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Bildung für nachhaltige Entwicklung

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www.grundschulverband.de · Mai 2024 · D9607F<br />

Grundschule aktuell<br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 166<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong><br />

Zum Thema<br />

Wie weit ist weit weg? Kann man<br />

<strong>für</strong> Klimaschutz zu klein sein?<br />

Forschung<br />

Grundschulunterricht im Schnittfeld<br />

von BNE und Digitalisierung<br />

Rundschau<br />

„Erfolgreiche und Mut<br />

machende Frühjahrstagung“


Inhalt<br />

Tagebuch<br />

S. 2 Warum bin ich im Grundschulverband? (A. Grajek)<br />

Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

S. 3 „Auch das noch?!“ – oder: „Das machen wir doch<br />

schon längst!“ ? (H. Brügelmann)<br />

S. 5 Wie weit ist weit weg? (U. Oltmanns)<br />

S. 7 <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> im<br />

Sachunterricht der Grundschule (M. Wulfmeyer)<br />

Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

S. 9 BNE in der Schule praktisch umsetzen – wie kann<br />

das gehen? (R. Rentz, U. Oltmanns)<br />

S. 12 Kann man <strong>für</strong> den Klimaschutz zu klein sein?<br />

(S. Wallroth)<br />

S. 13 Dem Klimawandel auf der Spur (J. Wolz)<br />

S. 15 Die GemüseAckerdemie (Ch. Schmitz, M. Töpler)<br />

S. 17 Mit Kindern auf dem Schulacker (K. v. Unold)<br />

S. 18 „Der Müll muss weg“ (S. Geese, L. Gutschik)<br />

S. 20 Im FREI DAY über sich hinauswachsen<br />

(T. Seidensticker)<br />

S. 22 Auf dem Weg zur müllfreien Grundschule<br />

(A. Potthast)<br />

S. 24 Ganzheitlich, partizipativ, Zukunft gestaltend<br />

(A. Frisch, A. Höck)<br />

S. 26 FREI DAY: Der Zukunftstag an unserer<br />

Grundschule Nord (L. Münzel)<br />

S. 28 Auf in die (Stadt)Wildnis! (J. Simon, T. Simon)<br />

S. 30 Spielen, Feiern und Entdecken (S. Spuller)<br />

S. 32 Biosphärenschulen schaffen – Gestaltungsspielräume<br />

<strong>für</strong> BNE (P. Dippold, J. Nickel, A. Jany)<br />

S. 34 Spielerisch zukunftsfähiges Denken<br />

und Handeln fördern (J. Langhof)<br />

S. 36 Kinderbücher zum Thema (M. Gutzmann)<br />

Aus der Forschung<br />

S. 38 Die Reise der Kakaobohne (L. Ade, K. Kindermann,<br />

C. Theurer, S. Pohlmann-Rother)<br />

Rundschau<br />

S. 42 Aus dem Vorstand: „Erfolgreiche und Mut<br />

machende Frühjahrstagung“<br />

(M. Gutzmann, G. Klenk, E. Bohn, H. Brügelmann)<br />

S. 47 Design Thinking in der Schule –<br />

Wenn Lehrer:innen zu Gestalter:innen werden<br />

(N. Naugk)<br />

Der Blaue Engel – das Umweltzeichen<br />

ab Grundschule aktuell – September 2024<br />

Der Blaue Engel ist Deutschlands bekanntestes und<br />

das weltweit erste Umweltzeichen. Um es nutzen zu<br />

dürfen, müssen die Anforderungen vieler Vergabekriterien<br />

eingehalten werden, denn der Blaue Engel stellt sicher, dass<br />

die ausgewiesenen Produkte hohe Ansprüche an Umwelt-, Gesundheits-<br />

und Gebrauchseigenschaften erfüllen.<br />

Auch der Grundschulverband e. V. – als Herausgeber vieler Publikationen<br />

– hat es sich zur Aufgabe gemacht, ökologisch sinnvoll<br />

zu produzieren und seiner Verantwortung <strong>für</strong> eine umwelt- und<br />

ressourcenschonende Herstellung nachzukommen. So freuen wir<br />

uns, Ihnen mitteilen zu können, dass sich der Bundesvorstand entschieden<br />

hat, ab der Septemberausgabe unserer Fachzeitschrift<br />

Grundschule aktuell ein mit dem Blauen Engel umweltzertifiziertes<br />

Papier zu verwenden. Dabei handelt es sich um ein in Deutschland<br />

produziertes Papier, hergestellt aus 100 Prozent Altpapier ohne<br />

Verwendung von Chlorbleiche im Produktionsprozess. Bei der Entscheidungsfindung<br />

sind wir zudem davon ausgegangen, dass die<br />

Mitglieder des Grundschulverbands und die Käufer:innen der Zeitschrift<br />

unsere Entscheidung gutheißen und das neue Erscheinungsbild<br />

wertschätzen werden. Lassen Sie sich überraschen.<br />

Mit besten Grüßen, Ihr Grundschulverband e. V.<br />

Impressum<br />

GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />

erscheint vierteljährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt<br />

(ausgenommen Unterstützer:innen).<br />

Das einzelne Heft kostet 12,00 € (zzgl. Versand innerhalb Deutschlands);<br />

<strong>für</strong> Mitglieder und ab 10 Exemplaren 5,00 €.<br />

Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />

Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />

Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />

www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />

Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />

Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />

gabriele.klenk@grundschulverband.de<br />

Fotos und Grafiken: novuprint GmbH (Titel illustration unter<br />

Verwendung von Fotos von T. Seidensticker, Adobe Stock / Christine Wulf)<br />

S. Spuller / Abb.1, A. L. Fischer, E. Hager (S. 30) / Abb. 2, L.-M. Mann,<br />

S. Herrmann, M. Hoffmann, M. Hampel (S. 31) / Abb. 3 R. Beyer, L. Löscher,<br />

J. Hanis, T. Szewczyk (S. 31)<br />

Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders vermerkt)<br />

Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />

Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />

info@grundschulverband.de<br />

Druck: Strube Druck & Medien GmbH, 34587 Felsberg<br />

ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6110<br />

In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />

ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />

Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />

Lösung <strong>für</strong> das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />

jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form.<br />

UII<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Diesmal<br />

Auch das noch?! –<br />

oder: Das machen wir doch schon längst!<br />

In diesem Beitrag zeigt Hans Brügelmann die Doppelbeziehung<br />

von Nachhaltigkeit und <strong>Bildung</strong> auf. Einerseits ist<br />

<strong>nachhaltige</strong>s Leben ein Ziel von <strong>Bildung</strong>, andererseits muss<br />

<strong>Bildung</strong> auch gekennzeichnet sein durch <strong>nachhaltige</strong>s Lernen.<br />

Aktivitäten im Lern- und Lebensraum Schule heute<br />

müssen Kinder in ihrer gegenwärtigen Erfahrungswelt abholen<br />

und ihnen Möglichkeiten bieten, Selbstwirksamkeit<br />

zu erleben. Nachhaltige <strong>Bildung</strong> ist kein additives Plus zum<br />

traditionellen Fächerkanon, sondern eng mit zentralen<br />

Konzepten wie Friedenserziehung, Demokratielernen und<br />

Menschenrechtsbildung verbunden. Der Dreiklang von Aufklärung<br />

in der Sache, Beteiligung an Entscheidungen und<br />

Mitverantwortung <strong>für</strong> das Zusammenleben wird in diesem<br />

einführenden Text als ein wesentliches Merkmal der Umsetzung<br />

von BNE in der Grundschule treffend begründet.<br />

Seite 3–4<br />

BNE in der Schule praktisch umzusetzen –<br />

wie kann das gehen?<br />

Ulrike Oltmanns und Rachel Rentz stellen hier dar, inwiefern<br />

„Eine Welt in der Grundschule“ als ein zentrales Projekt des<br />

Grundschulverbandes nicht nur globale Zusammenhänge<br />

deutlich machen möchte, sondern auch durch praktische Konzepte<br />

sowie die Bereitstellung von vielfältigen Materialien zu<br />

unterschiedlichen Themen einen wesentlichen Beitrag <strong>für</strong> <strong>Bildung</strong><br />

<strong>für</strong> eine <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> bereits in der Grundschule<br />

leistet. Mit den 17 Zielen <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

wird das Projekt in seinem Blick „von der Nähe in die Weite“<br />

darin bestätigt. Die Handreichung „17 Ziele – Wir <strong>für</strong> eine bessere<br />

Welt“ will Lehrkräfte mit praktischen Vorschlägen unterstützen<br />

und Handlungsideen von Kindern bündeln lassen.<br />

Noch mehr Grundschulverband?<br />

Sie finden uns auf Social Media,<br />

Stichwort „Grundschulverband“<br />

und unseren Podcast direkt<br />

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grundschule-aktuell.info<br />

Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“<br />

und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />

www.<br />

grundschulverband.de/archiv/<br />

Seiten 9–11<br />

Liebe Leser*innen,<br />

die letzte Delegiertenversammlung am 19. und 20. April 2024<br />

stand vor allem unter den Eindrücken der bewegenden Verabschiedung<br />

und des Dankes an die scheidenden Vorstandsmitglieder<br />

Gabriele Klenk und Thomas Irion sowie an unseren<br />

Vorsitzenden Edgar Bohn. Gemeinsam mit Ulla Carle, Marion<br />

Gutzmann, Andrea Karlsberg und Eva Franz hat der Vorstand<br />

viele Weichen <strong>für</strong> die zukünftige Arbeit des Verbandes und <strong>für</strong><br />

notwendige Transformationen im Grundschulbereich gestellt.<br />

Dem Wirken und den Verdiensten der drei ausscheidenden Vorstandsmitglieder<br />

sowie der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft<br />

an Maresi Lassek werden wir in der nächsten Grundschule aktuell<br />

einen würdigenden Raum schaffen. Einer der Schwerpunkte<br />

des Vorstandes war die Gestaltung der Frühjahrstagung „KIN-<br />

DER! LERNEN! ZUKUNFT! JETZT! 2.0 – Herausforderungen<br />

und Perspektiven“ an der Grundschule Pestalozzi in Weimar,<br />

über die in diesem Heft ausführlich berichtet wird.<br />

Ein Blick in die Zukunft steht auch im Zentrum des Themas<br />

des aktuellen Heftes „<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>“.<br />

Seitens der UN wurde 2015 ein Weltaktionsprogramm verabschiedet,<br />

das die großen Herausforderungen unserer Zeit in<br />

Form von 17 Zielen bis 2030 aktiv angehen soll. Im Nationalen<br />

Aktionsplan <strong>für</strong> Deutschland heißt es u. a. <strong>für</strong> den Bereich<br />

Schule und formale <strong>Bildung</strong> (Seite 38): „Im Lern- und Lebensort<br />

Schule sind Aktions- und Freiräume geschaffen, die Kindern<br />

und Jugendlichen Selbstwirksamkeit, Kompetenzzuwachs<br />

und Anerkennung im Sinne von <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

(BNE) ermöglichen.“<br />

Die Praxisbeispiele im Heft veranschaulichen, wie „<strong>Bildung</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>“ mehr und mehr als Aufgabe der<br />

ganzen Schule gesehen wird und diese Aktions- und Freiräume<br />

geschaffen werden. So bieten Beiträge wie z. B. „Dem Klimawandel<br />

auf der Spur“ von Johannes Wolz, „Im FREI DAY<br />

über sich hinauswachsen“ von Tatjana Seidensticker oder „Auf<br />

dem Weg zur müllfreien Grundschule“ von Andreas Potthast<br />

ein breites Spektrum von profilbildenden Möglichkeiten,<br />

Nachhaltigkeit als Thema der Zukunft sowie als fächerübergreifendes<br />

<strong>Bildung</strong>sanliegen im Unterricht zu verankern.<br />

Auch die Arbeit von Eine Welt in der Schule als ein Projekt des<br />

Grundschulverbands ist von Beginn an davon geprägt, globale<br />

Bezüge in der Erstellung von Materialien und der Zeitschrift<br />

mit einzubeziehen.<br />

Mit dem Erscheinen dieses Heftes liegen die ersten 30 Tage<br />

der Zusammenarbeit des neuen Vorstandes hinter einem Team<br />

aus sechs Frauen. Wir freuen uns sehr über die Gewinnung<br />

von jüngeren Mitgliedern <strong>für</strong> die Vorstandsarbeit und die<br />

Wahl von Svenja Telle, Konstanze von Unold und Maxi Brautmeier-Ulrich.<br />

Als Stellvertretende Vorsitzende werden Andrea<br />

Karlsberg und Eva Franz tätig sein, als Vorsitzende des Bundesvorstands<br />

Marion Gutzmann. Wir danken den Delegierten<br />

der Landesgruppen <strong>für</strong> das große Vertrauen, das sie dem neuen<br />

Vorstand entgegenbringen.<br />

Wir bleiben sehr gerne weiterhin mit Ihnen im Austausch.<br />

Herzlichst<br />

Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />

sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

1


Tagebuch<br />

Warum bin ich im Grundschulverband?<br />

Andreas Grajek<br />

Andreas Grajek ist Grundschullehrer<br />

<strong>für</strong> die Fächer Deutsch, Mathematik,<br />

Sachunterricht, Englisch und Musik. Er<br />

ist in der ersten und der zweiten Phase<br />

der Lehrkräftebildung sowie als Fortbildner<br />

<strong>für</strong> Begabungs- und (Hoch-)<br />

Begabtenförderung im Primarbereich<br />

aktiv. Daneben betreibt er die Plattform<br />

schulimpulse.de und engagiert<br />

sich in der Landesgruppe Sachsen im Grundschulverband.<br />

Meine erste Begegnung mit dem Grundschulverband fand<br />

während des Studiums statt. In der Universitätsbibliothek<br />

fiel mir das Buch „Mathematik <strong>für</strong> Kinder – Mathematik<br />

von Kindern“ in die Hände und es beeindruckte mich<br />

sehr. Obwohl mir zu diesem Zeitpunkt die praktische<br />

Unterrichtserfahrung noch fehlte, erkannte ich sofort,<br />

dass das darin vertretene Professionsverständnis meinen<br />

Vorstellungen entsprach.<br />

Meine Reise ging weiter durch das Studium, das Referendariat<br />

und schließlich in den Lehreralltag, begleitet von<br />

den Publikationen des Grundschulverbands. Diese schärften<br />

mein Bewusstsein <strong>für</strong> die Bedeutung von Sprache im<br />

pädagogischen Kontext. Worte wie „lernlangsam“ und<br />

„lernschnell“ ersetzten in meinem Sprachgebrauch die früher<br />

gebräuchlichen Begriffe „lernschwach“ und „lernstark“<br />

und wirkten damit auch auf mein Herangehen an die Planung<br />

von Unterricht. Ebenso lies mich die differenzierte<br />

Betrachtung von Kindern „mit bildungsrelevanten Herausforderungen“<br />

gegenüber der pauschalen Kategorie „sozial<br />

benachteiligt“ die Individualität jedes Kindes stärker<br />

berücksichtigen und wertschätzen. Die Lektüre von „Didaktik<br />

der Lernkulturen“ führte mir die begriffliche Bedeutung<br />

von „Lehr-Lern-Situationen“ vor Augen und regte<br />

mich zum Nachdenken über das Wort „unterrichten“ an.<br />

Der Grundschulverband war und ist mit seiner Schwerpunktsetzung<br />

ein stetiger Begleiter meiner Professionalisierung,<br />

auch wenn mir lange nicht bewusst war, dass hinter<br />

dieser Institution Menschen stehen, die sich aktiv einbringen<br />

und engagieren.<br />

Mit der Zeit verdichteten sich die Berührungspunkte.<br />

Die Werke von Hans Brügelmann oder Erika Brinkmann,<br />

der Spracherfahrungsansatz, die Grundschrift – all<br />

dies waren Themen, die mich faszinierten und die ich unbewusst<br />

mit dem Grundschulverband verknüpfte. Meine<br />

Vorstellung vom Verband wurde konkreter, als ich in die<br />

Lehrkräftebildung wechselte und Publikationen wie die<br />

zum förderlichen Förderkonzept, zum jahrgangsübergreifenden<br />

Lernen, zur Mehrsprachigkeit oder der „Faktencheck<br />

Grundschule“ ihre inhaltliche Kraft entfalteten und<br />

meinem Herangehen an Unterricht und Schule ein breiteres<br />

Fundament gaben.<br />

Der Wendepunkt in meiner Vorstellung vom Grundschulverband<br />

war der Bundesgrundschulkongress 2019.<br />

Erst dort wurde mir bewusst, dass der Grundschulverband<br />

ein lebendiges Netzwerk von engagierten Menschen <strong>für</strong><br />

Menschen ist. Ich trat dem Verband bei, stolz darauf, nun<br />

Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich u. a. durch Tagungen,<br />

Publikationen und die Zeitschrift „Grundschule aktuell“<br />

austauscht und weiterbildet. Die Begegnungen mit<br />

Pädagoginnen und Pädagogen sowie Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftlern, deren Werke ich bis dahin nur<br />

gelesen hatte, waren beeindruckend und inspirierend. Ein<br />

kurzes Gespräch mit Maresi Lassek am Rande eines Workshops,<br />

der von Annemarie von der Groeben geleitet wurde,<br />

hinterließ ebenso wie die Workshops oder die Rede<br />

von Jörg Ramseger <strong>nachhaltige</strong> Eindrücke.<br />

Seitdem hat sich einiges beschleunigt. Ein anfänglicher<br />

Mailverkehr, angestoßen durch Edgar Bohn, mündete in<br />

digitale Runden und regelmäßigen Austausch. Begleitende<br />

Gespräche und Treffen mit Gabriele Klenk und Marion<br />

Gutzmann sowie mit Mitgliedern verschiedener Landesgruppen<br />

zeigten mir, wie viel Engagement, Herzlichkeit<br />

und Interesse am Wohl der Kinder im Grundschulverband<br />

steckt.<br />

Heute, so erscheint es mir, steht der Grundschulverband<br />

vor der spannenden Gelegenheit, in einem zunehmend digitalisierten<br />

Umfeld präsent zu sein. Dieses fordert dazu<br />

auf, die qualitativ hochwertigen und immer zur Reflexion,<br />

zum Austausch sowie zur individuellen Anpassung anregenden<br />

Ressourcen des Verbandes sichtbarer zu machen.<br />

Der Grundschulverband als Fachverband ist mehr als<br />

ein berufliches Netzwerk. Er ist <strong>für</strong> mich eine Gemeinschaft,<br />

die sich durch Professionalität sowie geteilte humanistische<br />

und demokratische Werte auszeichnet. Im Mittelpunkt<br />

steht dabei immer das Kind als zukünftiger Gestalter<br />

oder zukünftige Gestalterin unserer Gesellschaft.<br />

Dies macht den Grundschulverband <strong>für</strong> mich zu einem<br />

unverzichtbaren Teil meiner beruflichen Identität. Deshalb<br />

bin ich im Grundschulverband.<br />

2<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Hans Brügelmann<br />

„Auch das noch?!“ – oder:<br />

„Das machen wir doch schon längst!“?<br />

Nachhaltigkeit als Unterrichtsthema, als methodisches<br />

Prinzip und als Anforderung an das Schulleben<br />

Für die Grundschule stehen „Nachhaltigkeit“ und „<strong>Bildung</strong>“ in einer Doppelbeziehung<br />

zueinander: Im Blick auf die Zukunft der Kinder ist <strong>nachhaltige</strong>s Leben<br />

ein Ziel von <strong>Bildung</strong> – zugleich geht es aber auch um die Qualität der <strong>Bildung</strong><br />

selbst im Sinne eines <strong>nachhaltige</strong>n Lernens, dessen Aktivitäten <strong>für</strong> die Kinder<br />

bedeutsame Bezüge schon zu ihrer gegenwärtigen Erfahrungswelt haben.<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

(kurz BNE) ist eine weltweite<br />

<strong>Bildung</strong>skampagne der Vereinten<br />

Nationen, die international und national<br />

von einem breiten Spektrum verschiedener<br />

Akteure getragen wird. Sie soll das<br />

Individuum zu zukunftsfähigem Denken<br />

und Handeln befähigen und es allen<br />

Menschen ermöglichen, die Auswirkungen<br />

des eigenen Handelns auf die Welt zu<br />

verstehen und verantwortungsvolle,<br />

<strong>nachhaltige</strong> Entscheidungen zu treffen.“<br />

(Wikipedia, Abruf 31.1.2024)<br />

Wenn man diesen Anspruch gegenüber<br />

Lehrer*innen als Aufgabe auch der<br />

Schule benennt, hört man oft den Einwand:<br />

„Das auch noch?! Der Lehrplan<br />

ist doch jetzt schon so voll!“ Diese Abwehr<br />

ist durchaus verständlich, wenn<br />

man sich anschaut, was Schulen und<br />

Lehrer*innen in den letzten Jahren an<br />

zusätzlichen Aufgaben zu bewältigen<br />

hatten und noch haben: Digitalisierung,<br />

Inklusion, Gewaltprävention, Fernunterricht<br />

während Corona, geflüchtete Kinder<br />

ohne jede Deutschkenntnisse …<br />

Dennoch steckt hinter dem Einwand<br />

ein doppeltes Missverständnis.<br />

Erstens: Schaut man sich die 17 Global<br />

Goals for Sustainable Development<br />

konkret an (s. Abb. 1), stößt man auf<br />

Themen, die auch jetzt schon Inhalt der<br />

Lehrpläne sind.<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

erfordert insofern kein neues<br />

Fach. Allerdings werden die Themen<br />

in eine besondere Perspektive gerückt.<br />

Denn auch wenn es sich bei Themen<br />

wie Gesundheit, Konsum, Umwelt um<br />

Inhalte handelt, die in der Grundschule<br />

zum Beispiel im Sachunterricht fest<br />

etabliert sind, erfordert die Ernstnahme<br />

der 17 Ziele einen anderen Umgang mit<br />

ihnen. Es geht nicht um ein neues Fach<br />

oder um eine zusätzliche Unterrichtseinheit,<br />

sondern um einen anderen Blick.<br />

Abb. 1: Die 17 Global Goals for Sustainable Development (UNICEF o. J.)<br />

Prof. em. Dr. Hans Brügelmann,<br />

Mitglied im Vorstand der GSV-Landesgruppe<br />

Bremen<br />

Besonders klar beschreibt der – auch aus<br />

anderen Gründen lesenswerte – Schweizer<br />

„Lehrplan 21“ diese besondere Sicht:<br />

„Wie viele alltagsbezogene und komplexe<br />

Problemstellungen sind die Themen der<br />

Nachhaltigen <strong>Entwicklung</strong> in den seltensten<br />

Fällen einem einzelnen Fachbereich<br />

zuzuordnen. (…)<br />

Formen fächerübergreifenden Unterrichts<br />

sind geeignet, die Vielschichtigkeit<br />

eines komplexen Themas sichtbar, Zusammenhänge<br />

und Wechselwirkungen<br />

fassbar und verständlich zu machen.“<br />

(https://v-ef.lehrplan.ch/index.php?-<br />

code=e|200|4; ähnlich der „Perspektivrahmen<br />

Sachunterricht“, s. GDSU 2013,<br />

76 f.).<br />

Konkret bedeutet das (a. a. O., Tab. 1<br />

„Didaktische Prinzipien“), bei der Bearbeitung<br />

der Themen Bezüge in drei<br />

Spannungsfeldern herzustellen:<br />

● Verbindung verschiedener fachlicher<br />

Zugänge wie politische, ökonomische,<br />

ökologische, soziale und kulturelle Dimension;<br />

● Verknüpfung der zeitlichen Ebenen<br />

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft;<br />

● Vernetzung von lokalen und globalen<br />

Gegebenheiten.<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

3


Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Konkrete Praxisbeispiele finden sich<br />

in der Zeitschrift Eine Welt in der Schule<br />

(siehe auch Oltmanns und Rentz in diesem<br />

Heft, S. 9, und ergänzend den Sammelband<br />

von Wulfmeyer 2020).<br />

Nachhaltige <strong>Bildung</strong> ist mehr als<br />

die Vermittlung von Wissen<br />

Ein zweites Missverständnis: Schule hat<br />

nicht nur fachlich über die Bedeutung<br />

der 17 Ziele zu informieren, vielmehr<br />

sind sie in drei Perspektiven zu entfalten,<br />

wenn Nachhaltigkeit auch didaktisch<br />

und pädagogisch wirksam werden soll:<br />

– als Thema von Unterricht und Projekten,<br />

– als methodisches Prinzip in alle Fächern<br />

(„<strong>nachhaltige</strong>s Lernen“) und<br />

– als Anspruch an die Gestaltung des<br />

Schullebens („<strong>nachhaltige</strong>r Alltag“).<br />

Das ist nicht anders als bei „demokratischer<br />

<strong>Bildung</strong>“. Will Schule lebenstaugliche<br />

Kompetenzen vermitteln,<br />

also auch zur Veränderung von<br />

Einstellungen und Verhalten beitragen,<br />

darf sie sich nicht in Wissensvermittlung<br />

erschöpfen. Sie muss konkrete<br />

Erfahrungsmöglichkeiten bieten.<br />

Auch bei <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Bildung</strong><br />

geht es nicht nur um das Was, also die<br />

Frage nach den Themen einer fachlichen<br />

Aufklärung, sondern ebenso um<br />

das Wie – ganz analog zur Thematisierung<br />

der Kinderrechte in der Schule<br />

(s. Grundschule aktuell H. 159/ 2022, 3–<br />

6). „Nachhaltig“ ist <strong>Bildung</strong> erst dann,<br />

wenn sie etwas mit den Interessen und<br />

den Erfahrungen eines Menschen zu tun<br />

hat, seinen Fragen und Problemen, seinen<br />

Wünschen und Hoffnungen. Damit<br />

verbindet der Grundschulverband<br />

(2024) die Hoffnung:<br />

„Der Anspruch der Kinder auf allseitige<br />

<strong>Bildung</strong> verlangt die Schaffung von<br />

konkreten Erfahrungsräumen <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong>s<br />

und umweltgerechtes Handeln.<br />

Die Partizipation der Kinder zu stärken<br />

und reflexives Handeln zu erzeugen, sind<br />

Aspekte der <strong>Entwicklung</strong> von Gestaltungskompetenz<br />

<strong>für</strong> die Zukunft. Dies betrifft<br />

auch und in besonderer Weise das Zusammenleben<br />

und -lernen im Ganztag.“<br />

Nachhaltigkeit ist dann nicht nur zeitlich<br />

im Sinne eines dauerhaft verfügbaren<br />

Wissens und Könnens zu verstehen, z. B.<br />

durch Üben und Wiederholen (Bönsch<br />

2014), sondern als qualitative Anforderung<br />

an die Art des Lernens – ganz im<br />

Sinne des „Orientierungsrahmens <strong>für</strong> den<br />

Lernbereich Globale <strong>Entwicklung</strong>“:<br />

„Wenn Schülerinnen und Schüler bei<br />

der <strong>Entwicklung</strong> von Kompetenzen <strong>für</strong> die<br />

Gestaltung ihres eigenen Lebens im Sinne<br />

<strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong> unterstützt und<br />

aktiv beteiligt werden sollen, kommt dem<br />

Miteinander in der Schule besondere Bedeutung<br />

zu. Schüler-Beteiligung an der Planung<br />

und Gestaltung von schulischen Vorhaben<br />

und Unterricht hat einen hohen Wert.“<br />

(Schreiber/Siege 2016, 419)<br />

Auch hier wird deutlich, dass „<strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Bildung</strong>“ nicht als bloß additives<br />

Plus zum traditionellen Fächerkanon<br />

missverstanden werden darf, sondern<br />

eng mit Konzepten wie „Friedenserziehung“<br />

(s. Grundschule aktuell H.<br />

161/2023), „Demokratie lernen“ und<br />

„Menschenrechtsbildung“ (s. Grundschule<br />

aktuell H. 159/2022) und „Öffnung<br />

des Unterrichts“ verbunden ist.<br />

Nachhaltigkeit als<br />

Anforderung im Alltag<br />

Insofern sind die 17 Ziele auch als<br />

Anspruch an die Gestaltung des Schullebens<br />

insgesamt zu lesen, wie der „Orientierungsrahmen<br />

<strong>für</strong> den Lernbereich<br />

Globale <strong>Entwicklung</strong>“ deutlich fordert<br />

(vgl. Schreiber/Siege, 2016, 412 ff.).<br />

Wieder in der Fokussierung des Schweizer<br />

„Lehrplans 21“:<br />

„Die Schülerinnen und Schüler engagieren<br />

sich in der schulischen Gemeinschaft<br />

und gestalten diese mit. Sie lernen,<br />

sich eine eigene Meinung zu bilden, eigene<br />

Anliegen einzubringen und diese begründet<br />

zu vertreten. Sie befassen sich mit dem<br />

Verhältnis von Macht und Recht, diskutieren<br />

grundlegende Werte und Normen<br />

und setzen sich mit Konflikten, deren<br />

Hintergründe sowie möglichen Lösungen<br />

auseinander.“<br />

Die Kinder gewinnen Einsichten und<br />

Kompetenzen, und sie übernehmen Verantwortung:<br />

● ob in einem Repair-Café, in dem sie<br />

sich kritisch mit dem eigenem Konsumverhalten<br />

auseinandersetzen, wenn<br />

sie Defektes selbst reparieren statt<br />

gleich wegzuwerfen, was nicht mehr<br />

funktioniert (s. Eine Welt in der Schule,<br />

Nr. 149/2021);<br />

● ob über die Versorgung von Pflanzen<br />

am Beispiel eines Nahrungsmittels<br />

(wie im „Kartoffelprojekt“, s. Eine Welt<br />

in der Schule, Nr. 143/2018) bzw. über<br />

die Versorgung von Haustieren (s. das<br />

„Hühnerprojekt“ in Eine Welt in der<br />

Schule, Nr. 151/2022), oder<br />

● ob über Erfahrungen mit Recycling<br />

und Weiternutzung bei der Organisation<br />

von Kleidertauschpartys, nachdem<br />

sie sich mit dem Kreislauf unserer<br />

Kleidung und <strong>nachhaltige</strong>n Ansätzen<br />

im Herstellungsprozess auseinandergesetzt<br />

haben (s. Eine Welt in der Schule,<br />

Nr. 147/2020).<br />

Es ist dieser Dreiklang von Aufklärung<br />

in der Sache, von Beteiligung an<br />

Entscheidungen und von Mitverantwortung<br />

<strong>für</strong> das Zusammenleben, der<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> eine <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

erst nachhaltig macht.<br />

Quellen:<br />

Bönsch, M. (2014): Nachhaltiges Lernen<br />

durch Üben und Wiederholen. Schneider<br />

Hohengehren: Baltmannsweiler (3. Aufl.).<br />

GDSU (Gesellschaft <strong>für</strong> die Didaktik des<br />

Sachunterrichts) (Hrsg.) (2013): Perspektivrahmen<br />

Sachunterricht. Vollständig überarbeitete<br />

und erweiterte Ausgabe. Klinkhardt:<br />

Bad Heilbrunn (s. zum Überblick:<br />

https://gdsu.de/node/251, Abruf: 2.2.2024).<br />

Grundschulverband (2024): Standpunkt<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> Nachhaltige <strong>Entwicklung</strong> in der<br />

Grundschule – Auf dem Weg zu einer<br />

<strong>nachhaltige</strong>n Zukunft der <strong>Bildung</strong> (Entwurf).<br />

Schreiber, J.-R./Siege, H. (Red.) (2016):<br />

Orientierungsrahmen <strong>für</strong> den Lernbereich<br />

Globale <strong>Entwicklung</strong>. Hrsg. von Engagement<br />

Global im Auftrag der KMK und des BMZ.<br />

Cornelsen: Berlin (2. akt. und erw. Aufl.).<br />

Download: https://www.globaleslernen.de/<br />

sites/default/files/files/pages/orientierungsrahmen_fuer_den_lernbereich_globale_entwicklung_barrierefrei_0.pdf<br />

(Abruf: 2.2.2024).<br />

UNICEF (o. J.): Die globalen Ziele Für<br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Die zehn wichtigsten<br />

Fragen und Antworten. Download:<br />

https://www.unicef.de/informieren/<br />

ueber-uns/unicef-international/neueentwicklungsziele/entwicklungszieleverstaendlich-erklaert<br />

(Abruf: 2.2.2024)<br />

Wulfmeyer, M. (Hrsg.) (2020): <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> im Sachunterricht.<br />

Grundlagen und Praxisbeispiele. Schneider<br />

Hohengehren: Baltmannsweiler/Stuttgart.<br />

4 GS aktuell 166 • Mai 2024


Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Ulrike Oltmanns<br />

Wie weit ist weit weg?<br />

Annäherung an globale Aspekte in der <strong>Bildung</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE) ist eng verbunden mit Perspektiven<br />

zu Fragen der Gerechtigkeit und der Globalität. In der Perspektive von Gerechtigkeit<br />

im Kontext von BNE steckt unter anderem die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit,<br />

die mit der Erkenntnis und der folgenden Auseinandersetzung zu<br />

den Grenzen unseres Erdsystems in den letzten Jahren ein besonderes Gewicht<br />

bekommen hat. Spätestens seit die Folgen des menschengemachten Klimawandels<br />

immer mehr zutage treten, stellt sich die Frage dringender.<br />

Wie wird was gerecht verteilt,<br />

wenn nicht unendlich viel<br />

vorhanden ist? Wer kann aus<br />

welchen Gründen Ansprüche auf das zu<br />

Verteilende erheben?<br />

Die Nachhaltigkeitsziele<br />

Die Basis von BNE bilden Einflüsse aus<br />

der Umweltbildung und entwicklungspolitischer<br />

<strong>Bildung</strong>sarbeit, die neben<br />

weiteren <strong>Bildung</strong>sansätzen in die Konzeption<br />

von BNE eingeflossen sind. Die<br />

entwicklungspolitische <strong>Bildung</strong>sarbeit<br />

ist von jeher geprägt davon, Länder und<br />

Regionen des globalen Südens mit in die<br />

Auseinandersetzung einzubeziehen und<br />

Fragen nach Gerechtigkeit aufzugreifen.<br />

Im Besonderen auch mit Fragen zum<br />

Verhältnis von Lebensstandards im globalen<br />

Norden auf Kosten der Menschen<br />

und der Umwelt im globalen Süden.<br />

Gerade diese Frage ist über die Jahre<br />

im Wesentlichen dieselbe geblieben.<br />

Diskussionen nach einer gerechten Verteilung<br />

von Folgekosten in Form von<br />

Entschädigungsfonds aufgrund der Gewohnheiten<br />

und des Verhaltens der<br />

Menschen im globalen Norden war einer<br />

der kritischen Punkte des Abkommens<br />

bei der letzten UN-Klimakonferenz<br />

(COP28) 2023 in Dubai. Der weitere<br />

Aushandlungsprozess zu diesem<br />

Punkt wird auch die Diskussionen der<br />

nächsten Jahre bestimmen. Die Folgekosten<br />

werden durch den fortschreitenden<br />

Klimawandel weiter zunehmen und<br />

damit auch die Fragen nach den Verursacher*innen.<br />

Auf dem Weltgipfel 2015 hatten die<br />

UN-Mitgliedsstaaten mit den 17 Zielen<br />

Der Beitrag, den alle Staaten und mit ihnen<br />

die Menschen, die in ihnen leben, zu<br />

leisten haben, bezieht sich nicht nur auf<br />

die Unterstützung weniger entwickelter<br />

Länder, sondern alle Menschen sind<br />

aufgefordert, einen Beitrag zu leisten, die<br />

Ziele <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> umzusetzen.<br />

Besonders deutlich wird das z. B. in<br />

dem Ziel 4 der SDGs zu <strong>Bildung</strong>. Wurde<br />

bei den Milleniumszielen von einer<br />

Primärschulbildung <strong>für</strong> alle gesprochen,<br />

steht das SDG-Ziel 4 unter der Überschrift<br />

hochwertige <strong>Bildung</strong>.<br />

Im Unterziel 4.7, das sich mit dem<br />

Zweck und der Qualität von <strong>Bildung</strong> befasst,<br />

wird es weiter ausdifferenziert:<br />

Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden<br />

die notwendigen Kenntnisse und<br />

Qualifikationen zur Förderung <strong>nachhaltige</strong>r<br />

<strong>Entwicklung</strong> erwerben, unter anderem<br />

durch <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

und <strong>nachhaltige</strong> Lebensweisen,<br />

Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung,<br />

eine Kultur des Friedens und der<br />

Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die<br />

Wertschätzung kultureller Vielfalt und des<br />

Beitrags der Kultur zu <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong>.<br />

(Quelle: https://17ziele.de/ziele/4.html)<br />

Je mehr wir unsere Welt vernetzen,<br />

desto mehr erleben wir globale und lokale<br />

Faktoren in unserem Alltag gleichzeitig,<br />

global und lokal werden zu glo<strong>für</strong><br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (Sustainable<br />

Development Goals) versucht, den<br />

negativen Zuständen in unterschiedlichen<br />

Bereichen in der Welt eine andere<br />

Richtung zu geben. Ihnen vorangegangen<br />

waren 2000 die acht <strong>Entwicklung</strong>sziele<br />

der Vereinten Nationen, auch Milleniumsziele<br />

genannt. Interessant ist der<br />

Vergleich zwischen den Milleniumszielen<br />

und den ihnen folgenden SDGs besonders<br />

in einem Punkt: Als übergeordnetes<br />

Ziel stand 2000 die Beseitigung<br />

von Armut. Auch wenn globale Partnerschaften<br />

und der Erhalt der Umwelt<br />

explizit in den acht Zielen aufgegriffen<br />

wurden, wurden durch die weiteren<br />

Ziele wie z. B. Senkung der Mütter- und<br />

Kindersterblichkeit, Beseitigung der extremen<br />

Armut und Grundschulbildung<br />

<strong>für</strong> alle deutlich, dass ein Fokus darauf<br />

lag, Länder des globalen Südens zu unterstützen.<br />

Diese Form der Unterstützung war<br />

noch vorrangig darauf ausgerichtet, zu<br />

einem höheren allgemeinen Lebensstandard<br />

zu verhelfen. Die Reflexion über<br />

die eigene Rolle als Länder des globalen<br />

Nordens stand weniger im Vordergrund<br />

und historische Tatsachen wie der Kolonialismus<br />

und seine tiefgreifenden Folgen<br />

bis in die heutige Zeit wurden überwiegend<br />

ausgeblendet.<br />

Wenn man sich aber an dieser Stelle<br />

dem Begriff global über ein Wörterbuch<br />

nähert, stößt man auf die Definition „die<br />

ganze Erde umfassend“. Damit steckt in<br />

global eine Gleichzeitigkeit, global ist<br />

nicht nur woanders, sondern auch hier,<br />

vor Ort.<br />

In den SDGs von 2015 spiegelt sich<br />

dieses veränderte Verständnis wider.<br />

Ulrike Oltmanns,<br />

wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />

Projekt Eine Welt in der Schule des GSV<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

5


Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

kal. Nachrichten aus aller Welt erreichen<br />

uns fast ohne Zeitverzögerung zum Geschehen<br />

und sind nicht nur <strong>für</strong> Erwachsene,<br />

sondern auch <strong>für</strong> Kinder zugänglich.<br />

Unser Einfluss auf das Klima ist<br />

weltumspannend und auch die Folgen<br />

nicht an nationale Zuständigkeiten gebunden.<br />

Durch transkontinentale Migrationsbewegungen<br />

leben Familien oft<br />

nicht mehr an einem Ort. Unsere Kleidung,<br />

unsere Mobilität, z. B. durch Autos<br />

und Züge, sowie unsere Ernährung<br />

setzen sich aus Produkten zusammen,<br />

die weltweit produziert wurden und z. T.<br />

weiter gereist sind, als viele von uns es<br />

jemals tun werden. Die Produkte werden<br />

von Menschen produziert, an deren Lebensumständen<br />

wir direkt beteiligt sind.<br />

Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.<br />

Die Gleichzeitigkeit von<br />

lokal und global<br />

Die Verschränkung von globalen und<br />

lokalen Fragestellungen und Bezügen<br />

stellt uns selbst vor die Herausforderung,<br />

damit umzugehen, ohne davon<br />

permanent überfordert zu sein. Annette<br />

Scheunpflug greift in ihrem Beitrag<br />

Die globale Perspektive einer <strong>Bildung</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (2000) die<br />

