Welt, die sie besser einordnen und verstehen können,<br />
und bietet einen<br />
wunderbaren Lesespaß.<br />
(ab 6 Jahren)<br />
Birk Grüling (2022):<br />
Am Arsch der Welt und<br />
andere spannende Orte<br />
Klett Kinderbuch<br />
64 Seiten, 20,00 €<br />
Warum fällt ein Grad beim Wetter kaum auf?<br />
Warum hat ein Grad aber <strong>für</strong> das Klima gravierende<br />
Auswirkungen? Das mit vielen Auszeichnungen<br />
versehene informative Sachbuch – u. a. Leipziger<br />
Lesekompass 2020, Gustav-Heinemann-Friedenspreis<br />
<strong>für</strong> Kinder- und Jugendbücher 2020 der Landesregierung<br />
NRW, Klimabuch im Dezember 2019<br />
der Deutschen Akademie <strong>für</strong> Kinder- und Jugendliteratur<br />
– geht diesen Fragen nach und erläutert in<br />
kurzen Texten und anschaulichen Infografiken die komplexen Zusammenhänge<br />
des Klimawandels. Kristina Scharmacher-Schreiber gelingt<br />
es, verständlich und präzise mit vielen Beispielen und hohem Alltagsbezug<br />
zu erklären, wie der Klimawandel entsteht. Auf jeweils einer Doppelseite<br />
werden eine Fülle von Themen vorgestellt, u. a. das Klima im<br />
Wandel der Zeit, der Treibhauseffekt, Globalisierung, Mülltrennung, Lebensmittelproduktion,<br />
Weltbevölkerung, der ökologische Fußabdruck.<br />
Um den eigentlichen Klimawandel und die damit verbundenen Zusammenhänge<br />
zu verstehen, werden auch wichtige wissenswerte Themen<br />
wie Wetter, Klima und Klimazonen angesprochen. Mit den pointiert<br />
gestalteten Illustrationen werden Diskurse in Sprechblasen um die<br />
jeweiligen Themen aufgegriffen, und auch Zweifler:innen und Verdränger:innen<br />
kommen so<br />
zu Wort – „gut, dass<br />
Kalifornien so weit<br />
weg ist“.<br />
(ab 7 Jahren)<br />
Kristina Scharmacher-Schreiber (2020):<br />
Wie viel wärmer ist 1 Grad?<br />
Beltz & Gelberg<br />
96 Seiten, 16,95 €<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
37
Aus Praxis: der <strong>Bildung</strong> Forschung <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Larissa Ade, Katharina Kindermann, Caroline Theurer, Sanna Pohlmann-Rother<br />
Die Reise der Kakaobohne<br />
Grundschulunterricht im Schnittfeld von BNE und Digitalisierung<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE) ist ein fächerübergreifendes Konzept,<br />
das ökonomische, ökologische, soziale, kulturelle und politische <strong>Entwicklung</strong>sprozesse<br />
in unserer globalisierten Welt aufgreift. Wenngleich bislang zahlreiche<br />
Unterrichtsmaterialien <strong>für</strong> die Grundschule im Bereich BNE vorliegen,<br />
finden sich kaum Ansätze, in denen BNE und Digitalisierung miteinander verbunden<br />
werden.<br />
In der Uni-Klasse des Lehrstuhls <strong>für</strong><br />
Grundschulpädagogik und -didaktik<br />
der Universität Würzburg entwickeln<br />
und erproben Lehramtsstudierende<br />
der Grundschuldidaktik im Rahmen<br />
von Seminaren Unterricht im Schnittfeld<br />
von BNE und Digitalisierung. In<br />
diesem Beitrag wird die hier<strong>für</strong> genutzte<br />
Sequenz „Die Reise der Kakaobohne“<br />
vorgestellt und darauf aufbauend werden<br />
Chancen des Tablets zur Aktivierung<br />
der Schüler*innen im Rahmen der<br />
Sequenz beschrieben. Abschließend<br />
werden ausgewählte Ergebnisse der<br />
Seminarevaluation mit Blick auf den<br />
wahrgenommenen Kompetenzzuwachs<br />
der Studierenden (N = 40) im Bereich<br />
BNE referiert.<br />
BNE und Digitalität in der<br />
Lehrkräftebildung verbinden<br />
Aktuelle gesellschaftliche Wandlungsprozesse,<br />
z. B. Globalisierung, Digitalisierung<br />
oder verstärkte Bemühungen<br />
um Klima- und Umweltschutz, beeinflussen<br />
auch die Lebenswelt von Grundschulkindern.<br />
Umso mehr scheint es<br />
bedeutsam, dass die Grundschule –<br />
ihrem grundlegenden <strong>Bildung</strong>s- und<br />
Erziehungsauftrag folgend – diese Transformationen<br />
aufgreift, Grundschulkinder<br />
auf aktuelle, aber auch zukünftige<br />
gesellschaftliche Herausforderungen<br />
vorbereitet und ihnen Möglichkeiten<br />
der Orientierung in der Welt eröffnet<br />
(Irion/Peschel/Schmeinck 2023). <strong>Bildung</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
(BNE) als fächerübergreifendes Konzept<br />
kann mit ihren multiperspektivischen<br />
Ansätzen als Bindeglied zwischen den<br />
verschiedenartigen Wandlungsprozessen<br />
fungieren und „zur Entfaltung der<br />
Persönlichkeit der Schülerinnen und<br />
Schüler beitragen und sie dazu befähigen,<br />
sich mit sozialen, politischen, ökonomischen<br />
und ökologischen <strong>Entwicklung</strong>en<br />
auseinanderzusetzen.“ (Schmitt<br />
2019, 15).<br />
Um diese anspruchsvolle Zielsetzung<br />
in der Grundschule verfolgen zu können,<br />
werden tragfähige Unterrichtskonzepte<br />
benötigt, die Lerngelegenheiten<br />
eröffnen, ohne die Kinder durch die<br />
komplexen Wechselbeziehungen unserer<br />
globalisierten Welt zu überfordern.<br />
Eine Möglichkeit, die Anschaulichkeit<br />
von Lerninhalten im Unterricht zu erhöhen,<br />
wird in der Implementierung<br />
digitaler Medien in den Unterricht gesehen.<br />
So eröffnen sich z. B. durch audiovisuelle<br />
Medienangebote mit Tablets<br />
vielfältige Möglichkeiten zur Veranschaulichung<br />
von Inhalten und zur Aktivierung<br />
der Schüler*innen (Bastian/<br />
Kolb 2020). Eine Realisierung von Lerninhalten<br />
aus dem Bereich der BNE in<br />
digital gestützten Lehr-Lern-Szenarien<br />
kann entsprechend als zielführend angenommen<br />
werden, wenngleich bislang<br />
kaum unterrichtspraktische Vorschläge<br />
dazu vorliegen, wie qualitativ hochwertiger,<br />
digital gestützter Unterricht im Bereich<br />
BNE aussehen kann.<br />
An dieser Stelle setzt ein Seminar des<br />
Lehrstuhls <strong>für</strong> Grundschulpädagogik<br />
und Grundschuldidaktik der Universität<br />
Würzburg an, das seit dem Wintersemester<br />
2022/2023 in der Uni-Klasse<br />
durchgeführt wird. Bei der Uni-Klasse<br />
handelt es sich um einen Klassenraum<br />
an einer Kooperationsgrundschule, der<br />
mit Videotechnik ausgestattet ist, sodass<br />
das Geschehen im Klassenzimmer via<br />
Livestream in einen Nebenraum übertragen<br />
werden kann. Dort wird der Unterricht<br />
von Studierenden sowie Dozierenden<br />
gemeinsam beobachtet und reflektiert.<br />
Der Livestream aus vier Kameraperspektiven<br />
ermöglicht insbesondere<br />
die intensive Beobachtung von Schüler*innen-Arbeitsphasen,<br />
ohne dabei<br />
störend in die Interaktionen im Klassenraum<br />
einzugreifen (Ade/Pohlmann-Rother<br />
2021; Nitsche 2014). In einem aktuellen<br />
Seminarangebot planen angehende<br />
Grundschullehrkräfte eine Unterrichtssequenz<br />
zur Reise der Kakaobohne. In<br />
dieser Sequenz werden Lerninhalte aus<br />
dem Bereich BNE <strong>für</strong> einen tabletgestützten<br />
Unterricht in der 3. Jahrgangsstufe<br />
von den Lehramtsstudierenden<br />
entwickelt und anschließend in der Uni-<br />
Klasse unterrichtspraktisch erprobt.<br />
Unterrichtssequenz:<br />
„Die Reise der Kakaobohne“<br />
Mit BNE ist das Ziel verbunden, Kompetenzen<br />
bei Schüler*innen anzubahnen,<br />
die sie dazu befähigen, Handlungsspielräume<br />
in einer von Globalisierung<br />
geprägten Gesellschaft wahrzunehmen<br />
(Schmitt 2019). Entsprechend zielt auch<br />
die hier vorgestellte Sequenz darauf ab,<br />
den Schüler*innen einerseits Wissen zur<br />
Reise der Kakaobohne zu vermitteln, sie<br />
jedoch andererseits auch <strong>für</strong> Probleme<br />
in der Produktions- und Lieferkette zu<br />
sensibilisieren. Für die beschriebene<br />
Sequenz wurde das Thema exemplarisch<br />
<strong>für</strong> einen global gehandelten Rohstoff<br />
sowie wegen seiner großen Nähe<br />
zur Lebenswelt der Schüler*innen ausgewählt.<br />
In Anlehnung an Stoltenberg<br />
(2009) und das Ministerium <strong>für</strong> Schule<br />
und <strong>Bildung</strong> des Landes Nordrhein-<br />
Westfalen (2019) werden in der Sequenz<br />
die fünf Dimensionen <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong><br />
aufgegriffen: ökonomisch,<br />
