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Kulturelle Bildung

Grundschule aktuell Heft 158 - Mai 2022

Grundschule aktuell Heft 158 - Mai 2022

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www.grundschulverband.de · Mai 2022 · D9607F<br />

Grundschule aktuell<br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 158<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Zum Thema<br />

• Kultur und Lebensraum Schule<br />

• <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> und digitale Medien<br />

• Kultur in die Schule bringen<br />

Forschung<br />

• Forschungsgruppe<br />

KIDI: E-Books im Schriftspracherwerb<br />

gestalten<br />

Rundschau<br />

• Lebensweltlicher Zugang<br />

zu kulturellem und<br />

religiösem Lernen


Inhalt<br />

Tagebuch<br />

S. 2 Warum ich im Grundschulverband bin<br />

(H. Brügelmann)<br />

Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

S. 3 Potenzial für Persönlichkeitsbildung<br />

und Lebensweltbezug (M. Lassek)<br />

S. 4 Den Kultur- und Lebensraum Schule<br />

neu gestalten (V.-I. Reinwand-Weiss)<br />

S. 7 Lernen in den Künsten anschlussfähig gestalten<br />

(B. Stiller)<br />

S. 9 <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> und digitale Medien (A. Weiß)<br />

S. 13 Einblicke und Ausblicke –<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> konkret (D. Sommer)<br />

S. 16 „Wir sind Wasser“. Ein Projekt künstlerischdigitaler<br />

<strong>Bildung</strong> (B. Schweitzer, K. W. Hoyme)<br />

S. 18 Vom Leseprojekt zum Theaterprojekt – inklusiv<br />

und fächerübergreifend (K. Pohl)<br />

S. 20 Kultur-Projekte in der Schule trotz Pandemie?<br />

(K. von Unold)<br />

S. 23 ErzählZeit – poetische Mündlichkeit<br />

im Kita- und Schulalltag (S. Kolbe)<br />

S. 26 Kultur in die Schule bringen – Gespräch mit<br />

der Künstlerin Sabine Schwarz (G. Klenk)<br />

S. 28 Musik: Begegnung.Erlebnis.Berührung – Musikwerkstatt<br />

der Bremer Philharmoniker (M. Lassek)<br />

S.32 Kinderbücher rund ums Museum (M. Gutzmann)<br />

In dieser Ausgabe finden Sie – neben einer Vielzahl von<br />

anregenden Musik-, Kunst- und Theaterprojekten an<br />

Schulen – vielfältige Beispiele dazu, wie die gelingende<br />

Zusammenarbeit in fächer- und auch klassenübergreifenden<br />

Projekten mit außerschulischen Kulturstätten und verschiedenen<br />

Künstler:innen umgesetzt werden kann.<br />

So beschreibt die Theaterpädagogin und Erzählerin Sabine<br />

Kolbe, wie sich das Berliner Projekt ErzählZeit zu einem<br />

einzigartigen künstlerischen Format zur Vermittlung der<br />

deutschen Sprache entwickelt hat.<br />

Im Gespräch mit Marko Gartelmann werden Erfahrungen<br />

mit Angeboten der Bremer Philharmoniker für musische<br />

<strong>Bildung</strong> aufgezeigt.<br />

Im Interview mit der Künstlerin und Pädagogin mit<br />

Schwerpunkt Kunsttherapie Sabine Schwarz stehen kreative<br />

Ausdrucksformen und kooperative Arbeitsweisen der<br />

Kinder im Mittelpunkt. Seite 23–31<br />

Aus der Forschung<br />

S. 34 E-Books im Schriftspracherwerb gestalten<br />

(Forschungsprojekt KIDI: K. Pfann, S. Truckenbrodt,<br />

B. Oetjen, S. Martschinke)<br />

Rundschau<br />

S. 39 Kreative Ansätze zur Förderung interkultureller<br />

Verbindungen (U. Oltmanns)<br />

S. 40 Bundesweite Kampagne des Grundschulverbandes<br />

am 1. Juni (E. Bohn, M. Gutzmann)<br />

S. 41 Überlegungen zum lebensweltlichen Zugang<br />

zu kulturellem und religiösem Lernen (P. Lenz)<br />

Landesgruppen aktuell – unter anderem:<br />

S. 44 Baden-Württemberg: Couchsurfing<br />

Grundschulverband<br />

S. 45 Brandenburg: Wir geben nicht auf!<br />

S. UIII Rheinland-Pfalz: Neu auf Instagram<br />

und Neuer Vorstand<br />

Impressum<br />

GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />

erscheint viertel jährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.<br />

Das einzelne Heft kostet 9,00 € (inkl. Versand innerhalb Deutschlands);<br />

für Mitglieder und ab 10 Exemplaren 5,00 €.<br />

Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />

Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />

Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />

www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />

Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />

Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />

gabriele.klenk@grundschulverband.de<br />

Fotos und Grafiken: Susanne Winkler/novuprint (Titelillustration;<br />

mit Fotos von J. Farys // Die.PROJEKTOREN, B. Langer, Lehr-Forschungs-<br />

Projekt KIDI, K. Pohl, J. Sarbach, S. Schwarz, D. Sommer),<br />

Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders vermerkt)<br />

Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />

Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />

info@grundschulverband.de<br />

Druck: WKS Print Partner GmbH, 34587 Felsberg<br />

ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6102<br />

Beilage: Info-Flyer Grundschulverband e. V. 2022<br />

In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />

ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />

Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />

Lösung für das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />

jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form.<br />

UII<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022


Diesmal<br />

Internationaler Kindertag am 1. Juni<br />

Für den Start einer bundesweiten<br />

Kampagne des Grundschulverbands<br />

für eine zukunftsfähige<br />

Grundschule wurde<br />

ein besonderer Tag<br />

gewählt: der 1. Juni, der<br />

Internationale Kindertag.<br />

Mit einem neuen Logo und<br />

dem Aufruf, sich an der<br />

Kampagne zu beteiligen,<br />

laden wir an diesem Tag zu einer<br />

bundesweiten Online-Veranstaltung „Wie kann das<br />

Recht auf grundlegende <strong>Bildung</strong> aktuell gesichert<br />

werden?“ ein. Seite 40<br />

Mit „Ronja Räubertochter“ wird dargestellt, wie ausgehend<br />

von einem Lese-Projekt im 2. Schuljahr eine Klasse<br />

zu einem inklusiven und fächerübergreifenden Theaterprojekt<br />

im 4. Schuljahr gelangte und die Kinder nach<br />

Wochen des Distanzlernens sich bei der Aufführung<br />

endlich wieder als Gemeinschaft erleben durften.<br />

Eine Schulleiterin beschreibt für ihre Schule, wie diese<br />

die Aufforderung während der Pandemie, „Kräfte zu<br />

sparen und Schwerpunkte im Unterricht zu setzen“, bewusst<br />

für verschiedene kulturelle Projekte wie „Kinder<br />

treffen Künstler“, „Musical der Viertklässler“ oder „Zirkusprojekt“<br />

genutzt hat. Elternbeirat und Grundschulteam<br />

fanden kreative Lösungen von der ursprünglichen Planung<br />

zur tatsächlichen Realisierung trotz Kontaktbeschränkung.<br />

Seite 18–22<br />

Noch mehr Grundschulverband?<br />

Sie finden uns auf Social Media,<br />

Stichwort „Grundschulverband“<br />

Liebe Leser:innen,<br />

in dieser Ausgabe Grundschule aktuell 158 wird als wichtiger<br />

Beitrag für eine allseitige <strong>Bildung</strong> und zur Persönlichkeitsentwicklung<br />

der Kinder insbesondere die kulturelle <strong>Bildung</strong><br />

in den Mittelpunkt gerückt. Als Teil des <strong>Bildung</strong>sauftrags der<br />

Schule nimmt kulturelle <strong>Bildung</strong> alle fachlichen Facetten in<br />

den Blick, vor allem aber den musisch-ästhetischen Bereich.<br />

Neben den übergeordneten Fragen, welche Rolle Kunst,<br />

Musik, Theater und andere Ausdrucksformen im Schulalltag<br />

und im Unterricht spielen, finden in den Praxisbeiträgen<br />

sowohl schulische als auch außerschulische Lern- und<br />

Gestaltungsräume Berücksichtigung. Dabei wurde der große<br />

Schatz an Erfahrungen der Schulen mit vielfältigen Zugangs-,<br />

Ausdrucks- und Gestaltungsweisen aus den letzten beiden<br />

Schuljahren, in denen gemeinsames Lernen in den Klassenzimmern<br />

nicht immer möglich war, eingebracht.<br />

Für eine systematische Entwicklung einer modernen und<br />

vielfältigen Schulkultur sowie Ausbildung und Erweiterung<br />

braucht es viele Akteur:innen. Wir möchten Ihnen dazu<br />

ganz konkrete Beispiele für die Zusammenarbeit mit Künstler:innen,<br />

Musiker:innen oder Schriftsteller:innen vorstellen.<br />

Lassen sie sich z. B. inspirieren von den Musikangeboten aus<br />

dem Team der Musikwerkstatt der Bremer Philharmoniker,<br />

dem Erzählangebot aus dem Projekt ErzählZeit in Berlin oder<br />

der Arbeit einer Künstlerin und Pädagogin mit dem Schwerpunkt<br />

Kunsttherapie.<br />

Ein besonderes Augenmerk richten wir auf Kinderbücher<br />

zu unserem Themenschwerpunkt. Diese Rubrik möchten wir<br />

gerne in Zukunft etablieren, um für den Unterricht konkrete<br />

Zugänge zu unseren Themen anzubieten. Zudem beginnen<br />

wir mit der neuen Serie zum Themenbereich Religionen<br />

und Weltanschauungen in der Schule, in der jeweils unterschiedliche<br />

Aspekte beleuchtet und verschiedene Positionen<br />

vorgestellt werden. In dieser Ausgabe geht es zunächst um<br />

die Verknüpfung von religiöser und kultureller <strong>Bildung</strong> bzw.<br />

Identität.<br />

Und zu Ihrer Information: Ab dieser Ausgabe steht ein<br />

Redaktionsteam für Sie bereit – wir freuen uns auf Ihr Interesse<br />

an dieser und den folgenden Ausgaben unserer Zeitschrift<br />

und natürlich über Ihre Rückmeldungen dazu.<br />

Herzlichst<br />

Marion Gutzmann und Gabriele Klenk<br />

sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />

und unseren Podcast direkt auf unserer<br />

Homepage:<br />

https://grundschulverband.de<br />

Newsletter noch nicht abonniert?<br />

Mit diesem QR-Code gelangen Sie<br />

direkt zur Anmeldung:<br />

www.<br />

grundschule-aktuell.info<br />

Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“<br />

und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />

www.<br />

grundschulverband.de/archiv/<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

1


Tagebuch<br />

Warum ich im<br />

Grundschulverband bin<br />

Prof. i. R. Dr. Hans Brügelmann<br />

Mitglied im Vorstand der<br />

GSV-Landesgruppe Bremen<br />

Als ich 1975 gerade meine Promotionsurkunde erhalten<br />

hatte, bot mir meine damalige Chefin an, für mich<br />

zu „bürgen“, falls ich in die Deutsche Gesellschaft für<br />

Erziehungswissenschaft eintreten wolle. Dafür müsse man<br />

promoviert sein und die Unterstützung von zwei Mitgliedern<br />

nachweisen.<br />

Leicht überheblich lehnte ich das mit der Begründung<br />

ab, ich sei nicht an der Mitgliedschaft in einem solchen<br />

akademischen Elfenbeinturm interessiert. Aus England,<br />

wo ich zweimal mehrere Monate gearbeitet hatte, war ich<br />

es gewohnt, dass Wissenschaftler:innen und Lehrer:innen<br />

in Projekten und in Fachgesellschaften auf Augenhöhe<br />

zusammenarbeiteten. In Deutschland fand ich diese<br />

selbstverständliche Kooperation damals weder an der<br />

Universität noch in Verbänden – wohl aber im „Arbeitskreis<br />

Grundschule“, dem Vorläufer des heutigen Grundschulverbands.<br />

Zuerst begegnet bin ich dessen Aktivitäten in den Bänden<br />

1 bis 3 der Reihe „Beiträge zur Reform der Grundschule“,<br />

die nach dem ersten bundesweiten Grundschultag<br />

1969 viel Aufsehen erregten: Renommierte Wissenschaftler:innen<br />

und erfahrene Praktiker:innen hatten dort fachlich<br />

fundiert miteinander über inhaltliche Perspektiven für<br />

die Reform der Grundschule diskutiert. Horst Bartnitzky<br />

hat 2019 in seinem Rückblick auf die Geschichte des<br />

Grundschulverbands „Auf dem Weg zur kindergerechten<br />

Grundschule“ (Bd. 148/149 der „Beiträge“) gezeigt, wie<br />

aktuell viele der damals diskutierten Fragen und Reformansätze<br />

bis heute sind.<br />

Schon Mitte der 1970er-Jahre konnte ich selbst im<br />

Redaktionsteam der gerade etablierten Zeitschrift „Grundschule“,<br />

noch als Berufsanfänger, diesen produktiven<br />

Austausch zwischen erfahrenen Praktiker:innen wie Ute<br />

Andresen und Gerhard Sennlaub und Professoren wie Erwin<br />

Schwartz, Richard Meier und Dieter Haarmann erleben<br />

– der bis heute charakteristisch für die Arbeit des<br />

Grundschulverbands ist. Besonders beeindruckt hat mich<br />

dabei immer die wechselseitige Neugier auf die Sicht „der<br />

anderen Seite“ und der Respekt für ihre jeweils besondere<br />

Kompetenz und Erfahrung.<br />

So habe ich sofort spontan zugesagt, als ich vor über<br />

20 Jahren gefragt wurde, ob ich – erst informell als Mitarbeiter<br />

an der Broschüre „Zur Qualität der Leistung“ und<br />

dann für 17 Jahre als gewählter Fachreferent für Qualitätsentwicklung<br />

– dem Bundesvorstand zuarbeiten wolle. Fast<br />

fünfzigmal habe ich an den halbjährlichen Delegiertenversammlungen<br />

teilgenommen. Jedes Mal bin ich mit großer<br />

Vorfreude zu diesen Sitzungen gefahren – und jedes Mal<br />

mit anregenden Ideen, interessanten Aufträgen und neuen<br />

Fragen zurückgefahren. Für mich als Wissenschaftler war<br />

dieses Forum kluger und erfahrener Kolleg:innen ungemein<br />

wichtig als Praxistest, ob meine Gedanken, z. B. zur<br />

Öffnung des Unterrichts oder zum Schriftspracherwerb,<br />

in den Schulen anschlussfähig und ob sie unter Alltagsbedingungen<br />

auch tragfähig sind. Das gilt auch für die dritte<br />

Seite in diesem Netzwerk, die Verwaltung, vertreten vor<br />

allem durch die Grundschulreferent:innen der Kultusministerien,<br />

mit denen wir uns einmal pro Jahr zu einem<br />

eher bildungspolitischen Austausch getroffen haben. Darüber<br />

hinaus verdanke ich der Mitwirkung an Grundschultagen<br />

in den Bundesländern, der Mitarbeit in Arbeitsgruppen<br />

auf Bundesebene und in den Vorständen der<br />

Landesgruppen Baden-Württemberg und Bremen vielfältige<br />

persönliche und institutionelle Kontakte, die mir die<br />

Verbreitung meiner Ideen oft sehr erleichtert haben, ihre<br />

Entwicklung inhaltlich aber auch bis heute prägen. Und<br />

dass über den „Jungen GSV“ der Grundschulverband jetzt<br />

wieder zum Anregungsraum für engagierte Nachwuchs-<br />

Pädagog:innen wird wie für mich vor 50 Jahren, ist eine<br />

besondere Freude.<br />

2<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Maresi Lassek<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Potenzial für Persönlichkeitsbildung und Lebensweltbezug<br />

Kinder sind mehr als Schülerinnen und Schüler, sie haben elementaren Anspruch<br />

auf eine allseitige <strong>Bildung</strong>. Diese erschließt über musisch-ästhetische Erfahrungen<br />

Kreativität und Gestaltungsfreude, Selbstvertrauen und Weltwissen<br />

und fördert darüber hinaus Persönlichkeitsentwicklung und gesellschaftliche<br />

<strong>Bildung</strong>. Die Einschränkungen der vergangenen zwei Jahre haben in den Vordergrund<br />

gerückt, was schon vorher wichtig war und beim „Aufholen“ ebenso<br />

viel Aufmerksamkeit braucht wie die kognitiven Lernlücken: die emotionalen<br />

und sozialen Bedürfnisse der Kinder und die ästhetischen Lernbereiche.<br />

Welche Bedeutung die Kultusministerkonferenz<br />

KMK der<br />

musisch ästhetischen <strong>Bildung</strong><br />

seit jeher zumisst, hat sie 2015 in<br />

den Empfehlungen zur Arbeit in der<br />

Grundschule 1 gefestigt.<br />

„Musisch-ästhetische <strong>Bildung</strong> eröffnet<br />

den Kindern Raum und Zeit für spielerische,<br />

experimentelle und forschende<br />

Tätigkeit und fördert ihr sinnliches<br />

Wahrnehmungsvermögen. Die<br />

besonderen Ausdrucksleistungen<br />

von Musik, bildlicher Darstellung<br />

und Bewegung werden in fächerverbindenden<br />

und fachübergreifenden<br />

Vorhaben genutzt, um Verbindungen<br />

zwischen dem Lernen und der Erfahrungs-<br />

und Gefühlswelt der Kinder aufzubauen,<br />

zu stärken und zu vertiefen.<br />

Die Grundschule eröffnet allen Kindern<br />

durch Unterricht, Projekte und Schulleben<br />

ebenso wie durch außerschulische<br />

Angebote und Kooperationen mit<br />

externen Partnern und Institutionen<br />

Zugang zu kultureller <strong>Bildung</strong>.“ 2<br />

Fachbezogen stellt die KMK fest:<br />

● „Die bildnerische Entwicklung und<br />

die kindlichen Ausdrucksformen werden<br />

im Kunstunterricht aufgenommen.“<br />

Wahrnehmungsfähigkeit, Kreativität<br />

und Gestaltungswillen der Kinder<br />

werden unterstützt, für eigenständige<br />

und produktive Auseinandersetzung<br />

und Möglichkeiten der Mitentscheidung<br />

wird Raum gegeben. 3<br />

● Werken und Textiles Gestalten eröffnen<br />

die Möglichkeit, verschiedene Werkstoffe<br />

zu untersuchen und Erfahrungen<br />

bei der Verarbeitung zu sam meln. Das<br />

Erkunden und Erproben technischer<br />

Zusammenhänge hilft den Kindern, die<br />

umgebende, technisch geprägte Welt zu<br />

erfassen, zu verstehen und mit Bezug<br />

zu Alltagssituationen die persönliche<br />

Verantwortung zu erkennen. 4<br />

● „Kinder haben eine elementare Freude<br />

am Singen, Musizieren und Musikhören.<br />

Der Musikunterricht greift diese<br />

Bereitschaft auf und ermöglicht den<br />

Schülerinnen und Schülern vielfältige<br />

Formen des Musizierens, Bewegens und<br />

Tanzens, die ihre Ausdrucksmöglichkeiten<br />

und ihre musikalischen Kompetenzen<br />

erweitern.“ Soziokulturell unterschiedliche<br />

musikalische Erfahrungen<br />

werden einbezogen und über Begegnungen<br />

mit musikalischem Repertoire<br />

aus verschiedenen Kulturen erweitert. 5<br />

Der Grundschulverband führt zur<br />

Bedeutung des kulturellen Lernens<br />

in seinen Anforderungen an eine<br />

zukunftsfähige Grundschule aus:<br />

„Unterricht soll Kindern die Einsicht<br />

in die Zusammenhänge zwischen den<br />

einzelnen Lernbereichen und Lerngegenstanden<br />

ermöglichen. Er soll so weit<br />

und so oft wie möglich Fühlen, Denken,<br />

Forschen und Handeln sowie kreatives<br />

Gestalten in der Arbeit an lernbereichsübergreifenden<br />

Vorhaben miteinander<br />

verbinden und Bezüge zur Lebenswelt<br />

herstellen.“ 6<br />

„Dabei kommt dem praktischen,<br />

künstlerischen und kreativen Lernen<br />

und Gestalten gleiche Bedeutung<br />

zu wie der Auseinandersetzung mit<br />

der Welt über die Lektüre von literarischen<br />

und sachorientierten Texten<br />

oder die rationale Problembearbeitung<br />

in mathematischen, informatischen<br />

oder naturwissenschaftlichen Fragestellungen.<br />

Ohne diese vielfältigen<br />

Zugänge fehlen wichtige persönlichkeitsbildende<br />

Erfahrungen und Tätigkeiten.“<br />

7<br />

In seinen Forderungen an Politik, Pädagogik<br />

und Gesellschaft unterstreicht<br />

der Grundschulverband, dass Kinder<br />

ein allseitiges <strong>Bildung</strong>sangebot brauchen.<br />

8<br />

Zwar stehen in der öffentlichen Wahrnehmung<br />

der Deutsch- und Mathematikunterricht<br />

als grundlegend für den<br />

<strong>Bildung</strong>sprozess immer im Vordergrund,<br />

aber Sachunterricht, die musischästhetische<br />

<strong>Bildung</strong> und Soziales Lernen<br />

haben einen ebenso hohen Stellenwert<br />

für eine gelingende <strong>Bildung</strong>sentwicklung<br />

und die Einlösung des umfassenden <strong>Bildung</strong>sanspruchs<br />

von Kindern.<br />

Die Empfehlungen zur Arbeit in der<br />

Grundschule der Kultusministerkonferenz<br />

und die Positionen des Grundschulverbands<br />

bestärken sich in dieser<br />

Einschätzung. Sie legitimieren und ermutigen<br />

die Schulen, der kulturellen <strong>Bildung</strong><br />

mehr Raum zu geben.<br />

Anmerkungen<br />

1) Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule<br />

(Beschluss der KMK vom 02.07.1970<br />

i. d. F. vom 11.06.2015)<br />

2) Ebenda, 18<br />

3) Ebenda, 15<br />

4) Ebenda, 15<br />

5) Ebenda, 15<br />

6) Hecker u. a. (2020): Kinder Lernen<br />

Zukunft. Anforderungen und tragfähige<br />

Grundlagen, Beiträge zu Reform der Grundschule<br />

Band 150, Frankfurt a. Main, 18<br />

7) Ebenda, 18<br />

8) Hecker u. a. (2020): Kinder Lernen<br />

Zukunft. Über die Fächer hinaus: Prinzipien<br />

und Perspektiven, Beiträge zu Reform der<br />

Grundschule Band 151, Frankfurt a. Main,<br />

284 f.<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

3


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> in der Grundschule<br />

Den Kultur- und Lebensraum Schule neu gestalten<br />

Frühkindliche <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>, für die Lebensalter von Geburt bis ca. 12 Jahren,<br />

umfasst auch den Zeitraum der Grundschule. Diese wichtigen Entwicklungsjahre<br />

sind jedoch selten Bestandteil genauer Betrachtung, wenn es um<br />

Schule und ästhetisches Lernen geht. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> stellt weit mehr dar als<br />

die Inhalte der Fächer Musik und Bildende Kunst. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> gerade in<br />

den frühen Jahren ernst zu nehmen und als Schulkultur zu etablieren, heißt,<br />

Schule auch strukturell neu zu denken und zu gestalten.<br />

<strong>Bildung</strong>spolitisch stehen die Grundschulen<br />

vor zahlreichen Herausforderungen:<br />

Sie sollen einer<br />

immer heterogener werdenden Schülerschaft<br />

gerecht werden, <strong>Bildung</strong>sungleichheiten<br />

ausgleichen, Kinder optimal auf<br />

eine weiterführende Schule vorbereiten<br />

und zeitnah den Rechtsanspruch auf<br />

Ganztagesbildung umsetzen. <strong>Kulturelle</strong><br />

<strong>Bildung</strong> an der eigenen Schule weiterzuentwickeln<br />

stellt jedoch nur bedingt<br />

eine weitere Herausforderung dar, sondern<br />

kann für viele dieser gegenwärtigen<br />

und zukünftigen Aufgaben ein<br />

unterstützendes Konzept oder gar eine<br />

integrative Lösung darstellen.<br />

Im folgenden Beitrag werden zunächst<br />

der Begriff der <strong>Kulturelle</strong>n <strong>Bildung</strong><br />

und die Potenziale einer frühen ästhetischen<br />

<strong>Bildung</strong> allgemein beschrieben.<br />

Um diese Potenziale im Schulalltag<br />

für alle Kinder wirksam werden zu lassen,<br />

braucht es jedoch eine konsequente<br />

Gestaltung des Kulturraums Schule<br />

durch alle Lehrkräfte, durch Partner aus<br />

dem kulturellen, aber auch sozialen nonformalen<br />

Bereich, durch die Schülerinnen<br />

und Schüler sowie die Eltern.<br />

Was ist Frühkindliche<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>?<br />

Den Begriff „Frühkindliche <strong>Kulturelle</strong><br />

<strong>Bildung</strong>“ und seinen Bedeutungsumfang<br />

kann man angemessen erläutern, indem<br />

man sich die unterschiedlichen Bestandteile<br />

etwas genauer ansieht.<br />

Frühkindlich meint in diesem Zusammenhang,<br />

dass die ästhetische Wahrnehmung<br />

von sich selbst und der umgebenden<br />

Umwelt spätestens mit der Geburt<br />

beginnt. Die sensomotorische Entwicklung<br />

des Säuglings läuft von Anfang an.<br />

„Wenn man davon ausgeht, dass Kinder<br />

vom ersten Augenblick ihres extrauterinen<br />

Lebens an Erfahrungen machen,<br />

speichern und bewerten, dann sind die<br />

sensorischen, motorischen und emotionalen<br />

Prozesse die Grundlage dafür,<br />

wie Welt wahrgenommen und gedacht<br />

wird“ (Schäfer 2019, 23). „Die erste <strong>Bildung</strong>saufgabe<br />

besteht also in der Differenzierung<br />

und <strong>Bildung</strong> der sensorischen<br />

Möglichkeiten; dies jedoch nicht<br />

als sensorisches Training, sondern als<br />

eine Strukturierung der wahrgenommenen<br />

Welt mit sinnlichen Mitteln“ (ebd.).<br />

In den ersten sechs Lebensjahren steht<br />

das sensorische, motorische, sprachliche<br />

und ordnende Lernen im Mittelpunkt,<br />

das durch ein ästhetisches Lernen,<br />

verstanden als Ordnung der sinnlichen<br />

Wahrnehmung und sinnlichen Erkenntnisse,<br />

geprägt ist. Man kann daher<br />

ästhetische <strong>Bildung</strong> als Grundkategorie<br />

früher <strong>Bildung</strong> (Reinwand 2013) begreifen.<br />

Frühes Lernen ist immer auch ästhetisch.<br />

Das Lebensalter von 6 bis 12 Jahren<br />

ist dann zwar deutlicher geprägt durch<br />

sprachlich-kognitive Lernprozesse und<br />

die Entwicklung des Abstraktionsvermögens,<br />

allerdings spielen auch hier pädagogische<br />

Arrangements, die ästhetische<br />

Grundprinzipien widerspiegeln, eine<br />

große Rolle wie „Sammeln und Vergleichen;<br />

Zeichnen und Modellieren; Arrangieren<br />

und Ordnen; Spielen und Gestalten;<br />

Erzählen und Rollenspiel; Wahrnehmen<br />

und Darstellen; Phantasieren und<br />

Träumen; Gestalten und Konstruieren;<br />

Staunen und Beobachten; Singen und<br />

Tanzen“ (Neuß/Kaiser 2019, 19 f.).<br />

„<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>“ geht zwar von<br />

einem weiten Kulturbegriff aus, der<br />

auch unterschiedliche soziale und kulturell<br />

vermittelte Lebensweisen in den<br />

Blick nimmt, verweist aber im engeren<br />

Begriffsverständnis auf die Künste und<br />

meint im Folgenden Praxen wie Musik<br />

machen, Lesen, Zeichnen und Malen,<br />

Tanzen, Spielen, aber auch den Umgang<br />

mit Architektur, Zirkus und Akrobatik<br />

oder digitalen Medien. Es geht weniger<br />

um die Künste in ihren professionellen<br />

Ausprägungen, um Kunstwerke und ihre<br />

Rezeption oder gar die frühe Vorbereitung<br />

auf eine künstlerische Laufbahn,<br />

sondern um ästhetische Praktiken, wie<br />

sie uns zahlreich im Alltag und in einem<br />

reichen pädagogischen Raum begegnen.<br />

Allerdings ist die spezifische Qualität,<br />

in der diese ästhetischen Praktiken angeboten<br />

werden, dabei nicht irrelevant.<br />

Einen limitierten Rahmen der Mimesis,<br />

der Nachahmung vorzugeben, was häufig<br />

in Gestaltungsprozessen in formalen<br />

Einrichtungen passiert – die Lehrkraft<br />

macht etwas vor, die Schüler_innen<br />

machen das so oder ähnlich nach –,<br />

ist zu wenig. Ästhetische Wahrnehmung<br />

und ästhetisches Gestalten können sich<br />

erst vollständig in einem Freiraum entwickeln,<br />

in dem eigene Schwerpunkte<br />

und Selbstwirksamkeitsprozesse möglich<br />

sind, Routinen durchbrochen werden,<br />

Wahrnehmung geschärft wird. In<br />

der Grundschule kann das bedeuten,<br />

andere Materialien zu verwenden, neue<br />

Gruppenkonstellationen herauszufordern,<br />

mehr Verantwortung und weniger<br />

Anleitung zu geben, einen Perspektivwechsel<br />

durch neue Räume vorzunehmen.<br />

Diese Selbst- und Weltwahrnehmungsprozesse<br />

anzuregen braucht daher<br />

pädagogischen, aber auch ästhetischen<br />

Sachverstand. Ästhetische und kulturelle<br />

<strong>Bildung</strong> sind dabei spartenübergreifend<br />

und auch im Dazwischen der Künste<br />

anzuwenden. So ist gerade in der frühen<br />

Kindheit kaum zu trennen zwischen<br />

beispielsweise Malen, Singen oder Tanzen<br />

– ein Thema kann und sollte durch<br />

verschiedene Ausdrucksweisen erforscht<br />

und bearbeitet werden.<br />

Der Fokus der Frühkindlichen <strong>Kulturelle</strong>n<br />

<strong>Bildung</strong> liegt auf <strong>Bildung</strong>sprozessen,<br />

die im Vergleich zu zum Beispiel<br />

4 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

zielorientierten Lernprozessen stärker<br />

die Eigentätigkeit und Unabgeschlossenheit<br />

einer aktiven Auseinandersetzung<br />

mit dem Selbst und mit der (Um-)Welt<br />

betonen. So ist <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> nicht<br />

auf die Phasen der Kindheit beschränkt,<br />

sondern sollte im besten Fall als eine andere<br />

Form der Reflexion und Weltwahrnehmung<br />

fester Bestandteil des ganzen<br />

Lebens sein, und auch Erwachsene profitieren<br />

davon, ihre Wahrnehmungs- und<br />

Ausdruckskraft immer wieder systematisch<br />

zu erweitern und durch Ungewohntes<br />

herauszufordern. Gerade für formale<br />

Einrichtungen wie Schulen stellt dieses<br />

<strong>Bildung</strong>sverständnis angesichts von leistungsorientierten<br />

Lernzielen und Kompetenzkatalogen<br />

oftmals jedoch eine Herausforderung<br />

dar. Ästhetische <strong>Bildung</strong><br />

fokussiert zunächst den gegenwärtigen<br />

Moment und unterliegt anderen Kriterien<br />

und Zeitlichkeiten als methodisch-systematische<br />

Erkenntnisprozesse. Erwartungen<br />

und Abläufe werden durchkreuzt,<br />

überraschende Momente ändern alles,<br />

der eigene innere Rhythmus, nicht ein<br />

Außen gibt den Takt vor. „In der Ausbildung<br />

von Rhythmen kultivieren Kinder<br />

den Leib als Organ für Erfahrungen, sie<br />

ordnen die Wahrnehmungen und Handlungen<br />

in der Zeit. Rhythmen als strukturierte<br />

Verläufe von Wiederholung, Gruppierung<br />

und Akzentuierung erzeugen<br />

Dispositionen für eine Kultivierung des<br />

Lernens“ (Duncker 2019, 49). Das heißt,<br />

dass Kinder über das Sich-Ausprobieren<br />

und systematische Frei-Räume lernen,<br />

eine eigene Lernkultur und Neugierde zu<br />

entwickeln, was die Lernmotivation und<br />

auch den Teilhabewillen stärkt.<br />

Frühkindliche <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> bezieht<br />

sich also nicht nur auf eine bestimmte<br />

Lebensspanne in der Kindheit,<br />

sondern beinhaltet – wie hier nur angedeutet<br />

werden konnte – ein besonderes<br />

Verständnis von <strong>Bildung</strong>sprozessen<br />

mit und durch ästhetische Praktiken,<br />

das durchaus auch in Konflikt und<br />

Widersprüche zu schulischen Praktiken<br />

geraten kann. Gelingt es jedoch, Räume<br />

und Zeiten für ästhetisches Handeln<br />

im Grundschulalltag bewusst zu integrieren,<br />

kann dies zu einer besonderen<br />

Kultivierung des frühen Lernens führen,<br />

das selbsttätige <strong>Bildung</strong>sprozesse<br />

grundlegt und die eigene Darstellungsund<br />

Ausdrucksfähigkeit fördert.<br />

Wie geht Frühkindliche <strong>Kulturelle</strong><br />

<strong>Bildung</strong> in formalen Kontexten?<br />

Während in den Kindertagesstätten ein<br />

<strong>Bildung</strong>splan von den Ländern vorgegeben<br />

wird und damit ein Rahmen,<br />

aber auch vielfältige Möglichkeiten<br />

vorherrschen, das pädagogische Profil<br />

einer Einrichtung zu gestalten, findet<br />

in den stärker an konkreten Lehrplänen<br />

orientierten Grundschulen das<br />

ästhetische Lernen meist seinen Ausgangspunkt<br />

in Fächern wie Musik und<br />

Bildende Kunst oder in Projekten und<br />

Projektwochen. Frühkindliche <strong>Kulturelle</strong><br />

<strong>Bildung</strong> entfaltet jedoch erst ihr ganzes<br />

Potenzial, wenn sie fester Bestandteil<br />

aller Fächer und damit der Gestaltung<br />

des Grundschulalltags wird. Folgende<br />

Fragen können Startpunkt sein, wenn<br />

eine Schule eine ästhetische Lernkultur<br />

entwickeln will: Wie wollen wir unseren<br />

„Es geht weniger um die Künste in ihren professionellen<br />

Ausprägungen […], sondern um ästhetische Praktiken,<br />

wie sie uns zahlreich im Alltag und in einem reichen<br />

pädagogischen Raum begegnen.“<br />

gemeinsamen Alltag gestalten? Welche<br />

Rituale und Rhythmen liegen unserem<br />

Alltag zugrunde? Wie ermöglichen wir<br />

ein Lernen mit allen Sinnen? Wie binden<br />

wir die Gestaltungs- und Teilhabekraft<br />

aller Schülerinnen und Schüler,<br />

aber auch die vielfältigen Kompetenzen<br />

aller Lehrkräfte und Eltern für unseren<br />

Alltag gewinnbringend ein? Wie verleihen<br />

wir unserer spezifischen Kultur<br />

Ausdruck? Wann und wie zeigen wir<br />

uns einer Teilöffentlichkeit? Wie schenken<br />

wir gegenseitige Anerkennung und<br />

Wertschätzung? Wie gehen wir optimal<br />

auf die Heterogenität unserer Schülerschaft<br />

ein, ohne – ungewollte und oft<br />

unbewusste – Ausschlüsse zu produzieren?<br />

Wie binden wir digitale Medien<br />

nicht nur konsumierend und als Lerntool<br />

ein, sondern wie ermöglichen<br />

wir einen kreativen und reflektierten<br />

Umgang damit? Wie werden wir als<br />

Dr. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss<br />

Direktorin der Bundesakademie für<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> Wolfenbüttel und<br />

Professorin für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> an<br />

der Universität Hildesheim. Sie ist<br />

in zahlreichen Gremien und Jurys<br />

<strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> aktiv, so ist sie z. B.<br />

Gründungsmitglied des bundesweiten<br />

Netzwerkes Forschung <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

und im Rat für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>.<br />

Schule nachhaltiger? Welcher Anteil an<br />

der Gestaltung unserer Kommune oder<br />

unserer Region kommt uns zu?<br />

Diese und ähnliche Fragen können<br />

dabei unterstützen, eine spezifische<br />

Schulkultur zu entwickeln und herauszubilden<br />

und dabei kulturelle <strong>Bildung</strong><br />

als selbstverständlichen Teil des<br />

Unterrichts in jedem Fachkontext zu leben.<br />

Dies erfordert, wenn man es ernst<br />

meint, ganz automatisch die Reflexion<br />

gewohnter Praktiken, die eventuell neuen<br />

Rhythmen und Gestaltungsideen entgegenstehen<br />

können. Wie bewerten wir?<br />

Wie organisieren wir unsere Lernzeiten?<br />

Wie frei sind die Kinder in ihren Lernprozessen?<br />

Wie verbinden wir unterschiedliche<br />

Fächer und Lernziele?<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> auf einem hohen<br />