Steigerung von Komplexität auf, die<br />

mit einer Globalisierung der Welt in<br />

Zusammenhang steht. In ihrem Beitrag<br />

führt sie unter den Lernaufgaben als ein<br />

Lernziel auf: „Gerade aufgrund der Komplexität<br />

der Situation müsste das Lernziel<br />

eigentlich heißen, verstehen zu lernen,<br />

dass wir die Situation nicht hinreichend<br />

verstehen können. Das ‚Verstehen des<br />

Nichtverstehens‘ so zu organisieren, dass<br />

es weitere Anschlussmöglichkeiten an<br />

Lernen bietet, ist die Herausforderung“.<br />

(Scheunpflug 2000: 321)<br />

In einem Beitrag von 2022 beschreibt<br />

sie die Menschen als Wesen, die „in ihrer<br />

spontanen Problemlösungsfähigkeit auf<br />

Erfahrungen im Nahbereich spezialisiert<br />

[sind] – und diese ist <strong>für</strong> die Erfahrungen<br />

einer globalisierten Weltgesellschaft<br />

nicht besonders gut geeignet“. (Scheunpflug<br />

2022: 10)<br />

Weiter führt sie aus, „dass [die] Möglichkeiten,<br />

mit denen die Menschen ihre<br />

Umwelt wahrnehmen und in ihr reagieren,<br />

[…] sich menschheitsgeschichtlich in<br />

Anpassung an die unmittelbare Umwelt<br />

und den sich daraus ergebenden Notwendigkeiten<br />

entwickelt [haben]. Damit werden<br />

vornehmlich die Probleme gelöst, die<br />

sinnlich erfahrbar sind.“ (Scheunpflug<br />

2022: 10)<br />

Gleichzeitig unterstellt sie den Menschen<br />

ein „hohes abstraktes Reflexionsvermögen“<br />

(Scheunpflug 2022: 10), das<br />

es möglich macht, sich einer Weltgemeinschaft<br />

in einem abstrakten sozialen<br />

Raum zugehörig zu fühlen.<br />

Dazu bedarf es einer emotionalen<br />

Verbundenheit zu einer Weltgemeinschaft:<br />

„… [ist] das Verständnis dessen<br />

von Bedeutung, was das menschliche<br />

Leben zusammenhält: die Sicht auf den<br />

Menschen als reines menschliches Wesen,<br />

seine Würde und seine grundlegenden<br />

Bürgerrechte, egal wo er sich auf diesem<br />

Planeten befindet, sowie die daraus abgeleiteten<br />

Regeln des Zusammenlebens und<br />

der Aushandlung von Differenzen. Damit<br />

geht es nicht darum, die Dinge erst im<br />

Vertrauten und dann im Fremden wahrzunehmen,<br />

sondern von vornherein die<br />

globale Verwobenheit auszuloten und zu<br />

entdecken.“ (Scheunpflug 2022: 11–12)<br />

Sich mit anderen in Beziehung zu setzen<br />

ist <strong>für</strong> uns Menschen als soziale Wesen<br />

ein wichtiger Bestandteil unseres<br />

Handelns. Eine emotionale Verbundenheit<br />

zu einer Weltgemeinschaft orientiert<br />

sich demnach auch an gemeinsam<br />

formulierten Werten und an einem Bewusstsein<br />

einer gemeinsamen Verantwortung<br />

<strong>für</strong> den Erhalt dieser Welt.<br />

Die SDGs bieten da<strong>für</strong> eine Orientierung.<br />

Aber umso wichtiger ist es auch,<br />

diese als gemeinsame Ziele in einer<br />

Weltgemeinschaft zu verstehen und zusammen<br />

an deren Umsetzung mitzuwirken,<br />

womit wir wieder bei den Herausforderungen<br />

wären, die uns ein solches<br />

Verständnis abverlangt.<br />

BNE 2030<br />

Mit der konzeptionellen <strong>Entwicklung</strong><br />

von BNE, die ein fortwährender Prozess<br />

ist, sind diese Fragen eng verbunden.<br />

Welche Art von <strong>Bildung</strong> wird<br />

gebraucht bzw. bildet die Grundlage <strong>für</strong><br />

Lehrende, um den Herausforderungen<br />

der Zukunft zu begegnen und gleichzeitig<br />

die Zukunft so zu gestalten, dass<br />

sie auf Basis des Leitbilds <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> zu einem Erhalt unserer<br />

Lebensgrundlage beiträgt?<br />

Parallel dazu geht es auch darum: Wie<br />

ist mit einer Globalisierung im direkten<br />

Lebensumfeld umzugehen? Welche Anschlussmöglichkeiten<br />

bieten wir jungen<br />

Menschen, ihre Fragen und Bedürfnisse<br />

einzubringen und sich gleichzeitig als<br />

aktiver Teil einer Gesellschaft bis hin zu<br />

einer Weltgemeinschaft zu fühlen?<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

enthält viele Elemente, die sich den Antworten<br />

auf diese Fragen nähern. Dazu<br />

gehört die intensive Auseinandersetzung<br />

mit den da<strong>für</strong> benötigten Kompetenzen,<br />

wie z. B. der Fähigkeit zur Selbstreflexion,<br />

der Empathie und des kritischen<br />

Denkens sowie mit Komplexität und<br />

Unsicherheiten umgehen zu können. Ein<br />

weiterer wichtiger Punkt ist, Beteiligung<br />

zu erfahren und im Gestaltungsprozess<br />

Selbstwirksamkeit zu spüren.<br />

Ziele von BNE und Vorschläge <strong>für</strong> die<br />

Umsetzung liegen auf dem Tisch und<br />

sind neben vielen Veröffentlichungen<br />

und Praxisbeispielen z. B. in der BNE-<br />

Roadmap 2030 ausformuliert. Diese ist<br />

das globale Rahmenprogramm (2020–<br />

2030) <strong>für</strong> die Umsetzung von BNE, in<br />

dem der Schwerpunkt auf die Rolle von<br />

<strong>Bildung</strong> zur Verwirklichung der SDGs<br />

gelegt ist. Es werden fünf Handlungsfelder<br />

priorisiert, von denen eines die<br />

ganzheitliche Transformation der Lernund<br />

Lehrumgebung umfasst. Im Sinne<br />

des Whole Institution Approachs soll sichergestellt<br />

werden, „dass wir lernen,<br />

wie wir leben, und leben, was wir lernen“<br />

(Deutsche UNESCO-Kommission<br />

2021: 3), und das ist weltumfassend relevant.<br />

<br />

Quellen:<br />

Deutsche UNESCO-Kommission (2021):<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Eine<br />

Roadmap, online abrufbar unter:<br />

https://www.bne-portal.de/bne/de/bundesweit/bne-2030/bne-2030.html<br />

(Stand<br />

14.03.2024)<br />

Scheunpflug, Annette (2022): Die globale<br />

Dimension einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>, in: Loccumer Pelikan, Ausgabe<br />

2/2022, 9–13, online abrufbar unter:<br />

https://www.rpi-loccum.de/material/pelikan/<br />

pel2_22/2_22_Scheunpflug (Stand<br />

14.03.2024)<br />

Scheunpflug, Annette (2000): Die globale<br />

Perspektive einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>, in: Overwien, Bernd (Hrsg.):<br />

Lernen und Handeln im globalen Kontext.<br />

Beiträge zu Theorie und Praxis internationaler<br />

Erziehungswissenschaft. Frankfurt am<br />

Main: IKO – Verl. <strong>für</strong> Interkulturelle<br />

Kommunikation (2000) S. 315–327<br />

6 GS aktuell 166 • Mai 2024


Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Meike Wulfmeyer<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

im Sachunterricht der Grundschule<br />

Die Grundschule definiert sich als erste Schule <strong>für</strong> alle Kinder. Sie hat einen Inklusionsanspruch<br />

und unterstützt Lernende nicht nur bei der <strong>Entwicklung</strong> grundlegender<br />

Kompetenzen, sondern auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und<br />

dient damit der Förderung individueller Autonomie. Die Grundschule ist seit ihrer<br />

Gründung vor mehr als 100 Jahren dynamisch geblieben, sie reagiert mal mehr,<br />

mal weniger unmittelbar auf <strong>Entwicklung</strong>en in Wissenschaft und Gesellschaft. So<br />

auch in Bezug auf das Leitbild der <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Entwicklung</strong>, das seit fast 30 Jahren<br />

öffentlich diskutiert wird und dennoch erst nach und nach in Schulen ankommt.<br />

Dieser Beitrag zeigt zunächst<br />

Grundlagen von <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE)<br />

auf und illustriert anschließend, dass<br />

und warum der Sachunterricht prädestiniert<br />

ist, Inhalte nachhaltig zu wenden.<br />

Zum Leitbild <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong><br />

Seit sich im Juni 1992 in Rio de Janeiro<br />

fast 180 Staaten der Welt auf dem bis<br />

dahin größten UN-Gipfeltreffen mit<br />

Umwelt und <strong>Entwicklung</strong> befasst haben,<br />

ist die globale Diskussion über das Leitbild<br />

der <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Entwicklung</strong> eröffnet.<br />

Im Kern geht es bei <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong><br />

darum, dass gegenwärtige Generationen<br />

ihre Bedürfnisse befriedigen<br />

können, während sie gleichzeitig da<strong>für</strong><br />

Sorge tragen, dass künftige Generationen<br />

ihre Bedürfnisse ebenso werden verwirklichen<br />

können, und dabei ihren Blick nicht<br />

nur zeitlich weiten, sondern auch globale<br />

Implikationen berücksichtigen.<br />

Das Leitbild <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

ruht auf den Hauptpfeilern Globalität,<br />

Retinität und Gerechtigkeit. Angestrebt<br />

wird die Lösung komplexer Probleme<br />

und vielfältiger Symptome von Umweltbelastungen,<br />

Umweltschädigungen sowie<br />

von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />

Problemen. Weit über die ökologische<br />

Dimension hinausgehend wird als<br />

Schlüsselprinzip der Nachhaltigkeit die<br />

Retinität angesehen, die eine Vernetzung<br />

der ökologischen, ökonomischen und<br />

soziokulturellen respektive gesellschaftlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong> beschreibt.<br />

Die zeitlich weite Erstreckung und<br />

die globale Dimension verlangen, dass<br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> durch alle gesellschaftlichen<br />

Gruppen getragen und<br />

unterstützt wird und daher eine breite<br />

Mitsprache und Beteiligung der Menschen<br />

in einer globalen Verantwortungsgemeinschaft<br />

ermöglicht.<br />

In dem zentralen Abschlussdokument<br />

der Rio-Konferenz, der Agenda 21, verpflichten<br />

sich die unterzeichnenden Länder,<br />

nationale Nachhaltigkeitsstrategien<br />

zu entwickeln und eigene Implementierungsfelder<br />

aufzuzeigen. <strong>Bildung</strong> respektive<br />

die vielfältigen <strong>Bildung</strong>sbereiche<br />

werden im Kapitel 36 der Agenda 21<br />

als entscheidender Faktor im Kampf um<br />

eine zukunftsfähige Welt identifiziert.<br />

Die Rio-Konferenz hatte zahlreiche<br />

weitere Konferenzen sowie eine Dekade<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

(2005–2014) zur Folge. Im Jahr 2015 ist<br />

mit der Agenda 2030 und dem Weltaktionsprogramm<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> global eine neue Aufmerksamkeit<br />

erreicht worden, die u. a.<br />

durch die immer spürbareren Auswirkungen<br />

des Klimawandels sowie durch<br />

die Fridays-for-Future-Bewegung verstärkt<br />

wird.<br />

Das auf fünf Jahre (2015–2019) angelegte<br />

UNESCO-Weltaktionsprogramm,<br />

auch als GAP (Global Action Programme<br />

on Education for Sustainable<br />

Development) benannt, trat im Jahr<br />

2020 nach fünf Jahren in die sogenannte<br />

Post-GAP-Phase und in das neue Programm<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>:<br />

die globalen Nachhaltigkeitsziele<br />

verwirklichen ein. Es setzt sich zum<br />

Ziel, bis zum Jahr 2030 die 17 Sustainable<br />

Development Goals (SDGs), also 17<br />

Ziele <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong> im Rah-<br />

Prof. Dr. Meike Wulfmeyer<br />

ist Professorin <strong>für</strong> Didaktik des Sachunterrichts,<br />

Schwerpunkt Gesellschaftswissenschaften,<br />

an der Universität<br />

Bremen; Arbeitsschwerpunkte: <strong>Bildung</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>, politische<br />

<strong>Bildung</strong>, (zeit)historisches Lernen, ökonomische<br />

<strong>Bildung</strong>, Begabungsförderung<br />

im inklusiven Sachunterricht; Mail:<br />

wulfmeyer@uni-bremen.de.<br />

men der Großen Transformation umzusetzen<br />

(vgl. UN 2015). <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE) orientiert<br />

sich dementsprechend an den 17<br />

SDGs, denen mit den sogenannten 5 P<br />

fünf Kernbotschaften als handlungsleitende<br />

Prinzipien vorangestellt sind: People<br />

(Mensch), Planet, Prosperity (Wohlstand),<br />

Peace (Frieden) und Partnership<br />

(Partnerschaft). Ein neues Verständnis<br />

von Lebensqualität und Wohlstand verlangt<br />

mit dem Motto „Leave no one behind“,<br />

dass bei den gesellschaftlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong>en besondere Rücksicht auf<br />

die Schwächsten und die Verwundbarsten<br />

gelegt wird. Es geht also um die Umsetzung<br />

einer inklusiven, chancengerechten<br />

und hochwertigen <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />

alle Menschen weltweit und um die Beteiligung<br />

von Kindern und Jugendlichen<br />

beim Aufbau von friedlichen und <strong>nachhaltige</strong>n<br />

Gesellschaften.<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Im Hinblick auf <strong>Bildung</strong>seinrichtungen<br />

entwickelt sich durch das Weltaktionsprogramm<br />

die Aufgabe, systemisches<br />

Denken und das Verständnis komplexer<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

7


Thema: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Zusammenhänge alltagsnah erfahrbar<br />

und verständlich zu machen. Es bedarf<br />

starker Impulse zur Thematisierung des<br />

Verhältnisses zwischen Mensch und<br />

Natur bereits in Kindertageseinrichtungen<br />

und Grundschulen, denn Pioniere<br />

des Wandels, sogenannte Change Agents<br />

(vgl. WBGU 2011, 255), können bereits<br />

in frühester Kindheit Kenntnisse und<br />

Erfahrungen über komplexe Zusammenhänge<br />

sammeln und daraus Vorstellungen<br />

<strong>für</strong> die Zukunft entwickeln.<br />

Der <strong>Bildung</strong>sbegriff nach Klafki (vgl.<br />

1980; 2007) verlangt nach kritisch-reflektierender,<br />

eigenverantwortlicher und<br />

selbstbestimmter Annäherung an <strong>Bildung</strong>sinhalte.<br />

Dabei ist es unerlässlich,<br />

dass es weder zu einer kritiklosen Übernahme<br />

des normativen Leitbildes <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> kommt, noch um die<br />

ausschließliche Anhäufung von Fachwissen<br />

über Komponenten, Dimensionen,<br />

Strategien und Forderungen geht. Vielmehr<br />

soll eine kritische Auseinandersetzung<br />

mit dem Leitbild stattfinden, die<br />

Interessengegensätze und unterschiedliche<br />

Argumentationsstränge thematisiert<br />

und durch die eine kritische Reflexion<br />

echte Partizipation am Nachhaltigkeitsdiskurs<br />

sowie die <strong>Entwicklung</strong> eigener<br />

Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten<br />

fördert (vgl. Wulfmeyer 2020, 14).<br />

Welche Kompetenzen sollen mit einer<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

(BNE) gefördert werden? Entscheidend<br />

ist, dass es sich bei <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong><br />

nicht lediglich um ein weiteres<br />

(Querschnitts-)Thema handelt, sondern<br />

dass BNE die Aufgabe zukommt,<br />

im Sinne der sog. Whole-School-Approaches<br />

eine Schulkultur zu entwickeln, die<br />

Lernformen bereithält, in denen Denken<br />

und Handeln zusammenfinden; eine<br />

Schulkultur, die ihre Aufgabe in der reflexiven<br />

Auseinandersetzung mit sozialen,<br />

ökonomischen und ökologischen<br />

Fragen sowohl im lokalen als auch im<br />

globalen Raum sowie im Hinblick auf<br />

gegenwärtige und zukünftige <strong>Entwicklung</strong>en<br />

sieht.<br />

Das Verständnis der wechselseitigen<br />

Abhängigkeiten lokaler, globaler und<br />

zeitlicher Perspektiven ist daher die Voraussetzung<br />

<strong>für</strong> die <strong>Entwicklung</strong> vielfältiger<br />

wirkungsvoller Handlungsmöglichkeiten.<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> in der Grundschule<br />

Im Sinne der doppelten Anschlussfähigkeit<br />

knüpft die Grundschule an die Frühund<br />

Elementarpädagogik an und bildet<br />

gleichzeitig die Basis aller anderen Schulformen.<br />

Kinder mit den unterschiedlichsten<br />

Lebenswelten lernen gemeinsam und<br />

setzen sich mit Grundfragen des menschlichen<br />

Zusammenlebens auseinander.<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

(BNE) findet zunehmend Eingang in die<br />

<strong>Bildung</strong>spläne und Kerncurricula der<br />

Länder, und auch in den Empfehlungen<br />

der Kultusministerkonferenz (KMK) zur<br />

Arbeit in der Grundschule wird BNE als<br />

übergreifender <strong>Bildung</strong>sbereich ausgewiesen.<br />

„Die Schülerinnen und Schüler bilden<br />

grundlegende Kompetenzen aus, die sie in<br />

die Lage versetzen, <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>en<br />

als solche zu erkennen und aktiv mitzugestalten.<br />

Lehrkräfte schaffen Lernsituationen,<br />

in denen die Schülerinnen und Schüler<br />

den sorgsamen und <strong>nachhaltige</strong>n Umgang<br />

mit ökologischen, ökonomischen und sozialen<br />

Ressourcen praktizieren können. Dabei<br />

erwerben die Schülerinnen und Schüler<br />

Kenntnisse über die komplexe und wechselseitige<br />

Abhängigkeit zwischen Mensch und<br />

Umwelt. Dies ermöglicht ihnen die Auseinandersetzung<br />

mit Normen und Werten mit<br />

dem Ziel einer aktiven, kreativen und verantwortungsvollen<br />

Mitgestaltung ökologischer,<br />

ökonomischer und sozialer Prozesse<br />

und der Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten.“<br />

(KMK, 17)<br />

Die Arbeit in der Grundschule ist seit<br />

jeher Veränderungen unterworfen und<br />

muss auf <strong>Entwicklung</strong>en in Bereichen<br />

von Gesellschaft und Wissenschaft reagieren.<br />

Das gilt besonders <strong>für</strong> den naturwissenschaftlich-technischen<br />

und auch<br />

<strong>für</strong> den gesellschaftswissenschaftlichen<br />

Lernbereich, die beide in das Aufgabenfeld<br />

des Faches Sachunterricht fallen.<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> im Sachunterricht<br />

Der Sachunterricht will Kinder bei der<br />

bildungswirksamen Erschließung von<br />

Welt, ihrer Lebenswelt unterstützen.<br />

Vielfältige Phänomene stehen dabei im<br />

Mittelpunkt. Allerdings ist Sachunterricht<br />

nicht, wie später in der Sekundarstufe,<br />

in einzelne Fachdidaktiken unterteilt,<br />

sondern fachwissenschaftliche Perspektiven<br />

und fachdidaktische Bezüge<br />

strukturieren die vielperspektivische<br />

Sachunterrichtsdidaktik (vgl. Wulfmeyer<br />

2020, 18 f.). Im Perspektivrahmen der<br />

Gesellschaft <strong>für</strong> Didaktik des Sachunterrichts<br />

(GDSU) werden Perspektiven<br />

des Sachunterrichts definiert, die miteinander<br />

vernetzt und aus denen Phänomene<br />

betrachtet werden. „Schülerinnen<br />

und Schüler sollen zur aktiven Mitgestaltung<br />

einer an den Prinzipien der ökologischen<br />

Verträglichkeit, wirtschaftlichen<br />

Leistungsfähigkeit und sozialen Gerechtigkeit<br />

orientierten Gesellschaft befähigt<br />

werden. Dabei sollen sie auch <strong>für</strong> globale<br />

Aspekte, demokratische Grundprinzipien<br />

und kulturelle Vielfalt aufgeschlossen<br />

werden.“ (GDSU 2013, 76.) Zentral dabei<br />

ist, dass das Fach sowohl an Erfahrungen,<br />

Vorstellungen und Interessen aus<br />

der Lebenswelt der Schülerinnen und<br />

Schüler als auch an fachwissenschaftliche<br />

Traditionen, Inhalte und Methoden<br />

der Fachwissenschaften und der entsprechenden<br />

Fachdidaktiken anknüpft.<br />

Es geht um Auseinandersetzungen mit<br />

lebensweltlich relevanten Phänomenen,<br />

Situationen und Fragestellungen.<br />

Der wechselseitige Kind- und Sachbezug<br />

und der vielperspektivische Ansatz<br />

sind auch im Rahmen von BNE unverzichtbar,<br />

denn die „besondere Aufgabe<br />

des Sachunterrichts besteht darin, Schülerinnen<br />

und Schüler darin zu unterstützen,<br />

ihre natürliche, kulturelle, soziale und<br />

technische Umwelt sachbezogen zu verstehen<br />

und sich darin zu orientieren, mitzuwirken<br />

und zu handeln“ (GDSU 2013, 9).<br />

Im Sachunterricht lernen Kinder somit<br />

verschiedene Perspektiven auf eine <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> kennen, diskutieren<br />

differierende Interessen, Meinungen<br />

und Werthaltungen. Sie lernen, sich in<br />

unserer komplexen und global vernetzten<br />

Welt zu orientieren, erkennen und<br />

erproben Partizipationsmöglichkeiten<br />

und entdecken <strong>für</strong> sich Handlungs- und<br />

Gestaltungsfelder (Wulfmeyer/Hauenschild<br />

2023).<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa166Lit<br />

8 GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Rachel Rentz, Ulrike Oltmanns<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

in der Schule praktisch<br />

umzusetzen – wie kann das gehen?<br />

Das Globale im Lokalen in der Unterrichtsgestaltung aufzuzeigen, dazu bieten<br />

sich die Materialien und die Praxisbeispiele aus dem Projekt und der Zeitschrift<br />

Eine Welt in der Schule als gute Unterstützung an.<br />

Als ein Projekt des Grundschulverbands<br />

sieht sich Eine Welt in<br />

der Schule als Plattform, um<br />

Unterrichtserfahrungen von Lehrkräften<br />

in dem Themenbereich <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> mit einem<br />

Fokus auf globale Zusammenhänge<br />

sichtbar zu machen und gleichzeitig<br />

Materialien bereitzustellen, die Aktivitäten<br />

in diesem Lernbereich an Schulen<br />

und außerschulischen Lernorten unterstützen.<br />

Beiträge von Lehrkräften und<br />

außerschulischen Referent*innen in der<br />

Zeitschrift Eine Welt in der Schule zeigen<br />

darüber hinaus, in welchem Kontext<br />

Themen aufgegriffen und Materialien<br />

eingesetzt werden können, und bieten<br />

damit Anregungen und Impulse <strong>für</strong> die<br />

eigene Unterrichtsgestaltung.<br />

Seit Bestehen des Projektes richtet sich<br />

der Blick in die weite Welt. Im Mittelpunkt<br />

der Arbeit steht das Leben hier vor Ort<br />

und dessen Einbettung in weltweite Zusammenhänge.<br />

Dazu gehören auch Fragestellungen<br />

nach Gerechtigkeit und sozialem<br />

Miteinander im globalen Kontext, die sich<br />

z. B. in Themen wie Kinderrechte, fairer<br />

Handel und Zugehörigkeit widerspiegeln.<br />

Auch Produktionsketten und Verarbeitungsprozesse<br />

von Produkten aus unserem<br />

Alltag, etwa Kleidung, Lebensmittel wie<br />

Kakao, Orangen oder Cashewkerne, stehen<br />

in einer Beziehung zum Hier und Jetzt.<br />

Nicht zu vergessen ist die Inspiration,<br />

die der Blick in die Weite ermöglicht. So<br />

bieten beispielhaft Bauen und Wohnen,<br />

Kinderspiele und Ernährung gute Anknüpfungspunkte,<br />

um sich von der gelebten<br />

Vielfalt in der Welt inspirieren zu<br />

lassen, über den Reichtum unseres Planeten<br />

zu staunen und damit auch, den<br />

Umgang mit natürlichen Ressourcen<br />

und der Gestaltung unserer Weltgemeinschaft<br />

immer wieder neu zu überdenken.<br />

Für Letzteres bieten die 17 Ziele <strong>für</strong><br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (Sustainable Development<br />

Goals, kurz SDGs) mit ihren<br />

Schwerpunktsetzungen einen Bezug. Sie<br />

orientieren sich an dem Leitbild <strong>nachhaltige</strong>r<br />

<strong>Entwicklung</strong> mit dem Nachhaltigkeitsdreieck<br />

aus der Agenda 21 und der<br />

Vernetzung der drei Dimensionen Ökologie,<br />

Ökonomie und Soziales sowie deren<br />

begleitenden Aspekten von Globalität<br />

und Gerechtigkeit mit ihren intra-<br />

und intergenerationalen Ansätzen.<br />

Unterrichtsthemen zusammen mit Schüler*innen<br />

aus verschiedenen Perspektiven<br />

zu betrachten und Fragestellungen einfließen<br />

zu lassen, die Nachhaltigkeitsaspekte<br />

im Sinne des Leitbilds aufgreifen, weiten<br />

den Blick auf Zusammenhänge und Beziehungen<br />

zueinander.<br />

Auch wenn das Projekt bereits vor der<br />

Verabschiedung der SDGs in seiner inhaltlichen<br />

Arbeit den Lernbereich globale<br />

<strong>Entwicklung</strong> im Fokus hatte, ziehen<br />

sich die Themen der SDGs weiterhin<br />

wie ein roter Faden durch die Veröffentlichungen<br />

in der Zeitschrift und<br />

die angebotenen Materialien. Die SDGs<br />

wurden gewissermaßen wie eine Antwort<br />

auf jene problematischen Verhältnisse<br />

formuliert, mit denen sich das Projekt<br />

seit seinen Anfängen beschäftigt, um<br />

Lösungsstrategien zu entwickeln.<br />

Materialpakete, Klassensätze von Büchern<br />

sowie einzelne Materialien wie<br />

z. B. große Holzpuzzles oder Weltkarten<br />

auf Lkw-Plane werden in Form eines<br />

bundesweiten Ausleihservice vorgehalten.<br />

Eine Übersicht zu vorhandenen<br />

Materialien kann direkt auf der Website<br />

des Projektes eingesehen werden.<br />

Nachfolgend werden einzelne Themen<br />

und Materialien vorgestellt, die sich aus<br />

unserer Sicht gut da<strong>für</strong> eignen, konkrete<br />

Konzepte der <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> in die Unterrichtsgestaltung<br />

einfließen zu lassen, fächerübergreifende<br />

Möglichkeiten aufzuzeigen sowie Lehrkräfte<br />

zu ermutigen und Kinder zu begeistern,<br />

sich mit der Komplexität unserer<br />

Weltgemeinschaft auseinanderzusetzen.<br />

17-mal Zukunft: Die SDGs in<br />

den Unterricht bringen<br />

Die SDGs bieten eine Orientierung,<br />

wenn es darum geht, Ziele <strong>für</strong> eine<br />

Zukunft zu benennen, die nachhaltig<br />

ausgerichtet ist. Mit ihnen verbunden ist<br />

das Versprechen, dass sich die Mitgliedsstaaten<br />

der Vereinten Nationen bereits<br />

2015 auf den Weg gemacht haben, um<br />

diese Ziele bis 2030 zu erreichen. Auch<br />

wenn die Erreichung aller Ziele immer<br />

illusorischer wirkt, je näher dieses Jahr<br />

heranrückt, sind doch an einzelnen Stellen<br />

Teilerfolge, aber auch eine Entfernung<br />

von manchen Zielen zu verzeichnen.<br />

Wie bereits in Grundschule aktuell<br />

165 (S. 35) aufgeführt, können <strong>für</strong><br />

Kinder die SDGs Anhaltspunkte da<strong>für</strong><br />

geben, dass bereits an verschiedenen<br />

Stellen an einer Verbesserung der Verhältnisse<br />

und der Strukturen gearbeitet<br />

wird.<br />

Um sich in einem ersten Schritt den<br />

SDGs anzunähern und diese in der<br />

Grundschule einzuführen, bietet sich<br />

das Konzept der Handreichung 17 Ziele<br />

– Wir <strong>für</strong> eine bessere Welt! an. In der<br />

Handreichung wird an einzelnen Stationen<br />

jeweils eine der fünf Kernbotschaften<br />

(5 P: People – Planet – Prosperity –<br />

Peace – Partnership) aufgegriffen, die<br />

den SDGs als handlungsleitende Prinzipien<br />

vorangestellt sind. An vier Stationen<br />

laden Bewegungsspiele ein, Aspekte<br />

der jeweiligen Kernbotschaft in den Fokus<br />

zu nehmen. An der fünften Station<br />

werden die Ergebnisse aus den vorangegangenen<br />

Stationen zusammengeführt<br />

und münden in eine Aktion, die von<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

9


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Rachel Rentz (links)<br />

M. A. Kulturwissenschaft, seit Januar<br />

2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />

Projekt Eine Welt in der Schule<br />

Ulrike Oltmanns (rechts)<br />

wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />

Projekt Eine Welt in der Schule des GSV<br />

der Schüler*innengruppe selbst gestaltet<br />

werden kann. Die Bremer Stadtmusikant*innen<br />

begleiten die Umsetzung<br />

und verbinden die einzelnen Stationen<br />

miteinander.<br />

„Vielleicht habt Ihr schon einmal von<br />

den Bremer Stadtmusikant*innen gehört?<br />

Das ist eine Gruppe, die besteht aus einem<br />

Esel, einem Hund, einer Katze und einem<br />

Hahn. Diese vier haben sich auf eine Reise<br />

begeben, um gemeinsam eine bessere Welt<br />

zu suchen. Auf dem Weg haben sie sich<br />

angefreundet …“ (Handreichung 17 Ziele<br />

– Wir <strong>für</strong> eine bessere Welt! S. 21)<br />

Eine begleitende Materialkiste aus dem<br />

Ausleihservice erleichtert die Umsetzung<br />

mit bereits vorgefertigten Spielkarten, der<br />

Geschichte der Bremer Stadtmusikant*innen<br />

als Kamishibai, Materialien <strong>für</strong> weitere<br />

Anknüpfungsmöglichkeiten über<br />

Sachbücher zu den SDGs oder Unterrichtsprojekten,<br />

die Anregungen zu konkreten<br />

Themen <strong>für</strong> die weitere Beschäftigung<br />

bieten.<br />

Materialkisten zum<br />

Thema Kakao (li.) und<br />

Nachhaltigkeit (re.)<br />

Hafen, Handel, Schokolade?<br />

Das Thema Kakao wird bereits seit vielen<br />

Jahren in der entwicklungspolitischen<br />

<strong>Bildung</strong>sarbeit aufgegriffen und<br />

bietet aktuell immer wieder interessante<br />

Anknüpfungspunkte, um sich über<br />

verschiedene Perspektiven einem Thema<br />

zu nähern und mit Fragestellungen<br />

einer <strong>nachhaltige</strong>n Zukunftsgestaltung<br />

zu beschäftigen. Über den Ausleihservice<br />

im Projekt können verschiedene<br />

Materialpakete zu Kakao bestellt werden.<br />

Darüber hinaus stehen Beiträge<br />

von Lehrkräften aus ihrem Unterricht<br />

in den Ausgaben der Zeitschrift Eine<br />

Welt in der Schule zur Verfügung, die<br />

die praktische Umsetzung im Lernalltag<br />

veranschaulichen.<br />

Beispielhaft sei an dieser Stelle der Artikel<br />

„Der grüne Trakt geht auf Schokoexpedition“<br />

in Heft 151 unter dem Fokus<br />

Ernährung mit der Bremer Ganztagsgrundschule<br />

Auf den Heuen angeführt.<br />

Das Oberthema <strong>für</strong> das Schuljahr<br />

2021/2022 war Hafen. Schokolade und<br />

Hafen? Für Schüler*innen ist der Zusammenhang<br />

dieser beiden Themen<br />

vielleicht nicht auf den ersten Blick ersichtlich,<br />

doch das Ziel der Auseinandersetzung<br />

war, über globalen Handel<br />

und Industrialisierung ins Gespräch zu<br />

kommen. Schokolade eignet sich als anschauliches<br />

Beispiel <strong>für</strong> Globalisierung,<br />

um sich ganz praxisnah diesem Themenkomplex<br />

auf niedrigschwellige und<br />

lebensnahe Weise zu nähern. Die Schule<br />

arbeitet mit einem inklusiven jahrgangsübergreifenden<br />

Lerngruppenkonzept,<br />

das die Klassen eins bis vier umfasst.<br />

Zum Einsatz kamen die Materialien der<br />

Kakaokiste und des <strong>Bildung</strong>sbags Schokoexpedition,<br />

beide halten diverse Materialien<br />

und vor allem Realien<br />

bereit, die eine zielgruppengenaue<br />

Arbeit ermöglichen und zudem<br />

verschiedene Fähigkeiten und Bedürfnisse<br />

der Schüler*innen ansprechen.<br />

Kakaoschoten, Kakaobohnen, Kakaobutter<br />

– diese echten Objekte bieten einen<br />

sinnlichen Zugang und sind <strong>für</strong> Kinder<br />

jeden Alters interessant, da sie vermutlich<br />

nicht in ihrer alltäglichen Umgebung<br />

zu finden sind.<br />

Im Schokobag lernen die Schüler*innen<br />

Naki kennen. Ein Brief von ihr bietet<br />

einen Einstieg ins Thema, der eine<br />

Identifikation unter Kindern ermöglicht.<br />

Durch den modularen Aufbau der<br />

Materialkiste und die große Anzahl der<br />

teilnehmenden Schüler*innen (mehr als<br />

40) bot sich eine Gruppenarbeitsphase<br />

an, die immer wieder von Plenumseinheiten<br />

unterbrochen wurde, in denen<br />

sich die einzelnen Lerngruppen nach<br />

einem vorgegebenen Fragenkatalog gegenseitig<br />

Erkenntnisse vorstellten und<br />

auch Feedback zur Arbeitsweise in der<br />

Gruppe gaben. Eine Gruppe beschäftigte<br />

sich mit Ernte und Weiterverarbeitung,<br />

wobei ein besonderes Augenmerk<br />

auf fairem Handel und Fairtrade-Siegeln<br />

sowie Arbeitsbedingungen<br />

auf den Plantagen gelegt wurde. Die<br />

zweite Gruppe schaute sich den Kakaobaum<br />

und die Früchte näher an, hierbei<br />

ging es vermehrt um Wortschatzerwerb<br />

und künstlerisches Schaffen, indem<br />

der Flur mit einem Kakaobaum<br />

und den entsprechenden Fachbegriffen<br />

geschmückt wurde. Gruppe drei näherte<br />

sich auf kulinarische Weise der Schokolade<br />

und verarbeitete sie als Überzug<br />

auf selbst gebackenen Keksen. Wie viele<br />

Schüler*innen der Lerngruppe lieber<br />

Vollmilch- oder weiße Schokolade<br />

essen, fand die vierte Gruppe heraus<br />

und erstellte ein mathematisches<br />

Diagramm. Die fünfte Gruppe ging<br />

auf den Produktionsprozess einer Tafel<br />

10<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Projekt Eine Welt in der Schule<br />

www.weltinderschule.uni-bremen.de<br />

Instagram: @eineweltinderschule<br />

Aufgepasst: 20 Prozent Rabatt im Ausleihservice und Abonnement<br />

der Zeitschrift <strong>für</strong> Mitglieder des Grundschulverbandes!<br />

Zeitschrift Eine Welt in der Schule Nr. 149,<br />

Dezember 2021, mit dem Schwerpunkt Reparieren<br />

Zeitschrift Eine Welt in der Schule Nr. 151,<br />

November 2022 mit dem Schwerpunkt Ernährung<br />

Schokolade ein und lernte die einzelnen<br />

Bestandteile kennen, die da<strong>für</strong> benötigt<br />

werden. Über die Gruppenarbeitsphasen<br />

hinaus gab es ein reiches Angebot<br />

von weiteren Materialien, die bearbeitet<br />

werden konnten, u. a. Ausmalbilder<br />

einer Kakaofrucht. Auch die musische<br />

Auseinandersetzung kam an dieser Stelle<br />

zum Tragen: Zu dem Lied „Oma gibt<br />

mir Schokolade“ von der Band Deine<br />

Freunde übten die Schüler*innen einen<br />

rhythmischen Bechersong ein. Digital<br />

boten Videos von Willi Weitzel oder der<br />

Sendung mit Maus sowie ein Quiz <strong>für</strong><br />

die jüngeren und die älteren Altersstufen<br />

multimediale Zugänge zum Thema.<br />

Bei einem anschließenden Besuch im<br />

Hafen wurde ein Frachtcontainer unter<br />

der Fragestellung, wie viele Tonnen<br />

Kakaobohnen damit transportiert werden<br />

können, näher betrachtet. Das Resümee<br />

der Pädagogin Tanja Kunze über<br />

die praktische Beschäftigung mit Hafen<br />

und Handel über Schokolade fiel positiv<br />

aus. So bilanziert sie, dass vor dem<br />

Projekt nur wenige Kinder beispielsweise<br />

wussten, aus welchen Bestandteilen<br />

Schokolade besteht, woher diese stammen<br />

und wie die Arbeitsbedingungen<br />

auf den Plantagen aussehen.<br />

Weitere Anknüpfungspunkte an den<br />

globalen Handel bieten die Materialkisten<br />

zu Slow Fashion mit Fokus auf den<br />

textilen Kreislauf, die Kiste von bezev<br />

e. V. zu Cashewkernen, die vorrangig <strong>für</strong><br />

eine Zielgruppe ab 13 Jahren konzipiert<br />

ist, und die Orangenkiste, in der unter<br />

anderem der nach Deutschland importierte<br />

Orangensaft thematisiert wird.<br />

Nachhaltiger Konsum am<br />

Beispiel des Reparierens<br />

Zum Erreichen der selbsgesteckten Ziele<br />

<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> werden<br />

verschiedene Strategien diskutiert, zu<br />

denen unter anderem auch Suffizienz<br />

und Effizienz gehören. Davon<br />

ist auch der Ansatz des Reparierens<br />

berührt.<br />

In der Zeitschrift 149 aus dem Dezember<br />

2021 stand dieses Thema im Mittelpunkt<br />

der Ausgabe. In ihrem Beitrag<br />

„Wirf mich nicht weg – reparier mich!“<br />

stehen <strong>für</strong> Dr. Katharina Dutz und Heike<br />

Schaadt das Konsumverhalten und<br />

der achtsame Umgang mit Ressourcen in<br />

einem Kontext. „Die Reparatur von Alltagsgegenständen<br />

ist ein wesentlicher Aspekt<br />

einer <strong>nachhaltige</strong>n Lebensweise, weil<br />

die Nutzungsdauerverlängerung von Gegenständen<br />

dazu beiträgt, Ressourcen zu<br />

schonen, CO2-Emissionen zu verringern<br />

und Müll zu vermeiden.“ (S. 4)<br />

In dem Beitrag „Lässt sich mit Reparieren<br />

die Welt retten?“ (S. 8) stellen die<br />

Autor*innen Claudia Munz und Walter<br />

Kraus ihre Schulreparaturwerkstatt<br />

an der Rudolf-Steiner-Schule in München-Schwabing<br />

vor, die unter dem Motto<br />

„Fixing for Future“ steht. Ein von ihnen<br />

entwickelter Praxisleitfaden erleichtert<br />

die Umsetzung an anderen Schulen.<br />

Die wissenschaftliche Begleitung an der<br />

Schule attestiert dem Projekt die Wirkung<br />

auf die <strong>Entwicklung</strong> persönlicher<br />

und sozialer Kompetenzen: „Das Erleben<br />

von Selbstwirksamkeit stärkt Selbstbewusstsein<br />

und Mut, Konzentrationsfähigkeit<br />

und Durchhaltevermögen werden<br />

verbessert, die Arbeit im Team fördert die<br />

gegenseitige Unterstützung und die Zusammenarbeit<br />

mit den meist deutlich älteren<br />

ehrenamtlichen Reparaturanleitenden<br />

ermöglicht generationsübergreifende<br />

Erfahrungen am ‚gemeinsamen Dritten‘,<br />

dem Reparaturgegenstand.“ (S. 9)<br />

In ihrem Beitrag „Reparieren macht<br />

glücklich, schlau und Spaß“ greifen Marion<br />

Leitfeld und Mathias Wunderlich<br />

den Mehrwert auf, den Repair-Cafés<br />

<strong>für</strong> die Zusammenarbeit mit der Elternschaft<br />

bieten und den sie <strong>für</strong> die Öffnung<br />

der Schule in den Stadtteil bedeuten.<br />

Eine Materialkiste zum Reparieren hält<br />

das Projekt im Ausleihservice nicht vor,<br />

allerdings werden in der Materialkiste<br />

Slow Fashion über die Anlehnung<br />

an den textilen Kleiderkreislauf<br />

an zwei Stationen Reparatur<br />

und Wiederverwertung aufgegriffen.<br />

Zum Einsatz von Ressourcen und<br />

deren Wiederverwertung finden sich<br />

auch interessante Schnittstellen beim<br />

Thema Bauen und Wohnen. Das Projekt<br />

bietet dazu die Materialkiste Abenteuer<br />

Bauen an. Die kritische Betrachtung von<br />

konventionell errichteten Neubauten,<br />

ohne die Wiederverwertung von Baustoffen<br />

oder den Rückbau inklusive Recycling<br />

im Blick zu haben, öffnet Raum <strong>für</strong> die<br />

Auseinandersetzung über innovative und<br />

kreative Ansätze, mit fortschrittlichen<br />

Bau- und Rohstoffen neue Gebäude zu<br />

errichten oder alten Bestand mit diesen<br />

<strong>für</strong> eine Weiternutzung zu erhalten.<br />

Die hier genannten Beispiele möchten<br />

erste Impulse geben. Viele weitere Zugänge<br />

sind möglich, um Schüler*innen<br />

zu motivieren und <strong>für</strong> Themen mit weltweiter<br />

Relevanz zu begeistern.<br />

Global denken – lokal handeln: Unter<br />

diesem Leitsatz nimmt <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> praktisch Gestalt im<br />