ökologisch, sozial, kulturell und politisch<br />
(vgl. Abb. 1), wobei die einzelnen<br />
Unterrichtseinheiten ihre Schwerpunkte<br />
bewusst auf unterschiedliche Dimensionen<br />
setzen.<br />
Die Sequenz umfasst insgesamt sechs<br />
Unterrichtseinheiten (UE) à 90 Minu-<br />
38<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> Aus der <strong>Entwicklung</strong><br />
Forschung<br />
Abb. 1: Dimensionen <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong> (in Anlehnung an: Ministerium <strong>für</strong><br />
Schule und <strong>Bildung</strong> des Landes Nordrhein-Westfalen 2019, 18)<br />
ten (vgl. Abb. 2). Ausgehend von der<br />
Bedeutung des Rohstoffs im Alltag der<br />
Schüler*innen (UE 1) zielt die Sequenz<br />
darauf ab, Anbauregion sowie Anbaubedingungen<br />
zu veranschaulichen<br />
(UE 2 und UE 3), Transportwege nachzuvollziehen<br />
(UE 4), Ungerechtigkeiten<br />
aufzuzeigen (UE 5) sowie abschließend<br />
Ideen <strong>für</strong> Veränderungen zu entwickeln<br />
(UE 6). Sequenzbegleitend arbeiten die<br />
Schüler*innen in einem multimedialen<br />
E-Book am Tablet (BNE-Book).<br />
UE 1: Woraus besteht Schokolade?<br />
In der ersten Unterrichtseinheit liegt der<br />
Fokus auf der sozialen sowie der kulturellen<br />
Dimension des Rohstoffs Kakao.<br />
Den Schüler*innen wird die Bedeutung<br />
von Kakao in ihrem Alltag deutlich und<br />
sie erkennen, dass es sich um einen Rohstoff<br />
handelt, der insbesondere <strong>für</strong> Schokolade<br />
unverzichtbar ist.<br />
UE 2: Wo und wie wird Kakao angebaut?<br />
In der zweiten Unterrichtseinheit<br />
werden mit dem Anbau der Kakaopflanze<br />
die ökologische und die ökonomische<br />
Dimension thematisiert. Die<br />
Schüler*innen erfahren, welche klimatischen<br />
Bedingungen eine Kakaopflanze<br />
zum Wachsen braucht und lernen<br />
beispielhaft ein Anbauland von Kakao<br />
kennen. Ressourcenverbrauch sowie<br />
der monokulturelle Anbau in Plantagen<br />
werden thematisiert.<br />
UE 3: Welche Probleme gibt es<br />
beim Anbau von Kakao? In der dritten<br />
Unterrichtseinheit werden die ökonomische<br />
sowie die soziale Dimension<br />
<strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong> adressiert.<br />
Kinderarbeit als exemplarisches Problem<br />
beim Kakaoanbau wird mit den<br />
Schüler*innen altersgemäß besprochen<br />
und daraus resultierende Probleme und<br />
Ungerechtigkeiten werden aufgezeigt.<br />
UE 4: Wie kommt der Kakao zu uns<br />
nach Deutschland? In der vierten Unterrichtseinheit<br />
lernen die Schüler*innen<br />
die lange Reiseroute der Kakaobohne<br />
bis zu uns nach Deutschland kennen<br />
und erhalten einen Einblick in den hohen<br />
Ressourcenverbrauch auf diesem<br />
Weg. Damit wird das Thema unter der<br />
ökonomischen und der ökologischen<br />
Dimension betrachtet.<br />
UE 5: Wer verdient an Schokolade?<br />
In der fünften Unterrichtseinheit erfolgt<br />
ein Fokus auf die ökonomische sowie<br />
die soziale Dimension <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong>.<br />
Die Schüler*innen erkennen,<br />
dass die Gewinne aus einer Tafel Schokolade<br />
sehr ungleich zwischen den ein-<br />
Abb. 2: Unterrichtssequenz „Die Reise der Kakaobohne“<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
39
Aus Praxis: der <strong>Bildung</strong> Forschung <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
zelnen Akteur*innen der Produktionsund<br />
Lieferkette verteilt sind.<br />
UE 6: Was soll sich an der Reise der<br />
Kakaobohne ändern? Die Unterrichtssequenz<br />
endet mit der sozialen und der politischen<br />
Dimension des Themas Kakao.<br />
Die Schüler*innen entwickeln Ideen, wie<br />
die Gesellschaft als Ganzes ungerechte<br />
Arbeitsbedingungen sowie Ressourcenverteilungen<br />
verändern kann. Dabei wird<br />
die Verantwortung nicht vorrangig an ihr<br />
eigenes Konsumverhalten rückgebunden,<br />
vielmehr geht es darum aufzuzeigen, wer<br />
die Adressat*innen <strong>für</strong> notwendige Veränderungen<br />
sind (z. B. Politiker*innen).<br />
Aktivierung der Schüler*innen<br />
durch ein sequenzbegleitendes<br />
BNE-Book<br />
Inwiefern die Implementierung digitaler<br />
Medien in den Unterricht als lernförderlich<br />
angesehen werden kann, hängt<br />
weniger vom digitalen Medium selbst,<br />
sondern vielmehr von der Art und Weise<br />
seines Einsatzes ab. Stegmann (2020)<br />
unterscheidet in Anlehnung an die ICAP-<br />
Taxonomie (Chi 2009) zwischen interaktivem,<br />
konstruktivem, aktivem und passivem<br />
Einsatz digitaler Medien, wobei dem<br />
passiven Einsatz das geringste und dem<br />
interaktiven Einsatz das größte Potenzial<br />
zugesprochen wird.<br />
Nachfolgend werden exemplarische<br />
Einsatzmöglichkeiten des Tablets in der<br />
Unterrichtssequenz zur Reise der Kakaobohne<br />
entlang der ICAP-Taxonomie<br />
vorgestellt. Alle Aufgaben rund um<br />
das BNE-Thema werden von den Schüler*innen<br />
in einem sequenzbegleitenden<br />
multimedialen E-Book bearbeitet,<br />
das im Rahmen des Seminarkonzepts als<br />
BNE-Book bezeichnet wird. Das BNE-<br />
Book wird mit der App Book Creator<br />
(Tools for Schools Limited 2011) gestaltet.<br />
Die einzelnen Aufgabenformate<br />
werden im jeweiligen Seminardurchgang<br />
von den Studierenden in Kleingruppen<br />
entwickelt und unterrichtspraktisch in<br />
der Uni-Klasse erprobt.<br />
Passiver Einsatz: An mehreren Stellen<br />
in der Sequenz betrachten die Schüler*innen<br />
ein Erklärvideo oder lesen einen Text<br />
am Tablet. So sehen sich die Kinder beispielsweise<br />
in der UE 5 ein Video an, in<br />
dem der Gewinn der verschiedenen Akteur*innen<br />
an einer Tafel Schokolade aufgezeigt<br />
wird. Der passive Einsatz dient an<br />
diesen Stellen der Visualisierung und der<br />
Erklärung komplexer Sachverhalte. Er ist<br />
die Grundlage <strong>für</strong> einen aktiven, konstruktiven<br />
oder interaktiven Einsatz im<br />
weiteren Stundenverlauf.<br />
Aktiver Einsatz: Wenn die Schüler*innen<br />
selbst etwas in ihrem BNE-Book gestalten,<br />
um zuvor Gelerntes festzuhalten,<br />
kann von einem aktiven Einsatz gesprochen<br />
werden. So halten die Schüler*innen<br />
beispielsweise in der UE 2 die Begriffe der<br />
einzelnen Bestandteile der Kakaofrucht<br />
in ihrem BNE-Book fest, indem sie ein<br />
Foto der Frucht beschriften. Dabei generieren<br />
sie keine neuen Ideen, reproduzieren<br />
das Gelernte jedoch aktiv.<br />
Konstruktiver und interaktiver Einsatz:<br />
In fast allen Stunden finden sich<br />
Elemente eines konstruktiven Einsatzes<br />
des Tablets. In den Unterrichtseinheiten 3<br />
bis 6 sind die Lernenden gefordert, eigene<br />
Ideen auditiv oder audiovisuell im BNE-<br />
Book festzuhalten. Am deutlichsten wird<br />
der konstruktive Einsatz in der UE 6, in<br />
der die Schüler*innen eigene Ideen <strong>für</strong><br />
die künftige Reise der Kakaobohne entwickeln<br />
und diese in einem Videostatement<br />
aufnehmen. Die Schüler*innen arbeiten<br />
in der Sequenz durchgehend in Partnerarbeit<br />
an ihren BNE-Books, wobei die Interaktion<br />
zwischen den Schüler*innen je<br />
nach Unterrichtseinheit mehr oder weniger<br />
bedeutsam ist. Besondere Bedeutung<br />
erlangt die Interaktion miteinander am<br />
Tablet beim Aufnehmen eines eigenen<br />
Erklärvideos in UE 4, in dem die Schüler*innen<br />
die Reise der Kakaobohne von<br />
ihrem Anbaugebiet bis zu uns in die Supermärkte<br />
auf einer Weltkarte zeigen und<br />
verbalisieren.<br />
Abb. 3: Exemplarische Antworten der Studierenden zur Frage der Umsetzung von Themen aus dem Bereich BNE in ihrem<br />
späteren Unterricht<br />
40<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> Aus der <strong>Entwicklung</strong><br />
Forschung<br />
von links nach rechts:<br />
Larissa Ade, Lehrbeauftragte am Lehrstuhl <strong>für</strong> Grundschulpädagogik und -didaktik<br />
der Julius-Maximilian-Universität Würzburg<br />
Dr. Katharina Kindermann, Akad. Rätin am Lehrstuhl <strong>für</strong> Grundschulpädagogik<br />
und -didaktik der Julius-Maximilian-Universität Würzburg<br />