Niveau zu pflegen, erfordert meist<br />

zwangsläufig die Fort- und Weiterbildung<br />

von Schulleitung und Lehrkräften,<br />

aber auch die Erkenntnis, dass man diese<br />

Schritte nicht alleine gehen muss. In<br />

einer Kommune, in unmittelbarer Schulnähe<br />

existieren immer unterschiedlichste<br />

Partner, die eingebunden werden können<br />

und eine Schulkultur mit prägen: sei<br />

dies eine Kulturinstitution, eine einzelne<br />

Künstlerin bzw. ein einzelner Künstler,<br />

eine weitere <strong>Bildung</strong>seinrichtung, Vereine<br />

oder soziale Träger bis hin zu kommunalen<br />

Einrichtungen wie Feuerwehr<br />

oder Polizei. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> als ein<br />

fächerübergreifendes Prinzip in Schule<br />

zu etablieren, heißt auch, Grundschule<br />

als Mittelpunkt eines ländlichen<br />

oder städtischen Lebensumfeldes der<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

5


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Kinder und ihrer Eltern zu entwickeln.<br />

Die Eltern als die bestimmende Determinante<br />

für ungleiche <strong>Bildung</strong>schancen<br />

( El-Mafaalani 2020) in diese Prozesse<br />

aktiv mit einzubinden, ist dabei genauso<br />

wichtig wie der enge und offene Austausch<br />

mit allen Partnern, die in Schule<br />

tätig werden.<br />

Diese Kooperationsleistungen erfordern<br />

zunächst zusätzliche Ressourcen<br />

zum Aufbau und zur Pflege dieses Netzwerkes.<br />

Wenn es jedoch gelingt, ein tragfähiges<br />

Netz an Beteiligten und Akteuren<br />

an die Schule zu binden, bedeutet dies<br />

langfristig eine Entlastung der Strukturen<br />

und damit auch einzelner Lehrkräfte.<br />

Eine ästhetische, d. h. mit <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong><br />

durchzogene Schulkultur trägt<br />

schnell Früchte, indem durch die aktive<br />

und motivierte Mitwirkung vieler Beteiligter<br />

das System immer neue Impulse<br />

und Möglichkeiten hervorbringt und<br />

sich quasi selbst weiterentwickelt. Verschiedene<br />

Querschnittsthemen wie Diversität,<br />

Digitalität, Nachhaltigkeit oder<br />

aktuelle Themen wie Krieg, Pandemie<br />

oder Tod finden in ästhetischen Praktiken<br />

viel leichter und zugänglicher Ausdruck<br />

und damit eine Bewältigungsstrategie<br />

für Schüler_innen und Lehrkräfte.<br />

Worin liegen die Potenziale<br />

Frühkindlicher <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong>?<br />

Die Potenziale (Frühkindlicher) <strong>Kulturelle</strong>r<br />

<strong>Bildung</strong> können kaum in einem<br />

Satz genannt werden. Zu abhängig sind<br />

die Wirkungen ästhetischer Praktiken<br />

von der jeweiligen Sparte, dem Individuum<br />

oder Umfeld, auf das sie wirken,<br />

oder auch der ästhetischen und<br />

pädagogischen (Prozess-)Qualität, in<br />

der sie angeboten werden. Bedeutsam<br />

ist jedoch, dass Kinder schon früh sehr<br />

unterschiedliche Künste und ästhetische<br />

Praktiken sowohl in ihrer Rezeption, d. h.<br />

Musik hören, Theater sehen oder Bilder<br />

besprechen, als auch in der Produktion,<br />

d. h. im Selbsttätigsein, erfahren. Nur so<br />

lernen sie verschiedene „Sprachen“ und<br />

Formen zu „lesen“ und sich und ihre<br />

Erkenntnisse auszudrücken. Auch das<br />

konkrete Alter ist zu beachten, wenn es<br />

um das „wie“ und mögliche Potenziale<br />

des ästhetischen Arbeitens geht.<br />

Am Beispiel des Umgangs mit digitalen<br />

Medien wird dies deutlich: Kein<br />

Kind kommt, wenn es das Grundschulalter<br />

erreicht hat, in seinem (familiären)<br />

Alltag an digitalen Medien vorbei. Es<br />

geht jedoch in der <strong>Kulturelle</strong>n <strong>Bildung</strong><br />

nicht darum, unhinterfragt Medienangebote<br />

zu konsumieren, sondern diese<br />

einzubetten in die Erfahrungswelten<br />

der Kinder. Was habe ich da gesehen?<br />

Was habe ich erfahren? Wie kann ich das<br />

Erfahrene selbst verarbeiten und meine<br />

eigene Rezeption widerspiegeln? Im<br />

kreativen Umgang mit digitalen Medien<br />

Kinder in ihren Gestaltungs- und Ausdrucksfähigkeiten<br />

ernst zu nehmen, bedeutet also,<br />

Teilhabe und „Teilgabe“ aktiv zu ermöglichen.<br />

lernen Kinder, ihren Medienkonsum zu<br />

reflektieren, Qualitätsunterschiede einzuschätzen,<br />

und machen die Erfahrung,<br />

dass sie selbst in der Lage sind, Medienangebote<br />

zu erstellen und zu verändern.<br />

Wirklichkeiten vorzutäuschen, Realität<br />

zu verfremden wird dekonstruiert. Filmemacher_innen<br />

in Schulen einzuladen,<br />

Kooperationen mit Medienbüros<br />

einzugehen oder auch Videoerstellung<br />

als ein Ausdrucksmittel zu nutzen, kann<br />

viele Unterrichtsthemen um eine weitere<br />

Dimension reicher machen. Kinder in<br />

ihren Gestaltungs- und Ausdrucksfähigkeiten<br />

ernst zu nehmen, bedeutet also,<br />

Teilhabe und „Teilgabe“ aktiv zu ermöglichen.<br />

Die Mitgestaltung von Schulgebäuden<br />

und damit Lernräumen auch<br />

ganz physisch zu begreifen, praktische<br />

Architekturerfahrung und nicht nur<br />

Dekorationserfahrung zu ermöglichen,<br />

könnte auch ganz nebenbei viele Schulräume<br />

lernadäquater entwickeln. Hierzu<br />

kann eine Kooperation mit Architekt_<br />

innen, die es gewohnt sind, mit Kindern<br />

zu arbeiten, hilfreich sein.<br />

Medien und Architektur sind nur zwei<br />

Beispiele, wie künstlerisches und kulturelles<br />

Lernen in den Lernalltag der Schule<br />

Eingang finden kann. Vor allem durch<br />

den Einbezug kultureller Fachkräfte können<br />

pädagogische und ästhetische Grundprinzipien<br />

<strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> (z. B. Interessen-<br />

und Stärkenorientierung, Selbstwirksamkeitserfahrung,<br />

Anerkennung<br />

oder Ambiguität, Bezug zur Leiblichkeit,<br />

Enthusiasmus) (vgl. Braun/Schorn<br />

2012, 131 ff. und Rat für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

2014, 44 f.) verwirklichbar werden,<br />

die das spezifische Potenzial und damit<br />

die Qualität <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> ausmachen<br />

(vgl. ergänzend den folgenden Beitrag<br />

von Stiller).<br />

Fazit: Was muss nun konkret bei<br />

der Gestaltung eines kulturellen<br />

Lernraums beachtet werden?<br />

Wie gelingt nun die Gestaltung eines<br />

kulturellen Lernraums Grundschule?<br />

Ein paar wichtige Grundsätze sind zu<br />

beachten, wenn <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> als<br />

Querschnittsaufgabe in Schulen verankert<br />

werden soll und sich dadurch<br />

die Möglichkeit ergibt, auch drängende<br />

bildungspolitische Themen wie Ganztag,<br />

Diversität/Inklusion oder <strong>Bildung</strong>sungerechtigkeiten<br />

grundsätzlicher anzugehen<br />

und zu bearbeiten:<br />

1. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> ist paradox: sie<br />

wirkt nur, wenn sie zweckfrei betrieben<br />

wird. Das heißt, <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> lässt<br />

sich nicht in ein schulisches Bewertungsschema<br />

pressen und ähnlich wie<br />

ein Fach abhandeln. Wenn sie nur im<br />

Schielen auf außerhalb der Künste liegende<br />

Kompetenzen betrieben wird,<br />

verliert sie ihre Stärke.<br />

2. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> ist kein Add-on.<br />

Ästhetische Praktiken in der (Grund-)<br />

Schule einzusetzen bedeutet, eine spezifische<br />

Lernkultur herauszubilden und<br />

zu kultivieren und alle Fächer mit ästhetischen<br />

Praktiken zu durchziehen.<br />

3. Für <strong>Kulturelle</strong> Schulentwicklung<br />

gibt es keine Schablone. Jede Schule<br />

muss ihren eigenen Weg finden im<br />

regionalen oder kommunalen Netzwerk,<br />

in dem sie sich befindet. Es gibt allerdings<br />

zahlreiche Schulen in der Republik,<br />

die sich schon auf den „kulturellen<br />

Weg“ gemacht haben, sodass der Austausch<br />

untereinander sehr wertvoll sein<br />

kann.<br />

4. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> in Schule systematisch<br />

zu entwickeln, braucht einen<br />

langen Atem und die Einbeziehung<br />

und Zusammenarbeit unterschiedlichster<br />

Akteure. Schulleitungen, das<br />

ganze oder zumindest die Mehrheit<br />

des Lehrerkollegiums, Kultur- und<br />

andere Partner aus dem Umfeld, die<br />

Einbindung von Eltern und die Stärkung<br />

der Gestaltungsfähigkeit der<br />

6 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Schüler_innen – alle sind Teil einer<br />

spezifischen Schulkultur und sollten<br />

sich einbringen.<br />

5. Der Ganztag darf keine Ausrede sein,<br />

sondern ist eine Chance! <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

als Lückenbüßer und Kulturpartner<br />

als Betreuungshilfe am Nachmittag einzusetzen,<br />

verkennt das große Potenzial<br />

Literatur<br />

Braun, T./ Schorn, B. (2012): Ästhetisch-kulturelles<br />

Lernen und kulturpädagogische<br />

<strong>Bildung</strong>spraxis. In: H. Bockhorst/ V.-I.<br />

Reinwand/ W. Zacharias (Hrsg.) (2012):<br />

Handbuch <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>. kopaed:<br />

München, 128–134.<br />

Duncker, L. (2019): Die Bedeutung ästhetischen<br />

Lernens für eine Theorie der Kindheit<br />

– pädagogisch-anthropologische und<br />

sozialwissenschaftliche Begründungszusammenhänge.<br />

In: Neuß, N./Kaiser, L. S. (Hrsg.)<br />

(2019): Ästhetisches Lernen in Vor- und<br />

kultureller Schulentwicklung. Der Ganztagesschulausbau,<br />

der insbesondere die<br />

Grundschulen in den nächsten Jahren<br />

fordern wird, stellt die <strong>Bildung</strong>seinrichtungen<br />

vor die Aufgabe, ihre Rhythmen<br />

und Schwerpunkte neu zu setzen.<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> sollte nicht als zusätzliche<br />

Aufgabe angesehen werden, die<br />

Grundschule. Stuttgart: Kohlhammer, 39–53.<br />

El-Mafaalani, Aladin (2020): Mythos<br />

<strong>Bildung</strong>: Die ungerechte Gesellschaft, ihr<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem und seine Zukunft. Kiepenheuer<br />

& Witsch: Köln.<br />

Neuß, N./Kaiser, L. S. (Hrsg.) (2019): Ästhetische<br />

Erfahrung als Grundkategorie frühkindlicher<br />

<strong>Bildung</strong>. In: Neuß, N./Kaiser, L. S.<br />

(Hrsg.) (2019): Ästhetisches Lernen in Vorund<br />

Grundschule. Stuttgart: Kohlhammer,<br />

13–22.<br />

Rat für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> (2014): Schön, dass<br />

ihr da seid. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>: Teilhabe und<br />

Schulen und Lehrkräfte neben zahlreichen<br />

weiteren auch noch zu bewältigen hat. Sie<br />

ist vielmehr Unterstützung und Wegweiser<br />

in Richtung einer modernen und vielfältigen<br />

Schulkultur, die mit etwas Geduld<br />

das gemeinsame tägliche Zusammensein<br />

als fruchtbaren Lern- und Entwicklungsort<br />

für alle hervorbringt.<br />

Zugänge. Rat für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>: Essen.<br />

Reinwand, V.-I. (2013): Ästhetische <strong>Bildung</strong><br />

– Eine Grundkategorie frühkindlicher<br />

<strong>Bildung</strong>. In: M. Stamm/ D. Edelmann<br />

(Hrsg.): Handbuch frühkindliche <strong>Bildung</strong>sforschung.<br />

Wiesbaden: Springer VS, 573–585.<br />

Schäfer, G. (2019): Bedeutung der Ästhetik<br />

für kindliche <strong>Bildung</strong>sprozesse. In: Neuß, N./<br />

Kaiser, L. S. (Hrsg.) (2019): Ästhetisches<br />

Lernen in Vor- und Grundschule. Stuttgart:<br />

Kohlhammer, 23–38.<br />

Barbara Stiller<br />

Lernen in den Künsten<br />

anschlussfähig gestalten<br />

Zur Unterstützung kindlicher <strong>Bildung</strong>s-, Lern- und Arbeitsprozesse<br />

in institutionellen Kontexten der Ästhetischen <strong>Bildung</strong><br />

Je früher Kinder ihre Sinne beim Musizieren, beim visuellen Gestalten sowie<br />

in darstellenden Spielen koordiniert einzusetzen wissen, desto intensiver lernen<br />

sie zu empfinden, zu denken, Erfahrungen zu sammeln und Hypothesen über<br />

die sie umgebende Welt aufzustellen. Ab dem Besuch einer Krippe geht es darum,<br />

die Kinder durch künstlerisch motivierte Impulse aus Bereichen der Musik,<br />

der visuellen und darstellenden Künste in der Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu<br />

selbstständigem Handeln und kreativem Können zu unterstützen.<br />

Besondere Interessen der Kinder<br />

heißt es aufzugreifen und ihnen<br />

handwerkliche Techniken zum<br />

Handhaben von Mal- und Bauutensilien,<br />

Musikinstrumenten, Verkleidungsgegenständen<br />

etc. nahezulegen.<br />

Somit erwerben viele Kinder<br />

bereits ein erstes ‚künstlerisches Handwerkszeug‘,<br />

das ihnen Sicherheit für<br />

einen anschlussfähigen Übergang von<br />

der Krippe in die Kita bereiten kann. Je<br />

größer ihr Anregungshorizont, desto<br />

selbstverständlicher, ‚virtuoser‘ und<br />

multidisziplinärer können sie zwischen<br />

den Kunstbereichen agieren. Ein solch<br />

crossmediales Handeln in den Künsten<br />

bildet ein anschlussfähiges Fundament<br />

für die in Grundschulen weitestgehend<br />

übliche disziplinäre Fachlichkeit in den<br />

Fächern Musik, Bildende Kunst, Darstellendes<br />

Spiel o. Ä.<br />

Anschlussfähigkeit in den<br />

Künsten aus der Perspektive<br />

der kooperierenden<br />

pädagogischen Fachkräfte<br />

Besondere Anstrengungen nehmen<br />

nicht nur Kinder eher auf sich, wenn<br />

die Kontexte für sie relevant sind. Wie<br />

für sie Aneignungsprozesse auf spielanregende<br />

Weise durch Phantasie<br />

erweckende Tätigkeiten stattfinden<br />

müssen, so sollte kooperatives Arbeiten<br />

auch für die pädagogischen Fachkräfte<br />

zu einem kreativen Mehrwert führen.<br />

In institutionenübergreifenden Teams<br />

kann ein Austausch über gemeinsam<br />

gemachte Beobachtungen empfehlenswert<br />

sein, um die Gestaltungsansätze der<br />

Kinder mit dem Blick auf ‚durchlässige<br />

Anschlussfähigkeit‘ zu verstehen und so<br />

passgenau wie möglich zu unterstützen:<br />

● Warum bauen, malen, musizieren,<br />

konstruieren, sammeln, sortieren oder<br />

spielen Kinder in welchem Alter mit gegebenem<br />

oder frei wählbarem Material,<br />

warum stellen sie etwas szenisch dar?<br />

● Aus welchen Anlässen heraus gestalten<br />

sie intrinsisch motiviert ästhetische<br />

Situationen?<br />

● Auf welche Vorbilder, Symbole und<br />

‚Sprachen‘ greifen sie dabei zurück?<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

7


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

● Welche Ideen und Deutungen haben<br />

sie selbst für ihre Werke und Spielhandlungen?<br />

● In welcher Situation suchen sie den<br />

Austausch mit Erwachsenen? Was motiviert<br />

sie, bestimmte Erwachsene in<br />

ihre Gestaltungsprozesse zu involvieren<br />

und diese als für sie bedeutsame<br />

Expertin oder Experten heranzuziehen<br />

(und andere nicht)?<br />

● Welche unterstützenden Anregungen<br />

durch Erwachsene greifen sie freiwillig<br />

auf, welche nicht?<br />

Anschlussfähige Fertigkeiten,<br />

Fähigkeiten und Kompetenzen<br />

der Ästhetischen <strong>Bildung</strong> als<br />

gemeinsame Schnittmenge<br />

von Kita und Schule<br />

Im Folgenden wird anhand einiger<br />

exemplarisch gewählter Beispiele aus<br />

den Bereichen der Musik, der visuellen<br />

und darstellenden Künste beschrieben,<br />

über welche Fähig- und Fertigkeiten<br />

Kinder nach ihrer ästhetischen<br />

Spurensuche als Sicherheit bietende<br />

Ressource beim Eintritt in die Schule<br />

verfügen. Die Fähigkeits-Kategorien<br />

orientieren sich an Aspekten, welche<br />

bildungswissenschaftlich allgemein<br />

als bedeutsam für eine gelingende<br />

Anschlussfähigkeit für den Übergang<br />

von der Kita in die Schule angenommen<br />

werden (z. B. Sauerhering/Solzbacher<br />

2013, 8–9).<br />

Fachspezifische Fähigkeiten: Die Kinder<br />

verfügen mit dem Schuleintritt über<br />

produktive Fähigkeiten in Form kreativen<br />

Handelns durch sinnlich-körperliche<br />

und spielerische Aktivitäten und<br />

Primärerfahrungen. Künstlerische Verfahren<br />

haben sie aus Alltagshandlungen<br />

heraus als Prozesse des Experimentierens,<br />

Explorierens, Improvisierens,<br />

Konstruierens, Reduzierens, Präsentierens,<br />

Reproduzierens, Ausstellens,<br />

Dokumentierens, Sich-Positionierens<br />

etc. erlebt.<br />

Sozial-emotionale Fähigkeiten: Durch<br />

künstlerisches Handeln, musikalisches<br />

Zusammenspiel, rhythmisches<br />

und gestalterisches Empfinden, Miteinander-Improvisieren,<br />

Aufeinander-<br />

Hören etc. haben die Kinder ihre sozialen<br />

Kompetenzen des Kommunizierens<br />

und Interagierens gestärkt. Dadurch<br />

sind sie imstande, hervorgerufene<br />

Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken.<br />

Sofern gewünscht, können sie<br />

dabei mit anderen zusammenarbeiten,<br />

Regeln verabreden und einhalten.<br />

Momente des Staunens können sie als<br />

Agierende und Zuschauende genießen,<br />

Vielfalt als Bereicherung erleben und<br />

eigene Meinungen zu den Werken<br />

anderer wertschätzend formulieren.<br />

Sprachliche/stimmliche Fähigkeiten:<br />

Künstlerische Handlungen bieten den<br />

Kindern kontinuierlich Sprech- und<br />

Singanlässe, bei denen sie ihre Emotionen<br />

mit Fantasie- und Nonsenssprache<br />

sowie nonverbalen Kommunikationsformen<br />

verknüpfen.<br />

Motorische Fähigkeiten: Die Kinder<br />

können ihren Körper als Ausdrucksmittel<br />

einsetzen, indem sie ihre Wahrnehmungen<br />

mit Bewegungen verknüpfen<br />

und musikalische, sprachliche<br />

oder bildnerische Impulse in<br />

Bewegungsgestaltungen und Szenen<br />

umsetzen. Zahlreiche Malgeräte und<br />

Musikinstrumente wissen sie handzuhaben.<br />

Kognitive Fähigkeiten: Die Kinder<br />

können über Gesehenes und Gespieltes<br />

nachdenken und sich anschließend<br />

über ihre Eindrücke austauschen. Dafür<br />

sehen und hören sie bewusst zu, deuten<br />

Zeichen und Symbole in spielgeleiteten<br />

Kontexten und finden Lösungsansätze<br />

zur Umsetzung ihrer eigenen Ideen in<br />

Darstellungen, Improvisationen, Bildern,<br />

Portfolios o. Ä.<br />

Lernfreude/Lernbereitschaft: Die Kinder<br />

sind leistungsbereit und erleben ihr<br />

künstlerisches Agieren als Freude,<br />

sofern sie ihre individuellen Interessen,<br />

Die Beispiele zu den Fähig- und Fertigkeiten auf dieser Seite<br />

sind dem <strong>Bildung</strong>splan ‚Lernen in Bremen. <strong>Bildung</strong>skonzeption Ästhetische <strong>Bildung</strong><br />

für den <strong>Bildung</strong>splan 0–10’entnommen, der eine durchlässige institutionelle <strong>Bildung</strong><br />

ab dem Krippenalter vorsieht und die <strong>Bildung</strong>sbereiche Musik, Visuelle Künste und<br />

Darstellende Künste in einem Dokument zusammenfasst (Die Senatorin für Kinder und<br />

<strong>Bildung</strong> Bremen 2022). Sie bauen auf produktiven, rezeptiven und reflexiven Aktivitäten<br />

auf, welche in unterschiedlicher Gewichtung in allen drei Kunst-Bereichen für einen<br />

stabilen Aufbau künstlerischer Kompetenzen als kreative Ressourcen relevant sind.<br />

Dr. Barbara Stiller<br />

Professorin für Instrumentalpädagogik,<br />

Elementare Musikpädagogik und<br />

Musikvermittlung an der Hochschule<br />

für Künste Bremen: www.hfk-bremen.<br />

de/en/profiles/n/barbara-stiller<br />

Ausdrucksbedürfnisse, Ideen und Vorstellungen<br />

hinreichend einbringen dürfen.<br />

Disziplin: Die Kinder sind imstande,<br />

Geduld aufzubringen und abzuwarten,<br />

sobald sie die Betrachtungen und Meinungen<br />

der anderen in Bezug auf ihre<br />

eigenen Werke als Bereicherung empfinden.<br />

Diese akzeptieren zu lernen,<br />

erfordert Übung, bereitet ihnen mitunter<br />

aber regelrecht Freude.<br />

Kommunikative Reflexionsfähigkeiten:<br />

Diese setzen vielfach sprachliche<br />

Kompetenzen über das Gelingen<br />

von künstlerischen (Gruppen-)Prozessen<br />

voraus und können von Kindern,<br />

die alltags- und fachsprachlich<br />

noch nicht hinreichend versiert sind,<br />

zuweilen unmittelbarer in Bildern,<br />

Improvisationen, Darstellungen o. Ä.<br />

zum Ausdruck gebracht werden.<br />

Selbstbewusstsein: Die Kinder sind<br />

es ab dem Eintritt in die Kita gewohnt,<br />

eigene Arbeiten oder Gruppenergebnisse<br />

zu präsentieren. Dabei erleben sie den<br />

Austausch darüber als Zugang zu sich<br />

selbst und ggf. auch zu Sujets, die ihnen<br />

eine Welterfahrung durch Kunst(werke)<br />

zu Nachhaltigkeitsthemen wie Natur,<br />

Konsum, Gesundheit etc. ermöglichen.<br />

Lernen lernen: Üben im Sinne<br />

variantenreicher Wiederholungen ist<br />

für künstlerische Aktivitäten essenziell.<br />

Die Kinder üben, indem sie aus<br />

gemachten Erfahrungen schöpfen und<br />

eigene Lösungen zum Anlass für eine<br />

abwechslungsreiche Fortsetzung ihres<br />

Agierens nehmen. So lernen sie, sich<br />

selbst Techniken zur Verbesserung ihrer<br />

künstlerischen Produkte anzueignen<br />

und etwas für sie Sinnvolles wiederholbar<br />

zu machen.<br />

8 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Lernfreude steigern: Neben der natürlichen<br />

Freude an künstlerischen Handlungen<br />

erfahren die Kinder Experimente<br />

zuzulassen, die sie so zuvor noch<br />

nicht erdacht und erlebt haben.<br />

Umgang mit Ängsten: Kontinuierlich<br />

verlieren Kinder ihre natürliche Scheu,<br />

indem sie sich regelmäßig singend, spielend<br />

und bewegend vor Publikum präsentieren.<br />

Darüber hinaus verfügen sie<br />

über Erfahrungen, wie sie sich mithilfe<br />

von künstlerischen Aktivitäten alternative<br />

Zugänge zu lebensweltlichen Problemen<br />

verschaffen können.<br />

Digitalisierung und Medienkompetenz: 1<br />

Digitale Medien als künstlerisches Ausdrucksmittel<br />

eignen sich für Kinder,<br />

die bereits über strukturierende, farbliche<br />

und perspektivische Kenntnisse<br />

verfügen, um das analog Gelernte auf<br />

einer anderen Ausdrucksebene in eine<br />

neue Bild- und Tonsprache zu transformieren.<br />

Kreative Ressourcen für eine<br />

lebenslange Anschlussfähigkeit<br />

Alle Fähigkeiten zusammengenommen<br />

fördern ein langfristig angelegtes<br />

Zusammenspiel an sensorischen, motorischen,<br />

emotionalen, sozialen und<br />

kognitiven Kompetenzen durch künstlerisches<br />

Handeln. Jede einzelne Fähigkeit<br />

für sich ist Teil eines Bündels an<br />

Ressourcen, die Kinder im Optimalfall<br />

lebenslang anschlussfähig agieren und<br />

potenzielle Übergänge bewältigen lassen.<br />

Dass die jungen Menschen dabei<br />

eigenständig kreativ sein sollten und<br />

von den älteren nicht einfach imitieren<br />

und übernehmen sollten, was ihnen<br />

demonstriert wird, trägt in besonderem<br />

Maße zu einem stets lebendigen<br />

Geschehen bei, dessen Ergebnisse zwar<br />

sicht- und hörbar, jedoch nicht vorhersagbar<br />

sind (Dietrich 2012/13).<br />

Anmerkung<br />

1) Empfehlungen für eine altersgerechte<br />

Nutzung digitaler Medien sind für die frühe<br />

<strong>Bildung</strong> unerlässlich und müssen an anderer<br />

Stelle gesondert dargelegt werden.<br />

Literatur<br />

Die Senatorin für Kinder und <strong>Bildung</strong> Bremen<br />

(Hrsg.) und Stiller, Barbara (Verf.) (2022):<br />

Lernen in Bremen. <strong>Bildung</strong>skonzeption<br />

Ästhetische <strong>Bildung</strong> für den <strong>Bildung</strong>splan<br />

0–10 (unveröffentlicht, befindet sich im<br />

Zulassungsverfahren).<br />

Dietrich, Cornelie (2013/2012): Ästhetische<br />

Erziehung. In: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> Online:<br />

www.kubi-online.de/artikel/aesthetische-erziehung<br />

[09.03.2022].<br />

Sauerhering, Meike/Solzbacher, Claudia<br />

(2013): Übergang Kita – Grundschule.<br />

Niedersächsisches Institut für frühkindliche<br />

<strong>Bildung</strong> und Entwicklung (nifbe) (Hrsg.)<br />

Themenheft 14. Osnabrück. Online unter<br />

https://t1p.de/4z101 [07.03.2022].<br />

Anke Weiß<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> und digitale Medien<br />

in der Lehrkräfteausbildung der zweiten Phase<br />

Kaum ein Begriff scheint sperriger als der Begriff der „<strong>Kulturelle</strong>n <strong>Bildung</strong>“.<br />

Denn eine <strong>Bildung</strong> ohne Bezug zur Kultur kann eigentlich keine <strong>Bildung</strong> sein.<br />

Doch diesem Spagat, der sich immer schneller verändernden Digitalisierung,<br />

ist auch der Kultur- und <strong>Bildung</strong>ssektor ausgesetzt. Belegt durch die aktuelle<br />

JIM-Studie 2021 sind verschiedene kulturell relevante Ästhetische Bereiche, aus<br />

Perspektive der Digitalität, ständig in einem Wandlungsprozess:<br />

Abb. 1: Glitchart (© A. Weiß)<br />

eintauchen. Museen stellen ihre Sammlungen<br />

online, machen Vernissagen<br />

digital begehbar und demokratisieren<br />

kulturelle Teilhabe. Video, Games und<br />

Film sind seit Langem anerkannte<br />

Kunstgenres und werden selbst wiederum<br />

genutzt, um neue Formen in typisch<br />

„analogen“ Kunstsparten wie Theater<br />

oder Tanz auf digitale Art ästhetisch zu<br />

bereichern. Durch künstliche Intelligenzen<br />

werden innovative Kunstformen<br />

geschaffen, die ohne eine menschliche<br />

Ideengenerierung auskommen und im<br />

Ergebnis nicht mehr von einem durch<br />

Menschen hergestellten Kunstwerk zu<br />

unterscheiden sind (Reinwand-Weiss<br />

2019, 71 f.)<br />

Unterschiedliche Musikstile in<br />

digitaler Form werden täglich<br />

unzählige Male über digitale<br />

Tools (bspw. SoundCloud), Audio-<br />

Stream-Dienste oder Videoportale (z. B.<br />

YouTube) genutzt. Auch Installationen<br />

im Feld der Bildenden Künste arbeiten<br />

mit digitalen Medien und gehen immer<br />

mehr in Digitalcollagen und Glitchart<br />

über (siehe Abb. 1), indem sie die Ästhetisierung<br />

digitaler Pannen als Gestaltungseffekte<br />

wirken lassen. VR-Brillen<br />

lassen uns über eine Virtual Reality in<br />

Kunstwerke oder andere Epochen<br />

Der Begriff „<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>“<br />

im Wandel?<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>, die sich für die<br />

Transformationen in der Beziehung<br />

von Subjekt und Umwelt durch das<br />

Ästhetische interessiert, kommt also<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

9


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

nicht umhin, sich um Digitalität und<br />

die damit einhergehenden gesellschaftlichen<br />

Wandlungsprozesse, insbesondere<br />

im <strong>Bildung</strong>ssektor, zu kümmern.<br />

Der Dualismus zwischen Lebenswelt der<br />

Kinder hier (Medie nalltag) und Schulwelt<br />

im Umgang mit digitalen Medien<br />

(Medieneinsatz) sollte sich nicht konträr<br />

zueinander entwickeln. Das Arbeitsund<br />

Angebotsfeld <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong><br />

im schulischen Kontext hat sich einerseits<br />

für Digitalisierung als technischen<br />

Prozess zu interessieren, andererseits<br />

sich über die damit einhergehenden<br />

Kommunikations- und ästhetischen<br />

Gestaltungsmöglichkeiten zu informieren,<br />

diese anzuwenden und damit verbundene<br />

<strong>Bildung</strong>spotenziale zu nutzen.<br />

Eine mögliche Vernetzung der <strong>Kulturelle</strong>n<br />

mit der Digitalen <strong>Bildung</strong> kann im<br />

4K-Modell (siehe Abb. 2) des Lernens<br />

gefunden werden.<br />

Das 4K-Modell (kurz 4K, Englisch<br />

4Cs) formuliert Kompetenzen, die für<br />

Lernende im 21. Jahrhundert von herausragender<br />

Bedeutung sind: Die dafür<br />

benötigten Kompetenzen werden<br />

auch 21st Century Skills genannt und<br />

sollen die Lernenden „darauf vorbereiten,<br />

in einer unvorhersagbaren Welt<br />

versatil, also vielseitig und wandlungsfähig<br />

zu handeln“ (Jöran Muuß-Merholz,<br />

4 Dimensionen der <strong>Bildung</strong>).<br />

Zwar war das Modell nie so angedacht,<br />

eine Vernetzung zur <strong>Kulturelle</strong>n<br />

<strong>Bildung</strong> darzustellen. Erweitert man seinen<br />

Blick jedoch auf die 4Ks unter Einbeziehung<br />

der <strong>Kulturelle</strong>n <strong>Bildung</strong> 1 ,<br />

ist dieser Ansatz gewinnbringend und<br />

ganzheitlich, um nicht zu sagen grundschulkonform,<br />

umsetzbar:<br />

● Kreativität, nicht um neue Kunstwerke<br />

zu schaffen, sondern um auf immer<br />

wieder neuen Wegen zu denken, zu<br />

lernen und zu arbeiten. 2<br />

● Kritisches Denken, nicht um Dinge<br />

mehr und genauer zu bewerten, sondern<br />

und aus eigenem Antrieb heraus<br />

selbstständig denken, lernen und arbeiten<br />

zu können.<br />

● Kollaboration, nicht um noch besser<br />

selbstständige Arbeitsschritte in der<br />

Organisation miteinander zu verzahnen,<br />

sondern um gemeinsam mit anderen<br />

im Gruppenprozess denken, lernen<br />

und arbeiten zu können.<br />

● Kommunikation, nicht um sich<br />

akkurater auszudrücken und besser<br />

die mobilen Endgeräte zu bedienen,<br />

Abb. 2: 4K-Modell (nach OECD-Mitarbeiter und <strong>Bildung</strong>sforscher Andreas Schleicher)<br />

sondern darum und auch eigenes Denken,<br />

Lernen und Arbeiten mit höherem<br />

Gewinn (mit-)teilen zu können.<br />

Der Fokus liegt durch die Veränderung<br />

des 4K-Modells nun ganz deutlich<br />

auf dem Prozess und nicht auf dem Produkt<br />

bzw. Endergebnis des Lernprozesses<br />

unter Einbeziehung digitaler Medien.<br />

Kommunikation, Kollaboration,<br />

Kreativität und kritisches Denken<br />

kann mit Schüler*innen somit über die<br />

4Ks im Zusammenhang mit <strong>Kulturelle</strong>r<br />

<strong>Bildung</strong> angebahnt werden. Digitalität<br />

und <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> schließen sich<br />

demzufolge nicht aus! <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

(im Sinne Ästhetischer <strong>Bildung</strong>) kann<br />

nachhaltige und allseitige <strong>Bildung</strong>sprozesse<br />

über Kommunikation, Kollaboration<br />

(im Miteinander Erproben), das<br />

Finden kreativer Lösungen und/oder der<br />

Entwicklung eigener kreativer Ideen sowie<br />

den kritischen Austausch über eigene<br />

Erfahrungen ermöglichen.<br />

Begründungszusammenhang<br />

und Notwendigkeit der<br />

Ausbildung zukünftiger<br />

Grundschullehrer*innen im<br />

Bereich <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong><br />

Ziel des obigen <strong>Bildung</strong>smodells 4K<br />

ist es, selbstbewusste, digital mündige<br />

Menschen zu bilden, die in einer Welt<br />

des 21. Jahrhunderts kritisch denkend<br />

Lösungen für immer komplexer werdende<br />

(Welt-)Probleme finden und<br />

diese mit Kreativität andenken.<br />

Dies soll und muss Aufgabe einer zukunftsfähigen<br />

Grundschule sein und<br />

demzufolge auch Teil der Lehrer*innenausbildung<br />

in der zweiten Phase. Denn<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> ist mehr als die Befähigung<br />

zur kulturellen Teilhabe! Sie<br />

kann und muss den ganzen Menschen<br />

mit einbeziehen – allseitig sein – und<br />

über die Vermittlung von Kenntnis und<br />

Erkenntnissen hinausgehen.<br />

„Starke Lehrer – Starke Kinder“ so<br />

lautet das Logo (Abb. 3) des Seminars<br />

für Ausbildung und Fortbildung der<br />

Lehrkräfte (Grundschule) in Bad Mergentheim.<br />

Stark sein, resilient sein in<br />

einer immer komplexer werdenden<br />

Welt. Deshalb müssen auch Lehramtsanwärter*innen<br />

befähigt werden, ihre<br />

Schüler*innen im Sinne einer zukunftsorientierten<br />

<strong>Bildung</strong> zu begleiten, damit<br />

diese angesichts der gesellschaftlichen<br />

Herausforderungen eine tragfähige<br />

Identität entwickeln können für ein Leben<br />

in Selbstbestimmung, Teilhabe und<br />

Gerechtigkeit in der Welt von heute und<br />

morgen. Dabei werden in der Lehrer*innenausbildung<br />

folgende Schwerpunkte<br />

gesetzt, entsprechend den Leitperspektiven<br />

des <strong>Bildung</strong>splans 2016:<br />

Lehramtsanwärter*innen werden befähigt,<br />

„kreative Lernprozesse durch<br />

unterschiedliche Modi der Weltbegegnung:<br />

kognitiv-instrumentelle Modellierung<br />

der Welt; ästhetisch-expressive<br />

Begegnung und Gestaltung“ zu initiieren<br />

und in der Unterrichtsplanung zu<br />

implementieren (Lehrkräftebegleitheft,<br />

<strong>Bildung</strong>splan BaWü 2016, 11).<br />

Abb. 3: Logo des Seminars<br />

Bad Mergentheim<br />

10 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Am Seminar Bad Mergentheim wird<br />

dieser Auftrag im Rahmen zweier Module<br />

mit insgesamt 18 Ausbildungsstunden<br />

an zwei Ganztagen konkretisiert und<br />

in die anderen Ausbildungsfächer inhaltlich<br />

sowie methodisch-didaktisch integriert.<br />

Eine vernetzte Denkweise im Zusammenhang<br />

mit Unterrichtsplanung<br />

und Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse<br />

ist demzufolge unabdingbar. Der Fokus<br />

wird explizit auf aktuelle Herausforderungen<br />

unserer Gesellschaft im Zeichen von<br />

Globalisierung, demografischem Wandel,<br />

wachsender Diversität und Digitalität gerichtet.<br />

In einem ersten ganztägigen Modul<br />

begegnen die Lehramtsanwärter*innen<br />

dem Gesamtkontext der <strong>Bildung</strong> für<br />

Nachhaltige Entwicklung (BNE):<br />

Der Mensch als Verantwortlicher<br />

einer nachhaltigen Entwicklung, die<br />

den Bedürfnissen der heutigen Generation<br />

entspricht, ohne die Möglichkeiten<br />

künftiger Generationen zu gefährden,<br />

ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.<br />

Durch integrative Workshops in den<br />

Bereichen Ökologie, Ökonomie, Politik<br />

und Soziales werden anhand von Unterrichtsbeispielen<br />

Zugangsmöglichkeiten<br />

zu einer <strong>Bildung</strong> für nachhaltige Entwicklung<br />

in der Grundschule aufgezeigt<br />

und praxistauglich erläutert (s. Abb. 4).<br />

In einem zweiten, ganztägigen Modul<br />

geht der Ansatz nach der globalen<br />

Abb. 5:<br />

Die Zwitscher maschine<br />

(aus: Paul Klee (1986),<br />

Die Zwitschermaschine<br />

und andere Grotesken,<br />

Eulenspiegelverlag)<br />

Denkweise der <strong>Bildung</strong> für nachhaltige<br />

Entwicklung zum Menschen als mündiges,<br />

handelndes Subjekt im Kontext<br />

<strong>Kulturelle</strong>r-Ästhetischer <strong>Bildung</strong> über.<br />

In dieser Veranstaltung wird erfahrbar<br />

gemacht, was die Kinder in ihrem<br />

Selbstbewusstsein und ihrer Identitätsfindung<br />

stärkt. Die Lehramtsanwärter*innen<br />

erkennen bei der Durchführung<br />

verschiedener Workshops, dass<br />

Kreativität im Zusammenhang mit Ästhetischer<br />

bzw. <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong>,<br />

unter Nutzung digitaler Medien, für alle<br />

Fächer eine Bereicherung darstellt und<br />

ihre Sicht auf Lernen und Aufgabenkonzeptionen<br />

im unterrichtlichen Kontext<br />

erweitert.<br />

Folgende Fragen gliedern diese Veranstaltung<br />

inhaltlich:<br />

● Was stärkt das Kind / den erwachsenen<br />

Menschen in einer immer komplexer<br />

werdenden Welt?<br />

● Identitäts- und Persönlichkeitsbildung<br />

durch Ästhetische <strong>Bildung</strong><br />

● Was ist <strong>Kulturelle</strong> / Ästhetische <strong>Bildung</strong>?<br />

