Kulturelle Bildung
Grundschule aktuell Heft 158 - Mai 2022
Grundschule aktuell Heft 158 - Mai 2022
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www.grundschulverband.de · Mai 2022 · D9607F<br />
Grundschule aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 158<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Zum Thema<br />
• Kultur und Lebensraum Schule<br />
• <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> und digitale Medien<br />
• Kultur in die Schule bringen<br />
Forschung<br />
• Forschungsgruppe<br />
KIDI: E-Books im Schriftspracherwerb<br />
gestalten<br />
Rundschau<br />
• Lebensweltlicher Zugang<br />
zu kulturellem und<br />
religiösem Lernen
Inhalt<br />
Tagebuch<br />
S. 2 Warum ich im Grundschulverband bin<br />
(H. Brügelmann)<br />
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
S. 3 Potenzial für Persönlichkeitsbildung<br />
und Lebensweltbezug (M. Lassek)<br />
S. 4 Den Kultur- und Lebensraum Schule<br />
neu gestalten (V.-I. Reinwand-Weiss)<br />
S. 7 Lernen in den Künsten anschlussfähig gestalten<br />
(B. Stiller)<br />
S. 9 <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> und digitale Medien (A. Weiß)<br />
S. 13 Einblicke und Ausblicke –<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> konkret (D. Sommer)<br />
S. 16 „Wir sind Wasser“. Ein Projekt künstlerischdigitaler<br />
<strong>Bildung</strong> (B. Schweitzer, K. W. Hoyme)<br />
S. 18 Vom Leseprojekt zum Theaterprojekt – inklusiv<br />
und fächerübergreifend (K. Pohl)<br />
S. 20 Kultur-Projekte in der Schule trotz Pandemie?<br />
(K. von Unold)<br />
S. 23 ErzählZeit – poetische Mündlichkeit<br />
im Kita- und Schulalltag (S. Kolbe)<br />
S. 26 Kultur in die Schule bringen – Gespräch mit<br />
der Künstlerin Sabine Schwarz (G. Klenk)<br />
S. 28 Musik: Begegnung.Erlebnis.Berührung – Musikwerkstatt<br />
der Bremer Philharmoniker (M. Lassek)<br />
S.32 Kinderbücher rund ums Museum (M. Gutzmann)<br />
In dieser Ausgabe finden Sie – neben einer Vielzahl von<br />
anregenden Musik-, Kunst- und Theaterprojekten an<br />
Schulen – vielfältige Beispiele dazu, wie die gelingende<br />
Zusammenarbeit in fächer- und auch klassenübergreifenden<br />
Projekten mit außerschulischen Kulturstätten und verschiedenen<br />
Künstler:innen umgesetzt werden kann.<br />
So beschreibt die Theaterpädagogin und Erzählerin Sabine<br />
Kolbe, wie sich das Berliner Projekt ErzählZeit zu einem<br />
einzigartigen künstlerischen Format zur Vermittlung der<br />
deutschen Sprache entwickelt hat.<br />
Im Gespräch mit Marko Gartelmann werden Erfahrungen<br />
mit Angeboten der Bremer Philharmoniker für musische<br />
<strong>Bildung</strong> aufgezeigt.<br />
Im Interview mit der Künstlerin und Pädagogin mit<br />
Schwerpunkt Kunsttherapie Sabine Schwarz stehen kreative<br />
Ausdrucksformen und kooperative Arbeitsweisen der<br />
Kinder im Mittelpunkt. Seite 23–31<br />
Aus der Forschung<br />
S. 34 E-Books im Schriftspracherwerb gestalten<br />
(Forschungsprojekt KIDI: K. Pfann, S. Truckenbrodt,<br />
B. Oetjen, S. Martschinke)<br />
Rundschau<br />
S. 39 Kreative Ansätze zur Förderung interkultureller<br />
Verbindungen (U. Oltmanns)<br />
S. 40 Bundesweite Kampagne des Grundschulverbandes<br />
am 1. Juni (E. Bohn, M. Gutzmann)<br />
S. 41 Überlegungen zum lebensweltlichen Zugang<br />
zu kulturellem und religiösem Lernen (P. Lenz)<br />
Landesgruppen aktuell – unter anderem:<br />
S. 44 Baden-Württemberg: Couchsurfing<br />
Grundschulverband<br />
S. 45 Brandenburg: Wir geben nicht auf!<br />
S. UIII Rheinland-Pfalz: Neu auf Instagram<br />
und Neuer Vorstand<br />
Impressum<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />
erscheint viertel jährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.<br />
Das einzelne Heft kostet 9,00 € (inkl. Versand innerhalb Deutschlands);<br />
für Mitglieder und ab 10 Exemplaren 5,00 €.<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />
Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />
Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />
www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />
Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />
gabriele.klenk@grundschulverband.de<br />
Fotos und Grafiken: Susanne Winkler/novuprint (Titelillustration;<br />
mit Fotos von J. Farys // Die.PROJEKTOREN, B. Langer, Lehr-Forschungs-<br />
Projekt KIDI, K. Pohl, J. Sarbach, S. Schwarz, D. Sommer),<br />
Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders vermerkt)<br />
Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />
Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />
info@grundschulverband.de<br />
Druck: WKS Print Partner GmbH, 34587 Felsberg<br />
ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6102<br />
Beilage: Info-Flyer Grundschulverband e. V. 2022<br />
In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />
ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />
Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />
Lösung für das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />
jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form.<br />
UII<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022
Diesmal<br />
Internationaler Kindertag am 1. Juni<br />
Für den Start einer bundesweiten<br />
Kampagne des Grundschulverbands<br />
für eine zukunftsfähige<br />
Grundschule wurde<br />
ein besonderer Tag<br />
gewählt: der 1. Juni, der<br />
Internationale Kindertag.<br />
Mit einem neuen Logo und<br />
dem Aufruf, sich an der<br />
Kampagne zu beteiligen,<br />
laden wir an diesem Tag zu einer<br />
bundesweiten Online-Veranstaltung „Wie kann das<br />
Recht auf grundlegende <strong>Bildung</strong> aktuell gesichert<br />
werden?“ ein. Seite 40<br />
Mit „Ronja Räubertochter“ wird dargestellt, wie ausgehend<br />
von einem Lese-Projekt im 2. Schuljahr eine Klasse<br />
zu einem inklusiven und fächerübergreifenden Theaterprojekt<br />
im 4. Schuljahr gelangte und die Kinder nach<br />
Wochen des Distanzlernens sich bei der Aufführung<br />
endlich wieder als Gemeinschaft erleben durften.<br />
Eine Schulleiterin beschreibt für ihre Schule, wie diese<br />
die Aufforderung während der Pandemie, „Kräfte zu<br />
sparen und Schwerpunkte im Unterricht zu setzen“, bewusst<br />
für verschiedene kulturelle Projekte wie „Kinder<br />
treffen Künstler“, „Musical der Viertklässler“ oder „Zirkusprojekt“<br />
genutzt hat. Elternbeirat und Grundschulteam<br />
fanden kreative Lösungen von der ursprünglichen Planung<br />
zur tatsächlichen Realisierung trotz Kontaktbeschränkung.<br />
Seite 18–22<br />
Noch mehr Grundschulverband?<br />
Sie finden uns auf Social Media,<br />
Stichwort „Grundschulverband“<br />
Liebe Leser:innen,<br />
in dieser Ausgabe Grundschule aktuell 158 wird als wichtiger<br />
Beitrag für eine allseitige <strong>Bildung</strong> und zur Persönlichkeitsentwicklung<br />
der Kinder insbesondere die kulturelle <strong>Bildung</strong><br />
in den Mittelpunkt gerückt. Als Teil des <strong>Bildung</strong>sauftrags der<br />
Schule nimmt kulturelle <strong>Bildung</strong> alle fachlichen Facetten in<br />
den Blick, vor allem aber den musisch-ästhetischen Bereich.<br />
Neben den übergeordneten Fragen, welche Rolle Kunst,<br />
Musik, Theater und andere Ausdrucksformen im Schulalltag<br />
und im Unterricht spielen, finden in den Praxisbeiträgen<br />
sowohl schulische als auch außerschulische Lern- und<br />
Gestaltungsräume Berücksichtigung. Dabei wurde der große<br />
Schatz an Erfahrungen der Schulen mit vielfältigen Zugangs-,<br />
Ausdrucks- und Gestaltungsweisen aus den letzten beiden<br />
Schuljahren, in denen gemeinsames Lernen in den Klassenzimmern<br />
nicht immer möglich war, eingebracht.<br />
Für eine systematische Entwicklung einer modernen und<br />
vielfältigen Schulkultur sowie Ausbildung und Erweiterung<br />
braucht es viele Akteur:innen. Wir möchten Ihnen dazu<br />
ganz konkrete Beispiele für die Zusammenarbeit mit Künstler:innen,<br />
Musiker:innen oder Schriftsteller:innen vorstellen.<br />
Lassen sie sich z. B. inspirieren von den Musikangeboten aus<br />
dem Team der Musikwerkstatt der Bremer Philharmoniker,<br />
dem Erzählangebot aus dem Projekt ErzählZeit in Berlin oder<br />
der Arbeit einer Künstlerin und Pädagogin mit dem Schwerpunkt<br />
Kunsttherapie.<br />
Ein besonderes Augenmerk richten wir auf Kinderbücher<br />
zu unserem Themenschwerpunkt. Diese Rubrik möchten wir<br />
gerne in Zukunft etablieren, um für den Unterricht konkrete<br />
Zugänge zu unseren Themen anzubieten. Zudem beginnen<br />
wir mit der neuen Serie zum Themenbereich Religionen<br />
und Weltanschauungen in der Schule, in der jeweils unterschiedliche<br />
Aspekte beleuchtet und verschiedene Positionen<br />
vorgestellt werden. In dieser Ausgabe geht es zunächst um<br />
die Verknüpfung von religiöser und kultureller <strong>Bildung</strong> bzw.<br />
Identität.<br />
Und zu Ihrer Information: Ab dieser Ausgabe steht ein<br />
Redaktionsteam für Sie bereit – wir freuen uns auf Ihr Interesse<br />
an dieser und den folgenden Ausgaben unserer Zeitschrift<br />
und natürlich über Ihre Rückmeldungen dazu.<br />
Herzlichst<br />
Marion Gutzmann und Gabriele Klenk<br />
sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />
und unseren Podcast direkt auf unserer<br />
Homepage:<br />
https://grundschulverband.de<br />
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Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“<br />
und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />
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grundschulverband.de/archiv/<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
1
Tagebuch<br />
Warum ich im<br />
Grundschulverband bin<br />
Prof. i. R. Dr. Hans Brügelmann<br />
Mitglied im Vorstand der<br />
GSV-Landesgruppe Bremen<br />
Als ich 1975 gerade meine Promotionsurkunde erhalten<br />
hatte, bot mir meine damalige Chefin an, für mich<br />
zu „bürgen“, falls ich in die Deutsche Gesellschaft für<br />
Erziehungswissenschaft eintreten wolle. Dafür müsse man<br />
promoviert sein und die Unterstützung von zwei Mitgliedern<br />
nachweisen.<br />
Leicht überheblich lehnte ich das mit der Begründung<br />
ab, ich sei nicht an der Mitgliedschaft in einem solchen<br />
akademischen Elfenbeinturm interessiert. Aus England,<br />
wo ich zweimal mehrere Monate gearbeitet hatte, war ich<br />
es gewohnt, dass Wissenschaftler:innen und Lehrer:innen<br />
in Projekten und in Fachgesellschaften auf Augenhöhe<br />
zusammenarbeiteten. In Deutschland fand ich diese<br />
selbstverständliche Kooperation damals weder an der<br />
Universität noch in Verbänden – wohl aber im „Arbeitskreis<br />
Grundschule“, dem Vorläufer des heutigen Grundschulverbands.<br />
Zuerst begegnet bin ich dessen Aktivitäten in den Bänden<br />
1 bis 3 der Reihe „Beiträge zur Reform der Grundschule“,<br />
die nach dem ersten bundesweiten Grundschultag<br />
1969 viel Aufsehen erregten: Renommierte Wissenschaftler:innen<br />
und erfahrene Praktiker:innen hatten dort fachlich<br />
fundiert miteinander über inhaltliche Perspektiven für<br />
die Reform der Grundschule diskutiert. Horst Bartnitzky<br />
hat 2019 in seinem Rückblick auf die Geschichte des<br />
Grundschulverbands „Auf dem Weg zur kindergerechten<br />
Grundschule“ (Bd. 148/149 der „Beiträge“) gezeigt, wie<br />
aktuell viele der damals diskutierten Fragen und Reformansätze<br />
bis heute sind.<br />
Schon Mitte der 1970er-Jahre konnte ich selbst im<br />
Redaktionsteam der gerade etablierten Zeitschrift „Grundschule“,<br />
noch als Berufsanfänger, diesen produktiven<br />
Austausch zwischen erfahrenen Praktiker:innen wie Ute<br />
Andresen und Gerhard Sennlaub und Professoren wie Erwin<br />
Schwartz, Richard Meier und Dieter Haarmann erleben<br />
– der bis heute charakteristisch für die Arbeit des<br />
Grundschulverbands ist. Besonders beeindruckt hat mich<br />
dabei immer die wechselseitige Neugier auf die Sicht „der<br />
anderen Seite“ und der Respekt für ihre jeweils besondere<br />
Kompetenz und Erfahrung.<br />
So habe ich sofort spontan zugesagt, als ich vor über<br />
20 Jahren gefragt wurde, ob ich – erst informell als Mitarbeiter<br />
an der Broschüre „Zur Qualität der Leistung“ und<br />
dann für 17 Jahre als gewählter Fachreferent für Qualitätsentwicklung<br />
– dem Bundesvorstand zuarbeiten wolle. Fast<br />
fünfzigmal habe ich an den halbjährlichen Delegiertenversammlungen<br />
teilgenommen. Jedes Mal bin ich mit großer<br />
Vorfreude zu diesen Sitzungen gefahren – und jedes Mal<br />
mit anregenden Ideen, interessanten Aufträgen und neuen<br />
Fragen zurückgefahren. Für mich als Wissenschaftler war<br />
dieses Forum kluger und erfahrener Kolleg:innen ungemein<br />
wichtig als Praxistest, ob meine Gedanken, z. B. zur<br />
Öffnung des Unterrichts oder zum Schriftspracherwerb,<br />
in den Schulen anschlussfähig und ob sie unter Alltagsbedingungen<br />
auch tragfähig sind. Das gilt auch für die dritte<br />
Seite in diesem Netzwerk, die Verwaltung, vertreten vor<br />
allem durch die Grundschulreferent:innen der Kultusministerien,<br />
mit denen wir uns einmal pro Jahr zu einem<br />
eher bildungspolitischen Austausch getroffen haben. Darüber<br />
hinaus verdanke ich der Mitwirkung an Grundschultagen<br />
in den Bundesländern, der Mitarbeit in Arbeitsgruppen<br />
auf Bundesebene und in den Vorständen der<br />
Landesgruppen Baden-Württemberg und Bremen vielfältige<br />
persönliche und institutionelle Kontakte, die mir die<br />
Verbreitung meiner Ideen oft sehr erleichtert haben, ihre<br />
Entwicklung inhaltlich aber auch bis heute prägen. Und<br />
dass über den „Jungen GSV“ der Grundschulverband jetzt<br />
wieder zum Anregungsraum für engagierte Nachwuchs-<br />
Pädagog:innen wird wie für mich vor 50 Jahren, ist eine<br />
besondere Freude.<br />
2<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Maresi Lassek<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Potenzial für Persönlichkeitsbildung und Lebensweltbezug<br />
Kinder sind mehr als Schülerinnen und Schüler, sie haben elementaren Anspruch<br />
auf eine allseitige <strong>Bildung</strong>. Diese erschließt über musisch-ästhetische Erfahrungen<br />
Kreativität und Gestaltungsfreude, Selbstvertrauen und Weltwissen<br />
und fördert darüber hinaus Persönlichkeitsentwicklung und gesellschaftliche<br />
<strong>Bildung</strong>. Die Einschränkungen der vergangenen zwei Jahre haben in den Vordergrund<br />
gerückt, was schon vorher wichtig war und beim „Aufholen“ ebenso<br />
viel Aufmerksamkeit braucht wie die kognitiven Lernlücken: die emotionalen<br />
und sozialen Bedürfnisse der Kinder und die ästhetischen Lernbereiche.<br />
Welche Bedeutung die Kultusministerkonferenz<br />
KMK der<br />
musisch ästhetischen <strong>Bildung</strong><br />
seit jeher zumisst, hat sie 2015 in<br />
den Empfehlungen zur Arbeit in der<br />
Grundschule 1 gefestigt.<br />
„Musisch-ästhetische <strong>Bildung</strong> eröffnet<br />
den Kindern Raum und Zeit für spielerische,<br />
experimentelle und forschende<br />
Tätigkeit und fördert ihr sinnliches<br />
Wahrnehmungsvermögen. Die<br />
besonderen Ausdrucksleistungen<br />
von Musik, bildlicher Darstellung<br />
und Bewegung werden in fächerverbindenden<br />
und fachübergreifenden<br />
Vorhaben genutzt, um Verbindungen<br />
zwischen dem Lernen und der Erfahrungs-<br />
und Gefühlswelt der Kinder aufzubauen,<br />
zu stärken und zu vertiefen.<br />
Die Grundschule eröffnet allen Kindern<br />
durch Unterricht, Projekte und Schulleben<br />
ebenso wie durch außerschulische<br />
Angebote und Kooperationen mit<br />
externen Partnern und Institutionen<br />
Zugang zu kultureller <strong>Bildung</strong>.“ 2<br />
Fachbezogen stellt die KMK fest:<br />
● „Die bildnerische Entwicklung und<br />
die kindlichen Ausdrucksformen werden<br />
im Kunstunterricht aufgenommen.“<br />
Wahrnehmungsfähigkeit, Kreativität<br />
und Gestaltungswillen der Kinder<br />
werden unterstützt, für eigenständige<br />
und produktive Auseinandersetzung<br />
und Möglichkeiten der Mitentscheidung<br />
wird Raum gegeben. 3<br />
● Werken und Textiles Gestalten eröffnen<br />
die Möglichkeit, verschiedene Werkstoffe<br />
zu untersuchen und Erfahrungen<br />
bei der Verarbeitung zu sam meln. Das<br />