Schulalltag an. Wir unterstützen Sie gern<br />

dabei!<br />

Jetzt kostenlos: Band zu BNE<br />

„<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

– Eine Aufgabe <strong>für</strong> alle Fächer und Lernbereiche“,<br />

der Band 147 der Beiträge zur<br />

Reform der Grundschule, ist ab jetzt kostenlos<br />

im Projekt Eine Welt in der Schule<br />

verfügbar!<br />

Auf gut 140 Seiten zeigt der Herausgeber<br />

Prof. Dr. Dr. Rudolf Schmitt, wie BNE im<br />

Schulalltag verankert werden kann. Der<br />

Band ist in drei Abschnitte unterteilt: Der<br />

Orientierungsrahmen <strong>für</strong> den Lernbereich<br />

Globale <strong>Entwicklung</strong>, Unterrichtsbeispiele<br />

aus Fächern der Grundschule<br />

und Materialien zur <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>.<br />

Die Abgabe erfolgt kostenlos, auch in<br />

größeren Gebinden, entweder direkt in<br />

den Räumen des Projekts auf dem Unigelände<br />

in Bremen oder gegen Portokosten<br />

gern auch über Postversand.<br />

Weitere Infos und Bestellungen unter<br />

www.weltinderschule.uni-bremen.de<br />

und einewelt@uni-bremen.de.<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

11


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Solveig Wallroth<br />

Kann man <strong>für</strong> den Klimaschutz<br />

zu klein sein?<br />

Karl Foerster war Staudenzüchter und Gartenphilosoph. Einen Naturliebhaber<br />

als Namensgeber unserer Schule zu haben inspiriert zu vielen Aktivitäten in den<br />

verschiedenen Fachbereichen. Bei uns steht nicht nur eine fundierte Wissensvermittlung<br />

im Unterricht im Vordergrund, sondern auch das praktische Erleben<br />

und der behutsame Umgang mit den natürlichen Ressourcen unserer Erde.<br />

Solveig Wallroth<br />

ist stellvertretende<br />

Schulleiterin<br />

der Karl-Foerster-<br />

Schule Potsdam.<br />

Wir sind stolz darauf, dass<br />

unsere Schule als Preisträgerin<br />

„Energiesparschule Brandenburg<br />

2023“ sowie als mehrfache<br />

Gewinnerin des Potsdamer Klimapreises<br />

und des Energiesparpreises<br />

Potsdamer Schulen ausgezeichnet<br />

wurde.<br />

Zu klein <strong>für</strong> den<br />

Klimaschutz?<br />

wicklung. Dabei orientieren wir uns an<br />

den 17 Zielen <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>,<br />

die von allen Regierungen der<br />

Welt bis 2030 aktiv angegangen werden<br />

sollen. In unseren Unterrichtseinheiten<br />

und Projekten lernen die Kinder,<br />

wie menschliche Aktivitäten<br />

den Klimawandel beeinflussen<br />

und welche Maßnahmen<br />

zum Klimaschutz beitragen<br />

können.<br />

Beispiel: Energiespar-<br />

Detektive<br />

Ein Beispiel da<strong>für</strong> ist unser Projekt<br />

„Energiesparprogramm an der Karl-<br />

Foerster-Schule“. Jede Klasse hat zwei<br />

Energiespardetektive, die darauf achten,<br />

dass wir möglichst wenig Müll produzieren,<br />

dass das Licht nur dann eingeschaltet<br />

ist, wenn es wirklich benötigt wird,<br />

und dass wir regelmäßig lüften. Um den<br />

Müll zu reduzieren, wurde beispielsweise<br />

der plastikfreie Freitag eingeführt.<br />

An diesem Tag sollen alle Eltern darauf<br />

achten, nur solche Speisen als Früh-<br />

Über die Frage, ob man<br />

<strong>für</strong> den Klimaschutz zu klein<br />

sein kann, können die Kinder<br />

unserer Schule nur lachen. Sie wissen:<br />

Auch Grundschulkinder können einen<br />

wertvollen Beitrag zum Klimaschutz<br />

leisten und die erlernten Ideen und<br />

praktischen Anwendungen in ihre Familien<br />

tragen. Unsere Schule hat es sich zur<br />

Aufgabe gemacht, die Schülerinnen und<br />

Schüler <strong>für</strong> die Herausforderungen des<br />

Klimawandels zu sensibilisieren und sie<br />

zu befähigen, aktiv zu handeln.<br />

Eine wichtige Grundlage da<strong>für</strong> ist eine<br />

umfassende <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> Entstück<br />

mitzugeben, die keine Verpackungen<br />

haben. Einige Klassen haben als<br />

Alternative dazu selbst Bienenwachstücher<br />

hergestellt. Alle Klassenlehrer und<br />

Klassenlehrerinnen sammeln monatlich<br />

pädagogisch umweltorientierte Aktivitäten,<br />

die in einem Dokument eingetragen<br />

werden. Das können zum Beispiel Projekte,<br />

einzelne Unterrichtsthemen, Wandertage<br />

oder Ähnliches sein. Die Lehrkraft,<br />

die das Energiesparprogramm an<br />

unserer Schule leitet, gibt monatlich die<br />

von allen Klassenlehrkräften gesammelten<br />

Themen in eine vorgegebenen Tabelle<br />

ein, die an eine Berliner Energieagentur<br />

weitergeleitet wird. Dadurch haben<br />

wir bereits mehrere Preise gewonnen<br />

und konnten das Preisgeld sinnvoll <strong>für</strong><br />

umweltorientierte Projekte an unserer<br />

Schule einsetzen. Dabei wurden die<br />

Wünsche der Kinder berücksichtigt.<br />

Wie wir den Energieverbrauch an der<br />

Karl-Foerster-Schule reduzieren<br />

• Wandertage (u. a. Theater zu Fuß, Hin- und<br />

Rückweg: circa sechs Kilometer)<br />

• Projekt Umweltschule: Was bedeutet Wasser<br />

<strong>für</strong> unser Leben?<br />

• Wir nutzen nur kaltes Wasser im Klassenraum,<br />

um unsere Hände zu waschen.<br />

• Wir drehen den Hahn nach der Benutzung<br />

gut zu.<br />

• Wir benutzen Papiertücher aus recyceltem<br />

Material.<br />

• Wir sparen Licht im Klassenraum.<br />

• Wir stellen die Heizung nur wenn nötig,an.<br />

• Wir heizen und lüften effizient.<br />

• Wir trennen unseren Müll.<br />

• Wir verzichten auf zusätzliche Plastikmülltüten<br />

<strong>für</strong> den Plastikmüll.<br />

• Wir verzichten auf zusätzliche Plastikmülltüten<br />

<strong>für</strong> den Papiermüll.<br />

• Wir haben eine Schmierpapierstation im<br />

Klassenzimmer, um benutztes Papier erneut<br />

zu verwenden.<br />

• Wir nehmen an der Paper-Race-Aktion teil.<br />

• Wir nehmen am plastikfreien Freitag teil.<br />

• Wir schalten elektrische Geräte (Smartboard,<br />

PC o. Ä.) aus, die nicht gebraucht werden,<br />

oder nutzen den Energiesparmodus.<br />

• Die Pausenglocke läutet nur zum Pausenende.<br />

• Elterninfos werden fast ausschließlich per<br />

E-Mail, Schulcloud oder über die Homepage<br />

kommuniziert.<br />

• Im Speisesaal werden ausschließlich Glasund<br />

Mehrwegflaschen zur Getränkeausgabe<br />

(Wasser) genutzt.<br />

• In der Mensa wird das Essen ausschließlich<br />

auf wiederverwendbarem Geschirr serviert<br />

und Besteck wird genutzt.<br />

• Wir sparen Licht in den Fluren und im Treppenhaus.<br />

Es wird nur, wenn nötig, angeschaltet.<br />

• Wir trennen den Müll (Schulhof).<br />

• Wir werfen keinen Müll auf den<br />

Boden.<br />

• Wir achten darauf,<br />

dass bei der Toilettenspülung<br />

kein<br />

Wasser weiterläuft.<br />

• Die Lehrkräfte drucken<br />

nur das Nötigste<br />

(vorrangige Nutzung<br />

Lehrbuch und<br />

Arbeitshefte).<br />

• Wenn es Kopien<br />

gibt, dann in<br />

Schwarz-Weiß.<br />

12<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Und was noch?<br />

Aber nicht nur im Schulgebäude setzen<br />

wir uns <strong>für</strong> den Klimaschutz ein.<br />

Unsere Schülerinnen und Schüler werden<br />

ermutigt, möglichst mit dem Fahrrad<br />

zur Schule zu kommen. Im Sachunterricht<br />

der vierten Klassen absolvieren<br />

sie eine Fahrradausbildung und legen<br />

eine Prüfung ab. Zudem legen wir großen<br />

Wert auf Gesundheitsförderung<br />

und Umweltbewusstsein. Wir vermeiden<br />

Müll bei Schulveranstaltungen und<br />

achten auf eine gesunde Ernährung.<br />

Ein wichtiger Lernort unserer Schule ist<br />

unser 1200 Quadratmeter großer Schulgarten.<br />

Dort erleben die Kinder selbst,<br />

wie Pflanzen angebaut werden, können<br />

sich davon im Kunstunterricht inspirieren<br />

lassen oder nutzen das Grüne Klassenzimmer<br />

<strong>für</strong> ein Leseprojekt.<br />

Die Teilnahme an Wettbewerben wie<br />

„Umweltschule in Europa – Internationale<br />

Nachhaltigkeitsschule“, wobei wir<br />

seit 2001 jedes Jahr mit unseren Projekten<br />

den Titel erringen konnten, und<br />

der zweimalige Gewinn des „Potsdamer<br />

Klimapreises – Schulen aktiv <strong>für</strong> Klimaschutz“<br />

zeigen, dass unsere Bemühungen<br />

Früchte tragen. Wir sind stolz darauf,<br />

dass unsere Schule als Vorbild <strong>für</strong><br />

<strong>nachhaltige</strong>s Handeln in der Region<br />

wahrgenommen wird.<br />

Um den Gedanken des Klimaschutzes<br />

weiter zu verbreiten, beteiligen wir<br />

uns regelmäßig an Veranstaltungen<br />

und Austauschprogrammen. Zudem<br />

organisieren wir Ausflüge in die Natur,<br />

um den Kindern die Zusammenhänge<br />

zwischen Umwelt und Klimaschutz<br />

hautnah zu vermitteln.<br />

Unsere Schülerinnen und Schüler<br />

sind die Zukunft und sie haben<br />

das Potenzial, die Welt zu verändern.<br />

Indem wir sie frühzeitig <strong>für</strong> den<br />

Klimaschutz sensibilisieren und sie in<br />

ihren Handlungsmöglichkeiten stärken,<br />

leisten wir einen wichtigen Beitrag zur<br />

Bewältigung der globalen<br />

Herausforderungen. Denn: Man<br />

kann nie zu klein sein, um <strong>für</strong> den Klimaschutz<br />

einzustehen!<br />

Johannes Wolz<br />

Dem Klimawandel auf der Spur<br />

Durch handlungsorientiertes Lernen Umweltbewusstsein stärken<br />

In der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Klimawandel lernen<br />

Kinder, wie tiefgreifende Veränderungen in Politik und Wirtschaft das globale<br />

Klima beeinflussen. Sie begreifen die Wichtigkeit gemeinsamer Anstrengungen<br />

<strong>für</strong> die Zukunft unseres Planeten und finden Inspiration <strong>für</strong> eigenes Engagement.<br />

Die Bekämpfung des Klimawandels<br />

gehört zu den dringlichsten<br />

Aufgaben unserer Zeit, wobei<br />

<strong>Bildung</strong> eine Schlüsselrolle spielt. Angeregt<br />

durch die Agenda 2030, insbesondere<br />

Ziel 13 der 17 Ziele <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> (Sustainable Development<br />

Goals – SDGs), das dringend zu Maßnahmen<br />

gegen den Klimawandel auffordert,<br />

widmeten wir uns über zwei Schuljahre<br />

hinweg intensiv diesem entscheidenden<br />

Thema.<br />

Erste Schritte im Grünen: Wald-<br />

Jugendspiele und Klimaschutz<br />

men wir bei den Vorbereitungen <strong>für</strong> die<br />

Wald-Jugendspiele Rheinland-Pfalz im<br />

Jahr 2023. Im Rahmen eines Wandertages<br />

begaben sich die 23 Schüler*innen<br />

der Klasse 3b auf einen etwa drei Kilometer<br />

langen Waldparcours mit elf Stationen.<br />

Sie wurden mit Fragen zum Lebensund<br />

Naturraum Wald, dessen Bedeutung<br />

<strong>für</strong> den Klimaschutz sowie den klimabedingten<br />

Herausforderungen konfrontiert.<br />

Immer wieder tauchten dabei auch komplexe<br />

Begriffe wie Nachhaltigkeit, Klimawandel<br />

und Kohlendioxid auf, die schnell<br />

die Neugier der Kinder weckten und zu<br />

zahlreichen weiteren Überlegungen und<br />

Vermutungen führten. Um den allgemeinen<br />

Überblick zu behalten und gleichzeitig<br />

die wichtigen Vorerfahrungen fest-<br />

Unsere ersten Schritte in Richtung<br />

Umwelt- und Klimaschutz unternahzuhalten,<br />

ermutigte ich sie im Anschluss,<br />

ihre Gedanken schriftlich zu dokumentieren.<br />

Zurück im Klassenzimmer füllte<br />

sich die magnetische Wand des Luftfilters<br />

innerhalb der nächsten Tage kontinuierlich<br />

mit gelben (was wir wissen wollen)<br />

und grünen (was wir schon wissen)<br />

Kärtchen. Das lebhafte Interesse und die<br />

umfangreiche Fragesammlung unterstrichen<br />

die Notwendigkeit, den Klimawandel<br />

umfassend im Unterricht zu behandeln,<br />

weit über einen ersten Einblick hinaus.<br />

Klima versus Wetter: eine<br />

grundlegende Unterscheidung<br />

Ein idealer Anknüpfungspunkt ergab<br />

sich durch die Faszination der Kinder<br />

<strong>für</strong> Wetterphänomene, deren Veränderungen<br />

und den Einfluss des Menschen<br />

auf die Umwelt. Entsprechend entschied<br />

ich mich, zunächst die Grundlagen von<br />

Wetter und Klima zu beleuchten, als<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

13


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Johannes Wolz<br />

ist Grundschullehrer in Rheinland-Pfalz<br />

und Vorstandsmitglied der Landesgruppe<br />

des Grundschulverbands. Seit<br />

2021 führt er den Blog „Milos Welt“ mit<br />

Einblicken in die eigene Unterrichtspraxis<br />

und selbst gestaltete Materialien.<br />

notwendige Basis, um die komplexen<br />

Zusammenhänge des Klimawandels<br />

erfassbar und verständlich zu machen.<br />

Interaktives Lernen mit Pindactica<br />

Für die strukturierte Planung und Durchführung<br />

dieser Unterrichtseinheit lehnte<br />

ich mich eng an das interaktive PDF Klimawandel<br />

verstehen vom gemeinnützigen<br />

und unabhängigen <strong>Bildung</strong>sverein Pindactica<br />

e. V. aus Berlin an. Dieses Lehrmaterial<br />

erwies sich als unschätzbar wertvoll,<br />

indem es eine schrittweise Herangehensweise<br />

zur Erarbeitung der Thematik aufzeigte<br />

und durch seine interaktiven Elemente<br />

das Lernen nicht nur lebendiger,<br />

sondern auch greifbarer machte. So gelang<br />

es mir, eine Brücke von den ursprünglichen<br />

Fragen der Kinder zu einem tieferen<br />

Verständnis der wissenschaftlichen und<br />

gesellschaftlichen Herausforderungen des<br />

Klimawandels zu bauen.<br />

Nachdem wir die Grundlagen von<br />

Wetter und Klima beleuchtet hatten, galt<br />

es herauszufinden, was den Unterschied<br />

zwischen beiden Phänomenen ausmacht.<br />

Diese Unterscheidung ist essenziell, wenn<br />

wir über den Klimawandel sprechen, da sie<br />

grundlegend verschiedene Phänomene beschreibt.<br />

Wetter bezieht sich auf kurzfristige<br />

Änderungen in der Atmosphäre – was<br />

wir täglich erleben, etwa Regen, Sonnenschein<br />

oder Wind. Klima hingegen umfasst<br />

die statistischen Wetterbedingungen über<br />

einen langen Zeitraum in einer bestimmten<br />

Region. Dieses Wissen ist entscheidend,<br />

denn der Klimawandel lässt sich an<br />

langfristigen Daten und Trends ablesen,<br />

nicht an einzelnen Wetterereignissen.<br />

Experimentieren und analysieren:<br />

Klimawandel begreifen<br />

Die klare Herausstellung dieses Unterschieds<br />

erleichterte es den Kindern, das<br />

Konzept langfristiger Klimaveränderungen<br />

zu verstehen. Auf dieser Grundlage<br />

folgte eine Reihe von Aktivitäten und Projekten<br />

im Unterricht, um das Bewusstsein<br />

und das Verständnis <strong>für</strong> den Klimawandel<br />

sowie dessen Ursachen und Folgen weiter<br />

zu vertiefen und zu strukturieren:<br />

● Die Kinder erforschten die verschiedenen<br />

Klimazonen der Erde und ihre<br />

Merkmale. Sie erkannten, dass diese<br />

vor allem durch die unterschiedliche<br />

Sonneneinstrahlung entstehen und sich<br />

Tiere und Pflanzen im Laufe von Jahrtausenden<br />

an die Klimazonen angepasst<br />

haben. Dies half ihnen zu verstehen, wie<br />

die geografische Lage die klimatischen<br />

Bedingungen einer Region beeinflusst.<br />

● Treibhausgase wie CO2 machen zwar<br />

nur einen sehr kleinen Teil unserer<br />

Luft aus, haben jedoch eine signifikante<br />

Wirkung. Je mehr Treibhausgase in<br />

der Atmosphäre vorhanden sind, desto<br />

stärker ist die Erwärmung. Diese Erkenntnis<br />

war wichtig, um die Mechanismen<br />

des Klimawandels zu begreifen.<br />

● Durch die Einbindung mathematischer<br />

Kompetenzen konnten die Kinder<br />

Klimadaten und CO2-Konzentrationen<br />

aus den Pindactica-Schaubildern<br />

genauer unter die Lupe nehmen und<br />

analysieren. Dies förderte nicht nur ihr<br />

Verständnis <strong>für</strong> die quantitative Dimension<br />

des Klimawandels, sondern<br />

auch ihre Fähigkeit, Daten kritisch zu<br />

hinterfragen und zu interpretieren.<br />

● Durch ausgewählte Hands-on-Experimente<br />

erlebten die Kinder anschaulich,<br />

wie der Treibhauseffekt mit CO2 funktioniert.<br />

Die praktische Erfahrung verstärkte<br />

ihr Verständnis <strong>für</strong> die Prozesse,<br />

die zur globalen Erwärmung führen.<br />

● Ein weiterer Fokus lag auf der Auseinandersetzung<br />

mit den direkten und<br />

den indirekten Folgen des Klimawandels<br />

durch Bilder, Reportagen und Sachtexte.<br />

Diese umfassten Themen wie Wetterextreme,<br />

Verlust der Biodiversität und die<br />

Auswirkungen auf menschliche Gesellschaften.<br />

Von Fakten zu Farben:<br />

Ausdruck des Gelernten<br />

Nach der detaillierten Auseinandersetzung<br />

mit den wissenschaftlichen Aspekten des<br />

Klimawandels entschieden wir uns, das<br />

erworbene Wissen auf eine kreative Weise<br />

umzusetzen. Die Kinder wählten da<strong>für</strong> als<br />

Medium Plakate und Postkarten, um ihre<br />

Erkenntnisse und Überlegungen visuell zu<br />

kommunizieren. Ziel dieses Ansatzes war<br />

es, das Bewusstsein und die Reflexion über<br />

Klimathemen zu vertiefen. Die erstellten<br />

Kunstwerke reflektierten nicht nur das<br />

Verständnis der Kinder <strong>für</strong> den Klima-<br />

Experiment – Treibhauseffekt mit CO2<br />

Ein Zeichen <strong>für</strong> den Klimaschutz mit handgemalten Postkarten<br />

14<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

wandel, sondern brachten auch ihre Hoffnungen<br />

und Appelle <strong>für</strong> eine <strong>nachhaltige</strong>re<br />

Zukunft zum Ausdruck.<br />

Ausgewählte Arbeiten wurden beim<br />

Wettbewerb „Der Erde eine Zukunft geben“<br />

im Jahr 2024 eingereicht, was den<br />

Kindern ermöglichte, ihre Botschaften<br />

einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen<br />

und ihr Engagement <strong>für</strong> den Klimaschutz<br />

zu unterstreichen.<br />

Expedition Klimaschutz: Viertklässlerinnen<br />

und Viertklässler in Aktion<br />

Nach dem Ende der Sommerferien setzten<br />

wir die Arbeit am Thema Klimawandel<br />

fort, wobei ich besonders darauf abzielte,<br />

das theoretische Wissen durch direkte<br />

Erfahrungen in der realen Umwelt zu<br />

ergänzen. Die folgenden unterrichtlichen<br />

Aktivitäten waren zudem eng mit zwei<br />

weiteren Zielen <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

(SDGs) verbunden: Ziel 6 – Sauberes<br />

Wasser und Sanitäreinrichtungen,<br />

Ziel 7 – Bezahlbare und saubere Energie.<br />

Die erste Exkursion im vierten Schuljahr<br />

führte uns in die regionale Kläranlage.<br />

Dort entwickelten die Kinder ein<br />

praktisches Verständnis <strong>für</strong> den Umgang<br />

mit Wasserressourcen und erkannten<br />

die Bedeutung des Umweltschutzes,<br />

was direkt Ziel 6 der SDGs<br />

widerspiegelt. Die Auseinandersetzung<br />

mit dem Wasseraufbereitungsprozess<br />

verdeutlichte ihnen, wie essenziell jeder<br />

Beitrag zum Schutz unserer Wasserressourcen<br />

ist. Die nächste Exkursion zum<br />

örtlichen Wasserwerk unterstrich die<br />

Wichtigkeit von sauberem Trinkwasser<br />

und veranschaulichte den Kindern Prozesse,<br />

die unser Wasser trinkbar machen.<br />

Diese Erfahrung zeigte nicht nur<br />

die Bedeutung sauberen Wassers <strong>für</strong><br />

die menschliche Gesundheit, sondern<br />

auch dessen Wichtigkeit <strong>für</strong> die Erhaltung<br />

der Umwelt. Besonders eindrücklich<br />

war in der Folgestunden die Betrachtung<br />

der Verteilung des Salz- bzw.<br />

Süßwassers auf der Erde in Anlehnung<br />

an den Zehn-Liter-Eimer-Vergleich der<br />

NaturDetektive des Bundesamtes <strong>für</strong><br />

Naturschutz (BfN).<br />

„Stell dir vor, das ganze Wasser der<br />

Erde würde in einen 10-Liter-Eimer passen.<br />

Dann wäre er fast bis zum Rand mit<br />

Salzwasser gefüllt. Eine kleine Schüssel<br />

voller Eiswürfel wäre das Süßwasser, das<br />

am Nord- und Südpol und in den Gletschern<br />

als Eis gefroren ist – also auch<br />

nicht trinkbar. Nur vier ganze Teelöffel<br />

voll Süßwasser wären das Wasser, das wir<br />

trinken können – drei Teelöffel Grundwasser<br />

und ein Teelöffel aus allen Flüssen<br />

und Seen zusammen. Wasser ist also sehr<br />

wertvoll. Deshalb ist es wichtig, dass wir<br />

es sauber halten, denn ohne Wasser ist<br />

kein Leben auf der Erde möglich.“ (BfN,<br />

naturdetektive.bfn.de, 2024)<br />

Einige Wochen später beleuchtete eine<br />

Energie-Schnitzeljagd im Schulhaus,<br />

durchgeführt mit der gleichnamigen App<br />

der Stiftung Kinder forschen, den alltäglichen<br />

Energieverbrauch und förderte<br />

das Bewusstsein <strong>für</strong> Energieeffizienz, was<br />

Ziel 7 der SDGs entspricht. Die Kinder<br />

lernten, wie wichtig eine effiziente Energieverwendung<br />

ist und wie sie aktiv zum<br />

Energiesparen beitragen können.<br />

Darüber hinaus bot die Radfahrausbildung<br />

im Rahmen der Verkehrserziehung<br />

eine ausgezeichnete Gelegenheit,<br />

das Thema Klimawandel anzusprechen.<br />

Wir diskutierten, wie das Fahrradfahren<br />

im Vergleich zu motorisierten Verkehrsmitteln<br />

die Umweltbelastung verringern<br />

kann und wie <strong>nachhaltige</strong> Mobilitätslösungen<br />

aussehen könnten.<br />

Zusammen <strong>für</strong> das Klima: Wie<br />

<strong>Bildung</strong> den Weg <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

Generationen ebnet<br />

Insgesamt waren die praktischen Erfahrungen<br />

entscheidend, um bei den Kindern<br />

ein tieferes Bewusstsein und Verständnis<br />

<strong>für</strong> die Komplexität des Klimawandels<br />

und die Notwendigkeit<br />

<strong>nachhaltige</strong>n Handelns zu fördern. Sie<br />

erkannten die Wichtigkeit, dass jede<br />

und jeder Einzelne zur Erreichung von<br />

Ziel 13 der SGDs, dem Kampf gegen<br />

den Klimawandel, beitragen kann.<br />

Ich ermutige Lehrkräfte, dieses entscheidende<br />

Thema kontinuierlich mit<br />

ihren Schüler*innen in Theorie und<br />

Praxis zu erleben. Besonders erfolgreich<br />

wird es, wenn zu aktiver Teilnahme an<br />

Projekten motiviert werden kann, die<br />

unser gemeinsames Ziel einer <strong>nachhaltige</strong>ren<br />

Zukunft unterstützen. So legen<br />

wir nicht nur den Grundstein <strong>für</strong> verantwortungsbewusstes<br />

Handeln in den<br />

kommenden Generationen, sondern<br />

tragen auch aktiv zur Verwirklichung<br />

dieser globalen Bestrebungen bei.<br />

Die GemüseAckerdemie<br />

Dr. Christoph Schmitz, Gründer und Geschäftsführer der GemüseAckerdemie,<br />

im Interview mit Michael Töpler<br />

MT: Herr Dr. Schmitz, die Gemüse-<br />

Ackerdemie wird 2024 zehn Jahre alt.<br />

Hat sich in der konkreten Zusammenarbeit<br />

mit den Schulen vor Ort etwas<br />

verändert?<br />

CS: Die Fragen zur Umsetzung vor<br />

Ort sind ähnlich geblieben, allerdings<br />

müssen wir nicht mehr erklären, warum<br />

Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema<br />

ist, das auch über den reinen Anbau<br />

des Gemüses hinaus <strong>für</strong> die Schule von<br />

Bedeutung ist. Die Schulen sind sehr<br />

interessiert und unsere Erfahrungen der<br />

letzten Jahre machen die Zusammenarbeit<br />

leichter.<br />

MT: Inhaltlich leuchtet sofort ein, wie<br />

der Gemüseanbau die Nachhaltigkeitsfragen<br />

direkt in die Schulen und zu<br />

den Schüler:innen trägt. Ist denn die<br />

Verankerung des Themas im Kollegium<br />

auch dauerhaft gesichert?<br />

Weitere Informationen:<br />

Ackerreport:<br />

https://t1p.de/m1v4b<br />

www.acker.co/Standorte<br />

CS: Die Verantwortung <strong>für</strong> das Projekt<br />

ruht immer auf mehreren Schultern.<br />

Besonders durch unsere stark ausgebaute<br />

Onlinelernplattform können immer<br />

wieder neue Kolleg:innen herangeführt<br />

werden, wenn einmal jemand ausscheidet.<br />

Auch durch die gute Begleitung der<br />

Fachkräfte haben bislang nur etwa fünf<br />

Prozent der Schulen das Projekt beendet.<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

15


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Michael Töpler (links)<br />

M. A. der Philosophie, Geschichte und<br />

Literatur wissenschaft<br />

Dr. Christoph Schmitz,<br />

Sozialunternehmer, Agrarökonom,<br />

Mentor<br />

MT: Hat die Arbeit der GemüseAckerdemie<br />

vor Ort in erster Linie Projektcharakter,<br />

oder wirkt sich das Angebot<br />

auch auf den Fachunterricht aus?<br />

CS: Der Acker bietet sich als fächerübergreifender<br />

Lernort an. Mathematische<br />

Fragen lassen sich hier ebenso bearbeiten<br />

wie Themen, die im Sachunterricht oder<br />

im Kunstunterricht verortet sind.<br />

MT: Kann man sagen, wie sich die<br />

Arbeit auf dem Acker auf die Kinder<br />

konkret auswirkt?<br />

CS: Wir beobachten, dass die Sozialkompetenzen<br />

der Kinder steigen. Insbesondere<br />

das eigenverantwortliche Arbeiten<br />

in Kleingruppen hat positive Effekte.<br />

Die Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />

beim Anbauen und beim Ernten sind<br />

enorm, das stärkt die Kinder.<br />

MT: Wirkt die Arbeit auch in die<br />

Familien hinein?<br />

CS: Natürlich. Die Kinder tragen ihre<br />

Erfahrungen als Botschafter:innen<br />

nach Hause und bringen auch manche<br />

Eltern intensiver in Kontakt mit saisonalem<br />

Gemüse. Dieses kann ja zu Hause<br />

unmittelbar verarbeitet werden.<br />

MT: Kann auch das Schulessen vom<br />

Acker aus bereichert werden?<br />

CS: Das ist <strong>für</strong> besondere Anlässe möglich,<br />

zum Beispiel mit einer Kürbisaktion<br />

im Herbst. Für die alltägliche Versorgung<br />

einer Mensa reichen die Erträge<br />

nicht. Das ist aber auch nicht der<br />

Anspruch.<br />

MT: Inwiefern wirkt sich Ihre Arbeit<br />

auf das Leben und das Arbeiten an der<br />

Schule insgesamt aus?<br />

CS: Ein wichtiger Baustein sind regelmäßige<br />

Fortbildungen <strong>für</strong> die Lehrkräfte,<br />

die durch unsere Onlineplattform<br />

flexibel gestaltet werden können.<br />

Dadurch kommt das Thema Nachhaltigkeit<br />

immer wieder ins Bewusstsein. Die<br />

kontinuierliche Beschäftigung mit unseren<br />

Angeboten gibt häufig Anstöße zu<br />

unterrichtlichen und außerunterrichtlichen<br />

Aktivitäten.<br />

MT: Nachhaltigkeit scheint schon fast<br />

ein Modewort zu sein, dass nicht unbedingt<br />

mit der Transformation verbunden<br />

wird, die wir vor uns haben.<br />

Besteht die Gefahr, dass die Schulen zu<br />

sehr an der Oberfläche bleiben?<br />

CS: Das Problem sehen wir, aber wir<br />

sehen noch stärker die sichtbaren Fortschritte.<br />

Alle müssen sich dem Thema<br />

widmen und tun dies in unterschiedlicher<br />

Intensität. Im Rahmen der Gemüse<br />

Ackerdemie wird zum einen der Lernort<br />

„draußen“ als Standard etabliert, der<br />

Garten, der Schulhof und die Umgebung<br />

werden verstärkt zum pädagogischen<br />

Raum.<br />

MT: Bedeutet das, dass es eine Standardlösung<br />

<strong>für</strong> alle Schulen gibt, wie<br />

das jeweilige Gelände gestaltet werden<br />

muss?<br />

CS: Nein, das ist sehr individuell und<br />

bietet Raum <strong>für</strong> viele Ideen. Es gibt tolle<br />

Beispiele, wo Schulen noch weit über<br />

unsere Initiative hinausgegangen sind.<br />

Jede Schule ist in der Umsetzung ein<br />

Unikat.<br />

MT: Gibt es Probleme mit der Frage,<br />

wie man die Angebote der Gemüse<br />

Ackerdemie im Rahmen der Lehrpläne<br />

umsetzt?<br />

CS: Nein, das ist vollkommen unproblematisch.<br />

Auf unserer Plattform ist die Verankerung<br />

in den jeweiligen Lehrplänen<br />

der Länder hinterlegt. In diesem Bereich<br />

hat sich einiges getan. BNE ist zwar in<br />

unterschiedlicher Weise formuliert, die<br />

Umsetzung ist aber meist sehr offen.<br />

MT: Bereitet der Föderalismus Probleme?<br />

CS: Auf der inhaltlichen Seite nicht.<br />

Lediglich im Bereich der Förderung<br />

unseres Angebotes gibt es einige Unterschiede,<br />

das kann manchmal etwas<br />

komplizierter werden.<br />

MT: Wie sieht die Verteilung im Bundesgebiet<br />

inzwischen aus? Kann<br />

grundsätzlich jede Schule in Deutschland<br />

teilnehmen?<br />

CS: Ja, inzwischen sind wir flächendeckend<br />

aktiv. In einigen Bundesländern<br />

sind wir schon stark vertreten, andere<br />

ziehen aber allmählich nach. Durch<br />

unser Netz von 520 Coaches mussten<br />

wir seit 2020 keiner Schule mehr aus<br />

Kapazitätsgründen absagen.<br />

MT: Wie sieht die Nachfrage im<br />

Bereich der Grundschulen aus?<br />

CS: Grundschulen haben weiter großes<br />

Interesse, die Nachfrage ist eher steigend.<br />

MT: Hat sich das Programm in den<br />

letzten zehn Jahren grundsätzlich<br />

geändert?<br />

CS: Wir haben uns kontinuierlich weiterentwickelt,<br />

insbesondere auch durch<br />

die zahlreichen Rückmeldungen aus den<br />

Schulen. So konnten Programm und<br />

Materialien immer weiter verbessert<br />

werden.<br />

MT: Kommen Sie selbst noch hin und<br />

wieder auf den Acker?<br />

CS: Zum Glück kommt das immer wieder<br />

vor, bei größeren Events oder in der<br />

Schule meiner Kinder vor Ort. Jede:r<br />

unserer Mitarbeiter:innen muss einmal<br />

pro Saison auf den Acker, damit der<br />

Kontakt zur Basis lebendig bleibt. Das<br />

macht weiterhin viel Freude!<br />

MT: Herr Dr. Schmitz, ich danke<br />

Ihnen sehr <strong>für</strong> dieses Gespräch.<br />

16<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Konstanze von Unold<br />

Mit Kindern auf dem Schulacker<br />

Erfahrungen aus einer Ackerschule<br />

Auf dem Schulacker wird nicht nur mit Kopf, Herz und Hand, sondern auch mit<br />

dem Gaumen, den Füßen und der Nase gelernt: In der Gemeinschaft pflanzen<br />

Kinder und Erwachsene Kräuter und Gemüse, beobachten die Pflanzen beim<br />

Wachsen, hacken den Boden, sammeln Schnecken, ernten, mulchen, essen und<br />

verkaufen. Und so ganz nebenbei bewegen wir uns an der frischen Luft – so lernen<br />

wir mit den Kindern zusammen viel über eine gesunde Lebensführung. Das<br />

prägt sogar uns Erwachsene nachhaltig.<br />

Konstanze von<br />

Unold<br />

ist Rektorin an<br />

der Grundschule<br />

Baierbrunn.<br />

Seit dem Schuljahr 2019/2020 ist die<br />

Grundschule Baierbrunn Ackerschule.<br />

Mit Unterstützung von<br />

Acker e. V. wurden zunächst die Erwachsenen<br />

– Lehrkräfte, die Jugendsozialarbeiterin<br />

der Schule und einige Eltern – in die<br />

Arbeit mit einem Schulacker eingeführt.<br />

Wir hatten das große Glück, dass die Kosten<br />

<strong>für</strong> das Anlegen des Ackers, die professionelle<br />

Betreuung durch die Gemüse<br />

Ackerdemie sowie <strong>für</strong> Pflanzen, Werkzeug<br />

sowie ein Gerätehäuschen vom Landkreis<br />

München, der Gemeinde Baierbrunn, der<br />

Stiftung eines Baumarkts und unserem<br />

Förderverein gemeinsam getragen wurden.<br />

Unser zweites Glück: Auf unserer<br />

großen Schulwiese war Platz <strong>für</strong> einen<br />

Gemüseacker – andere Schulen<br />

haben <strong>für</strong> ihren Acker ein großes<br />

Stück Pausenhof geopfert<br />

oder Hochbeete angelegt.<br />

Auch das ist möglich, aber<br />

nicht optimal.<br />

Das erste Anlegen des<br />

Ackers wurde von einem örtlichen<br />

Landwirt übernommen, der da<strong>für</strong><br />

mit den geeigneten Maschinen kam. Seitdem<br />

jedoch benötigen wir keine Maschinen<br />

mehr auf unserem Acker.<br />

Inzwischen gehört die Grundschule<br />

Baierbrunn als erfahrene Ackerschule<br />

zu den „Ackergurus“ und benötigt nur<br />

noch wenig Unterstützung der Gemüse<br />

Ackerdemie. Dennoch können wir auf<br />

die zahlreichen Informationen, Lehrfilme,<br />

Pflanzpläne etc. von www.acker.co<br />

zurückgreifen. Auch die Pflanzen wurden<br />

bisher durch die Ackerdemie bei einem<br />

regionalen Biogärtner bestellt. Wir<br />

müssen mit ihm lediglich zwei Anlieferungstermine<br />

vereinbaren.<br />

Alle Klassen werden <strong>für</strong> jeweils eine<br />

Woche zum Ackerdienst eingeteilt. Die-<br />

Selbst gemacht –<br />

Natur – Gemüse – umweltfreundlich<br />

– alles ist<br />

gut. (Klasse 4b)<br />

se Einteilung gilt auch in den Ferien und<br />

wird in jedem Schuljahr bis zum September<br />

geplant. Zusätzlich unterstützt<br />

die Umwelt-AG (von der Jugendsozialarbeiterin<br />

geführt) bei der Ackerpflege.<br />

Und so läuft ein Ackerjahr<br />

an der Grundschule Baierbrunn ab<br />

Winter:<br />

● Das Werkzeug wird überprüft und<br />

ggf. wird neues gekauft.<br />

● Die Planungen der Pflanztermine<br />

und der Beeteinteilung erfolgt im Winter<br />

durch die betreuende Lehrkraft mit<br />

Unterstützung der Ackerdemie.<br />

● In diesem Jahr hat eine zweite Klasse<br />

skizziert und ausgerechnet, wie<br />

groß der Acker sein muss:<br />

Nachdem das Gras aus der<br />

Schulwiese jedes Jahr ein<br />

Stück in den Acker hineinwächst,<br />

muss jedes Jahr neu<br />

ausgemessen und ein Stück<br />

Grasnarbe entfernt werden.<br />

Hacken zum Befreien von Unkraut und<br />

zur besseren Wasseraufnahme<br />

März/April:<br />

● Eltern (unser Elternbeirat organisiert<br />

da<strong>für</strong> ausreichend Helfer) arbeiten<br />

Mulch in den Acker ein. Da<strong>für</strong> wird der<br />

Acker spatentief umgegraben.<br />

April:<br />

● Eine Klasse legt Beete und Wege an:<br />

Mit Schnüren und Stöcken werden die<br />

Beete markiert und Wege getrampelt.<br />

Ein Infofilm zeigt uns, wie das geht.<br />

● Die erste Pflanzung erfolgt an ein bis<br />

zwei Tagen durch mehrere Klassen und<br />

helfende Eltern. Gepflanzt wird alles,<br />

was bei uns wachsen kann: Kartoffeln,<br />

Palmkohl, Mangold, Kohlrabi, Bete, Karotten,<br />

Radieschen, Knoblauch, Frühlingszwiebeln,<br />

verschiedene Salate, Fenchel,<br />

Pastinaken und Zuckererbsen.<br />

● In den Wochen danach werden vom<br />

jeweiligen Ackerdienst Schnecken gesammelt<br />

und zum Isarabhang gebracht, Beete<br />

durch Hacken von Unkraut befreit und<br />

zur besseren Wasseraufnahme gelockert.<br />

Wie groß muss<br />

der Schulacker<br />

sein? Skizze einer<br />

2. Klasse<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

17


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Mitte bis Ende Mai:<br />

● Bei der zweiten Pflanzung<br />

kommen frostempfindliche<br />

Pflanzen auf den<br />

Acker: Gurken, Tomaten,<br />

Kürbis, Zucchini, Mais und<br />

Bohnen.<br />

Sommer bis Frühherbst:<br />

● Jetzt darf geerntet werden.<br />

● Vor den Sommerferien wird nachgesät.<br />

● Einmal wöchentlich findet bis Ende<br />

Oktober unser Ackerverkauf statt, bei<br />

dem Kinder, Eltern und Passanten unser<br />

eigenes Gemüse kaufen können. Der<br />

Erlös geht an den Förderverein, dem<br />

Kinder, Eltern und Lehrkräfte Wünsche<br />

<strong>für</strong> Neuanschaffungen (<strong>für</strong> den Acker,<br />

Pausenspiele, Bücher <strong>für</strong> die Bücherei<br />

etc.) nennen dürfen.<br />

● Einen Teil der Ernte verarbeiten wir<br />

selbst. Besonders gut kommen Palmkohlchips<br />

an!<br />

Spätherbst:<br />

● Nach der letzten Ernte sammeln wir<br />

Grasschnitt, Strauchschnitt und Laub.<br />

Beim Ackerverkauf<br />

muss jeder<br />

Stoffbeutel mitbringen.<br />

So brauchen wir kein<br />

Plastik. (Klasse 1)<br />

Damit wir der komplette Acker gemulcht,<br />

damit er im Frühjahr wieder viele Nährstoffe<br />

<strong>für</strong> die nächste Saison hat.<br />

Fazit<br />

Lohnt sich denn der ganze<br />

Aufwand? Kostet das<br />

nicht enorm viel Zeit? Und<br />

wo bleiben die Basiskompetenzen<br />

in Deutsch und Mathematik?<br />

Wir freuen<br />

uns auf die<br />

Palmkohlchips.<br />

(Klasse 2a)<br />

Rezept <strong>für</strong> Palmkohlchips:<br />

Zutaten:<br />

circa 500 g Palmkohlblätter<br />

6 EL Olivenöl<br />

1 EL Meersalz<br />

Zubereitung:<br />

1. Palmkohlblätter waschen und trocken<br />

schütteln<br />

2. Blattrippe entfernen und die Blätter auf<br />

Chipsgröße klein zupfen<br />

3. In einer Schüssel mit dem Öl und dem Salz<br />

vermischen<br />

4. Chips auf einem Blech verteilen und bei<br />

130 Grad im Ofen rösten<br />

(Umluft ermöglicht mehrere Bleche)<br />

Umweltschule und Ackerschule – wird<br />

das nicht ein bisschen viel? Jedes Jahr<br />

wieder ackern?<br />

Das Team der Grundschule<br />

Baierbrunn mit Eltern und<br />

Kindern hat sich trotz solcher<br />

Fragen von Jahr zu Jahr da<strong>für</strong><br />

entschieden, Ackerschule zu<br />

bleiben: Der Aufwand lohnt sich,<br />

<strong>für</strong> alle!<br />

Susanne Geese, Lisa Gutschik<br />

„Der Müll muss weg“<br />

In einer Welt, in der Kinder immer öfter mit gesellschaftlichen Unruhen, kriegerischen<br />