● Welche Lernchancen bietet Ästhetische<br />

/ <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> dem Kind<br />

bzw. der Lehrkraft?<br />

● Wie funktioniert Ästhetisches Lernen?<br />

● Ästhetische <strong>Bildung</strong> als Gestaltungsprinzip<br />

von Unterricht? Was müssen<br />

die Aufgabenformate leisten?<br />

Abb. 4: BNE-Tetraeder- Modell<br />

(Foto A. Weiß)<br />

Wie gelingt der Transfer in die<br />

Praxis? Konkrete Beispiele und<br />

Umsetzungsmöglichkeiten unter<br />

Einbeziehung digitaler Medien<br />

Im ersten Schritt der Veranstaltung<br />

erarbeiten sich die Lehr amts anwär ter*in<br />

nen über Selbsterfahrungsexperimente<br />

den bis dato theoretischen Begriff<br />

der <strong>Kulturelle</strong>n / Ästhe tischen <strong>Bildung</strong><br />

selbst (Kopfstandmethode: Über die<br />

praktische Erfahrung zur theoretischen<br />

Begriffsbildung).<br />

Aufgabe: Betrachten Sie das Bild von<br />

Klee „Die Zwitschermaschine“! Tauschen<br />

Sie sich aus und erfinden Sie selbst, mit<br />

Hilfe Ihres Körpers und Bewegungen<br />

gemeinsam eine eigene Maschine! Filmen<br />

Sie Ihr Ergebnis mit dem iPad!<br />

Über die Methode der Transformation<br />

Ästhetischer <strong>Bildung</strong> (hier: in Bewegung<br />

umsetzen) wird das Kunstwerk<br />

Klees ganzheitlich verstanden. Die kreative<br />

und problemlösende Auseinandersetzung<br />

in der Gruppe über Kommunikation<br />

(Ideeneinbringen, Verwerfen,<br />

Verbessern) erfährt ihren Mehrwert im<br />

Bereich der Versprachlichung, Ideen zu<br />

verbalisieren bzw. zu diskutieren. Der<br />

auf diese Weise initiierte Lernprozess<br />

wird so vielschichtig, dass das eigentlich<br />

intendierte Ergebnis bzw. Produkt<br />

eher zweitrangig ist. Die Lerngruppe erfährt<br />

in dieser Art des Ästhetischen Lernens<br />

drei wichtige persönlichkeits- und<br />

identitätsbildende Aspekte:<br />

– Meaningfulness (positive Selbstwertschätzung)<br />

durch das Eingebundensein<br />

in der Gruppe,<br />

– Manageability (Gefühl von Machbarkeit),<br />

durch „Könnenserlebnisse“<br />

und den kreativen Flow, im Sinne des<br />

„Homo ludens“, wird die Höchststufe<br />

intrinsischer Motivation erreicht und<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

11


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Anke Weiß<br />

Fachleiterin für Ästhetische <strong>Bildung</strong> am<br />

Seminar für Ausbildung und Fortbildung<br />

der Lehrkräfte Bad Mergentheim (GS)<br />

Mail: Anke.Weiss@seminar-gs-mgh.<br />

kv.bwl.de<br />

– Comprehensibility (Verstehbarkeit),<br />

denn das Produkt entstammt seinen<br />

eigenen bzw. gemeinsamen Überlegungen<br />

(vgl. Antonovsky 1993).<br />

Diese Möglichkeit des „anderen Lernens“<br />

erleben die Lehramtsanwär te r*innen<br />

als sehr fruchtbar, denn sie entfernen<br />

sich als Lehrpersonen vom<br />

produktorientierten Denken über Lernprozesse<br />

und nähern sich einer formativen<br />

Lernkultur an, die ihre Sichtweise<br />

auf konstruktivistisches Lehren<br />

und Lernen erweitert. Die Aufnahme<br />

mit dem iPad ermöglicht der Gruppe,<br />

ihren Prozess (bzw. ihr Ergebnis) im<br />

Nachhinein aus einer anderen Sichtweise<br />

zu betrachten, und findet ihren<br />

didaktischen Mehrwert im kommunikativen<br />

Austausch über Vorschläge zur<br />

Verbesserung des Endproduktes. Gerade<br />

eine reflexive Grundhaltung gegenüber<br />

Kunstwerken ist ein Kennzeichen<br />

einer sinnvollen kulturellen <strong>Bildung</strong>sarbeit.<br />

Kreativität zu fördern, fordert die<br />

Lehrperson heraus, problemorientierte,<br />

offene Aufgaben zu stellen und Raum<br />

für kreative Problemlösungen zu geben.<br />

Der in diesem Zusammenhang grundgelegte<br />

Kreativitätsbegriff intendiert<br />

die „Fähigkeit zum divergenten Denken,<br />

einschließlich Ideengenerierung,<br />

geistiger Beweglichkeit, Flexibilität und<br />

Originalität“ (Guilford 1968).<br />

Durch diese Art der Auseinandersetzung<br />

mit dem Potenzial Ästhetischer<br />

und <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> erfahren<br />

die Lehramtsanwärter*innen mit dem<br />

Kunstwerk über die Aufgabenstellung<br />

nondirektiv eine Vermittlung der 4K<br />

(Kreativität, Kommunikation, Kollaboration,<br />

kritisches Denken).<br />

Mut, Offenheit zuzulassen und das<br />

scheinbar „Unplanbare“ planbar zu machen,<br />

wird von den Lehramtsanwärter*innen<br />

durch das eigene Planen eines<br />

kleinen Ästhetischen Miniprojekts praxisnah<br />

erprobt (siehe QR-CODE Padlet).<br />

Beichels Planungsschritte Ästhetischen<br />

Lernens und die 4Ks unter Einbeziehung<br />

digitaler Medien unterstützen<br />

die Lehramtsanwärter*innen dabei,<br />

in ein strukturiertes Planungsdenken zu<br />

kommen (Beichel 2010):<br />

1. Ästhetische / Emotionale Aktivierung<br />

Womit oder wodurch wecke ich die kindliche<br />

Neugier und natürliche Experimentierfreude?<br />

(Kunstwerk, Musikstück, Bilderbuch,<br />

Gedicht, Gebet, Naturmaterialien,<br />

ein Satz, eine Bewegung …)<br />

2. Auseinandersetzung mit dem<br />

Impuls durch eine offene Aufgabenstellung<br />

Wie muss die Aufgabenstellung sein,<br />

da mit verschiedene Lösungswege möglich<br />

sind? Welche Unterstützungsmöglichkeiten<br />

(andere Impulse) biete ich bei<br />

Bedarf an, wenn die Kinder nicht in den<br />

„kreativen Flow“ kommen?<br />

Enaktiv, Umsetzung in ein anderes<br />

Medium (Transformation), Eigenproduktion,<br />

Kreation, Gestaltung,<br />

Improvisation … → ermöglicht beim<br />

Kind eine (Selbst-)Wahrnehmung und<br />

Ausdrucksmöglichkeiten<br />

3. Metakognition/Reflexion<br />

Was sollte, mit Rückblick auf den kreativen<br />

Prozess, verbessert oder verändert<br />

werden?<br />

Übung, Überarbeitung oder neu? Rückmeldekultur,<br />

NACH-denken der eigenen<br />

Wahrnehmung, Genießen, (Mit-)<br />

Erleben, Ausstellung, Marktplatz, Happening,<br />

…<br />

4. Präsentationsform<br />

Wie wollen wir unser ästhetisches Produkt<br />

präsentieren?<br />

Ausstellung, Marktplatz der Möglichkeiten,<br />

Aufnahme, Standbild, Tanz,<br />

Trailer …<br />

Über dieses Padlet erhalten Sie Einblick<br />

in die Ästhetischen Impulse und Aufgabenformate<br />

unter Einbeziehung digitaler<br />

Medien (hier: Handy oder Digitalkamera,<br />

App polish).<br />

Alle gezeigten Beispiele sind unmittelbar<br />

auch in der Grundschule (Kl. 2–4)<br />

realisierbar!<br />

https://padlet.com/<br />

ankeweiss/<br />

oslsttewh3l6aq6k<br />

Anmerkungen<br />

1) vgl. J. Muuß-Merholz (überarbeitet durch<br />

Anke Weiß)<br />

2) Die gestrichenen Wörter sollen die neue<br />

Denkweise der 4Ks in Bezug auf kulturelle<br />

<strong>Bildung</strong> verdeutlichen.<br />

Literatur<br />

Antonovsky, A. (1993): Complexity, conflict,<br />

chaos, coherence, coercion and civility. Social<br />

Science and Medicine, 37, 969–981.<br />

Beichel, J. J. (2010): Ästhetische <strong>Bildung</strong> als<br />

Potentialentfaltung und Kulturerschließung<br />

in aufbauendem Unterricht und nachhaltiger<br />

Erziehung auf kunstnahen Begegnungs- und<br />

Lernfeldern. Eine Studie zur <strong>Bildung</strong>stheorie,<br />

Schneider-Hohengehren.<br />

Guilford, J. B. (1968): Intelligence, creativity,<br />

and their educational implications, 216.<br />

Jörissen, B. & Unterberg, L. (2019): Digitale<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>: <strong>Bildung</strong>stheoretische<br />

Gedanken zum Potenzial <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong><br />

in Zeiten der Digitalisierung. In: <strong>Kulturelle</strong><br />

<strong>Bildung</strong> online: www.kubi-online.de/<br />

artikel/digitale-kulturelle-bildungbildungstheoretische-gedanken-zumpotenzial-kultureller-bildung<br />

(letzter Zugriff am 07.03.2022).<br />

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport<br />

Baden-Württemberg (Hrsg.) (2016):<br />

Lehrkräftebegleitheft. <strong>Bildung</strong>splan 2016.<br />

Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag<br />

GmbH<br />

http://bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/get/documents_E-100643614/lsbw/<br />

<strong>Bildung</strong>splaene/BP2016BW_ALLG_LBH.PDF<br />

Muuß-Merholz, J. (2019): Digitale Schule –<br />

Was heute schon im Unterricht geht: Das<br />

Praxisbuch zum individualisierten Lernen<br />

mit digitalen Medien<br />

Reinwand-Weiss, V.-I. (2019): Die letzte<br />

Bastion – die Künste? In: Rat für <strong>Kulturelle</strong><br />

<strong>Bildung</strong> (Hrsg.). Alles immer smart. <strong>Kulturelle</strong><br />

<strong>Bildung</strong>, Digitalisierung, Schule. Essen:<br />

Rat für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>, 71–72.<br />

12 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Denise Sommer<br />

Einblicke und Ausblicke –<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> konkret<br />

<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> im Schulalltag – Eine gemeinsame Aufgabe<br />

Am Ende der Jahrgangsstufe 6 bitten wir unsere Schülerinnen und Schüler in<br />

einer Onlinebefragung um ein Feedback zu ihrer Schulzeit in der Grundschule<br />

Glienick in Brandenburg. Seit Jahren werden bei jeder Befragung die Wandertage,<br />

Klassenfahrten, Exkursionen, Feste, Projekte, Theatervorstellungen, das<br />

jährliche Weihnachtssingen – also die besonderen Höhepunkte, die kulturellen<br />

Lernangebote und das soziale Miteinander als besonders positiv und lange in<br />

Erinnerung bleibend von den Kindern benannt.<br />

Fragt man die Mädchen und Jungen<br />

nach dem Grund, äußern sie, dass<br />

es eben „kein richtiger Unterricht“<br />

gewesen sei. Und dennoch sind es gerade<br />

diese Lernsituationen und Höhepunkte<br />

im Schulalltag, die Spuren im Leben, in<br />

den Herzen und Köpfen der Kinder<br />

hinterlassen. Sie sammeln Erfahrungen,<br />

werden mit Angeboten, außerschulischen<br />

Experten und anderen Menschen konfrontiert,<br />

lernen quasi „nebenbei“ und<br />

präsentieren ihre Ergebnisse. Emotionen<br />

und positive Erwartungen, die Freude,<br />

etwas gemeinsam zu erleben, etwas Kreatives<br />

zu schaffen und Neues lernen zu<br />

können, sind der Schlüssel für einen<br />

freudvollen Schulalltag und für eine<br />

erfolgreiche individuelle Entwicklung<br />

unserer Schülerinnen und Schüler.<br />

Macht man sich die Wirkung der kulturellen<br />

Lernangebote bewusst, dann<br />

wird deutlich, dass kulturelle <strong>Bildung</strong> eine<br />

Querschnittsaufgabe jeder Schule sein<br />

muss. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> prägt die Lernund<br />

die Persönlichkeitsentwicklung. Zum<br />

Glück wird diese Lernentwicklung besonders<br />

in den Fächern Kunst und Musik<br />

nicht von außen gemessen und verglichen.<br />

Während der Corona-Pandemie<br />

mit all ihren Einschränkungen und Besonderheiten<br />

wurde der Fokus auf die Fächer<br />

Deutsch, Mathematik und Englisch<br />

mit den Vorgaben durch das <strong>Bildung</strong>sministerium<br />

verstärkt. Im Aktionsprogramm<br />

„Aufholen nach Corona“ des Landes Brandenburg<br />

liegen die Schwerpunkte der Förderung<br />

auf diesen Fächern. Positiv hervorzuheben<br />

ist, dass im ersten Teil des Aktionsprogramms<br />

alle Schulen ein Budget<br />

von 3000 € zur individuellen Verwendung<br />

erhielten. Unsere Schule nutzte im Herbst<br />

2021 das Geld in Kooperation mit dem<br />

Förderverein B.i.G. – <strong>Bildung</strong> in Glienick<br />

e. V. für Exkursionen zu verschiedenen<br />

außerschulischen Lernorten. Lehrerinnen<br />

und Kinder waren glücklich und sehr froh,<br />

wieder gemeinsam unterwegs sein zu können<br />

und eben anders zu lernen. Ein Budget<br />

für kulturelle <strong>Bildung</strong> sollte allen Schulen<br />

auch weiterhin zur Verfügung stehen.<br />

Wir wissen, dass manche Mädchen<br />

und Jungen Konzerte, Theater, Museen,<br />

Ausstellungen, Bibliotheken nur in ihrer<br />

Schulzeit erleben. Das Freizeitverhalten<br />

der Familien ist sehr unterschiedlich<br />

und wenn es früher selbstverständlich<br />

war, dass sie diese kulturellen Angebote<br />

nutzten, dann stehen heute Shoppingerlebnisse,<br />

Kinobesuche und die Beschäftigung<br />

mit digitalen Medien auf der Beliebtheitsskala<br />

weiter oben. Gerade deshalb<br />

hat Schule und ganz besonders die<br />

Grundschule eine besondere Verantwortung<br />

dafür, kulturelle <strong>Bildung</strong> von Anfang<br />

an vielfältig zu leben. Die eher als<br />

Nebenfächer bewerteten Fächer Kunst,<br />

Musik und Sport müssen fachspezifisch,<br />

aber auch fächerübergreifend gestärkt<br />

werden. Zeit ist ein entscheidender Faktor<br />

für jeden <strong>Bildung</strong>sbereich. <strong>Kulturelle</strong><br />

<strong>Bildung</strong> muss sich von der Grundschule<br />

bis zum Schulabschluss wie ein roter Faden<br />

durch die gesamte Schulzeit ziehen.<br />

Während der pandemiebedingten Schulschließungen<br />

und im Wechselunterricht<br />

hat unsere Schule von Anfang an Lernangebote<br />

für die Fächer Kunst, Musik<br />

und Sport über die Schulcloud, per E-<br />

Mail oder auf dem Papier bereitgestellt.<br />

Manche Eltern sahen dies kritisch und<br />

Denise Sommer<br />

Kunstlehrerin<br />

und Schulleiterin<br />

an der Grundschule<br />

Glienick,<br />

Vorsitzende der<br />

Landesgruppe<br />

Brandenburg<br />

zeitraubend, wollten und konnten sich<br />

nicht mit den „nicht lebensnotwendigen“<br />

Fächern beschäftigen. Andere freuten<br />

sich, gemeinsam mit ihren Kindern<br />

kreativ zu werden und virtuell ein Museum<br />

zu besuchen oder Tänze zu üben,<br />

neue Lieder kennenzulernen, ein Bild<br />

zu gestalten oder Eislichter herzustellen.<br />

In diesem Schuljahr gibt es wieder<br />

mehr Normalität und unsere über Jahre<br />

gewachsene Schulkultur kann in kleinen<br />

Schritten wiederbelebt werden.<br />

Ein Baustein: Das Museum<br />

„Barberini“ in Potsdam – Mein<br />

Lieblingslernort im Kunstunterricht<br />

Als junge Lehrerin besuchte ich im Jahr<br />

1990 mit meiner damaligen 9. Klasse<br />

den Martin-Gropius-Bau in Berlin<br />

– mein Schlüsselerlebnis. Die Nähe<br />

zu Berlin und die gute Anbindung mit<br />

öffentlichen Verkehrsmitteln machten<br />

es einfach, die Berliner Museumslandschaft<br />

regelmäßig in den Unterricht<br />

einzubinden. Exkursionen u. a. in das<br />

Bode-Museum, das Pergamonmuseum,<br />

das Bauhaus-Museum, das Brücke-<br />

Museum, in die neue Nationalgalerie,<br />

die Wunderkammer Olbricht und auf<br />

das Wunderkammerschiff haben mein<br />

Unterrichtskonzept nachhaltig geprägt.<br />

Im Jahr 2017 wurde das Museum „Barberini“<br />

in Potsdam eröffnet. Meine<br />

Begeisterung ist ungebrochen und es<br />

wurde mein außerschulischer Lieblingslernort.<br />

Die Architektur des Hauses,<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

13


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

seine Umgebung mit dem Alten Markt<br />

im Herzen von Potsdam, die Art der<br />

Präsentationen, die wechselnden Ausstellungen,<br />

das umfassende Angebot für<br />

Kitas und Schulen, die Freundlichkeit<br />

des Personals, die digitale Vielfalt – all<br />

das ist ein außergewöhnliches Gesamtkunstwerk.<br />

Die Dauerausstellung der<br />

Sammlung Hasso Plattner umfasst über<br />

100 Arbeiten, darunter 34 Gemälde<br />

Claude Monets. Ihr Schwerpunkt liegt<br />

auf dem französischen Impressionismus.<br />

Das „Barberini“ ist ein besonderer Lernort,<br />

der für unsere Klassen gut erreichbar<br />

ist und der mich, meine Kolleginnen<br />

und meine Schülerinnen und Schüler<br />

sowie die begleitenden Eltern begeistert.<br />

Die Exkursionen in dieses Haus sind<br />

Höhepunkte und fester Bestandteil des<br />

Kunst-Unterrichts unserer Schule. Das<br />

Museum bietet zu jeder Ausstellung<br />

spezielle Lehrerfortbildungen an. Der<br />

Eintritt ist für Kinder und Jugendliche<br />

frei. Neben der ständigen Sammlung<br />

bedeutender Werke des Impressionismus<br />

gibt es Sonderausstellungen und<br />

zeitgenössische Werke zu bestaunen.<br />

Die Stiftung Hasso Plattner investiert<br />

vorbildlich in die kulturelle <strong>Bildung</strong> von<br />

Kindern und Jugendlichen.<br />

In den letzten Jahren konnte ich bei jeder<br />

Exkursion mit den Jahrgängen 5 und 6<br />

viele Erfahrungen sammeln. Im Ergebnis<br />

der kritischen Reflexion nahm ich organisatorische<br />

und inhaltliche Veränderungen<br />

vor, lernte im Austausch mit meinen Kolleginnen<br />

und Schülern immer dazu. Für<br />

die ersten Exkursionen buchte ich eine<br />

Kinderführung mit einem Kunsthistoriker<br />

und einen anschließenden Workshop im<br />

Atelier des Museums. Meine Schülerinnen<br />

und Schüler meldeten mir zurück, dass sie<br />

„das lange Stehen und Zuhören vor einem<br />

Bild nicht so toll, sondern eher langweilig“<br />

fanden. Die Aufgabe im Workshop empfanden<br />

sie und ich als nicht sehr kreativ,<br />

das Atelier dagegen war eine neue und<br />

schöne Erfahrung. Bei der nächsten Exkursion<br />

nutzten wir die Audioguides des<br />

Museums und die Barberini-App mit den<br />

Handys der Schülerinnen und Schüler.<br />

Besucherinnen und Besucher sprachen<br />

mich mehrfach darauf an, wie rücksichtsvoll<br />

und leise sich die Kinder verhalten<br />

würden und dass sie die Technik so wunderbar<br />

beherrschten. Das freute uns sehr.<br />

In der Beobachtung in den schönen Ausstellungsräumen<br />

stellte ich fest, dass die<br />

Technik die Mädchen und Jungen sehr<br />

faszinierte, allerdings in meiner Wahrnehmung<br />

eher ablenkte. Statt sich die Originalkunstwerke<br />

genau anzuschauen, waren<br />

sie sehr mit der Technik und dem Verstehen<br />

der Bildbeschreibungen beschäftigt<br />

und waren eher „hektisch“ unterwegs.<br />

Mein Anliegen ist es, dass sich die Schülerinnen<br />

und Schüler die Kunstwerke auf<br />

ihre Art und in ihrem Tempo erschließen.<br />

In der Konsequenz dieser Reflexion bereiteten<br />

wir uns mit den digitalen Medien<br />

auf den Museumsbesuch vor und nutzten<br />

sie auch für die Nachbereitung. Während<br />

der nächsten Exkursion mit dem Jahrgang<br />

5 machte ich die Erfahrung, dass die Begegnung<br />

mit dem originalen Kunstwerk<br />

mit Klemmbrett, Bleistift und Zettel für<br />

Notizen der bessere Weg ist, um die Aufmerksamkeit<br />

auf das Kunstwerk und den<br />

Moment der Betrachtung, das Genießen<br />

und Entdecken zu legen. Der Besuch der<br />

Ausstellungsräume in Kleingruppen mit<br />

einer Lehrerin oder einem begleitenden<br />

Elternteil regte die Kinder mehr dazu an,<br />

sich eigene Zugänge zu den Originalen zu<br />

erarbeiten. Besonders berührend war eine<br />

Begegnung mit älteren Schülerinnen und<br />

Schülern eines Kunst-Leistungskurses des<br />

Jahrgangs 12, die vor den Originalen skizzierten<br />

und zeichneten. Wir waren beeindruckt<br />

von den Fähigkeiten der Jugendlichen<br />

und gleichzeitig war es wie ein Ausblick<br />

in die Zukunft … – ich habe schon<br />

Ideen für die nächste Exkursion ins „Barberini“.<br />

Die Ästhetik der Lernumgebung –<br />

Kreativität drinnen und draußen<br />

Vor dem Bild „Die Brücke von Argenteuil und die Seine“ von Gustave<br />

Caillebotte (um 1883) im Museum Barberini, Sammlung Hasso Plattner<br />

So ästhetisch und besonders wie das<br />

„Barberini“ sollte jede Lernumgebung<br />

sein. Schulen müssen schöne, freundliche<br />

und einladende Häuser sein, in den<br />

Außenanlagen Entspannung, Bewegung<br />

und Platz bieten. Wir Lehrerinnen, die<br />

Schülerinnen und Schüler der Grundschule<br />

Glienick wurden vor und während<br />

der Sanierung unseres alten Schulgebäudes<br />

und bei der Veränderung der<br />

Außenanlagen in den Jahren 2011 bis<br />

2014 aktiv einbezogen. Unser Schulträger,<br />

die Stadt Zossen, investiert seit<br />

Jahren in eine kindgerechte und ästhetische<br />

Lernumgebung. Das Schulgebäude<br />

bekam eine farbenfrohe Fassade und wir<br />

wurden zur „bunten Schule“.<br />

14 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Auch in der Innengestaltung spielen<br />

harmonische Farben sogar in den sanitären<br />

Anlagen eine große Rolle. Wir haben<br />

eine großzügige Kunst- und WAT-<br />

Werkstatt mit einem Vorbereitungsraum,<br />

können zwei kleinere Räume für<br />

den Musikunterricht und den Theaterraum<br />

des Hortes nutzen. Eine Schulbibliothek<br />

gehört zu unseren Lernräumen.<br />

Unsere Sporthalle verwandelt sich für<br />

Einschulungen, Abschlussfeiern, Weihnachtssingen<br />

und Theateraufführungen<br />

mit vom Förderverein angeschaffter<br />

Bühne, Bestuhlung und Musikanlage<br />

in eine „Kulturhalle“, deren Wände die<br />

künstlerischen Arbeiten der Mädchen<br />

und Jungen schmücken. Gemeinsam mit<br />

den Kindern präsentieren wir die vielfältigen<br />

Ergebnisse aus dem Unterricht<br />

aller Klassen und verschiedener Fächer<br />

in unserem Schulhaus und würdigen damit<br />

die kreative und oft überraschende<br />

Arbeit der Mädchen und Jungen.<br />

In einem Hundertwasser-Kunstprojekt<br />

der damaligen 4. Klasse entstanden<br />

vor der Sanierung im Jahr 2010<br />

Entwürfe für ein verändertes Schulhaus.<br />

Aus einer grauen Fassade sollte<br />

ein farbenfrohes Gebäude werden, dem<br />

man ansieht, dass in ihm lebendig und<br />

freudvoll gelernt wird und Vielfalt gewünscht<br />

ist. Unser Schulhof sollte unbedingt<br />

grün bleiben. Die Architekten<br />

und Planer bezogen die Ideen und Vorstellungen<br />

der Kinder nicht nur beim<br />

Gebäude, sondern auch bei der Gestaltung<br />

des Außengeländes ein. Ein grünes<br />

Klassenzimmer und eine neue Spiellandschaft<br />

entstanden. In diesem Jahr soll im<br />

nächsten Bauabschnitt die lang ersehnte<br />

Kletterspinne gebaut werden.<br />

Die Garagen des Wirtschaftshofes nutzen<br />

wir für das jährliche Graffiti-Projekt<br />

Das Schulgebäude Glienick vor<br />

und nach der Sanierung<br />

der 6. Klasse. Gemeinsam mit den in Berlin<br />

lebenden Graffiti-Künstlern Benjamin<br />

Höfler und Laura Schindler entstanden<br />

2017 in einem intensiven Arbeitsprozess<br />

zwei großflächige Arbeiten auf unserem<br />

Schulgelände. Daraus entwickelte<br />

sich die Tradition, dass sich die Sechstklässler<br />

mit ihrem eigenen Graffiti ausdrücken<br />

und künstlerisch verabschieden.<br />

Zum Abschluss der Grundschulzeit<br />

gestalten die Schülerinnen und Schüler<br />

nach ihren Entwürfen eine Garagenwand<br />

in Richtung Schulhof als ihr temporäres<br />

Kunstwerk. Gemeinsam mit den Klassenleiterinnen<br />

und Kunstlehrerinnen<br />

wird das Projekt im Mai/Juni eines jeden<br />

Jahres umgesetzt. Immer wieder beeindrucken<br />

uns die Kinder mit Durchhaltevermögen,<br />

Teamfähigkeit, handwerklichem<br />

Geschick und kreativen Ideen. Sie<br />

haben es in 6 Jahren Grundschulzeit gelernt,<br />

ihre Gedanken, Gefühle in Bildern<br />

künstlerisch auszudrücken und sind offen<br />

für neue Techniken und Materialien,<br />

geben nicht auf, haben Mut und lassen<br />

sich von ihren Kunstlehrkräften begleiten.<br />

Das Lob und die Anerkennung der<br />

anderen Klassen tut den Mädchen und<br />

Jungen zum Ende der Grundschulzeit<br />

besonders gut. Sie verabschieden sich<br />

und bleiben doch noch ein wenig bei uns<br />

bis zum nächsten Projekt. Und die Jüngeren<br />

können es kaum erwarten, endlich in<br />

der 6. Klasse zu sein.<br />

Lob und Wertschätzung, Fördern und<br />

Fordern, Ideenreichtum und Mut, Identifikation<br />

und Vertrauen, Vielfalt und<br />

Ausdauer, Engagement und Kooperation,<br />

Respekt und Freundlichkeit, Offenheit<br />

und Kommunikation, Begeisterung<br />

und Vertrauen – das sind Säulen<br />

unserer über Jahre gewachsenen, erfolgreichen<br />

Arbeit – nicht nur in der kulturellen<br />

<strong>Bildung</strong>.<br />

Das ZeBra-Theater auf Theatertour in Glienick<br />

Sechstklässler:innen verabschieden sich durch ihr Graffiti<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

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Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Beate Schweitzer und Kai Welf Hoyme<br />

„Wir sind Wasser“<br />

Ein Projekt der künstlerisch-digitalen <strong>Bildung</strong><br />

Die Einschränkungen, die Kinder im Zuge der Pandemie erfahren mussten, sind<br />

vielfältiger Art. Infolge des Lockdowns waren ihnen u. a. Zugänge zu kulturellen<br />

Angeboten verwehrt. Damit einher ging vielfach ein ungesteuerter und zunehmender<br />

Medienkonsum, der als Zeitvertreib diente und dessen negative Auswirkungen<br />

sich deutlich bemerkbar mach(t)en. Gleichzeitig wurden von den Schulen<br />

Ideen und Konzepte zum digitalen Lernen erwartet und gefordert.<br />

Mit dem beschriebenen Projekt<br />

wird eine Verknüpfung möglich:<br />

Die Entwicklung digitaler<br />

Medienkompetenz ist an den Interessen<br />

der Kinder ausgerichtet, wird von<br />

ihnen als sinnstiftend erfahren und gibt<br />

Anlass zur Kooperation und Kommunikation<br />

in der Gruppe. Sie baut auf realen<br />

Erlebnissen auf, bezieht den Sozialraum<br />

mit ein, fördert die Wahrnehmung und<br />

das kreative Ausdrucksvermögen.<br />

Das vielschichtige Thema ‚Wasser‘ war<br />

der Ausgangspunkt für eine künstlerische<br />

Auseinandersetzung. Im Rahmen<br />

einer AG 1 konnten sich Schülerinnen<br />

und Schüler in verschiedenen künstlerisch-digitalen<br />

Techniken und Gestaltungsformen<br />

erproben. 2<br />

Zunächst haben die Kinder über die<br />

Bedeutung und den Stellenwert von<br />

Wasser in ihrem Leben nachgedacht<br />

und gesprochen. Sie nannten vielfältige<br />

Aspekte, z. B. die Freude am Wasser als<br />

‚Erholungs- und Freizeitelement‘, aber<br />

auch die Bedrohung von Menschen<br />

und Umwelt durch zunehmende Wasserknappheit<br />

und die Gefahr von Überflutungen.<br />

Im Anschluss malten sie frei<br />

zum Thema. Es entstanden figurative<br />

Bilder mit verschiedenen Wassermotiven.<br />

Dabei wurde auch die Dripping-<br />

Technik ausprobiert. Diese Maltechnik<br />

stammt aus dem abstrakten Expressionismus<br />

und wurde unter anderem vom<br />

amerikanischen Maler Jackson Pollock<br />

praktiziert. Dabei wird Farbe mit<br />

dem Pinsel auf die Leinwand getropft<br />

oder geschleudert. Auf diese Weise entstehen<br />

abstrakte Muster, Formen und<br />

Strukturen. Ein Mädchen assoziierte<br />

dabei Phänomene wie die Oberflächen<br />

von Seen oder dem Meer mit den Resultaten<br />

dieses ästhetischen Verfahrens.<br />

Anschließend suchten die Kinder Teiche<br />

in einem Park in der Nähe der Schule<br />

auf. Mit Tablets fotografierten sie die<br />

Teiche und lernten dabei unterschiedliche<br />

Perspektiven einzunehmen, Bildausschnitte<br />

zu verändern, um so die Bedeutung<br />

individueller Wahrnehmungen zu<br />

reflektieren.<br />

Mit dem Erstellen von eigenen Videos<br />

am gleichen Lernort setzten die Kinder<br />

ein neues Medium ein und übertrugen<br />

ihre Erfahrungen nun in die Arbeit mit<br />

bewegten Bildern. Die Videos wurden<br />

von ihnen mit der Videoschnitt-Software<br />

Imovie unter Anleitung geschnitten<br />

und vertont. Es entstanden kurze<br />

16 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Beate Schweitzer<br />

Schulleiterin an der GGS Eicken, Mönchengladbach, freut sich seit 2013 über die inspirierende<br />

Projekttätigkeit des Künstlers Kai Welf Hoyme an der Schule mit dem Schwerpunkt<br />

intermediale Kunst und ästhetische <strong>Bildung</strong>. Besonders überzeugend findet sie<br />

dabei immer wieder neben den tollen Produkten die phantasieanregenden und breit<br />

gestreuten individuellen Impulse, mit denen er die Kinder anzusprechen vermag. Beide<br />

schätzen ihre langjährige und gute Kooperation, die bereits lange vor der pandemiebedingten<br />

Digitaloffensive den Kindern den Zugang zu neuen und kreativen Gestaltungsmöglichkeiten<br />

eröffnete.<br />

naturbezogene Videoclips, die nach dem<br />

Collageprinzip aufgebaut waren.<br />

Mit Hilfe der Software Stop-Motion<br />

lernten die Kinder im Folgenden durch<br />

Bild-für-Bild-Fotografie eine Bewegungssequenz<br />

zu erstellen. Sie arbeiteten<br />

mit Mal- und Zeichenstiften, Papier,<br />

Kreide auf Tafel und der Pixilation – der<br />

Animation von menschlichen Bewegungen.<br />

Die Bandbreite der realisierten künstlerischen<br />

Arbeiten erstreckte sich von<br />

detaillierten Legetrickanimationen von<br />

(den sehr beliebten) Meerjungfrauen<br />

und Wasserwesen bis zu Animations-<br />

Experimenten mit per Hand hergestellten<br />

Seifenblasen. Zudem lernten die<br />

Kinder die Animations-Montagen durch<br />

Soundeffekte zu unterlegen.<br />

So wurde mit den künstlerischen Mitteln<br />

von Farbe, Materialien und digitalen<br />

Medien wie Fotografie, Video und<br />

Stop-Motion-Animation der flüchtige<br />

Stoff Wasser von den Kindern fantasievoll<br />

erforscht.<br />

Film geschafft habe. Es ist toll, direkt zu<br />

sehen, wie es schön aussieht.“<br />

„Wir haben uns eine Geschichte zu<br />

einer Meerjungfrau ausgedacht und ihr<br />

Schloss und die Figuren dazu gemalt<br />

und ausgeschnitten. Jetzt müssen wir die<br />

Figuren einzeln schieben, um zu animieren.<br />

Das ist nicht immer leicht, aber wir<br />

finden immer eine Lösung.“<br />

„Ich bearbeite gerade mein Fische-<br />

Video. Ich habe den Titel und den<br />

Hintergrund bunt gemacht und Musik<br />

hinzugefügt.“<br />

Anmerkungen<br />

1) Das Projekt wird realisiert im Rahmen<br />

des Landesprogramms ‚Schule und Kultur‘ in<br />

NRW. Dieses Programm will Kindern früh<br />

den Zugang zu Kunst und Kultur ermöglichen.<br />

Künstler kommen in die Schule und<br />

arbeiten mit Kindern und Jugendlichen im<br />

Rahmen von Arbeitsgemeinschaften. Die<br />

Projekte ergänzen das schulische Lernen und<br />

ermöglichen den Kindern die Begegnung<br />

mit Kunst und Kultur – unabhängig vom<br />

familiären Hintergrund.<br />

2) Kai Welf Hoyme ist ein Künstler und Filmemacher,<br />

der in der künstlerischen <strong>Bildung</strong><br />

an Schulen, im Museumskontext und an der<br />

Hochschule arbeitet. Weitere Infos: www.<br />

kaihoyme.de<br />

Stimmen der Kinder zum Projekt<br />

„Meine Freundin hat Seifenblasen mit<br />

der Hand gemacht. Zum Filmen musste<br />

ich ganz nah rangehen, um nur die<br />

Seifenblasen zu sehen. Dabei musste ich<br />

aufpassen, dass das Tablet nicht nass<br />

wird. Ich bin stolz auf mich, dass ich den<br />

Fotos (2): Kai Welf Hoyme<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

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Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Katharina Pohl<br />