Erkunden und Erproben technischer<br />
Zusammenhänge hilft den Kindern, die<br />
umgebende, technisch geprägte Welt zu<br />
erfassen, zu verstehen und mit Bezug<br />
zu Alltagssituationen die persönliche<br />
Verantwortung zu erkennen. 4<br />
● „Kinder haben eine elementare Freude<br />
am Singen, Musizieren und Musikhören.<br />
Der Musikunterricht greift diese<br />
Bereitschaft auf und ermöglicht den<br />
Schülerinnen und Schülern vielfältige<br />
Formen des Musizierens, Bewegens und<br />
Tanzens, die ihre Ausdrucksmöglichkeiten<br />
und ihre musikalischen Kompetenzen<br />
erweitern.“ Soziokulturell unterschiedliche<br />
musikalische Erfahrungen<br />
werden einbezogen und über Begegnungen<br />
mit musikalischem Repertoire<br />
aus verschiedenen Kulturen erweitert. 5<br />
Der Grundschulverband führt zur<br />
Bedeutung des kulturellen Lernens<br />
in seinen Anforderungen an eine<br />
zukunftsfähige Grundschule aus:<br />
„Unterricht soll Kindern die Einsicht<br />
in die Zusammenhänge zwischen den<br />
einzelnen Lernbereichen und Lerngegenstanden<br />
ermöglichen. Er soll so weit<br />
und so oft wie möglich Fühlen, Denken,<br />
Forschen und Handeln sowie kreatives<br />
Gestalten in der Arbeit an lernbereichsübergreifenden<br />
Vorhaben miteinander<br />
verbinden und Bezüge zur Lebenswelt<br />
herstellen.“ 6<br />
„Dabei kommt dem praktischen,<br />
künstlerischen und kreativen Lernen<br />
und Gestalten gleiche Bedeutung<br />
zu wie der Auseinandersetzung mit<br />
der Welt über die Lektüre von literarischen<br />
und sachorientierten Texten<br />
oder die rationale Problembearbeitung<br />
in mathematischen, informatischen<br />
oder naturwissenschaftlichen Fragestellungen.<br />
Ohne diese vielfältigen<br />
Zugänge fehlen wichtige persönlichkeitsbildende<br />
Erfahrungen und Tätigkeiten.“<br />
7<br />
In seinen Forderungen an Politik, Pädagogik<br />
und Gesellschaft unterstreicht<br />
der Grundschulverband, dass Kinder<br />
ein allseitiges <strong>Bildung</strong>sangebot brauchen.<br />
8<br />
Zwar stehen in der öffentlichen Wahrnehmung<br />
der Deutsch- und Mathematikunterricht<br />
als grundlegend für den<br />
<strong>Bildung</strong>sprozess immer im Vordergrund,<br />
aber Sachunterricht, die musischästhetische<br />
<strong>Bildung</strong> und Soziales Lernen<br />
haben einen ebenso hohen Stellenwert<br />
für eine gelingende <strong>Bildung</strong>sentwicklung<br />
und die Einlösung des umfassenden <strong>Bildung</strong>sanspruchs<br />
von Kindern.<br />
Die Empfehlungen zur Arbeit in der<br />
Grundschule der Kultusministerkonferenz<br />
und die Positionen des Grundschulverbands<br />
bestärken sich in dieser<br />
Einschätzung. Sie legitimieren und ermutigen<br />
die Schulen, der kulturellen <strong>Bildung</strong><br />
mehr Raum zu geben.<br />
Anmerkungen<br />
1) Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule<br />
(Beschluss der KMK vom 02.07.1970<br />
i. d. F. vom 11.06.2015)<br />
2) Ebenda, 18<br />
3) Ebenda, 15<br />
4) Ebenda, 15<br />
5) Ebenda, 15<br />
6) Hecker u. a. (2020): Kinder Lernen<br />
Zukunft. Anforderungen und tragfähige<br />
Grundlagen, Beiträge zu Reform der Grundschule<br />
Band 150, Frankfurt a. Main, 18<br />
7) Ebenda, 18<br />
8) Hecker u. a. (2020): Kinder Lernen<br />
Zukunft. Über die Fächer hinaus: Prinzipien<br />
und Perspektiven, Beiträge zu Reform der<br />
Grundschule Band 151, Frankfurt a. Main,<br />
284 f.<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
3
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> in der Grundschule<br />
Den Kultur- und Lebensraum Schule neu gestalten<br />
Frühkindliche <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>, für die Lebensalter von Geburt bis ca. 12 Jahren,<br />
umfasst auch den Zeitraum der Grundschule. Diese wichtigen Entwicklungsjahre<br />
sind jedoch selten Bestandteil genauer Betrachtung, wenn es um<br />
Schule und ästhetisches Lernen geht. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> stellt weit mehr dar als<br />
die Inhalte der Fächer Musik und Bildende Kunst. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> gerade in<br />
den frühen Jahren ernst zu nehmen und als Schulkultur zu etablieren, heißt,<br />
Schule auch strukturell neu zu denken und zu gestalten.<br />
<strong>Bildung</strong>spolitisch stehen die Grundschulen<br />
vor zahlreichen Herausforderungen:<br />
Sie sollen einer<br />
immer heterogener werdenden Schülerschaft<br />
gerecht werden, <strong>Bildung</strong>sungleichheiten<br />
ausgleichen, Kinder optimal auf<br />
eine weiterführende Schule vorbereiten<br />
und zeitnah den Rechtsanspruch auf<br />
Ganztagesbildung umsetzen. <strong>Kulturelle</strong><br />
<strong>Bildung</strong> an der eigenen Schule weiterzuentwickeln<br />
stellt jedoch nur bedingt<br />
eine weitere Herausforderung dar, sondern<br />
kann für viele dieser gegenwärtigen<br />
und zukünftigen Aufgaben ein<br />
unterstützendes Konzept oder gar eine<br />
integrative Lösung darstellen.<br />
Im folgenden Beitrag werden zunächst<br />
der Begriff der <strong>Kulturelle</strong>n <strong>Bildung</strong><br />
und die Potenziale einer frühen ästhetischen<br />
<strong>Bildung</strong> allgemein beschrieben.<br />
Um diese Potenziale im Schulalltag<br />
für alle Kinder wirksam werden zu lassen,<br />
braucht es jedoch eine konsequente<br />
Gestaltung des Kulturraums Schule<br />
durch alle Lehrkräfte, durch Partner aus<br />
dem kulturellen, aber auch sozialen nonformalen<br />
Bereich, durch die Schülerinnen<br />
und Schüler sowie die Eltern.<br />
Was ist Frühkindliche<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>?<br />
Den Begriff „Frühkindliche <strong>Kulturelle</strong><br />
<strong>Bildung</strong>“ und seinen Bedeutungsumfang<br />
kann man angemessen erläutern, indem<br />
man sich die unterschiedlichen Bestandteile<br />
etwas genauer ansieht.<br />
Frühkindlich meint in diesem Zusammenhang,<br />
dass die ästhetische Wahrnehmung<br />
von sich selbst und der umgebenden<br />
Umwelt spätestens mit der Geburt<br />
beginnt. Die sensomotorische Entwicklung<br />
des Säuglings läuft von Anfang an.<br />
„Wenn man davon ausgeht, dass Kinder<br />
vom ersten Augenblick ihres extrauterinen<br />
Lebens an Erfahrungen machen,<br />
speichern und bewerten, dann sind die<br />
sensorischen, motorischen und emotionalen<br />
Prozesse die Grundlage dafür,<br />
wie Welt wahrgenommen und gedacht<br />
wird“ (Schäfer 2019, 23). „Die erste <strong>Bildung</strong>saufgabe<br />
besteht also in der Differenzierung<br />
und <strong>Bildung</strong> der sensorischen<br />
Möglichkeiten; dies jedoch nicht<br />
als sensorisches Training, sondern als<br />
eine Strukturierung der wahrgenommenen<br />
Welt mit sinnlichen Mitteln“ (ebd.).<br />
In den ersten sechs Lebensjahren steht<br />
das sensorische, motorische, sprachliche<br />
und ordnende Lernen im Mittelpunkt,<br />
das durch ein ästhetisches Lernen,<br />
verstanden als Ordnung der sinnlichen<br />
Wahrnehmung und sinnlichen Erkenntnisse,<br />
geprägt ist. Man kann daher<br />
ästhetische <strong>Bildung</strong> als Grundkategorie<br />
früher <strong>Bildung</strong> (Reinwand 2013) begreifen.<br />
Frühes Lernen ist immer auch ästhetisch.<br />
Das Lebensalter von 6 bis 12 Jahren<br />
ist dann zwar deutlicher geprägt durch<br />
sprachlich-kognitive Lernprozesse und<br />
die Entwicklung des Abstraktionsvermögens,<br />
allerdings spielen auch hier pädagogische<br />
Arrangements, die ästhetische<br />
Grundprinzipien widerspiegeln, eine<br />
große Rolle wie „Sammeln und Vergleichen;<br />
Zeichnen und Modellieren; Arrangieren<br />
und Ordnen; Spielen und Gestalten;<br />
Erzählen und Rollenspiel; Wahrnehmen<br />
und Darstellen; Phantasieren und<br />
Träumen; Gestalten und Konstruieren;<br />
Staunen und Beobachten; Singen und<br />
Tanzen“ (Neuß/Kaiser 2019, 19 f.).<br />
„<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>“ geht zwar von<br />
einem weiten Kulturbegriff aus, der<br />
auch unterschiedliche soziale und kulturell<br />
vermittelte Lebensweisen in den<br />
Blick nimmt, verweist aber im engeren<br />
Begriffsverständnis auf die Künste und<br />
meint im Folgenden Praxen wie Musik<br />
machen, Lesen, Zeichnen und Malen,<br />
Tanzen, Spielen, aber auch den Umgang<br />
mit Architektur, Zirkus und Akrobatik<br />
oder digitalen Medien. Es geht weniger<br />
um die Künste in ihren professionellen<br />
Ausprägungen, um Kunstwerke und ihre<br />
Rezeption oder gar die frühe Vorbereitung<br />
auf eine künstlerische Laufbahn,<br />
sondern um ästhetische Praktiken, wie<br />
sie uns zahlreich im Alltag und in einem<br />
reichen pädagogischen Raum begegnen.<br />
Allerdings ist die spezifische Qualität,<br />
in der diese ästhetischen Praktiken angeboten<br />
werden, dabei nicht irrelevant.<br />
Einen limitierten Rahmen der Mimesis,<br />
der Nachahmung vorzugeben, was häufig<br />
in Gestaltungsprozessen in formalen<br />
Einrichtungen passiert – die Lehrkraft<br />
macht etwas vor, die Schüler_innen<br />
machen das so oder ähnlich nach –,<br />
ist zu wenig. Ästhetische Wahrnehmung<br />
und ästhetisches Gestalten können sich<br />
erst vollständig in einem Freiraum entwickeln,<br />
in dem eigene Schwerpunkte<br />
und Selbstwirksamkeitsprozesse möglich<br />
sind, Routinen durchbrochen werden,<br />
Wahrnehmung geschärft wird. In<br />
der Grundschule kann das bedeuten,<br />
andere Materialien zu verwenden, neue<br />
Gruppenkonstellationen herauszufordern,<br />
mehr Verantwortung und weniger<br />
Anleitung zu geben, einen Perspektivwechsel<br />
durch neue Räume vorzunehmen.<br />
Diese Selbst- und Weltwahrnehmungsprozesse<br />
anzuregen braucht daher<br />
pädagogischen, aber auch ästhetischen<br />
Sachverstand. Ästhetische und kulturelle<br />
<strong>Bildung</strong> sind dabei spartenübergreifend<br />
und auch im Dazwischen der Künste<br />
anzuwenden. So ist gerade in der frühen<br />
Kindheit kaum zu trennen zwischen<br />
beispielsweise Malen, Singen oder Tanzen<br />
– ein Thema kann und sollte durch<br />
verschiedene Ausdrucksweisen erforscht<br />
und bearbeitet werden.<br />
Der Fokus der Frühkindlichen <strong>Kulturelle</strong>n<br />
<strong>Bildung</strong> liegt auf <strong>Bildung</strong>sprozessen,<br />
die im Vergleich zu zum Beispiel<br />
4 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
zielorientierten Lernprozessen stärker<br />
die Eigentätigkeit und Unabgeschlossenheit<br />
einer aktiven Auseinandersetzung<br />
mit dem Selbst und mit der (Um-)Welt<br />
betonen. So ist <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> nicht<br />
auf die Phasen der Kindheit beschränkt,<br />
sondern sollte im besten Fall als eine andere<br />
Form der Reflexion und Weltwahrnehmung<br />
fester Bestandteil des ganzen<br />
Lebens sein, und auch Erwachsene profitieren<br />
davon, ihre Wahrnehmungs- und<br />
Ausdruckskraft immer wieder systematisch<br />
zu erweitern und durch Ungewohntes<br />
herauszufordern. Gerade für formale<br />
Einrichtungen wie Schulen stellt dieses<br />
<strong>Bildung</strong>sverständnis angesichts von leistungsorientierten<br />
Lernzielen und Kompetenzkatalogen<br />
oftmals jedoch eine Herausforderung<br />
dar. Ästhetische <strong>Bildung</strong><br />
fokussiert zunächst den gegenwärtigen<br />
Moment und unterliegt anderen Kriterien<br />
und Zeitlichkeiten als methodisch-systematische<br />
Erkenntnisprozesse. Erwartungen<br />
und Abläufe werden durchkreuzt,<br />
überraschende Momente ändern alles,<br />
der eigene innere Rhythmus, nicht ein<br />
Außen gibt den Takt vor. „In der Ausbildung<br />
von Rhythmen kultivieren Kinder<br />
den Leib als Organ für Erfahrungen, sie<br />
ordnen die Wahrnehmungen und Handlungen<br />
in der Zeit. Rhythmen als strukturierte<br />
Verläufe von Wiederholung, Gruppierung<br />
und Akzentuierung erzeugen<br />
Dispositionen für eine Kultivierung des<br />
Lernens“ (Duncker 2019, 49). Das heißt,<br />
dass Kinder über das Sich-Ausprobieren<br />
und systematische Frei-Räume lernen,<br />
eine eigene Lernkultur und Neugierde zu<br />
entwickeln, was die Lernmotivation und<br />
auch den Teilhabewillen stärkt.<br />
Frühkindliche <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> bezieht<br />
sich also nicht nur auf eine bestimmte<br />
Lebensspanne in der Kindheit,<br />
sondern beinhaltet – wie hier nur angedeutet<br />
werden konnte – ein besonderes<br />
Verständnis von <strong>Bildung</strong>sprozessen<br />
mit und durch ästhetische Praktiken,<br />
das durchaus auch in Konflikt und<br />
Widersprüche zu schulischen Praktiken<br />
geraten kann. Gelingt es jedoch, Räume<br />
und Zeiten für ästhetisches Handeln<br />
im Grundschulalltag bewusst zu integrieren,<br />
kann dies zu einer besonderen<br />
Kultivierung des frühen Lernens führen,<br />
das selbsttätige <strong>Bildung</strong>sprozesse<br />
grundlegt und die eigene Darstellungsund<br />
Ausdrucksfähigkeit fördert.<br />
Wie geht Frühkindliche <strong>Kulturelle</strong><br />
<strong>Bildung</strong> in formalen Kontexten?<br />
Während in den Kindertagesstätten ein<br />
<strong>Bildung</strong>splan von den Ländern vorgegeben<br />
wird und damit ein Rahmen,<br />
aber auch vielfältige Möglichkeiten<br />
vorherrschen, das pädagogische Profil<br />
einer Einrichtung zu gestalten, findet<br />
in den stärker an konkreten Lehrplänen<br />
orientierten Grundschulen das<br />
ästhetische Lernen meist seinen Ausgangspunkt<br />
in Fächern wie Musik und<br />
Bildende Kunst oder in Projekten und<br />
Projektwochen. Frühkindliche <strong>Kulturelle</strong><br />
<strong>Bildung</strong> entfaltet jedoch erst ihr ganzes<br />
Potenzial, wenn sie fester Bestandteil<br />
aller Fächer und damit der Gestaltung<br />
des Grundschulalltags wird. Folgende<br />
Fragen können Startpunkt sein, wenn<br />
eine Schule eine ästhetische Lernkultur<br />
entwickeln will: Wie wollen wir unseren<br />
„Es geht weniger um die Künste in ihren professionellen<br />
Ausprägungen […], sondern um ästhetische Praktiken,<br />
wie sie uns zahlreich im Alltag und in einem reichen<br />
pädagogischen Raum begegnen.“<br />
gemeinsamen Alltag gestalten? Welche<br />
Rituale und Rhythmen liegen unserem<br />
Alltag zugrunde? Wie ermöglichen wir<br />
ein Lernen mit allen Sinnen? Wie binden<br />
wir die Gestaltungs- und Teilhabekraft<br />
aller Schülerinnen und Schüler,<br />
aber auch die vielfältigen Kompetenzen<br />
aller Lehrkräfte und Eltern für unseren<br />
Alltag gewinnbringend ein? Wie verleihen<br />
wir unserer spezifischen Kultur<br />
Ausdruck? Wann und wie zeigen wir<br />
uns einer Teilöffentlichkeit? Wie schenken<br />
wir gegenseitige Anerkennung und<br />
Wertschätzung? Wie gehen wir optimal<br />
auf die Heterogenität unserer Schülerschaft<br />
ein, ohne – ungewollte und oft<br />
unbewusste – Ausschlüsse zu produzieren?<br />
Wie binden wir digitale Medien<br />
nicht nur konsumierend und als Lerntool<br />
ein, sondern wie ermöglichen<br />
wir einen kreativen und reflektierten<br />
Umgang damit? Wie werden wir als<br />
Dr. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss<br />
Direktorin der Bundesakademie für<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> Wolfenbüttel und<br />
Professorin für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> an<br />
der Universität Hildesheim. Sie ist<br />
in zahlreichen Gremien und Jurys<br />
<strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> aktiv, so ist sie z. B.<br />
Gründungsmitglied des bundesweiten<br />
Netzwerkes Forschung <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
und im Rat für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>.<br />
Schule nachhaltiger? Welcher Anteil an<br />
der Gestaltung unserer Kommune oder<br />
unserer Region kommt uns zu?<br />
Diese und ähnliche Fragen können<br />
dabei unterstützen, eine spezifische<br />
Schulkultur zu entwickeln und herauszubilden<br />
und dabei kulturelle <strong>Bildung</strong><br />
als selbstverständlichen Teil des<br />
Unterrichts in jedem Fachkontext zu leben.<br />
Dies erfordert, wenn man es ernst<br />
meint, ganz automatisch die Reflexion<br />
gewohnter Praktiken, die eventuell neuen<br />
Rhythmen und Gestaltungsideen entgegenstehen<br />