Auseinandersetzungen und Auswirkungen des Klimawandels umgehen<br />

müssen und sich diesen weitgehend machtlos ausgesetzt fühlen, wollen wir<br />

an unserer Schule den Kindern die Möglichkeit geben, aktiv an demokratischen<br />

Strukturen teilzunehmen und sich selbstwirksam und wahrgenommen zu fühlen.<br />

Deshalb führen wir in regelmäßigen<br />

Abständen Schulforen<br />

durch, in denen aktuelle Herausforderungen<br />

und Aufgaben der<br />

Schulgemeinschaft besprochen, diskutiert<br />

und Lösungsansätze gesucht werden.<br />

Als ein wiederkehrendes Problem<br />

zeigte sich Müll auf dem Pausenhof.<br />

BNE als gesamtübergreifendes<br />

Unterrichtsprinzip<br />

Die Relevanz des Umweltproblems und<br />

insbesondere die Müllproblematik nehmen<br />

die Kinder in ihrer Lebenswelt,<br />

hier ganz konkret auf dem Pausenhof<br />

und anhand von überquellenden Mülleimern<br />

wahr. Daraus entstanden ist<br />

ein Unterrichtsprojekt, das uns in der<br />

Schule nachhaltig über alle Klassenstufen<br />

verteilt das Schuljahr begleiten soll.<br />

Die grundschulpädagogische Begründung<br />

einer BNE soll sowohl ein<br />

Lernen <strong>für</strong> eine <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

als auch ein Lernen als eine <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> beinhalten (Rieckmann,<br />

2021) und sich an Fragen der<br />

Kinder orientieren, die dann aufgegriffen<br />

werden, um die heutige Welt in ihrer<br />

Komplexität ein wenig mehr zu verstehen<br />

(Remy, 2024). Curricular wird<br />

BNE bislang überwiegend dem Fach<br />

Sachunterricht zugeschrieben. In diesem<br />

Projekt wird BNE aber dominierend<br />

Kunst und Musik zugeordnet, was<br />

BNE als Querschnittsaufgabe <strong>für</strong> alle<br />

Susanne Geese (links)<br />

ist Lehrerin 4. Jahrgang, Grundschule an<br />

der Platanenstraße, Landsberg am Lech.<br />

Lisa Gutschik<br />

ist Lehrerin 1. Jahrgang, Grundschule<br />

an der Platanenstraße, Landsberg am<br />

Lech, und wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

am Lehrstuhl <strong>für</strong> Schulpädagogik<br />

der Primarstufe, TU Chemnitz.<br />

Fächer darstellt und auch die inhaltliche<br />

Komplexität des Themenfelds deutlich<br />

macht.<br />

18<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

„Der Müll muss weg“ – ein Rap als<br />

Vorbereitung zur Müllsammelzeit<br />

in der Freitagspause<br />

Die Kinder der vierten Klasse wollten<br />

ihre Mitschülerinnen und Mitschüler<br />

auf dieses Problem aufmerksam machen<br />

und motivieren, gemeinsam da<strong>für</strong> Sorge<br />

zu tragen, den Müll sowohl zu reduzieren<br />

als auch aufzusammeln und dann<br />

zu recyceln. Damit ist die Idee entstanden,<br />

im nächsten Schülerforum einen<br />

Rap vorzutragen, in dem es inhaltlich<br />

um Müllvermeidung und Müllsammeln<br />

geht. Als Einstieg wurde anhand des<br />

Mülls auf dem eigenen Pausenhof, sowie<br />

später auch anhand von Bildmaterial<br />

erörtert, wo Müll entsteht und welchen<br />

Müll die Kinder selbst in ihrer Lebenswelt<br />

produzieren. Anhand der Realien<br />

wurden Strategien der Mülltrennung<br />

und des Recyclings besprochen und<br />

praktiziert. Daraus ergab sich die Frage<br />

nach Möglichkeiten, Müll prinzipiell zu<br />

vermeiden. Dadurch sollte auch angeregt<br />

werden, das eigene Konsumverhalten<br />

zu reflektieren und sich des sparsameren<br />

Umgangs mit Ressourcen der<br />

Natur bewusst zu werden. Anschließend<br />

erarbeiteten die Kinder anhand von<br />

Informationsmaterial Erkenntnisse über<br />

globale Umweltprobleme wie Mikroplastik<br />

in den Weltmeeren, Rodung von<br />

Regenwäldern und Vernichtung heimischer<br />

Insekten durch den großflächigen<br />

Einsatz von Pestiziden.<br />

Im Musikunterricht wurde der Müll-<br />

Rap in Kleingruppen unter Vorgabe eines<br />

gemeinsamen Beats gereimt, ausgearbeitet<br />

und eingeübt. Später wurde er<br />

auch von im Kunstunterricht selbst gebastelten<br />

Upcycling-Müllinstrumenten<br />

begleitet. Die Inszenierung in Müll-Outfits<br />

erfolgte dann mit Mülltonnen, die als<br />

Trommeln benutzt wurden.<br />

Vom Problem zur Lösung:<br />

vom Müll zum Müllsammeln als<br />

gesamtschulischem Anliegen<br />

Auf einer Schautafel wird der Verlauf<br />

der Müllsammelaktionen präsentiert<br />

Im Nachgang der Präsentation erklärten<br />

die Viertklässlerinnen und Viertklässler<br />

ihre Idee, immer am Freitag den<br />

Müll auf dem Pausenhof zu sammeln.<br />

Jeder Klassenstufe wurde ein Areal des<br />

Pausenhofes zugeteilt, den die Kinder<br />

mit Müllzangen und Handschuhen<br />

säubern sollen. Dieser Müll wird dann<br />

in großen Behältern gesammelt und in<br />

der Aula präsentiert. Die Klassenlehrkräfte<br />

betrachten nach der Pause mit<br />

ihren Klassen den Müll. So entsteht ein<br />

regelmäßiger Austausch über Müllvermeidung,<br />

Recycling oder andere von<br />

den Kindern angestoßene Thematiken.<br />

Ziel ist es, einen müllfreien Pausenhof<br />

zu schaffen. Der Verlauf wird in Fotos<br />

dargestellt und <strong>für</strong> die Kinder an einer<br />

Schautafel präsentiert. Daraus ergeben<br />

sich immer wieder Gespräche, die Ängste<br />

und Resignation der Kinder deutlich<br />

machen, aber auch zeigen, wie Partizipation<br />

und die Möglichkeit, langfristig<br />

etwas in ihrer Lebenswelt zu bewirken,<br />

die Kinder zu aktiven Gestalterinnen<br />

und Gestaltern der Gegenwart und der<br />

Zukunft machen.<br />

Müll-Rap<br />

Unser Pausenhof ist voller Dreck<br />

und der muss weg.<br />

Dieser Müll ist wirklich doof,<br />

drum räum ihn vom Hof!<br />

Schmeiß den Müll nicht auf den Boden,<br />

dann werden wir dich loben.<br />

Willst du cool sein, mach ihn weg,<br />

diesen Riesendreck!<br />

In der Recycling-Tonne,<br />

ist der Müll ’ne Wonne!<br />

Wir müssen weniger Müll produzieren,<br />

also lasst ihn uns reduzieren!<br />

Schmeiß dein’ Müll nicht aufs Gelände,<br />

dann bist du ’ne Legende.<br />

Und wirfst du den Müll ins Meer,<br />

haben wir bald kein sauberes Wasser mehr.<br />

Und wir bitten dich auch sehr,<br />

verschwende bloß kein Wasser mehr!<br />

Mit der Müllzange den Pausenhof säubern<br />

Literatur:<br />

Rieckmann, Marco (2021): <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>. merz 65 (04): 10–17.<br />

Remy, Miriam (2024): Gemeinsam sind wir<br />

stark! Selbstwirksamkeit erleben mit dem<br />

FREI DAY Lernformat. Grundschule aktuell<br />

165, 02/2024.<br />

Refrain: DER MÜLL MUSS WEG!<br />

DER MÜLL MUSS WEG!<br />

Lass das Plastikkaufen sein,<br />

kauf lieber clever ein!<br />

Pack deine Brotzeitdose ein,<br />

doch lass das Plastik daheim.<br />

Versuche, Plastik zu vermeiden,<br />

sonst muss die Erde leiden!<br />

Niemals was verschwenden,<br />

sondern alles wiederverwenden.<br />

Bist du auch so’n cooler Reimer,<br />

dann schmeiß den Müll in Eimer.<br />

Sei auch du ein Held,<br />

und rette unsre Welt.<br />

Refrain: DER MÜLL MUSS WEG!<br />

DER MÜLL MUSS WEG!<br />

(Refrain jeweils begleitet durch<br />

Müllinstrumente)<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

19


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Tatjana Seidensticker<br />

Im FREI DAY über sich hinauswachsen<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE) – dieser Grundsatz wird gerade wie<br />

die Statue einer goldenen Kuh auf die verstaubten <strong>Bildung</strong>svorgaben in Niedersachsen<br />

und anderen Bundesländern aufgesetzt. Per Erlass (RdErl. d. MK<br />

v. 1.3.2021 – Az. 23.5 80009/ 1 – VORIS 22410) soll das Verständnis der Schüler*innen<br />

und vor allem der Lehrkräfte <strong>für</strong> ökologische, ökonomische, soziale,<br />

politische, kulturelle sowie ethische und religiöse Themen gefördert werden.<br />

Jede Schule muss eine Lehrkraft <strong>für</strong><br />

BNE beauftragen. Die goldene Kuh<br />

ist wichtiger denn je – das wissen<br />

alle –, aber sie wird lieber bestaunt als<br />

geführt und gefüttert.<br />

Selbstwirksamkeit ist der<br />

Schlüssel zum eigenen Handeln<br />

Ich bin der Ansicht, dass Kinder längst<br />

ein Bewusstsein <strong>für</strong> soziale und ökologische<br />

Probleme haben. Sie engagieren<br />

sich gern politisch und verfolgen ethische<br />

Ziele, wenn sie den Raum da<strong>für</strong><br />

haben. An der Grundschule Bredenbeck<br />

ist das Lernformat FREI DAY seit<br />

Jahren verankert. In einigen Jahrgängen<br />

arbeiten die Kinder immer freitags<br />

klassenübergreifend an selbst gewählten<br />

Projekten rund um die 17 Ziele <strong>für</strong><br />

Nachhaltigkeit. Jeder Freitag beginnt<br />

mit einem Plenum, in dem jede Gruppe<br />

ihre Arbeit kurz präsentiert und Ziele<br />

<strong>für</strong> den heutigen Tag festlegt. Fragen<br />

und Tipps der anderen Schüler*innen<br />

bringen die Akteur*innen oft voran. So<br />

Wasser ist wertvoll: Julien Fischer,<br />

Mitarbeiter der UN, erforscht mit Kindern<br />

der Grundschule Bredenbeck die<br />

Bedeutung von Wasser in unserer Welt<br />

arbeiten einige Kinder an einem Vortrag<br />

über Eisbären, andere bauen Insektenhotels,<br />

Nistkästen oder entwickeln Konzepte,<br />

um Müll zu vermeiden und Strom<br />

zu sparen. Wieder eine andere Gruppe<br />

organisiert einen Spendenlauf, um mit<br />

dem Erlös ein ukrainisches Kinderheim<br />

zu unterstützen. Einige Viertklässler*innen<br />

haben mit einer Umfrage unter<br />

allen Schüler*innen festgestellt, dass<br />

viele Kinder mit dem Auto zur Schule<br />

gefahren werden. Daraufhin haben diese<br />

Kinder Holzwegweiser gebaut, um einen<br />

Fahrradweg zu beschildern – mit Erfolg:<br />

Der Fahrradständer ist voller geworden.<br />

Allein an dieser Aktion wird deutlich,<br />

dass Selbstwirksamkeit der Schlüssel<br />

zum eigenen Handeln ist. Sie ist der<br />

Motor <strong>für</strong> politisches Engagement. Die<br />

Kinder stehen den großen Herausforderungen<br />

unserer Gesellschaft nicht<br />

machtlos gegenüber. Sie können den<br />

Krisen, die sie in sämtlichen Medien<br />

meist ungefiltert sehen, wenigstens ein<br />

Stück weit aktiv begegnen. Das eigene<br />

Tun bewirkt Veränderung. In die-<br />

Selbstwirksames Handeln: Die selbst<br />

gebauten Wegweiser füllen den Fahrradständer<br />

der Schule. Weniger Kinder<br />

werden mit dem Auto gebracht<br />

Tatjana Seidensticker<br />

leitet seit zehn Jahren die Grundschule<br />

Bredenbeck, eine kleine ländliche Schule<br />

in der südlichen Region Hannover. Die<br />

Schule ist Mitglied im Netzwerk Schule im<br />

Aufbruch und hat im Dezember 2023 <strong>für</strong><br />

besonderes Engagement im Bereich BNE<br />

den Schulpreis youstartN gewonnen.<br />

sem Fall ist es der Gruppe gelungen, die<br />

gesamte Schülerschaft aufzuklären, ihr<br />

neue Wege aufzuzeigen und somit das<br />

Ziel „mehr Fahrradfahrer und weniger<br />

Autos“ zu erreichen. Unsere goldene<br />

Kuh ist lebendig, wird gestreichelt.<br />

Verschiedene Kompetenzen<br />

verzahnen sich im FREI DAY<br />

Ein weiteres Beispiel einer Gruppe von<br />

Jungen der Grundschule Bredenbeck<br />

zeigt, wie sehr sich verschiedene Kompetenzen<br />

im FREI DAY verzahnen.<br />

Lesen, Schreiben, Rechnen, religiöse,<br />

politische, ökologische, ökonomische<br />

und sportliche Fähigkeiten werden<br />

gefordert, wenn sich Kinder vornehmen,<br />

den Wald (Deister) von Bredenbeck<br />

zu retten. Große Kahlflächen im<br />

Wald, die durch Trockenheit und Borkenkäfer<br />

entstanden sind, haben die Silhouette<br />

des Deisters verändert und sind<br />

<strong>für</strong> die Menschen im Ort täglich sichtbar.<br />

Der Klimawandel ist zu einem Thema<br />

der Kinder in Bredenbeck geworden.<br />

Er betrifft sie. Die Kinder werden<br />

aktiv: Gespräche mit dem Förster vor<br />

Ort, Organisation eines Schulbasars,<br />

um die Kosten <strong>für</strong> 500 Bäume zu erwirtschaften,<br />

Termine koordinieren, Presseinformationen<br />

formulieren, sich über<br />

Pflanzbedingungen informieren, Bäume<br />

pflanzen – dabei lernen die Kinder<br />

20<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

lesen, schreiben, rechnen, recherchieren,<br />

planen, verhandeln, argumentieren<br />

und sich präsentieren. Die Lerninhalte<br />

kommen aus dem Herzen, gehen durch<br />

die Hand und bleiben im Kopf. Kinder<br />

mit unterschiedlichen Fähigkeiten<br />

können sich einbringen oder wachsen<br />

über sich hinaus.<br />

Rollen und Aufgaben der<br />

Lehrkräfte verändern sich<br />

Die Aufgabe der Lehrkraft verändert<br />

sich am FREI DAY. Sie wird zum*zur<br />

Lernbegleiter*in, öffnet Türen und Räume.<br />

Sie benötigt allerdings auch ein<br />

hohes Maß an Toleranz. Der Unterricht<br />

bewegt sich weniger in den gewohnten<br />

Abläufen und Bahnen. Er ist nicht gut<br />

planbar, erfordert Flexibilität, weil die<br />

Kinder eigene Pläne haben. Zudem wird<br />

die Arbeit am FREI DAY nicht bewertet.<br />

Das schreckt zahlreiche Kolleg*innen<br />

ab, sich mit dem neuen Lernformat zu<br />

beschäftigen. Zeit, sich auf Neues einzustellen,<br />

bleibt im Schulalltag selten. Wer<br />

allerdings einmal dabei ist, der erkennt,<br />

wie viel größer und intensiver der Lernzuwachs<br />

der Kinder durch die intrinsische<br />

Motivation in den Projekten des<br />

FREI DAYs ist. Dieser wirkt sich auf alle<br />

Fächer aus.<br />

Im FREI DAY sind alle Fächer verzahnt.<br />

Eine Vernetzung von Fächern<br />

und Kompetenzen, aber auch von Schule<br />

und schulischem Umfeld sind im<br />

Schulleben verankert. Regional sind Betriebe<br />

und Eltern in die Projekte eingebunden.<br />

Überregional helfen die Kinder<br />

beispielsweise einem Kinderheim in der<br />

Ukraine. Oder sie machen auf sich aufmerksam.<br />

So haben Kinder aus Bredenbeck<br />

den youstartN-Preis 2023 der Stiftung<br />

<strong>Bildung</strong> im vergangenen Dezember<br />

in Berlin gewonnen.<br />

Es lohnt sich, gemeinsam<br />

<strong>für</strong> ein Ziel zu arbeiten<br />

Zahlreiche Projekte, die Kinder umsetzen<br />

wollen, kosten Geld, das weder der<br />

Schulträger noch die Landesregierung<br />

zur Verfügung hat. Schon in der Grundschule<br />

lernen die Kinder, dass es sich<br />

lohnt, <strong>für</strong> ein Ziel zu arbeiten – ein Ziel,<br />

das Geld kostet. So möchte eine Gruppe<br />

von Dritt- und Viertklässler*innen der<br />

Grundschule Bredenbeck aktuell einen<br />

neuen Schulgarten bauen. Die Schüler*innen<br />

wollen damit mehr Lebensraum<br />

<strong>für</strong> Bienen schaffen und allen<br />

Kindern der Schule zeigen, wann welche<br />

Frucht reift. Sie möchten erreichen,<br />

dass die Bredenbecker Obst und Gemüse<br />

saisonal und regional kaufen und<br />

essen. Darum hat die Gruppe mit einem<br />

Tischler und einer Gartenarchitektin<br />

des Ortes gesprochen, um die Pläne<br />

zu vertiefen. Schnell wurde klar: Selbst<br />

wenn die Arbeit der beiden Expert*innen<br />

ehrenamtlich ist, muss das Holz <strong>für</strong><br />

Hochbeete erwirtschaftet werden. Darum<br />

haben die Kinder den Landwirt im<br />

Ort um Saatgut <strong>für</strong> Blühstreifen gebeten.<br />

Dieses haben die Kinder in bemalte<br />

Tüten abgepackt und sie in den Pausen,<br />

im Ort und im Umweltausschuss der<br />

Gemeinde verkauft. Zudem haben zwei<br />

Mädchen einen Spendenbrief an verschiedene<br />

Unternehmen geschrieben –<br />

einfach formuliert, aber wirkungsvoll.<br />

Das Holz konnte beschafft und große<br />

Hochbeete konnten gebaut werden.<br />

Dabei bekam die Gruppe Unterstützung<br />

von Eltern, ehemaligen Schüler*innen<br />

und natürlich dem Hausmeister. Die<br />

Erde hat ein Bauer von einem benachbarten<br />

Feld mit dem Trecker gebracht.<br />

Gleich nach Ostern sollen die gespendeten<br />

Bäume und Sträucher sowie das<br />

selbst vorgezogene Gemüse gepflanzt<br />

Vom Herz in die Hand und fest im Kopf<br />

verankert: Der Hochbeetebau motiviert,<br />

fordert und vernetzt Kompetenzen<br />

werden. Sie haben es geschafft. Die Kinder<br />

haben ihr Ziel erreicht – unter großer<br />

Anstrengung. Ob sie sich ebenso<br />

angestrengt hätten, wenn sie den Brief<br />

an die Spender als Aufsatz geschrieben<br />

hätten? Hätten sie die Kosten <strong>für</strong><br />

die Hochbeete in Form einer Textaufgabe<br />

genauso motiviert errechnet? Ich<br />

bezweifele es.<br />

Um herauszufinden, ob die Kinder im<br />

FREI DAY besser lernen, begleitet eine<br />

Gruppe von Professor*innen der Medizinischen<br />

Hochschule Hannover nun<br />

mit einer Studie die Kinder der Grundschule<br />

Bredenbeck. Eine empirische<br />

Untersuchung der Vorteile von selbstbestimmtem<br />

und selbstwirksamem Lernen<br />

könnte die goldene Kuh lebendig<br />

machen. Die <strong>Bildung</strong>svorgaben müssten<br />

angepasst und Kapazitäten <strong>für</strong> innovative<br />

Lehrkräfte und motivierte Kinder geschaffen<br />

werden. BNE darf keine Statue<br />

sein. Die goldene Kuh wird nur lebendig,<br />

wenn wir sie dazu bringen, zu fressen,<br />

sich zu bewegen und zu vermehren.<br />

Kinder haben mehr Fantasie als wir Erwachsenen.<br />

Also geben wir ihnen die<br />

Möglichkeit, ihre Ziele und ihre Zukunft<br />

zu gestalten.<br />

Stolz: Die Projektgruppe Schulgarten hat <strong>für</strong><br />

den Bau der Hochbeete hart gearbeitet. Lesen,<br />

Schreiben, Rechnen, politische, ökologische und<br />

ethische Fähigkeiten verzahnen sich dabei<br />

Hier geht es<br />

zum Video<br />

vom FREI DAY<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

21


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Andreas Potthast<br />

Auf dem Weg zur müllfreien Grundschule<br />

Im Klima-Schulnetzwerk Delbrücker Land lernen<br />

sechs Grundschulen voneinander<br />

Es ist eines der großen Querschnittsthemen der Grundschule: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE). Grundlage der thematischen Arbeit bilden die<br />

17 Nachhaltigkeitsziele der UN, die auch von Deutschland ratifiziert worden sind.<br />

Die sechs Grundschulen der Stadt<br />

Delbrück haben sich auf den<br />

Weg gemacht, gemeinsam an<br />

diesem Thema zu arbeiten und sich als<br />

Netzwerk im Landesprogramm „Schule<br />

der Zukunft“ zertifizieren zu lassen. Ziel<br />

ist es, die Zukunftskompetenz der Schülerinnen<br />

und Schüler in den Blick zu nehmen<br />

und zu fördern. Die Kinder der sechs<br />

Grundschulen sollen befähigt werden,<br />

über ihre Zukunft nachzudenken und<br />

konkrete Ideen zu deren Gestaltung im<br />

schulischen und im häuslichen Umfeld zu<br />

entwickeln. Seit dem Schuljahr 2022/2023<br />

kooperieren die sechs Grundschulen, die<br />

zudem im Arbeitskreis Delbrücker<br />

Grundschulen zusammengeschlossen<br />

sind, thematisch eng miteinander.<br />

Die Schüler*innenakademie<br />

„Wir könnten doch einfach unser eigenes<br />

Handtuch mitbringen!“ Die Idee<br />

stammt von Johannes. Der Viertklässler<br />

ist einer der Teilnehmer*innen der<br />

Delbrücker Schüler*innenakademie, die<br />

sich mit dem Thema „Auf dem Weg zur<br />

müllfreien Schule“ befasst.<br />

An zwei Vormittagen trafen sich vier<br />

bis sechs Schüler*innen aus jeder der<br />

sechs Grundschulen auf dem Stadtgebiet<br />

Delbrück. Unter der Leitung des NABU<br />

BNE Regionalzentrums in Bad Lippspringe<br />

entwickeln die Kinder nach der<br />

Methode „Zukunftswerkstatt“ Ideen zur<br />

Verbesserung der Müllsituation.<br />

Über eine „Meckerphase“, die sich<br />

mit Fragen befasst wie „Was ist schlecht,<br />

was funktioniert nicht oder was nervt?“,<br />

konnten die Kinder in einer „Traumphase“<br />

ihre Wunschschule in Zusammenhang<br />

mit der Reduzierung von Müll entwickeln.<br />

Um der Müllproblematik noch<br />

mehr Nachdruck zu verleihen, wurde an<br />

einem zweiten Tag der Zukunftswerk-<br />

statt zunächst einmal der Müll aus allen<br />

sechs Grundschulen zusammengetragen,<br />

den die Kinder jeweils im Vorfeld auf den<br />

Grundstücken aufgelesen hatten. Für die<br />

verschiedenen Probleme in den Schulen<br />

und auf den Schulhöfen wurden konkrete<br />

Lösungen gesammelt. Abschließend<br />

ging es in die Praxis. Es wurde überlegt,<br />

welche der entstandenen Ideen umsetzbar<br />

sind, welcher Unterstützung es bedarf<br />

und wann gestartet werden kann.<br />

Jede*r bringt sein*ihr<br />

eigenes Handtuch mit<br />

Die Ergebnisse der Schüler*innenakademie<br />

wurden schließlich in die verschiedenen<br />

Schulen getragen, wo es anschließend<br />

an die Umsetzung ging. So wurde<br />

die Idee von Johannes an einer Schule<br />

bereits umgesetzt. Dort bringen seit<br />

einigen Wochen die Kinder ihr eigenes<br />

Handtuch mit. Wenn die Schüler*innen<br />

während des Unterrichts zur Toilette<br />

müssen, wird das Handtuch am<br />

Waschbecken im Vorraum aufgehängt,<br />

nach dem Händewaschen benutzt und<br />

anschließend wieder mit in die Klasse<br />

genommen. Dort hängt es bis zum<br />

nächsten Einsatz an einem Haken am<br />

Tisch. Freitags nehmen die Schüler*innen<br />

das Handtuch zum Waschen mit<br />

nach Hause. Der Hausmeister der Schule<br />

wurde vom Schülerparlament gebeten,<br />

in der nächsten Zeit zu überprüfen,<br />

ob der Verbrauch der Einmalpapierhandtücher<br />

tatsächlich sinkt. An<br />

einer anderen Grundschule wurde festgestellt,<br />

dass sich zu wenige Mülleimer<br />

auf dem Schulhof befinden. Hier wurde<br />

durch einen Antrag beim Bauhof der<br />

Stadt Abhilfe geschaffen. In zwei weiteren<br />

Schulen stieß die fehlende oder<br />

nicht konsequente Mülltrennung in den<br />

Klassenräumen auf Kritik.<br />

Andreas Potthast<br />

ist seit 2002 Schulleiter. Seit 2017 leitet<br />

er den Grundschulverbund Westenholz-Hagen<br />

in Delbrück. Außerdem<br />

steht er seit 2016 als Mitglied des Ensembles<br />

Grundschulkabarett Lehrgut<br />

auf nordrhein-westfälischen Bühnen.<br />

Mail: andreas.potthast@gsvwhdel.de<br />

Beim kleinen FREI DAY<br />

sind alle sehr motiviert<br />

„Die Zukunft kann man am besten voraussagen,<br />

indem man sie selbst erfindet.“<br />

Ganz nach dem Satz des amerikanischen<br />

Informatikers Alan Kay übernehmen<br />

Kinder Verantwortung und<br />

erleben Selbstwirksamkeit. Sie merken:<br />

Sich einzusetzen, Ideen zu entwickeln<br />

und diese in die Schule und darüber<br />

hinaus weiterzugeben lohnt sich und<br />

trägt Früchte.<br />

Was beim Thema <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> besonders ins Auge<br />

sticht, ist die unglaubliche Motivation,<br />

mit der sich die Schüler*innen in Delbrück<br />

und sicherlich auch anderswo mit<br />

den Zukunftsthemen auseinandersetzen.<br />

Einmal „angezündet“, arbeiten sie ideenreich<br />

und voller Elan daran, ihre Zukunft<br />

besser zu gestalten. Diese Tatsache wiederum<br />

motiviert die Lehrer*innen, das Thema<br />

mit den Schüler*innen vor Ort anzupacken.<br />

So entstand an einer der Grundschulen<br />

in den Wochen nach der Zukunftswerkstatt<br />

der „Kleine FREI DAY“.<br />

Kinder aus einem vierten und einem<br />

zweiten Schuljahr treffen sich seitdem an<br />

22<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Ablauf der<br />

Zukunftswerkstatt<br />

Upcycling,<br />

Müllsammlung und<br />

Energieeinsparung<br />

jedem Freitag in zwei Unterrichtsstunden<br />

und arbeiten an Zukunftsthemen.<br />

Eine Gruppe befasst sich beispielsweise<br />

mit dem Thema Palmöl, während andere<br />

Kinder aus alten Kleidungsstücken<br />

schicke Taschen und Portemonnaies nähen.<br />

Diese sollen in wenigen Wochen auf<br />

einem Flohmarkt verkauft werden. Ein<br />

weiteres Team setzt sich gerade mit dem<br />

Thema Windkraft intensiv auseinander.<br />

Auf einem Trödelmarkt wollen die Kinder<br />

ihre Arbeit vorstellen und die zahlreichen<br />

Gegenstände, die von ihnen upgecycelt<br />

worden sind, verkaufen. Dann sollen<br />

auch die zu Stiftehaltern umfunktionierten<br />

Konservendosen fertig sein, die der<br />

Bürgermeister der Stadt Delbrück beim<br />

Besuch in der Schule <strong>für</strong> das neue Rathaus<br />

in Auftrag gegeben hat.<br />

Energiesparen macht Schule!<br />

Auch das ist Teil der Kooperation in<br />

Zusammenhang mit <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>: der sorgsame Umgang<br />

mit den Energieressourcen. Energiedetektive<br />

sorgen in allen sechs Grundschulen<br />

da<strong>für</strong>, dass das Licht in den Pausen<br />

und nach dem Unterricht aus ist.<br />

Auch das Thema Stoßlüften ist den<br />

Schüler*innen präsent. Und wenn dies<br />

im Eifer des Unterrichtsgeschehens einmal<br />

zu kurz kommt, schalten sich auch<br />

die Energiedetektive ein. Hinzu kommt<br />

ein extrinsischer Motivationsfaktor.<br />

Spart die Schule Energiekosten ein, bekommt<br />

sie einen Teil davon im kommenden<br />

Jahr ausgezahlt.<br />

Netzwerktreffen als Herzstück<br />

der Zusammenarbeit<br />

Im Netzwerk Delbrücker Land geht es<br />

zudem um den Austausch der Lehrkräfte<br />

untereinander. Herzstück dabei<br />

bildet das Netzwerktreffen, das vierteljährlich<br />

unter der Leitung des NABU<br />

und des Klimaschutzmanagers der Stadt<br />

Delbrück durchgeführt wird. Hier sprechen<br />

die teilnehmenden Lehrkräfte<br />

offen über Ideen, die in einzelnen Schulen<br />

schon erfolgreich umgesetzt worden<br />

sind. So werden die Vertreter*innen der<br />

anderen Schulen animiert, diese auch<br />

auszuprobieren. „Tue Gutes und rede<br />

darüber“ könnte frei nach Goethe das<br />

Motto der Netzwerktreffen lauten.<br />

Klimabildungsgutscheine helfen<br />

Auch hiervon profitiert das Netzwerk:<br />

Die Klimakommission der Stadt Delbrück<br />

stellt jeder Schule, die im Netzwerk<br />

mitarbeitet, Klimabildungsgutscheine<br />

im Wert von jeweils 5300 Euro<br />

zur Verfügung. Dabei können aus einem<br />

Katalog von Maßnahmen passende Projekte<br />

<strong>für</strong> jede Schule ausgesucht werden.<br />

Der Besuch im ortsansässigen Wasserwerk<br />

wird dabei ebenso unterstützt wie<br />

die Fahrt auf das ehemalige Landesgartenschaugelände<br />

in Rietberg oder die<br />

Jahreszeitenwerkstatt eines Biobauernhofs<br />

im Nachbarort. Der Maßnahmenkatalog<br />

bietet Aktionen <strong>für</strong> alle Jahrgänge,<br />

wovon jede der sechs Schulen in vollem<br />

Umfang profitieren kann.<br />

Unterstützung aus dem Rathaus<br />

Auch der Bürgermeister der Stadt Delbrück<br />

unterstützt das Klima-Schulnetzwerk<br />

seiner Stadt. So besuchte er<br />

an einer der sechs Grundschulen vor<br />

Kurzem das Schüler*innenparlament,<br />

das sich derzeit schwerpunktmäßig mit<br />

dem Bereich <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> befasst. Die Schüler*innen<br />

teilten ihm ihre gesammelten Ideen zur<br />

Müllreduzierung in der Schule mit und<br />

baten um Unterstützung.<br />

Die Ergebnisse des Bürgermeisterbesuchs<br />

werden selbstverständlich beim<br />

nächsten Netzwerktreffen vorgestellt.<br />

Dann werden die Vertreter*innen aus jeder<br />

Schule sicher wieder aufmerksam zuhören,<br />

was in den übrigen Schulen passiert<br />

ist. Sie verbindet die Hoffnung, gute<br />

Ideen <strong>für</strong> die eigene Schule übernehmen<br />

zu können. Ganz nach dem Motto: „Tue<br />

Gutes und rede darüber!“<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

23


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Anja Frisch, Anton Höck<br />

Ganzheitlich, partizipativ,<br />

Zukunft gestaltend<br />

GS Pullach – eine Umweltschule in Bayern<br />

Die Auszeichnung „Umweltschule in Europa / Internationale Nachhaltigkeitsschule“<br />

ist Teil eines auf allen Kontinenten vertretenen Eco-School-Netzwerks<br />

mit fast 60.000 Schulen der Foundation for Environmental Education (F. E. E.);<br />

in Deutschland sind acht Bundesländer beteiligt. Als Netzwerk und Label ist es<br />

eines der global größten Programme <strong>für</strong> wert- und umweltbewusste <strong>nachhaltige</strong><br />

Schulen 1 . In Bayern koordiniert der Landesbund <strong>für</strong> Vogel- und Naturschutz (LBV)<br />

in Kooperation mit Umwelt- und Kultusministerium den Wettbewerb und die<br />

Auszeichnung. Es wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, der die gesamte Schule<br />

im Rahmen der Schulentwicklung unter dem Leitbild einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> (BNE) voranbringt.<br />