Dr. Caroline Theurer, Akad. Forschungsrätin am Lehrstuhl <strong>für</strong> Grundschulpädagogik<br />
und -didaktik der Julius-Maximilian-Universität Würzburg<br />
Prof. Dr. Sanna Pohlmann-Rother, Lehrstuhl <strong>für</strong> Grundschulpädagogik und<br />
-didaktik der Julius-Maximilian-Universität Würzburg<br />
Wissenschaftliche Begleitung<br />
des Seminarkonzepts<br />
Das Seminarkonzept in der Uni-Klasse<br />
wird wissenschaftlich begleitet. Ziel ist<br />
es, die Lernförderlichkeit des Seminarangebots<br />
<strong>für</strong> die Studierenden zu evaluieren.<br />
Dazu reflektieren die angehenden<br />
Lehrkräfte, angeleitet durch Impulsfragen,<br />
schriftlich ihren Arbeits- und Lernprozess.<br />
Die Impulsfragen greifen sowohl<br />
BNE als auch tabletgestützten Unterricht<br />
auf und sind am Modell des Fortbildungserfolgs<br />
nach Kirkpatrick (1998)<br />
orientiert, das den Erfolg eines Lernangebots<br />
auf vier Ebenen abbildet. Die dritte<br />
Ebene zielt auf die Einschätzung der<br />
Befragten zu einer Veränderung ihres<br />
späteren Arbeitsverhaltens ab. Im Folgenden<br />
werden ausgewählte Ergebnisse referiert,<br />
in denen die befragten Lehramtsstudierenden<br />
dazu Stellung beziehen, ob sie<br />
Themen rund um BNE in ihrem späteren<br />
Unterricht realisieren möchten.<br />
Aktuell liegen die Daten von N = 40<br />
Studierenden der Grundschuldidaktik<br />
vor. Die befragten Seminarteilnehmer*innen<br />
(37 weiblich, 3 männlich) sind<br />
durchschnittlich knapp 22,5 Jahre alt und<br />
studieren im dritten bis achten Fachsemester.<br />
Die Reflexionen wurden inhaltsanalytisch<br />
ausgewertet. Bei der Frage der<br />
zukünftigen Umsetzung von Themen aus<br />
dem Bereich BNE im eigenen Unterricht<br />
zeigen die Studierenden eine große Zustimmung.<br />
Als Begründung führen die<br />
angehenden Lehrkräfte besonders häufig<br />
die Gegenwarts- und die Zukunftsbedeutung<br />
von BNE <strong>für</strong> das Leben von Kindern<br />
im Grundschulalter an, ein ebenfalls<br />
häufig genannter Grund <strong>für</strong> eine spätere<br />
unterrichtliche Umsetzung ist das Ziel,<br />
eine <strong>nachhaltige</strong> Haltung bei den Schüler*innen<br />
zu entwickeln. Die Studierenden<br />
nehmen also die Bedeutung des Themas<br />
<strong>für</strong> ihre (zukünftigen) Schüler*innen<br />
wahr und möchten sie beim Aufbau von<br />
Kompetenzen in diesem Bereich unterstützen.<br />
Neben dieser individuellen Wertbeimessung<br />
von BNE lassen sich zudem<br />
zahlreiche Äußerungen finden, in denen<br />
die Studierenden beschreiben, dass sie<br />
durch die Teilnahme am Seminar ein ausgeprägteres<br />
Zutrauen haben, sich also fähig<br />
im Umgang mit BNE-Themen fühlen,<br />
und deswegen BNE aufgrund des Zutrauens<br />
in ihre eigenen Fähigkeiten tatsächlich<br />
im zukünftigen Unterricht integrieren<br />
möchten. Abbildung 3 visualisiert<br />
dies exemplarisch.<br />
Anmerkung<br />
Das in diesem Beitrag vorgestellte Seminarkonzept<br />
wird gefördert von „WueDive – Digitale<br />
Innovationen in der Lehre“, einem Projekt der<br />
Julius-Maximilians-Universität Würzburg.<br />
Literatur<br />
Ade, L./Pohlmann-Rother, S. (2021): Lehramtsstudierende<br />
gestalten Erklärvideos <strong>für</strong><br />
Grundschulkinder. In: Ludwigsburger<br />
Beiträge zur Medienpädagogik, H. 21, 1–12.<br />
https://doi.org/10.21.240/lbzm/21/24 (Aufruf<br />
am 01.02.2024).<br />
Bastian, J./Kolb, C. I. (2020): Tablets in Schule<br />
und Unterricht. Anforderungen an den<br />
Kompetenzerwerb von Lehrkräften und<br />
Konsequenzen <strong>für</strong> die Lehrerbildung. In:<br />
Rothland, M. u. a. (Hrsg.): Digital?! Perspektiven<br />
der Digitalisierung <strong>für</strong> den Lehrerberuf<br />
und die Lehrerbildung. Münster: Waxmann,<br />
127–142.<br />
Chi, M. T. H. (2009): Active-constructive-interactive:<br />
a conceptual framework for<br />
differentiating learning activities. In: Topics<br />
in cognitive science, 1. Jg., H. 1, 73–105.<br />
https://doi.<br />
org/10.1111/j.1756-8765.2008.01.005.x<br />
(Aufruf am 01.02.2024).<br />
Irion, T./Peschel, M./Schmeinck, D. (2023):<br />
Grundlegende <strong>Bildung</strong> in der Digitalität. Was<br />
müssen Kinder heute angesichts des digitalen<br />
Wandels lernen? In: Irion, T. u. a. (Hrsg.):<br />
Grundschule und Digitalität. Grundlagen,<br />
Herausforderungen, Praxisbeispiele. Frankfurt<br />
am Main: Grundschulverband, 18–42.<br />
Kirkpatrick, D. L. (1998): The Four Levels of<br />
Evaluation. In: Brown, S. M. u. a. (Hrsg.):<br />
Evaluating Corporate Training: Models and<br />
Issues. Evaluation in Education and Human<br />
Services, Band 46, Dodrecht: Springer,<br />
95–112. https://doi.org/10.1007/978-94-011-<br />
4850-4_5 (Aufruf am 01.02.2024).<br />
Ministerium <strong>für</strong> Schule und <strong>Bildung</strong> des<br />
Landes Nordrhein-Westfalen (2019): Leitlinien<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>.<br />
https://www.schulministerium.nrw/sites/<br />
default/files/documents/Leitlinie_BNE.pdf<br />
(Aufruf am 01.02.2024).<br />
Nitsche, K. (2014): UNI-Klassen – Reflexion<br />
und Feedback über Unterricht in Videolabors<br />
an Schulen. Dissertation, LMU München:<br />
Fakultät <strong>für</strong> Psychologie und Pädagogik.<br />
Schmitt, R. (2019): Der Orientierungsrahmen<br />
<strong>für</strong> den Lernbereich globale <strong>Entwicklung</strong>. In:<br />
Schmitt, R. (Hrsg.): <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong>. Eine Aufgabe <strong>für</strong> alle Fächer<br />
und Lernbereiche, Band 147. Frankfurt am<br />
Main: Grundschulverband e. V., 13–21.<br />
Stegmann, K. (2020): Effekte digitalen Lernens<br />
auf den Wissens- und Kompetenzerwerb in<br />
der Schule. Eine Integration metaanalytischer<br />
Befunde. In: Zeitschrift <strong>für</strong> Pädagogik, 66. Jg.,<br />
H. 2, 174-190. https://doi.<br />
org/10.25.656/01:25.790 (Aufruf am<br />
01.02.2024).<br />
Stoltenberg, U. (2009): Mensch und Wald.<br />
Theorie und Praxis einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> eine<br />
<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> am Beispiel des<br />
Themenfelds Wald. München: ökom.<br />
Tools for Schools Limited (2011). Book Creator<br />
for iPad (5.5.3) [App]. https://apps.apple.com/<br />
de/app/book-creator-for-ipad/id442378.070<br />
(Aufruf am 01.02.2024).<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
41
Praxis: Rundschau <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Aus dem Vorstand: Erfolgreiche und Mut machende Frühjahrstagung<br />
KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT! 2.0 –<br />
Herausforderungen und Perspektiven<br />
Mit circa 150 Teilnehmer:innen<br />
waren 15 Bundesländer am<br />
2. März 2024 auf der Frühjahrstagung<br />
an der Grundschule Pestalozzi<br />
in Weimar aktiv vertreten und<br />
haben ein großes Interesse am Thema<br />
der Tagung und an der gemeinsamen<br />
Gestaltung einer zukunftsfähigen<br />
Grundschule <strong>für</strong> alle Kinder gezeigt.<br />
Damit konnten wir eine Tradition des<br />
Grundschulverbandes – die einer bundesweit<br />
ausgerichteten jährlichen Tagung<br />
– wiederaufleben lassen, die pandemiebedingt<br />
seit dem Bundesgrundschulkongress<br />
nahezu brachlag. Nach der letzten<br />
Novembertagung 2018 in Kassel wurde<br />
diese nun allerdings nicht als Herbst-,<br />
sondern als Frühjahrstagung durchgeführt<br />
– erstmalig auch in Kooperation des<br />
Bundesvorstandes mit einer Landesgruppe,<br />
der Landesgruppe Thüringen.<br />
Zentral: anknüpfen an die<br />
Ergebnisse des<br />
Bundesgrundschulkongresses 2019<br />
Im Vorfeld der Frühjahrstagung haben<br />
sich unsere Planungsüberlegungen an<br />
den Diskussionen und den Ergebnissen<br />
des Bundesgrundschulkongresses orientiert.<br />
Seit dem Bundesgrundschulkongress<br />
„Kinder.Lernen.Zukunft“ im Jahr<br />
2019 hat sich in unserer Gesellschaft<br />
und in den Grundschulen viel getan.<br />
Antworten der Kinder auf die Frage<br />
„Wie stellst du dir Schule in Zukunft vor?“<br />
… dass man mit Freunden selbstständig<br />