können. Wie bewerten wir?<br />
Wie organisieren wir unsere Lernzeiten?<br />
Wie frei sind die Kinder in ihren Lernprozessen?<br />
Wie verbinden wir unterschiedliche<br />
Fächer und Lernziele?<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> auf einem hohen<br />
Niveau zu pflegen, erfordert meist<br />
zwangsläufig die Fort- und Weiterbildung<br />
von Schulleitung und Lehrkräften,<br />
aber auch die Erkenntnis, dass man diese<br />
Schritte nicht alleine gehen muss. In<br />
einer Kommune, in unmittelbarer Schulnähe<br />
existieren immer unterschiedlichste<br />
Partner, die eingebunden werden können<br />
und eine Schulkultur mit prägen: sei<br />
dies eine Kulturinstitution, eine einzelne<br />
Künstlerin bzw. ein einzelner Künstler,<br />
eine weitere <strong>Bildung</strong>seinrichtung, Vereine<br />
oder soziale Träger bis hin zu kommunalen<br />
Einrichtungen wie Feuerwehr<br />
oder Polizei. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> als ein<br />
fächerübergreifendes Prinzip in Schule<br />
zu etablieren, heißt auch, Grundschule<br />
als Mittelpunkt eines ländlichen<br />
oder städtischen Lebensumfeldes der<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
5
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Kinder und ihrer Eltern zu entwickeln.<br />
Die Eltern als die bestimmende Determinante<br />
für ungleiche <strong>Bildung</strong>schancen<br />
( El-Mafaalani 2020) in diese Prozesse<br />
aktiv mit einzubinden, ist dabei genauso<br />
wichtig wie der enge und offene Austausch<br />
mit allen Partnern, die in Schule<br />
tätig werden.<br />
Diese Kooperationsleistungen erfordern<br />
zunächst zusätzliche Ressourcen<br />
zum Aufbau und zur Pflege dieses Netzwerkes.<br />
Wenn es jedoch gelingt, ein tragfähiges<br />
Netz an Beteiligten und Akteuren<br />
an die Schule zu binden, bedeutet dies<br />
langfristig eine Entlastung der Strukturen<br />
und damit auch einzelner Lehrkräfte.<br />
Eine ästhetische, d. h. mit <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong><br />
durchzogene Schulkultur trägt<br />
schnell Früchte, indem durch die aktive<br />
und motivierte Mitwirkung vieler Beteiligter<br />
das System immer neue Impulse<br />
und Möglichkeiten hervorbringt und<br />
sich quasi selbst weiterentwickelt. Verschiedene<br />
Querschnittsthemen wie Diversität,<br />
Digitalität, Nachhaltigkeit oder<br />
aktuelle Themen wie Krieg, Pandemie<br />
oder Tod finden in ästhetischen Praktiken<br />
viel leichter und zugänglicher Ausdruck<br />
und damit eine Bewältigungsstrategie<br />
für Schüler_innen und Lehrkräfte.<br />
Worin liegen die Potenziale<br />
Frühkindlicher <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong>?<br />
Die Potenziale (Frühkindlicher) <strong>Kulturelle</strong>r<br />
<strong>Bildung</strong> können kaum in einem<br />
Satz genannt werden. Zu abhängig sind<br />
die Wirkungen ästhetischer Praktiken<br />
von der jeweiligen Sparte, dem Individuum<br />
oder Umfeld, auf das sie wirken,<br />
oder auch der ästhetischen und<br />
pädagogischen (Prozess-)Qualität, in<br />
der sie angeboten werden. Bedeutsam<br />
ist jedoch, dass Kinder schon früh sehr<br />
unterschiedliche Künste und ästhetische<br />
Praktiken sowohl in ihrer Rezeption, d. h.<br />
Musik hören, Theater sehen oder Bilder<br />
besprechen, als auch in der Produktion,<br />
d. h. im Selbsttätigsein, erfahren. Nur so<br />
lernen sie verschiedene „Sprachen“ und<br />
Formen zu „lesen“ und sich und ihre<br />
Erkenntnisse auszudrücken. Auch das<br />
konkrete Alter ist zu beachten, wenn es<br />
um das „wie“ und mögliche Potenziale<br />
des ästhetischen Arbeitens geht.<br />
Am Beispiel des Umgangs mit digitalen<br />
Medien wird dies deutlich: Kein<br />
Kind kommt, wenn es das Grundschulalter<br />
erreicht hat, in seinem (familiären)<br />
Alltag an digitalen Medien vorbei. Es<br />
geht jedoch in der <strong>Kulturelle</strong>n <strong>Bildung</strong><br />
nicht darum, unhinterfragt Medienangebote<br />
zu konsumieren, sondern diese<br />
einzubetten in die Erfahrungswelten<br />
der Kinder. Was habe ich da gesehen?<br />
Was habe ich erfahren? Wie kann ich das<br />
Erfahrene selbst verarbeiten und meine<br />
eigene Rezeption widerspiegeln? Im<br />
kreativen Umgang mit digitalen Medien<br />
Kinder in ihren Gestaltungs- und Ausdrucksfähigkeiten<br />
ernst zu nehmen, bedeutet also,<br />
Teilhabe und „Teilgabe“ aktiv zu ermöglichen.<br />
lernen Kinder, ihren Medienkonsum zu<br />
reflektieren, Qualitätsunterschiede einzuschätzen,<br />
und machen die Erfahrung,<br />
dass sie selbst in der Lage sind, Medienangebote<br />
zu erstellen und zu verändern.<br />
Wirklichkeiten vorzutäuschen, Realität<br />
zu verfremden wird dekonstruiert. Filmemacher_innen<br />
in Schulen einzuladen,<br />
Kooperationen mit Medienbüros<br />
einzugehen oder auch Videoerstellung<br />
als ein Ausdrucksmittel zu nutzen, kann<br />
viele Unterrichtsthemen um eine weitere<br />
Dimension reicher machen. Kinder in<br />
ihren Gestaltungs- und Ausdrucksfähigkeiten<br />
ernst zu nehmen, bedeutet also,<br />
Teilhabe und „Teilgabe“ aktiv zu ermöglichen.<br />
Die Mitgestaltung von Schulgebäuden<br />
und damit Lernräumen auch<br />
ganz physisch zu begreifen, praktische<br />
Architekturerfahrung und nicht nur<br />
Dekorationserfahrung zu ermöglichen,<br />
könnte auch ganz nebenbei viele Schulräume<br />
lernadäquater entwickeln. Hierzu<br />
kann eine Kooperation mit Architekt_<br />
innen, die es gewohnt sind, mit Kindern<br />
zu arbeiten, hilfreich sein.<br />
Medien und Architektur sind nur zwei<br />
Beispiele, wie künstlerisches und kulturelles<br />
Lernen in den Lernalltag der Schule<br />
Eingang finden kann. Vor allem durch<br />
den Einbezug kultureller Fachkräfte können<br />
pädagogische und ästhetische Grundprinzipien<br />
<strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> (z. B. Interessen-<br />
und Stärkenorientierung, Selbstwirksamkeitserfahrung,<br />
Anerkennung<br />
oder Ambiguität, Bezug zur Leiblichkeit,<br />
Enthusiasmus) (vgl. Braun/Schorn<br />
2012, 131 ff. und Rat für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
2014, 44 f.) verwirklichbar werden,<br />
die das spezifische Potenzial und damit<br />
die Qualität <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> ausmachen<br />
(vgl. ergänzend den folgenden Beitrag<br />
von Stiller).<br />
Fazit: Was muss nun konkret bei<br />
der Gestaltung eines kulturellen<br />
Lernraums beachtet werden?<br />
Wie gelingt nun die Gestaltung eines<br />
kulturellen Lernraums Grundschule?<br />
Ein paar wichtige Grundsätze sind zu<br />
beachten, wenn <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> als<br />
Querschnittsaufgabe in Schulen verankert<br />
werden soll und sich dadurch<br />
die Möglichkeit ergibt, auch drängende<br />
bildungspolitische Themen wie Ganztag,<br />
Diversität/Inklusion oder <strong>Bildung</strong>sungerechtigkeiten<br />
grundsätzlicher anzugehen<br />
und zu bearbeiten:<br />
1. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> ist paradox: sie<br />
wirkt nur, wenn sie zweckfrei betrieben<br />
wird. Das heißt, <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> lässt<br />
sich nicht in ein schulisches Bewertungsschema<br />
pressen und ähnlich wie<br />
ein Fach abhandeln. Wenn sie nur im<br />
Schielen auf außerhalb der Künste liegende<br />
Kompetenzen betrieben wird,<br />
verliert sie ihre Stärke.<br />
2. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> ist kein Add-on.<br />
Ästhetische Praktiken in der (Grund-)<br />
Schule einzusetzen bedeutet, eine spezifische<br />
Lernkultur herauszubilden und<br />
zu kultivieren und alle Fächer mit ästhetischen<br />
Praktiken zu durchziehen.<br />
3. Für <strong>Kulturelle</strong> Schulentwicklung<br />
gibt es keine Schablone. Jede Schule<br />
muss ihren eigenen Weg finden im<br />
regionalen oder kommunalen Netzwerk,<br />
in dem sie sich befindet. Es gibt allerdings<br />
zahlreiche Schulen in der Republik,<br />
die sich schon auf den „kulturellen<br />
Weg“ gemacht haben, sodass der Austausch<br />
untereinander sehr wertvoll sein<br />
kann.<br />
4. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> in Schule systematisch<br />
zu entwickeln, braucht einen<br />
langen Atem und die Einbeziehung<br />
und Zusammenarbeit unterschiedlichster<br />
Akteure. Schulleitungen, das<br />
ganze oder zumindest die Mehrheit<br />
des Lehrerkollegiums, Kultur- und<br />
andere Partner aus dem Umfeld, die<br />
Einbindung von Eltern und die Stärkung<br />
der Gestaltungsfähigkeit der<br />
6 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Schüler_innen – alle sind Teil einer<br />
spezifischen Schulkultur und sollten<br />
sich einbringen.<br />
5. Der Ganztag darf keine Ausrede sein,<br />
sondern ist eine Chance! <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
als Lückenbüßer und Kulturpartner<br />
als Betreuungshilfe am Nachmittag einzusetzen,<br />
verkennt das große Potenzial<br />
Literatur<br />
Braun, T./ Schorn, B. (2012): Ästhetisch-kulturelles<br />
Lernen und kulturpädagogische<br />
<strong>Bildung</strong>spraxis. In: H. Bockhorst/ V.-I.<br />
Reinwand/ W. Zacharias (Hrsg.) (2012):<br />
Handbuch <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>. kopaed:<br />
München, 128–134.<br />
Duncker, L. (2019): Die Bedeutung ästhetischen<br />
Lernens für eine Theorie der Kindheit<br />
– pädagogisch-anthropologische und<br />
sozialwissenschaftliche Begründungszusammenhänge.<br />
In: Neuß, N./Kaiser, L. S. (Hrsg.)<br />
(2019): Ästhetisches Lernen in Vor- und<br />
kultureller Schulentwicklung. Der Ganztagesschulausbau,<br />
der insbesondere die<br />
Grundschulen in den nächsten Jahren<br />
fordern wird, stellt die <strong>Bildung</strong>seinrichtungen<br />
vor die Aufgabe, ihre Rhythmen<br />
und Schwerpunkte neu zu setzen.<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> sollte nicht als zusätzliche<br />
Aufgabe angesehen werden, die<br />
Grundschule. Stuttgart: Kohlhammer, 39–53.<br />
El-Mafaalani, Aladin (2020): Mythos<br />
<strong>Bildung</strong>: Die ungerechte Gesellschaft, ihr<br />
<strong>Bildung</strong>ssystem und seine Zukunft. Kiepenheuer<br />
& Witsch: Köln.<br />
Neuß, N./Kaiser, L. S. (Hrsg.) (2019): Ästhetische<br />
Erfahrung als Grundkategorie frühkindlicher<br />
<strong>Bildung</strong>. In: Neuß, N./Kaiser, L. S.<br />
(Hrsg.) (2019): Ästhetisches Lernen in Vorund<br />
Grundschule. Stuttgart: Kohlhammer,<br />
13–22.<br />
Rat für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> (2014): Schön, dass<br />
ihr da seid. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>: Teilhabe und<br />
Schulen und Lehrkräfte neben zahlreichen<br />
weiteren auch noch zu bewältigen hat. Sie<br />
ist vielmehr Unterstützung und Wegweiser<br />
in Richtung einer modernen und vielfältigen<br />
Schulkultur, die mit etwas Geduld<br />
das gemeinsame tägliche Zusammensein<br />
als fruchtbaren Lern- und Entwicklungsort<br />
für alle hervorbringt.<br />
Zugänge. Rat für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>: Essen.<br />
Reinwand, V.-I. (2013): Ästhetische <strong>Bildung</strong><br />
– Eine Grundkategorie frühkindlicher<br />
<strong>Bildung</strong>. In: M. Stamm/ D. Edelmann<br />
(Hrsg.): Handbuch frühkindliche <strong>Bildung</strong>sforschung.<br />
Wiesbaden: Springer VS, 573–585.<br />
Schäfer, G. (2019): Bedeutung der Ästhetik<br />
für kindliche <strong>Bildung</strong>sprozesse. In: Neuß, N./<br />
Kaiser, L. S. (Hrsg.) (2019): Ästhetisches<br />
Lernen in Vor- und Grundschule. Stuttgart:<br />
Kohlhammer, 23–38.<br />
Barbara Stiller<br />
Lernen in den Künsten<br />
anschlussfähig gestalten<br />
Zur Unterstützung kindlicher <strong>Bildung</strong>s-, Lern- und Arbeitsprozesse<br />
in institutionellen Kontexten der Ästhetischen <strong>Bildung</strong><br />
Je früher Kinder ihre Sinne beim Musizieren, beim visuellen Gestalten sowie<br />
in darstellenden Spielen koordiniert einzusetzen wissen, desto intensiver lernen<br />
sie zu empfinden, zu denken, Erfahrungen zu sammeln und Hypothesen über<br />
die sie umgebende Welt aufzustellen. Ab dem Besuch einer Krippe geht es darum,<br />
die Kinder durch künstlerisch motivierte Impulse aus Bereichen der Musik,<br />
der visuellen und darstellenden Künste in der Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu<br />
selbstständigem Handeln und kreativem Können zu unterstützen.<br />
Besondere Interessen der Kinder<br />
heißt es aufzugreifen und ihnen<br />
handwerkliche Techniken zum<br />
Handhaben von Mal- und Bauutensilien,<br />
Musikinstrumenten, Verkleidungsgegenständen<br />
etc. nahezulegen.<br />
Somit erwerben viele Kinder<br />
bereits ein erstes ‚künstlerisches Handwerkszeug‘,<br />
das ihnen Sicherheit für<br />
einen anschlussfähigen Übergang von<br />
der Krippe in die Kita bereiten kann. Je<br />
größer ihr Anregungshorizont, desto<br />
selbstverständlicher, ‚virtuoser‘ und<br />
multidisziplinärer können sie zwischen<br />
den Kunstbereichen agieren. Ein solch<br />
crossmediales Handeln in den Künsten<br />
bildet ein anschlussfähiges Fundament<br />
für die in Grundschulen weitestgehend<br />
übliche disziplinäre Fachlichkeit in den<br />
Fächern Musik, Bildende Kunst, Darstellendes<br />
Spiel o. Ä.<br />
Anschlussfähigkeit in den<br />
Künsten aus der Perspektive<br />
der kooperierenden<br />
pädagogischen Fachkräfte<br />
Besondere Anstrengungen nehmen<br />
nicht nur Kinder eher auf sich, wenn<br />
die Kontexte für sie relevant sind. Wie<br />
für sie Aneignungsprozesse auf spielanregende<br />
Weise durch Phantasie<br />
erweckende Tätigkeiten stattfinden<br />
müssen, so sollte kooperatives Arbeiten<br />
auch für die pädagogischen Fachkräfte<br />
zu einem kreativen Mehrwert führen.<br />
In institutionenübergreifenden Teams<br />
kann ein Austausch über gemeinsam<br />
gemachte Beobachtungen empfehlenswert<br />
sein, um die Gestaltungsansätze der<br />
Kinder mit dem Blick auf ‚durchlässige<br />
Anschlussfähigkeit‘ zu verstehen und so<br />
passgenau wie möglich zu unterstützen:<br />
● Warum bauen, malen, musizieren,<br />
konstruieren, sammeln, sortieren oder<br />
spielen Kinder in welchem Alter mit gegebenem<br />
oder frei wählbarem Material,<br />
warum stellen sie etwas szenisch dar?<br />
● Aus welchen Anlässen heraus gestalten<br />
sie intrinsisch motiviert ästhetische<br />
Situationen?<br />
● Auf welche Vorbilder, Symbole und<br />
‚Sprachen‘ greifen sie dabei zurück?<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
7
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
● Welche Ideen und Deutungen haben<br />
sie selbst für ihre Werke und Spielhandlungen?<br />
● In welcher Situation suchen sie den<br />
Austausch mit Erwachsenen? Was motiviert<br />
sie, bestimmte Erwachsene in<br />
ihre Gestaltungsprozesse zu involvieren<br />
und diese als für sie bedeutsame<br />
Expertin oder Experten heranzuziehen<br />
(und andere nicht)?<br />
● Welche unterstützenden Anregungen<br />
durch Erwachsene greifen sie freiwillig<br />
auf, welche nicht?<br />
Anschlussfähige Fertigkeiten,<br />
Fähigkeiten und Kompetenzen<br />
der Ästhetischen <strong>Bildung</strong> als<br />
gemeinsame Schnittmenge<br />
von Kita und Schule<br />
Im Folgenden wird anhand einiger<br />
exemplarisch gewählter Beispiele aus<br />
den Bereichen der Musik, der visuellen<br />
und darstellenden Künste beschrieben,<br />
über welche Fähig- und Fertigkeiten<br />
Kinder nach ihrer ästhetischen<br />
Spurensuche als Sicherheit bietende<br />
Ressource beim Eintritt in die Schule<br />
verfügen. Die Fähigkeits-Kategorien<br />
orientieren sich an Aspekten, welche<br />
bildungswissenschaftlich allgemein<br />
als bedeutsam für eine gelingende<br />
Anschlussfähigkeit für den Übergang<br />
von der Kita in die Schule angenommen<br />
werden (z. B. Sauerhering/Solzbacher<br />
2013, 8–9).<br />
Fachspezifische Fähigkeiten: Die Kinder<br />
verfügen mit dem Schuleintritt über<br />
produktive Fähigkeiten in Form kreativen<br />
Handelns durch sinnlich-körperliche<br />
und spielerische Aktivitäten und<br />
Primärerfahrungen. Künstlerische Verfahren<br />
haben sie aus Alltagshandlungen<br />