Ronja Räubertochter – lesen, sprechen<br />

und spielen, tanzen, malen und aufführen<br />

Vom Lese-Projekt im 2. Schuljahr zum Theaterprojekt<br />

in der 4. Klasse – inklusiv und fächerübergreifend<br />

Am Ende standen alle stolz und strahlend auf der Bühne und genossen den<br />

Applaus: die ausdrucksstarken Kinder, die viel Text für ihre Hauptrolle gelernt<br />

hatten; die Kinder, die sich in ihren etwas wortkargeren, aber dennoch lauten,<br />

ausgelassenen Rollen als Räuberbandenmitglieder wohlfühlten und darin aufgingen;<br />

und die „Edeldamen“, die sich prachtvoll gekleidet und geschmückt<br />

beim Überfall der Mattisbande ihrer Haut hatten erwehren müssen.<br />

an einem Tag nach dem Unterricht in der<br />

Schule zu bleiben, miteinander vom gemeinsam<br />

zusammengestellten Büfett zu<br />

essen und anschließend aus Wandfarben<br />

viele verschiedene Töne zu mischen und<br />

den Entwurf zum Leben zu erwecken.<br />

Vom selbstbewussten Kind bis<br />

zum sehr zurückhaltenden oder<br />

einem mit ADHS, vom schnell<br />

lernenden Kind bis hin zu den beiden<br />

mit Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt<br />

Geistige Entwicklung hatte<br />

in diesem Projekt jedes Kind Möglichkeiten<br />

gefunden, bedeutsame Anteile<br />

zum Gelingen des gemeinsamen Stückes<br />

und besonders zu den vielen Proben<br />

beizutragen.<br />

Die einen glänzten mit ihrem sprachlichen<br />

Repertoire und ihren Möglichkeiten,<br />

dies mit Mimik und Gestik zu<br />

untermalen. Andere überzeugten bei<br />

den Bodypercussion-Einlagen mit ihrer<br />

mitreißenden Bühnenpräsenz. Viele<br />

sammelten für die Bühne alles zusammen,<br />

was ihr Kinderzimmer an Kuscheltieren<br />

zum Thema „Wald“ hergab. Einige<br />

brachten allen anderen auf dem Schulhof<br />

den Umgang mit Pfeil und Bogen<br />

bei. Alle hatten einen Riesenspaß daran,<br />

das Springen über den von unserem<br />

Hausmeister kreierten Höllenschlund zu<br />

üben, bis es endlich ein bisschen elegant<br />

und lässig aussah. Auch das Reiten auf<br />

Steckenpferden durch unsere große Pausenhalle<br />

musste lange trainiert werden,<br />

ehe es nicht mehr nur nach unbeholfener<br />

Hopserei aussah, sondern schwungund<br />

kraftvoll wirkte. Alle beteiligten sich<br />

an der Gestaltung des großen Bühnenbildes<br />

und ließen es sich nicht nehmen,<br />

Etliche Jahre zuvor war ich mit meiner<br />

damaligen 2. Klasse von einer benachbarten<br />

Waldorfschule zum „Klassenspiel<br />

der 8. Klasse“ eingeladen worden:<br />

„Ronja Räubertochter“. Zur Vorbereitung<br />

hatte ich das Original von<br />

Astrid Lindgren vorgelesen und für<br />

die Kinder die einzelnen Kapitel mehrfach<br />

differenziert umgeschrieben. Am<br />

Ende hatte jedes sein individuelles Heft<br />

„Ronja Räubertochter“, das aus seiner<br />

Einzelblattsammlung gebunden wurde.<br />

Auf diesen Materialschatz greife ich<br />

seit vielen Jahren immer wieder zurück.<br />

Die Kinder der jetzigen Klasse hatten<br />

schon öfter unsere Schulbühne bespielt<br />

Alle hatten einen Riesenspaß daran,<br />

das Springen über den von unserem<br />

Hausmeister kreierten Höllenschlund<br />

zu üben, bis es endlich ein bisschen<br />

elegant und lässig aussah.<br />

18 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

und so entstand die Idee, auch „Ronja<br />

Räubertochter“ nicht nur zu lesen, sondern<br />

im 3. Schuljahr auch zu spielen.<br />

Die Hauptrollen waren schnell und passend<br />

besetzt. Die anderen Kinder freuten<br />

sich, wilde Räuber spielen zu dürfen<br />

und auf der Bühne als Gruppe zu<br />

stehen und keine Solorolle ausfüllen zu<br />

müssen. Gleichzeitig merkten sie, dass<br />

sie dennoch einen wichtigen Part innehatten.<br />

Ursprünglich stand im Raum, sogar<br />

weitere Klassen einzubinden. Leider verbot<br />

uns dies der Beginn der Pandemie,<br />

aber möglich wäre es gewesen: Die beiden<br />

Räuberbanden waren bei uns jeweils<br />

nur 3 bis 4 Mann groß. Das ließe sich erweitern!<br />

Viele Kinder hätten eine schöne Rolle<br />

als Graugnome und Rumpelwichte finden<br />

und ein Chor hätte passende Lieder<br />

einstudieren können. All dies ließ Corona<br />

nicht zu! So blieb es bei einem Vorhaben<br />

unserer Klasse.<br />

Meine erste Fassung für ein Drehbuch<br />

wurde immer wieder erweitert oder<br />

gekürzt. Auf erste reine Leseproben<br />

folgten Übungen zum deutlichen, ausdrucksstarken<br />

Lesen und Sprechen.<br />

Schon bald zog es die Kinder auf<br />

unsere Schulbühne. Hier sollten sie bis<br />

in den allerletzten Winkel zu hören sein!<br />

Diese Erfahrung machen zu lassen, war<br />

mir ausgesprochen wichtig. Sie sollten<br />

nicht nur leise in ein Mikrofon oder<br />

Headset murmeln.<br />

Das war viel Arbeit und kostete viel<br />

Zeit und Kraft. Aber tatsächlich war bei<br />

den Aufführungen jedes Kind auch bis<br />

in die letzten Reihen gut zu verstehen.<br />

Nicht nur die Texte haben wir immer<br />

wieder überarbeitet, auch den Ablauf<br />

und das Spiel selbst änderten und verfeinerten<br />

wir immer wieder mit neuen<br />

Ideen oder durch verworfene erste<br />

Überlegungen:<br />

So wollten wir eigentlich das Bühnenbild<br />

mit der Mattisburg effektvoll auseinanderbrechen<br />

lassen. Nach einigen<br />

Überlegungen beließen wir es bei der in<br />

der Mitte zerbrochenen Mattisburg.<br />

Zunächst zeichneten die Kinder<br />

ihre eigene Vorstellung von der Burg.<br />

Schließlich kombinierten wir die Einfälle<br />

und ließen uns zusätzlich durch das<br />

Internet inspirieren. Jetzt übertrugen<br />

die Kinder den gemeinschaftlich beschlossenen<br />

Entwurf in der Größe eines<br />

DIN-A5-Blattes per Raster auf DIN A3<br />

und später auf unseren Untergrund aus<br />

vielen zusammengenähten Betttüchern.<br />

Eigentlich wollten wir zum Stück auch<br />

singen, aber dann untersagte uns Corona<br />

das. Die musikalischen Anteile unseres<br />

Vorhabens wurden Bodypercussion-<br />

Stücke. Mit Bodypercussion hatten wir<br />

schon viele Erfahrungen gesammelt<br />

und ich fand bei mehreren Künstlern<br />

der Szene und in ihrer Literatur auch<br />

für dieses Stück passende Anregungen:<br />

bedrohliches Aufeinanderzutanzen<br />

der rivalisierenden Räuberbanden am<br />

Katharina Pohl<br />

Lehrerin an der Grundschule<br />

Meckelsen in Klein Meckelsen,<br />

Materialsammlung unter „Links“<br />

auf der Schulhomepage:<br />

https://gs-meckelsen.de<br />

Höllenschlund, Bodypercussion-Begleitung<br />

zum Wolfslied – bei uns zu „Zwei<br />

kleine Wölfe“ – und einen Tanz am Ende<br />

des Stückes auf der gemeinsamen Feier<br />

beider Räuberbanden.<br />

Dieses Projekt führte die Kinder dieser<br />

Klasse dann nach vielen Wochen des<br />

coronabedingten Distanzlernens vor<br />

dem Schulwechsel noch einmal richtig<br />

zusammen!<br />

Sie freuten sich jeden Tag auf die Proben,<br />

rissen sich in ihrer Begeisterung<br />

und in ihrem Elan gegenseitig mit –<br />

auch mich …<br />

Sicher ermessen nicht alle Eltern, wie<br />

viele verschiedene Teile des Lernens und<br />

der musisch-kulturellen <strong>Bildung</strong> solch<br />

ein Projekt umfasst. Nicht alle Eltern<br />

waren gleichermaßen beeindruckt, aber<br />

sie übten mit ihren Kindern die Texte<br />

und halfen bei der Gestaltung der Kostüme<br />

und Requisiten.<br />

Viele Kinder anderer Klassen aber, alle<br />

Kolleginnen und auch viele Eltern formulierten<br />

angesichts der Proben, welche<br />

interessanten Eindrücke sie mitnehmen<br />

konnten und wie gespannt sie seien.<br />

Und vielleicht spürten die Kinder dieser<br />

Klasse, dass nicht nur Ronja und Birk<br />

sich am Ende des Stückes selbstständig<br />

auf den Weg zu neuen Erfahrungen und<br />

Erlebnissen machten. Auch sie selbst<br />

würden ja bald die Komfortzone unserer<br />

kleinen Schule verlassen und in eine<br />

neue Lebens- und Lernphase gehen.<br />

Die Aufführungen – mit natürlich coronagerechter<br />

Bestuhlung – waren große<br />

Erfolge!<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

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Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Konstanze von Unold<br />

Kultur-Projekte in der Schule<br />

trotz Pandemie?<br />

Die Belastung von Lehrkräften und Schulleitungen während der Pandemie ist so<br />

groß, dass Lehrerverbände bereits dazu ermutigen, Veranstaltungen in der Schule<br />

zu reduzieren, unnötige Arbeiten in der Schule wegzulassen und Schwerpunkte<br />

zu setzen. Heißt das, wir sollen uns auf Deutsch und Mathematik konzentrieren?<br />

Oder sollten wir nicht erst recht Schwerpunkte im Bereich der kulturellen <strong>Bildung</strong><br />

setzen? „gemeinsam.Brücken.bauen – Kompetenzen stärken und Gemeinschaft<br />

erleben“ – so lautet der Titel des Förderprogramms zum Ausgleich pandemiebedingter<br />

Nachteile für Schüler*innen im Freistaat Bayern. Ist das nicht<br />

Aufforderung genug, das Erleben von Gemeinschaft in Projekten zu fördern?<br />

Trotz aller Einschränkungen waren<br />

sich Elternbeirat und Team<br />

der Grundschule Baierbrunn zu<br />

Beginn des Schuljahres 2021/22 einig,<br />

dass unsere Kinder besonders jetzt<br />

Schule als Ort der Gemeinschaft erleben<br />

sollen. So wurden mehrere Projekte mit<br />

externen Partnern, die zum Teil in den<br />

beiden Schuljahren davor verschoben<br />

worden waren, in die Jahresplanung der<br />

Schule aufgenommen.<br />

Projekt „Kinder treffen Künstler“<br />

In Zusammenarbeit mit dem Berufsverband<br />

Bildender Künstler München<br />

und Oberbayern e. V. (https://t1p.de/<br />

kinder-treffen-kuenstler) fand bereits im<br />

Sommer 2014 ein erstes gemeinsames<br />

Projekt statt. Mit großer Begeisterung<br />

hatten die Kinder „echte“ Künst ler*in-<br />

nen kennengelernt und vielfältige Erfahrungen<br />

mit Kunst gesammelt. Für<br />

das Jahr 2020 wurde eine Wiederholung<br />

des Projekts geplant.<br />

So war es ursprünglich geplant:<br />

● Das Projekt wird im Frühjahr/Sommer<br />

2020 durchgeführt.<br />

● Künstler*innen kommen zur Schule,<br />

stellen sich und ihre Arbeit in einer<br />

großen Schulversammlung vor.<br />

● Die Kinder wählen ihr Kunstprojekt<br />

(mit Ersatzmöglichkeit, damit die Gruppenstärke<br />

angepasst werden kann).<br />

● Die Kinder arbeiten in klassen- und<br />

jahrgangsübergreifenden Gruppen.<br />

● Das Projekt ist auf eine Schulwoche<br />

festgesetzt.<br />

● An einem der 5 Projekttage fährt die<br />

Gruppe in die Ateliers der Künstler*innen<br />

oder in ein Museum.<br />

● Als Abschluss findet eine große Vernissage<br />

mit Eltern und eine Ausstellung<br />

in der Schule statt.<br />

So konnte es realisiert werden:<br />

● Das Projekt wurde im November<br />

2021 durchgeführt – zwei Künstler<br />

mussten aus Pandemiegründen kurzfristig<br />

absagen. Ersatzpersonen wurden<br />

schnell gefunden.<br />

● Das Projekt wurde klassenweise<br />

durch geführt. Die Zuordnung der<br />

Küns t ler*innen zu den Klassen erfolgte<br />

durch die Lehrkräfte.<br />

● Einzelne Projekttage wurden verschoben,<br />

die Absprache erfolgte zwischen<br />

Klassenlehrkraft und Künstler*in.<br />

Unser Kunstprojekt<br />

20 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

● Der Atelier- oder Museumsbesuch<br />

wurde durch Bilder, per Videokonferenz<br />

oder durch Videos ersetzt.<br />

● Die Ausstellung soll im Sommer<br />

2022 stattfinden, ggf. im Freien.<br />

Das sagen Kinder dazu:<br />

● Mal andere Kunst kennenzulernen<br />

war spannend. (Elisabeth, 4. Kl.)<br />

● Ich habe viel Neues gelernt. (anonym)<br />

● Es war lustig und toll. (anonym)<br />

Tanzprojekt der Drittklässler<br />

Regelmäßig wird das Tanzprojekt in<br />

den dritten Klassen während des Sportunterrichts<br />

in 12 Doppelstunden durchgeführt.<br />

Angeleitet und unterstützt von<br />

Trainer*innen des Vereins Tanz und<br />

Schule e. V. (www.fokustanz.de) machen<br />

die Kinder vielfältige Erfahrungen<br />

im modernen Ausdruckstanz. Dabei<br />

stehen Körper und Sozialerfahrungen<br />

im Mittelpunkt.<br />

So war es ursprünglich geplant:<br />

● Das Projekt findet klassenweise in<br />

beiden dritten Klassen statt.<br />

● Vor der gemeinsamen Aufführung<br />

finden mehrere gemeinsame Trainings<br />

statt.<br />

● Eine Vormittagsaufführung wird für<br />

die Kinder der Schule durchgeführt.<br />

● Eine Abendaufführung wird für die<br />

Eltern der Drittklässler angeboten.<br />

So konnte es realisiert werden:<br />

● Zwar musste mit Maske getanzt werden.<br />

Ansonsten fanden die Trainings<br />

wie geplant statt.<br />

● Die beiden Klassen zeigten sich ihre<br />

Aufführungen gegenseitig.<br />

● Die Aufführungen wurden gefilmt.<br />

● Der Film wurde den Eltern als<br />

Down load zur Verfügung gestellt.<br />

Das sagten Kinder unserer Schule dazu.<br />

Sie wollten anonym bleiben:<br />

● Das Tanzprojekt war sehr cool, weil<br />

man besondere Sachen gelernt hat.<br />

● Ich fand das Tanzprojekt toll. Besonders<br />

das Schlussbild fand ich cool. Ich<br />

habe viel gelernt.<br />

● Ich fand es toll, weil alle so nett waren.<br />

● Das Tanzprojekt war cool, aber<br />

schwierig und anstrengend.<br />

Musical der Viertklässler<br />

Seit vielen Jahren werden an der<br />

Grundschule Baierbrunn jeweils vor<br />

Weihnachten und im Sommer ein<br />

Konstanze von Unold<br />

ist Rektorin an der Grundschule Baierbrunn<br />

und leitet eine zweite Klasse;<br />

grundschule.baierbrunn.de<br />

Musical von (Dritt- und) Viertklässlern<br />

aufgeführt. Einmal wöchentlich treffen<br />

sich ca. 20 Kinder mit zwei Lehrkräften<br />

für 45 Minuten und üben ein Musical<br />

ein.<br />

So war es ursprünglich geplant:<br />

● Im Herbst wird das Musical „Ritter<br />

Rost feiert Weihnachten“ einstudiert.<br />

● Wir hatten gehofft, das Stück wie<br />

früher live in unserer Aula für alle Kinder<br />

aufführen zu können.<br />

● Eine Abendaufführung für Eltern<br />

war geplant.<br />

So konnte es realisiert werden:<br />

● Einige Lieder wurden im Freien einstudiert.<br />

● Das Musical wurde gefilmt.<br />

● Der Film wurde sowohl in den Klassen<br />

gezeigt, als auch den Familien der<br />

Teilnehmenden zum Download zur<br />

Verfügung gestellt.<br />

● Die meisten Lieder wurden als Playback<br />

aufgenommen.<br />

Tanzprojekt<br />

Musical der Grundschule Baierbrunn „Ritter Rost feiert Weihnachten“<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

21


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Das sagen Kinder dazu:<br />

● Mir macht das Musical richtig Spaß.<br />

(Lara, 4. Kl.)<br />

● Mir gefällt, dass wir uns ein Musical<br />

selbst ausdenken dürfen. (anonym)<br />

● Es macht sehr viel Spaß, sich in andere<br />

Rollen zu versetzen. (Elisabeth, 4. Kl.)<br />

● Ich fand es toll, dass wir trotz Corona<br />

ein Musical aufgeführt haben. (anonym)<br />

Mit großem Elan machten sich die Kinder<br />

nach den Weihnachtsferien daran,<br />

ein eigenes Musical zu schreiben, das im<br />

Sommer 2022 aufgeführt werden soll.<br />

Der Gruppe ist es gelungen, ein spannendes<br />

Corona-Musical zu erfinden,<br />

das an verschiedenen Orten in ganz<br />

Deutschland spielt.<br />

Zirkusprojekt<br />

Im dreijährigen Rhythmus wurden an<br />

der Grundschule Baierbrunn bereits in<br />

den Jahren 2016 und 2019 in Zusammenarbeit<br />

mit der Zirkusschule Windspiel<br />

(www.zirkusschule-windspiel.de) Zirkuswochen<br />

durchgeführt. Aus Platzgründen<br />

machten die Erstklässler jeweils ein<br />

eigenes Projekt, das in die Zirkusaufführungen<br />

integriert wurde.<br />

So war es ursprünglich geplant:<br />

● Für Februar wurde eine Zirkuswoche<br />

mit der Zirkusschule Artista, der Nachfolgerin<br />

der Zirkusschule Windspiel, geplant.<br />

● Aus Platzgründen sollten nur die<br />

Dritt- und Viertklässler in klassen- und<br />

jahrgangsübergreifenden Workshops<br />

teilnehmen.<br />

● Tägliche gemeinsame Zirkusspiele<br />

mit der ganzen Schule sollten in der<br />

Turnhalle stattfinden.<br />

● Für die ersten und zweiten Klassen<br />

war ein Ernährungsprojekt angedacht.<br />

● Die Erst- und Zweitklässler sollten<br />

ihr Projekt in der Zirkusvorstellung<br />

präsentieren dürfen.<br />

So kann es hoffentlich realisiert<br />

werden:<br />

● Bereits vor Weihnachten wurde deutlich,<br />

dass jahrgangs- und klassenübergreifende,<br />

interessengeleitete Gruppen<br />

kaum möglich wären. Daher wurde die<br />

Zirkuswoche auf Juni 2022 verschoben.<br />

● Auf der Schulwiese soll ein großes<br />

Zirkuszelt aufgestellt werden, sodass<br />

während der Aufführung gut gelüftet<br />

werden kann und Platz für weitere<br />

Workshops ist.<br />

● Das Zirkuszelt erlaubt auch die Teilnahme<br />

der Zweitklässler am Projekt.<br />

Die Erstklässler werden tolle Pausensnacks<br />

zaubern.<br />

Kinder und Team der Schule freuen<br />

sich nun auf eine spannende Zirkuswoche.<br />

Und mit ein bisschen Glück können<br />

wir nach unserer Zirkusaufführung<br />

ein fröhliches Schulfest feiern und die<br />

Kunstwerke aller Kinder der Schule bewundern.<br />

Das sagen Kinder dazu:<br />

● Ich finde es toll, dass wir das Zirkusprojekt<br />

machen. Wir waren (beim letzten<br />

Mal) Erstklässler und durften Tiere<br />

spielen. Es war sehr lustig und wir hatten<br />

viel Spaß. (anonym)<br />

● Ich finde es toll, dass das Zirkusprojekt<br />

stattfindet. (Josefina, 4. Kl.)<br />

● Ich freue mich schon riesig darauf,<br />

weil ich wegen Corona eigentlich keine<br />

Hoffnung mehr darauf hatte. (anonym)<br />

Trotz der Notwendigkeit von Planungsänderungen,<br />

Einschränkungen und Veränderungen<br />

empfinden alle Beteiligten<br />

die Projekte als große Bereicherung des<br />

Schullebens und vor allem des „Erlebens<br />

von Gemeinschaft“.<br />

Für mich persönlich als Schulleitung<br />

und Lehrkraft kann ich sagen: Glückliche<br />

Kinder, zufriedene Eltern, ausgeglichene<br />

Lehrkräfte und bereichernde eigene<br />

Erfahrungen bieten deutlich mehr<br />

Entlastung für alle an Schule Beteiligten<br />

als die bloße Reduktion auf vermeintlich<br />

wesentliche Unterrichtsinhalte. So<br />

bleibt zu hoffen, dass viele Schulen die<br />

Chancen von Projekten zur kulturellen<br />

<strong>Bildung</strong> sehen, in denen Kinder sich als<br />

selbstwirksam und eigenaktiv erfahren<br />

und dabei gleichzeitig ihre Kompetenzen<br />

stärken und Gemeinschaft erleben.<br />

Erstklässler beim Zirkus und Vorbilder (Foto rechts)<br />

22 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Sabine Kolbe<br />

ErzählZeit – poetische Mündlichkeit<br />

im Kita- und Schulalltag<br />

Begegnungen im Land der Sprache und der Phantasie<br />

Seit nunmehr 14 Jahren hat sich das Berliner Projekt ErzählZeit zu einem einzigartigen<br />

künstlerischen Format der Vermittlung der deutschen Sprache entwickelt,<br />

das zu nachhaltigen Erfolgen in der Sprachbeherrschung von Kindern<br />

und Schüler*innen führt. Mit seinem ausgezeichneten Konzept, dem Dreiklang<br />

von „Erzählen – Zuhören – Weitererzählen“ hat sich ErzählZeit als Projekt der<br />

Sprachbildung und kulturellen <strong>Bildung</strong> etabliert und ist Ideengeber für Erzählinitiativen<br />

bundesweit.<br />

Seit 2008 war ErzählZeit berlinweit<br />

in 185 Grundschulen und 60 Kitas<br />

zu Gast – mit wöchentlichen<br />

Erzählstunden über einen Zeitraum von<br />

bis zu drei Schuljahren sowie flankierenden<br />

Angeboten in Stadtteilbibliotheken.<br />

Weitere ErzählZeit-Bausteine sind<br />

Weiterbildungen für die am Projekt beteiligten<br />

Lehrer*innen und Erzieher*innen,<br />

Projektwochen im Verbund mit<br />

anderen Künsten und öffentliche Veranstaltungen<br />

für Kinder und Eltern, u. a. in<br />

der Jurte der Zentral- und Landesbibliothek<br />

Berlin.<br />

Lehrer*innenstimmen aus den letzten<br />

beiden Schuljahren ergänzen die weiteren<br />

Ausführungen zum Projekt.<br />

Märchen und Mythen an. In der Verknüpfung<br />

von Sprache, gestischem und<br />

mimischen Ausdruck entwickelt sich lebendiges<br />

Erzähltheater. In der kommunikativen<br />

Situation der Erzählstunden<br />

findet Sprachbildung/Sprachvermittlung<br />

auf emotionaler Ebene statt.<br />

Das Konzentrationsvermögen wird<br />

gestärkt und die Fähigkeit, eigene Bilder<br />

beim Zuhören entstehen zu lassen, wird<br />

entwickelt. Phantasie, Kreativität und<br />

Neugier auf Fremdes werden gefördert,<br />

literarische Erstbildung wird in mündlicher<br />

Form erlebt.<br />

Während der Erzählstunden durchleben<br />

die Kinder eine Geschichte. Dabei werden<br />

sie zur aktiven Teilnahme angeregt,<br />

ermutigt und sind so in die Erzählungen<br />

involviert. Uns ist aufgefallen, wie sehr<br />

diese Art des gemeinsamen Erzählens<br />

und Erlebens die Kinder mitreißt und<br />

wie präsent die Geschichten im weiteren<br />

Tages- und Wochenverlauf sind. Bei<br />

spontanen Erzählanlässen bemerken<br />

wir, dass die Kinder geneigter sind<br />

Präteritumsformen zu benutzen. (Carl<br />

von Ossietzky GS 2020 EZ)<br />

Die starke Verbindung von Inhalt /<br />

gesprochener Sprache und körperlicher<br />

sowie geistiger Präsenz ist jedes Mal<br />

beeindruckend. (Hansa GS 2021 EZ 13)<br />

Das Prinzip „erzählen –<br />

zuhören – weitererzählen“<br />

Erzählen und Zuhören<br />

Voraussetzung für den Erfolg des Projekts<br />

ist die kontinuierliche Begegnung der<br />

Kinder mit der mündlichen Erzählkunst<br />

und einer poetischen Sprache. Der Resonanzraum,<br />

der zwischen Er zählen den<br />

und Zuhörenden während des Erzählvorgangs<br />

entsteht, macht die Besonderheit<br />

der Begegnungssituation aus.<br />

Erzählen als kleinste<br />

Form von Theater<br />

Auch die Auszeichnung als <strong>Bildung</strong>sidee<br />

Deutschland 2011/12 belegt, was<br />

die kleinste und unmittelbarste Theaterform,<br />

die Erzählkunst, im Bereich der<br />

kulturellen <strong>Bildung</strong> bewirken kann. Die<br />

professionelle Kunst der Erzähler*innen,<br />

die über eine schauspielerische<br />

und/oder theaterpädagogische Ausbildung,<br />

künstlerische Berufserfahrung<br />

und eine Zusatzqualifikation im Bereich<br />

des Erzählens verfügen, ist das Herzstück<br />

von ErzählZeit.<br />

Die Erzähler*innen bringen lebendiges,<br />

ausdrucksstarkes Erzählen in die<br />

Klassenzimmer und Gruppenräume. Sie<br />

haben die Geschichten aus den Buchdeckeln<br />

befreit und knüpfen an die Tradition<br />

der mündlichen Weitergabe von<br />

Marietta Rohrer-Ipekkaya erzählt zur Eröffnung von ErzählZeit 14<br />

Joerg Farys // Die.PROJEKTOREN<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

23


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Es ist ein Zweiklang von Erzählen<br />

und Zuhören.<br />

Erzählen ist kein Monolog, sondern<br />

ein Dialog, der die Schwingungen des<br />

Publikums aufnimmt und damit ein<br />

Märchen, eine Geschichte immer wieder<br />

neu lebendig werden lässt. Die<br />

Erzählenden sehen die Augen des Publikums,<br />

spüren dessen körperliche<br />

Anspannung oder Gelöstheit, sehen<br />

rote Wangen, wache Augen, spüren<br />

einen gemeinsamen Atem – all diese<br />

Beobachtungen, Empfindungen haben<br />

Auswirkungen auf die Erzählung, auf<br />

die Körpersprache, Blicke, Gesten, die<br />

Lautstärke, die Stimmfärbung, auf Pausen<br />

und Wiederholungen.<br />

Die Erzählerinnen „spielen“ für uns,<br />

vermitteln Spaß an der Sprache, wecken<br />

in den Kindern Gefühle wie Wut, Mitleid,<br />

Angst und Freude. Viele Kinder<br />

kommen dadurch das erste Mal mit<br />

Kunst, mit Erzählkunst, in Berührung.<br />

(Hausburg Grundschule 2021, EZ 13)<br />

Allgemein habe ich das Gefühl, dass die<br />

ErzählZeit für die Aufmerksamkeit ein<br />

super Format ist. Viele kennen es von<br />

zu Hause nicht, Geschichten erzählt zu<br />

bekommen. Das Zuhören lernen sie hier,<br />

was auch Effekte auf den Unterricht hat.<br />

(Ossietzky Grundschule 2021, EZ 13)<br />

Weitererzählen<br />

Im nächsten Schritt erzählen die Kinder<br />

und Schüler*innen gehörte Märchen<br />

nach und erfinden eigene Geschichten.<br />

Aus Zuhörer*innen werden Erzähler*innen<br />

– sie erleben Sprache als<br />

Schlüssel zur Welt. Durch die regelmäßigen<br />

Erzählstunden wächst eine<br />

lebendige Erfahrung der „Baupläne“, der<br />

Dramaturgie der Märchen. Der Wortschatz<br />

erweitert sich.Jedes Jahr ist es<br />

wieder eine große Freude für uns, mitzuerleben,<br />

was an Sprachverständnis<br />

und -gewandtheit gewachsen ist und<br />

wie aus aktiven, neugierigen Zuhörer*innen<br />

phantasievolle Nacherzähler*innen<br />

und Geschichtenerfinder*innen<br />

geworden sind.<br />

Man lernt einige Kinder neu kennen.<br />

Kinder, die sonst gar nichts sagen, blühen<br />

auf, fangen an zu erzählen, mitzumachen,<br />

trauen sich … Ich bin immer<br />

wieder fasziniert, wie sich die Kinder<br />

besonders gut viele kleine Details merken<br />

können, auch wenn schon Tage und<br />

Wochen dazwischen liegen. (Ebereschen<br />

Grundschule 2021, EZ 13)<br />

Durch das Erzählen der Geschichten<br />

bekommen die Kinder eine Struktur,<br />

wie sie eigene Geschichten aufbauen<br />

können. Sie erhalten Geschichtenvorbilder,<br />

üben sich im Erinnern und<br />

Nacherzählen der Geschichten, die Imagination,<br />

eigene Bilder im Kopf „entstehen<br />

lassen“, wird gefördert. (Campus<br />

Efeuweg 2021, EZ 13)<br />

Zur Märchenauswahl<br />

Bir varmisch bir yokmusch (türkisch),<br />

Schili byli (russisch), once upon a time<br />

(englisch), Mukashi Mukashi ( japanisch),<br />

Era uma vez (portugiesisch)<br />

… – Es war einmal – so beginnen die<br />

Märchen überall auf der Welt. Und der<br />

Anteil von Kindern, die andere Herkunftssprachen<br />

als die deutsche Sprache<br />

mitbringen, liegt in den Klassen und<br />

Gruppen bei meist 70 bis 80 Prozent. So<br />

orientieren sich die Erzähler*innen in<br />

der Auswahl der Märchen an den unterschiedlichen<br />

Kulturkreisen, aus denen<br />

die Kinder und Schüler*innen kommen.<br />

Internationale Märchen und Mythen<br />

öffnen so auch den Zugang zu und die<br />

Neugier auf fremde Kulturen.<br />

In den ersten Erzähleinheiten stehen<br />

Ketten- und Tiermärchen aus aller Welt<br />

im Mittelpunkt und bahnen in kürzeren<br />

Erzählsequenzen den Weg ins lustvolle<br />

Zuhören. Wiederkehrende Motive<br />

und Märchenmuster werden in aller<br />

Welt aufgespürt und geben einen Einblick<br />

in die Wandlungsfähigkeit und<br />

Vielfalt internationaler Märchen. Märchen<br />

mit (kindlichen) Held*innen, die<br />

gewitzt und mutig ihren Weg meistern<br />

und Schwierigkeiten überwinden, stärken<br />

das Vertrauen in die eigenen Kräfte.<br />

Komplexe Zaubermärchen mit einer<br />

Länge von 30 Minuten und mehr sind<br />

am Ende eines Schuljahres der krönende<br />

Abschluss für Erzähler*innen und konzentrierte<br />

Zuhörer*innen.<br />

… sehr abwechslungsreich, ein gutes<br />

Maß an leichter Überforderung, sprachlich<br />

und bei der Komplexität der Erzählung.<br />

Die Kinder sind stolz, wenn ein<br />

Märchen aus ihrem Land/Kulturkreis<br />

erzählt wird. (Gesundbrunnen GS,<br />

2020 EZ 12)<br />

Ich finde die Auswahl super. Von klassischen<br />

deutschen Märchen, die auch<br />

in Varianten erzählt werden, bis hin zu<br />

Geschichten und Märchen aus aller Welt<br />

ist alles dabei. Besonders gefällt mir,<br />

dass zu Beginn die Herkunftsländer/<br />

Bezüge der Kinder abgefragt werden<br />

und teilweise aufgegriffen werden. (Carl<br />

von Ossietzky GS 2021, EZ 13)<br />

Herausforderung Corona-<br />

Pandemie – alternative Formate<br />

Durch die Beschränkungen infolge der<br />

Covid-19-Pandemie musste Erzähl-<br />

Zeit auf Ersatz-Formate ausweichen:<br />

Hörstücke, Live-Videoformate oder<br />

vorab abgefilmtes Erzählen ohne Publikum,<br />

welches dann im Netz eingestellt<br />

wurde.<br />

„Die siebente Sonne darf scheinen“ – Präsentation der Klasse 2d der Märkischen<br />

Grundschule zur Eröffnung der ErzählZeit 14, erarbeitet mit der Erzählerin Sabine<br />

Steglich<br />

Joerg Farys // Die.PROJEKTOREN<br />

24 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Im ersten Lockdown im März 2020<br />

wurde die „ZwischenZeit – ErzählZeit<br />

für Zuhause“ entwickelt. Fünfundvierzig<br />

von den Erzähler*innen eingesprochene<br />

Märchen waren samt eines Arbeitsblattes<br />

„Mitmachen“ auf unserer Internetseite<br />

zu verschiedenen Themen (u. a.<br />

Steine & Mauern, Garten & Wildnis,<br />

Wasser & Welle, Zeit & Raum, Wolken<br />

& Wind ) verfügbar.<br />

Die Erzähler*innen ermöglichten den<br />

Kindern der Partnerschulen und Kitas<br />

und auch der breiten Öffentlichkeit, mit<br />

Märchen aus aller Welt zumindest im<br />

Kopf auf Weltreise gehen zu können!<br />

Eine kurze Auswahl ist nach wie vor<br />

auf unserer Website unter Zwischen-<br />

Zeit abrufbar: www.erzaehlzeit.de/was/<br />

zwischenzeit<br />

Vielen Dank für diese schöne Möglichkeit,<br />

dass wir diese für uns ungewöhnliche<br />

Zeit mit digitalen Märchen nutzen<br />

können – eine tolle Idee. (GS am<br />

Amalienhof, 2020 EZ 12)<br />

Welch wunderbare Idee von euch,<br />

den Kindern in dieser verrückten Zeit<br />

Abwechslung zu bieten. Wie werden<br />

sich die Kinder freuen, deine Stimme<br />

zu hören, aber auch anderen Erzähler*innen<br />

lauschen zu können. Ich bin<br />

begeistert von eurem Engagement und<br />

eurem großen Herz für die Kinder.<br />

(Jane-Godall-GS, 2020 EZ 12)<br />

Im zweiten Lockdown 2021 war es den<br />

Erzähler*innen teilweise möglich, je<br />

nach technischer Ausstattung der Schulen<br />

und Kitas, Zoomvarianten über<br />

Lernraum Berlin anzubieten. So konnten<br />

die Kinder zu Hause oder auch in<br />

der Notbetreuung in den Einrichtungen<br />

an ErzählZeit teilnehmen.<br />

Für die geplanten Termine in der Jurte<br />

wurde eine Vorabvideoaufnahme erstellt<br />

und auf dem YouTube-Kanal der<br />

Zentral- und Landesbibliothek eingestellt.<br />

Im Frühjahr 2021 haben wir außerdem<br />

das Format „Draussen.ErzählZeit“<br />

entwickelt, welches an verschiedenen<br />

Orten/Bäumen in Berliner Parks mittels<br />

QR-Code ein Hören von Märchen ermöglichte<br />

(https://draussen.erzaehlzeit.<br />

de/map/tag-des-baumes/).<br />

Resümierend lässt sich feststellen,<br />

dass wir kreativ und unerschrocken auf<br />

Entdeckungsreise gegangen sind und<br />

alternative digitale Möglichkeiten für<br />

ErzählZeit ausprobiert haben. Diese<br />

können auch für die Zukunft eine Ergänzung<br />

sein.<br />

Doch wie durch ein Brennglas zeigte<br />

sich auch, was wir vermissten, was uns<br />

fehlte, das was den eigentlichen Zauber<br />

von ErzählZeit ausmacht: Die direkte<br />

Begegnung von Erzähler*in und den<br />

Zuhörer*innen, der gemeinsame Gang<br />

durchs Tor der Phantasie und Poesie, das<br />

gemeinsame Erleben eines Märchens,<br />

einer Geschichte.<br />

Ich konnte mich im Umgang mit Videound<br />

Audioaufnahmen schulen, eine<br />

wichtige Erfahrung. Gleichzeitig spürte<br />

ich bei jedem Live-Streaming das<br />

Ungenügen dieser Art von Begegnung,<br />

da war eine unsichtbare Wand zwischen<br />

den Kindern und mir, ein Filter,<br />

eine unüberbrückbare Entfernung, was<br />

mich jedes Mal mit großen Zweifeln an<br />

meinem Tun erfüllte … Alles in allem:<br />

Online Erzählen ist für mich eine Krücke<br />

und kann auf keinen Fall die lebendige<br />

Begegnung ersetzen. (Arna Vogel,<br />

Erzählerin, 2. Lockdown 2021 EZ 13)<br />

Die Schüler*innen und Lehrer*innen fanden<br />

das Liveformat per Zoom eine gute<br />

Lösung für die Corona-Situation, natürlich<br />

hätten sie mich lieber vor Ort gehabt.<br />

Die Kitas wollten beide kein Ersatzformat,<br />

der Tenor: BITTE KEIN ONLINE,<br />

NICHTS DIGITALES, HILFE DIE KIN-<br />

DER SIND DAMIT ZUGEMÜLLT!<br />

(Marietta Rohrer-Ipekkaya, Erzählerin,<br />

2. Lockdown 2021 EZ 13)<br />

Rahmenbedingungen Finanzierung<br />

Im Jahr 2008 wurde in Berlin der<br />

Projektfonds <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> aufgelegt.<br />