Die Grundschule Pullach ist seit<br />

fünf Jahren Teil dieses Netzwerkes.<br />

Anmeldung und Teilnahme<br />

waren <strong>für</strong> uns naheliegend, denn in der<br />

wohlhabenden Gemeinde im Süden<br />

Münchens mit interessanten Naturräumen<br />

entlang des Isartals und am Rande<br />

eines großen Forstgebiets bestehen hervorragende<br />

Bedingungen: Das Rathaus<br />

verfügt über ein Umweltamt mit aufgeschlossenem<br />

Gemeindeförster und eigenem<br />

pädagogischen Budget, der Kreisjugendring<br />

unterhält fußläufig zur Grundschule<br />

ein Naturerlebniszentrum und der<br />

Elternbeirat zeigt mit seinem Ausschuss<br />

Umwelt schon seit Jahren eine rege ökologische<br />

Aktivität. So lag der erste Wettbewerbsbeitrag<br />

bereits auf der Hand:<br />

Autofrei – wir sind dabei!<br />

Gleich zu Beginn eines jeden Schuljahres<br />

findet in unserer Aula unter der<br />

Schirmherrschaft der Bürgermeisterin<br />

die Auftaktveranstaltung <strong>für</strong> drei Autofrei-Wochen<br />

statt. Banner in Schul- und<br />

Rathausnähe werben <strong>für</strong> die Aktion. Veranschaulicht<br />

durch einen lustigen Sketch,<br />

erfahren schon die Schulneulinge und<br />

deren Eltern, zu welchen Problemen es<br />

führen würde, wenn alle Kinder mit dem<br />

privaten Pkw, allgemein auch Elterntaxi<br />

genannt, zur Schule gebracht werden<br />

würden. Zusammen mit den Kindern<br />

erarbeiten wir, wie wir den Schulweg<br />

sicher, an der frischen Luft und CO 2 -neutral<br />

zurücklegen können und welchen<br />

Mehrwert dies bringt. Danach werden<br />

Wegstrecken, die autofrei zurückgelegt<br />

werden, jeden Morgen dokumentiert und<br />

mittlerweile digital aufsummiert; die Kinder<br />

sehen als visualisiertes Ergebnis, wie<br />

ein Baum mit Blattstempeln immer grüner<br />

wird. Nach drei Wochen wird alles<br />

ausgewertet, einmal die Gesamtstrecke<br />

der klimaneutral zurückgelegten Kilometer<br />

(z. B. von München bis Bombay<br />

oder vom Nordkap bis Gibraltar), zum<br />

anderen werden die jeweils drei Gewinnerklassen,<br />

die im Spätherbst mit dem<br />

Förster Bäume pflanzen und nachforsten<br />

dürfen, herausgefunden. Eine Plakette<br />

an der Neupflanzung weist die Klasse<br />

aus; mittlerweile schmücken viele Bäume<br />

mit solchen Plaketten unser Gemeindegebiet<br />

und Jugendliche erinnern sich noch<br />

Jahre danach an „ihren“ Baum. Kein Kind<br />

verlässt unsere Grundschule, ohne den<br />

Zusammenhang von Klima, Kohlendioxid<br />

und Bäumen zu verstehen.<br />

Werte schätzen – unterschiedliche<br />

Tauschbörsen – ein weiteres Projekt<br />

Im letzten Schuljahr hatten wir als eines<br />

von zwei Jahresthemen „Nachhaltiger<br />

Konsum – ökologische und soziale Verantwortung“<br />

gewählt. Unser Projektthema<br />

stand unter dem Motto „Werte<br />

schätzen: Lieber tauschen, reparieren,<br />

umnutzen anstatt wegwerfen …“. Wir<br />

planten zusammen mit den Kindern<br />

ein besonderes Schulfest, bei dem dieses<br />

Motto eine zentrale Rolle spielte. Es gab<br />

Anja Frisch<br />

ist Lehrerin, Umweltbeauftragte der<br />

GS Pullach, Wald-Pädagogin.<br />

Anton Höck<br />

ist Rektor der GS Pullach, Regionalgruppe<br />

München-Oberbayern des<br />

Grundschulverbands.<br />

eine große Tauschaktion, ähnlich wie<br />

bei einem Flohmarkt. Dazu bekam jedes<br />

Kind eine Woche vor dem Schulfest<br />

einen Stoffbeutel, der, mit Namen versehen,<br />

in den einzelnen Klassen verschieden<br />

gestaltet wurde. Jedes Kind sollte<br />

in Absprache mit den Eltern drei Dinge<br />

da<strong>für</strong> aus dem Kinderzimmer aussuchen<br />

und in den Beutel geben. In den<br />

einzelnen Klassen wurden die Regeln<br />

<strong>für</strong> „Handeln und Tauschen“ besprochen<br />

und ein Zettel mit den „Spielregeln“<br />

verfasst. Dieser kam zusätzlich in<br />

jeden Stoffbeutel hinein. Jeder Tausch<br />

wurde mit Handschlag besiegelt und<br />

somit als gültig bestätigt.<br />

Die Schüler*innen waren aktiv eingebunden.<br />

Wir konnten beobachten, dass<br />

die Kinder die einfachen Tauschregeln<br />

beachteten und eigenverantwortlich umsetzten.<br />

Sie lernten Nachhaltigkeit in ih-<br />

Lotti, 4. Klasse<br />

„Unsere Schule ist eine tolle Umweltschule. Als Aktionen<br />

haben wir Autofrei, Rama dama und Pflanzaktionen.<br />

Unser Schulmaterial ist plastikfrei, der<br />

Inhalt der Brotzeitboxen verpackungsfrei. Auf dem<br />

Schulacker hat jede Klasse ihr eigenes Beet; wir<br />

ernten Gemüse und beziehen Schulobst. Unser<br />

Elternbeirat hat sogar einen Umwelt-AK.“<br />

24<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

rer ökonomischen, sozialen und ökologischen<br />

Dimension aktiv gestaltend kennen,<br />

verstanden die Auswirkungen ihres<br />

Handelns und erfuhren Selbstwirksamkeit.<br />

Indem sie gebrauchte Gegenstände<br />

wertschätzten und weiterverwendeten,<br />

bewiesen sie einen bewussten Umgang<br />

mit Ressourcen; die „Regeln des Handels<br />

und des Tauschens“ und der Handschlag<br />

lehrten soziale Verantwortung und Fairness.<br />

Die Kinder konnten aktiv das Geschehen<br />

bestimmen, brachten eigene<br />

Ideen ein und übernahmen Verantwortung<br />

<strong>für</strong> ihr Handeln.<br />

Des Weiteren entwickelten die Schüler*innen<br />

mit ihren Lehrer*innen spielerische<br />

Aktivitäten und Upcycling-Bastelaktionen<br />

wie Klopapierrollentiere, Insektenhotels<br />

aus Dosen oder Windlichter<br />

aus Gläsern und erkannten darin den<br />

Zusammenhang von Rohstoffschonung<br />

und Biodiversität. Kommunale Umweltinitiativen<br />

wie der örtliche Unverpackt-<br />

Laden und die Reparaturwerkstatt als<br />

Agenda-2030-Projekt waren eingebunden.<br />

Der Elternbeirat finanzierte die<br />

wiederverwendbaren Stoffrucksäcke und<br />

verfolgte bei der Durchführung des Festes<br />

konsequent eine plastikfreie Strategie.<br />

Mithilfe von selbst mitgebrachtem<br />

Geschirr, Mehrwegbechern und einem<br />

Wassersprudler entstand kaum Müll.<br />

Eine Schulmaterialbörse ist schon<br />

längere Zeit eine Selbstverständlichkeit;<br />

demnächst soll eine ähnliche Tauschbörse<br />

mit Haus- und Turnschuhen ins Leben<br />

gerufen werden.<br />

Das Jahresmotto „Werte schätzen“<br />

wurde auf diese Weise aktiv umgesetzt<br />

und prägte die Schüler*innen nachhaltig.<br />

Auf Wunsch der Kinder wurde ein<br />

halbes Jahr später die Tauschbörse wiederholt.<br />

Dieses Mal standen weniger<br />

Spielsachen als vielmehr Bücher, Leseund<br />

Hörmedien im Mittelpunkt.<br />

Projektorientierung und Partizipation<br />

von Anfang an – was schon<br />

gelungen ist und woran wir arbeiten<br />

Dass hier auf konstruktive Weise bereits<br />

viele Akteur*innen bestens kooperieren,<br />

stellt in Pullach eine Voraussetzung <strong>für</strong><br />

das Gelingen dar. Zusammenarbeit und<br />

Öffentlichkeitswirksamkeit bilden dabei<br />

eine unserer Stärken. Im letzten Schuljahr<br />

ist uns die Beteiligung der Schüler*innen<br />

bei der Umsetzung und der<br />

Durchführung gut gelungen. Bei der<br />

Tauschbörse (li.); Werbeplakate <strong>für</strong> den autofreien Schulweg (oben re.); auf Papier<br />

konzipiert wurde die Umgestaltung der Straße vor der Schule zur „Sommerstraße“<br />

„Können wir regelmäßig solche Aktionen und<br />

Projekte machen wie die Tauschbörsen?“, bittet<br />

ein Klassensprecher der 3. Klasse bei der Schulversammlung<br />

den Schulleiter.<br />

jeweils im Herbst vorzunehmenden Themenwahl<br />

und bei der Projektentwicklung<br />

und -steuerung erfüllen wir jedoch unsere<br />

eigenen Erwartungen noch nicht, wie<br />

wir selbstkritisch eingestehen müssen.<br />

In einer vierjährigen Grundschule mit<br />

Sechs- bis Zehnjährigen ist dies aber auch<br />

die größte Herausforderung.<br />

Auf der einen Seite werden eine<br />

– „kontinuierliche Beschäftigung der<br />

Schüler*innen mit den Handlungsfeldern“,<br />

– „langfristige Verankerung der Ergebnisse<br />

im Schulleben und dauerhafte<br />

Verhaltensänderung“,<br />

– „fortlaufende Kommunikation innerhalb<br />

der Schulgemeinschaft über<br />

Aktivitäten und Erfolge“ 2<br />

erwartet, auf der anderen Seite sind<br />

jedes Jahr wieder zwei Themen neu<br />

innerhalb vorgegebener Handlungsfelder<br />

zu wählen und weitere neue Projekte<br />

und Maßnahmen zu entwickeln.<br />

Wie Partizipation bei der Themenwahl<br />

und im Projektablauf gelingen kann, zeigte<br />

sich bei einem Kooperations- und Förderprojekt<br />

vom Kreisjugendring/Naturerlebniszentrum.<br />

Jeweils eine Klasse war<br />

eingeladen, aus den 17 Sustainable Development<br />

Goals (SDGs) ein Ziel in den<br />

Fokus zu nehmen und daraus ein konkretes<br />

Projekt zu formulieren. Hierbei gelangen<br />

sowohl die Beteiligung von Anfang<br />

an als auch eine eher begleitende Unterstützung<br />

der Schüler*innen bei der weitgehend<br />

selbstständigen Umsetzung ihrer<br />

eigenen Ideen und Vorstellungen. Als Ergebnis<br />

wurde die Straße vor der Schule in<br />

der letzten Schulwoche zu einer „Sommerstraße“<br />

umgewidmet, die weder parkende<br />

noch fahrende Autos zuließ und<br />

unseren Pausen- und Spielhof faktisch<br />

erweiterte. Es wurden ein Bücherflohmarkt,<br />

Geschicklichkeits- und Umweltspiele<br />

organisiert, Umweltplakate künstlerisch<br />

hergestellt, die Umgestaltung der<br />

Straße fantasievoll auf Papier konzipiert,<br />

das Klimamobil bestellt und eine Pressekonferenz<br />

<strong>für</strong> das Anliegen veranstaltet.<br />

Es war nicht das, was wir zu Schuljahresbeginn<br />

als Thema wählten, aber es war in<br />

jedem Schritt partizipativ, und nahm als<br />

Nachhaltigkeitsziel durch das Handeln<br />

von Kindern konkret Gestalt an.<br />

Es wäre ein wichtiger <strong>Entwicklung</strong>sschritt,<br />

wenn dieses offen pädagogische,<br />

projektorientierte, selbstwirksame Handeln<br />

beispielgebend <strong>für</strong> den (Sach-)Unterricht<br />

in den Klassen würde.<br />

Darüber hinaus ließe sich vielleicht<br />

ein „Umweltschülerrat“ in der Schule<br />

etablieren, um <strong>nachhaltige</strong>s Handeln<br />

noch mehr von unten zu initiieren, und<br />

Demokratielernen durch Demokratieleben<br />

als zentralen Aspekt von BNE zu integrieren.<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

25


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Das Ziel – Whole School Approach<br />

Die Grundschule Pullach ist noch nicht<br />

am Ziel. Immer noch erleben wir es als<br />

mühsames Add-on-Thema, zwei dokumentierbare<br />

BNE-Projekte innerhalb<br />

eines Schuljahres zu entwickeln und zu<br />

gestalten. Oftmals stehen die Handlungsfelder<br />

noch isoliert im Raum und werden<br />

erst vereinzelt mitgetragen. Hier gilt<br />

es, Stellschrauben in der Steuerung zu<br />

drehen. So sehr Nachhaltigkeit schon in<br />

unserer Schul- und Organisationskultur<br />

(Ökokiste Schulobst, Schulacker, plastikfreies<br />

Schulmaterial), in unserem Betrieb<br />

(Müllvermeidung und -trennung,<br />

Umstellung auf LED-Beleuchtung)<br />

und in den unterschiedlichen Kooperationen<br />

integriert ist, den Kernbereich<br />

unserer schulischen Arbeit, nämlich<br />

das Unterrichten und alle Lernprozesse,<br />

durchdringt <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> als Leitidee erst ansatzweise.<br />

Nur in dieser ganzheitlichen<br />

Sichtweise kann BNE zum „Motor“<br />

von Unterrichts- und Schulentwicklung<br />

werden 3 . Es ist auch eine Frage der<br />

Haltung, und deshalb wird das „Näherkommen“<br />

(approach) noch ein längerer<br />

Weg bleiben. Umso mehr wissen wir<br />

es zu schätzen, in ein Netzwerk eingebunden<br />

und durch den Erfahrungsaustausch<br />

angeregt zu sein sowie vom LBV,<br />

durchaus hilfreich begleitet, jährlich neu<br />

herausgefordert zu werden, uns dem<br />

Anspruch zu stellen. <br />

Anmerkungen:<br />

1) Weitere Informationen zum weltweiten<br />

Netzwerk unter http://www.ecoschools.<br />

global oder bei der bayerischen Landeskoordination<br />

unter www.lbv.de/umweltschule<br />

2) LBV: Umweltschule in Europa / Internationale<br />

Nachhaltigkeitsschule – Ausschreibung<br />

<strong>für</strong> Bayern – Schuljahr 2023/2024, 5<br />

3) Ebenda, 8 u. 9<br />

Lisa Münzel<br />

FREI DAY: Der Zukunftstag an<br />

unserer Grundschule Nord<br />

„Gibt es morgen wieder unseren FREI DAY?“, verabschiedet sich fragend ein<br />

Kind der Klasse 2c nach Schulschluss. Es vergeht kein Mittwoch, ohne dass diese<br />

Frage von mehreren Schüler*innen gestellt wird. Die Begeisterung <strong>für</strong> den neuen<br />

Schultag, an dem die Kinder zu den 17 Nachhaltigkeitszielen in ihrem eigenen<br />

Tempo und mit intrinsischer Motivation arbeiten können, ist riesig.<br />

Gestartet sind wir in diesem<br />

Schuljahr mit der zweiten Jahrgangsstufe<br />

als Pilotprojekt.<br />

Wöchentlich entwickelt unser<br />

Team aus drei Lehrkräften und<br />

einer Sozialpädagogin das<br />

neue Lernformat zu Themen<br />

der <strong>nachhaltige</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>für</strong> unsere Grundschule<br />

weiter und passt<br />

es flexibel an die Bedürfnisse<br />

der Kinder und die<br />

Gegebenheiten an.<br />

Nach den Interessen der<br />

Kinder haben sich folgende<br />

fünf Projektgruppen gebildet:<br />

Klimaküche, Upcycling,<br />

Mensch, Wald und die Traumschule.<br />

Hier setzen die Schüler*innen<br />

ihre Ideen in einem Zeitraum<br />

von circa sechs Wochen um. Nach den<br />

Abschlusspräsentationen wählen sich die<br />

Kinder ein neues Projekt.<br />

In diesem Freiraum von wöchentlich<br />

vier Unterrichtsstunden bilden die Schüler*innen<br />

in ihren neuen Rollen als kreati-<br />

ve Entdecker und Ideensammler verschiedene<br />

Lösungsansätze <strong>für</strong> die drängenden<br />

Zukunftsfragen unserer Zeit heraus.<br />

Auch die Funktion der<br />

Lehrkraft ist neu: Wir<br />

agieren als Lernbegleiter*innen<br />

und stehen den<br />

Kindern mit all unserem<br />

Wissen zur Seite, ohne<br />

den Lernweg vorzugeben<br />

und ohne diesen<br />

zu bewerten.<br />

Der gemeinsame<br />

Start in den<br />

Zukunftstag<br />

Am Donnerstag ist es dann<br />

wieder so weit: Bepackt mit<br />

Beuteln samt leeren Milchpackungen,<br />

Joghurtbechern<br />

und Klopapierrollen<br />

betreten die Kinder das<br />

Schulgebäude. Einige der Schüler*innen<br />

bringen Eier, Äpfel, Karotten und Rezeptideen<br />

mit.<br />

Dieser Schultag beginnt anders als<br />

die anderen. Gemeinsam und voller<br />

Vorfreude starten die zweiten Klassen<br />

Hand in Hand in unseren FREI DAY in<br />

der Aula mit den „Good News“: „Zehn,<br />

neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei,<br />

zwei, eins, null: Wir gemeinsam <strong>für</strong> eine<br />

bessere Welt!“ ertönen energiegeladen<br />

die Stimmen der Kinder.<br />

Wer das Mikrofon auf der Bühne in<br />

seiner Hand hält, darf sprechen – vor<br />

großem Publikum. Immerhin sind es<br />

nicht weniger als 160 Ohren und Augen,<br />

die gespannt hören und sehen möchten,<br />

welche guten Neuigkeiten sich im kleinen<br />

oder im großen Kosmos – unserem<br />

Planeten Erde – zugetragen haben.<br />

Eine Schülerin der Klasse 2c meldet<br />

sich zu Wort: „Meine Name ist E. Ich bin<br />

in der Gruppe Wald. Die Tulpenzwiebeln,<br />

die wir auf dem Schulhof eingebuddelt haben,<br />

sind schon zu sehen.“ Tosender Applaus<br />

erklingt in der Aula.<br />

Aus der Klasse 2a steht nun ein Junge<br />

auf der kleinen Schulbühne: „Ich heiße<br />

M. aus der Gruppe Klimabüro. Ich bin<br />

verliebt.“ Wieder ertönt der Applaus.<br />

Die nächste Meldung kommt von M.<br />

aus der Klasse 2b: „Meine Gruppe heißt<br />

Mensch und ich bin froh, dass viele Helfer<br />

die Menschen im Krieg nicht alleinlassen.“<br />

26<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Lisa Münzel<br />

ist Grundschullehrerin und BNE-Ansprechpartnerin<br />

an der Grundschule<br />

Nord, Mitglied des Vereins Schule im<br />

Aufbruch, 2022 Wechsel aus Berlin<br />

nach Neubrandenburg, 2023 Einführung<br />

des neuen Lernformats.<br />

Großer Applaus füllt die kleine Aula<br />

unserer Schule.<br />

Eine Lernbegleiterin teilt die gute<br />

Neuigkeit, dass die Kinder vom Klimabüro<br />

(aus der Gruppe Traumschule) erfolgreich<br />

farbige Mülleimer <strong>für</strong> alle Klassenräume<br />

der Schule bestellen konnten.<br />

Jetzt können die Kinder vom Upcycling-Team<br />

die Schüler*innenschaft über<br />

richtige Mülltrennung informieren.<br />

Nach dieser positiven gemeinsamen<br />

Einstimmung finden sich die Kinder<br />

motiviert und voller Tatendrang in ihren<br />

selbst gewählten Arbeitsgruppen zusammen.<br />

Ehrenamtliche Expert*innen als<br />

Unterstützung in der Schule<br />

Ein wichtiger Faktor in der Begleitung<br />

von kleineren Projektgruppen ist die<br />

Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen<br />

Expert*innen.<br />

Auf der Suche nach diesem Engagement<br />

sind wir auf einer gemeinsamen Elternversammlung<br />

fündig geworden und<br />

konnten einige ehrenamtliche Helfer*innen<br />

<strong>für</strong> das neue Lernformat gewinnen:<br />

Unsere Waldgruppe wird seitdem von einem<br />

regionalen Waldexperten, dem Jäger,<br />

begleitet. Hier können die Kinder<br />

sich auf Spurensuche begeben, Bäume<br />

bestimmen und den Schulhof zum Blühen<br />

bringen.<br />

In der Kräuterschule stellt eine fachkundige<br />

Expertin mit interessierten<br />

Kindern Parfüm und Seife her und bestimmt<br />

giftige und essbare Pflanzen in<br />

der Umgebung.<br />

Eine sich bereits in Rente befindende<br />

Pädagogin und Gartenexpertin engagiert<br />

sich flexibel in der Projektgruppe, in der<br />

ein Team am meisten Unterstützung benötigt.<br />

Durch den regen Austausch mit den<br />

Eltern ergeben sich stetig neue Kooperationen:<br />

So konnten die Kinder der Gruppe<br />

Mensch bereits ein selbst geschriebenes<br />

Theaterstück bei einem Weihnachtsessen<br />

<strong>für</strong> bedürftige Menschen aufführen.<br />

Die Schüler*innen der Klimaküche<br />

ernteten fleißig Äpfel auf dem Gelände<br />

einer regionalen Wohnungsgesellschaft<br />

und verarbeiteten diese zu gesunden<br />

Pausensnacks.<br />

Kooperativ und nachhaltig in<br />

der Klimaküche: ein Einblick<br />

Die Projektgruppe Klimaküche versammelt<br />

sich im Kreis in der Mensa und erste<br />

Ideen sprudeln aus den Kindern hervor:<br />

„Ich möchte heute einen Apfelkuchen<br />

backen. Wer kommt in mein Team?“<br />

Es meldet sich ein Kind: „Ich habe Äpfel<br />

mitgebracht und möchte auch backen.“<br />

Ein weiteres Mädchen macht sich durch<br />

Handzeichen bemerkbar: „Kann ich bei<br />

euch mitmachen?“ Die anderen zwei Kinder<br />

nicken und zu dritt holen sie sich das<br />

Projektblatt ab, auf dem sie ihr Vorhaben<br />

festhalten und genau notieren, welche<br />

Zutaten benötigt werden.<br />

In der Zwischenzeit hat sich eine weitere<br />

Gruppe von Kindern geeinigt, Gemüsesticks<br />

mit Dip herzustellen. R. legt<br />

die mitgebrachten Karotten und die Gurke<br />

auf den Tisch, nur der Quark <strong>für</strong> den<br />

Dip fehlt. Schnell findet sich eine kleine<br />

Gruppe von Kindern, die einkaufen gehen<br />

möchte. Im Supermarkt gegenüber<br />

der Schule lesen wir sorgfältig jedes Etikett<br />

und achten auf den Kauf von Produkten<br />

aus der Region.<br />

Als wir das Schulgebäude nach dem<br />

Einkauf betreten, duftet es bereits im gesamten<br />

Schulgebäude nach Apfelkuchen<br />

und selbst gemachten Waffeln. Die ersten<br />

Kinder sind bereits auf dem Weg, um<br />

ihre FREI DAY-Gefährt*innen mit Gemüsesticks<br />

zu versorgen. Der Hausmeister<br />

und die Schulsekretärin schauen in<br />

der Küche vorbei, weil es einfach zu gut<br />

duftet, und ja – selbstverständlich dürfen<br />

sie probieren. Wertschätzung begegnet<br />

den Kindern heute auf allen Ebenen.<br />

Zu Beginn der vierten Stunde ist die<br />

Tafel in der Mensa reich gedeckt. Das<br />

Team der Klimaküche kommt zu einem<br />

gemeinsamen Abschluss zusammen. Es<br />

Waffeln backen in der Klimaküche<br />

Präsentation Trickfilm Zukunftsschule<br />

wird von allen Köstlichkeiten probiert,<br />

über Rezepte gesprochen und erste Ideen<br />

<strong>für</strong> die kommende Woche werden gesammelt.<br />

Im Team erledigen die Kinder<br />

abwechselnd den Abwasch und bringen<br />

die Schulküche wieder in Ordnung. Jedes<br />

Kind übernimmt gern als Teil dieser<br />

kleinen Gemeinschaft seine Aufgabe. Erfüllt<br />

und die Herzen voller neuer Ideen<br />

<strong>für</strong> die kommende Woche beenden wir<br />

im Abschlusskreis unseren Zukunftstag<br />

in der Klimaküche.<br />

Das Lernformat FREI DAY wurde von<br />

der Organisation Schule im Aufbruch entwickelt<br />

und soll deutschlandweit bis 2025<br />

an 13.500 Schulen umgesetzt werden.<br />

In Mecklenburg-Vorpommern sind wir<br />

die erste Grundschule, die mit dem neuen<br />

Lernformat <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

fest im Stundenplan verankert.<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

27


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Jaqueline Simon, Toni Simon<br />

Auf in die (Stadt)Wildnis!<br />

Wildnisbildung als Beitrag zu einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> (BNE) – auch in der Primarstufe<br />

Zur Lösung der globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wie Klimawandel,<br />

Naturkatastrophen, Ressourcenverknappung wird dem Leitbild der<br />

<strong>nachhaltige</strong>n <strong>Entwicklung</strong> eine große Bedeutung zugesprochen. Für die Umsetzung<br />

einer BNE werden seit mittlerweile 20 Jahren die besonderen Potenziale<br />

der Wildnisbildung diskutiert – dennoch ist diese Konzeption in der Primarpädagogik<br />

bisher weitgehend unbeachtet geblieben.<br />

Wildnisbildung knüpft am Thema<br />

Wildnis an, das u. a. bezogen<br />

auf Kernprobleme des globalen<br />

Wandels öffentlich, politisch und<br />

wissenschaftlich diskutiert und als geeignetes<br />

Thema <strong>für</strong> eine BNE gilt (DUK<br />

2015). Sie zielt auf das sinnlich-leibliche<br />

Erleben von wilder bzw. verwildernder<br />

Natur sowie darauf, dass komplexe Systemzusammenhänge<br />

verstanden, Nachhaltigkeitsfragen<br />

hinsichtlich des Mensch-<br />

Bei Wildnisbildung sollen keine eigenen<br />

Spuren hinterlassen, fremde ggf. sogar<br />

beseitigt werden. Doch was passiert mit<br />

diesem Schuh? Entfernt man ihn, oder ist<br />

er bereits ein Teil der Natur geworden?<br />

Zentrale Themenfelder der Wildnisbildung sind:<br />

Natur-Verhältnisses kritisch reflektiert<br />

sowie Möglichkeiten und Grenzen <strong>nachhaltige</strong>ren<br />

Handelns erörtert werden (vgl.<br />

Lindau/Mohs/Reinboth 2021).<br />

Was ist das Besondere<br />

von Wildnisbildung?<br />

Wildnisbildung entstand Anfang der<br />

2000er-Jahre als ein eigenständiger<br />

Bereich der Natur- und Umweltbildung<br />

in Nationalparks. Beeinflusst wurde sie<br />

von Konzeptionen wie z. B. der Umwelterziehung,<br />

dem Flow-Learning, der<br />

Rucksackschule oder der Öko-Umwelt<br />

Erlebnis- und Wildnispädagogik (vgl.<br />

Hottenroth/van Aken/Hausig/Lindau<br />

2017). Von diesen grenzt sich Wildnisbildung<br />

allerdings wie folgt ab:<br />

1. Sie bezog sich ursprünglich nur auf<br />

Jugendliche und Erwachsene und wurde<br />

nur in Nationalparks umgesetzt.<br />

2. Das Erleben wilder Räume und der<br />

Wirkmächtigkeit von Natur wird durch<br />

(zum Teil extreme) Grenzerfahrungen,<br />

also unvorhergesehene Situationen, die<br />

das Überschreiten persönlicher Grenzen<br />

verlangen und stark belastend sein<br />

können, verstärkt.<br />

a) das Ökosystem Wildnis<br />

b) die Wertschätzung von Wildnis<br />

c) Gerechtigkeit, Verantwortung und Empathie<br />

d) Wildnis als „Gegenwelt“<br />

e) Suffizienz (gezielter Verzicht z. B. auf Komfort wie fließendes Wasser oder Handys<br />

bzw. sparsamer Umgang mit Ressourcen und die Reflexion von Konsumverhalten)<br />

f) das eigene und das gesellschaftliche Mensch-Natur-Verhältnis<br />

Bezogen auf diese Themenfelder werden ökologische, ökonomische, soziale und politische<br />

Fragen in Zusammenhang mit dem Erleben von wilden bzw. verwildernden<br />

Räumen erörtert.<br />

Jaqueline Simon,<br />

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,<br />

Lehrkraft <strong>für</strong> besondere Aufgaben<br />

Dr. Toni Simon,<br />

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,<br />

wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

3. Das Erleben des Kontrasts zwischen<br />

wilden und anthropogen genutzten Räumen<br />

(Grenz- und Kontrasterfahrung)<br />

wird angeregt.<br />

4. Eingriffe in die Natur müssen stets<br />

minimal bleiben (Prinzip „minimal<br />

impact“) und sind kritisch auf ihre Notwendigkeit<br />

zu prüfen (das <strong>für</strong> tradierte<br />

Umweltbildung geläufige Bauen eines<br />

„Tipis“ aus Totholz oder Landart werden<br />

daher eher als problematisch gesehen).<br />

Wildnisbildung – auch in der Stadt?<br />

Seit 2016 hält Wildnisbildung auch Einzug<br />

in den (sub)urbanen Raum sowie<br />

damit einhergehend in die Bereiche<br />

der Elementar- und Primarpädagogik.<br />

Wichtige Impulse hier<strong>für</strong> wurden mit<br />

dem durch die Deutsche Bundesstiftung<br />

Umwelt (DBU) von 2016 bis 2021 geförderten<br />

Projekt „Wilde Nachbarschaft“<br />

(www.mlu.de/495g7) gesetzt. Das Projekt<br />

verfolgte u. a. die Ziele der Wildnisbildung<br />

noch stärker als Strömung von<br />

BNE zu etablieren und sie auf Basis eines<br />

modernen Wildnisverständnisses räumlich<br />

zu entgrenzen – raus aus Nationalparks,<br />

rein in (sub)urbane Räume. Dem<br />

liegt das Verständnis zugrunde, dass<br />

Wildnis auch in kleinen Räumen und i. S.<br />

verwildernder Flächen vorkommt. Hier-<br />

28<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Auch in der Stadt kann man viele (ver)wilde(rnde)<br />

Räume finden<br />

Wenn Wildnis und Stadt aufeinandertreffen – Kontrasterfahrungen<br />

lassen sich auch in der Stadt gut sammeln<br />

zu zählen z. B. Brachflächen, Wohngebiete<br />

mit großflächigem Abstandsgrün,<br />

(Stadt-)Wälder – also Orte, an denen<br />

der Mensch weniger oder gar nicht mehr<br />

gestaltet und sich Natur frei entfalten<br />

kann.<br />

Wildnisbildung – auch<br />

in der Primarstufe?<br />

Durch das Projekt Wilde Nachbarschaft<br />

wurden erstmals Konzepte <strong>für</strong> Wildnisbildung<br />

mit Kindern im Elementar- und<br />

Primarbereich entwickelt. Wichtig hier<strong>für</strong><br />

war u. a. die kritische Auseinandersetzung<br />

mit bis dahin geltenden Prinzipien<br />

und Methoden von Wildnisbildung<br />

hinsichtlich möglicher und nötiger<br />

Adaptionen (z. B. Simon 2022), wie<br />

beispielsweise:<br />

a) mehr Zeit <strong>für</strong> das Explorieren und<br />

Erleben des Ortes (u. a. zum emotionalen<br />

Ankommen)<br />

b) mehr körperbasierte, ästhetische und<br />

handlungsorientierte Zugangsweisen<br />

c) Barrierereduktionen z. B. mithilfe digitaler<br />

Medien (auf die nach dem Suffizienzprinzip<br />

eigentlich verzichtet wird),<br />

sodass beispielsweise komplexe oder langsam<br />

ablaufende Prozesse, die die Fähigkeit<br />

starker Abstraktion oder Imagination voraussetzen,<br />

entwicklungsgerecht aufbereitet<br />

werden (z. B. Folgen der Beeinträchtigung<br />

von Mykorrhizen im Wald; Nachvollziehen<br />

von Kontrasten zwischen verwildernden<br />

und stark genutzten Räumen)<br />

d) Limitation von Grenzerfahrungen<br />

zur Vermeidung von Kindeswohlgefährdung<br />

Wildnisbildung als Neuland<br />

der Primarpädagogik<br />

Die <strong>für</strong> eine BNE seit etwa 20 Jahren<br />

relevante Wildnisbildung ist <strong>für</strong> die Primarpädagogik<br />

noch immer Neuland,<br />

denn erst jüngst finden ihre Rezeption<br />

und Weiterentwicklung <strong>für</strong> die Primarstufe<br />

statt (v. a. seitens der Sachunterrichtsdidaktik;<br />

siehe Simon 2022).<br />

Eine umfangreichere und konkrete<br />

Anregung <strong>für</strong> Wildnisbildung im urbanen<br />

Raum mit Kindern haben Lindau,<br />

Simon und Simon (2023) vorgelegt.<br />

Beispielhafte Fragen und Methoden <strong>für</strong> Wildnisbildung im urbanen Raum<br />

(orientiert an den Bereichen Erleben, Erkennen, Bewerten, Handeln):<br />

Wo und wie gewinnt die Natur in der Stadt Räume zurück? Wo und wie findet Verwilderung<br />

statt?<br />

• städtische Räume erkunden und die Wirkmächtigkeit von Natur entdecken<br />

• darüber sprechen, wie Räume aussehen würden, wenn der Mensch sie in Ruhe ließe,<br />

wo und warum das wichtig sein könnte<br />

• sich fragen, ob es auf dem Schulgelände (oder zu Hause) Räume gibt, die verwildern<br />

können, damit sich Flora und Fauna ausbreiten<br />

• Wie alt können Bäume werden und warum sind sie wichtig?<br />

• einen <strong>für</strong> die Kinder möglichst mächtig wirkenden Baum multisensorisch wahrnehmen<br />

(Was sehe, fühle, rieche, höre ich?), sein Alter schätzen und dann ermitteln (z. B. mit<br />

einem Maßband, siehe Lerneinheit „Wie alt ist ein Baum“ von Wilde Nachbarschaft)<br />

• darüber sprechen, ob es den Baum schon gab, als die (Ur-)Großeltern jung waren<br />

• über die Bedeutung von Bäumen und ihre menschengemachte/-beeinflusste Gefährdung<br />

sprechen<br />

• Möglichkeiten des Schutzes von Bäumen besprechen, ggf. einen Baum pflanzen<br />

Wildnisbildung braucht Zeit – zum<br />

emotionalen Ankommen, zum Ruhen<br />

und zum Staunen<br />

Auch Tiere<br />

erobern sich<br />

Räume zurück<br />

(hier ein<br />

Taubennest)<br />

Diese zielt u. a. auf das Erkunden eines<br />

Stadtwaldes zur Sensibilisierung <strong>für</strong> klimabedingte<br />

Schäden v. a. in Monokulturwäldern<br />

ab. Diese exkursionsdidaktische<br />

Konzeption, die auch der Förderung<br />

von Raumkonzepten z. B. durch<br />

subjektives Kartieren dient, kann mitsamt<br />

Hinweisen zur unterrichtlichen<br />

Vor- und Nachbereitung, zu didaktischen<br />

Materialien etc. kostenfrei online<br />

abgerufen werden (unter https://doi.<br />

org/10.25656/01:27137).<br />

Weitere unterschiedlich umfangreiche<br />

zielgruppenspezifische Lerneinheiten<br />

können auf der Website von Wilde<br />

Nachbarschaft abgerufen werden (unter<br />

www.mlu.de/495g7).<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa166Lit<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

29


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Siglinde Spuller<br />

Spielen, Feiern und Entdecken<br />

„Elementare Interaktion“ als fächerübergreifendes Prinzip<br />

Durch Aktivitätsformen wie Spielen, Feiern und Entdecken entsteht ein lebendiger<br />

und fächerübergreifender Lernraum, der zur Interaktion einlädt. Gerade Inhalte<br />

einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> werden so auf greifbare und einprägsame<br />

Weise vermittelt und in das Erleben und das Handeln der Lernenden eingebunden.<br />

Beim fächerübergreifenden Unterrichten<br />

gibt es keine klare, einheitliche<br />

Definition in der Fachliteratur.<br />

Stattdessen findet man viele ähnliche<br />

Bezeichnungen, die nebeneinander existieren.<br />

Moegling (2010) versteht darunter<br />

alle handlungsorientierten Problemlösungen,<br />

bei denen unterschiedliche Fachperspektiven<br />

zusammengeführt werden.<br />

Huber (2011) hingegen differenziert in<br />

die Kategorien „fächerübergreifend“ und<br />

„fächerverbindend“. Während erstere von<br />

einem Fach ausgeht und dessen Grenzen<br />

inhaltlich überschreitet, wird bei letzterer<br />

ein bestimmtes Thema in mehreren<br />

Fächern zeitgleich behandelt. In diesen<br />

Kontext lässt sich <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> als „inter- und transdisziplinärer<br />

Bereich“ (Hauenschild/Bolscho<br />

2022) einordnen. Sie erfordert nicht nur<br />

fachspezifisches Wissen, sondern auch<br />

die Fähigkeit zu vernetztem Denken, eine<br />

Wahrnehmung aus verschiedenen Perspektiven<br />

sowie ein Handeln in komplexen<br />

Situationen (vgl. Overwien 2016).<br />

Spiele, Feste und digitale<br />

Entdeckerwerkstätten<br />

Im Unterricht kommen Prinzipien des<br />

fächerübergreifenden und gemeinsamen<br />

ko-konstruktiven Lernens vor allem bei<br />

Aktivitäten des Spielens, des thematischen<br />

Feierns und auch in interaktiven<br />

digitalen Entdeckerwerkstätten zum Einsatz.<br />

Hier können Kinder auf ganzheitliche<br />

Weise durch körperliche Bewegung,<br />

sensorische Wahrnehmung, kognitive<br />

Verarbeitung sowie positive emotionale<br />

Reaktionen und soziale Interaktionen<br />

agieren. Ganz im Sinne einer <strong>Bildung</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> liegt der<br />

Schwerpunkt nicht auf „Bedrohungsund<br />

Elendsszenarien“ (Haan 2007), sondern<br />

vielmehr darauf, „etwas über kreative<br />

Lösungen zu lernen“ (ebd.). Dies soll<br />

anhand von drei fächerübergreifenden<br />

und interaktiv ausgerichteten Umsetzungsmöglichkeiten<br />

<strong>für</strong> den Unterricht<br />

der Grundschule zum Thema „Bienen“<br />

transparent gemacht werden. Studierende<br />

der Martin-Luther-Universität Halle-<br />

Wittenberg haben diese in Seminaren des<br />

Arbeitsbereichs der fächerübergreifenden<br />

Grundschuldidaktik entwickelt.<br />

Brettspiel – „Die Reise zum Honig“<br />

„Spiele überraschen uns immer wieder,<br />

nehmen einen unvorhergesehenen<br />

Verlauf, lassen sich mit Themen verbinden,<br />

die zunächst völlig unvereinbar<br />

mit einem Spielgeschehen erscheinen“<br />

(Heimlich 2023). „Die Reise zum Honig“<br />

(https://blogs.urz.uni-halle.de/sdg-interactivelearning/download-spiele/)<br />

ist ein<br />

informatives Brettspiel über die Entstehung<br />

von Honig, aber auch über die ökologischen<br />

Bedingungen sowie die anthropogenen<br />

Einflüsse auf das Bienenleben.<br />

Das Spiel behandelt das aktuelle Thema<br />

des Bienensterbens und untersucht die<br />

menschlichen Handlungen, die dies verursachen.<br />

Es bietet interessante Einblicke<br />

in Möglichkeiten, wie man im täglichen<br />

Leben zum Schutz der Bienen beitragen<br />

kann. Neben der Vermittlung wichtiger<br />

Fakten über das Bienenleben und die<br />

Dr. Siglinde Spuller,<br />

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />

Bereich der Fächerübergreifenden<br />

Grundschuldidaktik an der Martin-<br />

Luther-Universität Halle-Wittenberg.<br />

Honigproduktion unterstützt das animierende<br />

Spiel die Förderung des Umweltbewusstseins<br />

und des Verständnisses<br />

<strong>für</strong> komplexe ökologische Zusammenhänge.<br />

Die Spielkomponenten umfassen<br />

ein Spielbrett, Ereignis- und Fragekarten,<br />

Etappenkärtchen, Spielfiguren und<br />

einen Würfel. Gelangt man auf ein orangefarbenes<br />

Feld, darf man sich entscheiden,<br />

ob man eine Ereigniskarte oder eine<br />

Fragekarte ziehen möchte. Eine Frage<br />

könnte sein: „Wie viele Blumen bestäubt<br />

eine Biene an einem Tag? 40 oder 100<br />

oder 7000 (richtig)“. Eine Ereigniskarte<br />

beschreibt eine <strong>für</strong> die Bienen hilfreiche<br />

oder negative Situation, welche eine<br />

Aktion erfordert, so zum Beispiel „Der<br />

Nektar schmeckt so lecker wie noch nie.<br />

Gehe zwei Felder vor!“. Wer das Ziel als<br />

Erste*r überfliegt, war die fleißigste Biene<br />

und hat ihren*seinen Topf Honig gefüllt.<br />

Abb. 1:<br />

Brettspiel<br />

„Die Reise zum<br />

Honig“ von<br />

Anna Lena<br />

Fischer und<br />

Elaine Hager<br />

30<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Themenfest – „Der Flug der Bienen“<br />

Die Konzeption des Themenfests basiert<br />

auf einem besonderen Ansatz des projektbasierten<br />

Lernens, der verschiedene<br />

Disziplinen unter einem bestimmten<br />

Thema fächerübergreifend in festiver<br />

Weise miteinander verknüpft. Hierbei<br />

werden Kinder zu Akteur*innen ihres<br />

Lernprozesses, indem sie Inhalte eigenständig<br />

erschließen und während des<br />

Unterrichts sowie des Festes souverän<br />

Verantwortung übernehmen. Diese zwei<br />

Elemente, Fest und Unterricht, sind<br />

untrennbar miteinander verbunden,<br />

da das Fest organisch aus den durchgeführten<br />

Projekten erwächst. Die festlichen<br />

Aktivitäten, wie der Bienentanz,<br />

humorvolle Aspekte (Witze), informative<br />

Rätsel, theatralische Darstellungen<br />

von Bienengeschichten und interaktive<br />

Spiele, sind wie die Teile eines Puzzles,<br />

die flexibel an die individuellen Bedürfnisse<br />

der Klasse angepasst werden können.<br />

Das Bienenfest, wie auch alle<br />

anderen Festkonzeptionen, ist als kleines<br />

Booklet verfasst, welches direkt im<br />

Abb. 2: Themenfest „Der Flug der Bienen“<br />

von Lisa-Marie Mann, Sarah Herrmann,<br />

Marie Hoffmann und Markus Hampel<br />

Unterricht eingesetzt werden kann und<br />

in dessen Anhang sich viele interessante<br />

Internetlinks zum Thema und zu Unterrichtsmaterialien<br />

befinden.<br />

Zudem werden die eingeladenen Familienmitglieder<br />

aktiv in das Festgeschehen<br />

einbezogen, um eine intensive<br />

Partizipation zu ermöglichen. Dies<br />

kann zum Beispiel in einem gemeinsamen<br />

Spiel mit den Familien geschehen<br />

oder durch eine quizartige PowerPoint-<br />

Präsentation, die im Stil eines Infotainments<br />

Unterhaltung und Information<br />

in geschickter Weise miteinander verbindet.<br />

Abschließend bietet das Fest<br />

ein köstliches Buffet, das den informellen<br />

Austausch zwischen allen Beteiligten<br />

fördert. Im Rahmen einer Erziehungsund<br />

<strong>Bildung</strong>spartnerschaft trägt dieser<br />

abschließende Teil des Festes dazu bei,<br />

soziale Interaktion durch positive Gesprächsanlässe<br />

bereitzustellen, Vertrauen<br />

aufzubauen und zu stärken und eine<br />

Atmosphäre der Zusammengehörigkeit<br />

zu schaffen. Jedes Fest ist ein Unikat und<br />

damit einzigartig!<br />

Digitale Entdeckerwerkstatt –<br />

„Die spannende Welt der Bienen“<br />

Die virtuelle Pinnwand eröffnet die<br />

Möglichkeit, Inhalte aus unterschiedlichen<br />

Fächern in verschiedenen Formaten<br />

wie Texten, Bildern, Videos und<br />

Links zu teilen und gemeinsam zu bearbeiten.<br />

Diese flexible Plattform eignet<br />

sich sowohl <strong>für</strong> digitales als auch<br />

<strong>für</strong> analoges Lernen und schafft eine<br />

fächerübergreifende und interaktive<br />

Lernumgebung. Die kreative Nutzung<br />

Website „sdg-interactive learning“<br />

Website zu Spielen, Festen, digitalen<br />

Entdeckerwerkstätten und Projekten<br />

rund um das Thema „<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> / Globales Lernen“<br />