heraus als Prozesse des Experimentierens,<br />
Explorierens, Improvisierens,<br />
Konstruierens, Reduzierens, Präsentierens,<br />
Reproduzierens, Ausstellens,<br />
Dokumentierens, Sich-Positionierens<br />
etc. erlebt.<br />
Sozial-emotionale Fähigkeiten: Durch<br />
künstlerisches Handeln, musikalisches<br />
Zusammenspiel, rhythmisches<br />
und gestalterisches Empfinden, Miteinander-Improvisieren,<br />
Aufeinander-<br />
Hören etc. haben die Kinder ihre sozialen<br />
Kompetenzen des Kommunizierens<br />
und Interagierens gestärkt. Dadurch<br />
sind sie imstande, hervorgerufene<br />
Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken.<br />
Sofern gewünscht, können sie<br />
dabei mit anderen zusammenarbeiten,<br />
Regeln verabreden und einhalten.<br />
Momente des Staunens können sie als<br />
Agierende und Zuschauende genießen,<br />
Vielfalt als Bereicherung erleben und<br />
eigene Meinungen zu den Werken<br />
anderer wertschätzend formulieren.<br />
Sprachliche/stimmliche Fähigkeiten:<br />
Künstlerische Handlungen bieten den<br />
Kindern kontinuierlich Sprech- und<br />
Singanlässe, bei denen sie ihre Emotionen<br />
mit Fantasie- und Nonsenssprache<br />
sowie nonverbalen Kommunikationsformen<br />
verknüpfen.<br />
Motorische Fähigkeiten: Die Kinder<br />
können ihren Körper als Ausdrucksmittel<br />
einsetzen, indem sie ihre Wahrnehmungen<br />
mit Bewegungen verknüpfen<br />
und musikalische, sprachliche<br />
oder bildnerische Impulse in<br />
Bewegungsgestaltungen und Szenen<br />
umsetzen. Zahlreiche Malgeräte und<br />
Musikinstrumente wissen sie handzuhaben.<br />
Kognitive Fähigkeiten: Die Kinder<br />
können über Gesehenes und Gespieltes<br />
nachdenken und sich anschließend<br />
über ihre Eindrücke austauschen. Dafür<br />
sehen und hören sie bewusst zu, deuten<br />
Zeichen und Symbole in spielgeleiteten<br />
Kontexten und finden Lösungsansätze<br />
zur Umsetzung ihrer eigenen Ideen in<br />
Darstellungen, Improvisationen, Bildern,<br />
Portfolios o. Ä.<br />
Lernfreude/Lernbereitschaft: Die Kinder<br />
sind leistungsbereit und erleben ihr<br />
künstlerisches Agieren als Freude,<br />
sofern sie ihre individuellen Interessen,<br />
Die Beispiele zu den Fähig- und Fertigkeiten auf dieser Seite<br />
sind dem <strong>Bildung</strong>splan ‚Lernen in Bremen. <strong>Bildung</strong>skonzeption Ästhetische <strong>Bildung</strong><br />
für den <strong>Bildung</strong>splan 0–10’entnommen, der eine durchlässige institutionelle <strong>Bildung</strong><br />
ab dem Krippenalter vorsieht und die <strong>Bildung</strong>sbereiche Musik, Visuelle Künste und<br />
Darstellende Künste in einem Dokument zusammenfasst (Die Senatorin für Kinder und<br />
<strong>Bildung</strong> Bremen 2022). Sie bauen auf produktiven, rezeptiven und reflexiven Aktivitäten<br />
auf, welche in unterschiedlicher Gewichtung in allen drei Kunst-Bereichen für einen<br />
stabilen Aufbau künstlerischer Kompetenzen als kreative Ressourcen relevant sind.<br />
Dr. Barbara Stiller<br />
Professorin für Instrumentalpädagogik,<br />
Elementare Musikpädagogik und<br />
Musikvermittlung an der Hochschule<br />
für Künste Bremen: www.hfk-bremen.<br />
de/en/profiles/n/barbara-stiller<br />
Ausdrucksbedürfnisse, Ideen und Vorstellungen<br />
hinreichend einbringen dürfen.<br />
Disziplin: Die Kinder sind imstande,<br />
Geduld aufzubringen und abzuwarten,<br />
sobald sie die Betrachtungen und Meinungen<br />
der anderen in Bezug auf ihre<br />
eigenen Werke als Bereicherung empfinden.<br />
Diese akzeptieren zu lernen,<br />
erfordert Übung, bereitet ihnen mitunter<br />
aber regelrecht Freude.<br />
Kommunikative Reflexionsfähigkeiten:<br />
Diese setzen vielfach sprachliche<br />
Kompetenzen über das Gelingen<br />
von künstlerischen (Gruppen-)Prozessen<br />
voraus und können von Kindern,<br />
die alltags- und fachsprachlich<br />
noch nicht hinreichend versiert sind,<br />
zuweilen unmittelbarer in Bildern,<br />
Improvisationen, Darstellungen o. Ä.<br />
zum Ausdruck gebracht werden.<br />
Selbstbewusstsein: Die Kinder sind<br />
es ab dem Eintritt in die Kita gewohnt,<br />
eigene Arbeiten oder Gruppenergebnisse<br />
zu präsentieren. Dabei erleben sie den<br />
Austausch darüber als Zugang zu sich<br />
selbst und ggf. auch zu Sujets, die ihnen<br />
eine Welterfahrung durch Kunst(werke)<br />
zu Nachhaltigkeitsthemen wie Natur,<br />
Konsum, Gesundheit etc. ermöglichen.<br />
Lernen lernen: Üben im Sinne<br />
variantenreicher Wiederholungen ist<br />
für künstlerische Aktivitäten essenziell.<br />
Die Kinder üben, indem sie aus<br />
gemachten Erfahrungen schöpfen und<br />
eigene Lösungen zum Anlass für eine<br />
abwechslungsreiche Fortsetzung ihres<br />
Agierens nehmen. So lernen sie, sich<br />
selbst Techniken zur Verbesserung ihrer<br />
künstlerischen Produkte anzueignen<br />
und etwas für sie Sinnvolles wiederholbar<br />
zu machen.<br />
8 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Lernfreude steigern: Neben der natürlichen<br />
Freude an künstlerischen Handlungen<br />
erfahren die Kinder Experimente<br />
zuzulassen, die sie so zuvor noch<br />
nicht erdacht und erlebt haben.<br />
Umgang mit Ängsten: Kontinuierlich<br />
verlieren Kinder ihre natürliche Scheu,<br />
indem sie sich regelmäßig singend, spielend<br />
und bewegend vor Publikum präsentieren.<br />
Darüber hinaus verfügen sie<br />
über Erfahrungen, wie sie sich mithilfe<br />
von künstlerischen Aktivitäten alternative<br />
Zugänge zu lebensweltlichen Problemen<br />
verschaffen können.<br />
Digitalisierung und Medienkompetenz: 1<br />
Digitale Medien als künstlerisches Ausdrucksmittel<br />
eignen sich für Kinder,<br />
die bereits über strukturierende, farbliche<br />
und perspektivische Kenntnisse<br />
verfügen, um das analog Gelernte auf<br />
einer anderen Ausdrucksebene in eine<br />
neue Bild- und Tonsprache zu transformieren.<br />
Kreative Ressourcen für eine<br />
lebenslange Anschlussfähigkeit<br />
Alle Fähigkeiten zusammengenommen<br />
fördern ein langfristig angelegtes<br />
Zusammenspiel an sensorischen, motorischen,<br />
emotionalen, sozialen und<br />
kognitiven Kompetenzen durch künstlerisches<br />
Handeln. Jede einzelne Fähigkeit<br />
für sich ist Teil eines Bündels an<br />
Ressourcen, die Kinder im Optimalfall<br />
lebenslang anschlussfähig agieren und<br />
potenzielle Übergänge bewältigen lassen.<br />
Dass die jungen Menschen dabei<br />
eigenständig kreativ sein sollten und<br />
von den älteren nicht einfach imitieren<br />
und übernehmen sollten, was ihnen<br />
demonstriert wird, trägt in besonderem<br />
Maße zu einem stets lebendigen<br />
Geschehen bei, dessen Ergebnisse zwar<br />
sicht- und hörbar, jedoch nicht vorhersagbar<br />
sind (Dietrich 2012/13).<br />
Anmerkung<br />
1) Empfehlungen für eine altersgerechte<br />
Nutzung digitaler Medien sind für die frühe<br />
<strong>Bildung</strong> unerlässlich und müssen an anderer<br />
Stelle gesondert dargelegt werden.<br />
Literatur<br />
Die Senatorin für Kinder und <strong>Bildung</strong> Bremen<br />
(Hrsg.) und Stiller, Barbara (Verf.) (2022):<br />
Lernen in Bremen. <strong>Bildung</strong>skonzeption<br />
Ästhetische <strong>Bildung</strong> für den <strong>Bildung</strong>splan<br />
0–10 (unveröffentlicht, befindet sich im<br />
Zulassungsverfahren).<br />
Dietrich, Cornelie (2013/2012): Ästhetische<br />
Erziehung. In: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> Online:<br />
www.kubi-online.de/artikel/aesthetische-erziehung<br />
[09.03.2022].<br />
Sauerhering, Meike/Solzbacher, Claudia<br />
(2013): Übergang Kita – Grundschule.<br />
Niedersächsisches Institut für frühkindliche<br />
<strong>Bildung</strong> und Entwicklung (nifbe) (Hrsg.)<br />
Themenheft 14. Osnabrück. Online unter<br />
https://t1p.de/4z101 [07.03.2022].<br />
Anke Weiß<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> und digitale Medien<br />
in der Lehrkräfteausbildung der zweiten Phase<br />
Kaum ein Begriff scheint sperriger als der Begriff der „<strong>Kulturelle</strong>n <strong>Bildung</strong>“.<br />
Denn eine <strong>Bildung</strong> ohne Bezug zur Kultur kann eigentlich keine <strong>Bildung</strong> sein.<br />
Doch diesem Spagat, der sich immer schneller verändernden Digitalisierung,<br />
ist auch der Kultur- und <strong>Bildung</strong>ssektor ausgesetzt. Belegt durch die aktuelle<br />
JIM-Studie 2021 sind verschiedene kulturell relevante Ästhetische Bereiche, aus<br />
Perspektive der Digitalität, ständig in einem Wandlungsprozess:<br />
Abb. 1: Glitchart (© A. Weiß)<br />
eintauchen. Museen stellen ihre Sammlungen<br />
online, machen Vernissagen<br />
digital begehbar und demokratisieren<br />
kulturelle Teilhabe. Video, Games und<br />
Film sind seit Langem anerkannte<br />
Kunstgenres und werden selbst wiederum<br />
genutzt, um neue Formen in typisch<br />
„analogen“ Kunstsparten wie Theater<br />
oder Tanz auf digitale Art ästhetisch zu<br />
bereichern. Durch künstliche Intelligenzen<br />
werden innovative Kunstformen<br />
geschaffen, die ohne eine menschliche<br />
Ideengenerierung auskommen und im<br />
Ergebnis nicht mehr von einem durch<br />
Menschen hergestellten Kunstwerk zu<br />
unterscheiden sind (Reinwand-Weiss<br />
2019, 71 f.)<br />
Unterschiedliche Musikstile in<br />
digitaler Form werden täglich<br />
unzählige Male über digitale<br />
Tools (bspw. SoundCloud), Audio-<br />
Stream-Dienste oder Videoportale (z. B.<br />
YouTube) genutzt. Auch Installationen<br />
im Feld der Bildenden Künste arbeiten<br />
mit digitalen Medien und gehen immer<br />
mehr in Digitalcollagen und Glitchart<br />
über (siehe Abb. 1), indem sie die Ästhetisierung<br />
digitaler Pannen als Gestaltungseffekte<br />
wirken lassen. VR-Brillen<br />
lassen uns über eine Virtual Reality in<br />
Kunstwerke oder andere Epochen<br />
Der Begriff „<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>“<br />
im Wandel?<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>, die sich für die<br />
Transformationen in der Beziehung<br />
von Subjekt und Umwelt durch das<br />
Ästhetische interessiert, kommt also<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
9
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
nicht umhin, sich um Digitalität und<br />
die damit einhergehenden gesellschaftlichen<br />
Wandlungsprozesse, insbesondere<br />
im <strong>Bildung</strong>ssektor, zu kümmern.<br />
Der Dualismus zwischen Lebenswelt der<br />
Kinder hier (Medie nalltag) und Schulwelt<br />
im Umgang mit digitalen Medien<br />
(Medieneinsatz) sollte sich nicht konträr<br />
zueinander entwickeln. Das Arbeitsund<br />
Angebotsfeld <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong><br />
im schulischen Kontext hat sich einerseits<br />
für Digitalisierung als technischen<br />
Prozess zu interessieren, andererseits<br />
sich über die damit einhergehenden<br />
Kommunikations- und ästhetischen<br />
Gestaltungsmöglichkeiten zu informieren,<br />
diese anzuwenden und damit verbundene<br />
<strong>Bildung</strong>spotenziale zu nutzen.<br />
Eine mögliche Vernetzung der <strong>Kulturelle</strong>n<br />
mit der Digitalen <strong>Bildung</strong> kann im<br />
4K-Modell (siehe Abb. 2) des Lernens<br />
gefunden werden.<br />
Das 4K-Modell (kurz 4K, Englisch<br />
4Cs) formuliert Kompetenzen, die für<br />
Lernende im 21. Jahrhundert von herausragender<br />
Bedeutung sind: Die dafür<br />
benötigten Kompetenzen werden<br />
auch 21st Century Skills genannt und<br />
sollen die Lernenden „darauf vorbereiten,<br />
in einer unvorhersagbaren Welt<br />
versatil, also vielseitig und wandlungsfähig<br />
zu handeln“ (Jöran Muuß-Merholz,<br />
4 Dimensionen der <strong>Bildung</strong>).<br />
Zwar war das Modell nie so angedacht,<br />
eine Vernetzung zur <strong>Kulturelle</strong>n<br />
<strong>Bildung</strong> darzustellen. Erweitert man seinen<br />
Blick jedoch auf die 4Ks unter Einbeziehung<br />
der <strong>Kulturelle</strong>n <strong>Bildung</strong> 1 ,<br />
ist dieser Ansatz gewinnbringend und<br />
ganzheitlich, um nicht zu sagen grundschulkonform,<br />
umsetzbar:<br />
● Kreativität, nicht um neue Kunstwerke<br />
zu schaffen, sondern um auf immer<br />
wieder neuen Wegen zu denken, zu<br />
lernen und zu arbeiten. 2<br />
● Kritisches Denken, nicht um Dinge<br />
mehr und genauer zu bewerten, sondern<br />
und aus eigenem Antrieb heraus<br />
selbstständig denken, lernen und arbeiten<br />
zu können.<br />
● Kollaboration, nicht um noch besser<br />
selbstständige Arbeitsschritte in der<br />
Organisation miteinander zu verzahnen,<br />
sondern um gemeinsam mit anderen<br />
im Gruppenprozess denken, lernen<br />
und arbeiten zu können.<br />
● Kommunikation, nicht um sich<br />
akkurater auszudrücken und besser<br />
die mobilen Endgeräte zu bedienen,<br />
Abb. 2: 4K-Modell (nach OECD-Mitarbeiter und <strong>Bildung</strong>sforscher Andreas Schleicher)<br />
sondern darum und auch eigenes Denken,<br />
Lernen und Arbeiten mit höherem<br />
Gewinn (mit-)teilen zu können.<br />
Der Fokus liegt durch die Veränderung<br />
des 4K-Modells nun ganz deutlich<br />
auf dem Prozess und nicht auf dem Produkt<br />
bzw. Endergebnis des Lernprozesses<br />
unter Einbeziehung digitaler Medien.<br />
Kommunikation, Kollaboration,<br />
Kreativität und kritisches Denken<br />
kann mit Schüler*innen somit über die<br />
4Ks im Zusammenhang mit <strong>Kulturelle</strong>r<br />
<strong>Bildung</strong> angebahnt werden. Digitalität<br />
und <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> schließen sich<br />
demzufolge nicht aus! <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
(im Sinne Ästhetischer <strong>Bildung</strong>) kann<br />
nachhaltige und allseitige <strong>Bildung</strong>sprozesse<br />
über Kommunikation, Kollaboration<br />
(im Miteinander Erproben), das<br />
Finden kreativer Lösungen und/oder der<br />
Entwicklung eigener kreativer Ideen sowie<br />
den kritischen Austausch über eigene<br />
Erfahrungen ermöglichen.<br />
Begründungszusammenhang<br />
und Notwendigkeit der<br />
Ausbildung zukünftiger<br />
Grundschullehrer*innen im<br />
Bereich <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong><br />
Ziel des obigen <strong>Bildung</strong>smodells 4K<br />
ist es, selbstbewusste, digital mündige<br />
Menschen zu bilden, die in einer Welt<br />
des 21. Jahrhunderts kritisch denkend<br />
Lösungen für immer komplexer werdende<br />
(Welt-)Probleme finden und<br />
diese mit Kreativität andenken.<br />
Dies soll und muss Aufgabe einer zukunftsfähigen<br />
Grundschule sein und<br />
demzufolge auch Teil der Lehrer*innenausbildung<br />
in der zweiten Phase. Denn<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> ist mehr als die Befähigung<br />
zur kulturellen Teilhabe! Sie<br />
kann und muss den ganzen Menschen<br />
mit einbeziehen – allseitig sein – und<br />
über die Vermittlung von Kenntnis und<br />
Erkenntnissen hinausgehen.<br />
„Starke Lehrer – Starke Kinder“ so<br />
lautet das Logo (Abb. 3) des Seminars<br />
für Ausbildung und Fortbildung der<br />
Lehrkräfte (Grundschule) in Bad Mergentheim.<br />
Stark sein, resilient sein in<br />
einer immer komplexer werdenden<br />
Welt. Deshalb müssen auch Lehramtsanwärter*innen<br />
befähigt werden, ihre<br />
Schüler*innen im Sinne einer zukunftsorientierten<br />
<strong>Bildung</strong> zu begleiten, damit<br />
diese angesichts der gesellschaftlichen<br />
Herausforderungen eine tragfähige<br />
Identität entwickeln können für ein Leben<br />
in Selbstbestimmung, Teilhabe und<br />
Gerechtigkeit in der Welt von heute und<br />
morgen. Dabei werden in der Lehrer*innenausbildung<br />
folgende Schwerpunkte<br />
gesetzt, entsprechend den Leitperspektiven<br />
des <strong>Bildung</strong>splans 2016:<br />
Lehramtsanwärter*innen werden befähigt,<br />
„kreative Lernprozesse durch<br />
unterschiedliche Modi der Weltbegegnung:<br />
kognitiv-instrumentelle Modellierung<br />
der Welt; ästhetisch-expressive<br />
Begegnung und Gestaltung“ zu initiieren<br />
und in der Unterrichtsplanung zu<br />
implementieren (Lehrkräftebegleitheft,<br />
<strong>Bildung</strong>splan BaWü 2016, 11).<br />
Abb. 3: Logo des Seminars<br />
Bad Mergentheim<br />
10 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Am Seminar Bad Mergentheim wird<br />