arbeiten kann und in seinem Tempo.<br />
... dass man sich selbst aussuchen<br />
kann, wo man arbeitet.<br />
... dass man nach der vierten Klasse<br />
nicht die Schule wechseln muss!!!!!<br />
... dass mehr mit Technik<br />
gearbeitet wird, aber auch<br />
noch auf Papier geschrieben<br />
werden kann.<br />
..., dass man frei<br />
arbeiten kann.<br />
..., dass man sehr schöne<br />
Materialien im Unterricht<br />
zur Auswahl hat.<br />
... dass Kinder so viel lesen können,<br />
wie sie wollen, wenn sie in<br />
der ersten Klasse schon lesen<br />
können.<br />
In den vergangenen fünf Jahren haben<br />
sich vielfältige neue Herausforderungen<br />
und Perspektiven <strong>für</strong> das Lehren,<br />
Lernen und Leben in<br />
der Grundschule ergeben.<br />
Anliegen sollte<br />
sein, mit Fachleuten<br />
aus <strong>Bildung</strong>spolitik,<br />
Wissenschaft und<br />
Praxis ins Gespräch<br />
zu kommen, miteinander<br />
über Herausforderungen,<br />
Perspektiven<br />
und Visionen zu<br />
diskutieren, Erfahrungen<br />
und innovative Praxiskonzepte<br />
auszutauschen und sich mit Kolleg:innen<br />
aus ganz Deutschland zu vernetzen:<br />
● Vor welchen Herausforderungen<br />
steht die Grundschule im Jahr 2024?<br />
● Welche Visionen können wir gemeinsam<br />
<strong>für</strong> die Grundschule der<br />
Zukunft entwickeln?<br />
● Welche Lösungsansätze haben sich<br />
bewährt?<br />
Diese und andere Fragen wurden einleitend<br />
in einem Interview aufgegriffen.<br />
Maresi Lassek, ehemalige Vorsitzende<br />
des Bundesvorstandes und Vorstandsmitglied<br />
der Landesgruppe Bremen,<br />
Edgar Bohn, Vorsitzender des Bundesvorstandes,<br />
und Konstanze von Unold,<br />
Delegierte der Landesgruppe Bayern,<br />
stellten sich den Fragen von Marion<br />
Gutzmann, stellvertretende Vorsitzende<br />
des Bundesvorstandes,<br />
und erörterten Herausforderungen<br />
und Perspektiven<br />
der Grundschule<br />
aktuell und in Zukunft,<br />
angelehnt an<br />
die sechs Anforderungen<br />
an eine zukunftsfähige<br />
Grundschule,<br />
die auf dem<br />
2.0<br />
Bundesgrundschulkongress<br />
2019 verabschiedet<br />
worden sind.<br />
Mit der Tagung sollte auch<br />
eine besondere Anerkennung und Wertschätzung<br />
der Arbeit in den Grundschulen<br />
des Landes entgegengebracht werden.<br />
Dies war insbesondere auch im<br />
Grußwort des Oberbürgermeisters der<br />
Stadt Weimar, Peter Kleine, und in den<br />
Abschlussworten von Christina Köhler,<br />
Referentin und stellvertretende Referatsleiterin<br />
im Thüringer Ministerium<br />
<strong>für</strong> <strong>Bildung</strong>, Jugend und Sport, spürbar.<br />
Auch der gewählte Tagungsort unterstrich<br />
wesentlich die Ausstrahlung der geleisteten<br />
Arbeit an dieser Schule, stellvertretend<br />
<strong>für</strong> die Vielzahl aller Grundschulen,<br />
die auch in der Öffnung nach außen<br />
als ein bedeutsamer Ort in der Kommune<br />
selbst, aber auch deutschlandweit erlebbar<br />
wurde. Der Schulleiterin Jana Ketschau,<br />
ihrem Kollegium und der Elternschaft<br />
gilt unser großes Dankeschön, insbesondere<br />
dem Team, das im Vorfeld der<br />
Tagung die organisatorischen Fragen geklärt<br />
hatte und am Freitag und Samstag<br />
<strong>für</strong> alle Aktiven der Tagung und alle Teilnehmer:innen<br />
vor Ort war, alles bestens<br />
vorbereitet hatte und eine Rundumversorgung<br />
über den ganzen Tag, sogar mit<br />
Thüringer Spezialitäten, vornahm.<br />
Das war uns wichtig: die Kinder zu<br />
Wort kommen lassen<br />
Nach der Begrüßung durch den Oberbürgermeister<br />
der Stadt Weimar und die<br />
Schulleiterin kamen zuerst die Kinder zu<br />
Wort. Antje Klecha, Mitglied des Vorstandes<br />
der Landesgruppe Thüringen, die an<br />
42<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
der freien Aktiv-Schule Erfurt, einer Montessori-Gemeinschaftsschule,<br />
tätig ist, hatte<br />
mit ihren Schüler:innen einen Fragenblock<br />
vorbereitet, in dem die Kinder den<br />
Blick auf ihre Schule und eine Schule der<br />
Zukunft gerichtet hatten. In einem äußerst<br />
wirkungsvollen Filmbeitrag, den Elias, ein<br />
Oberstufenschüler, erstellt hatte, kamen<br />
die Kinder der Schule eindrucksvoll zu<br />
Wort. Die beiden Grundschülerinnen<br />
Ida und Mathilde, die live vor Ort waren,<br />
brachten ihre Meinungen und Wünsche<br />
persönlich zu Gehör. Im Nachhinein<br />
berichteten sie, wie bedeutsam es <strong>für</strong> sie<br />
war, vor solch einem Publikum gesprochen<br />
zu haben.<br />
Inhaltliche Schwerpunkte<br />
der Tagung im Überblick<br />
Die Vielzahl der wertvollen „Echt-<br />
Begegnungen“ mit Pädagog:innen aus<br />
Schulpraxis, Aus-, Fort- und Weiterbil-<br />
dung sowie Wissenschaft und der Austausch<br />
zu fachlichen, fachdidaktischen<br />
und bildungspolitischen Fragen sowie<br />
aktuell bedeutsamen Themen waren<br />
in beeindruckender Weise inspirierend<br />
und boten vielfältige Impulse <strong>für</strong><br />
die Weiterarbeit an den Grundschulen.<br />
Die spürbar positive Stimmung und die<br />
Vielzahl der bereichernden Gespräche<br />
konnten wir alle mit nach Hause nehmen.<br />
Was erwartete die Teilnehmenden nun ganz konkret?<br />
Hier finden Sie eine Zusammenschau aller Beiträge im Überblick.<br />
Einführungsvortrag: Imagine if –<br />
wenn Grundschule Zukunft gestaltet<br />
Dr. Michael Kirch, Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München<br />
In der <strong>Bildung</strong>slandschaft Deutschlands<br />
tut sich derzeit einiges.<br />
Der Bundesgrundschulkongress<br />
2019, einschließlich der Rede des<br />
Bundespräsidenten Steinmeier,<br />
hatte dies zum Ausdruck gebracht. Eine von vielen<br />
Initiativen ist das Bemühen der Stadt München, eine<br />
Modellschule ins Leben zu rufen, die im Vortrag vorgestellt<br />
wurde. Diese Schule nimmt den Titel des<br />
Kongresses KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT ernst,<br />
stellt sich den Herausforderungen und leitet aus den<br />
Perspektiven konkrete Konzeptionen und Maßnahmen<br />
ab.<br />
LernWelten: Horster Modell im Fokus –<br />
Lernraumkultur, Individualisierung und<br />
Schulbauarchitektur<br />
Aenne Thurau,<br />
Grundschule Op de Host<br />
An der Grundschule Op de Host<br />
entwickelte sich ab 2006 das<br />
Horster Modell, ein heute jahrgangsübergreifendes<br />
Unterrichtsmodell<br />
(1–4), das auf Individualisierung<br />
basiert. Ein Grundpfeiler dieses Modells<br />
war die Umgestaltung der herkömmlichen Klassenräume<br />
zu Lernräumen. 2011 beeinflussten die Lernräume<br />
und das Unterrichtskonzept das neue Schulgebäude<br />
entscheidend mit und es entstand ein<br />
Schulneubau, der bis heute noch beispielhaft ist. Im<br />
Workshop sollte von diesem <strong>Entwicklung</strong>sprozess<br />
und den damit zusammenhängenden Erkenntnissen<br />
berichtet werden und in der anschließenden<br />
Diskussionsrunde zum Loslegen oder zum Nachahmen<br />
eingeladen werden.<br />
Nun sitze ich auch im Zug, zurück von diesem<br />
inspirierenden Wochenende. Wir waren gestern Abend<br />
alle der Meinung: Besser hätte die Tagung nicht<br />
verlaufen können. Auch auf Social Media überschlagen<br />
sich die Komplimente.<br />
Svenja<br />
Mehr Mitbestimmung <strong>für</strong> Kinder in der Grundschule!<br />
Aber wie?<br />
Prof. Dr. Sabine Martschinke,<br />
Universität Erlangen-Nürnberg,<br />
Fachreferentin GSV<br />
Der Anspruch auf (mehr) Mitbestimmung<br />
im Unterricht und im Schulleben als Basis<br />
<strong>für</strong> Demokratielernen ist nicht nur in der UN-<br />
Kinderrechtskonvention verankert (Art. 12<br />
der UN-KRK), sondern zeichnet sich auch in Befragungen wichtiger<br />
Akteure, insbesondere bei Kindern, deutlich ab. Der Vortrag<br />
mit Workshopanteilen wollte einen Anstoß geben, das<br />
Handlungsspektrum <strong>für</strong> Mitbestimmung als Ziel und Methode<br />
zu erweitern, die vorgestellten Beispiele in der eigenen Praxis<br />
umzusetzen und damit Kindern schon in der Grundschule<br />
mehr und „gute“ Mitbestimmungsmöglichkeiten zu eröffnen.<br />
Mathematische Basisfähigkeiten in heterogenen<br />