ErzählZeit wurde über drei Jahre<br />

darüber finanziert. Seit 2012 hat das<br />

Projekt eine jährlich neu zu beantra gende<br />

Förderung durch die Senatsverwaltung<br />

für <strong>Bildung</strong>, Jugend und Familie<br />

erhalten. ErzählZeit ist Teil des Ber liner<br />

Rahmenkonzepts <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>,<br />

welches als zentrale Grundlage einen<br />

richtungsweisenden Handlungsrahmen<br />

für die Implementierung von ästhetischkünstlerischer<br />

<strong>Bildung</strong> im Schulalltag<br />

gibt.<br />

Qualität und Nachhaltigkeit kultureller<br />

<strong>Bildung</strong> hängen unmittelbar auch mit<br />

nachhaltigen Rahmenbedingungen für<br />

die Akteur*innen zusammen.<br />

In der Zukunft muss eine stetige Erhöhung<br />

der Fördersumme angestrebt werden,<br />

damit – neben der immer wieder<br />

Sabine Kolbe<br />

Diplomschauspielerin,<br />

Theaterpädagogin, Erzählerin<br />

www.sabinekolbe.de<br />

post@sabinekolbe.de<br />

www.erzaehlzeit.de<br />

kolbe@erzaehlzeit.de<br />

neu bestätigten Nachhaltigkeit für die<br />

Sprachentwicklung der beteiligten Kinder<br />

und Schüler*innen – auch für die<br />

im Projekt arbeitenden Erzähler*innen<br />

eine verbindliche Wertschätzung ihrer<br />

künstlerischen Arbeit und eine langfristige<br />

Planbarkeit gegeben ist. Ein Förderinstrument,<br />

welches zumindest zweijährige,<br />

wünschenswert drei- bis fünfjährige<br />

Finanzierungen ermöglicht, würde<br />

kontinuierlicher Arbeit einen gesicherten<br />

Rahmen und Boden für weitere Entwicklungen<br />

geben.<br />

Fazit<br />

Gaby Waldek/waldekfoto@gmx.de<br />

Der Dreischritt Erzählen – Zuhören –<br />

Weitererzählen ermöglicht den Kindern<br />

und Schüler*innen aus dem intensiven<br />

Erleben von Geschichten heraus, die<br />

eigene Sprachfähigkeit zu erweitern. Mit<br />

der stetigen Erweiterung des ErzählZeit-<br />

Grundkonzepts – durch Bibliotheksveranstaltungen,<br />

die ErzählZeit in der<br />

Jurte, Festtage, Begegnungen mit anderen<br />

künstlerischen Ausdrucksformen in<br />

Projektwochen, der DRAUSSEN.Erzähl-<br />

Zeit, der ZwischenZeit für zu Hause<br />

– zeichnet sich ErzählZeit mit seiner<br />

ästhetischen Gesamtqualität und künstlerischen<br />

Professionalität im Feld der<br />

kulturellen <strong>Bildung</strong> aus und setzt einen<br />

Qualitätsmaßstab im Bereich der künstlerischen<br />

Sprachförderung.<br />

Mein Wunsch: jedes Schuljahr eine<br />

Begleitung durch Erzählzeit! Kunst ist<br />

so wichtig für uns alle, verbindet verschiedene<br />

Kulturen und bildet. (Hausburg<br />

GS 2021 EZ 13)<br />

EZ ist etwas ganz Besonderes für die<br />

Kinder. (Ebereschen GS 2021 EZ 13)<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

25


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Gabriele Klenk im Gespräch mit der Künstlerin Sabine Schwarz<br />

Kultur in die Schule bringen<br />

Gabriele Klenk: Frau Schwarz, Sie gestalten<br />

Kunst mit Kindern, kommen<br />

in Grundschulen oder Kindertagesbetreuungen<br />

bzw. laden Gruppen von<br />

Kindern in Ihr Atelier ein. Wie sehen<br />

Ihre Angebote für Schulklassen oder<br />

Kindergruppen konkret aus?<br />

Sabine Schwarz: Konkrete Angebote<br />

für kreative Projekte sind zum Beispiel<br />

aus Wünschen von Kindern, in<br />

Gesprächen mit Lehrkräften oder aus<br />

Vorgaben des Kunst- oder Werkunterrichts<br />

entstanden. Es geht um Projekte,<br />

für die ein Bedarf vorhanden ist, sei es<br />

die Garten-, Treppenhaus- oder Pausenhofgestaltung.<br />

Oft wollen Schülerinnen<br />

und Schüler, die täglich im Treppenhaus<br />

laufen, dieses gemeinsam gestalten.<br />

Manchmal entstehen Ideen auch in<br />

Kunst-AGs. In einem Schulhaus werden<br />

derzeit eine Treppenhausgestaltung in<br />

einem Stockwerk nach Franz Marc und<br />

in einem anderen nach Hundertwasser<br />

geschaffen.<br />

Zuerst gibt es kleine Entwürfe der<br />

Kinder. Ich versuche diese dann so umzusetzen,<br />

dass wir sie gemeinsam gestalten<br />

können. Im Außenbereich setze<br />

ich mobile Elemente ein, wie Holzstelen<br />

oder Betonskulpturen. Wir gestalten<br />

Außenwände oder Säulen durch Bemalen<br />

oder fertigen mobile Kugelbahnen<br />

an, die von den Kindern als Pausenspiele<br />

genutzt werden, Windwiegen<br />

oder Pflanzenstäbe oder auch Kunst aus<br />

Recyclingmaterial. Ich bringe Material<br />

in die Schulen mit und setze Techniken<br />

wie z. B. Actionpainting oder Fluidpainting<br />

ein.<br />

G. K.: Inwiefern stehen in diesen Projekten<br />

die Produkte oder die damit<br />

verbundenen Prozesse im Vordergrund?<br />

S. S.: Im Vordergrund steht tatsächlich<br />

eine konkrete Produktvorstellung.<br />

Gleichzeitig geht es aber immer darum<br />

„Wie machen wir das?“ Ich möchte<br />

die Kinder im Vorfeld und im Projekt<br />

beteiligen. Sie sollen Kunst ganz neu<br />

erleben dürfen, um ganz frei zu arbeiten<br />

– unabhängig von der Lehrkraft – mit<br />

einer Künstlerin.<br />

G. K.: Werden auch Kinder erreicht,<br />

die ansonsten keine Nähe zu Kunst<br />

oder künstlerischem Gestalten haben?<br />

S. S.: Diese werden ganz besonders<br />

erreicht. Ehrfürchtig und erfreut erlebe<br />

ich, wie Kinder sich erschließen lassen,<br />

auch in sehr sensiblen Bereichen. Zum<br />

Beispiel arbeite ich auch mit autistischen<br />

Kindern, die große Berührungsprobleme<br />

haben, kaum aus sich<br />

herausgehen und schon Sorge haben,<br />

sich durch Materialien schmutzig zu<br />

machen. Sie werden in diesem aktiven<br />

Kreativsein stark mitgerissen. Hier sehe<br />

ich sehr viel Potenzial, Kunst als Schlüssel<br />

für gemeinsames oder auch individuelles<br />

Handeln, das nicht zu einer<br />

Überforderung führt, zu erleben.<br />

G. K.: In unserer Gesellschaft gibt es<br />

bisweilen die gängige Meinung „Kunst<br />

kommt von Können“. Gibt es innerhalb<br />

Ihrer Kunstprojekte für alle Kinder<br />

Könnenserfahrungen bzw. künstlerisches<br />

Erleben, auch wenn sie von<br />

zu Hause in dieser Hinsicht wenig mitbringen?<br />

S. S.: Jedes Kind fängt bei null an. Ich<br />

bringe Materialien und Aufgaben mit,<br />

die sie eigentlich noch nicht können.<br />

Es gibt so viele Anregungen und Techniken,<br />

dass jedes Kind etwas Neues<br />

www.kuenstlerin-sabine-schwarz.de<br />

erleben darf und sich darauf einlassen<br />

will. Manchmal habe ich Schüler oder<br />

Schülerinnen, die alles richtig und<br />

schön machen möchten, aber auch Kinder,<br />

die meinen, mit Pinsel und Farben<br />

nicht richtig umgehen zu können. Wenn<br />

sie nun ganz aus sich herausgehen und<br />

rasch Erfolgserlebnisse haben, begeistert<br />

sie das. Kinder, die in der Schule keine<br />

guten Noten haben, tasten sich an Dinge<br />

heran und können den Erfolg unmittelbar<br />

sehen, wenn sie das Werk schaffen<br />

und sowohl die Rückmeldung der Mitschülerinnen<br />

und Mitschüler als auch<br />

ihrer Lehrkraft erleben.<br />

Lehrkräfte sind in Projekten nicht die<br />

Akteure, sondern dürfen das Verhalten<br />

ihrer Kinder in Sozialkontakten und<br />

auch im Umgang mit der Aufgabe beobachten.<br />

Ich hingegen bin eine Art Regisseurin,<br />

die leitet und lenkt. Ich hatte<br />

in einer Schule folgende Situation: Die<br />

Lehrkraft erklärte mir vorher, dass ein<br />

Schüler ihrer Klasse nicht bei dem Projekt<br />

dabei sein sollte, weil er „das ganze<br />

Projekt schmeißen würde und sie<br />

möchte das Erlebnis für die Klasse haben“.<br />

Meine Antwort war: „Für dieses<br />

Kind bin ich da, dieses Kind hole ich<br />

mit rein und wir finden eine Lösung für<br />

alle. Ich will gar nicht wissen, um welches<br />

Kind es sich handelt.“ Ich habe das<br />

Kind als wichtigen Helfer von Anfang an<br />

mit einbezogen und es beauftragt, sich<br />

mitverantwortlich für das Projekt zu sehen.<br />

Am Ende war die Lehrkraft froh,<br />

und das Kind hat mir beim Einladen der<br />

26 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Farben in mein Auto gesagt: „Das war<br />

heute mein schönster Schultag!“<br />

G. K.: Wie ermutigen Sie Kinder<br />

dazu, sich mit Farbe und Form auszudrücken,<br />

um sich dabei als kreativ und<br />

erfolgreich gestaltend wahrzunehmen?<br />

S. S.: Ich biete besonders schöne, hochwertige<br />

Farben an, die „appetitlich“ vor<br />

den Kindern liegen und damit einen<br />

hohen Aufforderungscharakter haben.<br />

Leinwände, Glitzer, Muscheln, Steine,<br />

Beton sind Materialien, die normalerweise<br />

nicht im Unterricht verarbeitet<br />

werden. Dann ist es die Technik, die ich<br />

ihnen anhand von Fotos von Produkten<br />

mit dieser Technik vorher zeige, um ihnen<br />

einen Anreiz zu geben. Unsichere Kinder<br />

ermutige ich mit Hinweisen wie: „So<br />

ungefähr sieht dein Werk dann auch aus.“<br />

Oder: „Das ist eine Gemeinschaftsarbeit<br />

und meine Anleitung ist immer dabei.“<br />

G. K.: Inwiefern sind in Ihren Kunstprojekten<br />

individuelle Ausdrucksmöglich<br />

kei ten von Kindern ebenso mitgedacht<br />

wie kooperative Arbeitsweisen<br />

oder gemeinsame Produkte?<br />

S. S.: Gemeinschaftswerke fördern das<br />

Miteinander. Zunächst müssen die Kinder<br />

sich absprechen, welche Farben und<br />

welche Technik sie anwenden möchten.<br />

Sie benötigen Zeit, bis alle in der Gruppe<br />

zufrieden sind. Dafür müssen Kompromisse<br />

eingegangen und Wünsche<br />

zurückgestellt werden. Im gemeinsamen<br />

Prozess kann niemand etwas falsch<br />

machen, jedes Kind hat eine individuelle<br />

Arbeit. Diese kann man sehen und<br />

trotzdem entsteht ein gemeinsames<br />

Werk. Das gemeinsame Tun wird sichtbar,<br />

macht stolz und ist nachhaltig. Ich<br />

erlebe immer wieder, dass mich Kinder<br />

auf der Straße ansprechen oder in<br />

mein Atelier kommen und noch einmal<br />

etwas Künstlerisches schaffen wollen.<br />

Beim kreativen Prozess werden neue<br />

Türen geöffnet, sich etwas zuzutrauen,<br />

Neues anzugehen und seinen Horizont<br />

zu erweitern.<br />

G. K.: Können Kinder eigene Ideen<br />

und Wünsche einbringen und gibt es<br />

hierzu gemeinsame Reflexionen?<br />

S. S.: Der Punkt ist sehr vielfältig. Er<br />

umfasst das spontane Ansehen während<br />

des Prozesses und nach Fertigstellung des<br />

Produkts. Am Schluss schaut dann die<br />

ganze Klasse auf die Werke. Es kommen<br />

Fragen wie „Was haben die anderen<br />

gemacht?“, „Wie ist das so entstanden?“,<br />

„Wie ist es dir dabei gegangen?“. In einer<br />

Schule durften Kinder in ihrer Klasse zu<br />

ihren Bildern eigene Geschichten schreiben<br />

und konnten dabei auch ihre Emotionen<br />

ausdrücken. In der Vernissage<br />

ihrer Schule haben die Kinder vorher<br />

erlebt, welche Wertschätzung es bedeutet,<br />

wenn das eigene Bild ausgestellt, vielleicht<br />

sogar versteigert wird oder in der<br />

Schule ausgestellt bleibt, selbst wenn es<br />

nicht mehr in diese Schule geht.<br />

G. K.: Was bedeutet es für die Persönlichkeitsentwicklung<br />

von Kindern,<br />

sich künstlerisch betätigen zu können?<br />

S. S.: In diesen Projekten können Kinder<br />

weggehen vom herkömmlichen<br />

Leistungsgedanken und bekommen<br />

den Geist frei, sich in den Prozess zu<br />

begeben, extrem konzentriert zu sein,<br />

Lebensfreude unmittelbar zu erfahren<br />

und trotzdem einfach von allem anderen<br />

einmal abzuschalten. In diesem<br />

Moment können die Kinder ein Glücksgefühl<br />

haben, und ihnen dieses zu geben<br />

und es sie mitnehmen zu lassen, ist<br />

mein Fokus als Künstlerin.<br />

G. K.: Gibt es heimliche Wünsche von<br />

Ihnen als Künstlerin und Pädagogin<br />

mit Schwerpunkt Kunsttherapie an die<br />

Grundschule?<br />

S. S.: Mein Wunsch ist vor allem, das<br />

freie Malen und die Kunst losgelöst von<br />

Lehrplänen zu sehen. Hier bekommen<br />

die Lehrkräfte meines Erachtens zu<br />

wenig Raum und sind sehr darauf<br />

fokussiert, den „Lehrplan zu schaffen“.<br />

Das Fach Kunst und künstlerisches<br />

Tun ermöglichen Persönlichkeitsentwicklung<br />

von Kindern. Es kommt aber<br />

darauf an, was ich mache, ob ich ein Bild<br />

ausmalen lasse oder ob ich den Kindern<br />

Impulse gebe, eigenständig kreativ zu<br />

sein. Da wäre mein Wunsch, auch Fachkräfte<br />

wie Künstler und Künstlerinnen<br />

verstärkt in die Schulen zu holen oder<br />

diese in ihrem Atelier zu besuchen.<br />

Damit schaffen Lehrkräfte für sich Entlastung<br />

und gönnen ihren Schülern und<br />

Schülerinnen das Erleben von mehr und<br />

vielfältigerer Kunst. Gleichzeitig wird<br />

den Lehrkräften eine künstlerische Fortbildung<br />

geboten, denn sie selbst lernen<br />

ja auch diese Techniken, die Kinder in<br />

den Projekten erwerben. Es geht nicht<br />

um Arbeit mit Schablonen, sondern<br />

um Anregungen durch mich und individuelle<br />

Umsetzung von Ideen der Kinder.<br />

Ich würde mir sehr wünschen, dass<br />

in unserer Gesellschaft die Kunst deutlicher<br />

wertgeschätzt würde, auch durch<br />

finanzielle Unterstützung in der Schule<br />

und weg von einer Haltung „hier wird<br />

nur ein wenig gekleckst“. Was mir auch<br />

sehr wichtig ist: Ich bin immer offen für<br />

Zuschauen und Helfen während des<br />

Projektes, dabei entwickelt sich Akzeptanz<br />

für die künstlerische Arbeit. Über<br />

die Kinder, deren Eltern und deren<br />

Lehrkräfte erreiche ich auch die Gesellschaft<br />

außerhalb der Schule.<br />

G. K.: Vielen Dank für das Gespräch.<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

27


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Maresi Lassek im Gespräch mit Marko Gartelmann<br />

aus dem Team der Musikwerkstatt der Bremer Philharmoniker<br />

Musik: Begegnung. Erlebnis. Berührung<br />

Musikangebote für Kinder in der Schule und darüber hinaus –<br />

die Bremer Philharmoniker<br />

Maresi Lassek: Die Bremer Philharmoniker<br />

gestalten Musikbegegnungen<br />

für Kinder. Die Philharmoniker kommen<br />

mit klassischer Musik in die<br />

Schule und laden Schulklassen und<br />

Lehrkräfte in ihre Musikwerkstatt ein,<br />

um Instrumente kennenzulernen und<br />

auszuprobieren. Es gibt sogar ein Phil<br />

Mobil, mit dem die Musikwerkstatt zu<br />

den Schulen und Kindergärten fährt.<br />

Wie sehen die unterschiedlichen Angebote<br />

konkret aus? Werden auch Kinder<br />

erreicht, die ansonsten keine Nähe<br />

zu Musik und Instrumenten haben<br />

können?<br />

Marko Gartelmann: Ja, diese Erfahrung<br />

machen wir fast bei jeder unserer Veranstaltungen.<br />

Wir sind bei den Bremer<br />

Philharmonikern mittlerweile seit ca. 20<br />

Jahren in der Musikvermittlung tätig.<br />

Wir haben dafür eigens die Musikwerkstatt<br />

Bremen gegründet und ein Team<br />

aus Musikpädagogen zusammengestellt,<br />

die sehr engagiert und altersgerecht den<br />

Kindern und Jugendlichen die Faszination<br />

der Musik und der Instrumente<br />

nahebringen. In den vergangenen Jahren<br />

ist somit ein umfangreiches Angebot<br />

an Projekten in der Musikvermittlung<br />

entstanden. Im Fokus stehen dabei vor<br />

allem Schulen der Elementarstufe – zum<br />

einen, weil Kinder in dem Alter zwischen<br />

ca. sechs und zehn Jahren wichtige<br />

persönliche Entwicklungsschritte<br />

vollziehen und noch „offenohrig“ sind.<br />

Zum anderen erreichen wir, auch durch<br />

die allgemeine Schulpflicht bedingt, alle<br />

Kinder, also auch diejenigen, bei deren<br />

Eltern der <strong>Bildung</strong>sgedanke nicht so<br />

präsent ist. Diese Kinder würden wahrscheinlich<br />

gar nicht oder vielleicht erst<br />

viel später mit Orchesterinstrumenten<br />

und klassischer Musik in Kontakt kommen.<br />

Uns ist es aber wichtig, möglichst<br />

alle Kinder zu erreichen, ohne<br />

Rücksicht auf Alter, Herkunft oder<br />

Geschlecht.<br />

Kontakt<br />

Musikwerkstatt Bremen<br />

der Bremer Philharmoniker,<br />

Plantage 13, 28215 Bremen<br />

Ansprechpartner: Marko Gartelmann<br />

E-Mail: gartelmann@<br />

bremerphilharmoniker.de<br />

M. L.: Ein ambitioniertes Ziel! Wie lässt<br />

sich das umsetzen?<br />

M. G.: Wir haben eine Art „Baukastensystem“<br />

mit verschiedenen Projektangeboten<br />

entwickelt, die einzeln buchbar,<br />

aber auch untereinander kombinierbar<br />

sind und so die Vielfalt der Musik<br />

und der Instrumente abbilden.<br />

M. L.: Wie sieht dieses Baukastensystem<br />

konkret aus?<br />

M. G.: Grundsätzlich lassen sich unsere<br />

Angebote in drei Kategorien einteilen:<br />

1) Projekte und Konzerte in Schulen.<br />

Hier haben die Schulen die Möglichkeit,<br />

aus verschiedenen Angeboten zu wählen.<br />

Wir bieten neben Schulkonzerten<br />

mit kleinen Kammerensemblen, die in<br />

den Turnhallen der Schulen stattfinden,<br />

auch Projekttage oder auch eine komplette<br />

Projektwoche an. Gemeinsam ist<br />

allen, dass immer die gesamte Schülerschaft<br />

der Schule teilnimmt. Dabei<br />

arbeiten wir auch mit externen Künstlern<br />

aus den Bereichen Schauspiel,<br />

Gesang oder Tanz zusammen.<br />

Joerg Sarbach<br />

2) Außerschulische Lernorte. Dies können<br />

verschiedene Konzertsäle Bremens<br />

sein oder das Theater Bremen, mit dem<br />

wir in Kooperation speziell für Grundschulen<br />

konzipierte Konzertformate<br />

anbieten. Die Idee dabei ist, dass die<br />

Kinder ein klassisches Orchester in voller<br />

Größe und seine reichhaltige Klangwelt<br />

„live“ erleben. Ein weiterer wichtiger<br />

außerschulischer Lernort ist die<br />

„Musikwerkstatt“ an mittlerweile über<br />

das Bremer Stadtgebiet verteilten drei<br />

verschiedenen Standorten, die sich übrigens<br />

auch überregional großer Beliebtheit<br />

erfreuen und stark nachgefragt werden.<br />

Ob klassisches Instrumentarium,<br />

asiatische oder afrikanische Percussion,<br />

in allen wird unsere Philosophie<br />

gelebt: selbst ausprobieren, anfassen und<br />

erfahren.<br />

M. L.: In der Schulpraxis gibt es manchmal<br />

durchaus Schreckmomente, wenn<br />

Kinder mit Instrumenten musizieren.<br />

Dabei beschränkt sich der Umgang<br />

auf das meist eher bescheidene Schulinstrumentarium.<br />

Wie viel Pädagogik<br />

und musikalisches Fachwissen ist gefordert,<br />

wenn es um die wertvollen Instrumente<br />

der Bremer Philharmoniker<br />

geht?<br />

M. G.: Wir haben für unsere Angebotsformate<br />

der Musikwerkstatt eigene Instrumente<br />

angeschafft. Das sind in der<br />

Regel solide „Schülerinstrumente“ mit<br />

einem guten Klang, die aber natürlich<br />

nicht die Qualität der Instrumente der<br />

professionellen Musiker:innen haben,<br />

die ja oft mehrere hunderttausend Euro<br />

wert sind.<br />

M. L.: Wie gehen die Kinder und Jugend<br />

lichen mit diesen Instrumenten<br />

um? Geht da nicht auch mal etwas zu<br />

Bruch?<br />

M. G.: Es ist erstaunlich, dass in den fast<br />

20 Jahren, in denen die Kinder in der<br />

28 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Joerg Sarbach<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

29


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Musikwerkstatt regelmäßig Instrumente<br />

ausprobieren, nur einmal ein größerer<br />

Schaden entstanden ist, der vom<br />

Instrumentenbauer wieder in Stand<br />

gesetzt werden musste. Wir haben vielmehr<br />

die Erfahrung gemacht, dass die<br />

Kinder sehr achtsam und respektvoll<br />

mit den Instrumenten umgehen. Aber<br />

natürlich zeigen wir ihnen vor dem Ausprobieren,<br />

wie und wo man die Instrumente<br />

anfasst und wie sie gehalten werden.<br />

Hier kommt der Wertschätzung<br />

eine wichtige Bedeutung zu, sie ist für<br />

uns unter anderem auch ein wichtiger<br />

Bestandteil des Wissenstransfers zu den<br />

Kindern und Jugendlichen.<br />

M. L.: So können ja auch Lehrerinnen<br />

und Lehrer vom Konzept und der<br />

Routine der Philharmoniker profitieren.<br />

Allerdings muss Musik an vielen<br />

Grundschulen aus Mangel an Fachlehrkräften<br />

fachfremd unterrichtet werden.<br />

Bietet die Musikwerkstatt Unterstützung<br />

oder sogar Fortbildung an?<br />

M. G.: Ja, das ist uns auch sehr wichtig.<br />

Wir möchten mit unseren Angeboten<br />

den schulischen Unterricht unterstützen<br />

und nicht ersetzen – dies können und<br />

wollen wir auch gar nicht. Unsere Stärke<br />

liegt unter anderem in der Authentizität<br />

der Musiker:innen und der Exklusivität<br />

der Angebote. In den Musikwerkstätten<br />

haben wir fast alle Instrumente<br />

eines Symponieorchesters zum Ausprobieren<br />

angeschafft, aber auch außereuropäische<br />

Instrumente wie z. B. ein<br />

komplettes indonesisches Gamelanspiel<br />

oder afrikanische und orientalische<br />

Instrumente – das ist den Schulen<br />

in der Regel nicht möglich. Und natürlich<br />

stellen wir den Lehrer:innen und<br />

Erzieher:innen umfangreiche Materialien<br />

zur Vor – oder Nachbereitung eines<br />

Projekts zur Verfügung. So versuchen<br />

wir „Highlights“ zu schaffen, die eine<br />

lebendige und vielfältige Umsetzung<br />

der Lehrpläne für die Lehrkräfte unterstützen,<br />

gerade wenn sie vielleicht fachfremd<br />

unterrichten müssen.<br />

Außerdem bieten wir auch einen<br />

Workshop für Kollegien von Schulen an,<br />

die Musik mehr in Ihren Unterricht einbeziehen<br />

wollen. Das Angebot möchten<br />

wir gerne erweitern und stehen mit der<br />

Schulbehörde diesbezüglich in Kontakt.<br />

M. L.: Entstehen dadurch auch kontinuierlichere<br />

Kontakte zu Schulen und<br />

Lehrkräften?<br />

M. G.: Ja, es bestehen langjährige<br />

Beziehungen zu Schulen in Form<br />

von Partnerschulen. Mit der ältesten<br />

Partnerschule stehen wir jetzt seit über<br />

14 Jahren in regelmäßigem Kontakt.<br />

Insgesamt wird das Angebot „Partnerschule“<br />

von über acht Bremer Grundschulen<br />

wahrgenommen. Partnerschule<br />

und Bremer Philharmoniker schließen<br />

dafür einen Kooperationsvertrag, der<br />

eine kontinuierliche Zusammenarbeit<br />

vorsieht, mindestens einmal pro Schulhalbjahr<br />

findet entweder ein Schulprojekt,<br />

ein Konzert oder ein Besuch<br />

in einer der drei Musikwerkstätten<br />

statt. Als Partnerschulen kommen<br />

vor allem die Schulen in Betracht, zu<br />

denen es schon eine längere und fruchtbare<br />

Zusammenarbeit gibt – denn eine<br />

erfolgreiche Umsetzung der Projekte<br />

hängt auch in einem erheblichen Maße<br />

von dem Zusammenspiel zwischen<br />

Schulleitung, dem Kollegium und der<br />

Musikwerkstatt ab.<br />

M. L.: Welche Kosten entstehen für die<br />

attraktiven Angebote, wer kommt für<br />

die Finanzierung auf? Es sind ja wahrscheinlich<br />

einige Schulen beteiligt, die<br />

kaum von den Eltern der Kinder Geld<br />

dafür einsammeln können?<br />

M. G.: Bei der Gestaltung der Kostenstruktur<br />

der Angebote der Musikwerkstatt<br />

ist es im Grundsatz so, dass die Bremer<br />

Philharmoniker GmbH den Schulen<br />

in der Regel nur die Projektkosten<br />

in Rechnung stellen, die zahlungswirksam<br />

sind, also Kosten, die entweder<br />

durch Anschaffungen für Projekte wie<br />

z. B. Requisiten, Transporte, Honorare<br />

externer Künstler, etc. anfallen. Derzeit<br />

sind das z. B. 4 Euro Eintrittsgeld<br />

pro Kind für ein Schulkonzert – was ja<br />

deutlich günstiger als eine Eintrittskarte<br />

für z. B. einen Kinobesuch ist. Trotzdem<br />

können die Kinder an manchen Schulen<br />

dieses Geld nicht aufbringen. Wir versuchen<br />

dann mit Stiftungen und Sponsoren<br />

zusammenzuarbeiten, die diese<br />

Kosten dann übernehmen können.<br />

Oft sind es aber auch Mittel der Philharmoniker<br />

GmbH, denn es ist uns ein<br />

Anliegen, dass kulturelle Teilhabe nicht<br />

nur denjenigen Kindern vorbehalten<br />

ist, deren Eltern es sich leisten können.<br />

Die Hälfte unsere Partnerschulen liegen<br />

daher auch in Bremer Brennpunktgebieten.<br />

M. L.: Kinder und klassische Musik, hat<br />

das nicht einen exklusiven Anstrich?<br />

Was verbinden die professionellen<br />

Musikerinnen und Musiker mit ihrem<br />

Ansatz, welche Motivation steht dahinter?<br />

Welche Erfahrungen machen sie<br />

mit den pädagogisch begleiteten Angeboten?<br />

Aufführungen „Die Nussknacker“ und „Karneval der Tiere“<br />

www.fanslau-fotografie.de<br />

30 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

M. G.: Kinder im Grundschulalter<br />

haben unserer Erfahrung nach noch<br />

keinen ausgeprägten Musikgeschmack.<br />

Der entwickelt sich meist erst später bei<br />

älteren Kindern als Ausdruck der Zugehörigkeit<br />

zu einer bestimmen Gruppe,<br />

der Peergroup. So ist für Kinder in<br />

erster Linie die Qualität des Kontakts<br />

maßgebend: Mag ich die musikalische<br />

Darbietung, die Geschichte und vor<br />

allem auch die Personen, durch die ich<br />

das erste Mal Kontakt zur klassischen<br />

Musik habe? Da spielt Authentizität<br />

oftmals eine größere Rolle als der<br />

für viele noch unbekannte klassische<br />

Musikstil.<br />

M. L.: Sie legen viel Herzblut in die<br />

Arbeit der Musikwerkstatt.<br />

M. G.: Das stimmt! Im Bereich der klassischen<br />

Musik haben wir eine großartige,<br />

jahrhundertalte Tradition und<br />

für mich erwächst daraus auch die Verpflichtung,<br />

diese an die nachfolgenden<br />

Generationen weiterzugeben. Dabei ist<br />

es wichtig, Kindern Zugänge zur Musik<br />

zu ermöglichen – es geht nicht darum,<br />

viele kleine „Mozarts“ zu schaffen! Ich<br />

würde das eher mit einer neuen Farbe<br />

im „Tuschkasten des Lebens“ der Kinder<br />

vergleichen. Jeder malt da sowieso sein<br />

eigenes Lebensbild und es wäre doch<br />

toll, wenn dieses Lebensbild schön bunt<br />

werden würde …<br />

M. L.: Gibt es Reaktionen von Kindern,<br />

die besonders berühren oder nachdenklich<br />

stimmen?<br />

M. G.: Natürlich gibt es immer<br />

Reaktionen der Kinder. Oft bekommen<br />

wir Dinge geschenkt, einen Stein,<br />

der uns beschützen soll oder etwas<br />

Gebasteltes. Viele Kinder fragen uns<br />

auch „Kommt ihr morgen wieder?“<br />

Über solche Rückmeldungen freuen wir<br />

uns sehr – aber es gibt auch Fragen, die<br />

uns nachdenklich stimmen: So wurde<br />

unsere Querflötistin einmal von einer<br />

Schülerin gefragt, wie viele Lieder sie<br />

denn auf ihrer Flöte gespeichert hat …<br />

Das klingt vielleicht erst wie ein Scherz,<br />

zeigt aber vor allem, wie weit entfernt<br />

viele Kinder vom analogen Musizieren<br />

sind. Das Tolle an der Arbeit mit Kindern<br />

ist, dass sie in ihren Reaktionen<br />

eigentlich immer ehrlich sind. Es gibt<br />

da kein freundliches Zuhören, entweder<br />

man gewinnt ihre Aufmerksamkeit oder<br />

aber eben auch nicht. Dann werden<br />

Sitznachbar:innen wichtiger als das, was<br />

vorne auf der Bühne passiert …<br />

M. L.: Der Grundschulverband konstatiert<br />

seit langem, dass kulturelle<br />

<strong>Bildung</strong> in Zeiten von Leistungsvergleichsstudien<br />

ins Hintertreffen geraten<br />

ist. Die Corona-Pandemie hat<br />

diese Entwicklung weiter verschärft, da<br />

Bewegung in Klassenräumen und insbesondere<br />

Singen als besonders aerosolstreuend<br />

und damit gefährlich eingestuft<br />

werden müssen. Aus Sicht des<br />

Grundschulverbands ist diese Einschränkung<br />

– wie andere auch – nicht<br />

unproblematisch für die Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Was bedeutet es aus<br />

der Erfahrung und Beobachtung von<br />

Musikerinnen und Musikern für die<br />

Entwicklung von Kindern, wenn musische<br />

<strong>Bildung</strong> so eingeschränkt wird?<br />

M. G.: In der Tat haben wir auch aktuell<br />

die Beobachtung gemacht, dass die<br />

Kinder der ersten und zweiten Klassen<br />

durch die Pandemie entwicklungsverzögert<br />

zu sein scheinen und wir<br />

nun deutlich niederschwelliger arbeiten<br />

müssen. Ich glaube in diesem<br />

Zusammenhang auch, dass die seelischen<br />

Folgen der Maßnahmen der Pandemie<br />

für die Jüngsten unserer Gesellschaft<br />

noch gar nicht absehbar sind. Es<br />

ist da umso wichtiger, dass die Seele eine<br />

Ausdrucksform findet, um das alles zu<br />

verarbeiten – ob das Musik ist oder aber<br />

auch Kunst oder darstellendes Spiel, ist<br />

eigentlich sekundär. Die Hauptsache ist<br />

dabei, dass die Kinder Zugänge zur kulturellen<br />

<strong>Bildung</strong> bekommen.<br />

Vielleicht sollten wir grundsätzlich<br />

darüber nachdenken, wie <strong>Bildung</strong>sinhalte<br />

künftig gewichtet werden können<br />

und dass es in einer Zeit, in der fast alle<br />

Informationen mit ein paar Klicks zur<br />

Verfügung stehen und die Welt immer<br />

mehr vernetzt ist, es vielleicht wichtiger<br />

ist, auch noch andere Fähigkeiten als das<br />

Abfragen von gespeichertem Wissen zu<br />

priorisieren? Die künftig zu lösenden<br />

Probleme in unserer Gesellschaft bzw.<br />

Welt werden meiner Einschätzung nach<br />

eine hohe Kommunikationsfähigkeit erfordern<br />

und diese Fähigkeiten werden<br />

eben gerade auch in den Bereichen der<br />

kulturellen <strong>Bildung</strong> geschult – so ist Musik<br />

für mich eine Kommunikationsform,<br />

die es ermöglicht, mit anderen Menschen<br />

auch auf seelischer Ebene in Kontakt<br />

zu treten.<br />

M. L.: Gibt es (heimliche) Wünsche der<br />

außerschulischen Musikexpertinnen<br />

und Musikexperten an die Schulen und<br />

Lehrkräfte?<br />

M. G.: Voraussetzung ist für die erfolgreiche<br />

Durchführung eines Projekts,<br />

dass beide Seiten einschätzen können,<br />

was sie erwartet. Bestimmte organisatorische<br />

Leistungen können wir<br />

nicht erbringen, da ergibt sich dann<br />

ein Aufwand für die Schule, z. B. Platz<br />

in der Turnhalle oder Aula zu schaffen,<br />

einen Umkleideraum und vielleicht<br />

einen kleinen Pausensnack für<br />

die Musiker:innen und andere externe<br />

Projektbeteiligte zur Verfügung zu stellen.<br />

Wenn das klar und innerhalb der<br />

Schule abgestimmt ist, sind die Voraussetzungen<br />

für ein Gelingen des Projekts<br />

gegeben. In der Praxis werden wir von<br />

den meisten Schulen immer freundlich<br />

aufgenommen, und die Lehrkräfte freuen<br />

sich auf die Projekte mit uns – so wie<br />

wir auch auf sie. Es sind wunderbare<br />

Gelegenheiten einer beiderseitigen positiven<br />

Begegnung und Erfahrung.<br />

M. L.: Unser Gespräch wird bundesweit<br />

gelesen werden. Haben Lehrkräfte<br />

in anderen Bundesländern die Chance,<br />

auf ähnliche Angebote wie das der Bremer<br />

Philharmoniker zu treffen?<br />

M. G.: Viele Symphonie- und Theaterorchester<br />

haben Angebote für Schulen,<br />

die aber sehr unterschiedlich in Umfang<br />

und Verfügbarkeit ausfallen können.<br />

Aber mit dem Angebot an pädagogischen<br />

Projekten der Musikwerkstatt<br />

der Bremer Philharmoniker, mit denen<br />

wir jährlich bis zu 15.000 Kinder und<br />

Jugendliche erreichen, sind die Bremer<br />

Schulen schon in einer außerordentlich<br />

komfortablen Lage. Über die Angebote<br />

in anderen Regionen kann man sich am<br />

besten auf den entsprechenden Webseiten<br />

der Orchester informieren oder<br />

aber einfach mit dem Verantwortlichen/<br />

der Verantwortlichen des jeweiligen<br />

Orchesters direkt sprechen und sich<br />

beraten lassen.<br />

M. L.: Vielen Dank!<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

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Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Marion Gutzmann<br />