dieser Auftrag im Rahmen zweier Module<br />
mit insgesamt 18 Ausbildungsstunden<br />
an zwei Ganztagen konkretisiert und<br />
in die anderen Ausbildungsfächer inhaltlich<br />
sowie methodisch-didaktisch integriert.<br />
Eine vernetzte Denkweise im Zusammenhang<br />
mit Unterrichtsplanung<br />
und Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse<br />
ist demzufolge unabdingbar. Der Fokus<br />
wird explizit auf aktuelle Herausforderungen<br />
unserer Gesellschaft im Zeichen von<br />
Globalisierung, demografischem Wandel,<br />
wachsender Diversität und Digitalität gerichtet.<br />
In einem ersten ganztägigen Modul<br />
begegnen die Lehramtsanwärter*innen<br />
dem Gesamtkontext der <strong>Bildung</strong> für<br />
Nachhaltige Entwicklung (BNE):<br />
Der Mensch als Verantwortlicher<br />
einer nachhaltigen Entwicklung, die<br />
den Bedürfnissen der heutigen Generation<br />
entspricht, ohne die Möglichkeiten<br />
künftiger Generationen zu gefährden,<br />
ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.<br />
Durch integrative Workshops in den<br />
Bereichen Ökologie, Ökonomie, Politik<br />
und Soziales werden anhand von Unterrichtsbeispielen<br />
Zugangsmöglichkeiten<br />
zu einer <strong>Bildung</strong> für nachhaltige Entwicklung<br />
in der Grundschule aufgezeigt<br />
und praxistauglich erläutert (s. Abb. 4).<br />
In einem zweiten, ganztägigen Modul<br />
geht der Ansatz nach der globalen<br />
Abb. 5:<br />
Die Zwitscher maschine<br />
(aus: Paul Klee (1986),<br />
Die Zwitschermaschine<br />
und andere Grotesken,<br />
Eulenspiegelverlag)<br />
Denkweise der <strong>Bildung</strong> für nachhaltige<br />
Entwicklung zum Menschen als mündiges,<br />
handelndes Subjekt im Kontext<br />
<strong>Kulturelle</strong>r-Ästhetischer <strong>Bildung</strong> über.<br />
In dieser Veranstaltung wird erfahrbar<br />
gemacht, was die Kinder in ihrem<br />
Selbstbewusstsein und ihrer Identitätsfindung<br />
stärkt. Die Lehramtsanwärter*innen<br />
erkennen bei der Durchführung<br />
verschiedener Workshops, dass<br />
Kreativität im Zusammenhang mit Ästhetischer<br />
bzw. <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong>,<br />
unter Nutzung digitaler Medien, für alle<br />
Fächer eine Bereicherung darstellt und<br />
ihre Sicht auf Lernen und Aufgabenkonzeptionen<br />
im unterrichtlichen Kontext<br />
erweitert.<br />
Folgende Fragen gliedern diese Veranstaltung<br />
inhaltlich:<br />
● Was stärkt das Kind / den erwachsenen<br />
Menschen in einer immer komplexer<br />
werdenden Welt?<br />
● Identitäts- und Persönlichkeitsbildung<br />
durch Ästhetische <strong>Bildung</strong><br />
● Was ist <strong>Kulturelle</strong> / Ästhetische <strong>Bildung</strong>?<br />
● Welche Lernchancen bietet Ästhetische<br />
/ <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> dem Kind<br />
bzw. der Lehrkraft?<br />
● Wie funktioniert Ästhetisches Lernen?<br />
● Ästhetische <strong>Bildung</strong> als Gestaltungsprinzip<br />
von Unterricht? Was müssen<br />
die Aufgabenformate leisten?<br />
Abb. 4: BNE-Tetraeder- Modell<br />
(Foto A. Weiß)<br />
Wie gelingt der Transfer in die<br />
Praxis? Konkrete Beispiele und<br />
Umsetzungsmöglichkeiten unter<br />
Einbeziehung digitaler Medien<br />
Im ersten Schritt der Veranstaltung<br />
erarbeiten sich die Lehr amts anwär ter*in<br />
nen über Selbsterfahrungsexperimente<br />
den bis dato theoretischen Begriff<br />
der <strong>Kulturelle</strong>n / Ästhe tischen <strong>Bildung</strong><br />
selbst (Kopfstandmethode: Über die<br />
praktische Erfahrung zur theoretischen<br />
Begriffsbildung).<br />
Aufgabe: Betrachten Sie das Bild von<br />
Klee „Die Zwitschermaschine“! Tauschen<br />
Sie sich aus und erfinden Sie selbst, mit<br />
Hilfe Ihres Körpers und Bewegungen<br />
gemeinsam eine eigene Maschine! Filmen<br />
Sie Ihr Ergebnis mit dem iPad!<br />
Über die Methode der Transformation<br />
Ästhetischer <strong>Bildung</strong> (hier: in Bewegung<br />
umsetzen) wird das Kunstwerk<br />
Klees ganzheitlich verstanden. Die kreative<br />
und problemlösende Auseinandersetzung<br />
in der Gruppe über Kommunikation<br />
(Ideeneinbringen, Verwerfen,<br />
Verbessern) erfährt ihren Mehrwert im<br />
Bereich der Versprachlichung, Ideen zu<br />
verbalisieren bzw. zu diskutieren. Der<br />
auf diese Weise initiierte Lernprozess<br />
wird so vielschichtig, dass das eigentlich<br />
intendierte Ergebnis bzw. Produkt<br />
eher zweitrangig ist. Die Lerngruppe erfährt<br />
in dieser Art des Ästhetischen Lernens<br />
drei wichtige persönlichkeits- und<br />
identitätsbildende Aspekte:<br />
– Meaningfulness (positive Selbstwertschätzung)<br />
durch das Eingebundensein<br />
in der Gruppe,<br />
– Manageability (Gefühl von Machbarkeit),<br />
durch „Könnenserlebnisse“<br />
und den kreativen Flow, im Sinne des<br />
„Homo ludens“, wird die Höchststufe<br />
intrinsischer Motivation erreicht und<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
11
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Anke Weiß<br />
Fachleiterin für Ästhetische <strong>Bildung</strong> am<br />
Seminar für Ausbildung und Fortbildung<br />
der Lehrkräfte Bad Mergentheim (GS)<br />
Mail: Anke.Weiss@seminar-gs-mgh.<br />
kv.bwl.de<br />
– Comprehensibility (Verstehbarkeit),<br />
denn das Produkt entstammt seinen<br />
eigenen bzw. gemeinsamen Überlegungen<br />
(vgl. Antonovsky 1993).<br />
Diese Möglichkeit des „anderen Lernens“<br />
erleben die Lehramtsanwär te r*innen<br />
als sehr fruchtbar, denn sie entfernen<br />
sich als Lehrpersonen vom<br />
produktorientierten Denken über Lernprozesse<br />
und nähern sich einer formativen<br />
Lernkultur an, die ihre Sichtweise<br />
auf konstruktivistisches Lehren<br />
und Lernen erweitert. Die Aufnahme<br />
mit dem iPad ermöglicht der Gruppe,<br />
ihren Prozess (bzw. ihr Ergebnis) im<br />
Nachhinein aus einer anderen Sichtweise<br />
zu betrachten, und findet ihren<br />
didaktischen Mehrwert im kommunikativen<br />
Austausch über Vorschläge zur<br />
Verbesserung des Endproduktes. Gerade<br />
eine reflexive Grundhaltung gegenüber<br />
Kunstwerken ist ein Kennzeichen<br />
einer sinnvollen kulturellen <strong>Bildung</strong>sarbeit.<br />
Kreativität zu fördern, fordert die<br />
Lehrperson heraus, problemorientierte,<br />
offene Aufgaben zu stellen und Raum<br />
für kreative Problemlösungen zu geben.<br />
Der in diesem Zusammenhang grundgelegte<br />
Kreativitätsbegriff intendiert<br />
die „Fähigkeit zum divergenten Denken,<br />
einschließlich Ideengenerierung,<br />
geistiger Beweglichkeit, Flexibilität und<br />
Originalität“ (Guilford 1968).<br />
Durch diese Art der Auseinandersetzung<br />
mit dem Potenzial Ästhetischer<br />
und <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> erfahren<br />
die Lehramtsanwärter*innen mit dem<br />
Kunstwerk über die Aufgabenstellung<br />
nondirektiv eine Vermittlung der 4K<br />
(Kreativität, Kommunikation, Kollaboration,<br />
kritisches Denken).<br />
Mut, Offenheit zuzulassen und das<br />
scheinbar „Unplanbare“ planbar zu machen,<br />
wird von den Lehramtsanwärter*innen<br />
durch das eigene Planen eines<br />
kleinen Ästhetischen Miniprojekts praxisnah<br />
erprobt (siehe QR-CODE Padlet).<br />
Beichels Planungsschritte Ästhetischen<br />
Lernens und die 4Ks unter Einbeziehung<br />
digitaler Medien unterstützen<br />
die Lehramtsanwärter*innen dabei,<br />
in ein strukturiertes Planungsdenken zu<br />
kommen (Beichel 2010):<br />
1. Ästhetische / Emotionale Aktivierung<br />
Womit oder wodurch wecke ich die kindliche<br />
Neugier und natürliche Experimentierfreude?<br />
(Kunstwerk, Musikstück, Bilderbuch,<br />
Gedicht, Gebet, Naturmaterialien,<br />
ein Satz, eine Bewegung …)<br />
2. Auseinandersetzung mit dem<br />
Impuls durch eine offene Aufgabenstellung<br />
Wie muss die Aufgabenstellung sein,<br />
da mit verschiedene Lösungswege möglich<br />
sind? Welche Unterstützungsmöglichkeiten<br />
(andere Impulse) biete ich bei<br />
Bedarf an, wenn die Kinder nicht in den<br />
„kreativen Flow“ kommen?<br />
Enaktiv, Umsetzung in ein anderes<br />
Medium (Transformation), Eigenproduktion,<br />
Kreation, Gestaltung,<br />
Improvisation … → ermöglicht beim<br />
Kind eine (Selbst-)Wahrnehmung und<br />
Ausdrucksmöglichkeiten<br />
3. Metakognition/Reflexion<br />
Was sollte, mit Rückblick auf den kreativen<br />
Prozess, verbessert oder verändert<br />
werden?<br />
Übung, Überarbeitung oder neu? Rückmeldekultur,<br />
NACH-denken der eigenen<br />
Wahrnehmung, Genießen, (Mit-)<br />
Erleben, Ausstellung, Marktplatz, Happening,<br />
…<br />
4. Präsentationsform<br />
Wie wollen wir unser ästhetisches Produkt<br />
präsentieren?<br />
Ausstellung, Marktplatz der Möglichkeiten,<br />
Aufnahme, Standbild, Tanz,<br />
Trailer …<br />
Über dieses Padlet erhalten Sie Einblick<br />
in die Ästhetischen Impulse und Aufgabenformate<br />
unter Einbeziehung digitaler<br />
Medien (hier: Handy oder Digitalkamera,<br />
App polish).<br />
Alle gezeigten Beispiele sind unmittelbar<br />
auch in der Grundschule (Kl. 2–4)<br />
realisierbar!<br />
https://padlet.com/<br />
ankeweiss/<br />
oslsttewh3l6aq6k<br />
Anmerkungen<br />
1) vgl. J. Muuß-Merholz (überarbeitet durch<br />
Anke Weiß)<br />
2) Die gestrichenen Wörter sollen die neue<br />
Denkweise der 4Ks in Bezug auf kulturelle<br />
<strong>Bildung</strong> verdeutlichen.<br />
Literatur<br />
Antonovsky, A. (1993): Complexity, conflict,<br />
chaos, coherence, coercion and civility. Social<br />
Science and Medicine, 37, 969–981.<br />
Beichel, J. J. (2010): Ästhetische <strong>Bildung</strong> als<br />
Potentialentfaltung und Kulturerschließung<br />
in aufbauendem Unterricht und nachhaltiger<br />
Erziehung auf kunstnahen Begegnungs- und<br />
Lernfeldern. Eine Studie zur <strong>Bildung</strong>stheorie,<br />
Schneider-Hohengehren.<br />
Guilford, J. B. (1968): Intelligence, creativity,<br />
and their educational implications, 216.<br />
Jörissen, B. & Unterberg, L. (2019): Digitale<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>: <strong>Bildung</strong>stheoretische<br />
Gedanken zum Potenzial <strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong><br />
in Zeiten der Digitalisierung. In: <strong>Kulturelle</strong><br />
<strong>Bildung</strong> online: www.kubi-online.de/<br />
artikel/digitale-kulturelle-bildungbildungstheoretische-gedanken-zumpotenzial-kultureller-bildung<br />
(letzter Zugriff am 07.03.2022).<br />
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport<br />
Baden-Württemberg (Hrsg.) (2016):<br />
Lehrkräftebegleitheft. <strong>Bildung</strong>splan 2016.<br />
Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag<br />
GmbH<br />
http://bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/get/documents_E-100643614/lsbw/<br />
<strong>Bildung</strong>splaene/BP2016BW_ALLG_LBH.PDF<br />
Muuß-Merholz, J. (2019): Digitale Schule –<br />
Was heute schon im Unterricht geht: Das<br />
Praxisbuch zum individualisierten Lernen<br />
mit digitalen Medien<br />
Reinwand-Weiss, V.-I. (2019): Die letzte<br />
Bastion – die Künste? In: Rat für <strong>Kulturelle</strong><br />
<strong>Bildung</strong> (Hrsg.). Alles immer smart. <strong>Kulturelle</strong><br />
<strong>Bildung</strong>, Digitalisierung, Schule. Essen:<br />
Rat für <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>, 71–72.<br />
12 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Denise Sommer<br />
Einblicke und Ausblicke –<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> konkret<br />
<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> im Schulalltag – Eine gemeinsame Aufgabe<br />
Am Ende der Jahrgangsstufe 6 bitten wir unsere Schülerinnen und Schüler in<br />
einer Onlinebefragung um ein Feedback zu ihrer Schulzeit in der Grundschule<br />
Glienick in Brandenburg. Seit Jahren werden bei jeder Befragung die Wandertage,<br />
Klassenfahrten, Exkursionen, Feste, Projekte, Theatervorstellungen, das<br />
jährliche Weihnachtssingen – also die besonderen Höhepunkte, die kulturellen<br />
Lernangebote und das soziale Miteinander als besonders positiv und lange in<br />
Erinnerung bleibend von den Kindern benannt.<br />
Fragt man die Mädchen und Jungen<br />
nach dem Grund, äußern sie, dass<br />
es eben „kein richtiger Unterricht“<br />
gewesen sei. Und dennoch sind es gerade<br />
diese Lernsituationen und Höhepunkte<br />
im Schulalltag, die Spuren im Leben, in<br />
den Herzen und Köpfen der Kinder<br />
hinterlassen. Sie sammeln Erfahrungen,<br />
werden mit Angeboten, außerschulischen<br />
Experten und anderen Menschen konfrontiert,<br />
lernen quasi „nebenbei“ und<br />
präsentieren ihre Ergebnisse. Emotionen<br />
und positive Erwartungen, die Freude,<br />
etwas gemeinsam zu erleben, etwas Kreatives<br />
zu schaffen und Neues lernen zu<br />
können, sind der Schlüssel für einen<br />
freudvollen Schulalltag und für eine<br />
erfolgreiche individuelle Entwicklung<br />
unserer Schülerinnen und Schüler.<br />
Macht man sich die Wirkung der kulturellen<br />
Lernangebote bewusst, dann<br />
wird deutlich, dass kulturelle <strong>Bildung</strong> eine<br />
Querschnittsaufgabe jeder Schule sein<br />
muss. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> prägt die Lernund<br />
die Persönlichkeitsentwicklung. Zum<br />
Glück wird diese Lernentwicklung besonders<br />
in den Fächern Kunst und Musik<br />
nicht von außen gemessen und verglichen.<br />
Während der Corona-Pandemie<br />
mit all ihren Einschränkungen und Besonderheiten<br />
wurde der Fokus auf die Fächer<br />
Deutsch, Mathematik und Englisch<br />
mit den Vorgaben durch das <strong>Bildung</strong>sministerium<br />
verstärkt. Im Aktionsprogramm<br />
„Aufholen nach Corona“ des Landes Brandenburg<br />
liegen die Schwerpunkte der Förderung<br />
auf diesen Fächern. Positiv hervorzuheben<br />
ist, dass im ersten Teil des Aktionsprogramms<br />
alle Schulen ein Budget<br />
von 3000 € zur individuellen Verwendung<br />
erhielten. Unsere Schule nutzte im Herbst<br />
2021 das Geld in Kooperation mit dem<br />
Förderverein B.i.G. – <strong>Bildung</strong> in Glienick<br />
e. V. für Exkursionen zu verschiedenen<br />
außerschulischen Lernorten. Lehrerinnen<br />
und Kinder waren glücklich und sehr froh,<br />
wieder gemeinsam unterwegs sein zu können<br />
und eben anders zu lernen. Ein Budget<br />
für kulturelle <strong>Bildung</strong> sollte allen Schulen<br />
auch weiterhin zur Verfügung stehen.<br />
Wir wissen, dass manche Mädchen<br />
und Jungen Konzerte, Theater, Museen,<br />
Ausstellungen, Bibliotheken nur in ihrer<br />
Schulzeit erleben. Das Freizeitverhalten<br />
der Familien ist sehr unterschiedlich<br />
und wenn es früher selbstverständlich<br />
war, dass sie diese kulturellen Angebote<br />
nutzten, dann stehen heute Shoppingerlebnisse,<br />
Kinobesuche und die Beschäftigung<br />
mit digitalen Medien auf der Beliebtheitsskala<br />
weiter oben. Gerade deshalb<br />
hat Schule und ganz besonders die<br />
Grundschule eine besondere Verantwortung<br />
dafür, kulturelle <strong>Bildung</strong> von Anfang<br />
an vielfältig zu leben. Die eher als<br />
Nebenfächer bewerteten Fächer Kunst,<br />
Musik und Sport müssen fachspezifisch,<br />
aber auch fächerübergreifend gestärkt<br />
werden. Zeit ist ein entscheidender Faktor<br />
für jeden <strong>Bildung</strong>sbereich. <strong>Kulturelle</strong><br />
<strong>Bildung</strong> muss sich von der Grundschule<br />
bis zum Schulabschluss wie ein roter Faden<br />
durch die gesamte Schulzeit ziehen.<br />
Während der pandemiebedingten Schulschließungen<br />
und im Wechselunterricht<br />
hat unsere Schule von Anfang an Lernangebote<br />
für die Fächer Kunst, Musik<br />
und Sport über die Schulcloud, per E-<br />
Mail oder auf dem Papier bereitgestellt.<br />
Manche Eltern sahen dies kritisch und<br />
Denise Sommer<br />
Kunstlehrerin<br />
und Schulleiterin<br />
an der Grundschule<br />
Glienick,<br />
Vorsitzende der<br />
Landesgruppe<br />
Brandenburg<br />
zeitraubend, wollten und konnten sich<br />
nicht mit den „nicht lebensnotwendigen“<br />
Fächern beschäftigen. Andere freuten<br />
sich, gemeinsam mit ihren Kindern<br />
kreativ zu werden und virtuell ein Museum<br />
zu besuchen oder Tänze zu üben,<br />