Eine Vielzahl von Materialien, sowohl die<br />

hier dargestellten als auch zahlreiche<br />

weitere zum Themenbereich „<strong>Bildung</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> / Globales<br />

Lernen“ stehen auf der Website<br />

„sdg-interactive learning“<br />

(https://blogs.urz.uni-halle.de/sdginteractivelearning/)<br />

kostenlos zum<br />

Download zur Verfügung.<br />

Diese Seite wird<br />

kontinuierlich<br />

aktualisiert und<br />

erweitert.<br />

ermöglicht es den Schüler*innen, spielerisch<br />

und handlungsorientiert in Einzel-,<br />

Partner- oder Gruppenarbeit <strong>nachhaltige</strong><br />

und globale Themen zu erforschen.<br />

Parallel dazu entsteht ein analoges<br />

Themenheft, das als individuelles<br />

und selbst hergestelltes Erinnerungsund<br />

Nachschlagewerk <strong>für</strong> das Kind und<br />

die gesamte Familie dient.<br />

In der Entdeckerwerkstatt „Die spannende<br />

Welt der Bienen“ begrüßt die Bienenkönigin<br />

Sabine die Kinder und begleitet<br />

sie als freundliche Ansprechpartnerin<br />

durch die einzelnen Stationen. Die<br />

„Flugroute“ verschafft den Kindern einen<br />

strukturierten Überblick über die<br />

verschiedenen Themen und dient gleichzeitig<br />

als Stationszettel zum Abhaken.<br />

Die konzeptionelle Ausrichtung der abwechslungsreichen<br />

Werkstatt knüpft an<br />

das bestehende Vorwissen der Kinder an.<br />

Mithilfe eines QR-Codes werden sie eingeladen,<br />

ihre vorhandenen Kenntnisse<br />

über Bienen zu aktivieren. Anschließend<br />

bietet die Entdeckerwerkstatt detaillierte<br />

Informationen über den Aufbau der Bienen,<br />

gewährt Einblicke in ihren Lebensraum<br />

und die Aufgabenverteilung innerhalb<br />

des Bienenstocks. Sie weist auf Gefahren<br />

hin, thematisiert wichtige Schutzmaßnahmen,<br />

erläutert die Entstehung<br />

von Honig und sensibilisiert <strong>für</strong> den unverzichtbaren<br />

Nutzen der Bienen <strong>für</strong> das<br />

Ökosystem. <br />

Abb. 3: Digitale Entdeckerwerkstatt „Die spannende Welt der Bienen“ von<br />

Rieke Beyer, Luise Löscher, Jael Hanis und Tina Szewczyk<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa166Lit<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

31


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Petra Dippold, Jutta Nikel, Angelika Jany<br />

Biosphärenschulen schaffen<br />

Gestaltungsräume <strong>für</strong> BNE<br />

Die <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE) ist in der Nationalen Naturlandschaft<br />

„Biosphärengebiet Schwäbische Alb“ fest verankert. Viele Akteur*innen<br />

der <strong>Bildung</strong>sarbeit haben das Konzept der BNE in einer Modellregion <strong>für</strong><br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> wie einem Biosphärengebiet angestoßen und entwickeln<br />

dieses kontinuierlich weiter. Inhalte und Strukturen der BNE sind im<br />

Rahmenkonzept unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten des<br />

Biosphärengebiets darzulegen und Maßnahmen in enger Zusammenarbeit mit<br />

bestehenden <strong>Bildung</strong>strägern umzusetzen (MAB, 2020).<br />

Der Nationale Aktionsplan BNE<br />

des Bundesministeriums <strong>für</strong><br />

<strong>Bildung</strong> und Forschung (2023)<br />

fordert, BNE als Gesamtaufgabe des<br />

<strong>Bildung</strong>swesens zu etablieren und diese<br />

strukturell zu verankern. Als geeignete<br />

Maßnahme wird unter anderem<br />

die Zertifizierung von <strong>Bildung</strong>seinrichtungen<br />

bzw. -angeboten genannt.<br />

Für die <strong>Bildung</strong>sarbeit in den Nationalen<br />

Naturlandschaften (NNL) spielen<br />

das BNE-Verständnis des Programmes<br />

„Der Mensch und die Biosphäre“<br />

(BMBF 2018, 98 ff.) und das BNE-Leitbild<br />

der NNL eine zentrale Rolle (vgl.<br />

NNL 2023). BNE wird hier als neues<br />

Konzept und nicht als eine Weiterentwicklung<br />

der Umweltbildung ver-<br />

Im Streuobst-Unterricht lernen die Schüler*innen<br />

spielerisch und erlebnisreich<br />

den Lebensraum Streuobstwiese kennen<br />

An einer Biosphärenschule durchläuft<br />

jedes Schulkind in seiner vierjährigen<br />

Grundschulzeit verschiedene Unterrichtsmodule<br />

und hat so nicht nur die<br />

Möglichkeit, das Biosphärengebiet zu entdecken<br />

und komplexe Zusammenhänge<br />

besser zu verstehen, sondern rückt vor allem<br />

das <strong>nachhaltige</strong> Handeln im Schulalltag<br />

in den Mittelpunkt. Das Projekt<br />

erreicht über die Grundschulen und die<br />

damit verbundene Schulpflicht alle Kinder<br />

des Einzugsgebiets. So werden auch<br />

Kinder integriert, die im Alltag weniger<br />

Zugang zu Natur und Nachhaltigkeit haben.<br />

Die Inhalte der Unterrichtsmodule<br />

orientieren sich an den Kernthemen des<br />

Biosphärengebiets wie biologische Vielfalt,<br />

Natur und Landschaft, Kultur, Handwerk<br />

sowie Land- und Forstwirtschaft.<br />

Die Module sind fest im Schulkonzept<br />

bzw. im Curriculum/Jahresplan verankert<br />

und schaffen einen regionalen Bezug zum<br />

<strong>Bildung</strong>splan. Die klassenorientierten<br />

und -übergreifenden Aktionen geben den<br />

Schulen Planungssicherheit im Jahresverlauf.<br />

Das Lernen findet regelmäßig außerhalb<br />

der Schule auf der Streuobstwiese,<br />

der Wacholderheide, auf dem Acker oder<br />

im Wald, kurzum in der Natur- und Kulturlandschaft<br />

statt. Die Kinder haben so<br />

die Möglichkeit, mit allen Sinnen und<br />

gemeinsam im Klassenverband das Biosphärengebiet<br />

vor ihrer Schultür zu entstanden.<br />

Damit rückt neben Naturerfahrung<br />

und dem Wissenserwerb das Handeln<br />

und das gesellschaftliche Gestalten<br />

stärker ins Zentrum: „Damit <strong>Bildung</strong>sprozesse<br />

zur Gestaltung eines verantwortlichen<br />

Verhältnisses von Mensch und Natur<br />

und der Menschen untereinander befähigen,<br />

ist […] eine integrative Betrachtungsweise<br />

erforderlich“ (BMBF 2018, 99).<br />

Auf dieser Basis hat die Geschäftsstelle des<br />

Biosphärengebiets Schwäbische Alb den<br />

Dreiklang ENTDECKEN – VERSTEHEN<br />

– GESTALTEN definiert, an dem sich alle<br />

Lernangebote orientieren.<br />

Das Projekt „Zertifizierung von Schulen<br />

im Biosphärengebiet Schwäbische Alb als<br />

Biosphärenschulen“ spricht Grund- und<br />

weiterführende Schulen an und bietet mit<br />

dem Zertifizierungsprozess eine Orientierung,<br />

wie diese Lernangebote zu BNE sukzessive<br />

bildungsplankonform entwickeln<br />

und die Verankerung von BNE im Schulalltag<br />

voranbringen können. Die Auszeichnung<br />

der Schulen erfolgt nach einjähriger<br />

<strong>Entwicklung</strong>sphase auf der Basis<br />

der Erfüllung von acht Kriterien (vgl.<br />

BSG Schwäbische Alb 2019). Bei diesen<br />

handelt es sich um formal zu erfüllende<br />

Kriterien, Kriterien der Dokumentation<br />

der Maßnahmen und der Öffentlichkeitsarbeit<br />

sowie um Kriterien der inhaltlichen<br />

Ausgestaltung. Die Schule verpflichtet sich<br />

mit der Auszeichnung zu einem ganzheitlichen<br />

institutionellen Ansatz, der darauf<br />

zielt, Lernen mit Themen des Biosphärengebiets<br />

im Sinne der BNE im (Ganztags-)<br />

Schulalltag und in der Schulgemeinschaft<br />

zu verankern. Durch einen Beschluss der<br />

Gesamtlehrerkonferenz startet die Kooperation,<br />

die durch die Geschäftsstelle des<br />

Biosphärengebiets Schwäbische Alb begleitet<br />

wird.<br />

Umsetzungsbeispiele zur Verdeutlichung<br />

von Möglichkeiten <strong>für</strong> Schulen<br />

• Anschaffung und Haltung von Honigbienen,<br />

im insektenfreundlichem Garten. Ausgehend<br />

hiervon entdecken die Schüler*innen Zusammenhänge<br />

zwischen Wildbiene und Honigbiene<br />

sowie Bestäubung und Ernte.<br />

• Umgestalteter Schulhof mit naturnahen Erlebnisräumen<br />

wie Hochbeet, Blühwiese mit<br />

Insektenhotel, Barfußpfad und heimischen<br />

Stauden. Der Schulhof wird gezielt in den<br />

Unterricht einbezogen. Fragen von Artenvielfalt,<br />

Lebensräumen und Bedingungen unter<br />

Klimawandel sowie Nutzungskonflikte auf<br />

dem Schulhof werden zum Thema.<br />

• Pflanzung, ganzjährige Beobachtung und<br />

Pflege eines „Schul-Apfelbaums“ auf einer<br />

Streuobstwiese (siehe Bild) ermöglichen die<br />

Thematisierung von Kreisläufen in der Natur<br />

sowie einer <strong>nachhaltige</strong>n Nutzung des Lebensraums.<br />

32<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Von links:<br />

Petra Dippold, Regionalmanagerin/<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>, Biosphärengebiet<br />

Schwäbische Alb e. V., korrespondierende Autorin: p.dippold@verein-biosphaerengebiet-alb.de<br />

Dr. Jutta Nikel, Institut <strong>für</strong> Erziehungswissenschaft, Pädagogische Hochschule Freiburg<br />

Angelika Jany, Büro werKstatt.landschaft GbR Reutlingen, Projektkoordinatorin Biosphärenschulen<br />

Schwäbische Alb<br />

decken. Es werden Pädagog*innen gewonnen<br />

(z. B. Streuobst- oder Waldpädagogik)<br />

sowie weitere außerschulische Akteur*innen<br />

(Expert*innen bzgl. Imkerei,<br />

Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Schutzgebiet),<br />

welche die Schulen bei der Umsetzung<br />

der Unterrichtsmodule begleiten.<br />

Der ganzheitliche Ansatz der Biosphärenschulen<br />

reicht über eine reine Wissensvermittlung<br />

hinaus. Kinder werden befähigt,<br />

komplexen Fragestellungen nachzugehen,<br />

Zusammenhänge zu verstehen,<br />

künftige <strong>Entwicklung</strong>en zu bewerten und<br />

vor allem selbst ins <strong>nachhaltige</strong> Handeln<br />

zu kommen (siehe Kasten auf S. 32). Der<br />

gemeinsame Einsatz <strong>für</strong> z. B. den Erhalt<br />

der Artenvielfalt und das Verstehen von<br />

<strong>nachhaltige</strong>n Lebens- und Arbeitsweisen<br />

im Klassen- oder im Schulverband stärkt<br />

den sozialen Zusammenhalt und trägt zur<br />

Persönlichkeitsentwicklung bei.<br />

Das Projekt „Zertifizierung von<br />

Grundschulen im Biosphärengebiet<br />

Schwäbische Alb als Biosphärenschulen“<br />

wurde 2018 gestartet und mittlerweile<br />

sind zehn Grundschulen ausgezeichnet.<br />

Die Zertifizierung ist seit 2020 auch <strong>für</strong><br />

weiterführende Schulen möglich. Hier<br />

wurden 2023 sechs Schulen der Sekundarstufe<br />

ausgezeichnet.<br />

Chance und Herausforderung zugleich<br />

stellt die Vernetzung im Projekt<br />

dar: Im Laufe des Projektes ist bereits ein<br />

vertrauensvolles und effektives Netzwerk<br />

aus Schulen, Schulträgern, Schulamt, außerschulischen<br />

Akteur*innen sowie der<br />

Geschäftsstelle des Biosphärengebiets<br />

Schwäbische Alb entstanden. Jährliche<br />

Fortbildungen und Netzwerktreffen bieten<br />

den Schulen die Möglichkeit, sich<br />

untereinander auszutauschen und Synergieeffekte<br />

zu schaffen. Dieses Netzwerk<br />

gilt es in Zukunft weiterhin zu stärken<br />

sowie den Aufbau von schulspezifischen<br />

Netzwerken nachhaltig zu fördern.<br />

Auf Ebene der Einzelschule werden<br />

durch die Erweiterung der Zertifizierung<br />

auf weiterführende Schulen schulstufen-<br />

und schulartspezifische Unterschiede<br />

deutlich: Es entsteht eine heterogene<br />

Gruppe an Biosphärenschulen,<br />

die mit unterschiedlichen Personal- und<br />

Rahmenbedingungen sowie unterschiedlichen<br />

Ausrichtungen hinzukommen.<br />

Häufiger Personalwechsel, vor allen an<br />

den Grundschulen, und die großen Kollegien<br />

an den weiterführenden Schulen<br />

haben zur Folge, dass das Konzept der<br />

Biosphärenschulen sowie der BNE im<br />

Allgemeinen immer wieder „in Erinnerung“<br />

gerufen werden muss. Eine enge<br />

und offene Absprache im Kollegium<br />

über die Kooperation sowie die Durchführung<br />

der Module ist wichtig.<br />

Eine Evaluierung der Zertifizierung erfolgte<br />

im Jahr 2020/2021 durch die Pädagogische<br />

Hochschule Freiburg (Nikel,<br />

Rollett & Stüwe 2021). In einer qualitativen<br />

Interviewstudie wurde untersucht,<br />

ob und wie es den sieben Pilotschulen<br />

gelungen ist, Lernangebote/Lernen mit<br />

Themen des Biosphärengebiets im Sinne<br />

der BNE im (Ganztag-)Schulalltag und<br />

in der Schulgemeinschaft zu verankern<br />

und wie dieser Prozess durch die Zertifizierung<br />

bzw. die Erfüllung der Kriterien<br />

unterstützt wird. Die Ergebnisse zeigen,<br />

dass Schulen einen klaren Mehrwert in<br />

der Teilnahme resümieren, machen aber<br />

gleichzeitig deutlich, dass Schulentwicklungsprozesse<br />

eines „langen Atems“ bedürfen.<br />

Beides verdeutlichen die Worte<br />

einer Schulleiterin eindrücklich (s. Kasten<br />

unten). <br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa166Lit<br />

Die Biosphärenschule<br />

Die Lindenschule in Unterlenningen bei Stuttgart ist eine ein- bis zweizügige<br />

Grundschule mit einer Vorbereitungsklasse sowie einer angegliederten<br />

Grundschulförderklasse. Als Biosphärenschule, die im Jahr 2020 erstmalig<br />

ausgezeichnet wurde, hat sie sich <strong>für</strong> die jährlichen Unterrichtsmodule zur Erarbeitung<br />

von Fragestellungen rund um Schaf, Streuobstwiese, Getreide und<br />

Kartoffel entschieden. So wird in Klasse 1 das Modul „Mit Schafen den Teckberg<br />

erhalten?“ durchgeführt. Die Schüler*innen gehen dieser Fragestellung nach<br />

und begleiten über ein Jahr hinweg eine Schafherde. Ziel ist es, gemeinsam zu<br />

erarbeiten, wie Schafhaltung und Erhalt von Kulturlandschaften zusammenhängen<br />

und was dies mit dem eigenen Handeln zu tun hat (Einkaufen von<br />

Kleidung und Fleisch, Verhalten beim Spazierengehen). Selbst aktiv werden die<br />

Schüler*innen bei der Wollverarbeitung und filzen allerlei Wolliges. Folgender<br />

Interviewausschnitt gibt aus der Perspektive von Schulleiterin M. Amann (SL)<br />

Einblicke in schulische Veränderungsprozesse in der Lindenschule (März 2024):<br />

I: Was hat sich an Ihrer Schule seit der Teilnahme am Biosphärenschulen-<br />

Programm verändert?<br />

SL: Also, ich würde sagen, dass wir unseren roten Faden gefunden haben. Das<br />

einfach ganz klar ist, auf was wir Wert legen, wie unsere Aktionen und Feste<br />

auch im Jahreslauf sind, was im Schulprogramm ist und was evtl. auch jede*r<br />

Lehrer*in <strong>für</strong> sich noch zusätzlich anders machen kann. […] Und verändert hat<br />

sich auch, dass irgendwie sich so langsam jetzt Dinge fügen. Also, dass wir oft<br />

von außen Anfragen bekommen, hey, wir könnten euch da unterstützen […].<br />

Wo ich gar nicht aktiv auf die Suche gehen muss […].<br />

I: Wie kann man sich das vorstellen, dass sich eine Schule auf den Weg<br />

macht?<br />

SL: Es kommt mir vor wie ein „Spinnennetz weben“. Also, dass man eben mal<br />

wo anfängt, an einer Stelle, und sich aber auch nicht zu viel vornimmt, sondern<br />

sagt, jetzt starten wir mal da und dann ergibt sich immer wieder ein anderer<br />

Faden: in einer anderen Klasse, mit einem anderen externen Partner, was auch<br />

immer. Und so wächst das irgendwie und manchmal lässt man einen Faden<br />

wieder los, weil man sagt, das passt jetzt eigentlich nicht so gut.<br />

I: Sie arbeiten mit außerschulischen Partner*innen. Wie hat dies das Lernen<br />

an der Schule verändert?<br />

SL: Für die Kinder ist es klar, zu dem Thema gibt es Expert*innen und der*die<br />

Lehrer*in ist jetzt nicht er*die Expert*in <strong>für</strong> alles. Und da kann man dann auch<br />

speziellere Fragen stellen. Ich glaube, das ist ganz wichtig <strong>für</strong> die Kinder, das<br />

einfach auch zu sehen, dass wir [Lehrer*innen] jetzt nicht die Allwissenden sind,<br />

sondern eben auch mitlernen mit ihnen an ganz vielen Stellen der Thematik.<br />

Und das ist, glaube ich, auch wichtig, mit auf den Weg zu nehmen.<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

33


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Julia Kristin Langhof<br />

Spielerisch zukunftsfähiges<br />

Denken und Handeln fördern<br />

Was wäre, wenn …? (vgl. ebd.). Was wäre, wenn zukunftsfähiges Denken und<br />

Handeln schon in jungen Jahren gefördert und Nachhaltigkeit von klein auf gelernt<br />

wird? Was wäre, wenn Kinder ihre Rechte kennen und lernen, aktiv ihre<br />

Zukunft mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen? Was wäre, wenn<br />

wir in unseren Grundschulen mehr spielen und stärker Zukunftskompetenzen<br />

wie Kreativität und kritisches Denken fördern, statt Arbeitsblätter abarbeiten zu<br />

lassen? Was wäre, wenn Schule ein Ort ist, wo die Stärken jedes Kindes entdeckt<br />

und gefördert werden? Was wäre, wenn wir unsere Vorstellungskraft nutzen, um<br />

Schule und Lernen neu zu denken? Was wäre, wenn …?<br />

Im Rahmen des an der Universität<br />

Trier <strong>für</strong> alle Grundschullehramtsstudierenden<br />

in den <strong>Bildung</strong>swissenschaften<br />

verpflichtenden Bachelorseminars<br />

„Demokratie- und Menschenrechtsbildung“<br />

haben sich Studierende<br />

im Wintersemester 2023/2024 anhand<br />

des Themas „Kinderrechte = Zukunftsrechte“<br />

(Dozentin: Dr. Julia Langhof)<br />

solche „Was wäre, wenn …“-Fragen<br />

gestellt und nach Antworten gesucht.<br />

Kinder haben Rechte<br />

Im Kontext der UN-Kinderrechtskonvention,<br />

der 17 Ziele <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> der Agenda 2030 sowie der<br />

im September 2023 in Genf vom UN-<br />

Kinderrechtsausschuss verabschiedeten<br />

Allgemeinen Bemerkung Nr. 26 zu Kinderrechten<br />

und Umwelt mit besonderem<br />

Fokus auf Klimawandel rezensierten<br />

die Studierendn zum Thema „Kinderrechte<br />

= Zukunftsrechte“ Sach(bilder)bücher<br />

(siehe hierzu auch Franz<br />

et al. 2023). Anschließend wurden von<br />

der Seminargruppe zwei Bücher aus-<br />

Sachbilderbücher zum Thema<br />

Kinderrechte = Zukunftsrechte<br />

Ziel war es, in Kleingruppen möglichst<br />

<strong>nachhaltige</strong> Spiele und Spielverpackungen<br />

(Upcycling) zu entwickeln, mit denen<br />

Future-Skills gefördert werden. Die Spiele<br />

sollten eine <strong>für</strong> Kinder verständliche<br />

Spielanleitung inklusive Reflexionsfragewählt,<br />

mit denen in Hinblick auf das<br />

Recht, zu spielen (Art. 31 UN-Kinderrechtskonvention),<br />

weitergearbeitet wurde.<br />

Hierbei handelte es sich um die beiden<br />

Bücher „Die besten Weltuntergänge“<br />

von Andrea Paluch und Annabelle<br />

von Sperber sowie „Mach dich stark <strong>für</strong><br />

eine bessere Welt“ von Keilly Swift, das<br />

2021 <strong>für</strong> den Deutschen Kinderbuchpreis<br />

nominiert wurde.<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> spielerisch fördern<br />

„Das Spiel ist die höchste Form der Forschung“<br />

(Albert Einstein)<br />

Zu den beiden Büchern wurden in<br />

Kleingruppen Spiele zu BNE-Themen<br />

(u. a. SDG 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“)<br />

entwickelt und erprobt, die<br />

Future Skills/21st Century Skills (siehe<br />

hierzu auch Langhof 2024) fördern sowie<br />

zukunftsfähiges Denken und Handeln<br />

bei Grundschulkindern stärken<br />

sollen. Lernspiele sind nicht nur motivierend.<br />

Die entwickelten Spiele unterstützen<br />

ein fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip,<br />

denn <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> ist Querschnittsaufgabe<br />

und wird im besten Fall im Sinne eines<br />

Whole School Approachs ganzheitlich<br />

mit Kooperationspartnern umgesetzt.<br />

Das 4-K-Modell –<br />

Zukunftskompetenzen stärken<br />

Um in einer komplexen BANI-Welt<br />

(Cascio 2020), die sich als brüchig,<br />

ängstlich, nicht linear und unbegreiflich<br />

zeigt, gut zurechtzukommen, braucht es<br />

Dr. Julia Kristin Langhof<br />

arbeitet als Akademische Rätin in der<br />

Abteilung Grundschulforschung und<br />

Pädagogik der Primarstufe an der Universität<br />

Trier. In Lehre und Forschung<br />

befasst sie sich aktuell u. a. mit der<br />

spielerischen Förderung von zukunftsfähigem<br />

Denken und Handeln.<br />

Lern- und Innovationsfähigkeiten. Im<br />

4-K-Modell finden sich vier zentrale<br />

Kompetenzen <strong>für</strong> das Lehren und Lernen<br />

im 21. Jahrhundert:<br />

Kreativität meint, Neues denken, arbeiten<br />

und lernen zu können.<br />

Kritisches Denken impliziert, selbst<br />

denken, arbeiten und lernen zu können.<br />

Kollaboration bedeutet, mit anderen<br />

zusammen denken, arbeiten und lernen<br />

zu können.<br />

Kommunikation beinhaltet, eigenes<br />

Denken, Arbeiten und Lernen (mit)teilen<br />

zu können (Battelle for Kids 2019;<br />

Muuß-Merholz 2017).<br />

Die Seminarteilnehmenden hatten die<br />

Aufgabe, ein Spiel <strong>für</strong> Grundschulkinder<br />

zu entwickeln, mit dem die 4 K gefördert<br />

werden. Durch die Spielentwicklung und<br />

-erprobung im Seminar wurden die Zukunftskompetenzen<br />

der Studierenden<br />

gefördert.<br />

Nachhaltige Spiele entwickeln<br />

34<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

„Spiel der Welten“<br />

gen zum Spiel sowie einen ergänzenden<br />

didaktischen Kommentar <strong>für</strong> die Lehrkraft<br />

enthalten, der z. B. über benötigte<br />

Vorkenntnisse informiert. Ein besonderes<br />

Augenmerk lag auf der Reflexion der<br />

Fragen, wie Demokratie- und Menschenrechtsbildung<br />

sowie Future-Skills durch<br />

das jeweilige Spiel gefördert werden sollen.<br />

Hier<strong>für</strong> wurden den Studierenden<br />

von der Dozentin zur Strukturierung folgende<br />

Vorlagen zur Verfügung gestellt.<br />

Im Seminarkontext wurden bewusst<br />

analoge Spiele entwickelt, da sich die Studierenden<br />

in ihrem Studiumsverlauf im<br />

Zusammenhang mit Diagnostik und Differenzierung<br />

noch intensiv mit digitalen<br />

Lernapps befassen werden, bei denen sich<br />

weiteres Lernspielpotenzial anbietet. Unter<br />

den entwickelten Spielen befinden sich<br />

sowohl bekannte adaptierte Spielformate<br />

wie Activity, Domino, Leiterspiel, Memory<br />

oder Tabu als auch weitere Quizformate,<br />

Glücksrad bis hin zu neueren Spielideen<br />

in Form von Exit-Games. Die teilnehmenden<br />

Studierenden haben erstmalig<br />

ein Spiel entwickelt. Zum Teil wurden<br />

z. B. Spielfiguren aus alten Weinkorken<br />

gebastelt oder kreative Spielverpackungen<br />

aus „Müll“ gestaltet.<br />

Exemplarisch werden nachfolgend<br />

drei Spielformate vorgestellt, mit denen<br />

Nachhaltigkeit gelernt werden kann.<br />

Escape-Game<br />

„Flut“ (oben)<br />

Beispiel 1: „Spiel der Welten“<br />

Orientiert am Brettspielklassiker „Spiel<br />

des Lebens“ entwickelte die Kleingruppe<br />

zu unterschiedlichen Weltuntergängen,<br />

die im Buch „Die besten Weltuntergänge“<br />

gezeigt und beschrieben werden,<br />

ein „Spiel der Welten“, bei dem die Kinder<br />

erleben sollen, dass auch sie etwas in<br />

unserer Welt verändern können und ein<br />

Recht auf Mitsprache haben. Da<strong>für</strong> muss<br />

das eigene Handeln reflektiert werden.<br />

Im Spielverlauf müssen sich die Kinder<br />

immer wieder neu entscheiden, in welcher<br />

Welt sie leben wollen, um am Ende<br />

des Spiels in eine Endwelt zu gelangen.<br />

Hierbei sind kritisch und kreativ Reflexionsfragen<br />

zu beantworten, die sich<br />

damit auseinandersetzen, wie wir aktiv<br />

dazu beitragen, die Welt, in der wir<br />

leben, mitzugestalten und <strong>für</strong> ihr Wohlergehen<br />

zu sorgen. Außerdem ist die<br />

eigene Vorstellungskraft gefragt in Hinblick<br />

auf die Frage, wie wir leben wollen.<br />

Beispiel 2: Escape-Games „Flut“ und<br />

„Raus aus der Pandemie“<br />

Bei den Escape-Games sind als Team in<br />

begrenzter Zeit unterschiedliche Rätsel<br />

zu lösen, um einen Code zu knacken.<br />

Gemeinsam müssen Problemlösungsstrategien<br />

entwickelt werden. Kritisches<br />

Denken und Kreativität sind gefordert,<br />

genauso wie Kommunikation und Kollaboration.<br />

Beim Lösen der Rätsel kommen<br />

fächerübergreifende Aspekte zum Tragen<br />

(z. B. Inhalte aus den Fächern Deutsch,<br />

Mathematik, Sachunterricht). Sollten<br />

Kinder Schwierigkeiten haben, ein Rätsel<br />

zu lösen, unterstützen Tippkarten.<br />

Beispiel 3: „Umweltdetektive“<br />

Bei dem Spiel „Umweltdetektive“ steht<br />

das Thema „Klimawandel“ im Vordergrund.<br />

Ein grundlegendes<br />

Verständnis<br />

<strong>für</strong> Prozesse<br />

und Folgen<br />

des Klimawandels<br />

inklusive der Auswirkungen<br />

auf das<br />

Leben von Menschen<br />

und Tieren<br />

soll mit dem<br />

Spiel gefördert<br />

werden. Als Umweltdetektive sollen<br />

die Kinder darüber nachdenken, was<br />

der Umwelt schadet und was das Klima<br />

schützt. Mögliche Lösungsansätze sollen<br />

gemeinsam diskutiert werden. Integriert<br />

sind Tipps <strong>für</strong> umweltfreundliche<br />

Handlungsmöglichkeiten, um die eigene<br />

Zukunft nachhaltig mitzugestalten.<br />

„Ich hätte nicht gedacht, dass man<br />

durch Spielen so viel lernen und Demokratiebildung<br />

fördern kann.“ So lautet<br />

das Feedback einer teilnehmenden Studierenden.<br />

In ihren Seminarreflexionen<br />

verweisen die Studierenden darauf,<br />

dass ihnen teilweise zu Beginn des Seminars<br />

nicht klar war, was Demokratiebildung<br />

ist, und dass sie überrascht waren,<br />

wie viele Themenbereiche (z. B. Familie,<br />

Kinderrechte, Migration, Umwelt)<br />

sich dahinter verbergen. Neben der theoretischen<br />

Verortung nehmen die Studierenden<br />

konkrete Realisierungsmöglichkeiten<br />

mit, wie sie in der Schulpraxis<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>,<br />

Demokratiebildung und Future-Skills<br />

fördern können (zu den Wirkungen einer<br />

grundschuldidaktischen Auseinandersetzung<br />

auf die Beliefs Studierender<br />

zu Demokratie- und Menschenrechtsbildung<br />

siehe Langhof/Franz 2024).<br />

Spiele zu entwickeln und zu erproben<br />

ist nicht nur eine effektive Methode, um<br />

Zukunftskompetenzen bei angehenden<br />

Lehrpersonen zu fördern und sie <strong>für</strong> das<br />

Thema Future-Skills zu sensibilisieren,<br />

sondern auch ein Weg, um Future-Skills<br />

bei Grundschulkindern zu stärken. Im<br />

Sinne eines pädagogischen Doppeldeckers<br />

(Wahl 2002) äußerten die Studierenden<br />

den Wunsch, in ihrem späteren<br />

Unterricht Lernspiele zu integrieren und<br />

Grundschulkinder eigene Spiele entwickeln<br />

zu lassen.<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa166Lit<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

35


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Marion Gutzmann<br />

Kinderbücher zum<br />

Thema BNE<br />

Unsere Erde ist einzigartig. Um die Zukunft auf unserem Planeten zu sichern,<br />

stecken seit 2015 die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen<br />

wegweisend den Rahmen <strong>für</strong> die <strong>Entwicklung</strong> einer gerechten<br />

Welt ab. Auch Kinder werden mit wichtigen Themen wie Umweltverschmutzung,<br />

Klimawandel, Naturschutz, erneuerbare Energien, hochwertige <strong>Bildung</strong><br />

und Gesundheit konfrontiert. Die Bücher zum Thema bieten eine große Palette<br />

an Zugängen und Unterstützung zur Thematik – gezielt mit ausdrucksstarken<br />

Illustrationen und Grafiken und kindgerechten Texten gestaltet. Bücher <strong>für</strong> alle,<br />

denen die Zukunft der Erde am Herzen liegt und die nicht nur mitreden, sondern<br />

auch handeln wollen. An uns allen liegt es, etwas zum Guten zu wenden<br />

und heute mitzuentscheiden, in welcher Welt und an welchen lebenswerten Orten<br />

Menschen in Zukunft leben können.<br />

Jede Doppelseite des Bilderbuches von Judith Drews widmet sich<br />

einem der 17 Ziele <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>. In einer Präambel<br />

verweist die Autorin einführend auf die Einzigartigkeit der Welt<br />

und die Verantwortung jedes Einzelnen, die Ziele bis 2030 zu<br />

erreichen. Übersichtlich werden nachfolgend alle 17 Ziele auf einer<br />

Doppelseite mit kurzen Überschriften und „Wir wollen …“-Sätzen<br />

vorgestellt – z. B. Ziel 13 mit dem Titel „Maßnahmen zum Klimaschutz“<br />

und der Formulierung „Wir wollen viel, viel mehr Klimaschutz<br />

und gute Ideen da<strong>für</strong>“. Dazu finden sich zu zu jedem Ziel auf je einer<br />

Doppelseite eine thematisch passende Illustration mit Kindern als<br />

Protagonist:innen und zum Ziel 13 der Satz „Wir brauchen DICH, weil du weißt, dass wir<br />

unser Klima schützen müssen, damit wir noch lange auf der Erde leben können“. Auch wenn<br />

die Kinder zu jedem Ziel direkt angesprochen werden, wie bereits auf dem Cover mit „Wir<br />

brauchen dich!“, betreffen die Ziele keinesfalls nur die Kinder. Eine gemeinsame Lektüre des<br />

mit alltäglichen Situationen in verschiedenen Ländern ausdrucksstark illustrierten Buchs<br />

mit Erwachsenen ist unverzichtbar – tragen sie doch<br />

insbesondere die Verantwortung <strong>für</strong> die notwendigen<br />

politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen. Im<br />

April 2023 hat die Deutsche Akademie <strong>für</strong> Kinder- und<br />

Jugendliteratur den Titel als Klimabuchtipp des Monats<br />

gewählt. (ab 5 Jahren)<br />

Judith Drews (2023):<br />

Die 17 Ziele der UN <strong>für</strong><br />

eine bessere Welt<br />

Verlagshaus Jacobi & Stuart<br />

48 Seiten, 15,00 €<br />

Oliver Jeffers<br />

möchte mit<br />

seinem bisher<br />

persönlichsten<br />

Buch, das er zur<br />

Geburt seines<br />

Sohnes Harland<br />

geschrieben hat,<br />

kindgemäß die<br />

Welt in ihrer Vielfalt erklären – respektvoll<br />

und einfühlsam, mit wenigen präzise<br />

gewählten Worten und eindrücklichen<br />

Bildern als Anleitung zum Leben<br />

auf der Erde. Das kunstvoll gestaltete<br />

Bilderbuch lebt von wundervollen Bildideen<br />

– z. B. auf den ersten Seiten, auf<br />

denen unser Sonnensystem als eines<br />

von Billionen Sonnensystemen und die<br />

Erde als große, im All schwebende Kugel<br />

vorgestellt wird. Die Vorstellung der<br />

Erde endet mit den Worten „So, das ist<br />

sie also, die Erde. Pass gut auf sie auf, sie<br />

ist alles, was wir haben.“ Oliver Jeffers<br />

gelingt es, aus einer persönlichen Intention<br />

heraus Werte wie Achtsamkeit,<br />

Wissen um Nachhaltigkeit und Respekt<br />

vor dem Umgang miteinander, mit der<br />

Natur, den Tieren anzusprechen. Der<br />

Spiegel-Jahresbestseller 2019 bei Sachbüchern<br />

<strong>für</strong> Kinder, ausgezeichnet mit<br />

dem Leipziger Lesekompass 2019 sowie<br />

dem Goldenen Raben 2018, macht<br />

neugierig auf das Leben auf unserem<br />

Planeten, erzeugt Respekt vor der Vielfalt<br />

des Lebens und schenkt Zuversicht<br />

<strong>für</strong> die Zukunft mit der Ermutigung,<br />

nachzufragen: „Und wenn ich mal nicht<br />

da bin, kannst du immer noch jemand<br />

anderes fragen. Denn du wirst nie allein<br />

sein auf der Welt.“ (ab 4 Jahren)<br />

Oliver Jeffers (2018):<br />

Hier sind wir<br />

Aus dem Englischen<br />

NordSüd Verlag<br />

48 Seiten, 18,00 €<br />

Das Buch von der englischen Tierärztin Dr. Jesse French, die sich leidenschaftlich <strong>für</strong> den Naturschutz einsetzt,<br />

sensibilisiert Kinder <strong>für</strong> das wichtige Thema Umwelt und wie unsere Umwelt generell besser geschützt und bewahrt<br />

werden kann. So geben Zahlen und Fakten, leicht verständliche Infografiken und anschauliche Abbildungen<br />

einen umfassenden Einblick in das Thema Müll, veranschaulichen, wie Müll entsteht, was er <strong>für</strong> die Umwelt<br />

bedeutet und wie Müll vermieden werden kann. Es geht nicht nur um klassischen Müll, Recycling, Plastik,<br />

Elektro- und Weltraumschrott, sondern auch um Luftverschmutzung und erneuerbare Energien. So erfahren<br />

die Kinder z. B., dass der Müll, der weltweit in einem Jahr produziert wird, in Lastwagen verladen 24-mal als<br />

Lkw-Schlange um die Erde reichen würde. Oder dass 92 Prozent der Menschen auf der Erde dreckige Luft<br />

atmen, dass der gigantische größte Müllteppich, der große pazifische Müllstrudel im Pazifischen Ozean, etwa<br />

dreimal so groß wie Frankreich ist und aus ungefähr 1,8 Billionen Abfallteilen besteht. Oder dass es auf der Erde 3000 Milliarden<br />

Bäume gibt und jedes Jahr 15 Milliarden gefällt werden oder mehr als 500.000 kleine und große<br />

Schrottteile im Weltraum um die Erde kreisen und die ganz kleinen Teile sich mit einer Geschwindigkeit<br />

von bis zu 28.163 km/h fortbewegen und wie Geschosse Löcher in Raumschiffe schlagen können.<br />

Sehr anschaulich wird die Aufmerksamkeit auf bestimmte Fakten gelenkt und damit weden Denkanstöße<br />

zum Umdenken gegeben. Ein Vorwort der NAJU, ein Begriffsglossar und eine Auflistung und<br />

Kurzbeschreibung von Umweltschutzorganisationen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz am<br />

Ende des Buches runden das leicht zugängliche Kindersachbuch ab. (ab 7 Jahren)<br />

Jesse French (2019):<br />

So viel Müll<br />

Aus dem Englischen<br />

Dorling Kindersley<br />

72 Seiten, 12,95 €<br />

36<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Das von Adelina Lirius illustrierte großformatige<br />

Sachbilderbuch mit den vertieft geprägten<br />

Buchstaben des Titels auf dem Cover und den<br />

farbenfrohen, mit Liebe zum Detail gestalteten<br />

Illustrationen weckt schon beim ersten<br />

Betrachten das Interesse am Thema. Loll Kirby<br />

erzählt von zwölf Jungen und Mädchen, die<br />

sich <strong>für</strong> unseren Planeten einsetzen, und zeigt,<br />

was Kinder auf der ganzen Welt durch ihr Engagement<br />

<strong>für</strong> Natur, Umweltschutz und Erhalt des Planeten erreichen<br />

können. So werden zunächst alle zwölf Kinder auf einer Doppelseite<br />

vorgestellt und wo<strong>für</strong> sie sich in ihrem Land engagieren – z. B. Felix aus<br />