Kinderbücher rund ums Museum<br />

Mit dieser Zeitschrift haben Sie einen reichen Schatz an Anregungen zur Entwicklung<br />

einer vielfältigen Unterrichts- und Schulkultur erhalten. Dabei geht es<br />

um besondere Lernorte, ästhetisch gestaltete Lernumgebungen und kulturelle<br />

Praktiken. Hier finden Sie Buchtipps zum Thema Museum, schauen Sie einfach<br />

rein – der Rundgang ist eröffnet!<br />

Ashild Kanstad Johnson (2013):<br />

Kubbes Museum.<br />

Onkel & Onkel. Berlin<br />

Aus dem Norwegischen<br />

32 Seiten, € 14,95<br />

Sammeln, Sortieren, Etikettieren, Präsentieren – all dies findet in diesem<br />

Kinderbuch statt. So macht Kubbe, ein kleiner Baumstamm, jeden Dienstag<br />

einen Ausflug in den Wald und findet viele schöne Sachen. Mit Hingabe<br />

sortiert er seine Fundstücke und versieht all die Blätter, Stöcke und bunten<br />

Knöpfe mit einem Etikett. Bald richtet Kubbe ein eigenes Museum ein<br />

und kann sich vor Besuchern kaum retten. Als die Museumsarbeit zu<br />

anstrengend wird, ist seine Oma eine gute Ratgeberin. Nun fotografiert<br />

Kubbe alle Sammelobjekte und dokumentiert die Fotos in Büchern.<br />

Endlich kann er all die Dinge wieder in den Wald zurückbringen – er entdeckt<br />

aber auch, dass man aus den Resten selbst schöne Dinge basteln<br />

kann – „… fast schon Kunst, denkt er sich …“<br />

Ein Tag im Museum – was lässt sich da alles entdecken. Jede der reich<br />

bebilderten Seiten lädt ein zum Betrachten und Verweilen, manche Frage<br />

lässt die Augen noch einmal über die Seiten wandern: Welche Geschichten<br />

stecken hinter den Bildern? Wie kann man solche Hände malen? Warum<br />

sehen manche Menschen auf den Bildern so ernst aus, welches Geheimnis<br />

kann man aus einem Museum mitnehmen, wenn man nur lange genau<br />

schaut? Mit dem Blick neugieriger Kinderaugen werden die Leserinnen<br />

und Leser mitgenommen, die Geheimnisse eines Kunstmuseums zu<br />

entdecken. „Ein Museumstag“ wurde nominiert für den deutschen Kinderund<br />

Jugendliteraturpreis 2022 in der Sparte Bilderbuch.<br />

Susanna Mattiangeli (2021):<br />

Ein Museumstag.<br />

Bohem Press GmbH<br />

Aus dem Italienischen<br />

36 Seiten, € 15,00<br />

Mit einem kleinen Mädchen gelingt eine Entdeckungsreise auf der Suche nach<br />

dem eigenen Lieblingsmuseum – ist es das Archäologische Museum oder das<br />

Museum für Naturkunde? Wo gibt es ältere Dinge, wo die neueren zu entdecken?<br />

Und was hat es mit den Sternen auf sich? Der Spaziergang durch das Buch mit<br />

den frisch illustrierten Seiten endet zu Hause im Lieblingsmuseum mit den vielen<br />

eigenen Lieblingssachen. Das Buch schließt mit einem anregenden Mitmachteil.<br />

Emma Lewis (2017):<br />

Ein Museum nur für mich.<br />

Prestel Verlag München<br />

Aus dem Englischen<br />

48 Seiten, € 14,99<br />

32 GS aktuell 158 • Mai 2022


Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Susanna Mattiangeli (2021):<br />

Kunstfresser.<br />

Südpol Verlag GmbH<br />

64 Seiten, € 24,00<br />

Warum gibt es Museen und wie sind sie<br />

entstanden? Und was ist eigentlich<br />

Kunst? Diese und andere Fragen werden<br />

bei einem Ausflug ins Museum mit der<br />

Museumsmotte Heribert und seiner<br />

Nichte Jolinde geklärt. Neben der<br />

spannenden Geschichte um Heribert<br />

und Jolinde lädt das reich bebilderte<br />

Buch zum Suchen und Entdecken von<br />

Details rund ums Museum ein. Ganz<br />

nebenbei vermitteln Sachtexte Informationen<br />

zum Museumsaufbau, zur Arbeit<br />

im Museum, zu berühmten Gemälden<br />

und geben einen kindgerechten<br />

Überblick über Kunstgeschichte und<br />

Kunstepochen. Mitmachangebote laden<br />

zum Malen und Schreiben ein und es<br />

gibt Platz zum Einkleben.<br />

Nikolaus Heidelbach (2019):<br />

Alma und Oma im Museum<br />

Beltz & Gelberg<br />

48 Seiten, € 14,99<br />

Mit einem Museumsbesuch von Oma und Alma und<br />

faszinierenden Gesprächen vor jedem der sechzehn<br />

religiösen Meisterwerke lädt der preisgekrönte Illustrator<br />

Nikolas Heidelbach in diesem Bilderbuch zum genauen<br />

Hinsehen, Fragenstellen und gemeinsamen Nachdenken<br />

und Erklären der dargestellten Szenen zur Kunst des<br />

Mittelalters ein. Mit der Oma zeichnet Heidelbach eine<br />

Figur, die zeigt, dass Kunstvermittlung keinesfalls<br />

belehrend sein muss, sondern Kinder anregend und<br />

spielerisch bei der Betrachtung von Kunstwerken<br />

begleitet werden können. Die Werke der alten Meister<br />

wie z. B. „Maria im Rosengarten“ oder „Heiliger Antonius“,<br />

die in Wirklichkeit im Wallraf-Richartz-Museum in Köln<br />

am Rhein ausgestellt sind, laden zu einem außergewöhnlichen<br />

Suchspiel ein, hat sich Almas Oma doch<br />

in neun dieser Kunstwerke versteckt.<br />

Joanne Liu (2018):<br />

Kunst für Max.<br />

Prestel Verlag München<br />

32 Seiten, € 12,99<br />

In diesem in fröhlich-kräftigen Farben illustrierten Bilderbuch erlebt Max seinen<br />

ersten Museumsbesuch und entdeckt, weil er so klein ist – anders als die anderen<br />

Besucherinnen und Besucher -, vor allem Kunst des Alltäglichen. Während sich die<br />

Erwachsenen zielstrebig und konzentriert mit den abgebildeten Kunstwerken von<br />

Monet oder Picasso auseinandersetzen, findet Max seine Kunst u. a. neben Monets<br />

„Seerosenteich und Brücke“ beim Blick aus dem Fenster auf die einzigartige Pracht<br />

der Bäume. Auch die Tätowierung eines Besuchers, die Spur einer Schnecke, die<br />

Tätigkeit der Museumsmitarbeiter wecken sein Interesse. Max wird zum Künstler, als<br />

er zum Schluss den Schatten der Sonne nutzt und mit seinem Körper ein Abbild der<br />

Kunstwerke nach Henri Matisse gestaltet. Ein Bilderbuch, das ganz ohne Worte<br />

auskommt und in dem Joanne Liu auf jeder Doppelseite mit kindlichem Blick<br />

überraschende Arrangements von Entdeckungen im Alltäglichen und von Kunst<br />

geschaffen hat. Mit diesem Schlüssel „Kunst ist überall, man muss sie nur entdecken!“<br />

können Grundschulkinder ihre ganz persönlichen Entdeckungen, auch außerhalb<br />

des Kunstunterrichts, machen.<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

33


Aus Praxis: der XXXXX Forschung<br />

Birte Oetjen, Kerstin Pfann, Stefanie Truckenbrodt, Sabine Martschinke (Lehr-Forschungs-Projekt KIDI)<br />

E-Books individuell und adaptiv<br />

im Schriftspracherwerb gestalten<br />

Gestaltungsmerkmale und Gelingensbedingungen<br />

von E-Books im schriftsprachlichen Anfangsunterricht<br />

Der Einsatz digitaler Medien verspricht Möglichkeiten einer individuellen und<br />

adaptiven Förderung von Kindern. Vor dem Hintergrund des Forschungsprojektes<br />

KIDI (Kinder digital und forschend im Schriftspracherwerb begleiten)<br />

geht der vorliegende Beitrag der Frage nach, wie E-Books im entwicklungsorientierten<br />

Schriftspracherwerb individuell und lernbegleitend für Kinder der ersten<br />

Klasse von Anfang an gestaltet werden können.<br />

Abb. 1: Die KIDI-Kinder mit den Identifikationsfiguren KIDI und SONUS<br />

Abb. 2: Drei beispielhafte E-Books für drei verschiedene KIDI-Kinder<br />

Individuelle und adaptive<br />

Förderung mit digitalen Medien<br />

Das Potenzial individueller und adaptiver<br />

Förderangebote, die auf Basis einer<br />

geeigneten Diagnose erstellt sowie<br />

kontinuierlich an die Lernvoraussetzungen<br />

(aller) Kinder angepasst<br />

werden (Dumont 2019), wird derzeit<br />

noch zu selten ausgeschöpft (Gerick<br />

et al. 2017). Auch gibt es bislang kaum<br />

belastbare Studien, die Rückschlüsse<br />

auf Wirkungen und Gelingensbedingungen<br />

individueller Förderung mit<br />

digitalen Medien erlauben (Böhme<br />

et al. 2020; Gerick et al. 2017). Für<br />

den Schriftspracherwerb gibt es allerdings<br />

zahlreiche digitale Medien, insbesondere<br />

Apps und Programme, die<br />

mit einer frühen Lese- und Schreibförderung<br />

werben, aber meist didaktischen<br />

Ansprüchen nicht genügen (vgl.<br />

Brinkmann 2012).<br />

Die Suche „nach der Nadel im Heuhaufen“<br />

(Sauerborn 2016, 74) gestaltet<br />

sich somit schwierig. Erste Hinweise<br />

auf wichtige Kriterien (Sauerborn 2016;<br />

Kysela-Schiemer/Edtstadler 2020), speziell<br />

auch für sogenannte „diklusive<br />

Apps“ für den digital-inklusiven Unterricht<br />

(Schulz 2020), verweisen auf linguistische<br />

und entwicklungspsychologische<br />

Kriterien sowie auf Differenzierung und<br />

Adaptivität als wichtige Gestaltungsmerkmale.<br />

Diese Kriterien sollten Lehrkräfte<br />

bei der Entwicklung individueller,<br />

digitaler Förderangebote beachten.<br />

Ein möglicher digitaler „Individualisator“<br />

(Beckermann/Neumann 2022,<br />

110) ist das E-Book, welches interaktiv<br />

Angebote für Kinder bereitstellen kann.<br />

Gestaltungsmerkmale und Gelingensbedingungen<br />

von E-Books zur individuellen<br />

Förderung sind bislang allerdings<br />

nur selten empirisch erforscht. Der<br />

Frage, wie E-Books individuell, adaptiv<br />

34<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022


Aus der Praxis: Forschung XXXXX<br />

und lernbegleitend für eine erste Klasse<br />

gestaltet werden können, widmet sich<br />

unser KIDI-Projekt.<br />

Das Förder- und<br />

Forschungsprojekt KIDI<br />

Im KIDI-Projekt konzipieren Grundschullehramtsstudierende<br />

in einem universitären<br />

Seminar drei aufeinander<br />

aufbauende individuelle und adaptive<br />

E-Books für Erstklässler*innen im<br />

Schriftspracherwerb mit der App Book<br />

Creator. Dabei tauchen die Kinder mit<br />

den Identifikationsfiguren KIDI und<br />

SONUS in unterschiedliche Geschichten<br />

ein, in denen neben schriftsprachlichen<br />

auch digitale Kompetenzen gefördert<br />

werden. Die E-Books variieren dabei<br />

von Kind zu Kind je nach motivationalen<br />

und kognitiven Lernvoraussetzungen<br />

und werden von den Kindern mit<br />

Hilfe von iPads bearbeitet. Schriftliche<br />

Arbeitsergebnisse sammeln die Kinder<br />

zur Dokumentation und Reflexion<br />

in einem analogen KIDI-Buch, welches<br />

auch analoge Aufgabenstellungen enthalten<br />

kann, die den Kindern über das<br />

E-Book digital erklärt werden.<br />

Abbildung 2 zeigt beispielhaft, wie die<br />

unterschiedlichen E-Books aussehen<br />

können: Während ein Kind mit KIDI<br />

und SONUS im Weltraum über eine LearningApp<br />

Anlaute übt (links), erlebt ein<br />

anderes Kind mit den beiden und einem<br />

Einhorn namens Ella eine Schatzsuche<br />

im Himmel (Mitte). Das dritte Beispiel<br />

(rechts) zeigt, wie KIDI und SONUS mit<br />

Hilfe eines Videos ein Arbeitsblatt zum<br />

Silbenschreiben im analogen KIDI-Buch<br />

erklären.<br />

Wie ein Kind auf einem ‚Spaziergang<br />

durch den Zoo‘ parallel mit einem E-<br />

Book und dem KIDI-Buch arbeitet, zeigt<br />

Abbildung 3. Das Kind verschriftet auf<br />

einem analogen Arbeitsblatt Wörter im<br />

KIDI-Buch und kann sich als Unterstützung<br />

die Wörter im E-Book so oft wie<br />

nötig anhören.<br />

Unser KIDI-Projekt folgt einem Design-Based<br />

Research-Ansatz (Einsiedler<br />

2010), sodass sowohl die Förderung<br />

über die E-Books als auch die Erhebungen<br />

im Verlauf des Projektes stetig angepasst<br />

werden können.<br />

Im Pilotprojekt passten 59 Studierende<br />

in Kleingruppen von November<br />

2021 bis Dezember 2021 die Rahmengeschichte<br />

von KIDI und SONUS für<br />

eine individuelle Schreibförderung an.<br />

Die ausgewählten elf KIDI-Kinder der<br />

ersten Ganztagsklasse unserer Kooperationsschule<br />

unterscheiden sich u. a.<br />

im Förderbedarf, im Geschlecht und in<br />

ihren sprachlichen Voraussetzungen.<br />

Wie wurden die KIDI-Kinder<br />

diagnostiziert?<br />

Die schriftsprachlichen Lernvoraussetzungen<br />

der KIDI-Kinder wurden<br />

formell und informell direkt zu Schulanfang<br />

(Oktober 2021) diagnostiziert:<br />

● formelle Diagnose: FIPS Fähigkeitsindikatoren<br />

Primarschule (Bäuerlein<br />

et al. 2021),<br />

● informelle Diagnose: Verschriftung<br />

von acht vorgegebenen Weltraum-Wörtern<br />

mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad<br />

und entwicklungsorientierte<br />

Auswertung,<br />

● bildgestützter Steckbrief: Erfassung<br />

persönlicher Vorlieben, verschiedener<br />

Selbsteinschätzungsmerkmale (z. B. Wie<br />

viele Buchstaben kennst du schon?) und<br />

erster schulischer Erfahrungen der Kinder<br />

(vgl. Abb. 4).<br />

Während der Bearbeitung der E-Books<br />

wurden im Sinne eines formative assessments<br />

die analogen Aufgaben der Kinder<br />

prozessbegleitend ausgewertet und<br />

Interviews anhand von Beobachtungsbögen<br />

mit den KIDI-Kindern geführt.<br />

Am Ende jedes E-Books bearbeiteten<br />

die Kinder zusätzlich einen Reflexionsbogen.<br />

In diesem durften sie ihre Lieblingswörter<br />

aus dem erlebten Abenteuer<br />

schreiben oder malen. Außerdem wurden<br />

die Kinder über geschlossene Fragen<br />

nach der Anzahl der bearbeiteten Aufgaben,<br />

dem Spaß an der Bearbeitung,<br />

dem Schwierigkeitsgrad der Aufgaben,<br />

dem benötigten Unterstützungsbedarf<br />

sowie nach ihrem persönlichen Lernzuwachs<br />

gefragt. Nach der Durchführung<br />

jeder Förderphase wurden die E-Books<br />

nach ihren verschiedenen Gestaltungsmerkmalen<br />

analysiert und inhaltsanalytisch<br />

ausgewertet. Die KIDI-Kinder verschrifteten<br />

im Rahmen einer abschließenden<br />

informellen Diagnose nochmals<br />

die Weltraum-Wörter (Abb. 5).<br />

Ausgewählte Fragestellungen<br />

des KIDI-Projekts<br />

Um erste Folgerungen für den erfolgreichen<br />

Einsatz individueller und adaptiver<br />

E-Books zur individuellen Schreibförderung<br />

für die erste Klasse ableiten<br />

Abb. 3: KIDI-Kind bei der Arbeit mit<br />

einem E-Book und dem KIDI-Buch<br />

Abb. 4: Bildgestützter Steckbrief von<br />

einem KIDI-Kind<br />

Abb. 5: Beispielhafte Verschriftung eines<br />

KIDI-Kindes vor und nach der Förderung<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