Gruppen entwickeln – rechnen lernen<br />
Gabriele Klenk, Bundesvorstand GSV<br />
In konkreten Lernumgebungen wurde aufgezeigt<br />
und erfahren, wie mathematisches<br />
Lernen beziehungsreich und verstehensorientiert<br />
geplant und Lernaufgaben kooperativ<br />
und kommunikativ gestaltet sein<br />
können. Im Mittelpunkt standen dabei die<br />
Teile-Ganzes-Beziehung von Mengen sowie Zahlen zueinander.<br />
Diese Kernideen bilden die Grundlage <strong>für</strong> Operationen.<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
43
Praxis: Rundschau <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Mit dem FREI DAY Partizipation, Wirksamkeit<br />
und Sinn erfahren<br />
Margret Rasfeld,<br />
Schule im Aufbruch<br />
Die Gestaltung einer zukunftsfähigen<br />
Gesellschaft braucht mutige<br />
Bürger:innen, die es gewohnt<br />
sind, lösungsorientiert zu denken<br />
und Verantwortung zu übernehmen:<br />
<strong>für</strong> sich selbst, <strong>für</strong> ihre Mitmenschen, <strong>für</strong><br />
unseren Planeten. Das bedeutet eine Neuausrichtung<br />
der Schule zu einem Ort der Herzensbildung<br />
und der Resilienzförderung. Margret Rasfeld zeigte<br />
anhand des Lernformates FREI DAY, wie Erfahrungen<br />
von Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit Voraussetzungen<br />
schaffen, um in Zeiten wachsender<br />
Unsicherheiten souverän und verantwortungsvoll<br />
handeln zu können. Vier Stunden pro Woche <strong>für</strong><br />
Zukunftsfragen, eigene Projekte und gesellschaftliche<br />
Verantwortung.<br />
Social Media im Grundschulalter –<br />
zwischen Verbot und Kompetenzerwerb<br />
Schrift im digitalen Zeitalter<br />
Maxi Brautmeier-Ulrich,<br />
Grundschule Paderborn,<br />
Anna Fruhen-Witzke,<br />
Projektgruppe Grundschrift<br />
Prof. Dr. Thomas Irion, PH Schwäbisch Gmünd,<br />
Bundesvorstand GSV<br />
Das tägliche Leben der Kinder ist nicht nur von<br />
technischen Geräten geprägt. Zunehmend nutzen<br />
schon Kinder im Vorschulalter und im Grundschulalter<br />
auch digitale Videoplattformen und Social<br />
Media. In diesem Workshop beschäftigten wir<br />
uns mit Chancen und Gefahren dieser Angebote <strong>für</strong> das Aufwachsen<br />
von Kindern im Grundschulalter. Dabei erörterten wir, welche Maßnahmen<br />
des Kindermedienschutzes sinnvoll sind und was Kinder in<br />
der Grundschule lernen können, damit sie in einer von Social Media<br />
geprägten Welt selbstbestimmt aufwachsen können.<br />
Schrift und das Erlernen einer<br />
persönlichen Handschrift bleiben<br />
auch in der digitalen Zeit<br />
eine der wichtigsten Aufgaben der Grundschule. Die <strong>Entwicklung</strong><br />
der Handschrift ist dabei Thema in allen Grundschuljahren. In diesem<br />
Workshop wurden die Bedeutung der Handschrift im digitalen<br />
Zeitalter, das Erlernen der Buchstaben mit Bewegungsgruppen<br />
und Beispiele <strong>für</strong> Schriftaufgaben zur Weiterentwicklung der<br />
Handschrift thematisiert.<br />
Zunächst einmal großen und herzlichen Dank<br />
<strong>für</strong> die fantastisch vorbereitete und durchgeführte<br />
Tagung. Sowohl das Programm als auch die<br />
Auswahl und die Ausgestaltung der einzelnen Angebote<br />
haben uns den nötigen Schwung und viele<br />
Impulse gebracht. Es hat sich gelohnt und das<br />
Zusammenkommen als Grundschulverband war<br />
wunderbar.<br />
Judith und Andreas<br />
<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
(BNE) – Zauberformel oder Zumutung?<br />
Prof. Dr. Meike Wulfmeyer,<br />
Universität Bremen,<br />
Ulrike Oltmanns, Projekt<br />
„Eine Welt in der Schule“<br />
Mit einer Einführung in<br />
Grundlagen von und Ansprüche<br />
an BNE sowie anhand<br />
konkreter Materialien<br />
wurden gemeinsam<br />
Anregungen und Impulse<br />
<strong>für</strong> die Umsetzung in der<br />
Praxis entwickelt.<br />
Potenziale des Jahrgangsübergreifenden<br />
Lernens in einer<br />
zukunftsfähigen Grundschule<br />
Eva-Maria Osterhues-Bruns,<br />
Fachreferentin GSV<br />
Ist das Lernen in altershomogenen<br />
Lerngruppen<br />
tatsächlich vorteilhaft <strong>für</strong><br />
die Kinder oder bietet<br />
nicht das jahrgangsübergreifende<br />
Lernen zahlreiche Potenziale, der<br />
immer größer werdenden Heterogenität<br />
der Schülerinnen und Schüler und ihrem<br />
Umgang mit möglichen zukünftigen Herausforderungen<br />
gerechter zu werden? Das<br />
Lernen von- und miteinander von Klein und<br />
Groß erfordert allerdings Lernsettings, die<br />
den Austausch untereinander, gleichzeitig<br />
aber auch das Lernen im individuellen<br />
Tempo des einzelnen Kindes ermöglichen.<br />
In diesem Workshop wurden in einer Theorie-Praxis-Verzahnung<br />
Möglichkeiten des<br />
individuellen Lernens in der Gemeinschaft<br />
vorgestellt und diskutiert.<br />
44<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
Schularchitektur und Lernraumkultur<br />
Andrea Karlsberg, Malte Cunis,<br />
Reformschule Winterhude<br />
Gemeinsam haben wir<br />
überlegt, wie sich Lernkultur<br />
verändert hat und<br />
weiter verändern wird und<br />
welche Auswirkungen das<br />
auf die Gestaltung von<br />
Räumen hat. Wir trugen<br />
Ideen zusammen und berichteten<br />
aus unserer Praxis.<br />
Unter anderem ging<br />
es darum, welche Grundsätze<br />
beim Gestalten von<br />
Lernräumen beachtet<br />
werden sollen.<br />
Inklusion? – Ach ja, das mit dem Rollstuhl!<br />
Dr. Gerald Klenk, Lernwirkstatt Inklusion<br />
Der Workshop verdeutlichte, wie vor dem Hintergrund<br />
der UN-Behindertenrechtskonvention Inklusion<br />
zu verstehen ist. Der Begriff reicht tief in<br />
das Selbstverständnis unserer demokratischen<br />
Gesellschaft und beschreibt v. a. auch eine Haltung.<br />
Dazu wurden einige Denkanstöße gegeben,<br />
die uns ins Gespräch brachten.<br />
Ganz erfüllt bin ich am Sonntagabend aus Weimar nach<br />
Hause gekommen. Was war das <strong>für</strong> eine anregende Tagung,<br />
was <strong>für</strong> ein intensiver und guter Austausch mit vielen tollen<br />
Menschen in der Pestalozzischule und im Hotel. Wie schön,<br />
dass ich dabei sein durfte und dazu noch etwas von uns<br />
und unserer Arbeit in Horst erzählen konnte.<br />
Aenne<br />
Save Earth! – Digitale Tools im Kontext<br />
von Klimawandel nutzen<br />
Johannes Wolz,<br />
Carl-Küstner-Grundschule<br />
Wie können wir den Herausforderungen<br />
des Klimawandels<br />
und der allgegenwärtigen<br />
Klimakrise begegnen?<br />
In diesem Workshop<br />
lernten wir, ausgewählte digitale Tools<br />
wie u. a. „Potz Blitz! – Meine Stromwerkstatt“<br />
oder das interaktive PDF „Klimawandel verstehen“<br />
von Pindactica gezielt einzusetzen,<br />
um Kinder auf spielerische Weise <strong>für</strong> den<br />
Schutz unseres Planeten zu begeistern.<br />
Gute Texte schreiben lernen – in der Schreibzeit<br />
Dr. Beate Leßmann, IQSH Kiel<br />
Schreiben wird <strong>für</strong> Kinder dann als großer Gewinn<br />
erlebbar, wenn sie erfahren, dass sie durch<br />
Schreiben Eigenes ausdrücken und mit anderen<br />
darüber kommunizieren können. Schreiben soll<br />
als sinnstiftend und selbstwirksam erlebt werden.<br />
Das Unterrichtssetting der Schreibzeit verfolgt genau<br />
dieses Ziel, denn hier werden Texte <strong>für</strong> echte Leserinnen und Leser<br />
verfasst. Wie Kinder durch Gespräche über ihre eigenen Texte – in<br />
Autorenrunden – zudem lernen, „gute“ Texte zu schreiben, konnte in<br />
diesem Workshop erfahren werden. Dokumente und Filmspots aus<br />
dem Unterricht gaben konkrete Einblicke.<br />
Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Schule<br />
Agnieszka von Prondzinski,<br />
Landesvorstand GSV Berlin<br />
Mehrsprachigkeit ist ein großer Schatz und eine<br />
wichtige Ressource, um an der global vernetzten<br />
Welt teilzuhaben. Wie können wir die Mehrsprachigkeit<br />
von Kindern in der Schule fördern und was<br />
sollten wir dazu wissen? Wie wirkt sich das auf die<br />
Sprachkompetenz der Schüler/-innen, insbesondere auch auf das Erlernen<br />
der deutschen <strong>Bildung</strong>ssprache aus? Ein professioneller Umgang<br />