neue Lieder kennenzulernen, ein Bild<br />
zu gestalten oder Eislichter herzustellen.<br />
In diesem Schuljahr gibt es wieder<br />
mehr Normalität und unsere über Jahre<br />
gewachsene Schulkultur kann in kleinen<br />
Schritten wiederbelebt werden.<br />
Ein Baustein: Das Museum<br />
„Barberini“ in Potsdam – Mein<br />
Lieblingslernort im Kunstunterricht<br />
Als junge Lehrerin besuchte ich im Jahr<br />
1990 mit meiner damaligen 9. Klasse<br />
den Martin-Gropius-Bau in Berlin<br />
– mein Schlüsselerlebnis. Die Nähe<br />
zu Berlin und die gute Anbindung mit<br />
öffentlichen Verkehrsmitteln machten<br />
es einfach, die Berliner Museumslandschaft<br />
regelmäßig in den Unterricht<br />
einzubinden. Exkursionen u. a. in das<br />
Bode-Museum, das Pergamonmuseum,<br />
das Bauhaus-Museum, das Brücke-<br />
Museum, in die neue Nationalgalerie,<br />
die Wunderkammer Olbricht und auf<br />
das Wunderkammerschiff haben mein<br />
Unterrichtskonzept nachhaltig geprägt.<br />
Im Jahr 2017 wurde das Museum „Barberini“<br />
in Potsdam eröffnet. Meine<br />
Begeisterung ist ungebrochen und es<br />
wurde mein außerschulischer Lieblingslernort.<br />
Die Architektur des Hauses,<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
13
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
seine Umgebung mit dem Alten Markt<br />
im Herzen von Potsdam, die Art der<br />
Präsentationen, die wechselnden Ausstellungen,<br />
das umfassende Angebot für<br />
Kitas und Schulen, die Freundlichkeit<br />
des Personals, die digitale Vielfalt – all<br />
das ist ein außergewöhnliches Gesamtkunstwerk.<br />
Die Dauerausstellung der<br />
Sammlung Hasso Plattner umfasst über<br />
100 Arbeiten, darunter 34 Gemälde<br />
Claude Monets. Ihr Schwerpunkt liegt<br />
auf dem französischen Impressionismus.<br />
Das „Barberini“ ist ein besonderer Lernort,<br />
der für unsere Klassen gut erreichbar<br />
ist und der mich, meine Kolleginnen<br />
und meine Schülerinnen und Schüler<br />
sowie die begleitenden Eltern begeistert.<br />
Die Exkursionen in dieses Haus sind<br />
Höhepunkte und fester Bestandteil des<br />
Kunst-Unterrichts unserer Schule. Das<br />
Museum bietet zu jeder Ausstellung<br />
spezielle Lehrerfortbildungen an. Der<br />
Eintritt ist für Kinder und Jugendliche<br />
frei. Neben der ständigen Sammlung<br />
bedeutender Werke des Impressionismus<br />
gibt es Sonderausstellungen und<br />
zeitgenössische Werke zu bestaunen.<br />
Die Stiftung Hasso Plattner investiert<br />
vorbildlich in die kulturelle <strong>Bildung</strong> von<br />
Kindern und Jugendlichen.<br />
In den letzten Jahren konnte ich bei jeder<br />
Exkursion mit den Jahrgängen 5 und 6<br />
viele Erfahrungen sammeln. Im Ergebnis<br />
der kritischen Reflexion nahm ich organisatorische<br />
und inhaltliche Veränderungen<br />
vor, lernte im Austausch mit meinen Kolleginnen<br />
und Schülern immer dazu. Für<br />
die ersten Exkursionen buchte ich eine<br />
Kinderführung mit einem Kunsthistoriker<br />
und einen anschließenden Workshop im<br />
Atelier des Museums. Meine Schülerinnen<br />
und Schüler meldeten mir zurück, dass sie<br />
„das lange Stehen und Zuhören vor einem<br />
Bild nicht so toll, sondern eher langweilig“<br />
fanden. Die Aufgabe im Workshop empfanden<br />
sie und ich als nicht sehr kreativ,<br />
das Atelier dagegen war eine neue und<br />
schöne Erfahrung. Bei der nächsten Exkursion<br />
nutzten wir die Audioguides des<br />
Museums und die Barberini-App mit den<br />
Handys der Schülerinnen und Schüler.<br />
Besucherinnen und Besucher sprachen<br />
mich mehrfach darauf an, wie rücksichtsvoll<br />
und leise sich die Kinder verhalten<br />
würden und dass sie die Technik so wunderbar<br />
beherrschten. Das freute uns sehr.<br />
In der Beobachtung in den schönen Ausstellungsräumen<br />
stellte ich fest, dass die<br />
Technik die Mädchen und Jungen sehr<br />
faszinierte, allerdings in meiner Wahrnehmung<br />
eher ablenkte. Statt sich die Originalkunstwerke<br />
genau anzuschauen, waren<br />
sie sehr mit der Technik und dem Verstehen<br />
der Bildbeschreibungen beschäftigt<br />
und waren eher „hektisch“ unterwegs.<br />
Mein Anliegen ist es, dass sich die Schülerinnen<br />
und Schüler die Kunstwerke auf<br />
ihre Art und in ihrem Tempo erschließen.<br />
In der Konsequenz dieser Reflexion bereiteten<br />
wir uns mit den digitalen Medien<br />
auf den Museumsbesuch vor und nutzten<br />
sie auch für die Nachbereitung. Während<br />
der nächsten Exkursion mit dem Jahrgang<br />
5 machte ich die Erfahrung, dass die Begegnung<br />
mit dem originalen Kunstwerk<br />
mit Klemmbrett, Bleistift und Zettel für<br />
Notizen der bessere Weg ist, um die Aufmerksamkeit<br />
auf das Kunstwerk und den<br />
Moment der Betrachtung, das Genießen<br />
und Entdecken zu legen. Der Besuch der<br />
Ausstellungsräume in Kleingruppen mit<br />
einer Lehrerin oder einem begleitenden<br />
Elternteil regte die Kinder mehr dazu an,<br />
sich eigene Zugänge zu den Originalen zu<br />
erarbeiten. Besonders berührend war eine<br />
Begegnung mit älteren Schülerinnen und<br />
Schülern eines Kunst-Leistungskurses des<br />
Jahrgangs 12, die vor den Originalen skizzierten<br />
und zeichneten. Wir waren beeindruckt<br />
von den Fähigkeiten der Jugendlichen<br />
und gleichzeitig war es wie ein Ausblick<br />
in die Zukunft … – ich habe schon<br />
Ideen für die nächste Exkursion ins „Barberini“.<br />
Die Ästhetik der Lernumgebung –<br />
Kreativität drinnen und draußen<br />
Vor dem Bild „Die Brücke von Argenteuil und die Seine“ von Gustave<br />
Caillebotte (um 1883) im Museum Barberini, Sammlung Hasso Plattner<br />
So ästhetisch und besonders wie das<br />
„Barberini“ sollte jede Lernumgebung<br />
sein. Schulen müssen schöne, freundliche<br />
und einladende Häuser sein, in den<br />
Außenanlagen Entspannung, Bewegung<br />
und Platz bieten. Wir Lehrerinnen, die<br />
Schülerinnen und Schüler der Grundschule<br />
Glienick wurden vor und während<br />
der Sanierung unseres alten Schulgebäudes<br />
und bei der Veränderung der<br />
Außenanlagen in den Jahren 2011 bis<br />
2014 aktiv einbezogen. Unser Schulträger,<br />
die Stadt Zossen, investiert seit<br />
Jahren in eine kindgerechte und ästhetische<br />
Lernumgebung. Das Schulgebäude<br />
bekam eine farbenfrohe Fassade und wir<br />
wurden zur „bunten Schule“.<br />
14 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Auch in der Innengestaltung spielen<br />
harmonische Farben sogar in den sanitären<br />
Anlagen eine große Rolle. Wir haben<br />
eine großzügige Kunst- und WAT-<br />
Werkstatt mit einem Vorbereitungsraum,<br />
können zwei kleinere Räume für<br />
den Musikunterricht und den Theaterraum<br />
des Hortes nutzen. Eine Schulbibliothek<br />
gehört zu unseren Lernräumen.<br />
Unsere Sporthalle verwandelt sich für<br />
Einschulungen, Abschlussfeiern, Weihnachtssingen<br />
und Theateraufführungen<br />
mit vom Förderverein angeschaffter<br />
Bühne, Bestuhlung und Musikanlage<br />
in eine „Kulturhalle“, deren Wände die<br />
künstlerischen Arbeiten der Mädchen<br />
und Jungen schmücken. Gemeinsam mit<br />
den Kindern präsentieren wir die vielfältigen<br />
Ergebnisse aus dem Unterricht<br />
aller Klassen und verschiedener Fächer<br />
in unserem Schulhaus und würdigen damit<br />
die kreative und oft überraschende<br />
Arbeit der Mädchen und Jungen.<br />
In einem Hundertwasser-Kunstprojekt<br />
der damaligen 4. Klasse entstanden<br />
vor der Sanierung im Jahr 2010<br />
Entwürfe für ein verändertes Schulhaus.<br />
Aus einer grauen Fassade sollte<br />
ein farbenfrohes Gebäude werden, dem<br />
man ansieht, dass in ihm lebendig und<br />
freudvoll gelernt wird und Vielfalt gewünscht<br />
ist. Unser Schulhof sollte unbedingt<br />
grün bleiben. Die Architekten<br />
und Planer bezogen die Ideen und Vorstellungen<br />
der Kinder nicht nur beim<br />
Gebäude, sondern auch bei der Gestaltung<br />
des Außengeländes ein. Ein grünes<br />
Klassenzimmer und eine neue Spiellandschaft<br />
entstanden. In diesem Jahr soll im<br />
nächsten Bauabschnitt die lang ersehnte<br />
Kletterspinne gebaut werden.<br />
Die Garagen des Wirtschaftshofes nutzen<br />
wir für das jährliche Graffiti-Projekt<br />
Das Schulgebäude Glienick vor<br />
und nach der Sanierung<br />
der 6. Klasse. Gemeinsam mit den in Berlin<br />
lebenden Graffiti-Künstlern Benjamin<br />
Höfler und Laura Schindler entstanden<br />
2017 in einem intensiven Arbeitsprozess<br />
zwei großflächige Arbeiten auf unserem<br />
Schulgelände. Daraus entwickelte<br />
sich die Tradition, dass sich die Sechstklässler<br />
mit ihrem eigenen Graffiti ausdrücken<br />
und künstlerisch verabschieden.<br />
Zum Abschluss der Grundschulzeit<br />
gestalten die Schülerinnen und Schüler<br />
nach ihren Entwürfen eine Garagenwand<br />
in Richtung Schulhof als ihr temporäres<br />
Kunstwerk. Gemeinsam mit den Klassenleiterinnen<br />
und Kunstlehrerinnen<br />
wird das Projekt im Mai/Juni eines jeden<br />
Jahres umgesetzt. Immer wieder beeindrucken<br />
uns die Kinder mit Durchhaltevermögen,<br />
Teamfähigkeit, handwerklichem<br />
Geschick und kreativen Ideen. Sie<br />
haben es in 6 Jahren Grundschulzeit gelernt,<br />
ihre Gedanken, Gefühle in Bildern<br />
künstlerisch auszudrücken und sind offen<br />
für neue Techniken und Materialien,<br />
geben nicht auf, haben Mut und lassen<br />
sich von ihren Kunstlehrkräften begleiten.<br />
Das Lob und die Anerkennung der<br />
anderen Klassen tut den Mädchen und<br />
Jungen zum Ende der Grundschulzeit<br />
besonders gut. Sie verabschieden sich<br />
und bleiben doch noch ein wenig bei uns<br />
bis zum nächsten Projekt. Und die Jüngeren<br />
können es kaum erwarten, endlich in<br />
der 6. Klasse zu sein.<br />
Lob und Wertschätzung, Fördern und<br />
Fordern, Ideenreichtum und Mut, Identifikation<br />
und Vertrauen, Vielfalt und<br />
Ausdauer, Engagement und Kooperation,<br />
Respekt und Freundlichkeit, Offenheit<br />
und Kommunikation, Begeisterung<br />
und Vertrauen – das sind Säulen<br />
unserer über Jahre gewachsenen, erfolgreichen<br />
Arbeit – nicht nur in der kulturellen<br />
<strong>Bildung</strong>.<br />
Das ZeBra-Theater auf Theatertour in Glienick<br />
Sechstklässler:innen verabschieden sich durch ihr Graffiti<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
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Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Beate Schweitzer und Kai Welf Hoyme<br />
„Wir sind Wasser“<br />
Ein Projekt der künstlerisch-digitalen <strong>Bildung</strong><br />
Die Einschränkungen, die Kinder im Zuge der Pandemie erfahren mussten, sind<br />
vielfältiger Art. Infolge des Lockdowns waren ihnen u. a. Zugänge zu kulturellen<br />
Angeboten verwehrt. Damit einher ging vielfach ein ungesteuerter und zunehmender<br />
Medienkonsum, der als Zeitvertreib diente und dessen negative Auswirkungen<br />
sich deutlich bemerkbar mach(t)en. Gleichzeitig wurden von den Schulen<br />
Ideen und Konzepte zum digitalen Lernen erwartet und gefordert.<br />
Mit dem beschriebenen Projekt<br />
wird eine Verknüpfung möglich:<br />
Die Entwicklung digitaler<br />
Medienkompetenz ist an den Interessen<br />
der Kinder ausgerichtet, wird von<br />
ihnen als sinnstiftend erfahren und gibt<br />
Anlass zur Kooperation und Kommunikation<br />
in der Gruppe. Sie baut auf realen<br />
Erlebnissen auf, bezieht den Sozialraum<br />
mit ein, fördert die Wahrnehmung und<br />
das kreative Ausdrucksvermögen.<br />
Das vielschichtige Thema ‚Wasser‘ war<br />
der Ausgangspunkt für eine künstlerische<br />
Auseinandersetzung. Im Rahmen<br />
einer AG 1 konnten sich Schülerinnen<br />
und Schüler in verschiedenen künstlerisch-digitalen<br />
Techniken und Gestaltungsformen<br />
erproben. 2<br />
Zunächst haben die Kinder über die<br />
Bedeutung und den Stellenwert von<br />
Wasser in ihrem Leben nachgedacht<br />
und gesprochen. Sie nannten vielfältige<br />
Aspekte, z. B. die Freude am Wasser als<br />
‚Erholungs- und Freizeitelement‘, aber<br />
auch die Bedrohung von Menschen<br />
und Umwelt durch zunehmende Wasserknappheit<br />
und die Gefahr von Überflutungen.<br />
Im Anschluss malten sie frei<br />
zum Thema. Es entstanden figurative<br />
Bilder mit verschiedenen Wassermotiven.<br />
Dabei wurde auch die Dripping-<br />
Technik ausprobiert. Diese Maltechnik<br />
stammt aus dem abstrakten Expressionismus<br />
und wurde unter anderem vom<br />
amerikanischen Maler Jackson Pollock<br />
praktiziert. Dabei wird Farbe mit<br />
dem Pinsel auf die Leinwand getropft<br />
oder geschleudert. Auf diese Weise entstehen<br />
abstrakte Muster, Formen und<br />
Strukturen. Ein Mädchen assoziierte<br />
dabei Phänomene wie die Oberflächen<br />
von Seen oder dem Meer mit den Resultaten<br />
dieses ästhetischen Verfahrens.<br />
Anschließend suchten die Kinder Teiche<br />
in einem Park in der Nähe der Schule<br />
auf. Mit Tablets fotografierten sie die<br />
Teiche und lernten dabei unterschiedliche<br />
Perspektiven einzunehmen, Bildausschnitte<br />
zu verändern, um so die Bedeutung<br />
individueller Wahrnehmungen zu<br />
reflektieren.<br />
Mit dem Erstellen von eigenen Videos<br />
am gleichen Lernort setzten die Kinder<br />
ein neues Medium ein und übertrugen<br />
ihre Erfahrungen nun in die Arbeit mit<br />
bewegten Bildern. Die Videos wurden<br />
von ihnen mit der Videoschnitt-Software<br />
Imovie unter Anleitung geschnitten<br />
und vertont. Es entstanden kurze<br />
16 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Beate Schweitzer<br />
Schulleiterin an der GGS Eicken, Mönchengladbach, freut sich seit 2013 über die inspirierende<br />
Projekttätigkeit des Künstlers Kai Welf Hoyme an der Schule mit dem Schwerpunkt<br />
intermediale Kunst und ästhetische <strong>Bildung</strong>. Besonders überzeugend findet sie<br />
dabei immer wieder neben den tollen Produkten die phantasieanregenden und breit<br />
gestreuten individuellen Impulse, mit denen er die Kinder anzusprechen vermag. Beide<br />
schätzen ihre langjährige und gute Kooperation, die bereits lange vor der pandemiebedingten<br />
Digitaloffensive den Kindern den Zugang zu neuen und kreativen Gestaltungsmöglichkeiten<br />
eröffnete.<br />
naturbezogene Videoclips, die nach dem<br />
Collageprinzip aufgebaut waren.<br />
Mit Hilfe der Software Stop-Motion<br />
lernten die Kinder im Folgenden durch<br />
Bild-für-Bild-Fotografie eine Bewegungssequenz<br />
zu erstellen. Sie arbeiteten<br />
mit Mal- und Zeichenstiften, Papier,<br />
Kreide auf Tafel und der Pixilation – der<br />
Animation von menschlichen Bewegungen.<br />
Die Bandbreite der realisierten künstlerischen<br />
Arbeiten erstreckte sich von<br />
detaillierten Legetrickanimationen von<br />
(den sehr beliebten) Meerjungfrauen<br />
und Wasserwesen bis zu Animations-<br />
Experimenten mit per Hand hergestellten<br />
Seifenblasen. Zudem lernten die<br />
Kinder die Animations-Montagen durch<br />
Soundeffekte zu unterlegen.<br />
So wurde mit den künstlerischen Mitteln<br />
von Farbe, Materialien und digitalen<br />
Medien wie Fotografie, Video und<br />
Stop-Motion-Animation der flüchtige<br />
Stoff Wasser von den Kindern fantasievoll<br />
erforscht.<br />
Film geschafft habe. Es ist toll, direkt zu<br />
sehen, wie es schön aussieht.“<br />
„Wir haben uns eine Geschichte zu<br />
einer Meerjungfrau ausgedacht und ihr<br />
Schloss und die Figuren dazu gemalt<br />
und ausgeschnitten. Jetzt müssen wir die<br />
Figuren einzeln schieben, um zu animieren.<br />
Das ist nicht immer leicht, aber wir<br />
finden immer eine Lösung.“<br />
„Ich bearbeite gerade mein Fische-<br />
Video. Ich habe den Titel und den<br />
Hintergrund bunt gemacht und Musik<br />
hinzugefügt.“<br />
Anmerkungen<br />
1) Das Projekt wird realisiert im Rahmen<br />
des Landesprogramms ‚Schule und Kultur‘ in<br />
NRW. Dieses Programm will Kindern früh<br />
den Zugang zu Kunst und Kultur ermöglichen.<br />
Künstler kommen in die Schule und<br />
arbeiten mit Kindern und Jugendlichen im<br />
Rahmen von Arbeitsgemeinschaften. Die<br />
Projekte ergänzen das schulische Lernen und<br />
ermöglichen den Kindern die Begegnung<br />
mit Kunst und Kultur – unabhängig vom<br />
familiären Hintergrund.<br />