Deutschland, der sich <strong>für</strong> die Wiederaufforstung einsetzt und Mitbegründer<br />

von Plant for the Planet ist, oder Amy und Ella aus England,<br />

die sich mit Kids Against Plastic <strong>für</strong> die Abschaffung von Einwegplastik<br />

engagieren, oder Enuita aus Kenia, die mit einem Gemeinschaftsgarten<br />

Insekten schützt und die natürliche Blütenbestäubung unterstützt.<br />

Auf jeweils einer Doppelseite werden die Kinder mit einem Kurzsteckbrief<br />

(Name, Land, Ziel) und ihren Projekten in kurzen Texten vorgestellt<br />

und Möglichkeiten erläutert, mit denen man sich aktiv <strong>für</strong> dieses<br />

Anliegen einsetzen kann. Das Vorwort von Anna Taylor, die sich bereits<br />

seit ihrer Jugend <strong>für</strong> den Klimaschutz einsetzt, die zahlreichen Tipps<br />

am Ende des Buches – zehn<br />

Tipps, um zur Rettung der Welt<br />

beizutragen, und zehn Tipps, um<br />

gehört zu werden – sowie die<br />

entsprechenden Links <strong>für</strong> die<br />

weitere Lektüre runden das Buch<br />

ab. (ab 4 Jahren)<br />

Loll Kirby (2020):<br />

Groß genug,<br />

die Welt zu retten<br />

Aus dem Englischen<br />

Insel Verlag<br />

32 Seiten, 16,95 €<br />

Auch im Sachbuch „Palmen am<br />

Nordpol“ wird das anspruchsvolle<br />

Thema Klimawandel informativ<br />

und unterhaltsam <strong>für</strong> Leser:innen<br />

ab zehn Jahren aufbereitet. Marc<br />

ter Horst schlägt in seinem Sachbuch<br />

zunächst einen Bogen in die<br />

Vergangenheit bis zur Entstehung<br />

der Erde, um die heutigen Herausforderungen verständlich<br />

zu machen. „Einst standen Palmen am Nordpol. Könnt<br />

ihr euch das vorstellen? … In ferner Zukunft wachsen ja<br />

vielleicht wieder welche dort“, heißt es in seiner Einleitung.<br />

Das Buch führt pointiert und humorvoll über den Urknall,<br />

Dinosaurier, Urkontinente und Megatiere sowie die Entdecker<br />

des Treibhauseffekts bis hin zu dem von Menschen<br />

gemachten Klimawandel und was man dagegen machen<br />

sollte und auch muss. Mit einem Abschiedsbrief an Kohle,<br />

Erdgas und Erdöl, der Vorstellung von sechs Energiequellen<br />

der Zukunft und klimafreundlicheren Methoden der Energieerzeugung<br />

sowie einem Resümee über das ständige Hin<br />

und Her in Sachen Klimawandel beschließt der Autor sein<br />

Klimabuch. Das witzige Klima-Bingo am Schluss des Buches<br />

regt an, Ereignisse anzukreuzen, sobald sie auftreten – z. B.<br />

„erstes Algenkraftwerk“.<br />

Und nicht zu<br />

vergessen: Dieses<br />

Buch ist klimafreundlich<br />

gedruckt!<br />

(ab 10 Jahren)<br />

Marc ter Horst (2020):<br />

Palmen am Nordpol<br />

Aus dem Niederländischen<br />

Gabriel Verlag<br />

184 Seiten, 19,00 €<br />

Der Klett-Kinderbuch-Verlag hat<br />

mit dem Sachbuch „Am Arsch der<br />

Welt und andere spannende Orte“,<br />

das u. a. mit dem JugendSachbuch-<br />

Preis 2022 ausgezeichnet worden<br />

ist, ein Buch vorgelegt, das Wichtiges<br />

aus Kindersicht vom Leben auf<br />

diesem Planeten mit seinen Wundern<br />

und Gegensätzen darstellt.<br />

Mit einem vielgestaltigen Blick auf<br />

unsere Welt haben Birk Grüling und Tine Schulz 25 Karten<br />

bzw. Schaubilder mit interessanten, auch lustigen Fakten<br />

aus der ganzen Welt zusammengetragen. Klischeearm<br />

und vielfältig wird das Leben der Menschen, vor allem<br />

auch der Kinder, dargestellt. Dieses großformatige Kartenbuch<br />

lädt zu einer ungewöhnlichen Weltreise ein mit<br />

Fragen wie z. B.: Wo auf der Welt ist es extrem kalt, extrem<br />

heiß, extrem nass, extrem trocken? Welche Länder trifft<br />

der Klimawandel am stärksten, welche am wenigsten?<br />

Welche wichtigen Kinderrechte gelten, welche Rechte<br />

haben Mädchen weltweit, welche Strafen <strong>für</strong> Kinder gibt<br />

es in anderen Ländern? Wo sind Kinder auf der Flucht?<br />

Was essen Kinder woanders zum Frühstück und was sind<br />

die verrücktesten Gesetze weltweit? Die kindgerechte<br />

Darstellung von ernsten Themen wie auch die skurrilen<br />

Informationen im Buch erklären Kindern Nachrichten aus<br />

aller Welt, die sie besser einordnen und verstehen können,<br />

und bietet einen<br />

wunderbaren Lesespaß.<br />

(ab 6 Jahren)<br />

Birk Grüling (2022):<br />

Am Arsch der Welt und<br />

andere spannende Orte<br />

Klett Kinderbuch<br />

64 Seiten, 20,00 €<br />

Warum fällt ein Grad beim Wetter kaum auf?<br />

Warum hat ein Grad aber <strong>für</strong> das Klima gravierende<br />

Auswirkungen? Das mit vielen Auszeichnungen<br />

versehene informative Sachbuch – u. a. Leipziger<br />

Lesekompass 2020, Gustav-Heinemann-Friedenspreis<br />

<strong>für</strong> Kinder- und Jugendbücher 2020 der Landesregierung<br />

NRW, Klimabuch im Dezember 2019<br />

der Deutschen Akademie <strong>für</strong> Kinder- und Jugendliteratur<br />

– geht diesen Fragen nach und erläutert in<br />

kurzen Texten und anschaulichen Infografiken die komplexen Zusammenhänge<br />

des Klimawandels. Kristina Scharmacher-Schreiber gelingt<br />

es, verständlich und präzise mit vielen Beispielen und hohem Alltagsbezug<br />

zu erklären, wie der Klimawandel entsteht. Auf jeweils einer Doppelseite<br />

werden eine Fülle von Themen vorgestellt, u. a. das Klima im<br />

Wandel der Zeit, der Treibhauseffekt, Globalisierung, Mülltrennung, Lebensmittelproduktion,<br />

Weltbevölkerung, der ökologische Fußabdruck.<br />

Um den eigentlichen Klimawandel und die damit verbundenen Zusammenhänge<br />

zu verstehen, werden auch wichtige wissenswerte Themen<br />

wie Wetter, Klima und Klimazonen angesprochen. Mit den pointiert<br />

gestalteten Illustrationen werden Diskurse in Sprechblasen um die<br />

jeweiligen Themen aufgegriffen, und auch Zweifler:innen und Verdränger:innen<br />

kommen so<br />

zu Wort – „gut, dass<br />

Kalifornien so weit<br />

weg ist“.<br />

(ab 7 Jahren)<br />

Kristina Scharmacher-Schreiber (2020):<br />

Wie viel wärmer ist 1 Grad?<br />

Beltz & Gelberg<br />

96 Seiten, 16,95 €<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

37


Aus Praxis: der <strong>Bildung</strong> Forschung <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Larissa Ade, Katharina Kindermann, Caroline Theurer, Sanna Pohlmann-Rother<br />

Die Reise der Kakaobohne<br />

Grundschulunterricht im Schnittfeld von BNE und Digitalisierung<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (BNE) ist ein fächerübergreifendes Konzept,<br />

das ökonomische, ökologische, soziale, kulturelle und politische <strong>Entwicklung</strong>sprozesse<br />

in unserer globalisierten Welt aufgreift. Wenngleich bislang zahlreiche<br />

Unterrichtsmaterialien <strong>für</strong> die Grundschule im Bereich BNE vorliegen,<br />

finden sich kaum Ansätze, in denen BNE und Digitalisierung miteinander verbunden<br />

werden.<br />

In der Uni-Klasse des Lehrstuhls <strong>für</strong><br />

Grundschulpädagogik und -didaktik<br />

der Universität Würzburg entwickeln<br />

und erproben Lehramtsstudierende<br />

der Grundschuldidaktik im Rahmen<br />

von Seminaren Unterricht im Schnittfeld<br />

von BNE und Digitalisierung. In<br />

diesem Beitrag wird die hier<strong>für</strong> genutzte<br />

Sequenz „Die Reise der Kakaobohne“<br />

vorgestellt und darauf aufbauend werden<br />

Chancen des Tablets zur Aktivierung<br />

der Schüler*innen im Rahmen der<br />

Sequenz beschrieben. Abschließend<br />

werden ausgewählte Ergebnisse der<br />

Seminarevaluation mit Blick auf den<br />

wahrgenommenen Kompetenzzuwachs<br />

der Studierenden (N = 40) im Bereich<br />

BNE referiert.<br />

BNE und Digitalität in der<br />

Lehrkräftebildung verbinden<br />

Aktuelle gesellschaftliche Wandlungsprozesse,<br />

z. B. Globalisierung, Digitalisierung<br />

oder verstärkte Bemühungen<br />

um Klima- und Umweltschutz, beeinflussen<br />

auch die Lebenswelt von Grundschulkindern.<br />

Umso mehr scheint es<br />

bedeutsam, dass die Grundschule –<br />

ihrem grundlegenden <strong>Bildung</strong>s- und<br />

Erziehungsauftrag folgend – diese Transformationen<br />

aufgreift, Grundschulkinder<br />

auf aktuelle, aber auch zukünftige<br />

gesellschaftliche Herausforderungen<br />

vorbereitet und ihnen Möglichkeiten<br />

der Orientierung in der Welt eröffnet<br />

(Irion/Peschel/Schmeinck 2023). <strong>Bildung</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

(BNE) als fächerübergreifendes Konzept<br />

kann mit ihren multiperspektivischen<br />

Ansätzen als Bindeglied zwischen den<br />

verschiedenartigen Wandlungsprozessen<br />

fungieren und „zur Entfaltung der<br />

Persönlichkeit der Schülerinnen und<br />

Schüler beitragen und sie dazu befähigen,<br />

sich mit sozialen, politischen, ökonomischen<br />

und ökologischen <strong>Entwicklung</strong>en<br />

auseinanderzusetzen.“ (Schmitt<br />

2019, 15).<br />

Um diese anspruchsvolle Zielsetzung<br />

in der Grundschule verfolgen zu können,<br />

werden tragfähige Unterrichtskonzepte<br />

benötigt, die Lerngelegenheiten<br />

eröffnen, ohne die Kinder durch die<br />

komplexen Wechselbeziehungen unserer<br />

globalisierten Welt zu überfordern.<br />

Eine Möglichkeit, die Anschaulichkeit<br />

von Lerninhalten im Unterricht zu erhöhen,<br />

wird in der Implementierung<br />

digitaler Medien in den Unterricht gesehen.<br />

So eröffnen sich z. B. durch audiovisuelle<br />

Medienangebote mit Tablets<br />

vielfältige Möglichkeiten zur Veranschaulichung<br />

von Inhalten und zur Aktivierung<br />

der Schüler*innen (Bastian/<br />

Kolb 2020). Eine Realisierung von Lerninhalten<br />

aus dem Bereich der BNE in<br />

digital gestützten Lehr-Lern-Szenarien<br />

kann entsprechend als zielführend angenommen<br />

werden, wenngleich bislang<br />

kaum unterrichtspraktische Vorschläge<br />

dazu vorliegen, wie qualitativ hochwertiger,<br />

digital gestützter Unterricht im Bereich<br />

BNE aussehen kann.<br />

An dieser Stelle setzt ein Seminar des<br />

Lehrstuhls <strong>für</strong> Grundschulpädagogik<br />

und Grundschuldidaktik der Universität<br />

Würzburg an, das seit dem Wintersemester<br />

2022/2023 in der Uni-Klasse<br />

durchgeführt wird. Bei der Uni-Klasse<br />

handelt es sich um einen Klassenraum<br />

an einer Kooperationsgrundschule, der<br />

mit Videotechnik ausgestattet ist, sodass<br />

das Geschehen im Klassenzimmer via<br />

Livestream in einen Nebenraum übertragen<br />

werden kann. Dort wird der Unterricht<br />

von Studierenden sowie Dozierenden<br />

gemeinsam beobachtet und reflektiert.<br />

Der Livestream aus vier Kameraperspektiven<br />

ermöglicht insbesondere<br />

die intensive Beobachtung von Schüler*innen-Arbeitsphasen,<br />

ohne dabei<br />

störend in die Interaktionen im Klassenraum<br />

einzugreifen (Ade/Pohlmann-Rother<br />

2021; Nitsche 2014). In einem aktuellen<br />

Seminarangebot planen angehende<br />

Grundschullehrkräfte eine Unterrichtssequenz<br />

zur Reise der Kakaobohne. In<br />

dieser Sequenz werden Lerninhalte aus<br />

dem Bereich BNE <strong>für</strong> einen tabletgestützten<br />

Unterricht in der 3. Jahrgangsstufe<br />

von den Lehramtsstudierenden<br />

entwickelt und anschließend in der Uni-<br />

Klasse unterrichtspraktisch erprobt.<br />

Unterrichtssequenz:<br />

„Die Reise der Kakaobohne“<br />

Mit BNE ist das Ziel verbunden, Kompetenzen<br />

bei Schüler*innen anzubahnen,<br />

die sie dazu befähigen, Handlungsspielräume<br />

in einer von Globalisierung<br />

geprägten Gesellschaft wahrzunehmen<br />

(Schmitt 2019). Entsprechend zielt auch<br />

die hier vorgestellte Sequenz darauf ab,<br />

den Schüler*innen einerseits Wissen zur<br />

Reise der Kakaobohne zu vermitteln, sie<br />

jedoch andererseits auch <strong>für</strong> Probleme<br />

in der Produktions- und Lieferkette zu<br />

sensibilisieren. Für die beschriebene<br />

Sequenz wurde das Thema exemplarisch<br />

<strong>für</strong> einen global gehandelten Rohstoff<br />

sowie wegen seiner großen Nähe<br />

zur Lebenswelt der Schüler*innen ausgewählt.<br />

In Anlehnung an Stoltenberg<br />

(2009) und das Ministerium <strong>für</strong> Schule<br />

und <strong>Bildung</strong> des Landes Nordrhein-<br />

Westfalen (2019) werden in der Sequenz<br />

die fünf Dimensionen <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong><br />

aufgegriffen: ökonomisch,<br />

ökologisch, sozial, kulturell und politisch<br />

(vgl. Abb. 1), wobei die einzelnen<br />

Unterrichtseinheiten ihre Schwerpunkte<br />

bewusst auf unterschiedliche Dimensionen<br />

setzen.<br />

Die Sequenz umfasst insgesamt sechs<br />

Unterrichtseinheiten (UE) à 90 Minu-<br />

38<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> Aus der <strong>Entwicklung</strong><br />

Forschung<br />

Abb. 1: Dimensionen <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong> (in Anlehnung an: Ministerium <strong>für</strong><br />

Schule und <strong>Bildung</strong> des Landes Nordrhein-Westfalen 2019, 18)<br />

ten (vgl. Abb. 2). Ausgehend von der<br />

Bedeutung des Rohstoffs im Alltag der<br />

Schüler*innen (UE 1) zielt die Sequenz<br />

darauf ab, Anbauregion sowie Anbaubedingungen<br />

zu veranschaulichen<br />

(UE 2 und UE 3), Transportwege nachzuvollziehen<br />

(UE 4), Ungerechtigkeiten<br />

aufzuzeigen (UE 5) sowie abschließend<br />

Ideen <strong>für</strong> Veränderungen zu entwickeln<br />

(UE 6). Sequenzbegleitend arbeiten die<br />

Schüler*innen in einem multimedialen<br />

E-Book am Tablet (BNE-Book).<br />

UE 1: Woraus besteht Schokolade?<br />

In der ersten Unterrichtseinheit liegt der<br />

Fokus auf der sozialen sowie der kulturellen<br />

Dimension des Rohstoffs Kakao.<br />

Den Schüler*innen wird die Bedeutung<br />

von Kakao in ihrem Alltag deutlich und<br />

sie erkennen, dass es sich um einen Rohstoff<br />

handelt, der insbesondere <strong>für</strong> Schokolade<br />

unverzichtbar ist.<br />

UE 2: Wo und wie wird Kakao angebaut?<br />

In der zweiten Unterrichtseinheit<br />

werden mit dem Anbau der Kakaopflanze<br />

die ökologische und die ökonomische<br />

Dimension thematisiert. Die<br />

Schüler*innen erfahren, welche klimatischen<br />

Bedingungen eine Kakaopflanze<br />

zum Wachsen braucht und lernen<br />

beispielhaft ein Anbauland von Kakao<br />

kennen. Ressourcenverbrauch sowie<br />

der monokulturelle Anbau in Plantagen<br />

werden thematisiert.<br />

UE 3: Welche Probleme gibt es<br />

beim Anbau von Kakao? In der dritten<br />

Unterrichtseinheit werden die ökonomische<br />

sowie die soziale Dimension<br />

<strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong> adressiert.<br />

Kinderarbeit als exemplarisches Problem<br />

beim Kakaoanbau wird mit den<br />

Schüler*innen altersgemäß besprochen<br />

und daraus resultierende Probleme und<br />

Ungerechtigkeiten werden aufgezeigt.<br />

UE 4: Wie kommt der Kakao zu uns<br />

nach Deutschland? In der vierten Unterrichtseinheit<br />

lernen die Schüler*innen<br />

die lange Reiseroute der Kakaobohne<br />

bis zu uns nach Deutschland kennen<br />

und erhalten einen Einblick in den hohen<br />

Ressourcenverbrauch auf diesem<br />

Weg. Damit wird das Thema unter der<br />

ökonomischen und der ökologischen<br />

Dimension betrachtet.<br />

UE 5: Wer verdient an Schokolade?<br />

In der fünften Unterrichtseinheit erfolgt<br />

ein Fokus auf die ökonomische sowie<br />

die soziale Dimension <strong>nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong>.<br />

Die Schüler*innen erkennen,<br />

dass die Gewinne aus einer Tafel Schokolade<br />

sehr ungleich zwischen den ein-<br />

Abb. 2: Unterrichtssequenz „Die Reise der Kakaobohne“<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

39


Aus Praxis: der <strong>Bildung</strong> Forschung <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

zelnen Akteur*innen der Produktionsund<br />

Lieferkette verteilt sind.<br />

UE 6: Was soll sich an der Reise der<br />

Kakaobohne ändern? Die Unterrichtssequenz<br />

endet mit der sozialen und der politischen<br />

Dimension des Themas Kakao.<br />

Die Schüler*innen entwickeln Ideen, wie<br />

die Gesellschaft als Ganzes ungerechte<br />

Arbeitsbedingungen sowie Ressourcenverteilungen<br />

verändern kann. Dabei wird<br />

die Verantwortung nicht vorrangig an ihr<br />

eigenes Konsumverhalten rückgebunden,<br />

vielmehr geht es darum aufzuzeigen, wer<br />

die Adressat*innen <strong>für</strong> notwendige Veränderungen<br />

sind (z. B. Politiker*innen).<br />

Aktivierung der Schüler*innen<br />

durch ein sequenzbegleitendes<br />

BNE-Book<br />

Inwiefern die Implementierung digitaler<br />

Medien in den Unterricht als lernförderlich<br />

angesehen werden kann, hängt<br />

weniger vom digitalen Medium selbst,<br />

sondern vielmehr von der Art und Weise<br />

seines Einsatzes ab. Stegmann (2020)<br />

unterscheidet in Anlehnung an die ICAP-<br />

Taxonomie (Chi 2009) zwischen interaktivem,<br />

konstruktivem, aktivem und passivem<br />

Einsatz digitaler Medien, wobei dem<br />

passiven Einsatz das geringste und dem<br />

interaktiven Einsatz das größte Potenzial<br />

zugesprochen wird.<br />

Nachfolgend werden exemplarische<br />

Einsatzmöglichkeiten des Tablets in der<br />

Unterrichtssequenz zur Reise der Kakaobohne<br />

entlang der ICAP-Taxonomie<br />

vorgestellt. Alle Aufgaben rund um<br />

das BNE-Thema werden von den Schüler*innen<br />

in einem sequenzbegleitenden<br />

multimedialen E-Book bearbeitet,<br />

das im Rahmen des Seminarkonzepts als<br />

BNE-Book bezeichnet wird. Das BNE-<br />

Book wird mit der App Book Creator<br />

(Tools for Schools Limited 2011) gestaltet.<br />

Die einzelnen Aufgabenformate<br />

werden im jeweiligen Seminardurchgang<br />

von den Studierenden in Kleingruppen<br />

entwickelt und unterrichtspraktisch in<br />

der Uni-Klasse erprobt.<br />

Passiver Einsatz: An mehreren Stellen<br />

in der Sequenz betrachten die Schüler*innen<br />

ein Erklärvideo oder lesen einen Text<br />

am Tablet. So sehen sich die Kinder beispielsweise<br />

in der UE 5 ein Video an, in<br />

dem der Gewinn der verschiedenen Akteur*innen<br />

an einer Tafel Schokolade aufgezeigt<br />

wird. Der passive Einsatz dient an<br />

diesen Stellen der Visualisierung und der<br />

Erklärung komplexer Sachverhalte. Er ist<br />

die Grundlage <strong>für</strong> einen aktiven, konstruktiven<br />

oder interaktiven Einsatz im<br />

weiteren Stundenverlauf.<br />

Aktiver Einsatz: Wenn die Schüler*innen<br />

selbst etwas in ihrem BNE-Book gestalten,<br />

um zuvor Gelerntes festzuhalten,<br />

kann von einem aktiven Einsatz gesprochen<br />

werden. So halten die Schüler*innen<br />

beispielsweise in der UE 2 die Begriffe der<br />

einzelnen Bestandteile der Kakaofrucht<br />

in ihrem BNE-Book fest, indem sie ein<br />

Foto der Frucht beschriften. Dabei generieren<br />

sie keine neuen Ideen, reproduzieren<br />

das Gelernte jedoch aktiv.<br />

Konstruktiver und interaktiver Einsatz:<br />

In fast allen Stunden finden sich<br />

Elemente eines konstruktiven Einsatzes<br />

des Tablets. In den Unterrichtseinheiten 3<br />

bis 6 sind die Lernenden gefordert, eigene<br />

Ideen auditiv oder audiovisuell im BNE-<br />

Book festzuhalten. Am deutlichsten wird<br />

der konstruktive Einsatz in der UE 6, in<br />

der die Schüler*innen eigene Ideen <strong>für</strong><br />

die künftige Reise der Kakaobohne entwickeln<br />

und diese in einem Videostatement<br />

aufnehmen. Die Schüler*innen arbeiten<br />

in der Sequenz durchgehend in Partnerarbeit<br />

an ihren BNE-Books, wobei die Interaktion<br />

zwischen den Schüler*innen je<br />

nach Unterrichtseinheit mehr oder weniger<br />

bedeutsam ist. Besondere Bedeutung<br />

erlangt die Interaktion miteinander am<br />

Tablet beim Aufnehmen eines eigenen<br />

Erklärvideos in UE 4, in dem die Schüler*innen<br />

die Reise der Kakaobohne von<br />

ihrem Anbaugebiet bis zu uns in die Supermärkte<br />

auf einer Weltkarte zeigen und<br />

verbalisieren.<br />

Abb. 3: Exemplarische Antworten der Studierenden zur Frage der Umsetzung von Themen aus dem Bereich BNE in ihrem<br />

späteren Unterricht<br />

40<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> Aus der <strong>Entwicklung</strong><br />

Forschung<br />

von links nach rechts:<br />

Larissa Ade, Lehrbeauftragte am Lehrstuhl <strong>für</strong> Grundschulpädagogik und -didaktik<br />

der Julius-Maximilian-Universität Würzburg<br />

Dr. Katharina Kindermann, Akad. Rätin am Lehrstuhl <strong>für</strong> Grundschulpädagogik<br />

und -didaktik der Julius-Maximilian-Universität Würzburg<br />

Dr. Caroline Theurer, Akad. Forschungsrätin am Lehrstuhl <strong>für</strong> Grundschulpädagogik<br />

und -didaktik der Julius-Maximilian-Universität Würzburg<br />

Prof. Dr. Sanna Pohlmann-Rother, Lehrstuhl <strong>für</strong> Grundschulpädagogik und<br />

-didaktik der Julius-Maximilian-Universität Würzburg<br />

Wissenschaftliche Begleitung<br />

des Seminarkonzepts<br />

Das Seminarkonzept in der Uni-Klasse<br />

wird wissenschaftlich begleitet. Ziel ist<br />

es, die Lernförderlichkeit des Seminarangebots<br />

<strong>für</strong> die Studierenden zu evaluieren.<br />

Dazu reflektieren die angehenden<br />

Lehrkräfte, angeleitet durch Impulsfragen,<br />

schriftlich ihren Arbeits- und Lernprozess.<br />

Die Impulsfragen greifen sowohl<br />

BNE als auch tabletgestützten Unterricht<br />

auf und sind am Modell des Fortbildungserfolgs<br />

nach Kirkpatrick (1998)<br />

orientiert, das den Erfolg eines Lernangebots<br />

auf vier Ebenen abbildet. Die dritte<br />

Ebene zielt auf die Einschätzung der<br />

Befragten zu einer Veränderung ihres<br />

späteren Arbeitsverhaltens ab. Im Folgenden<br />

werden ausgewählte Ergebnisse referiert,<br />

in denen die befragten Lehramtsstudierenden<br />

dazu Stellung beziehen, ob sie<br />

Themen rund um BNE in ihrem späteren<br />

Unterricht realisieren möchten.<br />

Aktuell liegen die Daten von N = 40<br />

Studierenden der Grundschuldidaktik<br />

vor. Die befragten Seminarteilnehmer*innen<br />

(37 weiblich, 3 männlich) sind<br />

durchschnittlich knapp 22,5 Jahre alt und<br />

studieren im dritten bis achten Fachsemester.<br />

Die Reflexionen wurden inhaltsanalytisch<br />

ausgewertet. Bei der Frage der<br />

zukünftigen Umsetzung von Themen aus<br />

dem Bereich BNE im eigenen Unterricht<br />

zeigen die Studierenden eine große Zustimmung.<br />

Als Begründung führen die<br />

angehenden Lehrkräfte besonders häufig<br />

die Gegenwarts- und die Zukunftsbedeutung<br />

von BNE <strong>für</strong> das Leben von Kindern<br />

im Grundschulalter an, ein ebenfalls<br />

häufig genannter Grund <strong>für</strong> eine spätere<br />

unterrichtliche Umsetzung ist das Ziel,<br />

eine <strong>nachhaltige</strong> Haltung bei den Schüler*innen<br />

zu entwickeln. Die Studierenden<br />

nehmen also die Bedeutung des Themas<br />

<strong>für</strong> ihre (zukünftigen) Schüler*innen<br />

wahr und möchten sie beim Aufbau von<br />

Kompetenzen in diesem Bereich unterstützen.<br />

Neben dieser individuellen Wertbeimessung<br />

von BNE lassen sich zudem<br />

zahlreiche Äußerungen finden, in denen<br />

die Studierenden beschreiben, dass sie<br />

durch die Teilnahme am Seminar ein ausgeprägteres<br />

Zutrauen haben, sich also fähig<br />

im Umgang mit BNE-Themen fühlen,<br />

und deswegen BNE aufgrund des Zutrauens<br />

in ihre eigenen Fähigkeiten tatsächlich<br />

im zukünftigen Unterricht integrieren<br />

möchten. Abbildung 3 visualisiert<br />

dies exemplarisch.<br />

Anmerkung<br />

Das in diesem Beitrag vorgestellte Seminarkonzept<br />

wird gefördert von „WueDive – Digitale<br />

Innovationen in der Lehre“, einem Projekt der<br />

Julius-Maximilians-Universität Würzburg.<br />

Literatur<br />

Ade, L./Pohlmann-Rother, S. (2021): Lehramtsstudierende<br />

gestalten Erklärvideos <strong>für</strong><br />

Grundschulkinder. In: Ludwigsburger<br />

Beiträge zur Medienpädagogik, H. 21, 1–12.<br />

https://doi.org/10.21.240/lbzm/21/24 (Aufruf<br />

am 01.02.2024).<br />

Bastian, J./Kolb, C. I. (2020): Tablets in Schule<br />

und Unterricht. Anforderungen an den<br />

Kompetenzerwerb von Lehrkräften und<br />

Konsequenzen <strong>für</strong> die Lehrerbildung. In:<br />

Rothland, M. u. a. (Hrsg.): Digital?! Perspektiven<br />

der Digitalisierung <strong>für</strong> den Lehrerberuf<br />

und die Lehrerbildung. Münster: Waxmann,<br />

127–142.<br />

Chi, M. T. H. (2009): Active-constructive-interactive:<br />

a conceptual framework for<br />

differentiating learning activities. In: Topics<br />

in cognitive science, 1. Jg., H. 1, 73–105.<br />

https://doi.<br />

org/10.1111/j.1756-8765.2008.01.005.x<br />

(Aufruf am 01.02.2024).<br />

Irion, T./Peschel, M./Schmeinck, D. (2023):<br />

Grundlegende <strong>Bildung</strong> in der Digitalität. Was<br />

müssen Kinder heute angesichts des digitalen<br />

Wandels lernen? In: Irion, T. u. a. (Hrsg.):<br />

Grundschule und Digitalität. Grundlagen,<br />

Herausforderungen, Praxisbeispiele. Frankfurt<br />

am Main: Grundschulverband, 18–42.<br />

Kirkpatrick, D. L. (1998): The Four Levels of<br />

Evaluation. In: Brown, S. M. u. a. (Hrsg.):<br />

Evaluating Corporate Training: Models and<br />

Issues. Evaluation in Education and Human<br />

Services, Band 46, Dodrecht: Springer,<br />

95–112. https://doi.org/10.1007/978-94-011-<br />

4850-4_5 (Aufruf am 01.02.2024).<br />

Ministerium <strong>für</strong> Schule und <strong>Bildung</strong> des<br />

Landes Nordrhein-Westfalen (2019): Leitlinien<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong>.<br />

https://www.schulministerium.nrw/sites/<br />

default/files/documents/Leitlinie_BNE.pdf<br />

(Aufruf am 01.02.2024).<br />

Nitsche, K. (2014): UNI-Klassen – Reflexion<br />

und Feedback über Unterricht in Videolabors<br />

an Schulen. Dissertation, LMU München:<br />

Fakultät <strong>für</strong> Psychologie und Pädagogik.<br />

Schmitt, R. (2019): Der Orientierungsrahmen<br />

<strong>für</strong> den Lernbereich globale <strong>Entwicklung</strong>. In:<br />

Schmitt, R. (Hrsg.): <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>. Eine Aufgabe <strong>für</strong> alle Fächer<br />

und Lernbereiche, Band 147. Frankfurt am<br />

Main: Grundschulverband e. V., 13–21.<br />

Stegmann, K. (2020): Effekte digitalen Lernens<br />

auf den Wissens- und Kompetenzerwerb in<br />

der Schule. Eine Integration metaanalytischer<br />

Befunde. In: Zeitschrift <strong>für</strong> Pädagogik, 66. Jg.,<br />

H. 2, 174-190. https://doi.<br />

org/10.25.656/01:25.790 (Aufruf am<br />

01.02.2024).<br />

Stoltenberg, U. (2009): Mensch und Wald.<br />

Theorie und Praxis einer <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> eine<br />

<strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> am Beispiel des<br />

Themenfelds Wald. München: ökom.<br />

Tools for Schools Limited (2011). Book Creator<br />

for iPad (5.5.3) [App]. https://apps.apple.com/<br />

de/app/book-creator-for-ipad/id442378.070<br />

(Aufruf am 01.02.2024).<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

41


Praxis: Rundschau <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Aus dem Vorstand: Erfolgreiche und Mut machende Frühjahrstagung<br />

KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT! 2.0 –<br />

Herausforderungen und Perspektiven<br />

Mit circa 150 Teilnehmer:innen<br />

waren 15 Bundesländer am<br />

2. März 2024 auf der Frühjahrstagung<br />

an der Grundschule Pestalozzi<br />

in Weimar aktiv vertreten und<br />

haben ein großes Interesse am Thema<br />

der Tagung und an der gemeinsamen<br />

Gestaltung einer zukunftsfähigen<br />

Grundschule <strong>für</strong> alle Kinder gezeigt.<br />

Damit konnten wir eine Tradition des<br />

Grundschulverbandes – die einer bundesweit<br />

ausgerichteten jährlichen Tagung<br />

– wiederaufleben lassen, die pandemiebedingt<br />

seit dem Bundesgrundschulkongress<br />

nahezu brachlag. Nach der letzten<br />

Novembertagung 2018 in Kassel wurde<br />

diese nun allerdings nicht als Herbst-,<br />

sondern als Frühjahrstagung durchgeführt<br />

– erstmalig auch in Kooperation des<br />

Bundesvorstandes mit einer Landesgruppe,<br />

der Landesgruppe Thüringen.<br />

Zentral: anknüpfen an die<br />

Ergebnisse des<br />

Bundesgrundschulkongresses 2019<br />

Im Vorfeld der Frühjahrstagung haben<br />

sich unsere Planungsüberlegungen an<br />

den Diskussionen und den Ergebnissen<br />

des Bundesgrundschulkongresses orientiert.<br />

Seit dem Bundesgrundschulkongress<br />

„Kinder.Lernen.Zukunft“ im Jahr<br />

2019 hat sich in unserer Gesellschaft<br />

und in den Grundschulen viel getan.<br />

Antworten der Kinder auf die Frage<br />

„Wie stellst du dir Schule in Zukunft vor?“<br />

… dass man mit Freunden selbstständig<br />

arbeiten kann und in seinem Tempo.<br />

... dass man sich selbst aussuchen<br />

kann, wo man arbeitet.<br />

... dass man nach der vierten Klasse<br />

nicht die Schule wechseln muss!!!!!<br />

... dass mehr mit Technik<br />

gearbeitet wird, aber auch<br />

noch auf Papier geschrieben<br />

werden kann.<br />

..., dass man frei<br />

arbeiten kann.<br />

..., dass man sehr schöne<br />

Materialien im Unterricht<br />

zur Auswahl hat.<br />

... dass Kinder so viel lesen können,<br />

wie sie wollen, wenn sie in<br />

der ersten Klasse schon lesen<br />

können.<br />

In den vergangenen fünf Jahren haben<br />

sich vielfältige neue Herausforderungen<br />

und Perspektiven <strong>für</strong> das Lehren,<br />

Lernen und Leben in<br />

der Grundschule ergeben.<br />

Anliegen sollte<br />

sein, mit Fachleuten<br />

aus <strong>Bildung</strong>spolitik,<br />

Wissenschaft und<br />

Praxis ins Gespräch<br />

zu kommen, miteinander<br />

über Herausforderungen,<br />

Perspektiven<br />

und Visionen zu<br />

diskutieren, Erfahrungen<br />

und innovative Praxiskonzepte<br />

auszutauschen und sich mit Kolleg:innen<br />

aus ganz Deutschland zu vernetzen:<br />

● Vor welchen Herausforderungen<br />

steht die Grundschule im Jahr 2024?<br />

● Welche Visionen können wir gemeinsam<br />

<strong>für</strong> die Grundschule der<br />

Zukunft entwickeln?<br />

● Welche Lösungsansätze haben sich<br />

bewährt?<br />

Diese und andere Fragen wurden einleitend<br />

in einem Interview aufgegriffen.<br />

Maresi Lassek, ehemalige Vorsitzende<br />

des Bundesvorstandes und Vorstandsmitglied<br />

der Landesgruppe Bremen,<br />

Edgar Bohn, Vorsitzender des Bundesvorstandes,<br />

und Konstanze von Unold,<br />

Delegierte der Landesgruppe Bayern,<br />

stellten sich den Fragen von Marion<br />

Gutzmann, stellvertretende Vorsitzende<br />

des Bundesvorstandes,<br />

und erörterten Herausforderungen<br />

und Perspektiven<br />

der Grundschule<br />

aktuell und in Zukunft,<br />

angelehnt an<br />

die sechs Anforderungen<br />

an eine zukunftsfähige<br />

Grundschule,<br />

die auf dem<br />

2.0<br />

Bundesgrundschulkongress<br />

2019 verabschiedet<br />

worden sind.<br />

Mit der Tagung sollte auch<br />

eine besondere Anerkennung und Wertschätzung<br />

der Arbeit in den Grundschulen<br />

des Landes entgegengebracht werden.<br />

Dies war insbesondere auch im<br />

Grußwort des Oberbürgermeisters der<br />

Stadt Weimar, Peter Kleine, und in den<br />

Abschlussworten von Christina Köhler,<br />

Referentin und stellvertretende Referatsleiterin<br />

im Thüringer Ministerium<br />

<strong>für</strong> <strong>Bildung</strong>, Jugend und Sport, spürbar.<br />

Auch der gewählte Tagungsort unterstrich<br />

wesentlich die Ausstrahlung der geleisteten<br />

Arbeit an dieser Schule, stellvertretend<br />

<strong>für</strong> die Vielzahl aller Grundschulen,<br />

die auch in der Öffnung nach außen<br />

als ein bedeutsamer Ort in der Kommune<br />

selbst, aber auch deutschlandweit erlebbar<br />

wurde. Der Schulleiterin Jana Ketschau,<br />

ihrem Kollegium und der Elternschaft<br />

gilt unser großes Dankeschön, insbesondere<br />

dem Team, das im Vorfeld der<br />

Tagung die organisatorischen Fragen geklärt<br />

hatte und am Freitag und Samstag<br />

<strong>für</strong> alle Aktiven der Tagung und alle Teilnehmer:innen<br />

vor Ort war, alles bestens<br />

vorbereitet hatte und eine Rundumversorgung<br />

über den ganzen Tag, sogar mit<br />

Thüringer Spezialitäten, vornahm.<br />

Das war uns wichtig: die Kinder zu<br />

Wort kommen lassen<br />

Nach der Begrüßung durch den Oberbürgermeister<br />

der Stadt Weimar und die<br />

Schulleiterin kamen zuerst die Kinder zu<br />

Wort. Antje Klecha, Mitglied des Vorstandes<br />

der Landesgruppe Thüringen, die an<br />

42<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Rundschau<br />

Rundschau<br />

der freien Aktiv-Schule Erfurt, einer Montessori-Gemeinschaftsschule,<br />

tätig ist, hatte<br />

mit ihren Schüler:innen einen Fragenblock<br />

vorbereitet, in dem die Kinder den<br />

Blick auf ihre Schule und eine Schule der<br />

Zukunft gerichtet hatten. In einem äußerst<br />

wirkungsvollen Filmbeitrag, den Elias, ein<br />

Oberstufenschüler, erstellt hatte, kamen<br />

die Kinder der Schule eindrucksvoll zu<br />

Wort. Die beiden Grundschülerinnen<br />

Ida und Mathilde, die live vor Ort waren,<br />

brachten ihre Meinungen und Wünsche<br />

persönlich zu Gehör. Im Nachhinein<br />

berichteten sie, wie bedeutsam es <strong>für</strong> sie<br />

war, vor solch einem Publikum gesprochen<br />

zu haben.<br />

Inhaltliche Schwerpunkte<br />

der Tagung im Überblick<br />

Die Vielzahl der wertvollen „Echt-<br />

Begegnungen“ mit Pädagog:innen aus<br />

Schulpraxis, Aus-, Fort- und Weiterbil-<br />

dung sowie Wissenschaft und der Austausch<br />

zu fachlichen, fachdidaktischen<br />

und bildungspolitischen Fragen sowie<br />

aktuell bedeutsamen Themen waren<br />

in beeindruckender Weise inspirierend<br />

und boten vielfältige Impulse <strong>für</strong><br />

die Weiterarbeit an den Grundschulen.<br />

Die spürbar positive Stimmung und die<br />

Vielzahl der bereichernden Gespräche<br />

konnten wir alle mit nach Hause nehmen.<br />

Was erwartete die Teilnehmenden nun ganz konkret?<br />

Hier finden Sie eine Zusammenschau aller Beiträge im Überblick.<br />

Einführungsvortrag: Imagine if –<br />

wenn Grundschule Zukunft gestaltet<br />

Dr. Michael Kirch, Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München<br />