mit sprachlicher Heterogenität eröffnet Handlungsräume <strong>für</strong> die<br />
Lernsituationen und die Schule. Im Workshop beschäftitgten wir uns<br />
mit dem Grundlagenwissen des mehrsprachigen Spracherwerbs, mit<br />
konstruktiven Methoden, Familiensprachen der Lernenden in Schulleben<br />
und Unterricht einzubinden, und mit sprachförderlichen Maßnahmen<br />
beim Erwerb der Zweitsprache.<br />
Ja, ich bin gut nach Hause gekommen,<br />
wenn auch mit erheblicher<br />
Verspätung (statt 22:30 Uhr 0:30 Uhr).<br />
Allerdings: beglückt (und bin’s immer<br />
noch) von einer rundum gelungenen<br />
und Mut machenden Tagung.<br />
Dass dies so war, lag an einem<br />
unterstützenden Tagungsort und vor<br />
allem an einem durchgängig durchdachten<br />
anregenden Programm.<br />
Dem Vorbereitungsteam gilt ein<br />
großes und ganz ganz dickes Dankeschön<br />
da<strong>für</strong>.<br />
Edgar<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
45
Praxis: Rundschau <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Ein großes Dankeschön gilt allen Aktiven!<br />
Dazu gehören auch Prof. Dr. Eva Franz,<br />
Mitglied des Bundesvorstandes, Svenja<br />
Telle, Delegierte der Landesgruppe<br />
Niedersachsen, und Prof. Dr. Hans<br />
Brügelmann, ehemaliger Fachreferent<br />
des Grundschulverbandes und Mitglied<br />
der Landesgruppe Bremen, die zum<br />
Abschluss eines ereignisreichen Tages<br />
reflektierend auf die Tagung zurückgeblickt<br />
haben. Lesen Sie dazu auch nachfolgend<br />
den Beitrag „Vergesst eure Wurzeln<br />
nicht! Ein kurzer Rückblick auf die<br />
Tagung“ von Hans Brügelmann.<br />
Insbesondere bedanken wir uns <strong>für</strong> die<br />
sehr gute Zusammenarbeit mit der Landesgruppe<br />
Thüringen, der Schulleitung,<br />
dem Kollegium und der Elternschaft der<br />
Grundschule Pestalozzi, dem Oberbürgermeister<br />
der Stadt Weimar, der Referentin<br />
des Thüringer Ministeriums <strong>für</strong><br />
Im Interview:<br />
Edgar Bohn,<br />
Konstanze von<br />
Unold, Maresi<br />
Lassek, Marion<br />
Gutzmann<br />
<strong>Bildung</strong>, Jugend und Sport sowie bei allen<br />
Akteur:innen und Referent:innen <strong>für</strong><br />
die vielfältigen Angebote der Tagung,<br />
die <strong>für</strong> die Expertise des Grundschulverbandes<br />
stehen! Ein ganz besonderer<br />
Dank gebührt dem Vorbereitungsteam<br />
mit Konstanze von Unold, Delegierte<br />
der Landesgruppe Bayern, Eva Osterhues-Bruns,<br />
Fachreferentin <strong>für</strong> Praxis<br />
Grundschule, Steffi Jünemann und Antje<br />
Klecha, Vorstandsmitglieder der Landesgruppe<br />
Thüringen, und Marion Gutzmann,<br />
stellvertretende Vorsitzende des<br />
Bundesvorstandes, <strong>für</strong> die Planung und<br />
die Organisation der ersten Frühjahrstagung<br />
des Grundschulverbandes in Zusammenarbeit<br />
mit einer Landesgruppe.<br />
Marion Gutzmann,<br />
Gabriele Klenk, Edgar Bohn<br />
Vergesst eure Wurzeln nicht!<br />
Ein kurzer Rückblick auf die Tagung „KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT! 2.0“<br />
Mich haben die Vorträge und die Seminare heute sehr angeregt<br />
und motiviert – aber zugleich bin ich auch ernüchtert und nachdenklich<br />
gestimmt.<br />
Meine „Brille“, durch die ich die Tagung wahrgenommen habe, ist<br />
die über 50-jährige Geschichte des Verbandes, dessen Aktivitäten<br />
ich seit seiner Gründung als „Arbeitskreis Grundschule“ Ende der<br />
1960er-Jahre miterlebt habe. Ich habe mir diese Vorgeschichte in den<br />
letzten Tagen noch einmal bewusst gemacht, indem ich in der beeindruckenden<br />
Zusammenschau „Auf dem Weg zur kindergerechten<br />
Grundschule“ von Horst Bartnitzky nachgelesen habe, in der er die<br />
Aktivitäten des Grundschulverbands von 1969 bis 2019 nachgezeichnet<br />
hat (Bd. 148/149 der Beiträge zur Reform der Grundschule, 2019).<br />
Auf der einen Seite ist es bedrückend zu sehen, wie der Verband<br />
und viele seiner aktiven Mitglieder Gedanken immer wieder in die<br />
Diskussion einbringen mussten, die auch heute in verschiedenen Beiträgen<br />
vorgestellt wurden – und dass dies auch heute noch nötig ist.<br />
Andererseits zeigt sich in den Vorstellungen und den Forderungen<br />
des Verbands eine Kontinuität, die man auch als Stärke sehen kann.<br />
Sehr entschieden und zugleich differenziert sind sie zum 100-jährigen<br />
Geburtstag der Grundschule 2019 in den „Anforderungen an<br />
eine zukunftsfähige Grundschule“ formuliert worden, an die uns die<br />
Einleitungsrunde heute Morgen erinnert hat. Sie sind ein überzeugendes<br />
Fundament <strong>für</strong> die Arbeit auch in den kommenden Jahren.<br />
Im Rückblick auf die vergangenen 50 Jahre wird deutlich: Unsere<br />
Ansprüche an die <strong>Entwicklung</strong> der Grundschule sind keine modischen<br />
Trends oder gar Eintagsfliegen, sondern über viele Jahre immer wieder<br />
neu durchdachte und in der Praxis erprobte Konzepte, deren Ursprünge<br />
oft weit zurückliegen. Zum Teil stammen sie aus den 1920er-<br />
Jahren, als reformpädagogisch engagierte Lehrer*innen vor allem in<br />
Berliner, Bremer und Hamburger Schulen schon praktiziert haben, was<br />
wir heute unter Stichworten wie Klassenrat, Öffnung des Unterrichts,<br />
freies Schreiben usw. einfordern. Neu belebt wurden diese Traditionen<br />
in den 1970er- und 1980er-Jahren – <strong>für</strong> viele heute eine schon<br />
weit zurückliegende Vergangenheit. Zwar werden Namen wie Jörg<br />
Ramseger, Maria Fölling-Albers, Mechthild Dehn, Gudrun Spitta, Erich<br />
Wittmann auch heute noch gelegentlich genannt. Aber wer erinnert<br />
sich noch an die Mathematikdidaktiker Heinrich Bauersfeld und Hartmut<br />
Spiegel, an die Impulse von Ute Andresen, von Heide Bambach<br />
und Gerhard Sennlaub <strong>für</strong> den Lese- und Schreibunterricht, an die<br />
Konzepte von Gertrud Beck und Hannelore Schwedes <strong>für</strong> einen an<br />
den Erfahrungen der Kinder orientierten Sachunterricht?<br />
Ich finde, es ist nicht nur eine Frage der Redlichkeit, sich ausdrücklich<br />
auf diese und andere Kolleg*innen zu beziehen, wenn wir<br />
mit unseren Ideen an die Öffentlichkeit gehen. Wir machen damit<br />
auch deutlich, dass es sich um eine Praxis handelt, die durch ihre<br />
vielfache Bewährung im Schulalltag überzeugt – auch wenn sie in<br />
standardisierten Tests vielleicht nicht mehr Punkte erzielt als konkurrierende<br />
Konzepte.<br />
Und noch eines zum Schluss: Die Beiträge in den Workshops haben<br />
wieder einmal sehr konkret unterfüttert, was Michael Kirch in<br />
seinem Vortrag sinngemäß so formuliert hat: „Wenn wir schon nicht<br />
wissen, wie die Zukunft unserer Kinder aussehen wird, sollten wir<br />
darüber nachdenken, wie wir sie haben wollen – und darauf hin<br />
unsere <strong>Bildung</strong>seinrichtungen konzipieren.“<br />
Die Vision einer Grundschule, in der Kinder <strong>für</strong> eine ungewisse<br />
Zukunft gestärkt werden, ist heute in vielen <strong>für</strong> die Praxis hilfreichen<br />
Bausteinen greifbar geworden – auch in den Gesprächen am Rande<br />
und vor allem mit jüngeren Kolleg*innen. Das hat mich sehr ermutigt<br />
– und stärkt hoffentlich auch euch <strong>für</strong> den Alltag ab Montag<br />
wieder in den Schulen. <br />
Hans Brügelmann<br />
46<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
Wenn Lehrer:innen zu Gestalter:innen werden<br />
Design Thinking in der Schule<br />
In einem Seminar zur Mehrsprachigkeitsdidaktik<br />
arbeiten Studierende<br />
mit der Methode Design Thinking<br />
und erstellen digitale Materialien <strong>für</strong><br />
Lehrende und Lernende. Der Beitrag<br />
erläutert den strukturierten Prozess und<br />
zeigt Möglichkeiten und Vorteile <strong>für</strong> die<br />
Nutzung in der Schule.<br />
Lehrkräfte werden <strong>für</strong> ihre Lernenden<br />
(oder mit ihnen gemeinsam) immer auch<br />
Problemlösungen, Konzepte, Methoden<br />
und Arbeitsmaterialien entwickeln. Im<br />
Sinne eines modernen, offenen und <strong>nachhaltige</strong>n<br />
Unterrichts sollten sie ihre Rolle<br />
(auch) als Gestalter:innen, Berater:innen<br />