2) Kai Welf Hoyme ist ein Künstler und Filmemacher,<br />
der in der künstlerischen <strong>Bildung</strong><br />
an Schulen, im Museumskontext und an der<br />
Hochschule arbeitet. Weitere Infos: www.<br />
kaihoyme.de<br />
Stimmen der Kinder zum Projekt<br />
„Meine Freundin hat Seifenblasen mit<br />
der Hand gemacht. Zum Filmen musste<br />
ich ganz nah rangehen, um nur die<br />
Seifenblasen zu sehen. Dabei musste ich<br />
aufpassen, dass das Tablet nicht nass<br />
wird. Ich bin stolz auf mich, dass ich den<br />
Fotos (2): Kai Welf Hoyme<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
17
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Katharina Pohl<br />
Ronja Räubertochter – lesen, sprechen<br />
und spielen, tanzen, malen und aufführen<br />
Vom Lese-Projekt im 2. Schuljahr zum Theaterprojekt<br />
in der 4. Klasse – inklusiv und fächerübergreifend<br />
Am Ende standen alle stolz und strahlend auf der Bühne und genossen den<br />
Applaus: die ausdrucksstarken Kinder, die viel Text für ihre Hauptrolle gelernt<br />
hatten; die Kinder, die sich in ihren etwas wortkargeren, aber dennoch lauten,<br />
ausgelassenen Rollen als Räuberbandenmitglieder wohlfühlten und darin aufgingen;<br />
und die „Edeldamen“, die sich prachtvoll gekleidet und geschmückt<br />
beim Überfall der Mattisbande ihrer Haut hatten erwehren müssen.<br />
an einem Tag nach dem Unterricht in der<br />
Schule zu bleiben, miteinander vom gemeinsam<br />
zusammengestellten Büfett zu<br />
essen und anschließend aus Wandfarben<br />
viele verschiedene Töne zu mischen und<br />
den Entwurf zum Leben zu erwecken.<br />
Vom selbstbewussten Kind bis<br />
zum sehr zurückhaltenden oder<br />
einem mit ADHS, vom schnell<br />
lernenden Kind bis hin zu den beiden<br />
mit Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt<br />
Geistige Entwicklung hatte<br />
in diesem Projekt jedes Kind Möglichkeiten<br />
gefunden, bedeutsame Anteile<br />
zum Gelingen des gemeinsamen Stückes<br />
und besonders zu den vielen Proben<br />
beizutragen.<br />
Die einen glänzten mit ihrem sprachlichen<br />
Repertoire und ihren Möglichkeiten,<br />
dies mit Mimik und Gestik zu<br />
untermalen. Andere überzeugten bei<br />
den Bodypercussion-Einlagen mit ihrer<br />
mitreißenden Bühnenpräsenz. Viele<br />
sammelten für die Bühne alles zusammen,<br />
was ihr Kinderzimmer an Kuscheltieren<br />
zum Thema „Wald“ hergab. Einige<br />
brachten allen anderen auf dem Schulhof<br />
den Umgang mit Pfeil und Bogen<br />
bei. Alle hatten einen Riesenspaß daran,<br />
das Springen über den von unserem<br />
Hausmeister kreierten Höllenschlund zu<br />
üben, bis es endlich ein bisschen elegant<br />
und lässig aussah. Auch das Reiten auf<br />
Steckenpferden durch unsere große Pausenhalle<br />
musste lange trainiert werden,<br />
ehe es nicht mehr nur nach unbeholfener<br />
Hopserei aussah, sondern schwungund<br />
kraftvoll wirkte. Alle beteiligten sich<br />
an der Gestaltung des großen Bühnenbildes<br />
und ließen es sich nicht nehmen,<br />
Etliche Jahre zuvor war ich mit meiner<br />
damaligen 2. Klasse von einer benachbarten<br />
Waldorfschule zum „Klassenspiel<br />
der 8. Klasse“ eingeladen worden:<br />
„Ronja Räubertochter“. Zur Vorbereitung<br />
hatte ich das Original von<br />
Astrid Lindgren vorgelesen und für<br />
die Kinder die einzelnen Kapitel mehrfach<br />
differenziert umgeschrieben. Am<br />
Ende hatte jedes sein individuelles Heft<br />
„Ronja Räubertochter“, das aus seiner<br />
Einzelblattsammlung gebunden wurde.<br />
Auf diesen Materialschatz greife ich<br />
seit vielen Jahren immer wieder zurück.<br />
Die Kinder der jetzigen Klasse hatten<br />
schon öfter unsere Schulbühne bespielt<br />
Alle hatten einen Riesenspaß daran,<br />
das Springen über den von unserem<br />
Hausmeister kreierten Höllenschlund<br />
zu üben, bis es endlich ein bisschen<br />
elegant und lässig aussah.<br />
18 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
und so entstand die Idee, auch „Ronja<br />
Räubertochter“ nicht nur zu lesen, sondern<br />
im 3. Schuljahr auch zu spielen.<br />
Die Hauptrollen waren schnell und passend<br />
besetzt. Die anderen Kinder freuten<br />
sich, wilde Räuber spielen zu dürfen<br />
und auf der Bühne als Gruppe zu<br />
stehen und keine Solorolle ausfüllen zu<br />
müssen. Gleichzeitig merkten sie, dass<br />
sie dennoch einen wichtigen Part innehatten.<br />
Ursprünglich stand im Raum, sogar<br />
weitere Klassen einzubinden. Leider verbot<br />
uns dies der Beginn der Pandemie,<br />
aber möglich wäre es gewesen: Die beiden<br />
Räuberbanden waren bei uns jeweils<br />
nur 3 bis 4 Mann groß. Das ließe sich erweitern!<br />
Viele Kinder hätten eine schöne Rolle<br />
als Graugnome und Rumpelwichte finden<br />
und ein Chor hätte passende Lieder<br />
einstudieren können. All dies ließ Corona<br />
nicht zu! So blieb es bei einem Vorhaben<br />
unserer Klasse.<br />
Meine erste Fassung für ein Drehbuch<br />
wurde immer wieder erweitert oder<br />
gekürzt. Auf erste reine Leseproben<br />
folgten Übungen zum deutlichen, ausdrucksstarken<br />
Lesen und Sprechen.<br />
Schon bald zog es die Kinder auf<br />
unsere Schulbühne. Hier sollten sie bis<br />
in den allerletzten Winkel zu hören sein!<br />
Diese Erfahrung machen zu lassen, war<br />
mir ausgesprochen wichtig. Sie sollten<br />
nicht nur leise in ein Mikrofon oder<br />
Headset murmeln.<br />
Das war viel Arbeit und kostete viel<br />
Zeit und Kraft. Aber tatsächlich war bei<br />
den Aufführungen jedes Kind auch bis<br />
in die letzten Reihen gut zu verstehen.<br />
Nicht nur die Texte haben wir immer<br />
wieder überarbeitet, auch den Ablauf<br />
und das Spiel selbst änderten und verfeinerten<br />
wir immer wieder mit neuen<br />
Ideen oder durch verworfene erste<br />
Überlegungen:<br />
So wollten wir eigentlich das Bühnenbild<br />
mit der Mattisburg effektvoll auseinanderbrechen<br />
lassen. Nach einigen<br />
Überlegungen beließen wir es bei der in<br />
der Mitte zerbrochenen Mattisburg.<br />
Zunächst zeichneten die Kinder<br />
ihre eigene Vorstellung von der Burg.<br />
Schließlich kombinierten wir die Einfälle<br />
und ließen uns zusätzlich durch das<br />
Internet inspirieren. Jetzt übertrugen<br />
die Kinder den gemeinschaftlich beschlossenen<br />
Entwurf in der Größe eines<br />
DIN-A5-Blattes per Raster auf DIN A3<br />
und später auf unseren Untergrund aus<br />
vielen zusammengenähten Betttüchern.<br />
Eigentlich wollten wir zum Stück auch<br />
singen, aber dann untersagte uns Corona<br />
das. Die musikalischen Anteile unseres<br />
Vorhabens wurden Bodypercussion-<br />
Stücke. Mit Bodypercussion hatten wir<br />
schon viele Erfahrungen gesammelt<br />
und ich fand bei mehreren Künstlern<br />
der Szene und in ihrer Literatur auch<br />
für dieses Stück passende Anregungen:<br />
bedrohliches Aufeinanderzutanzen<br />
der rivalisierenden Räuberbanden am<br />
Katharina Pohl<br />
Lehrerin an der Grundschule<br />
Meckelsen in Klein Meckelsen,<br />
Materialsammlung unter „Links“<br />
auf der Schulhomepage:<br />
https://gs-meckelsen.de<br />
Höllenschlund, Bodypercussion-Begleitung<br />
zum Wolfslied – bei uns zu „Zwei<br />
kleine Wölfe“ – und einen Tanz am Ende<br />
des Stückes auf der gemeinsamen Feier<br />
beider Räuberbanden.<br />
Dieses Projekt führte die Kinder dieser<br />
Klasse dann nach vielen Wochen des<br />
coronabedingten Distanzlernens vor<br />
dem Schulwechsel noch einmal richtig<br />
zusammen!<br />
Sie freuten sich jeden Tag auf die Proben,<br />
rissen sich in ihrer Begeisterung<br />
und in ihrem Elan gegenseitig mit –<br />
auch mich …<br />
Sicher ermessen nicht alle Eltern, wie<br />
viele verschiedene Teile des Lernens und<br />
der musisch-kulturellen <strong>Bildung</strong> solch<br />
ein Projekt umfasst. Nicht alle Eltern<br />
waren gleichermaßen beeindruckt, aber<br />
sie übten mit ihren Kindern die Texte<br />
und halfen bei der Gestaltung der Kostüme<br />
und Requisiten.<br />
Viele Kinder anderer Klassen aber, alle<br />
Kolleginnen und auch viele Eltern formulierten<br />
angesichts der Proben, welche<br />
interessanten Eindrücke sie mitnehmen<br />
konnten und wie gespannt sie seien.<br />
Und vielleicht spürten die Kinder dieser<br />
Klasse, dass nicht nur Ronja und Birk<br />
sich am Ende des Stückes selbstständig<br />
auf den Weg zu neuen Erfahrungen und<br />
Erlebnissen machten. Auch sie selbst<br />
würden ja bald die Komfortzone unserer<br />
kleinen Schule verlassen und in eine<br />
neue Lebens- und Lernphase gehen.<br />
Die Aufführungen – mit natürlich coronagerechter<br />
Bestuhlung – waren große<br />
Erfolge!<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
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Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Konstanze von Unold<br />
Kultur-Projekte in der Schule<br />
trotz Pandemie?<br />
Die Belastung von Lehrkräften und Schulleitungen während der Pandemie ist so<br />
groß, dass Lehrerverbände bereits dazu ermutigen, Veranstaltungen in der Schule<br />
zu reduzieren, unnötige Arbeiten in der Schule wegzulassen und Schwerpunkte<br />
zu setzen. Heißt das, wir sollen uns auf Deutsch und Mathematik konzentrieren?<br />
Oder sollten wir nicht erst recht Schwerpunkte im Bereich der kulturellen <strong>Bildung</strong><br />
setzen? „gemeinsam.Brücken.bauen – Kompetenzen stärken und Gemeinschaft<br />
erleben“ – so lautet der Titel des Förderprogramms zum Ausgleich pandemiebedingter<br />
Nachteile für Schüler*innen im Freistaat Bayern. Ist das nicht<br />
Aufforderung genug, das Erleben von Gemeinschaft in Projekten zu fördern?<br />
Trotz aller Einschränkungen waren<br />
sich Elternbeirat und Team<br />
der Grundschule Baierbrunn zu<br />
Beginn des Schuljahres 2021/22 einig,<br />
dass unsere Kinder besonders jetzt<br />
Schule als Ort der Gemeinschaft erleben<br />
sollen. So wurden mehrere Projekte mit<br />
externen Partnern, die zum Teil in den<br />
beiden Schuljahren davor verschoben<br />
worden waren, in die Jahresplanung der<br />
Schule aufgenommen.<br />
Projekt „Kinder treffen Künstler“<br />
In Zusammenarbeit mit dem Berufsverband<br />
Bildender Künstler München<br />
und Oberbayern e. V. (https://t1p.de/<br />
kinder-treffen-kuenstler) fand bereits im<br />
Sommer 2014 ein erstes gemeinsames<br />
Projekt statt. Mit großer Begeisterung<br />
hatten die Kinder „echte“ Künst ler*in-<br />
nen kennengelernt und vielfältige Erfahrungen<br />
mit Kunst gesammelt. Für<br />
das Jahr 2020 wurde eine Wiederholung<br />
des Projekts geplant.<br />
So war es ursprünglich geplant:<br />
● Das Projekt wird im Frühjahr/Sommer<br />
2020 durchgeführt.<br />
● Künstler*innen kommen zur Schule,<br />
stellen sich und ihre Arbeit in einer<br />
großen Schulversammlung vor.<br />
● Die Kinder wählen ihr Kunstprojekt<br />
(mit Ersatzmöglichkeit, damit die Gruppenstärke<br />
angepasst werden kann).<br />
● Die Kinder arbeiten in klassen- und<br />
jahrgangsübergreifenden Gruppen.<br />
● Das Projekt ist auf eine Schulwoche<br />
festgesetzt.<br />
● An einem der 5 Projekttage fährt die<br />
Gruppe in die Ateliers der Künstler*innen<br />
oder in ein Museum.<br />
● Als Abschluss findet eine große Vernissage<br />
mit Eltern und eine Ausstellung<br />
in der Schule statt.<br />
So konnte es realisiert werden:<br />
● Das Projekt wurde im November<br />
2021 durchgeführt – zwei Künstler<br />
mussten aus Pandemiegründen kurzfristig<br />
absagen. Ersatzpersonen wurden<br />
schnell gefunden.<br />
● Das Projekt wurde klassenweise<br />
durch geführt. Die Zuordnung der<br />
Küns t ler*innen zu den Klassen erfolgte<br />
durch die Lehrkräfte.<br />
● Einzelne Projekttage wurden verschoben,<br />
die Absprache erfolgte zwischen<br />
Klassenlehrkraft und Künstler*in.<br />
Unser Kunstprojekt<br />
20 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
● Der Atelier- oder Museumsbesuch<br />
wurde durch Bilder, per Videokonferenz<br />
oder durch Videos ersetzt.<br />
● Die Ausstellung soll im Sommer<br />
2022 stattfinden, ggf. im Freien.<br />
Das sagen Kinder dazu:<br />
● Mal andere Kunst kennenzulernen<br />
war spannend. (Elisabeth, 4. Kl.)<br />
● Ich habe viel Neues gelernt. (anonym)<br />
● Es war lustig und toll. (anonym)<br />
Tanzprojekt der Drittklässler<br />
Regelmäßig wird das Tanzprojekt in<br />
den dritten Klassen während des Sportunterrichts<br />
in 12 Doppelstunden durchgeführt.<br />
Angeleitet und unterstützt von<br />
Trainer*innen des Vereins Tanz und<br />
Schule e. V. (www.fokustanz.de) machen<br />
die Kinder vielfältige Erfahrungen<br />
im modernen Ausdruckstanz. Dabei<br />
stehen Körper und Sozialerfahrungen<br />
im Mittelpunkt.<br />
So war es ursprünglich geplant:<br />
● Das Projekt findet klassenweise in<br />
beiden dritten Klassen statt.<br />
● Vor der gemeinsamen Aufführung<br />
finden mehrere gemeinsame Trainings<br />
statt.<br />
● Eine Vormittagsaufführung wird für<br />
die Kinder der Schule durchgeführt.<br />
● Eine Abendaufführung wird für die<br />
Eltern der Drittklässler angeboten.<br />
So konnte es realisiert werden:<br />
● Zwar musste mit Maske getanzt werden.<br />
Ansonsten fanden die Trainings<br />
wie geplant statt.<br />
● Die beiden Klassen zeigten sich ihre<br />
Aufführungen gegenseitig.<br />
● Die Aufführungen wurden gefilmt.<br />
● Der Film wurde den Eltern als<br />
Down load zur Verfügung gestellt.<br />
Das sagten Kinder unserer Schule dazu.<br />
Sie wollten anonym bleiben:<br />
● Das Tanzprojekt war sehr cool, weil<br />
man besondere Sachen gelernt hat.<br />
● Ich fand das Tanzprojekt toll. Besonders<br />
das Schlussbild fand ich cool. Ich<br />
habe viel gelernt.<br />
● Ich fand es toll, weil alle so nett waren.<br />
● Das Tanzprojekt war cool, aber<br />
schwierig und anstrengend.<br />
Musical der Viertklässler<br />
Seit vielen Jahren werden an der<br />
Grundschule Baierbrunn jeweils vor<br />
Weihnachten und im Sommer ein<br />
Konstanze von Unold<br />
ist Rektorin an der Grundschule Baierbrunn<br />
und leitet eine zweite Klasse;<br />
grundschule.baierbrunn.de<br />
Musical von (Dritt- und) Viertklässlern<br />
aufgeführt. Einmal wöchentlich treffen<br />
sich ca. 20 Kinder mit zwei Lehrkräften<br />
für 45 Minuten und üben ein Musical<br />
ein.<br />
So war es ursprünglich geplant:<br />
● Im Herbst wird das Musical „Ritter<br />
Rost feiert Weihnachten“ einstudiert.<br />
● Wir hatten gehofft, das Stück wie<br />
früher live in unserer Aula für alle Kinder<br />
aufführen zu können.<br />
● Eine Abendaufführung für Eltern<br />
war geplant.<br />
So konnte es realisiert werden:<br />
● Einige Lieder wurden im Freien einstudiert.<br />
● Das Musical wurde gefilmt.<br />
● Der Film wurde sowohl in den Klassen<br />
gezeigt, als auch den Familien der<br />
Teilnehmenden zum Download zur<br />
Verfügung gestellt.<br />
● Die meisten Lieder wurden als Playback<br />
aufgenommen.<br />
Tanzprojekt<br />
Musical der Grundschule Baierbrunn „Ritter Rost feiert Weihnachten“<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
21
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Das sagen Kinder dazu:<br />
● Mir macht das Musical richtig Spaß.<br />
(Lara, 4. Kl.)<br />
● Mir gefällt, dass wir uns ein Musical<br />
selbst ausdenken dürfen. (anonym)<br />
● Es macht sehr viel Spaß, sich in andere<br />
Rollen zu versetzen. (Elisabeth, 4. Kl.)<br />
● Ich fand es toll, dass wir trotz Corona<br />
ein Musical aufgeführt haben. (anonym)<br />
Mit großem Elan machten sich die Kinder<br />
nach den Weihnachtsferien daran,<br />
ein eigenes Musical zu schreiben, das im<br />
Sommer 2022 aufgeführt werden soll.<br />
Der Gruppe ist es gelungen, ein spannendes<br />
Corona-Musical zu erfinden,<br />
das an verschiedenen Orten in ganz<br />
Deutschland spielt.<br />
Zirkusprojekt<br />
Im dreijährigen Rhythmus wurden an<br />
der Grundschule Baierbrunn bereits in<br />
den Jahren 2016 und 2019 in Zusammenarbeit<br />
mit der Zirkusschule Windspiel<br />
(www.zirkusschule-windspiel.de) Zirkuswochen<br />
durchgeführt. Aus Platzgründen<br />
machten die Erstklässler jeweils ein<br />
eigenes Projekt, das in die Zirkusaufführungen<br />
integriert wurde.<br />
So war es ursprünglich geplant:<br />