In der <strong>Bildung</strong>slandschaft Deutschlands<br />

tut sich derzeit einiges.<br />

Der Bundesgrundschulkongress<br />

2019, einschließlich der Rede des<br />

Bundespräsidenten Steinmeier,<br />

hatte dies zum Ausdruck gebracht. Eine von vielen<br />

Initiativen ist das Bemühen der Stadt München, eine<br />

Modellschule ins Leben zu rufen, die im Vortrag vorgestellt<br />

wurde. Diese Schule nimmt den Titel des<br />

Kongresses KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT ernst,<br />

stellt sich den Herausforderungen und leitet aus den<br />

Perspektiven konkrete Konzeptionen und Maßnahmen<br />

ab.<br />

LernWelten: Horster Modell im Fokus –<br />

Lernraumkultur, Individualisierung und<br />

Schulbauarchitektur<br />

Aenne Thurau,<br />

Grundschule Op de Host<br />

An der Grundschule Op de Host<br />

entwickelte sich ab 2006 das<br />

Horster Modell, ein heute jahrgangsübergreifendes<br />

Unterrichtsmodell<br />

(1–4), das auf Individualisierung<br />

basiert. Ein Grundpfeiler dieses Modells<br />

war die Umgestaltung der herkömmlichen Klassenräume<br />

zu Lernräumen. 2011 beeinflussten die Lernräume<br />

und das Unterrichtskonzept das neue Schulgebäude<br />

entscheidend mit und es entstand ein<br />

Schulneubau, der bis heute noch beispielhaft ist. Im<br />

Workshop sollte von diesem <strong>Entwicklung</strong>sprozess<br />

und den damit zusammenhängenden Erkenntnissen<br />

berichtet werden und in der anschließenden<br />

Diskussionsrunde zum Loslegen oder zum Nachahmen<br />

eingeladen werden.<br />

Nun sitze ich auch im Zug, zurück von diesem<br />

inspirierenden Wochenende. Wir waren gestern Abend<br />

alle der Meinung: Besser hätte die Tagung nicht<br />

verlaufen können. Auch auf Social Media überschlagen<br />

sich die Komplimente.<br />

Svenja<br />

Mehr Mitbestimmung <strong>für</strong> Kinder in der Grundschule!<br />

Aber wie?<br />

Prof. Dr. Sabine Martschinke,<br />

Universität Erlangen-Nürnberg,<br />

Fachreferentin GSV<br />

Der Anspruch auf (mehr) Mitbestimmung<br />

im Unterricht und im Schulleben als Basis<br />

<strong>für</strong> Demokratielernen ist nicht nur in der UN-<br />

Kinderrechtskonvention verankert (Art. 12<br />

der UN-KRK), sondern zeichnet sich auch in Befragungen wichtiger<br />

Akteure, insbesondere bei Kindern, deutlich ab. Der Vortrag<br />

mit Workshopanteilen wollte einen Anstoß geben, das<br />

Handlungsspektrum <strong>für</strong> Mitbestimmung als Ziel und Methode<br />

zu erweitern, die vorgestellten Beispiele in der eigenen Praxis<br />

umzusetzen und damit Kindern schon in der Grundschule<br />

mehr und „gute“ Mitbestimmungsmöglichkeiten zu eröffnen.<br />

Mathematische Basisfähigkeiten in heterogenen<br />

Gruppen entwickeln – rechnen lernen<br />

Gabriele Klenk, Bundesvorstand GSV<br />

In konkreten Lernumgebungen wurde aufgezeigt<br />

und erfahren, wie mathematisches<br />

Lernen beziehungsreich und verstehensorientiert<br />

geplant und Lernaufgaben kooperativ<br />

und kommunikativ gestaltet sein<br />

können. Im Mittelpunkt standen dabei die<br />

Teile-Ganzes-Beziehung von Mengen sowie Zahlen zueinander.<br />

Diese Kernideen bilden die Grundlage <strong>für</strong> Operationen.<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

43


Praxis: Rundschau <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Mit dem FREI DAY Partizipation, Wirksamkeit<br />

und Sinn erfahren<br />

Margret Rasfeld,<br />

Schule im Aufbruch<br />

Die Gestaltung einer zukunftsfähigen<br />

Gesellschaft braucht mutige<br />

Bürger:innen, die es gewohnt<br />

sind, lösungsorientiert zu denken<br />

und Verantwortung zu übernehmen:<br />

<strong>für</strong> sich selbst, <strong>für</strong> ihre Mitmenschen, <strong>für</strong><br />

unseren Planeten. Das bedeutet eine Neuausrichtung<br />

der Schule zu einem Ort der Herzensbildung<br />

und der Resilienzförderung. Margret Rasfeld zeigte<br />

anhand des Lernformates FREI DAY, wie Erfahrungen<br />

von Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit Voraussetzungen<br />

schaffen, um in Zeiten wachsender<br />

Unsicherheiten souverän und verantwortungsvoll<br />

handeln zu können. Vier Stunden pro Woche <strong>für</strong><br />

Zukunftsfragen, eigene Projekte und gesellschaftliche<br />

Verantwortung.<br />

Social Media im Grundschulalter –<br />

zwischen Verbot und Kompetenzerwerb<br />

Schrift im digitalen Zeitalter<br />

Maxi Brautmeier-Ulrich,<br />

Grundschule Paderborn,<br />

Anna Fruhen-Witzke,<br />

Projektgruppe Grundschrift<br />

Prof. Dr. Thomas Irion, PH Schwäbisch Gmünd,<br />

Bundesvorstand GSV<br />

Das tägliche Leben der Kinder ist nicht nur von<br />

technischen Geräten geprägt. Zunehmend nutzen<br />

schon Kinder im Vorschulalter und im Grundschulalter<br />

auch digitale Videoplattformen und Social<br />

Media. In diesem Workshop beschäftigten wir<br />

uns mit Chancen und Gefahren dieser Angebote <strong>für</strong> das Aufwachsen<br />

von Kindern im Grundschulalter. Dabei erörterten wir, welche Maßnahmen<br />

des Kindermedienschutzes sinnvoll sind und was Kinder in<br />

der Grundschule lernen können, damit sie in einer von Social Media<br />

geprägten Welt selbstbestimmt aufwachsen können.<br />

Schrift und das Erlernen einer<br />

persönlichen Handschrift bleiben<br />

auch in der digitalen Zeit<br />

eine der wichtigsten Aufgaben der Grundschule. Die <strong>Entwicklung</strong><br />

der Handschrift ist dabei Thema in allen Grundschuljahren. In diesem<br />

Workshop wurden die Bedeutung der Handschrift im digitalen<br />

Zeitalter, das Erlernen der Buchstaben mit Bewegungsgruppen<br />

und Beispiele <strong>für</strong> Schriftaufgaben zur Weiterentwicklung der<br />

Handschrift thematisiert.<br />

Zunächst einmal großen und herzlichen Dank<br />

<strong>für</strong> die fantastisch vorbereitete und durchgeführte<br />

Tagung. Sowohl das Programm als auch die<br />

Auswahl und die Ausgestaltung der einzelnen Angebote<br />

haben uns den nötigen Schwung und viele<br />

Impulse gebracht. Es hat sich gelohnt und das<br />

Zusammenkommen als Grundschulverband war<br />

wunderbar.<br />

Judith und Andreas<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

(BNE) – Zauberformel oder Zumutung?<br />

Prof. Dr. Meike Wulfmeyer,<br />

Universität Bremen,<br />

Ulrike Oltmanns, Projekt<br />

„Eine Welt in der Schule“<br />

Mit einer Einführung in<br />

Grundlagen von und Ansprüche<br />

an BNE sowie anhand<br />

konkreter Materialien<br />

wurden gemeinsam<br />

Anregungen und Impulse<br />

<strong>für</strong> die Umsetzung in der<br />

Praxis entwickelt.<br />

Potenziale des Jahrgangsübergreifenden<br />

Lernens in einer<br />

zukunftsfähigen Grundschule<br />

Eva-Maria Osterhues-Bruns,<br />

Fachreferentin GSV<br />

Ist das Lernen in altershomogenen<br />

Lerngruppen<br />

tatsächlich vorteilhaft <strong>für</strong><br />

die Kinder oder bietet<br />

nicht das jahrgangsübergreifende<br />

Lernen zahlreiche Potenziale, der<br />

immer größer werdenden Heterogenität<br />

der Schülerinnen und Schüler und ihrem<br />

Umgang mit möglichen zukünftigen Herausforderungen<br />

gerechter zu werden? Das<br />

Lernen von- und miteinander von Klein und<br />

Groß erfordert allerdings Lernsettings, die<br />

den Austausch untereinander, gleichzeitig<br />

aber auch das Lernen im individuellen<br />

Tempo des einzelnen Kindes ermöglichen.<br />

In diesem Workshop wurden in einer Theorie-Praxis-Verzahnung<br />

Möglichkeiten des<br />

individuellen Lernens in der Gemeinschaft<br />

vorgestellt und diskutiert.<br />

44<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Rundschau<br />

Rundschau<br />

Schularchitektur und Lernraumkultur<br />

Andrea Karlsberg, Malte Cunis,<br />

Reformschule Winterhude<br />

Gemeinsam haben wir<br />

überlegt, wie sich Lernkultur<br />

verändert hat und<br />

weiter verändern wird und<br />

welche Auswirkungen das<br />

auf die Gestaltung von<br />

Räumen hat. Wir trugen<br />

Ideen zusammen und berichteten<br />

aus unserer Praxis.<br />

Unter anderem ging<br />

es darum, welche Grundsätze<br />

beim Gestalten von<br />

Lernräumen beachtet<br />

werden sollen.<br />

Inklusion? – Ach ja, das mit dem Rollstuhl!<br />

Dr. Gerald Klenk, Lernwirkstatt Inklusion<br />

Der Workshop verdeutlichte, wie vor dem Hintergrund<br />

der UN-Behindertenrechtskonvention Inklusion<br />

zu verstehen ist. Der Begriff reicht tief in<br />

das Selbstverständnis unserer demokratischen<br />

Gesellschaft und beschreibt v. a. auch eine Haltung.<br />

Dazu wurden einige Denkanstöße gegeben,<br />

die uns ins Gespräch brachten.<br />

Ganz erfüllt bin ich am Sonntagabend aus Weimar nach<br />

Hause gekommen. Was war das <strong>für</strong> eine anregende Tagung,<br />

was <strong>für</strong> ein intensiver und guter Austausch mit vielen tollen<br />

Menschen in der Pestalozzischule und im Hotel. Wie schön,<br />

dass ich dabei sein durfte und dazu noch etwas von uns<br />

und unserer Arbeit in Horst erzählen konnte.<br />

Aenne<br />

Save Earth! – Digitale Tools im Kontext<br />

von Klimawandel nutzen<br />

Johannes Wolz,<br />

Carl-Küstner-Grundschule<br />

Wie können wir den Herausforderungen<br />

des Klimawandels<br />

und der allgegenwärtigen<br />

Klimakrise begegnen?<br />

In diesem Workshop<br />

lernten wir, ausgewählte digitale Tools<br />

wie u. a. „Potz Blitz! – Meine Stromwerkstatt“<br />

oder das interaktive PDF „Klimawandel verstehen“<br />

von Pindactica gezielt einzusetzen,<br />

um Kinder auf spielerische Weise <strong>für</strong> den<br />

Schutz unseres Planeten zu begeistern.<br />

Gute Texte schreiben lernen – in der Schreibzeit<br />

Dr. Beate Leßmann, IQSH Kiel<br />

Schreiben wird <strong>für</strong> Kinder dann als großer Gewinn<br />

erlebbar, wenn sie erfahren, dass sie durch<br />

Schreiben Eigenes ausdrücken und mit anderen<br />

darüber kommunizieren können. Schreiben soll<br />

als sinnstiftend und selbstwirksam erlebt werden.<br />

Das Unterrichtssetting der Schreibzeit verfolgt genau<br />

dieses Ziel, denn hier werden Texte <strong>für</strong> echte Leserinnen und Leser<br />

verfasst. Wie Kinder durch Gespräche über ihre eigenen Texte – in<br />

Autorenrunden – zudem lernen, „gute“ Texte zu schreiben, konnte in<br />

diesem Workshop erfahren werden. Dokumente und Filmspots aus<br />

dem Unterricht gaben konkrete Einblicke.<br />

Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Schule<br />

Agnieszka von Prondzinski,<br />

Landesvorstand GSV Berlin<br />

Mehrsprachigkeit ist ein großer Schatz und eine<br />

wichtige Ressource, um an der global vernetzten<br />

Welt teilzuhaben. Wie können wir die Mehrsprachigkeit<br />

von Kindern in der Schule fördern und was<br />

sollten wir dazu wissen? Wie wirkt sich das auf die<br />

Sprachkompetenz der Schüler/-innen, insbesondere auch auf das Erlernen<br />

der deutschen <strong>Bildung</strong>ssprache aus? Ein professioneller Umgang<br />

mit sprachlicher Heterogenität eröffnet Handlungsräume <strong>für</strong> die<br />

Lernsituationen und die Schule. Im Workshop beschäftitgten wir uns<br />

mit dem Grundlagenwissen des mehrsprachigen Spracherwerbs, mit<br />

konstruktiven Methoden, Familiensprachen der Lernenden in Schulleben<br />

und Unterricht einzubinden, und mit sprachförderlichen Maßnahmen<br />

beim Erwerb der Zweitsprache.<br />

Ja, ich bin gut nach Hause gekommen,<br />

wenn auch mit erheblicher<br />

Verspätung (statt 22:30 Uhr 0:30 Uhr).<br />

Allerdings: beglückt (und bin’s immer<br />

noch) von einer rundum gelungenen<br />

und Mut machenden Tagung.<br />

Dass dies so war, lag an einem<br />

unterstützenden Tagungsort und vor<br />

allem an einem durchgängig durchdachten<br />

anregenden Programm.<br />

Dem Vorbereitungsteam gilt ein<br />

großes und ganz ganz dickes Dankeschön<br />

da<strong>für</strong>.<br />

Edgar<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

45


Praxis: Rundschau <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Ein großes Dankeschön gilt allen Aktiven!<br />

Dazu gehören auch Prof. Dr. Eva Franz,<br />

Mitglied des Bundesvorstandes, Svenja<br />

Telle, Delegierte der Landesgruppe<br />

Niedersachsen, und Prof. Dr. Hans<br />

Brügelmann, ehemaliger Fachreferent<br />

des Grundschulverbandes und Mitglied<br />

der Landesgruppe Bremen, die zum<br />

Abschluss eines ereignisreichen Tages<br />

reflektierend auf die Tagung zurückgeblickt<br />

haben. Lesen Sie dazu auch nachfolgend<br />

den Beitrag „Vergesst eure Wurzeln<br />

nicht! Ein kurzer Rückblick auf die<br />

Tagung“ von Hans Brügelmann.<br />

Insbesondere bedanken wir uns <strong>für</strong> die<br />

sehr gute Zusammenarbeit mit der Landesgruppe<br />

Thüringen, der Schulleitung,<br />

dem Kollegium und der Elternschaft der<br />

Grundschule Pestalozzi, dem Oberbürgermeister<br />

der Stadt Weimar, der Referentin<br />

des Thüringer Ministeriums <strong>für</strong><br />

Im Interview:<br />

Edgar Bohn,<br />

Konstanze von<br />

Unold, Maresi<br />

Lassek, Marion<br />

Gutzmann<br />

<strong>Bildung</strong>, Jugend und Sport sowie bei allen<br />

Akteur:innen und Referent:innen <strong>für</strong><br />

die vielfältigen Angebote der Tagung,<br />

die <strong>für</strong> die Expertise des Grundschulverbandes<br />

stehen! Ein ganz besonderer<br />

Dank gebührt dem Vorbereitungsteam<br />

mit Konstanze von Unold, Delegierte<br />

der Landesgruppe Bayern, Eva Osterhues-Bruns,<br />

Fachreferentin <strong>für</strong> Praxis<br />

Grundschule, Steffi Jünemann und Antje<br />

Klecha, Vorstandsmitglieder der Landesgruppe<br />

Thüringen, und Marion Gutzmann,<br />

stellvertretende Vorsitzende des<br />

Bundesvorstandes, <strong>für</strong> die Planung und<br />

die Organisation der ersten Frühjahrstagung<br />

des Grundschulverbandes in Zusammenarbeit<br />

mit einer Landesgruppe.<br />

Marion Gutzmann,<br />

Gabriele Klenk, Edgar Bohn<br />

Vergesst eure Wurzeln nicht!<br />

Ein kurzer Rückblick auf die Tagung „KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT! 2.0“<br />

Mich haben die Vorträge und die Seminare heute sehr angeregt<br />

und motiviert – aber zugleich bin ich auch ernüchtert und nachdenklich<br />

gestimmt.<br />

Meine „Brille“, durch die ich die Tagung wahrgenommen habe, ist<br />

die über 50-jährige Geschichte des Verbandes, dessen Aktivitäten<br />

ich seit seiner Gründung als „Arbeitskreis Grundschule“ Ende der<br />

1960er-Jahre miterlebt habe. Ich habe mir diese Vorgeschichte in den<br />

letzten Tagen noch einmal bewusst gemacht, indem ich in der beeindruckenden<br />

Zusammenschau „Auf dem Weg zur kindergerechten<br />

Grundschule“ von Horst Bartnitzky nachgelesen habe, in der er die<br />

Aktivitäten des Grundschulverbands von 1969 bis 2019 nachgezeichnet<br />

hat (Bd. 148/149 der Beiträge zur Reform der Grundschule, 2019).<br />

Auf der einen Seite ist es bedrückend zu sehen, wie der Verband<br />

und viele seiner aktiven Mitglieder Gedanken immer wieder in die<br />

Diskussion einbringen mussten, die auch heute in verschiedenen Beiträgen<br />

vorgestellt wurden – und dass dies auch heute noch nötig ist.<br />

Andererseits zeigt sich in den Vorstellungen und den Forderungen<br />

des Verbands eine Kontinuität, die man auch als Stärke sehen kann.<br />

Sehr entschieden und zugleich differenziert sind sie zum 100-jährigen<br />

Geburtstag der Grundschule 2019 in den „Anforderungen an<br />

eine zukunftsfähige Grundschule“ formuliert worden, an die uns die<br />

Einleitungsrunde heute Morgen erinnert hat. Sie sind ein überzeugendes<br />

Fundament <strong>für</strong> die Arbeit auch in den kommenden Jahren.<br />

Im Rückblick auf die vergangenen 50 Jahre wird deutlich: Unsere<br />

Ansprüche an die <strong>Entwicklung</strong> der Grundschule sind keine modischen<br />

Trends oder gar Eintagsfliegen, sondern über viele Jahre immer wieder<br />

neu durchdachte und in der Praxis erprobte Konzepte, deren Ursprünge<br />

oft weit zurückliegen. Zum Teil stammen sie aus den 1920er-<br />

Jahren, als reformpädagogisch engagierte Lehrer*innen vor allem in<br />

Berliner, Bremer und Hamburger Schulen schon praktiziert haben, was<br />

wir heute unter Stichworten wie Klassenrat, Öffnung des Unterrichts,<br />

freies Schreiben usw. einfordern. Neu belebt wurden diese Traditionen<br />

in den 1970er- und 1980er-Jahren – <strong>für</strong> viele heute eine schon<br />

weit zurückliegende Vergangenheit. Zwar werden Namen wie Jörg<br />

Ramseger, Maria Fölling-Albers, Mechthild Dehn, Gudrun Spitta, Erich<br />

Wittmann auch heute noch gelegentlich genannt. Aber wer erinnert<br />

sich noch an die Mathematikdidaktiker Heinrich Bauersfeld und Hartmut<br />

Spiegel, an die Impulse von Ute Andresen, von Heide Bambach<br />

und Gerhard Sennlaub <strong>für</strong> den Lese- und Schreibunterricht, an die<br />

Konzepte von Gertrud Beck und Hannelore Schwedes <strong>für</strong> einen an<br />

den Erfahrungen der Kinder orientierten Sachunterricht?<br />

Ich finde, es ist nicht nur eine Frage der Redlichkeit, sich ausdrücklich<br />

auf diese und andere Kolleg*innen zu beziehen, wenn wir<br />

mit unseren Ideen an die Öffentlichkeit gehen. Wir machen damit<br />

auch deutlich, dass es sich um eine Praxis handelt, die durch ihre<br />

vielfache Bewährung im Schulalltag überzeugt – auch wenn sie in<br />

standardisierten Tests vielleicht nicht mehr Punkte erzielt als konkurrierende<br />

Konzepte.<br />

Und noch eines zum Schluss: Die Beiträge in den Workshops haben<br />

wieder einmal sehr konkret unterfüttert, was Michael Kirch in<br />

seinem Vortrag sinngemäß so formuliert hat: „Wenn wir schon nicht<br />

wissen, wie die Zukunft unserer Kinder aussehen wird, sollten wir<br />

darüber nachdenken, wie wir sie haben wollen – und darauf hin<br />

unsere <strong>Bildung</strong>seinrichtungen konzipieren.“<br />

Die Vision einer Grundschule, in der Kinder <strong>für</strong> eine ungewisse<br />

Zukunft gestärkt werden, ist heute in vielen <strong>für</strong> die Praxis hilfreichen<br />

Bausteinen greifbar geworden – auch in den Gesprächen am Rande<br />

und vor allem mit jüngeren Kolleg*innen. Das hat mich sehr ermutigt<br />

– und stärkt hoffentlich auch euch <strong>für</strong> den Alltag ab Montag<br />

wieder in den Schulen. <br />

Hans Brügelmann<br />

46<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Rundschau<br />

Rundschau<br />

Wenn Lehrer:innen zu Gestalter:innen werden<br />

Design Thinking in der Schule<br />

In einem Seminar zur Mehrsprachigkeitsdidaktik<br />

arbeiten Studierende<br />

mit der Methode Design Thinking<br />

und erstellen digitale Materialien <strong>für</strong><br />

Lehrende und Lernende. Der Beitrag<br />

erläutert den strukturierten Prozess und<br />

zeigt Möglichkeiten und Vorteile <strong>für</strong> die<br />

Nutzung in der Schule.<br />

Lehrkräfte werden <strong>für</strong> ihre Lernenden<br />

(oder mit ihnen gemeinsam) immer auch<br />

Problemlösungen, Konzepte, Methoden<br />

und Arbeitsmaterialien entwickeln. Im<br />

Sinne eines modernen, offenen und <strong>nachhaltige</strong>n<br />

Unterrichts sollten sie ihre Rolle<br />

(auch) als Gestalter:innen, Berater:innen<br />

und Impulsgeber:innen verstehen. Es gilt,<br />

entsprechend eines demokratischen Ansatzes<br />

gemeinsam im Team der Schule<br />

und/oder mit den Schüler:innen Ideen zu<br />

entwickeln und dabei auch über grundsätzliche<br />

Herausforderungen von Unterricht<br />

nachzudenken.<br />

Agilität und Innovation im<br />

<strong>Bildung</strong>sbereich<br />

Im deutschsprachigen Raum hat sich in<br />

den letzten Jahren eine größere Bewegung<br />

in Gang gesetzt, die agile Methoden<br />

und Prinzipien auch <strong>für</strong> den <strong>Bildung</strong>sbereich<br />

nutzbar und bekannt macht. Neben<br />

eduScrum findet auch Design Thinking<br />

zunehmend Eingang in die Schulen und<br />

die Hochschulen des Landes, wo sie das<br />

Lernen und Lehren bereichern und vor<br />

allem vor dem Hintergrund der Förderung<br />

von Future-Skills und insbesondere<br />

von transformativen Kompetenzen<br />

diskutiert werden (https://www.stifterverband.org/medien/future-skills-2021,<br />

Aufruf am 18.03.2024). Design Thinking<br />

kann hierbei als didaktisches Mittel zur<br />

Ausgestaltung dieser Ansätze verstanden<br />

werden. Das Lernen entlang von Problemstellungen<br />

ermöglicht es den Lernenden,<br />

sich sinnstiftend mit Inhalten<br />

auseinanderzusetzen. Design Thinking<br />

(DT) ist ein kollaborativer Ansatz zur<br />

Problemlösung, der sich auf die Bedürfnisse<br />

der Nutzer:innen konzentriert und<br />

innovative, kreative Lösungen entwickelt.<br />

Es ist ein iterativer, sehr klar strukturierter<br />

Prozess, der nach einer längeren Phase<br />

der Erkundung des Problemraums die<br />

Teilnehmenden ergebnisoffen innovative<br />

Lösungen entwickeln lässt.<br />

Design Thinking in der Schule<br />

In Bezug auf Schule sind verschiedene<br />

Szenarien denkbar: Zum einen kann DT<br />

die Demokratiebildung unterstützen – so<br />

könnten die Schüler:innen zum Beispiel<br />

in die Planung eines neuen Schulhofes<br />

einbezogen werden: Welche Wünsche<br />

und Bedürfnisse haben die einzelnen<br />

Schüler:innen, um eine gute Lösung <strong>für</strong><br />

alle zu finden? Zum anderen kann DT<br />

aber auch im Kollegium durchgeführt<br />

werden, um Schule gemeinsam weiterzuentwickeln.<br />

Ein erkanntes und definiertes<br />

Problem (z.B.: Wie gehen wir mit der<br />

Mehrsprachigkeit unserer Schüler:innen<br />

um? Wie können wir mit unseren Ressourcen<br />

(Zeit, Wissen, Erfahrungen etc.)<br />

effizienter umgehen? Wie können Seiteneinsteiger:innen<br />

an unserer Schule gut<br />

in den Beruf finden? Wie können wir ein<br />

noch besseres Team werden?) wird dabei<br />

gemeinsam betrachtet und unter Bezugnahme<br />

aller Bedürfnisse werden neuartige<br />

Lösungen entwickelt. Eine dritte Möglichkeit<br />

ist natürlich, dass Lehrende und<br />

Lernende gemeinsam den Prozess durchlaufen.<br />

Die Hopp-Foundation stellt da<strong>für</strong><br />

online Tutorials und kostenloses Material<br />

zur Verfügung (https://www.hopp-foundation.de/schule/unterstuetzung/designthinking/,<br />

Aufruf am 18.03.2024).<br />

Der Design-Thinking-<br />

Prozess am Beispiel eines<br />

Mehrsprachigkeitsseminars<br />

In einem Seminar zu Mehrsprachigkeitsbildung<br />

und -didaktik mit Studierenden<br />

des Lehramts an Grundschulen<br />

der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />

arbeitete ich in Kooperation<br />

mit dem BMBF-Projekt DikoLA<br />

(Digital kompetent im Lehramt) mit<br />

Design Thinking. Anhand dieses Beispiels<br />

möchte ich die Phasen von DT<br />

kurz erläutern.<br />

Das Besondere ist, dass dem Erkunden<br />

des Problemraums genauso viel<br />

Zeit und Raum gegeben wird wie dem<br />

Erkunden des Lösungsraums. Widmet<br />

man sich sonst oft direkt der Lösungsfindung,<br />

versucht man im DT erst einmal<br />

grundlegend zu verstehen, wen das<br />

Problem betrifft, warum es auftaucht,<br />

wie es von verschiedenen Akteur:innen<br />

empfunden wird und welche Lösungs-<br />

In die Breite gehen<br />

Fokus finden<br />

In die Breite gehen<br />

Fokus finden<br />

Iteration<br />

Startpunkt:<br />

Herausforderung<br />

festlegen<br />

Problemfeld<br />

verstehen<br />

Empathie<br />

aufbauen<br />

Nutzerperspektive<br />

erfassen<br />

Ideen<br />

sammeln<br />

Prototypen<br />

bauen<br />

Prototypen<br />

testen<br />

Erkunden des Problemraums<br />

Erkunden des Lösungsraums<br />

Abb. 1: Der Design-Thinking-Prozess im Überblick (Hopp/Häußlein 2019)<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

47


Praxis: Rundschau <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Dr. Nadine Naugk,<br />

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

im Arbeitsbereich Deutsch, Institut<br />

<strong>für</strong> Schulpädagogik und Grundschuldidaktik,<br />

Martin-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg, Grundschulverband-<br />

Vorstandsmitglied der Landesgruppe<br />

Sachsen-Anhalt<br />

wege aus unterschiedlichen Blickwinkeln<br />

erstrebenswert erscheinen. Die Frage<br />

in meinem Seminarkonzepte lautete:<br />

Wie kann man Unterstützungsmöglichkeiten<br />

<strong>für</strong> Lehrkräfte finden, um Mehrsprachigkeit<br />

als Chance anzusehen und<br />

in den Unterricht zu integrieren? Nach<br />

Festlegung dieser Herausforderung geht<br />

man zunächst in die Breite. Die Studierenden<br />

setzten sich da<strong>für</strong> mit Primär-<br />

und Sekundärliteratur auseinander,<br />

wie dem Jugendbuch Ching Chang<br />

Stop (Gohring 2022), das eindrücklich<br />

und authentisch von Alltagsrassismus<br />

berichtet, oder dem Debattenbuch<br />

Abb. 2: Bearbeitung der Wow-How-Now-Matrix<br />

Deutschpflicht auf dem Schulhof? Warum<br />

wir Mehrsprachigkeit brauchen (Wiese/<br />

Tracy/Sennema 2020), um die Komplexität<br />

der Herausforderung zu verstehen.<br />

In der anschließenden Empathiephase<br />

interviewten sie Lehrkräfte zu ihrer persönlichen<br />

Sicht auf die Herausforderung<br />

insbesondere in Bezug auf ihren (Unterrichts-)Alltag<br />

an der Schule. Eine weitere<br />

Möglichkeit zum Verständnis der Perspektive<br />

der Nutzenden kann auch durch<br />

Selbsterfahrung oder Beobachtungen<br />

(z. B. in Hospitationen) entwickelt werden.<br />

Sollen Schüler:innen beispielsweise<br />

in die Planung der Schulhofgestaltung<br />

einbezogen werden, müssten Kinder<br />

verschiedenen Alters und insbesondere<br />

Kinder mit besonderen Rechten interviewt<br />

/ beobachtet werden. Setzt sich das<br />

Schulteam mit der Frage auseinander,<br />

wie Seiteneinsteiger:innen bestmögliche<br />

Unterstützung zum Einstieg in den Beruf<br />

bei knappen eigenen Ressourcen bekommen<br />

können, sollten die Seiteneinsteigenden<br />

selbst, ihre Mentor:in(nen)<br />

und die Schulleitung befragt werden, um<br />

die Herausforderung aus deren Perspektive<br />

wahrzunehmen.<br />

Im weiteren Verlauf des DT, der Phase<br />

des Erfassens der Nutzer:innenperspektive,<br />

tragen die Teilnehmenden ihre Informationen<br />

zusammen und identifizieren<br />

ein Teilproblem, <strong>für</strong> das sie im weiteren<br />

Prozess eine Lösung entwickeln<br />

wollen, und formulieren dazu eine Wiekönnen-wir-Frage<br />

(z. B.: Wie können<br />

wir Frau A. unterstützen, in nur zwei<br />

Minuten ihres Unterrichtstages Mehrsprachigkeit<br />

einzubauen? Wie können<br />

wir Frau B. die Vorteile einer Mehrsprachigkeitsdidaktik<br />

möglichst knapp nahebringen?<br />

Wie können wir die Sprachreflexion<br />

(des Deutschen) auf Satzebene<br />

anregen?)<br />

Nach dieser Engführung geht es wieder<br />

in die Breite und es werden so viele<br />

kreative, innovative Ideen gesammelt wie<br />

möglich, die auch erst einmal etwas verrückt<br />

klingen können. Da<strong>für</strong> bieten sich<br />

verschiedene Brainstorming-Methoden<br />

wie das Superman-Brainstorming, das<br />

Brainwriting oder das Objekt- oder Inspirations-Brainstorming<br />

an (siehe Hopp/<br />

Häusslein 2019, 146 ff.). Mithilfe der<br />

Wow-How-Now-Matrix (Abb. 2) ordnen<br />

die Studierenden ihre Ideen schließlich in<br />

einen von vier Quadranten mit Blick auf<br />

die Realisierbarkeit und die Originalität<br />

der Idee ein, um abschließend eine der<br />

Ideen, die im Wow-Sektor gelandet sind,<br />

<strong>für</strong> die spätere Umsetzung auszuwählen.<br />

Für diese ausgewählte Idee bauen sie<br />

nun einen Prototyp, der das Konzept<br />

der Idee veranschaulicht – die Teilnehmenden<br />

treten hierbei in einen intensiven<br />

Austausch über ihr jeweiliges Verständnis<br />

der ausgewählten Idee und<br />

besprechen mit Blick auf die gestellte<br />

Herausforderung und die erarbeitete<br />

Nutzer:innenperspektive die Details.<br />

Anschließend gehen sie in die Umsetzungsphase,<br />

in der immer wieder Feedback<br />

gegeben wird, um iterativ das Produkt<br />

zu verbessern. In meinem Seminar<br />

erstellten die Studierenden am Ende digitale<br />

oder digitalisierte Materialien, die<br />

Lehrkräften nun unter einer offenen Lizenz<br />

als Open Educational Ressources<br />

(OER) über eine Homepage zur Verfügung<br />

stehen (https://blogs.urz.unihalle.de/mehrsprachigeschule/,<br />

Aufruf<br />

am 08.03.2024). So entstanden bisher<br />

knapp 20 Materialien, u. a. interaktive<br />

H5P-Materialien, Padlets/Taskcards,<br />

Videotutorials oder PDFs, die von den<br />

Studierenden selbstständig in die Homepage<br />

eingebettet wurden. Dabei konnten<br />

die Studierenden gleichzeitig ihre digitalen<br />

Kompetenzen ausbauen und innovative<br />

Tools kennenlernen. Neben einer<br />

Sprachenwand, einem interaktiven<br />

Wimmelbild oder einem Sprachenzug,<br />

mit dem die Reihenfolge der Satzglieder<br />

48<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024


Praxis: <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Rundschau<br />

Rundschau<br />

in verschiedenen Sprachen verglichen<br />

werden kann, stehen insbesondere die<br />

Sprachreflexion zum Ausbau von Language<br />

Awareness der Schüler:innen und<br />

das Kennenlernen kultureller Besonderheiten<br />

im Vordergrund der Materialien.<br />

In der Evaluation des Seminars wurde<br />

die Methode grundlegend als positiv<br />

eingeschätzt. Den Perspektivenwechsel,<br />

die Praxisnähe und den Nachhaltigkeitsaspekt<br />

durch die nun permanente<br />

Erreichbarkeit der Materialien im Netz<br />

sowie die Empathiephase schätzten die<br />

Studierenden besonders positiv ein, auch<br />

wenn manch einem der kleinschrittige<br />

Prozess an einigen Stellen etwas mühsam<br />

erschien. Die intensive Erkundung des<br />

Problemraums schien ebenfalls den einen<br />

etwas mühsam, andere berichteten,<br />

dadurch das Problem viel bewusster und<br />

tiefgründiger durchdrungen zu haben.<br />

Auf die Frage hin, ob sie sich die Methode<br />

auch im Unterricht vorstellen können,<br />

antworteten die Studierenden u.a.:<br />

● „Ich habe sowieso den Anspruch,<br />

Kinder zu Gestalter*innen (im weiteren<br />

Sinne) auszubilden. Die Fähigkeit,<br />

gestalten zu können, ist elementar, um<br />

ein selbstbestimmtes Leben leben zu<br />

können.“<br />

● „In einer Projektwoche oder Ähnlichem<br />

wäre eine Anwendung bestimmt<br />

möglich, allerdings könnte es<br />

in der Umsetzung bezüglich der benötigten<br />

Zeit schwer werden. Den Ansatz<br />

an sich finde ich aber sehr gut.“<br />

● „Leider fand ich die einzelnen Schritte<br />

der Methode sehr langatmig.<br />

Wenn ich diese anwenden würde,<br />

dann in einer verkürzten Form.“<br />

Fazit<br />

Mit DT können Lernende in den Lernprozess<br />

einbezogen und ihre Kreativität,<br />

Problemlösungskompetenz, Empathievermögen<br />

und Kollaborationsfähigkeit<br />

gefördert werden. Es hilft, eine Lernumgebung<br />

zu schaffen, die auf die individuellen<br />

Bedürfnisse der Lernenden<br />

zugeschnitten ist und Motivation und<br />

Engagement in Unterricht und Schulalltag<br />

steigern kann. Es zeigte sich, dass DT<br />

dazu beitragen kann, ein neues Selbstverständnis<br />

von Unterricht und der eigenen<br />

Rolle als Lehrperson zu entwickeln, und<br />

in jeder Schulform denkbar ist.<br />

Nadine Naugk<br />

Literatur:<br />

Gohring, D. (2022): Ching Chang Stop.<br />

Heidelberg: Carl Auer.<br />

Hopp, O./Häusslein, G. (2019): Design<br />

Thinking und Schule: Das Handbuch <strong>für</strong> den<br />

Schulalltag, Weinheim: Hopp Foundation for<br />

computer literacy & informatics: https://<br />

www.hopp-foundation.de/<br />

unterrichtsmaterial/zum-download/<br />

design-thinking-und-schule/<br />

(letzter Aufruf am 25.04.24)<br />

Wiese, H./Tracy, R./Sennema, A. (2020):<br />

Deutschpflicht auf dem Schulhof? Warum<br />

wir Mehrsprachigkeit brauchen. Berlin:<br />

Duden-Verlag.<br />

Band 147 jetzt kostenlos<br />

„<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> –<br />

Eine Aufgabe <strong>für</strong> alle Fächer und Lernbereiche“<br />

„<strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> – Eine Aufgabe <strong>für</strong> alle Fächer und Lernbereiche“,<br />

der Band 147 der Beiträge zur Reform der Grundschule, ist ab jetzt<br />

kostenlos im Projekt Eine Welt in der Schule verfügbar!<br />

Auf gut 140 Seiten zeigt der Herausgeber Prof. Dr. Dr. Rudolf Schmitt, wie BNE im<br />

Schulalltag verankert werden kann. Der Band ist in drei Abschnitte unterteilt:<br />

Der Orientierungsrahmen <strong>für</strong> den Lernbereich Globale <strong>Entwicklung</strong>, Unterrichtsbeispiele<br />

aus Fächern der Grundschule und Materialien zur <strong>Bildung</strong> <strong>für</strong> <strong>nachhaltige</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>.<br />

Die Abgabe erfolgt kostenlos, auch in größeren Gebinden, entweder direkt in den<br />

Räumen des Projekts auf dem Unigelände in Bremen oder gegen Portokosten gern<br />

auch über Postversand.<br />

Weitere Infos und Bestellungen unter<br />

www.weltinderschule.uni-bremen.de und einewelt@uni-bremen.de.<br />

GS aktuell 166 • Mai 2024<br />

U III


Grundschule aktuell<br />

Grundschulverband e. V.<br />

Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />

Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />

info@grundschulverband.de<br />

www.grundschulverband.de<br />

Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />

D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />

Versandadresse<br />

Ausblick Grundschule aktuell 167<br />

Lehramt studieren, Lehrkraft werden, Lehrkraft sein<br />

Im Septemberheft wollen wir uns insbesondere den Phasen Lehramt studieren –<br />

Lehrkraft werden – Lehrkraft sein widmen. Hierbei soll die Sicht von Studierenden,<br />

Referendar:innen, Lehrkräften, Seminarleitungen, Schulen und Hochschulen in<br />

den Blick genommen werden sowie die Bedeutung <strong>für</strong> die Arbeit in multiprofessionellen<br />

Teams. Dabei sollen auch die Wünsche der Kinder Berücksichtigung finden.<br />

U. a. möchten wir uns dabei folgenden Fragestellungen zuwenden:<br />

• Welche Kompetenzen und Haltungen braucht eine Lehrkraft, um den Bedürfnissen<br />

der Kinder in der Grundschule gerecht zu werden?<br />

• Welche Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten müssen gegeben sein, damit diese<br />

Kompetenzen und Haltungen entwickelt werden?<br />

• Welche Bedingungen müssen <strong>für</strong> Aus-, Fort- und Weiterbildung geschaffen werden?<br />

• Welche Kriterien sind <strong>für</strong> professionelles und kooperatives Arbeiten bedeutsam?<br />

Mit Blick auf innovative Wege in der Lehrer:innenbildung und die Verknüpfung der<br />

Phasen werden gewinnbringende Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten aufgezeigt, die<br />

<strong>für</strong> das professionelle Handeln als Lehrkraft benötigt werden.<br />

www.grundschulverband.de · Februar 2024 · D9607F<br />

Grundschule aktuell<br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 165<br />

Die nächsten<br />

Themen<br />

Zum Thema<br />

• Kinderstärken!<br />

Kinder stärken!! Starke Kinder!!!<br />

September 2023 November 2023<br />

Februar 2024<br />

Kinder Stärken erleben lassen<br />

Forschung<br />

• Social Entrepreneurship<br />

Education in der GS<br />

Rundschau<br />

• Frühjahrstagung des GSV<br />

am 2. März in Weimar<br />

Heft 168 | November 2024<br />

Beobachten – Staunen – Forschen:<br />

naturwissenschaftliches Lernen<br />

in der GS<br />

Heft 169 | Februar 2025<br />

Schrift und Schreiben<br />

Heft 170 | Mai 2025<br />

Bauen, Konstruieren,<br />

Programmieren<br />

www.<br />

grundschule-aktuell.info

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