und Impulsgeber:innen verstehen. Es gilt,<br />
entsprechend eines demokratischen Ansatzes<br />
gemeinsam im Team der Schule<br />
und/oder mit den Schüler:innen Ideen zu<br />
entwickeln und dabei auch über grundsätzliche<br />
Herausforderungen von Unterricht<br />
nachzudenken.<br />
Agilität und Innovation im<br />
<strong>Bildung</strong>sbereich<br />
Im deutschsprachigen Raum hat sich in<br />
den letzten Jahren eine größere Bewegung<br />
in Gang gesetzt, die agile Methoden<br />
und Prinzipien auch <strong>für</strong> den <strong>Bildung</strong>sbereich<br />
nutzbar und bekannt macht. Neben<br />
eduScrum findet auch Design Thinking<br />
zunehmend Eingang in die Schulen und<br />
die Hochschulen des Landes, wo sie das<br />
Lernen und Lehren bereichern und vor<br />
allem vor dem Hintergrund der Förderung<br />
von Future-Skills und insbesondere<br />
von transformativen Kompetenzen<br />
diskutiert werden (https://www.stifterverband.org/medien/future-skills-2021,<br />
Aufruf am 18.03.2024). Design Thinking<br />
kann hierbei als didaktisches Mittel zur<br />
Ausgestaltung dieser Ansätze verstanden<br />
werden. Das Lernen entlang von Problemstellungen<br />
ermöglicht es den Lernenden,<br />
sich sinnstiftend mit Inhalten<br />
auseinanderzusetzen. Design Thinking<br />
(DT) ist ein kollaborativer Ansatz zur<br />
Problemlösung, der sich auf die Bedürfnisse<br />
der Nutzer:innen konzentriert und<br />
innovative, kreative Lösungen entwickelt.<br />
Es ist ein iterativer, sehr klar strukturierter<br />
Prozess, der nach einer längeren Phase<br />
der Erkundung des Problemraums die<br />
Teilnehmenden ergebnisoffen innovative<br />
Lösungen entwickeln lässt.<br />
Design Thinking in der Schule<br />
In Bezug auf Schule sind verschiedene<br />
Szenarien denkbar: Zum einen kann DT<br />
die Demokratiebildung unterstützen – so<br />
könnten die Schüler:innen zum Beispiel<br />
in die Planung eines neuen Schulhofes<br />
einbezogen werden: Welche Wünsche<br />
und Bedürfnisse haben die einzelnen<br />
Schüler:innen, um eine gute Lösung <strong>für</strong><br />
alle zu finden? Zum anderen kann DT<br />
aber auch im Kollegium durchgeführt<br />
werden, um Schule gemeinsam weiterzuentwickeln.<br />
Ein erkanntes und definiertes<br />
Problem (z.B.: Wie gehen wir mit der<br />
Mehrsprachigkeit unserer Schüler:innen<br />
um? Wie können wir mit unseren Ressourcen<br />
(Zeit, Wissen, Erfahrungen etc.)<br />
effizienter umgehen? Wie können Seiteneinsteiger:innen<br />
an unserer Schule gut<br />
in den Beruf finden? Wie können wir ein<br />
noch besseres Team werden?) wird dabei<br />
gemeinsam betrachtet und unter Bezugnahme<br />
aller Bedürfnisse werden neuartige<br />
Lösungen entwickelt. Eine dritte Möglichkeit<br />
ist natürlich, dass Lehrende und<br />
Lernende gemeinsam den Prozess durchlaufen.<br />
Die Hopp-Foundation stellt da<strong>für</strong><br />
online Tutorials und kostenloses Material<br />
zur Verfügung (https://www.hopp-foundation.de/schule/unterstuetzung/designthinking/,<br />
Aufruf am 18.03.2024).<br />
Der Design-Thinking-<br />
Prozess am Beispiel eines<br />
Mehrsprachigkeitsseminars<br />
In einem Seminar zu Mehrsprachigkeitsbildung<br />
und -didaktik mit Studierenden<br />
des Lehramts an Grundschulen<br />
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
arbeitete ich in Kooperation<br />
mit dem BMBF-Projekt DikoLA<br />
(Digital kompetent im Lehramt) mit<br />
Design Thinking. Anhand dieses Beispiels<br />
möchte ich die Phasen von DT<br />
kurz erläutern.<br />
Das Besondere ist, dass dem Erkunden<br />
des Problemraums genauso viel<br />
Zeit und Raum gegeben wird wie dem<br />
Erkunden des Lösungsraums. Widmet<br />
man sich sonst oft direkt der Lösungsfindung,<br />
versucht man im DT erst einmal<br />
grundlegend zu verstehen, wen das<br />
Problem betrifft, warum es auftaucht,<br />
wie es von verschiedenen Akteur:innen<br />
empfunden wird und welche Lösungs-<br />
In die Breite gehen<br />
Fokus finden<br />
In die Breite gehen<br />
Fokus finden<br />
Iteration<br />
Startpunkt:<br />
Herausforderung<br />
festlegen<br />
Problemfeld<br />
verstehen<br />
Empathie<br />
aufbauen<br />
Nutzerperspektive<br />
erfassen<br />
Ideen<br />
sammeln<br />
Prototypen<br />
bauen<br />
Prototypen<br />
testen<br />
Erkunden des Problemraums<br />
Erkunden des Lösungsraums<br />
Abb. 1: Der Design-Thinking-Prozess im Überblick (Hopp/Häußlein 2019)<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
47
Praxis: Rundschau <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Dr. Nadine Naugk,<br />
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
im Arbeitsbereich Deutsch, Institut<br />
<strong>für</strong> Schulpädagogik und Grundschuldidaktik,<br />
Martin-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg, Grundschulverband-<br />
Vorstandsmitglied der Landesgruppe<br />
Sachsen-Anhalt<br />
wege aus unterschiedlichen Blickwinkeln<br />
erstrebenswert erscheinen. Die Frage<br />
in meinem Seminarkonzepte lautete:<br />
Wie kann man Unterstützungsmöglichkeiten<br />
<strong>für</strong> Lehrkräfte finden, um Mehrsprachigkeit<br />
als Chance anzusehen und<br />
in den Unterricht zu integrieren? Nach<br />
Festlegung dieser Herausforderung geht<br />
man zunächst in die Breite. Die Studierenden<br />
setzten sich da<strong>für</strong> mit Primär-<br />
und Sekundärliteratur auseinander,<br />
wie dem Jugendbuch Ching Chang<br />
Stop (Gohring 2022), das eindrücklich<br />
und authentisch von Alltagsrassismus<br />
berichtet, oder dem Debattenbuch<br />
Abb. 2: Bearbeitung der Wow-How-Now-Matrix<br />
Deutschpflicht auf dem Schulhof? Warum<br />
wir Mehrsprachigkeit brauchen (Wiese/<br />
Tracy/Sennema 2020), um die Komplexität<br />
der Herausforderung zu verstehen.<br />
In der anschließenden Empathiephase<br />
interviewten sie Lehrkräfte zu ihrer persönlichen<br />
Sicht auf die Herausforderung<br />
insbesondere in Bezug auf ihren (Unterrichts-)Alltag<br />
an der Schule. Eine weitere<br />
Möglichkeit zum Verständnis der Perspektive<br />
der Nutzenden kann auch durch<br />
Selbsterfahrung oder Beobachtungen<br />
(z. B. in Hospitationen) entwickelt werden.<br />
Sollen Schüler:innen beispielsweise<br />
in die Planung der Schulhofgestaltung<br />
einbezogen werden, müssten Kinder<br />
verschiedenen Alters und insbesondere<br />
Kinder mit besonderen Rechten interviewt<br />
/ beobachtet werden. Setzt sich das<br />
Schulteam mit der Frage auseinander,<br />
wie Seiteneinsteiger:innen bestmögliche<br />
Unterstützung zum Einstieg in den Beruf<br />
bei knappen eigenen Ressourcen bekommen<br />
können, sollten die Seiteneinsteigenden<br />
selbst, ihre Mentor:in(nen)<br />
und die Schulleitung befragt werden, um<br />
die Herausforderung aus deren Perspektive<br />
wahrzunehmen.<br />
Im weiteren Verlauf des DT, der Phase<br />
des Erfassens der Nutzer:innenperspektive,<br />
tragen die Teilnehmenden ihre Informationen<br />
zusammen und identifizieren<br />
ein Teilproblem, <strong>für</strong> das sie im weiteren<br />
Prozess eine Lösung entwickeln<br />
wollen, und formulieren dazu eine Wiekönnen-wir-Frage<br />
(z. B.: Wie können<br />
wir Frau A. unterstützen, in nur zwei<br />
Minuten ihres Unterrichtstages Mehrsprachigkeit<br />
einzubauen? Wie können<br />
wir Frau B. die Vorteile einer Mehrsprachigkeitsdidaktik<br />
möglichst knapp nahebringen?<br />
Wie können wir die Sprachreflexion<br />
(des Deutschen) auf Satzebene<br />
anregen?)<br />
Nach dieser Engführung geht es wieder<br />
in die Breite und es werden so viele<br />
kreative, innovative Ideen gesammelt wie<br />
möglich, die auch erst einmal etwas verrückt<br />
klingen können. Da<strong>für</strong> bieten sich<br />
verschiedene Brainstorming-Methoden<br />
wie das Superman-Brainstorming, das<br />
Brainwriting oder das Objekt- oder Inspirations-Brainstorming<br />
an (siehe Hopp/<br />
Häusslein 2019, 146 ff.). Mithilfe der<br />
Wow-How-Now-Matrix (Abb. 2) ordnen<br />
die Studierenden ihre Ideen schließlich in<br />
einen von vier Quadranten mit Blick auf<br />
die Realisierbarkeit und die Originalität<br />