35


Aus Praxis: der XXXXX Forschung<br />

„Das heißt für die Gestaltung von E-Books, dass die<br />

Kinder passgenaue Angebote brauchen. Während einige<br />

Kinder noch vorwiegend in ihren Lernvoraussetzungen<br />

gefördert werden müssen, können andere Kinder<br />

bereits erste Rechtschreibübungen sinnvoll nutzen.“<br />

aus analogen Aufgaben können regelmäßig<br />

im Sinne eines entwicklungsorientierten<br />

Schriftspracherwerbs analysiert<br />

werden. Gleichzeitig können die<br />

Kinder allerdings auch nach genauem<br />

Sprachvorbild mehr vorgegebene Wörter<br />

verschriften, da eine zusätzliche digitale<br />

Erklärung das mehrmalige Abhören<br />

von Wörtern ermöglicht.<br />

zu können, werden im Folgenden ausgewählte<br />

Fragestellungen bearbeitet:<br />

(1) Wie gestalten die Studierendengruppen<br />

die E-Books hinsichtlich der<br />

Aufgabenformate und der schriftsprachlichen<br />

Übungsbereiche?<br />

(2) Wie adaptiv sind die E-Books aus<br />

Sicht der KIDI-Kinder gestaltet und wie<br />

schätzen die Kinder den Lernnutzen<br />

durch die E-Books ein?<br />

Erste Ergebnisse und Folgerungen<br />

für einen erfolgreichen<br />

Einsatz von E-Books<br />

Für die Gestaltung der E-Books wurden<br />

sowohl Ergebnisse der informellen Diagnose<br />

als auch der formellen Diagnose<br />

berücksichtigt. Die Verschriftungen<br />

der Weltraum-Wörter wurden mit Hilfe<br />

eines neunstufigen Strategiemodells<br />

ausgewertet (Kirschhock/Martschinke<br />

2005, 32).<br />

Vor der Förderung nutzen die KIDI-<br />

Kinder vorrangig die beginnende alphabetische<br />

Schreibstrategie (M = 2.18; SD<br />

= .48; Min = 1.38; Max = 3.13). Die Kinder<br />

haben dementsprechend eine erste<br />

Einsicht in den Laut-Buchstaben-Bezug<br />

und können bereits einen Anlaut oder<br />

einen prägnanten anderen Laut verschriften.<br />

Die Ergebnisse der formellen<br />

Diagnose zeigen in den Bereichen<br />

Wortschatz (T-Wert: 33–60; Prozentrang:<br />

3–55), phonologische Bewusstheit<br />

(T-Wert: 38–59; Prozentrang: 14–81)<br />

und Lesen (T-Wert: 43–93; Prozentrang:<br />

5–100) zudem eindrücklich, wie<br />

sehr sich die KIDI-Kinder zu Schulanfang<br />

unterscheiden.<br />

Das heißt für die Gestaltung der E-<br />

Books, dass die Kinder passgenaue Angebote<br />

brauchen. Während einige Kinder<br />

noch vorwiegend in ihren Lernvoraussetzungen<br />

gefördert werden müssen,<br />

können andere Kinder bereits erste<br />

Rechtschreibübungen sinnvoll nutzen.<br />

(1) E-Books abwechslungsreich<br />

gestalten: Die Mischung macht’s!<br />

Insgesamt haben sich als wichtige strukturierende<br />

und inhaltliche Gestaltungsmerkmale<br />

für alle E-Books neben<br />

einer bildgestützten Seitengestaltung<br />

mit Audiospur, einem direkten Bezug<br />

zum Klassenunterricht sowie einer<br />

Begrenzung des Übungswortschatzes<br />

folgende Gestaltungsmerkmale für eine<br />

möglichst selbstständige Bearbeitung<br />

bewährt, die wir gerne näher betrachten<br />

möchten:<br />

● Verzahnung digitaler und analoger<br />

Aufgabenformate,<br />

● Verwendung unterschiedlicher digitaler<br />

Anwendungen und integrierter<br />

Hilfestellungen über Bild-, Audio- und<br />

Videomaterial,<br />

● adaptive Auswahl schriftsprachlicher<br />

Übungsbereiche.<br />

Verzahnung digitaler<br />

und analoger Aufgaben<br />

Insgesamt bestehen die E-Books zu 62 %<br />

aus digitalen Aufgaben und verweisen<br />

zu 38 % auf analoge Aufgaben im KIDI-<br />

Buch. Während im ersten E-Book zwei<br />

Studierendengruppen noch ausschließlich<br />

analoge oder digitale Aufgaben einsetzen,<br />

wird im Verlauf der Förderung<br />

bei allen E-Books die zunehmende Verzahnung<br />

von digitalen und analogen<br />

Aufgaben erkennbar. So werden die<br />

KIDI-Kinder im Verlauf der Förderung<br />

beispielsweise bewusst immer häufiger<br />

über das E-Book angeleitet, auch eigene<br />

oder vorgegebene Wörter zu verschriften.<br />

Eine Verknüpfung digitaler<br />

und analoger Aufgaben ist dabei nicht<br />

allein für eine umfangreiche Schreibförderung<br />

von Bedeutung (Börjesson<br />

et al. 2020). Der Einsatz zusätzlicher<br />

analoger Aufgaben erwies sich auch als<br />

wichtige Beobachtungsgrundlage für die<br />

weitere entwicklungsorientierte Diagnose<br />

und Förderung. Schreibergebnisse<br />

Verwendung unterschiedlicher<br />

digitaler Anwendungen<br />

Der Book Creator selbst bietet zahlreiche<br />

Möglichkeiten der multimedialen<br />

Aufbereitung, indem auditive und<br />

visuelle Elemente integriert werden<br />

können. Dabei können z. B. Fotoaufnahmen<br />

und Audiokommentare, aber<br />

auch verschiedene Videoformate und<br />

weitere digitale und interaktive Tools<br />

unkompliziert eingebettet werden.<br />

Besonders häufig wurde in unseren<br />

E-Books die Anwendung LearningApps.<br />

org eingebunden, in welcher für die Kinder<br />

beispielsweise Übungen zur Laut-<br />

Buchstaben-Zuordnung erstellt werden<br />

können. Für unsere KIDI-Kinder,<br />

die sich noch am Anfang des Schriftspracherwerbs<br />

befinden, sind besonders<br />

die integrierten Video- und Audiokommentare<br />

von zentraler Bedeutung.<br />

Diese werden individuell erstellt und<br />

zur Unterstützung genutzt. In Videos<br />

können den Kindern fachliche Inhalte,<br />

wie Silbenklatschen oder -schwingen<br />

(z. B. Abb. 2), nochmals erläutert, kleine<br />

Bewegungspausen initiiert und Aufgabenstellungen<br />

wiederholt und vorgemacht<br />

werden.<br />

Da ein Großteil der KIDI-Kinder<br />

noch nicht lesen kann, führen die nummerierten<br />

Audiodateien durch die Geschichte<br />

mit KIDI und SONUS. Die Audiodateien<br />

können aber auch besonders<br />

für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache<br />

von Vorteil sein, da unbekannte Wörter<br />

erklärt und wiederholt werden können.<br />

Auch wertschätzende und ermunternde<br />

Rückmeldungen zu den Aufgabenformaten<br />

können über Audiodateien in das<br />

E-Book integriert werden.<br />

Die Kinder können dementsprechend<br />

selbstständig und im eigenen Tempo Inhalte<br />

in ihrem E-Book bearbeiten und<br />

bei Bedarf jederzeit wiederholen. Zusätzlich<br />

erlaubt die digitale Lernumgebung<br />

die problemlose Erweiterung und<br />

Anpassung der Aufgaben auch während<br />

des Übungsprozesses.<br />

36<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022


Aus der Praxis: Forschung XXXXX<br />

Abb. 6: Einschätzung des Schwierigkeitsgrades<br />

und Unterstützungsbedarfes<br />

aus dem Reflexionsbogen<br />

Adaptive Auswahl schriftsprachlicher<br />

Übungsbereiche<br />

Neben dem „Wissen über Schrift“ und<br />

der „Sprachentwicklung“ ist besonders<br />

die „phonologische Bewusstheit“ eine<br />

bedeutende Lernvoraussetzung für<br />

den erfolgreichen Schriftspracherwerb<br />

(Kirschhock/Renner 2020) und aufgrund<br />

der Diagnoseergebnisse auch für<br />

die KIDI-Gruppe besonders relevant.<br />

Die E-Books fokussieren deswegen<br />

mit 67 % aller Übungen besonders die<br />

phonologische Bewusstheit als Übungsschwerpunkt.<br />

Ein Großteil der Aufgaben<br />

zielt dabei auf die phonologische<br />

Bewusstheit im engeren Sinn ab, bei<br />

welcher das Operieren mit An-/In- oder<br />

Endlauten von Wörtern im Fokus steht<br />

(ebd.).<br />

(2) E-Books passend gestalten:<br />

Das Kind mit seinen individuellen<br />

Entwicklungen nicht aus den<br />

Augen verlieren!<br />

Um zu beurteilen, wie adaptiv die<br />

E-Books gestaltet sind, möchten wir<br />

abschließend noch einen Blick auf die<br />

4<br />

3,5<br />

3<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

Reflexionsbögen der Kinder sowie auf<br />

erste Ergebnisse zum Lernnutzen aus<br />

den Interviewdaten mit den Kindern<br />

richten.<br />

Auf einer vierstufigen Skala (vgl.<br />

Abb. 7: Schwierigkeit: 1 „sehr leicht“, 4<br />

„sehr schwer“; Unterstützungsbedarf: 1<br />

„sehr wenig Unterstützung“, 4 „sehr viel<br />

Unterstützung“) geben die Kinder insgesamt<br />

an, dass sie die E-Books eher leicht<br />

finden (M = 1.9; Min = 1.0; Max = 3.33;<br />

SD = .77) und bei der Bearbeitung eher<br />

wenig Unterstützung durch die Lehrkraft<br />

brauchen (M = 2.07; Min = 1.00;<br />

Max = 3.67; SD = .72).<br />

Allerdings werden auch hier über die<br />

Standardabweichung sowie Minimalund<br />

Maximalwerte individuelle Unterschiede<br />

zwischen den KIDI-Kindern<br />

erkennbar. Während einige Kinder die<br />

Aufgaben leicht finden und nach eigenen<br />

Angaben nur wenig Unterstützung<br />

brauchen, gibt es andere Kinder, die die<br />

Aufgaben schwer finden und viel Unterstützung<br />

durch die Lehrkraft benötigen.<br />

Dieses Ergebnis untermauert nochmals<br />

die Notwendigkeit individueller E-<br />

Books, zeigt vor dem Hintergrund der<br />

Einschätzung der Kinder allerdings auch<br />

die große Herausforderung der Gestaltung<br />

passgenauer E-Books.<br />

Der Lernnutzen der Kinder wurde in<br />

Anlehnung an Hess (2019) über fünf geschlossene<br />

Items innerhalb der Interviews<br />

erfasst. So wurden die Kinder<br />

u. a. gefragt, wie sie mit dem digitalen<br />

Angebot zurechtkommen. Abbildung<br />

7 zeigt, dass der Lernnutzen insgesamt<br />

bei allen E-Books als hoch eingeschätzt<br />

wird und im Verlauf der Förderung sogar<br />

zunimmt. Limitierend ist sowohl<br />

für die Interviewdaten als auch für die<br />

Lernnutzen: E-Book 1 Lernnutzen: E-Book 2 Lernnutzen: E-Book 3<br />

Abb. 7: Wahrgenommener Lernnutzen der E-Books aus Kinderperspektive<br />

Reflexionsbögen anzumerken, dass die<br />

Aussagen der Kinder auf Validität geprüft<br />

werden müssen (Dumont 2019).<br />

Zusammenfassung,<br />

Diskussion und Ausblick<br />

Erste Ergebnisse aus unserer KIDI-Studie<br />

zeigen: Jedes Kind mit seinen individuellen<br />

Lernvoraussetzungen durchläuft<br />

seinen eigenen Lernprozess, was<br />

eine abwechslungsreiche und passgenaue<br />

Gestaltung von E-Books zu<br />

Birte Oetjen (oben links)<br />

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />

Institut für Grundschulforschung der<br />

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.<br />

Kerstin Pfann (oben rechts)<br />

ist abgeordnete Grundschullehrerin<br />

und wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

am Institut für Grundschulforschung<br />

der Friedrich-Alexander-Universität<br />

Erlangen-Nürnberg.<br />

Stefanie Truckenbrodt (unten links)<br />

ist abgeordnete Grundschullehrerin<br />

und wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />

Institut für Grundschulforschung der<br />

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.<br />

Dr. Sabine Martschinke (unten rechts)<br />

ist Professorin und Inhaberin des<br />

Lehrstuhls für Grundschulpädagogik<br />

und -didaktik mit dem Schwerpunkt<br />

Umgang mit Heterogenität der<br />

Friedrich-Alexander-Universität<br />

Erlangen-Nürnberg.<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

37


Aus Praxis: der XXXXX Forschung<br />

einer notwendigen Voraussetzung für<br />

eine digitale, individuelle Förderung<br />

macht. Im Projektverlauf profitieren<br />

alle KIDI-Kinder von der Förderung,<br />

auch die Kinder mit ungünstigen Lernvoraussetzungen,<br />

wenngleich die Lernfortschritte<br />

bei ihnen weniger groß sind.<br />

Die praktische Umsetzung individueller<br />

Förderung mit E-Books ist allerdings<br />

auch ein Weg mit Stolpersteinen.<br />

Digitale Anwendungen bieten vielfältige<br />

Möglichkeiten, den Schriftspracherwerb<br />

zielführend zu unterstützen, wobei<br />

Lernstände und -prozesse dokumentiert<br />

werden können. Der tatsächliche<br />

Einsatz digitaler Anwendungen in der<br />

Schule erfordert im Vorfeld allerdings<br />

eine eingehende Prüfung hinsichtlich<br />

des Datenschutzes, der die Möglichkeiten<br />

vieler Tools in der Unterrichtspraxis<br />

einschränkt. Zudem benötigten einige<br />

Erstklässler*innen besonders am Anfang<br />

noch viel Unterstützung bei der Bearbeitung<br />

der E-Books, auch wenn diese in<br />

einem offenen Unterricht teilweise von<br />

versierteren Kindern geleistet werden<br />

kann. Doch auch wenn zunächst technische<br />

Grundkenntnisse im Umgang mit<br />

dem iPad angebahnt werden mussten, so<br />

kamen die Kinder sehr schnell mit der<br />

digitalen Lernumgebung zurecht. Digitale<br />

Medien, in unserem Fall E-Books,<br />

können also bereits von Anfang an Lernwelt,<br />

Lerngegenstand und Unterstützungshilfe<br />

sein.<br />

Unsere Ergebnisse können aufgrund<br />

der kleinen Stichprobe und der fehlenden<br />

Kontrollgruppe nur erste Hinweise<br />

für Gelingenselemente von E-Books liefern.<br />

Das anfangs postulierte Potenzial<br />

zur individuellen Förderung bleibt allerdings<br />

unbestreitbar. Das KIDI-Projekt<br />

zeigt, dass Erstklässler*innen im Schriftspracherwerb<br />

zielführend mit E-Books<br />

lernen und mit diesen begleitet werden<br />

können, weshalb eine weiterführende<br />

Förderung im Bereich des Lesens geplant<br />

ist.<br />

Literatur<br />

Bäuerlein, K./ Beinicke, A./ Schorr, M./<br />

Schneider, W. (2021): Fähigkeitsindikatoren<br />

Primarschule. Ein digitales Testverfahren zur<br />

Erfassung der Lernausgangslage und der<br />

Lernentwicklung in der 1. Klasse. Göttingen:<br />

Hogrefe Schultests.<br />

Beckermann, T./ Neumann, D. (2022):<br />

Beispiele für digitale Individualisierung von<br />

Unterricht. In: Schulz, L. u. a. (Hrsg.) (2022):<br />

Diklusive Lernwelten. Zeitgemäßes Lernen<br />

für alle Schülerinnen und Schüler. Dornstadt:<br />

Visual Ink Publishing UG, 103–117.<br />

Böhme, R./ Munser-Kiefer, M./ Prestridge, S.<br />

(2020): Lernunterstützung mit digitalen<br />

Medien in der Grundschule. In: Zeitschrift<br />

für Grundschulforschung, 13. Jg., H. 1, 1–14.<br />

https://doi.org/10.1007/s42278-019-00066-3.<br />

Börjesson, K./ Conrady, P./ Geist, B./ Hurschler,<br />

S./ Mahrhofer-Bernt, C./ Marquardt,<br />

C. u. a. (2020): Eckpunkte für den Handschreibunterricht.<br />

Eine Stellungnahme zur<br />

Ländervereinbarung der KMK vom<br />

15.10.2020. Online verfügbar unter<br />

https://m.symposion-deutschdidaktik.de/<br />

beitraege/statements/, zuletzt aufgerufen am<br />

14.02.2022.<br />

Brinkmann, E. (2012): Lesen- und Schreibenlernen<br />

mit Hilfe des Computers: Können<br />

Programme den eigenaktiven Schriftspracherwerb<br />

der Kinder sinnvoll unterstützen?<br />

Online verfügbar unter www.pedocs.de/<br />

volltexte/2020/20523/pdf/Brinkmann_2012_<br />

Lesen_und_Schreibenlernen_mit_Hilfe.pdf<br />

Dumont, H. (2019): Neuer Schlauch für alten<br />

Wein? Eine konzeptuelle Betrachtung von<br />

individueller Förderung im Unterricht. In:<br />

Zeitschrift für Erziehungswissenschaften, 22.<br />

Jg., H. 2, 249–277. https://doi.org/10.1007/<br />

s11618-018-0840-0.<br />

Einsiedler, W. (2010): Didaktische Entwicklungsforschung<br />

als Transferförderung. In:<br />

Zeitschrift für Erziehungswissenschaften, 13.<br />

Jg., H. 1, 59–81. https://doi.org/10.1007/<br />

s11618-010-0106-y.<br />

Gerick, J./ Eickelmann, B./ Bos, W. (2017):<br />

Zum Stellenwert neuer Technologien für die<br />

individuelle Förderung im Deutschunterricht<br />

in der Grundschule. In: Heinzel, F. u. a.<br />

(Hrsg.) (2017): Individualisierung im<br />

Grundschulunterricht. Wiesbaden: Springer,<br />

131–136.<br />

Hess, M. (2019): Die Handlungskompetenz<br />

von Lehrpersonen bei Erhalten von Feedback<br />

beurteilen. Ein Beurteilungssystem für<br />

unterrichtliche Interaktionssituationen. In:<br />

Schöppe, K. u. a. (Hrsg.) (2019): Kreativität &<br />

<strong>Bildung</strong> – Nachhaltiges Lernen. München:<br />

kopaed, 465–520.<br />

Kirschhock, E.M./ Martschinke, S. (2005):<br />

Entwicklungsorientiert diagnostizieren. In:<br />

Helbig, P. u. a. (Hrsg.) (2005): Schriftspracherwerb<br />

im entwicklungsorientierten Unterricht.<br />

Lernwege bereiten und begleiten. Bad<br />

Heilbrunn: Klinkhardt, 29–42.<br />

Kirschhock, E.M./ Renner, G. (2020): Digitale<br />

Medien im Schriftspracherwerb an der<br />

Schnittstelle zwischen Elementar- und<br />

Primarbereich. In: Brandt, B. u. a. (Hrsg.)<br />

(2020): Digitales Lernen in der Grundschule<br />

II. Aktuelle Trends in Forschung und<br />

Praxis. Münster: Waxmann, 357–373.<br />

Kysela-Schiemer, G./ Edtstadler, K. (2020):<br />

Schreiben und Lesen lernen mit digitalen Medien.<br />

In: Medienimpulse, 58. Jg., H. 1, https://<br />

doi.org/10.21243/mi-01-20-9.<br />

Sauerborn, H. (2016): Die Nadel im Heuhaufen?<br />

Auf der Suche nach didaktisch „wertvollen“<br />

Apps zur Unterstützung des frühen<br />

Leseerwerbs in der Schule und zu Hause. In:<br />

Dietz, F. u. a. (Hrsg.) (2016): Zwischen<br />

Büchern und Bildschirmen. Lesen und<br />

Schreiben lernen in verschiedenen Medien.<br />

Herzogenrath: Deutsche Gesellschaft für<br />

Lesen und Schreiben (DGLS-Beiträge, 18),<br />

47–76.<br />

Schulz, L. (2020): Bewertungskriterien von<br />

diklusiven Apps oder Webplattformen.<br />

Online verfügbar unter https://leaschulz.<br />

com/wp-content/uploads/2020/10/2020_10_<br />

diklusiveKritierien-App_LSchulz.pdf, zuletzt<br />

aufgerufen am 21.02.2022.<br />

38<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022


Praxis: Rundschau XXXXX<br />

Rundschau<br />

Kreative Ansätze zur Förderung interkultureller Verbindungen<br />

Der Whole School Approach<br />

Eine Vielfalt von Blickwinkeln hilft<br />

uns dabei, die Welt mit offenen<br />

Augen und aus unterschiedlichen<br />

Richtungen zu betrachten. Dabei kann<br />

gerade ein interkultureller <strong>Bildung</strong>sansatz<br />

verbunden mit künstlerischen,<br />

ästhetischen und musischen Ansätzen<br />

unterstützen, die interkulturelle Verständigung<br />

zu fördern und das Lernen<br />

im globalen Kontext erlebbar zu<br />

machen. Die kulturelle Vielfalt in unserer<br />

Gesellschaft und ein Blick in die<br />

Welt bieten immer wieder Chancen und<br />

Gelegenheiten, den Schulalltag auf vielfältige<br />

Art und Weise zu bereichern.<br />

Ausstellung zu Migration<br />

Beiträge von Lehrkräften in der Zeitschrift<br />

„Eine Welt in der Schule“ zeigen<br />

aus der Praxis, wie durch kreative<br />

Ansätze ein komplexes Themenfeld<br />

von Schüler*innen erschlossen und für<br />

sie erfahrbar gemacht werden kann. Ein<br />

Beispiel ist der Beitrag „Ein Projekt für<br />

eine bessere Welt – im kleinen Schuluniversum“<br />

aus dem Heft Nr. 144/2019.<br />

Der Autor Florian Kübber berichtet<br />

von dem klassenübergreifenden Projekt<br />

„Welt in Bewegung. Wir sind weltbewegend“<br />

der 7. bis 10. Klassen der<br />

Erich-Klausener-Realschule in Herten.<br />

Angestoßen durch die Erlebnisberichte<br />

der geflüchteten Mitschüler*innen der<br />

internationalen Klasse planten und<br />

gestalteten 150 Schüler*innen eine<br />

eigene Ausstellung zum Themenfeld<br />

„Migration“. Durch den gemeinsamen<br />

Gestaltungsprozess begegneten sich<br />

die Schüler*innen dabei im kreativen<br />

gemeinsamen Agieren, welches Raum<br />

gab, sich mit den unterschiedlichen<br />

Hintergründen der Mitschüler*innen zu<br />

befassen und einen Perspektivwechsel<br />

zu erleben.<br />

Ausstellungsprojekt „FadenWERK“<br />

Über einen kreativen Zugang zu einem<br />

Thema lud auch das 2019 durchgeführte<br />

Ausstellungsprojekt „FadenWERK“<br />

des Projektes „Eine Welt in der Schule“<br />

ein, das in einzelnen Beiträgen im<br />

Heft 146/2020 von Lehrkräften näher<br />

beschrieben ist. Bremer Kinder und<br />

Jugendliche starteten mit drei Wollknäueln<br />

und einer Packung Sprühfarbe,<br />

um mit einem großen Schwung<br />

an Kreativität einen kritischen Blick auf<br />

die heutige Mode- und Textilproduktion<br />

zu werfen und sich Gedanken zum eigenen<br />

Konsumverhalten zu machen. Ziel<br />

war, unter dem Motto „Von Fast zu Slow<br />

Fashion“ über ein gemeinsames Ausstellungsprojekt<br />

Anregungen für einen<br />

nachhaltigen Umgang mit Kleidung zu<br />

hinterlassen.<br />

Mit Musik zur Müllvermeidung<br />

Dass der musikalische Weg ein weiterer<br />

gewinnbringender Zugang für Kinder<br />

und Jugendliche ist, um sich mit globalen<br />

Herausforderungen auseinanderzusetzen,<br />

zeigt der Beitrag „Hey! Macht<br />

alle mit!“ im Heft Nr. 148/2021. Über<br />

einen selbst komponierten Song und<br />

den dazugehörigen Dreh eines Musikvideos<br />

näherten sich Schüler*innen<br />

einer vierten Klasse der Thematik Müll<br />

und Müllvermeidung vor der eigenen<br />

Haustür und im globalen Kontext.<br />

Herausgekommen ist ein Song, der<br />

nicht nur den jungen Künstler*innen,<br />

sondern auch ihrem Umfeld die Vielfalt<br />

und Schützenswertigkeit der Welt aufzeigt<br />

und zum aktiven Handeln einlädt.<br />

Austausch mit Schüler*innen<br />

aus drei Kontinenten<br />

Der Austausch mit Partnerklassen aus<br />

anderen Kontinenten kann eine weitere<br />

Bereicherung für die Schüler*innen<br />

Ausschnitt Titel Heft 148/2021 mit dem<br />

Bericht über ein Projekt mit Partnerschulen<br />

aus drei Kontinenten – kostenlose<br />

Leseprobe: https://t1p.de/EW-H148<br />

sein, wenn es um Perspektivwechsel<br />

und den Blick auf andere kulturelle<br />

Begebenheiten geht. In dem Beitrag<br />

„Mera, deine, nuestro future – Ein Kompass<br />

für morgen“ im Heft Nr. 148/2021<br />

berichtet die Schulleiterin Sabine Cordes<br />

von einem Projekt ihrer Schule im<br />

Verbund mit vier Partnerschulen aus<br />

drei Kontinenten. Über selbst gedrehte<br />

Videos kamen die Schüler*innen miteinander<br />

in den Austausch und stellten<br />

sich gegenseitig ihre Umgebung und<br />

ihre Vorstellungen für eine gemeinsame<br />

Zukunft auf diesem Planeten vor. Die<br />

Zusammenarbeit mündete in einer<br />

gemeinsamen Schatzkiste, die von<br />

einem Kompass geziert mit Anregungen<br />

und Wünschen der Kinder in Text und<br />

Bild gefüllt war.<br />

Alle hier genannten Beispiele verdeutlichen,<br />

dass durch kreative Ansätze<br />

ein Gemeinschaftsgefühl unterstützt<br />

werden kann und sich verschiedene<br />

Zugänge zu globalen Fragestellungen<br />

eröffnen können.<br />

Ulrike Oltmanns<br />

Weitere Infos<br />

Die erwähnten Ausgaben der Zeitschrift „Eine Welt in der Schule“ können auf<br />

der Seite des Projektes bestellt werden: /www.weltinderschule.uni-bremen.de/<br />

die-zeitschrift/inhalte-ausgaben.html. Bei Interesse an einzelnen Artikeln melden<br />

Sie sich gerne direkt bei uns: einewelt@uni-bremen.de<br />

Unterstützung für Lehrkräfte für einen Aufbau zu Partnerschulen oder interkulturellen<br />

Netzwerkformaten bieten zahlreiche Organisationen an.<br />

Zwei sind hier exemplarisch zu nennen: Das „ESD Expert Net“ (https://esd-expert.<br />

net/go-global-virtueller-schulaustausch.html), welches im Auftrag des Bundesministeriums<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2010 ins<br />

Leben gerufen wurde, sowie der „Chat der Welten“ von <strong>Bildung</strong> trifft Entwicklung<br />

(https://bildung-trifft-entwicklung.de/de/ueber-cdw.html). Beide haben zum<br />

Ziel, länderübergreifend über gemeinsame Themen und Ziele in den Austausch<br />

zu kommen.<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

39


Praxis: Rundschau XXXXX<br />

Start einer bundesweiten Kampagne des Grundschulverbands<br />

Internationaler Kindertag am 1. Juni<br />

Während dieser Beitrag entsteht,<br />

laufen die Vorbereitun<br />

gen für eine bundesweite<br />

Veranstaltung des Grundschulverbands<br />

zum Internationaler Kindertag am 1. Juni.<br />

Wie kam es zu dieser Idee, was haben<br />

wir seit der Delegiertenversammlung<br />

im November 2020 geplant und weitergedacht<br />

und was erwartet Sie an diesem<br />

besonderen Tag?<br />

In den letzten Ausgaben von Grundschule<br />

aktuell haben wir Sie darüber informiert,<br />

wie wir die behutsame Neuausrichtung<br />

des Verbands gestalten wollen<br />

und in verschiedenen strategischen<br />

Arbeitsgruppen die ersten Ideen dazu<br />

umgesetzt haben. Sicherlich ist Ihnen<br />

aufgefallen, dass sich die Zeitschrift immer<br />

mehr in einem frischeren Gewand<br />

präsentiert. Auch die ersten Podcasts des<br />

Grundschulverbands sind geschaltet. Inzwischen<br />

treffen sich die Vorsitzenden<br />

der Landesgruppen regelmäßig<br />

und der Austausch auf Landes-<br />

und Bundesebene vernetzt<br />

sich zunehmend. Und – auch<br />

ein Erfolg – der neu gestaltete<br />

Newsletter erreicht inzwischen<br />

einen größeren Leserkreis.<br />

Parallel unterstützen alle<br />

Arbeitsgruppen die Idee der<br />

strategischen Arbeitsgruppe<br />

Mitgliedergewinnung, am 1. Juni<br />

eine bundesweite gemeinsame Kampagne<br />

für eine zukunftsfähige Grundschule<br />

zu starten. Diese soll zeigen, dass<br />

der Verband – obwohl er auf inzwischen<br />

mehr als 50 Jahre zurückblickt – immer<br />

noch jung, modern, frisch und anregend<br />

sein kann. Für den Auftakt entwickelt,<br />

plant und realisiert die AG SocialMedia<br />

eine konzertierte Werbeaktion auf allen<br />

unseren Kanälen. Erstmals kommen<br />

die neuen Layouts für unsere Aktivitäten<br />

zum Einsatz und der für diese Aktion<br />

erweiterte Slogan des Bundesgrundschulkongresses<br />

von 2019:<br />

KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT!<br />

Für den Vorstand:<br />

Edgar Bohn,<br />

Marion Gutzmann<br />

Zum Internationalen Kindertag:<br />

Wie kann das Recht auf grundlegende <strong>Bildung</strong><br />

aktuell gesichert werden?<br />

– Chancen & Herausforderungen –<br />

am Mittwoch, den 1. Juni 2022<br />

um 16.30 Uhr<br />

Eine Online-Veranstaltung (Zoom) des Grundschulverbandes –<br />

kostenlos für alle Mitglieder und Nicht-Mitglieder.<br />

Anmeldung unter: info@grundschulverband.de<br />

In Vorbereitung der Veranstaltung am 1. Juni 2022 wurden die Landesgruppen<br />

um Unterstützung gebeten: Wir sammelten Kinderstimmen<br />

(Was gefällt dir an deiner Grundschule? Was wünschst du dir für deine<br />

Grundschule?) und Statements von Mitgliedern zum<br />

Grund ihrer Mitgliedschaft im Grundschulverband.<br />

Daraus werden nun kleine Filme geschnitten,<br />

die Teil des Programms sein<br />

werden und danach auf unserem You-<br />

Tube-Kanal jederzeit abgerufen werden<br />

können.<br />

In einer Diskussionsrunde wird – ausgehend<br />

vom Kinderrecht auf <strong>Bildung</strong> –<br />

beleuchtet, wie die Arbeit in den<br />

Grundschulen gestaltet sein muss, damit<br />

alle Kinder bestmöglich lernen können.<br />

Welche Visionen von guter Grundschule<br />

haben die Diskutierenden? Und was muss<br />

jetzt geschehen, damit die Grundschulen entsprechend<br />

aufgestellt sind?<br />

Als Expert:innen haben zugesagt:<br />

l Eva Osterhues-Bruns (Schulleiterin und Fachreferentin des Grundschulverbands),<br />

l Prof. i. R. Dr. Hans Brügelmann (<strong>Bildung</strong>sforscher und freier Journalist),<br />

l Svenja Telle und Johannes Wolz (beide im aktiven Schuldienst),<br />

l Marion Gutzmann, stellvertretende Vorsitzende des Verbands, wird<br />

die Diskussion leiten.<br />

Im Anschluss daran werden die Landesgruppen eigene Kurzbeiträge<br />

anbieten.<br />

Darüber hinaus werden alle Landesgruppen Herbsttagungen veranstalten,<br />

die die Thematik vertiefen werden. Lassen Sie sich überraschen!<br />

Wir haben Sie jetzt hoffentlich neugierig gemacht und freuen uns auf Sie!<br />

40<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022


Praxis: Rundschau XXXXX<br />

Rundschau<br />

Überlegungen zu einem lebensweltlichen Zugang zu kulturellem und religiösem Lernen<br />

„Komm mit, ich will dir etwas zeigen!“<br />

In einem studentischen Unterrichtsversuch<br />

innerhalb des fachdidaktischen<br />

Tagespraktikums im Fach<br />

Lebensgestaltung – Ethik – Reli gionskunde<br />

(L – E – R) brachte Salim einen<br />

Koran mit. Die Schüler*innen beobachteten<br />

gespannt, wie er das kunstvoll<br />

verzierte Buch zeigte und peinlich darauf<br />

bedacht war, dass kein anderer das<br />

Buch berührte. Als er der Aufforderung<br />

seiner Mitschüler*innen folgte und einige<br />

Koranverse rezitierte, staunten sie<br />

und waren offensichtlich überrascht<br />

über die fremden Klänge, die sie zuvor<br />

noch nie gehört hatten. Einige kicherten<br />

unsicher. 1<br />

Die Frage, warum sie nicht den Koran<br />

berühren durften, beschäftigte die<br />

Schüler*innen. Dass dies nur Moslems<br />

erlaubt sei, machte für sie keinen Sinn.<br />

Für sie war der Koran ein Buch, und<br />

Bücher kann man anfassen, aufschlagen<br />

und berühren. Für Salim jedoch ist<br />

der Koran mehr als nur ein Buch. Dieses<br />

„Mehr“ verweist auf einen Bedeutungsüberschuss,<br />

den nur „Eingeweihte“ verstehen.<br />

Die Szene bot somit vielfältige<br />

Anschlussmöglichkeiten für das (kulturell-religiöse)<br />

Lernen in den folgenden<br />

Stunden.<br />

Dieses Beispiel aus dem religionskundlichen<br />

Fach L – E – R, welches nur<br />

im Land Brandenburg unterrichtet wird,<br />

soll dazu dienen, der Frage nachzugehen,<br />

welchen Beitrag kulturelle <strong>Bildung</strong><br />

unter der Perspektive religiöser <strong>Bildung</strong><br />

zur Lösung gegenwärtiger sozialer und<br />

kultureller Herausforderungen leisten<br />

kann, wie es die Seoul-Agenda <strong>Kulturelle</strong><br />

<strong>Bildung</strong> aus dem Jahre 2010 als eines<br />

von drei Zielen formuliert.<br />

<strong>Bildung</strong> – kulturelle <strong>Bildung</strong> –<br />

religiöse <strong>Bildung</strong><br />

Unsere heutige Welt ist eine kulturell<br />

und religiös plurale, globalisierte Welt.<br />

Kinder und Jugendliche finden in dieser<br />

ganz unterschiedliche Wert- und Sinnangebote<br />

zur Orientierung im Leben.<br />

Doch woran orientieren sich schulische<br />

<strong>Bildung</strong>sanstrengungen? Eine allgemein<br />

geteilte Antwort darauf ist eine<br />

philosophische: am guten Leben. Doch<br />

auf die Frage, was ein „gutes Leben“ ist,<br />

kann man individuell und gesellschaftlich<br />

sehr unterschiedlich antworten.<br />

Seit den Schulleistungsuntersuchungen<br />

der OECD (PISA-Studien) bekam das<br />

<strong>Bildung</strong>sverständnis vom „guten Leben“<br />

eine neoliberale Konnotation. Ob dieses<br />

<strong>Bildung</strong>sverständnis, welches in die<br />

gegenwärtige Orientierung an Standards<br />

und Kompetenzen eingetragen ist, den<br />

Heranwachsenden dabei hilft, jetzt und<br />

in der Zukunft „mit sich selbst klarzukommen,<br />

sich im Leben zurechtzufinden<br />

und es gemeinsam mit anderen<br />

zu gestalten“ 2 , darf kritisch hinterfragt<br />

werden. Ein auf Wissen, Können oder<br />

Kompetenzen reduziertes <strong>Bildung</strong>sverständnis<br />

genügt dafür nicht. Vielmehr<br />

bedarf es eines Verständnisses von <strong>Bildung</strong><br />

als Erfahrungsprozess, welches<br />

den Menschen verändert. Diese Veränderung<br />

bezieht sich auf den Menschen<br />

selbst, sein Verhältnis zu den<br />

anderen und zur Welt als Ganzes. Ein<br />

solches transformatorisches Verständnis<br />

von <strong>Bildung</strong> schließt sowohl das<br />

Andersdenken als auch das Anderswerden<br />

ein. Den Anlass für derartige<br />

Veränderungen bieten Krisenerfahrungen.<br />

Diese entstehen dann,<br />

wenn Menschen mit ihrem Verständnis<br />

von sich Selbst und der Welt an Grenzen<br />

stoßen. 3 Es bedarf einer Grenzüberschreitung,<br />

um den Herausforderungen<br />

erfolgreich zu begegnen.<br />

Die eingangs geschilderten Reaktionen<br />

der Schüler*innen auf Salims Koranrezitation<br />

verweisen auf eine solche<br />

„Krisenerfahrung“. Die Szene hat<br />

das Potenzial, diese Grenzen zu überschreiten.<br />

Möglich wird diese Grenzüberschreitung<br />

durch die geistige Auseinandersetzung<br />

mit der Welt an der<br />

konkreten Erfahrung, die zugleich die<br />

<strong>Bildung</strong> des Bewusstseins unterstellt.<br />

In einem solchen <strong>Bildung</strong>sverständnis<br />

ist <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> Voraussetzung<br />

für ein geglücktes Leben und maßgeblicher<br />

Bestandteil von Allgemeinbildung.<br />

4 <strong>Bildung</strong> vermag so einen bedeutenden<br />

Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung<br />

und zu kultureller Teilhabe zu<br />

leisten, wie es bspw. der Schlussbericht<br />

Religion in der Grundschule?<br />

Immer wieder bewegt dieses Thema<br />

und sucht bzw. schafft bisher oftmals<br />

nur Teillösungen für bestimmte Gruppen.<br />

Der Grundschulverbandsetzt sich<br />

– vor dem Hintergrund des Integrationsauftrags<br />

von Grundschule – für<br />

eine Diskussion ein, gemeinsam zu<br />

überlegen, wie wir den religiösen Bedürfnissen<br />

aller Kinder gerecht werden<br />

können.<br />

Welche Rolle spielt Religion in der modernen<br />

Gesellschaft? Welche Bedeutung<br />

hat Religion in einem multireligiösen<br />

und säkularisierten Umfeld? Und<br />

wie werden sich religiöse Vorstellungen,<br />

Wahrnehmung und Denken entwickeln<br />

bzw. wie werden sie angeeignet?<br />

Diesen und anderen Fragen wollen wir<br />

uns mit einer neuen Serie zum Themenbereich<br />

Religionen und Weltanschauungen<br />

in der Schule widmen, in der jeweils<br />

unterschiedliche Aspekte beleuchtet<br />

und verschiedene Positionen vorgestellt<br />

werden.<br />

Den Auftakt bietet der Beitrag „Komm<br />

mit, ich will dir etwas zeigen! – Überlegungen<br />

zu einem lebensweltlichen<br />

Zugang zu kulturellem und religiösem<br />

Lernen“ von Frau Dr. Petra Lenz, der das<br />

Thema des Heftes „<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>“<br />

aufgreift und insbesondere betrachtet,<br />

was <strong>Bildung</strong> sein kann und welchen<br />

bildenden Beitrag Kultur und Religion<br />

leisten können.<br />

der Enquete-Kommission „Kultur in<br />

Deutschland“ aus dem Jahre 2007 betont.<br />

Um sich unter der Perspektive religiösen<br />

Lernens ein Begriffsverständnis von<br />

<strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> zu erschließen, stellt<br />

sich die ganz grundsätzliche Frage, was<br />

wir unter Kultur in diesem Kontext verstehen<br />

wollen.<br />

In der Unterrichtsbeobachtung rezitiert<br />

Salim Verse des Koran auf Arabisch.<br />

Er kann dies, weil er es gelernt hat. Zu<br />

Hause, in der Familie, wie er den Mitschüler*innen<br />

erklärte. Er hat Erfahrungen<br />

im Rezitieren des Korans gesammelt,<br />

Rückmeldungen dazu bekommen,<br />

wurde angeleitet, seine Rezitation zu<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

41


Praxis: Rundschau XXXXX<br />

Dr. Petra Lenz<br />

arbeitet als Akademische Mitarbeiterin<br />

am Institut für Lebensgestaltung –<br />

Ethik – Religionskunde der Universität<br />

Potsdam und begleitet als Systemischer<br />

Coach Menschen in Führungspositionen.<br />

In ihren Studien setzt sich Petra Lenz<br />

intensiv mit philosophischen, soziologischen,<br />

psychologischen, pädagogischen<br />

und religionswissenschaftlichen<br />

Themen auseinander. Ihre Forschungsinteressen<br />

beziehen sich auf Fragen<br />

des ethisch-moralischen und religionskundlichen<br />

Lehrens und Lernens sowie<br />

auf Gesundheit und Krankheit.<br />

verbessern und weiter zu entwickeln. Je<br />

besser er den Koran rezitieren kann,<br />

umso größer wird sein Ansehen in seiner<br />

religiösen Gemeinschaft sein. Und<br />

auch seine Lehrer haben das Rezitieren<br />

gelehrt bekommen, wie Generationen<br />

von Moslems vor ihnen. Dieser Prozess<br />

der Aneignung von Wissen und praktischem<br />

Vermögen über Generationen<br />

hinweg macht Kultur (cultura) aus. Er ist<br />

zu unterscheiden von der Reflexion über<br />

diesen Aneignungsprozess, als dessen<br />

Resultat Wissen über Kultur(en) und somit<br />

Wissenschaft entsteht. 5<br />

Dieses kulturwissenschaftliche Verständnis<br />

des Kulturbegriffs findet sich<br />

auch in der Definition der UNESCO-<br />

Weltkonferenz zur Kulturpolitik aus<br />

dem Jahre 1982. Kultur wird hier im<br />

weitesten Sinne verstanden als „die Gesamtheit<br />

der einzigartigen geistigen, materiellen,<br />

interkulturellen und emotionalen<br />

Aspekte“ von Gesellschaften und sozialen<br />

Gruppen, die „nicht nur Kunst<br />

und Literatur ein[schließt], sondern<br />

auch Lebensformen, die Grundrechte<br />

des Menschen, Wertsysteme, Traditionen<br />

und Glaubensrichtungen.“ 6 Sich<br />

mit Kultur unter der Perspektive von <strong>Bildung</strong><br />

ohne Rückbezug auf das Religiöse<br />

zu befassen, ist somit nicht möglich.<br />

Religiöse <strong>Bildung</strong> wiederum ist nicht<br />

ohne Bezug zum religiösen Wandel<br />

der Gesellschaft zu denken. Dieser ist<br />

zum einen durch einen Bedeutungsverlust<br />

bzw. das Verschwinden von Religion(en)<br />

charakterisiert, aber auch durch<br />

eine neue Sichtbarkeit des Religiösen.<br />

Religion und Moderne schließen sich<br />

(auch) in der Gegenwart nicht aus. Religion(en)<br />

bestimmen menschliches Handeln<br />

und haben wesentlichen Einfluss<br />

auf gesellschaftliche Entwicklungen und<br />

Wandlungsprozesse. 7 Dadurch, dass der<br />

Mensch einerseits Kultur schafft und gestaltet<br />

und andererseits durch Kultur<br />

und deren Bearbeitung gebildet wird,<br />

entfaltet sich die pädagogische Dimension<br />

<strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> im Spannungsfeld<br />

individueller Lebensgestaltung und<br />

gesellschaftlicher Verhältnisse. 8<br />

Kultur – Individuum – Lebenswelt<br />

In Deutschland gibt es heute neben<br />

dem traditionell konfessionell-christlichen<br />

Religionsunterricht auch alevitischen,<br />

buddhistischen, christlich-orthodoxen<br />

und islamischen Religionsunterricht.<br />

Dass der konfessionelle Religionsunterricht<br />

die beste Organisationsform<br />

eines religionsbezogenen Unterrichts<br />

ist, um Antworten auf die drängenden<br />

Fragen der Gegenwart zu finden, darf<br />

zumindest bezweifelt werden. Die Legitimation<br />

des konfessionellen Religionsunterrichts<br />

bezieht ihren Sinn aus der<br />

Vermittlung einer kulturellen Orientierung,<br />

wie sie in einer historischen, in<br />

allen Bereichen religiös durchwirkten<br />

Gesellschaft erforderlich war. So basiert<br />

auch die Bestimmung des Religionsunterrichts<br />

als ordentliches Lehrfach<br />

in Artikel 7, Abs. 3 des GG auf<br />

der Voraussetzung einer (christlichen)<br />

Volksreligiosität. So, wie diese auf der<br />

einen Seite verschwindet, bringen Menschen,<br />

die durch Kriege, Gewalt, Unterdrückung,<br />

Umweltveränderungen und<br />

andere Bedrohungen gezwungen sind,<br />

ihr Land zu verlassen, ihre Religionen<br />

mit zu uns. Sie sind gezwungen, sich in<br />

unserer kulturell-religiös andersartigen<br />

Gesellschaft neu zu „(er)finden“. Identitäten<br />

und Zugehörigkeiten kommen ins<br />

Schwanken, verändern sich, brechen ab<br />

und werden neu definiert. Um Lösungen<br />

für so entstehende gesellschaftliche<br />

Herausforderungen zu finden, erscheint<br />

eine Fixierung auf den konfessionellen<br />

Religionsunterricht als „kulturell<br />

unsinnig“, da diese gerade einer Loslösung<br />

von traditionellen kulturellen<br />

Wertsetzungen bedürfen. 9<br />

Konfessionelle Ansätze, deren Ziel<br />

Orientierung, religiöse Beheimatung<br />

und Identitätsbildung ist (learning in<br />

religion), kann dies meiner Ansicht nach<br />

nur eingeschränkt leisten. Auch wenn<br />

sich der christliche Religionsunterricht<br />

heute nicht mehr ausschließlich an Religionsangehörige<br />

der eigenen Konfession<br />

richtet, thematisch religionskundliche<br />

und interreligiöse Themen integriert,<br />

die Identitätsentwicklung der Kinder<br />

und Jugendlichen in den Blick nimmt<br />

(i. S. eines learning from religion) und<br />

neue Unterrichtsmodelle wie der Konfessionell-kooperative<br />

Religionsunterricht<br />

in Baden-Württemberg oder interreligiöser<br />

Unterricht wie der Hamburger<br />

„Religionsunterricht für alle“ entstanden<br />

sind, bleibt es doch ein konfessioneller<br />

Unterricht „in Übereinstimmung<br />

mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“<br />

(GG Art. 7, Abs. 3).<br />

Religionskundlicher Unterricht hingegen<br />

wird vom Staat verantwortet und<br />

ist bekenntnisneutral. Die Teilnahme<br />

an diesem Unterricht steht allen Schüler*innen,<br />

unabhängig von ihrer Religion<br />

oder Weltanschauung, offen, und<br />

auch die Lehrkraft ist an keine Zugehörigkeit<br />

(oder Nicht-Zugehörigkeit) zu<br />

einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft<br />

gebunden. 10 Interessant für<br />

die Grundschule sind die religionskundlichen<br />

Fächer Lebensgestaltung – Ethik –<br />

Religionskunde (L – E – R) in Brandenburg<br />

und der Schweizer Fachbereich<br />

Ethik, Religionen, Gemeinschaft (ERG).<br />

Wie das Fach L – E – R vereint auch der<br />

Fachbereich ERG verschiedene fachliche<br />

Perspektiven (ethisch – religionskundlich<br />

– lebenskundlich). 11 Beide Fächer<br />

intendieren eine Handlungsfähigkeit der<br />

Kinder, um sich aktiv in die Entwicklung<br />

der Gesellschaft und Welt einbringen<br />

zu können. In einem solchen religiösweltanschaulich<br />

neutralen, religionsbezogenen<br />

Unterricht, der das Lernen<br />

über Religionen mit dem Erfahrungsund<br />

Identitätsbildungsansatz des Lernens<br />

von Religionen verbindet (learning<br />

through religion) 12 , kommen religiöse<br />

Bezüge in den Blick, um Lösungsmöglichkeiten<br />

für gegenwärtige und zukünftige<br />

Fragen und Probleme in der Lebenswelt<br />

der Kinder zu ergründen und die<br />

Kompetenzen dafür zu erweitern. Diese<br />

42<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022


Praxis: Rundschau XXXXX<br />

Rundschau<br />

problemhaltigen Herausforderungen in<br />

den Lebenswelten der Kinder müssen<br />

den Ausgangspunkt unterrichtlicher<br />

Arrangements bilden, um Sinn für die<br />

Lernenden zu erzeugen.<br />

Das Beispiel von Salim zeigt, dass im<br />

Zusammentreffen von Menschen Unverständnis<br />

und Probleme dadurch entstehen<br />

können, dass verbindliche kulturelle<br />

„Sprachen“ aufeinandertreffen. Das Geschehen<br />

im Klassenraum macht deutlich,<br />

dass sich die Beziehung von Religion<br />

und Kultur auf der individuellen<br />

Ebene abbildet. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />

als religiöse <strong>Bildung</strong> muss sich deshalb<br />

an den biografischen Erfahrungen und<br />

individuellen Lebenslagen orientieren<br />

und Anlässe bieten, um die Grenzen der<br />

gewohnheitsmäßigen und unhinterfragten<br />

Sichtweisen und Handlungsoptionen<br />

zu überschreiten. Wenn junge Menschen<br />

in einem religionsbezogenen Unterricht<br />

verstehen lernen, dass derartige Missverständnisse<br />

das Resultat unterschiedlicher<br />

kulturell-religiöser Prägungen sind,<br />

kann religionsbezogen <strong>Bildung</strong> als <strong>Kulturelle</strong><br />

<strong>Bildung</strong> gelingen.<br />

Anmerkungen<br />

1) Vgl. Lenz 2014, 13.<br />

2) Heinrich, Hüther und Senf 2020, 14 f.<br />

3) Vgl. Koller 2012, 9 und 71.<br />

4) Vgl. Emert 2009.<br />

5) Vgl. Böhme 2004, 1.<br />

6) Deutsche UNESCO-Kommission 1983,<br />

121. Zitiert nach Fuchs 2012, 63.<br />

7) Vgl. Pollack 2018, 304.<br />

8) Vgl. Reinwand 2012, 96.<br />

9) Vgl. Faulstich-Christ u. a. 2011, 14.<br />

10) Vgl. Kenngott 2017.<br />

11) Vgl. Lorenzen und Schmidt 2019.<br />

12) Vgl. Schreiner 2016.<br />

Literatur<br />

Böhme, H. (2004): Kulturwissenschaft und<br />

Lebenspraxis. In: F. Jaeger und J. Straub<br />

(Hrsg.), Handbuch der Kulturwissenschaften.<br />

Band 2. Paradigmen und Disziplinen.<br />

Stuttgart: J.B. Metzler, Stuttgart, 1–83.<br />

https://doi.org/10.1007/978-3-476-05011-3_1.<br />

Emert, K. (2009): Was ist kulturelle <strong>Bildung</strong>?<br />

Bundeszentrale für politische <strong>Bildung</strong>.<br />

www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/<br />

59910/was-ist-kulturelle-bildung/<br />

Faulstich-Christ, K., Hund-Göschel, G.,<br />

Moegling, K., Sauerwein, T., Volkmann, M.<br />

(2011): Vom kulturellen Sinn und Unsinn der<br />

Fächer. Einführende Überlegungen zum<br />

fächerübergreifenden Unterricht. In:<br />

Artmann, M., Herzmann, P., Rabenstein, K.<br />

(Hrsg.): Das Zusammenspiel der Fächer beim<br />

Lernen. Immenhausen bei Kassel, 9–21.<br />

Fuchs, M. (2012): Kulturbegriffe, Kultur der<br />

Moderne, kultureller Wandel. In: Bockhorst,<br />

H., Reinwald, V.-I., Zacharias, W. (Hrsg.):<br />

Handbuch kulturelle <strong>Bildung</strong>. München:<br />

kopaed, 63–67.<br />

Heinrich, M., Hüther, G., Senf, M. (2020):<br />

#Education for Future. <strong>Bildung</strong> für ein<br />

gelingendes Leben. München: Goldmann.<br />

Kenngott, E.-M. (2017): Religionskunde.<br />

WiReLex. Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische<br />

Lexikon im Internet.<br />

www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100127/.<br />

Koller, H.-C. (2012): <strong>Bildung</strong> anders denken.<br />

Einführung in die Theorie transformatorischer<br />

<strong>Bildung</strong>sprozesse. Stuttgart: Kohlhammer.<br />

Lenz, P. (2014): Das Thema Islam in LER<br />

unterrichten. Eine Skizze, In: zeitsprung 2,<br />

13–15. https://akd-ekbo.de/wp-content/<br />

uploads/2_2014.pdf.<br />

Lorenzen, S., Schmidt, K. (2019): Religionsunterricht<br />

in der Schweiz. WiReLex. Das<br />

Wissenschaftlich-Religionspädagogische<br />

Lexikon im Internet. www.bibelwissenschaft.<br />

de/stichwort/200639/.<br />

Pollack, D. (2018): „Säkularisierung“. In:<br />

Pollack, D., Krech, V., Müller, O., Hero, M.<br />

(Hrsg.): Handbuch Religionssoziologie,<br />

Wiesbaden: Springer Fachmedien, 303–327.<br />

https://doi.org/10.1007/978-3-531-18924-<br />

6_12.<br />

Reinwand, V.- I. (2012): Kapiteleinführung:<br />

Mensch und <strong>Bildung</strong>. In: Bockhorst, H.,<br />

Reinwald, V.-I., Zacharias, W. (Hrsg.):<br />

Handbuch kulturelle <strong>Bildung</strong>. München:<br />

kopaed, 96–97.<br />

Schreiner, P. (2016): Religionsunterricht,<br />

international. WiReLex. Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische<br />

Lexikon im<br />

Internet. https://doi.org/10.23768/wirelex.<br />

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Und: Die Kinder werden immer besser beim Lesen, weil sie mehr lesen – und sie lesen<br />

mehr, weil sie immer besser werden. Denn Lesen lernt man am besten dadurch, dass<br />

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haben, hat bestätigt: Die Kinder lesen die Büchlein gerne und mit Erfolg.“<br />

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GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

43


Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />

Baden-Württemberg<br />

Vorsitzender: Edgar Bohn<br />

edgar-bohn@gsv-bw.de, https://gsv-bw.de<br />

Couchsurfing<br />

Grundschulverband<br />

Das Format nimmt immer<br />

mehr an Fahrt auf …<br />

Am 24. Februar haben<br />

Dr. Eva Odersky von der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München und Melanie<br />