der Idee ein, um abschließend eine der<br />
Ideen, die im Wow-Sektor gelandet sind,<br />
<strong>für</strong> die spätere Umsetzung auszuwählen.<br />
Für diese ausgewählte Idee bauen sie<br />
nun einen Prototyp, der das Konzept<br />
der Idee veranschaulicht – die Teilnehmenden<br />
treten hierbei in einen intensiven<br />
Austausch über ihr jeweiliges Verständnis<br />
der ausgewählten Idee und<br />
besprechen mit Blick auf die gestellte<br />
Herausforderung und die erarbeitete<br />
Nutzer:innenperspektive die Details.<br />
Anschließend gehen sie in die Umsetzungsphase,<br />
in der immer wieder Feedback<br />
gegeben wird, um iterativ das Produkt<br />
zu verbessern. In meinem Seminar<br />
erstellten die Studierenden am Ende digitale<br />
oder digitalisierte Materialien, die<br />
Lehrkräften nun unter einer offenen Lizenz<br />
als Open Educational Ressources<br />
(OER) über eine Homepage zur Verfügung<br />
stehen (https://blogs.urz.unihalle.de/mehrsprachigeschule/,<br />
Aufruf<br />
am 08.03.2024). So entstanden bisher<br />
knapp 20 Materialien, u. a. interaktive<br />
H5P-Materialien, Padlets/Taskcards,<br />
Videotutorials oder PDFs, die von den<br />
Studierenden selbstständig in die Homepage<br />
eingebettet wurden. Dabei konnten<br />
die Studierenden gleichzeitig ihre digitalen<br />
Kompetenzen ausbauen und innovative<br />
Tools kennenlernen. Neben einer<br />
Sprachenwand, einem interaktiven<br />
Wimmelbild oder einem Sprachenzug,<br />
mit dem die Reihenfolge der Satzglieder<br />
48<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024
Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
in verschiedenen Sprachen verglichen<br />
werden kann, stehen insbesondere die<br />
Sprachreflexion zum Ausbau von Language<br />
Awareness der Schüler:innen und<br />
das Kennenlernen kultureller Besonderheiten<br />
im Vordergrund der Materialien.<br />
In der Evaluation des Seminars wurde<br />
die Methode grundlegend als positiv<br />
eingeschätzt. Den Perspektivenwechsel,<br />
die Praxisnähe und den Nachhaltigkeitsaspekt<br />
durch die nun permanente<br />
Erreichbarkeit der Materialien im Netz<br />
sowie die Empathiephase schätzten die<br />
Studierenden besonders positiv ein, auch<br />
wenn manch einem der kleinschrittige<br />
Prozess an einigen Stellen etwas mühsam<br />
erschien. Die intensive Erkundung des<br />
Problemraums schien ebenfalls den einen<br />
etwas mühsam, andere berichteten,<br />
dadurch das Problem viel bewusster und<br />
tiefgründiger durchdrungen zu haben.<br />
Auf die Frage hin, ob sie sich die Methode<br />
auch im Unterricht vorstellen können,<br />
antworteten die Studierenden u.a.:<br />
● „Ich habe sowieso den Anspruch,<br />
Kinder zu Gestalter*innen (im weiteren<br />
Sinne) auszubilden. Die Fähigkeit,<br />
gestalten zu können, ist elementar, um<br />
ein selbstbestimmtes Leben leben zu<br />
können.“<br />
● „In einer Projektwoche oder Ähnlichem<br />
wäre eine Anwendung bestimmt<br />
möglich, allerdings könnte es<br />
in der Umsetzung bezüglich der benötigten<br />
Zeit schwer werden. Den Ansatz<br />
an sich finde ich aber sehr gut.“<br />
● „Leider fand ich die einzelnen Schritte<br />
der Methode sehr langatmig.<br />
Wenn ich diese anwenden würde,<br />
dann in einer verkürzten Form.“<br />
Fazit<br />
Mit DT können Lernende in den Lernprozess<br />
einbezogen und ihre Kreativität,<br />
Problemlösungskompetenz, Empathievermögen<br />
und Kollaborationsfähigkeit<br />
gefördert werden. Es hilft, eine Lernumgebung<br />
zu schaffen, die auf die individuellen<br />
Bedürfnisse der Lernenden<br />
zugeschnitten ist und Motivation und<br />
Engagement in Unterricht und Schulalltag<br />
steigern kann. Es zeigte sich, dass DT<br />
dazu beitragen kann, ein neues Selbstverständnis<br />
von Unterricht und der eigenen<br />
Rolle als Lehrperson zu entwickeln, und<br />
in jeder Schulform denkbar ist.<br />
Nadine Naugk<br />
Literatur:<br />
Gohring, D. (2022): Ching Chang Stop.<br />
Heidelberg: Carl Auer.<br />
Hopp, O./Häusslein, G. (2019): Design<br />
Thinking und Schule: Das Handbuch <strong>für</strong> den<br />
Schulalltag, Weinheim: Hopp Foundation for<br />
computer literacy & informatics: https://<br />
www.hopp-foundation.de/<br />
unterrichtsmaterial/zum-download/<br />
design-thinking-und-schule/<br />
(letzter Aufruf am 25.04.24)<br />
Wiese, H./Tracy, R./Sennema, A. (2020):<br />
Deutschpflicht auf dem Schulhof? Warum<br />
wir Mehrsprachigkeit brauchen. Berlin:<br />
Duden-Verlag.<br />
Band 147 jetzt kostenlos<br />
„<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> –<br />
Eine Aufgabe <strong>für</strong> alle Fächer und Lernbereiche“<br />
„<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> – Eine Aufgabe <strong>für</strong> alle Fächer und Lernbereiche“,<br />
der Band 147 der Beiträge zur Reform der Grundschule, ist ab jetzt<br />
kostenlos im Projekt Eine Welt in der Schule verfügbar!<br />
Auf gut 140 Seiten zeigt der Herausgeber Prof. Dr. Dr. Rudolf Schmitt, wie BNE im<br />
Schulalltag verankert werden kann. Der Band ist in drei Abschnitte unterteilt:<br />
Der Orientierungsrahmen <strong>für</strong> den Lernbereich Globale <strong>Entwicklung</strong>, Unterrichtsbeispiele<br />
aus Fächern der Grundschule und Materialien zur <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong>.<br />
Die Abgabe erfolgt kostenlos, auch in größeren Gebinden, entweder direkt in den<br />
Räumen des Projekts auf dem Unigelände in Bremen oder gegen Portokosten gern<br />
auch über Postversand.<br />
Weitere Infos und Bestellungen unter<br />
www.weltinderschule.uni-bremen.de und einewelt@uni-bremen.de.<br />
GS aktuell 166 • Mai 2024<br />
U III
Grundschule aktuell<br />
Grundschulverband e. V.<br />
Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />
Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />
info@grundschulverband.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />
D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />
Versandadresse<br />
Ausblick Grundschule aktuell 167<br />
Lehramt studieren, Lehrkraft werden, Lehrkraft sein<br />
Im Septemberheft wollen wir uns insbesondere den Phasen Lehramt studieren –<br />
Lehrkraft werden – Lehrkraft sein widmen. Hierbei soll die Sicht von Studierenden,<br />
Referendar:innen, Lehrkräften, Seminarleitungen, Schulen und Hochschulen in<br />
den Blick genommen werden sowie die Bedeutung <strong>für</strong> die Arbeit in multiprofessionellen<br />
Teams. Dabei sollen auch die Wünsche der Kinder Berücksichtigung finden.<br />
U. a. möchten wir uns dabei folgenden Fragestellungen zuwenden:<br />
• Welche Kompetenzen und Haltungen braucht eine Lehrkraft, um den Bedürfnissen<br />
der Kinder in der Grundschule gerecht zu werden?<br />
• Welche Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten müssen gegeben sein, damit diese<br />
Kompetenzen und Haltungen entwickelt werden?<br />
• Welche Bedingungen müssen <strong>für</strong> Aus-, Fort- und Weiterbildung geschaffen werden?<br />
• Welche Kriterien sind <strong>für</strong> professionelles und kooperatives Arbeiten bedeutsam?<br />
Mit Blick auf innovative Wege in der Lehrer:innenbildung und die Verknüpfung der<br />
Phasen werden gewinnbringende Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten aufgezeigt, die<br />
<strong>für</strong> das professionelle Handeln als Lehrkraft benötigt werden.<br />
www.grundschulverband.de · Februar 2024 · D9607F<br />
Grundschule aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 165<br />
Die nächsten<br />
Themen<br />
Zum Thema<br />
• Kinderstärken!<br />
Kinder stärken!! Starke Kinder!!!<br />
September 2023 November 2023<br />
Februar 2024<br />
Kinder Stärken erleben lassen<br />
Forschung<br />
• Social Entrepreneurship<br />
Education in der GS<br />
Rundschau<br />
• Frühjahrstagung des GSV<br />
am 2. März in Weimar<br />
Heft 168 | November 2024<br />
Beobachten – Staunen – Forschen:<br />
naturwissenschaftliches Lernen<br />
in der GS<br />
Heft 169 | Februar 2025<br />
Schrift und Schreiben<br />
Heft 170 | Mai 2025<br />
Bauen, Konstruieren,<br />
Programmieren<br />
www.<br />
grundschule-aktuell.info