Frank vom Seminar Bad<br />

Mergentheim auf unserem<br />

digitalen Sofa darüber<br />

diskutiert, ob weniger bei<br />

der Unterrichtsvorbereitung<br />

nicht oft mehr ist. Aus Sicht<br />

von Susanne Doll und Eva-<br />

Kristina Franz stehen Studierende<br />

und Anwärter*innen<br />

bei der Vielfalt an teilweise<br />

hochglänzendem Unterrichtsmaterial,<br />

das vor allem<br />

im Internet angeboten wird,<br />

immer mehr unter Druck: Was<br />

wähle ich für den Unterricht<br />

aus? Wie treffe ich Entscheidungen?<br />

Welche Kriterien<br />

ziehe ich heran …<br />

Die insgesamt über 30 Teilnehmer*innen<br />

diskutierten<br />

bereits im Plenum intensiv<br />

mit, in Breakoutsessions<br />

wurden diese Themen dann<br />

noch vertieft. Ein – wie wir<br />

finden – gelungener Abend<br />

mit tollen Gästen!<br />

Instagram und Co<br />

Im Nachklapp der Veranstaltung<br />

konnten dann über<br />

unseren Instagram-Account<br />

auch zwei weitere Probemitgliedschaften<br />

verlost werden.<br />

Insgesamt baut unsere<br />

Landesgruppe gerade Ihren<br />

Auftritt in den sozialen<br />

Medien aus und versucht,<br />

neben grundschulverbandsspezifischen<br />

Themen auch<br />

interessante Veranstaltungen<br />

oder für die Grundschulpraxis<br />

relevante Diskussionen für<br />

Interessierte zu bündeln und<br />

zu kommentieren.<br />

Und auch weiterhin<br />

sind und bleiben wir im<br />

Gespräch<br />

Mit dem Kultusministerium,<br />

mit ZSL und IBBW sind wir<br />

regelmäßig in einem guten<br />

Austausch. Dabei stellen wir<br />

fest: KM, ZSL und IBBW sind<br />

offen für Gespräche, in die<br />

wir als Grundschulverband<br />

zum Wohle der Kinder, Lehrkräfte<br />

und Schulleitungen<br />

Anliegen beratend einbringen<br />

können. Es geht voran!<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Edgar Bohn und Eva Franz<br />

Der Landesverband Baden-Württemberg „online“<br />

(oben links: Christoph Straub, oben rechts: Edgar Bohn,<br />

Mitte links: Annette Pohl, Mitte rechts: Carmen Kindelerr,<br />

unten links: Susanne Doll, unten rechts: Dr. Annette Graf,<br />

unten Gabriele Doderer)<br />

Bayern<br />

Vorsitzende: Gabriele Klenk<br />

https://grundschulverband-bayern.de<br />

Online-Treffen der Landesgruppe<br />

mit der Grundschulreferentin<br />

des Staatsministeriums<br />

für Unterricht<br />

und Kultus<br />

Zu einem sehr wertschätzenden<br />

und konstruktiven<br />

Online-Gespräch mit der<br />

Grundschulreferentin am<br />

Kultusministerium, Ministerialrätin<br />

Maria Wilhelm,<br />

trafen sich Gabriele Klenk<br />

(Vorsitzende des Vorstands<br />

der Landesgruppe)<br />

sowie Konstanze von Unold<br />

(Delegierte GSV) und Martina<br />

Tobollik (Landesvorstand)<br />

Ende Februar. Thematisiert<br />

wurden die coronabedingt<br />

zum Teil analog und digital<br />

angebotenen Lernentwicklungsgespräche,<br />

das<br />

unkomplizierte Abrufen der<br />

Gelder für die tägliche Arbeit<br />

zu Alltagskompetenz und<br />

Lebensökonomie sowie der<br />

Umgang mit dem Rahmenhygieneplan<br />

im Schulbetrieb.<br />

In diesem Zusammenhang<br />

wurde dem bayerischen<br />

Gesundheitsminister Klaus<br />

Holetschek für seine Antwort<br />

zum GSV-Schreiben in Bezug<br />

auf die Maskenpflicht im<br />

Schriftspracherwerb gedankt.<br />

Die vielfältigen Online-Unterstützungsangebote<br />

der<br />

Landesgruppe (Gespräche<br />

mit Schulleitungen, Seminarleitungen,<br />

Regionalgruppentreffen)<br />

sowie die beiden<br />

Online-Grundschultage zum<br />

Thema „Kinder.Lernen.Zukunft“<br />

im April und Oktober<br />

wurden ebenfalls vorgestellt.<br />

44<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Brandenburg<br />

Vorsitzende: Denise Sommer<br />

denisomm@aol.com, www.grundschulverband.de<br />

Wir geben nicht auf!<br />

Trotz aller Belastungen und<br />

Herausforderungen lieben<br />

viele Grundschullehrerinnen<br />

und -lehrer ihren Beruf und<br />

ganz besonders die Arbeit<br />

mit den Schülerinnen und<br />

Schülern. In der aktuellen<br />

Situation der Aufnahme von<br />

ukrainischen Flüchtlingskindern<br />

an unseren Schulen<br />

gehen wir erneut mit Zuversicht<br />

und Verantwortungsbewusstsein<br />

in die nächste<br />

große Herausforderung.<br />

Dennoch gibt es zu viele<br />

Aufgaben und zu wenig<br />

Zeit, um allen Kindern<br />

und Jugendlichen gerecht<br />

zu werden. Das war die<br />

wichtigste Botschaft an die<br />

Politikerinnen und Politiker<br />

des Brandenburgischen<br />

<strong>Bildung</strong>sausschusses und an<br />

die <strong>Bildung</strong>sministerin Britta<br />

Ernst am 10. März 2022 in<br />

Potsdam. Ein gemeinsames<br />

Positionspapier der sieben<br />

kooperierenden Lehrer- und<br />

Fachverbände des Landes an<br />

die Landtagsfraktionen im<br />

November 2021 war Anlass<br />

für den Ausschuss, die Schulpraxis<br />

von der Grundschule<br />

bis zur beruflichen <strong>Bildung</strong> in<br />

einem fast 3-stündigen Fachgespräch<br />

zu Wort kommen<br />

zu lassen.<br />

Unter Berücksichtigung<br />

vorliegender wissenschaftlicher<br />

Befunde wie der<br />

Schaarschmidt-Studie der<br />

Universität Potsdam aus dem<br />

Jahr 2006 und der wissenschaftlichen<br />

Expertise des<br />

Grundschulverbandes zur<br />

Überlastung von Lehrkräften<br />

in der Grundschule aus<br />

dem Jahr 2020 gaben die<br />

Vertreterinnen und Vertreter<br />

der Verbände anschaulich,<br />

umfassend und engagiert<br />

einen Einblick in die Problemlagen<br />

bei Lehrkräften und<br />

Schulleitungen aller Schulformen<br />

und Schulstufen in<br />

Brandenburg.<br />

Für den Grundschulverband<br />

benannte Frau Sommer unter<br />

anderem folgende dringende<br />

Handlungsbedarfe: Inklusion<br />

– sonderpädagogische Förderung<br />

geflüchteter Kinder,<br />

Umsetzung des Digitalpaktes,<br />

Ausbau der Sozialarbeit,<br />

Aufbau multiprofessioneller<br />

Teams und Erhöhung der Anzahl<br />

der Schulpsychologen,<br />

Einsatz von Verwaltungsfachkräften.<br />

Wiederholt verwiesen die<br />

Verbände auf die Entlastung<br />

der Lehrkräfte und Schulleitungen<br />

durch zusätzliches<br />

Verwaltungspersonal und<br />

finanzielle Anreize und/<br />

oder Beförderungsämter für<br />

Lehrkräfte bei Übernahme<br />

zusätzlicher Aufgaben<br />

wie z. B. Betreuung der<br />

Quer- und Seiteneinsteiger,<br />

Fachkonferenzleitung und<br />

Konzeptentwicklung. Erneut<br />

wurde die Erhöhung der Vertretungsreserve<br />

von aktuell<br />

3 Prozent auf 10 Prozent vor<br />

dem Hintergrund fehlenden<br />

Personals kontrovers diskutiert.<br />

Die ungleiche Ausstattung<br />

der Anrechnungsstunden<br />

für Schulleitungen an<br />

Grund- und weiterführenden<br />

Schulen sowie die fehlenden<br />

Stellen für Stellvertretung an<br />

einzügigen Grundschulen<br />

wurden ebenfalls wiederholt<br />

benannt.<br />

Auch wenn eine Lösung der<br />

vielfältigen Problemlagen<br />

nicht absehbar ist, war das<br />

Fachgespräch wichtig und<br />

notwendig. Der Grundschulverband<br />

wird sich weiterhin<br />

für die Verbesserung der<br />

Situation in Brandenburg<br />

engagiert einsetzen und die<br />

Kommunikation mit dem<br />

MBJS und der <strong>Bildung</strong>spolitik<br />

fortsetzen. Wir geben nicht<br />

auf!<br />

Mit einer breiteren Palette<br />

von Online-Veranstaltungen<br />

möchte sich der Vorstand der<br />

Landesgruppe Brandenburg<br />

an Mitglieder und Noch-<br />

Nicht-Mitglieder des Grundschulverbands<br />

wenden.<br />

Bitte merken Sie sich folgende<br />

Termine vor:<br />

12. Mai, 18.00 Uhr –<br />

Grundschultreff mit<br />

Steffi – Online-Angebot für<br />

die Studienseminare Potsdam,<br />

Bernau und Cottbus<br />

2. Juni und 4. August,<br />

18.00 Uhr – Online-<br />

Treff der Brandenburger<br />

Landesgruppe<br />

Wir bitten um Anmeldung<br />

bei Stefanie Gärtner.<br />

Ansprechperson:<br />

Stefanie Gärtner<br />

st.gaertner22@gmx.de<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Denise Sommer<br />

Ein großes Anliegen der<br />

Landesgruppe ist und bleibt<br />

der Fokus auf die Qualität<br />

des Unterrichts (Digitalität,<br />

4Ks in der pädagogischen<br />

Leistungskultur) und die<br />

damit einhergehende Bitte<br />

um (Wieder-)Aufnahme des<br />

Newsletters als Kommunikationsmittels<br />

zwischen<br />

KM und Basis. Von Seiten<br />

der Grundschulreferentin<br />

wurde auf die qualitativ<br />

hochwertigen Konzepte Filby<br />

(Leseförderung), Sinus (Mathematikförderung)<br />

sowie<br />

BiSS-Transfer zum Schreiben<br />

(in Planung) hingewiesen.<br />

Gabriele Klenk nutzte die<br />

Gelegenheit und weckte im<br />

gewinnbringenden Austausch<br />

das Interesse für die<br />

beiden neuen Publikationen<br />

des GSV „Schulkulturen in<br />

Entwicklung“ und „Didaktik<br />

der Lernkulturen“, die „auch<br />

in die Bibliothek eines<br />

Ministeriums gehören“. Der<br />

Wunsch von Grundschulreferentin<br />

und Landesgruppe,<br />

„im Gespräch zu bleiben“ (mit<br />

dem Ziel einer zukunftsfähigen<br />

Grundschule) wurde mit<br />

einem weiteren Gesprächstermin<br />

manifestiert.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Martina Tobollik<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

45


Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />

Bremen<br />

Kontakt: grundschulverband-landesgruppe-bremen@email.de<br />

www.grundschulverband-bremen.de<br />

Wie uns alle im persönlichen<br />

Leben und die Kolleg:innen in<br />

den Schulen hat auch uns im<br />

Vorstand der Landesgruppe<br />

beschäftigt, wie wir den aus<br />

der Ukraine Geflüchteten<br />

helfen können. Wir sind<br />

bereits mit der Behörde,<br />

Stiftungen, Schulleitungen<br />

und Lehrkräften im Gespräch.<br />

Gerne nehmen wir auch weitere<br />

Anregungen von Ihnen<br />

aus der Praxis entgegen. Für<br />

diejenigen, die auf instagram<br />

aktiv sind, finden sich schon<br />

erste Hinweise zum Ukrainischen<br />

Schulsystem unter<br />

lernen.mit.methode. Dort<br />

ist auch eine Sammlung von<br />

gut nutzbaren Materialien<br />

angeregt.<br />

Gemeinsam mit dem Verein<br />

„Potztausendschön“ hat die<br />

GSV-Landesgruppe Schulen,<br />

deren Kinder wegen der<br />

sozialen Situation besonders<br />

von Corona betroffen waren,<br />

ein Naturtheaterprojekt<br />

angeboten, das im Juli durchgeführt<br />

werden soll. In der<br />

Hoffnung, dass das Projekt<br />

verstetigt und erweitert<br />

werden kann, verweisen wir<br />

auf die Informationsseite zu<br />

den für Juli im LichtLuftBad<br />

geplanten Naturtheatertagen<br />

https://potztausendschoen.<br />

de/bienentheaternaturtag.<br />

html .<br />

Im Januar hat sich der<br />

Landesvorstand zum regelmäßigen<br />

Austausch mit der<br />

Senatorin für Kinder und<br />

<strong>Bildung</strong> Sascha Aulepp getroffen.<br />

Einerseits ging es um<br />

Bedingungen für den Einsatz<br />

von nicht-pädagogischem<br />

Personal in den Grundschulen,<br />

den der Grundschulverband<br />

grundsätzlich<br />

als Bereicherung begrüßt,<br />

z. B. durch Kulturschaffende<br />

oder Handwerker, aber unter<br />

der Voraussetzung, dass die<br />

Schulen selbst die Zusammenarbeit<br />

als Entlastung<br />

einschätzen. Weiteres Thema<br />

waren Erfahrungen der<br />

Schulen mit dem Anspruch<br />

der Inklusion. Spezielle<br />

Punkte wie der Übergang aus<br />

der Grundschule in die Sekundarstufe<br />

sollen in einem<br />

separaten Gespräch mit der<br />

zuständigen Referentin Meike<br />

Wittenberg besprochen<br />

werden.<br />

Das bereits kurz vorgestellte<br />

Kooperationsprojekt<br />

„Bremer Mathetaschen“<br />

kann durch die Unterstützung<br />

der Stiftung StarCare<br />

21 weitere Bremer Mathetaschen<br />

verteilen.<br />

Am 28. März wurden<br />

15 Bremer Mathetaschen an<br />

Referendare an Schulen in<br />

prekärer Lage übergeben.<br />

Passende Arbeitsmaterialien<br />

sind im Bremer Schulintranet<br />

its Learning unter „Bremer<br />

Matheboxen und Bremer<br />

Mathetaschen“ eingestellt (s.<br />

auch www.grundschulverband-bremen.de/bremer-mathetasche/<br />

). Sechs Taschen<br />

konnten an einen Kita-Schul-<br />

Verbund in Bremerhaven<br />

übergeben werden. Wir<br />

freuen uns auf zukünftig<br />

intensivere Zusammenarbeit<br />

mit der Seestadt.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Hans Brügelmann und<br />

Heike Hegemann-Fonger<br />

Hessen<br />

Vorsitzender: Mario Michel<br />

mario.michel@gsvhessen.de, www.gsvhessen.de<br />

Vorstandswahlen<br />

Am 17.03.2022 fand unsere<br />

Mitgliederversammlung statt.<br />

Nach dem Bericht des<br />

Vorstandes wurde dieser<br />

entlastet. Wir bedanken uns<br />

bei Christiane Stricker, Sven<br />

Sauter und Ann-Christin Wilhelm<br />

für die geleistete Arbeit<br />

in den letzten 5 Jahren.<br />

Im Anschluss standen<br />

Neuwahlen auf der Tagesordnung.<br />

In den Vorstand<br />

wurden folgende 6 Personen<br />

gewählt: Annette Zinser, Ellen<br />

Löher, Rosemarie Heussner-<br />

Kahnt, Stephanie Jurkscheit,<br />

Heidi Fischer und Mario Michel.<br />

Alle Vorstandsmitglieder<br />

freuen sich auf die zukünftige<br />

Zusammenarbeit.<br />

Unsere erste Aufgabe wird<br />

sein, den Kontakt mit Euch,<br />

unseren Mitgliedern, wieder<br />

zu aktivieren und intensivieren.<br />

Des Weiteren können wir<br />

an dieser Stelle bereits<br />

ankündigen, dass die Landesgruppe<br />

Hessen im Herbst in<br />

Kooperation mit weiteren<br />

Verbänden einen Grundschultag<br />

ausrichten wird.<br />

Nähere Informationen folgen<br />

in naher Zukunft.<br />

Maßnahmenpaket Deutsch<br />

Nachdem wir bereits in<br />

den vergangenen Monaten<br />

immer wieder in Kontakt mit<br />

dem Kultusministerium bezgl.<br />

des Maßnahmenpakets<br />

Deutsch getreten sind, wurde<br />

eine Arbeitsgruppe „Praxishinweise<br />

zur Umsetzung des<br />

Maßnahmenpakets <strong>Bildung</strong>ssprache<br />

Deutsch“ gegründet.<br />

Stephanie Jurkscheit vertritt<br />

unsere Landesgruppe in<br />

der AG und versucht unsere<br />

wissenschaftliche Expertise<br />

gewinnbringend einzubringen.<br />

Vielleicht gelingt es uns<br />

dadurch, die Auswirkungen<br />

des Maßnahmenpakets für<br />

die Kinder, die Grundschullehrkräfte<br />

und unseren Unterricht<br />

im überschaubaren<br />

Rahmen zu halten.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Mario Michel<br />

46<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Vorsitzender: Ralph Grote, Hasengang 3, 17309 Pasewalk<br />

ralphgrote@aol.com<br />

Eine weitere Coronasaison<br />

neigt sich dem Ende entgegen<br />

– so dachte man. In<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

steigen die Zahlen positiver<br />

PCR-Testungen auch noch<br />

im März besonders unter<br />

den Grundschulkindern ins<br />

Unermessliche.<br />

Mittendrin in diesem dritten<br />

Corona-Winter gab es einen<br />

Regierungswechsel: Unsere<br />

neue <strong>Bildung</strong>sministerin von<br />

den Linken heißt Simone<br />

Oldenburg. Nach natürlichen<br />

Übergangsquerelen und<br />

einer Neustrukturierung im<br />

<strong>Bildung</strong>sministerium gelang<br />

es, die Hinweisschreibenflut<br />

zu senken und die Schulleitungen<br />

schneller und effizienter<br />

zu informieren. Trotzdem<br />

bleibt es undurchsichtig<br />

und relativ unplanbar, unter<br />

anderem aufgrund fehlender<br />

Lehr- und Fachkräfte.<br />

Auch die neue Rahmendienstzeitverordnung<br />

der<br />

Schulräte und SachbearbeiterInnen<br />

in den Schulämtern<br />

zeigt sich als problematisch,<br />

da hier 60 Prozent ortsunabhängige<br />

Dienstzeit<br />

vorgeschrieben wird. Die<br />

BearbeiterInnen sind nicht<br />

mehr im Home Office, aber<br />

teilweise sind die Dienstwege<br />

doch weiterhin verlängert<br />

aufgrund mangelnder Digitalisierung<br />

in den Schulämtern<br />

und an den „ortsunabhängigen<br />

Arbeitsplätzen“.<br />

Die Umsetzung der Inklusionsstrategie<br />

wurde<br />

weiter auf die lange Bank<br />

geschoben, im Herbst soll es<br />

dazu eventuell Neuerungen<br />

geben.<br />

Ein neues Zeugnisformular<br />

für die Schuleingangsphase<br />

ist noch nicht in Sicht.<br />

So bleiben Grundschullehrkräfte<br />

Einzelkämpfer,<br />

Schulleitungen bleiben in<br />

der Pflicht, für Unmögliches<br />

möglichst effiziente und<br />

kreative Lösungen zu finden.<br />

Hilfe bietet das 3-Phasen-Modell,<br />

welches Schulleitungen<br />

bei entsprechender Anzahl<br />

fehlender Lehrkräfte automatisch<br />

mehr Planungsfreiheit<br />

gibt – ein Modell, das sicher<br />

auch nach Corona Anwendung<br />

finden wird aufgrund<br />

des Fachkräftemangels.<br />

Das große Ziel – Lehrkräftegewinnung<br />

und Steigerung<br />

der Attraktivität des Lehrerberufes<br />

– Fehlanzeige!<br />

Stattdessen permanente<br />

Mehrarbeit, um deren<br />

intransparente Bezahlung<br />

es ein Riesentheater gibt<br />

(so soll eine angewiesene<br />

coronabedingte Mehrarbeitsstunde<br />

mit dem Faktor 0,25<br />

berechnet werden). Zu all<br />

dem kommen dann noch<br />

zu langsame Digitalisierung<br />

(und zugegebenermaßen<br />

auch Berührungsängste<br />

vieler Lehrkräfte bei diesem<br />

Thema) und die Kriegsängste<br />

und Flüchtlingsfamilien aus<br />

der Ukraine.<br />

Eine Vielfachbelastung, der<br />

längst nicht jede motivierte<br />

Lehrkraft in unserem Bundesland<br />

mehr gewachsen ist. Wir<br />

brauchen Hilfe und Perspektiven!<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Sandra Stolzenburg<br />

Niedersachsen<br />

Kontakt: www.gsv-nds.de<br />

Berufsbild Schulleitung<br />

Zur Professionalisierung des<br />

Berufsbildes Schulleitung<br />

hat das niedersächsische<br />

Kultusministerium im Januar<br />

2022 eine neue Broschüre<br />

herausgegeben mit dem Ziel,<br />

ein einheitliches Verständnis<br />

für und von Schulleitung zu<br />

vermitteln. Gleichzeitig tritt<br />

ein neuer Runderlass dazu in<br />

Kraft.<br />

In dem ausgearbeiteten<br />

Berufsbild Schulleitung<br />

werden Anforderungsprofile<br />

an aktuelle und zukünftige<br />

Schulleitungen definiert.<br />

Diese Anforderungsprofile<br />

beziehen sich einerseits auf<br />

wesentliche Handlungsfelder<br />

wie Lehren und Lernen,<br />

Personal, Kooperation, Qualitätsentwicklung,<br />

Schulkultur<br />

und Organisation. Andererseits<br />

werden Kompetenzfelder<br />

beschrieben, die von<br />

Schulleitungen erwartet<br />

werden. Mit der Entwicklung<br />

des Berufsbildes Schulleitung<br />

erkennt das niedersächsische<br />

Kultusministerium das<br />

eigenständige Berufsbild von<br />

Schulleitungen an.<br />

Leider bezieht sich das<br />

Berufsbild lediglich<br />

auf Schulleitungen,<br />

stellvertretende<br />

Schulleitungen werden<br />

davon ausgeschlossen,<br />

sodass es weiterhin weder<br />

Anforderungsprofil noch<br />

Aufgabenschreibung für<br />

diese Personengruppe<br />

gibt. Auch wird<br />

ausgeklammert, dass gute<br />

eigenverantwortliche Schule<br />

nur im Schulleitungsteam<br />

gelingen kann. Die Broschüre<br />

kann unter<br />

www.mk.niedersachsen.<br />

de/startseite/aktuelles/<br />

presseinformationen/landkonkretisiert-berufsbildschulleitung-kultusministertonne-wir-sagen-klar-dassschulleitung-ein-eigenerberuf-ist-208496.html<br />

heruntergeladen werden.<br />

Arbeitsgruppe<br />

Ganztägige <strong>Bildung</strong><br />

Für das Jahr 2026 hat die<br />

Bundesregierung für alle<br />

Kinder im Grundschulalter<br />

das Recht auf eine Ganztagsbetreuung<br />

beschlossen. Die<br />

Landesgruppe Niedersachsen<br />

möchte sich, insbesondere<br />

vor den bevorstehenden<br />

Landtagswahlen, dafür einsetzen,<br />

dass nicht ausschließlich<br />

die Betreuung, sondern<br />

ein qualitativ hochwertiges<br />

ganztägiges <strong>Bildung</strong>sangebot<br />

an unseren Schulen<br />

angeboten wird.<br />

Gemeinsam mit interessierten<br />

Mitgliedern unserer<br />

Landesgruppe haben wir<br />

daher mit dem Ziel, ein<br />

Positionspapier auf der Basis<br />

der Stellungnahme des Bundesverbandes<br />

zu entwickeln,<br />

eine Arbeitsgruppe gebildet.<br />

Hier versuchen wir zentrale<br />

Positionen des Grundschulverbandes<br />

mit den niedersächsischen<br />

Bedingungen zu<br />

verzahnen.<br />

Über eure Anregungen<br />

freuen wir uns – schreibt an<br />

gsv.nds@gmail.com.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Eva Osterhues-Bruns<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

47


Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />

Schleswig-Holstein<br />

Geschäftsführender Vorstand: Maren Barck, Sabine Jesumann, Aenne Thurau<br />

Kontakt: Maren Barck, grundschulverbandSH@gmx.de<br />

Treffen des Vorstandes<br />

Bis Ostern wird der Vorstand<br />

in diesem Jahr dreimal<br />

getagt haben. Hauptsächliche<br />

Themen waren der<br />

Austausch über die Arbeit<br />

aus den verschiedenen<br />

Arbeitsgruppen und Gremien<br />

des GSV auf Bundesebene<br />

sowie die Vorbereitung von<br />

Aktionen zur Landtagswahl.<br />

Interessierte sind herzlich<br />

eingeladen, an den Vorstandstreffen<br />

teilzunehmen.<br />

Die Termine werden auf<br />

Instagram angekündigt.<br />

„Für <strong>Bildung</strong> ist uns<br />

kein Weg zu weit“ –<br />

der erweiterte<br />

Vorstand (von links):<br />

Aenne Thurau,<br />

Wiebke Steenbock,<br />

Maren Barck,<br />

Sabine Jesumann<br />

Die Landesgruppe<br />

bei Instagram<br />

Wir weisen noch einmal auf<br />

den Auftritt der Landesgruppe<br />

Schleswig-Holstein<br />

bei Instagram hin:<br />

grundschulverband_sh<br />

Neue Kontakt-E-Mail<br />

Die Kontakt-E-Mail zum<br />

Vorstand hat sich geändert:<br />

grundschulverbandSH@<br />

gmx.de<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Sabine Jesumann<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Kontakt: Thekla Mayerhofer, Hafenstr. 44, 06108 Halle (Saale)<br />

May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />

Neues Jahr –<br />

neues Jahresthema<br />

Am 1. März fand das Auftakttreffen<br />

für das Jahresthema<br />

2022 unserer Landesgruppe<br />

im hybriden Format statt.<br />

Inhaltlich wollen wir uns mit<br />

der Professionalisierung zum<br />

Lehramt über die Phasen hinweg<br />

mit einem besonderen<br />

Schwerpunkt in der 3. Phase<br />

der Lehrer:innenbildung<br />

beschäftigen. Passend dazu<br />

nahmen Personen aus den<br />

unterschiedlichen Ausbildungsphasen<br />

teil: je zwei aus<br />

der universitären Ausbildung,<br />

aus dem Staatlichen Seminar,<br />

zuständig für den Vorbereitungsdienst<br />

sowie frisch<br />

ausgebildete Lehrer:innen<br />

mit Blick auf stärker organisatorische<br />

Herausforderungen<br />

im Schulalltag. Mit dem<br />

Ansatzpunkt einer Kultur<br />

des lebenslangen Lernens<br />

diskutierten wir insbesondere<br />

strukturelle Probleme sowie<br />

Professionalität im Lehrer:innenberuf<br />

allgemein. Am<br />

3. Mai wird diese Diskussion<br />

fortgesetzt.<br />

Neuer „alter“ Vorstand?<br />

Leider nicht ganz!<br />

Wenige Tage später, am<br />

11. März, fand unsere offene<br />

Vorstandssitzung statt. Turnusgemäß<br />

wurde ein neuer<br />

Vorstand gewählt, sodass<br />

einen Schwerpunkt der Rückblick<br />

auf die geleistete Arbeit<br />

der letzten Jahre darstellte.<br />

Fast alle Vorstandsmitglieder<br />

kandidierten erneut für<br />

ihr Amt und wurden darin<br />

bestätigt. Petra Uhlig hat<br />

sich dazu entschlossen, auf<br />

eine erneute Kandidatur zu<br />

verzichten. Wir sind Petra<br />

unendlich dankbar für die vielen,<br />

vielen Jahre, in welchen<br />

sie die Landesgruppe nicht<br />

nur mit aufgebaut, sondern<br />

auch durch ihre Funktion<br />

als Vorsitzende geführt und<br />

geprägt hat. Indem Petra den<br />

Vorstand verlässt, verabschiedet<br />

sich eine einflussreiche<br />

Größe des Grundschulverbandes<br />

Sachsen-Anhalt. Obgleich<br />

Petra uns weiterhin als Mitglied<br />

erhalten bleibt und gern<br />

beratend zur Seite steht, wird<br />

sie uns in der Vorstandsarbeit<br />

fehlen! Für alle Aufgaben und<br />

Herausforderungen, als Schulleiterin<br />

und privat, wünschen<br />

wir ihr viel Kraft, Mut und<br />

Energie. DANKE, Petra!<br />

Wir können es kaum<br />

erwarten!<br />

Voller Enthusiasmus planen<br />

wir die Fortbildungsveranstaltung<br />

in Kooperation mit<br />

unserer Mitgliedsschule, dem<br />

<strong>Bildung</strong>shaus Riesenklein,<br />

weiter. Immer mehr nimmt<br />

dieser Tag Gestalt an. Unter<br />

dem Thema „<strong>Bildung</strong> ist<br />

nachhaltig“ wird am<br />

2. Juni einiges geboten.<br />

In Kürze erfolgt die Veröffentlichung<br />

des Programms<br />

sowie aller Infos auf unserer<br />

Website – seid gespannt!<br />

Mehr Infos gibt es hier:<br />

http://bildung-istnachhaltig.de/<br />

Weitere Informationen<br />

www.gsv-lsa.de<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Nadine Naugk und<br />

Thekla Mayerhofer<br />

48<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Vorsitzender: Johannes Wolz<br />

info@ grundschulverband-rlp.de , www.grundschulverband-rlp.de<br />

NEU auf Instagram<br />

Jeden Mittwoch findet ihr<br />

auf unserem Instagram-Profil<br />

unter #GrundschulMittwoch<br />

aktuelle Infos aus unserer<br />

Vorstandsarbeit, der Schulentwicklung<br />

in Rheinland-Pfalz<br />

sowie Praxisanregungen und<br />

Materialtipps. Schaut vorbei!<br />

@grundschulverband_rlp<br />

Neuer Vorstand<br />

Aufgrund beruflicher Veränderungen<br />

hat sich unser<br />

Vorstand neu zusammengesetzt.<br />

Wir kommen aus<br />

unterschiedlichen Bereichen<br />

der Grundschulpraxis:<br />

Johannes Wolz (Grundschullehrer),<br />

Priska Ruf (Grundschullehrerin),<br />

Saskia Nagat<br />

(Grundschullehrerin), Carmen<br />

Lang (Fachleiterin für GB),<br />

Marja Ertel (FöL & Beraterin<br />

für Inklusion).<br />

Wir wünschen unserer langjährigen<br />

Vorsitzenden Heike<br />

Neugebauer alles Gute für<br />

ihre berufliche Zukunft und<br />

bedanken uns für ihr großes<br />

Engagement im Grundschulverband<br />

Rheinland-Pfalz.<br />

Schule der Zukunft<br />

Am 12. November 2021 hat<br />

der Kongress „Schule der Zukunft“<br />

in Mainz stattgefunden.<br />

Dieser ist Startschuss für einen<br />

breit angelegten Beteiligungsprozess,<br />

in dem ein Leitbild für<br />

die Schule der Zukunft entwickelt<br />

und erprobt werden<br />

soll. In einer abwechslungsreichen<br />

Podiumsdiskussion<br />

inspirierten uns besonders die<br />

Beiträge von Margret Rasfeld<br />

(Mitbegründerin von „Schule<br />

im Aufbruch“ und Schulleiterin<br />

im Ruhestand). Im Januar<br />

2022 haben wir eine Stellungnahme<br />

unserer Landesgruppe<br />

zur Initiative „Schule der<br />

Zukunft“ eingereicht.<br />

Grundwortschatz<br />

Ab dem Schuljahr 2022/2023<br />

wird der Grundwortschatz<br />

Rheinland-Pfalz verbindliche<br />

Grundlage für den Unterricht<br />

in den Grundschulen<br />

sein. Der Grundwortschatz<br />

ist in eine Handreichung<br />

eingebettet, die bereits jetzt<br />

auf dem <strong>Bildung</strong>sserver RLP<br />

als kostenlose pdf-Version<br />

heruntergeladen werden<br />

kann. In Kooperation mit<br />

der Abteilung Grundschulforschung<br />

und Pädagogik der<br />

Primarstufe der Universität<br />

Trier erarbeiten wir zur Zeit<br />

Anregungen und praktische<br />

Materialien, die Lehrkräfte bei<br />

ihren unterrichtlichen Tätigkeiten<br />

in diesem Teilbereich<br />

unterstützen können.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Marja Ertel und<br />

Johannes Wolz<br />

Der neue Vorstand<br />

(von oben im Uhrzeigersinn):<br />

Johannes Wolz, Carmen<br />

Lang, Saskia Nagat,<br />

Marja Ertel, Priska Ruf<br />

Thüringen<br />

Vorsitzende: Steffi Jünemann<br />

grundschulverband-thueringen@gmx.de<br />

Zur Schuleingangsphase<br />

In der letzten Vorstandssitzung<br />

der Landesgruppe<br />

Thüringen kam es mehr oder<br />

weniger zufällig zu einer<br />

Debatte zum Thema der<br />

Schuleingangsphase.<br />

Laut Gesetz soll ein Kind<br />

einer Regelklasse der ersten<br />

Jahrgangsstufe, welches<br />

beispielsweise Lernschwierigkeiten<br />

hat, in jedem Fall in<br />

die zweite Jahrgangsstufe<br />

versetzt werden. Man könnte<br />

nun argumentieren, dass dies<br />

nicht immer den Lernbedürfnissen<br />

der Kinder entspricht,<br />

und sich fragen, ob diese<br />

Gesetzgebung dementsprechend<br />

gerechtfertigt ist.<br />

Dieses beschriebene Problem<br />

betrifft viele Schulen, die<br />

altershomogene Klassen<br />

unterrichten.<br />

Kinder sollten dort unterrichtet<br />

werden, wo sie stehen!<br />

Die flexible Schuleingangsphase<br />

und die damit einhergehende<br />

Differenzierung<br />

sorgt dafür, dass Kinder in<br />

Stammgruppen im Rahmen<br />

einer Jahrgangsmischung<br />

individuell unterrichtet<br />

werden können und dabei<br />

der Leistungsstand des<br />

einzelnen Kindes ausschlaggebend<br />

ist. Diese Form<br />

des lernstandsorientierten<br />

Unterrichts, angelegt an die<br />

individuelle Bezugsnorm, ist<br />

auch natürlich an Schulen<br />

ohne Jahrgangsmischung<br />

möglich.<br />

Der Grundschulverband<br />

steht für Modernisierung<br />

und Zukunftsorientierung<br />

sowie die Arbeit im Sinne<br />

der Schüler*innen. Dahingehend<br />

ist es auch keine<br />

Überraschung, dass sich der<br />

Verband auch schon früher<br />

mit der Schuleingangsphase<br />

und der Jahrgangsmischung<br />

auseinandergesetzt hat. So<br />

auch in Ausgabe Band 123<br />

„Lehren und Lernen in jahrgangsgemischten<br />

Klassen“.<br />

Der Verband macht seine<br />

Forderung nach einer Schuleingangsphase<br />

mit einer<br />

Einheit aus den Jahrgangsstufen<br />

1 und 2 deutlich.<br />

Wir bringen das Thema nur<br />

noch einmal ins Gedächtnis<br />

und wollen dies auch weiterhin.<br />

In diesem Sinn haben<br />

wir vor, in unserem ersten<br />

regelmäßig erscheinenden<br />

Mini-Podcast der Landesgruppe<br />

weiterführend über<br />

das Thema „Differenzierung<br />

in der Schuleingangsphase“<br />

zu sprechen.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Leah Faßbender<br />

GS aktuell 158 • Mai 2022<br />

U III


Grundschule aktuell<br />

Grundschulverband e. V.<br />

Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />

Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />

info@grundschulverband.de<br />

www.grundschulverband.de<br />

Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />

D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />

Versandadresse<br />

Ausblick Grundschule aktuell 159<br />

Beteiligung erleben – Demokratie lernen<br />

„Demokratie muss gelernt werden, um gelebt werden zu können“ oder „Demokratie muss<br />

gelebt werden, um gelernt werden zu können“. Mit Blick auf diese Sichtweisen werden<br />

in einem einführenden Text verschiedene zentrale Aspekte vorgestellt. Ausgehend von<br />

den Kinderrechten als Basis für das Handeln der Erwachsenen im Schulalltag wird über<br />

die „Demokratisierung der Schule“ nachgedacht, von der Unterrichtsgestaltung bis zum<br />

außerschulischen Engagement. Es geht um „politische <strong>Bildung</strong>“ in der Grundschule – im<br />

täglichen Erleben und als echte Beteiligung in unserer demokratischen Gesellschaft.<br />

In Selbstberichten von Grundschulen, die sich auf den Weg gemacht haben, um Beteiligung<br />

von Kindern erfahren und Demokratie lernen zu lassen, wollen wir Anlässe,<br />

Bedingungen, Schwierigkeiten, Fortschritte und Erfolge aufzeigen, wie es sie für jede<br />

Grundschule geben kann.<br />

In einem Interview mit Eltern soll deren Sicht auf mögliche demokratische Beziehungen<br />

zwischen Elternhäusern und der Grundschule angesprochen werden.<br />

Auch in der kommenden Ausgabe wird es ein besonderes Augenmerk auf Kinder bücher<br />

zu diesem Thema geben, um für den Unterricht wieder ganz konkrete Zugänge zu<br />

ermöglichen. In der Rubrik „Aus der Forschung“ werden Bedarfe für mehr Demokratiebildung<br />

über die „Delphi-Studie“ aufgezeigt.<br />

Die nächsten<br />

Themen<br />

September 2021<br />

November 2021<br />

Februar 2021<br />

Heft 159 | September 2022<br />

Beteiligung erleben –<br />

Demokratie lernen<br />

Heft 160 | November 2022<br />

Schule und Bewegung<br />

Heft 161 | Februar 2023<br />

Friedenserziehung<br />

www.<br />

grundschule-aktuell.info

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