● Für Februar wurde eine Zirkuswoche<br />
mit der Zirkusschule Artista, der Nachfolgerin<br />
der Zirkusschule Windspiel, geplant.<br />
● Aus Platzgründen sollten nur die<br />
Dritt- und Viertklässler in klassen- und<br />
jahrgangsübergreifenden Workshops<br />
teilnehmen.<br />
● Tägliche gemeinsame Zirkusspiele<br />
mit der ganzen Schule sollten in der<br />
Turnhalle stattfinden.<br />
● Für die ersten und zweiten Klassen<br />
war ein Ernährungsprojekt angedacht.<br />
● Die Erst- und Zweitklässler sollten<br />
ihr Projekt in der Zirkusvorstellung<br />
präsentieren dürfen.<br />
So kann es hoffentlich realisiert<br />
werden:<br />
● Bereits vor Weihnachten wurde deutlich,<br />
dass jahrgangs- und klassenübergreifende,<br />
interessengeleitete Gruppen<br />
kaum möglich wären. Daher wurde die<br />
Zirkuswoche auf Juni 2022 verschoben.<br />
● Auf der Schulwiese soll ein großes<br />
Zirkuszelt aufgestellt werden, sodass<br />
während der Aufführung gut gelüftet<br />
werden kann und Platz für weitere<br />
Workshops ist.<br />
● Das Zirkuszelt erlaubt auch die Teilnahme<br />
der Zweitklässler am Projekt.<br />
Die Erstklässler werden tolle Pausensnacks<br />
zaubern.<br />
Kinder und Team der Schule freuen<br />
sich nun auf eine spannende Zirkuswoche.<br />
Und mit ein bisschen Glück können<br />
wir nach unserer Zirkusaufführung<br />
ein fröhliches Schulfest feiern und die<br />
Kunstwerke aller Kinder der Schule bewundern.<br />
Das sagen Kinder dazu:<br />
● Ich finde es toll, dass wir das Zirkusprojekt<br />
machen. Wir waren (beim letzten<br />
Mal) Erstklässler und durften Tiere<br />
spielen. Es war sehr lustig und wir hatten<br />
viel Spaß. (anonym)<br />
● Ich finde es toll, dass das Zirkusprojekt<br />
stattfindet. (Josefina, 4. Kl.)<br />
● Ich freue mich schon riesig darauf,<br />
weil ich wegen Corona eigentlich keine<br />
Hoffnung mehr darauf hatte. (anonym)<br />
Trotz der Notwendigkeit von Planungsänderungen,<br />
Einschränkungen und Veränderungen<br />
empfinden alle Beteiligten<br />
die Projekte als große Bereicherung des<br />
Schullebens und vor allem des „Erlebens<br />
von Gemeinschaft“.<br />
Für mich persönlich als Schulleitung<br />
und Lehrkraft kann ich sagen: Glückliche<br />
Kinder, zufriedene Eltern, ausgeglichene<br />
Lehrkräfte und bereichernde eigene<br />
Erfahrungen bieten deutlich mehr<br />
Entlastung für alle an Schule Beteiligten<br />
als die bloße Reduktion auf vermeintlich<br />
wesentliche Unterrichtsinhalte. So<br />
bleibt zu hoffen, dass viele Schulen die<br />
Chancen von Projekten zur kulturellen<br />
<strong>Bildung</strong> sehen, in denen Kinder sich als<br />
selbstwirksam und eigenaktiv erfahren<br />
und dabei gleichzeitig ihre Kompetenzen<br />
stärken und Gemeinschaft erleben.<br />
Erstklässler beim Zirkus und Vorbilder (Foto rechts)<br />
22 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Sabine Kolbe<br />
ErzählZeit – poetische Mündlichkeit<br />
im Kita- und Schulalltag<br />
Begegnungen im Land der Sprache und der Phantasie<br />
Seit nunmehr 14 Jahren hat sich das Berliner Projekt ErzählZeit zu einem einzigartigen<br />
künstlerischen Format der Vermittlung der deutschen Sprache entwickelt,<br />
das zu nachhaltigen Erfolgen in der Sprachbeherrschung von Kindern<br />
und Schüler*innen führt. Mit seinem ausgezeichneten Konzept, dem Dreiklang<br />
von „Erzählen – Zuhören – Weitererzählen“ hat sich ErzählZeit als Projekt der<br />
Sprachbildung und kulturellen <strong>Bildung</strong> etabliert und ist Ideengeber für Erzählinitiativen<br />
bundesweit.<br />
Seit 2008 war ErzählZeit berlinweit<br />
in 185 Grundschulen und 60 Kitas<br />
zu Gast – mit wöchentlichen<br />
Erzählstunden über einen Zeitraum von<br />
bis zu drei Schuljahren sowie flankierenden<br />
Angeboten in Stadtteilbibliotheken.<br />
Weitere ErzählZeit-Bausteine sind<br />
Weiterbildungen für die am Projekt beteiligten<br />
Lehrer*innen und Erzieher*innen,<br />
Projektwochen im Verbund mit<br />
anderen Künsten und öffentliche Veranstaltungen<br />
für Kinder und Eltern, u. a. in<br />
der Jurte der Zentral- und Landesbibliothek<br />
Berlin.<br />
Lehrer*innenstimmen aus den letzten<br />
beiden Schuljahren ergänzen die weiteren<br />
Ausführungen zum Projekt.<br />
Märchen und Mythen an. In der Verknüpfung<br />
von Sprache, gestischem und<br />
mimischen Ausdruck entwickelt sich lebendiges<br />
Erzähltheater. In der kommunikativen<br />
Situation der Erzählstunden<br />
findet Sprachbildung/Sprachvermittlung<br />
auf emotionaler Ebene statt.<br />
Das Konzentrationsvermögen wird<br />
gestärkt und die Fähigkeit, eigene Bilder<br />
beim Zuhören entstehen zu lassen, wird<br />
entwickelt. Phantasie, Kreativität und<br />
Neugier auf Fremdes werden gefördert,<br />
literarische Erstbildung wird in mündlicher<br />
Form erlebt.<br />
Während der Erzählstunden durchleben<br />
die Kinder eine Geschichte. Dabei werden<br />
sie zur aktiven Teilnahme angeregt,<br />
ermutigt und sind so in die Erzählungen<br />
involviert. Uns ist aufgefallen, wie sehr<br />
diese Art des gemeinsamen Erzählens<br />
und Erlebens die Kinder mitreißt und<br />
wie präsent die Geschichten im weiteren<br />
Tages- und Wochenverlauf sind. Bei<br />
spontanen Erzählanlässen bemerken<br />
wir, dass die Kinder geneigter sind<br />
Präteritumsformen zu benutzen. (Carl<br />
von Ossietzky GS 2020 EZ)<br />
Die starke Verbindung von Inhalt /<br />
gesprochener Sprache und körperlicher<br />
sowie geistiger Präsenz ist jedes Mal<br />
beeindruckend. (Hansa GS 2021 EZ 13)<br />
Das Prinzip „erzählen –<br />
zuhören – weitererzählen“<br />
Erzählen und Zuhören<br />
Voraussetzung für den Erfolg des Projekts<br />
ist die kontinuierliche Begegnung der<br />
Kinder mit der mündlichen Erzählkunst<br />
und einer poetischen Sprache. Der Resonanzraum,<br />
der zwischen Er zählen den<br />
und Zuhörenden während des Erzählvorgangs<br />
entsteht, macht die Besonderheit<br />
der Begegnungssituation aus.<br />
Erzählen als kleinste<br />
Form von Theater<br />
Auch die Auszeichnung als <strong>Bildung</strong>sidee<br />
Deutschland 2011/12 belegt, was<br />
die kleinste und unmittelbarste Theaterform,<br />
die Erzählkunst, im Bereich der<br />
kulturellen <strong>Bildung</strong> bewirken kann. Die<br />
professionelle Kunst der Erzähler*innen,<br />
die über eine schauspielerische<br />
und/oder theaterpädagogische Ausbildung,<br />
künstlerische Berufserfahrung<br />
und eine Zusatzqualifikation im Bereich<br />
des Erzählens verfügen, ist das Herzstück<br />
von ErzählZeit.<br />
Die Erzähler*innen bringen lebendiges,<br />
ausdrucksstarkes Erzählen in die<br />
Klassenzimmer und Gruppenräume. Sie<br />
haben die Geschichten aus den Buchdeckeln<br />
befreit und knüpfen an die Tradition<br />
der mündlichen Weitergabe von<br />
Marietta Rohrer-Ipekkaya erzählt zur Eröffnung von ErzählZeit 14<br />
Joerg Farys // Die.PROJEKTOREN<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
23
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Es ist ein Zweiklang von Erzählen<br />
und Zuhören.<br />
Erzählen ist kein Monolog, sondern<br />
ein Dialog, der die Schwingungen des<br />
Publikums aufnimmt und damit ein<br />
Märchen, eine Geschichte immer wieder<br />
neu lebendig werden lässt. Die<br />
Erzählenden sehen die Augen des Publikums,<br />
spüren dessen körperliche<br />
Anspannung oder Gelöstheit, sehen<br />
rote Wangen, wache Augen, spüren<br />
einen gemeinsamen Atem – all diese<br />
Beobachtungen, Empfindungen haben<br />
Auswirkungen auf die Erzählung, auf<br />
die Körpersprache, Blicke, Gesten, die<br />
Lautstärke, die Stimmfärbung, auf Pausen<br />
und Wiederholungen.<br />
Die Erzählerinnen „spielen“ für uns,<br />
vermitteln Spaß an der Sprache, wecken<br />
in den Kindern Gefühle wie Wut, Mitleid,<br />
Angst und Freude. Viele Kinder<br />
kommen dadurch das erste Mal mit<br />
Kunst, mit Erzählkunst, in Berührung.<br />
(Hausburg Grundschule 2021, EZ 13)<br />
Allgemein habe ich das Gefühl, dass die<br />
ErzählZeit für die Aufmerksamkeit ein<br />
super Format ist. Viele kennen es von<br />
zu Hause nicht, Geschichten erzählt zu<br />
bekommen. Das Zuhören lernen sie hier,<br />
was auch Effekte auf den Unterricht hat.<br />
(Ossietzky Grundschule 2021, EZ 13)<br />
Weitererzählen<br />
Im nächsten Schritt erzählen die Kinder<br />
und Schüler*innen gehörte Märchen<br />
nach und erfinden eigene Geschichten.<br />
Aus Zuhörer*innen werden Erzähler*innen<br />
– sie erleben Sprache als<br />
Schlüssel zur Welt. Durch die regelmäßigen<br />
Erzählstunden wächst eine<br />
lebendige Erfahrung der „Baupläne“, der<br />
Dramaturgie der Märchen. Der Wortschatz<br />
erweitert sich.Jedes Jahr ist es<br />
wieder eine große Freude für uns, mitzuerleben,<br />
was an Sprachverständnis<br />
und -gewandtheit gewachsen ist und<br />
wie aus aktiven, neugierigen Zuhörer*innen<br />
phantasievolle Nacherzähler*innen<br />
und Geschichtenerfinder*innen<br />
geworden sind.<br />
Man lernt einige Kinder neu kennen.<br />
Kinder, die sonst gar nichts sagen, blühen<br />
auf, fangen an zu erzählen, mitzumachen,<br />
trauen sich … Ich bin immer<br />
wieder fasziniert, wie sich die Kinder<br />
besonders gut viele kleine Details merken<br />
können, auch wenn schon Tage und<br />
Wochen dazwischen liegen. (Ebereschen<br />
Grundschule 2021, EZ 13)<br />
Durch das Erzählen der Geschichten<br />
bekommen die Kinder eine Struktur,<br />
wie sie eigene Geschichten aufbauen<br />
können. Sie erhalten Geschichtenvorbilder,<br />
üben sich im Erinnern und<br />
Nacherzählen der Geschichten, die Imagination,<br />
eigene Bilder im Kopf „entstehen<br />
lassen“, wird gefördert. (Campus<br />
Efeuweg 2021, EZ 13)<br />
Zur Märchenauswahl<br />
Bir varmisch bir yokmusch (türkisch),<br />
Schili byli (russisch), once upon a time<br />
(englisch), Mukashi Mukashi ( japanisch),<br />
Era uma vez (portugiesisch)<br />
… – Es war einmal – so beginnen die<br />
Märchen überall auf der Welt. Und der<br />
Anteil von Kindern, die andere Herkunftssprachen<br />
als die deutsche Sprache<br />
mitbringen, liegt in den Klassen und<br />
Gruppen bei meist 70 bis 80 Prozent. So<br />
orientieren sich die Erzähler*innen in<br />
der Auswahl der Märchen an den unterschiedlichen<br />
Kulturkreisen, aus denen<br />
die Kinder und Schüler*innen kommen.<br />
Internationale Märchen und Mythen<br />
öffnen so auch den Zugang zu und die<br />
Neugier auf fremde Kulturen.<br />
In den ersten Erzähleinheiten stehen<br />
Ketten- und Tiermärchen aus aller Welt<br />
im Mittelpunkt und bahnen in kürzeren<br />
Erzählsequenzen den Weg ins lustvolle<br />
Zuhören. Wiederkehrende Motive<br />
und Märchenmuster werden in aller<br />
Welt aufgespürt und geben einen Einblick<br />
in die Wandlungsfähigkeit und<br />
Vielfalt internationaler Märchen. Märchen<br />
mit (kindlichen) Held*innen, die<br />
gewitzt und mutig ihren Weg meistern<br />
und Schwierigkeiten überwinden, stärken<br />
das Vertrauen in die eigenen Kräfte.<br />
Komplexe Zaubermärchen mit einer<br />
Länge von 30 Minuten und mehr sind<br />
am Ende eines Schuljahres der krönende<br />
Abschluss für Erzähler*innen und konzentrierte<br />
Zuhörer*innen.<br />
… sehr abwechslungsreich, ein gutes<br />
Maß an leichter Überforderung, sprachlich<br />
und bei der Komplexität der Erzählung.<br />
Die Kinder sind stolz, wenn ein<br />
Märchen aus ihrem Land/Kulturkreis<br />
erzählt wird. (Gesundbrunnen GS,<br />
2020 EZ 12)<br />
Ich finde die Auswahl super. Von klassischen<br />
deutschen Märchen, die auch<br />
in Varianten erzählt werden, bis hin zu<br />
Geschichten und Märchen aus aller Welt<br />
ist alles dabei. Besonders gefällt mir,<br />
dass zu Beginn die Herkunftsländer/<br />
Bezüge der Kinder abgefragt werden<br />
und teilweise aufgegriffen werden. (Carl<br />
von Ossietzky GS 2021, EZ 13)<br />
Herausforderung Corona-<br />
Pandemie – alternative Formate<br />
Durch die Beschränkungen infolge der<br />
Covid-19-Pandemie musste Erzähl-<br />
Zeit auf Ersatz-Formate ausweichen:<br />
Hörstücke, Live-Videoformate oder<br />
vorab abgefilmtes Erzählen ohne Publikum,<br />
welches dann im Netz eingestellt<br />
wurde.<br />
„Die siebente Sonne darf scheinen“ – Präsentation der Klasse 2d der Märkischen<br />
Grundschule zur Eröffnung der ErzählZeit 14, erarbeitet mit der Erzählerin Sabine<br />
Steglich<br />
Joerg Farys // Die.PROJEKTOREN<br />
24 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Im ersten Lockdown im März 2020<br />
wurde die „ZwischenZeit – ErzählZeit<br />
für Zuhause“ entwickelt. Fünfundvierzig<br />
von den Erzähler*innen eingesprochene<br />
Märchen waren samt eines Arbeitsblattes<br />
„Mitmachen“ auf unserer Internetseite<br />
zu verschiedenen Themen (u. a.<br />
Steine & Mauern, Garten & Wildnis,<br />
Wasser & Welle, Zeit & Raum, Wolken<br />
& Wind ) verfügbar.<br />
Die Erzähler*innen ermöglichten den<br />
Kindern der Partnerschulen und Kitas<br />
und auch der breiten Öffentlichkeit, mit<br />
Märchen aus aller Welt zumindest im<br />
Kopf auf Weltreise gehen zu können!<br />
Eine kurze Auswahl ist nach wie vor<br />
auf unserer Website unter Zwischen-<br />
Zeit abrufbar: www.erzaehlzeit.de/was/<br />
zwischenzeit<br />
Vielen Dank für diese schöne Möglichkeit,<br />
dass wir diese für uns ungewöhnliche<br />
Zeit mit digitalen Märchen nutzen<br />
können – eine tolle Idee. (GS am<br />
Amalienhof, 2020 EZ 12)<br />
Welch wunderbare Idee von euch,<br />
den Kindern in dieser verrückten Zeit<br />
Abwechslung zu bieten. Wie werden<br />
sich die Kinder freuen, deine Stimme<br />
zu hören, aber auch anderen Erzähler*innen<br />
lauschen zu können. Ich bin<br />
begeistert von eurem Engagement und<br />
eurem großen Herz für die Kinder.<br />
(Jane-Godall-GS, 2020 EZ 12)<br />
Im zweiten Lockdown 2021 war es den<br />
Erzähler*innen teilweise möglich, je<br />
nach technischer Ausstattung der Schulen<br />
und Kitas, Zoomvarianten über<br />
Lernraum Berlin anzubieten. So konnten<br />
die Kinder zu Hause oder auch in<br />
der Notbetreuung in den Einrichtungen<br />
an ErzählZeit teilnehmen.<br />
Für die geplanten Termine in der Jurte<br />
wurde eine Vorabvideoaufnahme erstellt<br />
und auf dem YouTube-Kanal der<br />
Zentral- und Landesbibliothek eingestellt.<br />
Im Frühjahr 2021 haben wir außerdem<br />
das Format „Draussen.ErzählZeit“<br />
entwickelt, welches an verschiedenen<br />
Orten/Bäumen in Berliner Parks mittels<br />
QR-Code ein Hören von Märchen ermöglichte<br />
(https://draussen.erzaehlzeit.<br />
de/map/tag-des-baumes/).<br />
Resümierend lässt sich feststellen,<br />
dass wir kreativ und unerschrocken auf<br />
Entdeckungsreise gegangen sind und<br />
alternative digitale Möglichkeiten für<br />
ErzählZeit ausprobiert haben. Diese<br />
können auch für die Zukunft eine Ergänzung<br />
sein.<br />
Doch wie durch ein Brennglas zeigte<br />
sich auch, was wir vermissten, was uns<br />
fehlte, das was den eigentlichen Zauber<br />
von ErzählZeit ausmacht: Die direkte<br />
Begegnung von Erzähler*in und den<br />
Zuhörer*innen, der gemeinsame Gang<br />
durchs Tor der Phantasie und Poesie, das<br />
gemeinsame Erleben eines Märchens,<br />
einer Geschichte.<br />
Ich konnte mich im Umgang mit Videound<br />
Audioaufnahmen schulen, eine<br />
wichtige Erfahrung. Gleichzeitig spürte<br />
ich bei jedem Live-Streaming das<br />
Ungenügen dieser Art von Begegnung,<br />
da war eine unsichtbare Wand zwischen<br />
den Kindern und mir, ein Filter,<br />
eine unüberbrückbare Entfernung, was<br />
mich jedes Mal mit großen Zweifeln an<br />
meinem Tun erfüllte … Alles in allem:<br />
Online Erzählen ist für mich eine Krücke<br />
und kann auf keinen Fall die lebendige<br />
Begegnung ersetzen. (Arna Vogel,<br />
Erzählerin, 2. Lockdown 2021 EZ 13)<br />
Die Schüler*innen und Lehrer*innen fanden<br />
das Liveformat per Zoom eine gute<br />
Lösung für die Corona-Situation, natürlich<br />
hätten sie mich lieber vor Ort gehabt.<br />
Die Kitas wollten beide kein Ersatzformat,<br />
der Tenor: BITTE KEIN ONLINE,<br />
NICHTS DIGITALES, HILFE DIE KIN-<br />
DER SIND DAMIT ZUGEMÜLLT!<br />
(Marietta Rohrer-Ipekkaya, Erzählerin,<br />
2. Lockdown 2021 EZ 13)<br />
Rahmenbedingungen Finanzierung<br />
Im Jahr 2008 wurde in Berlin der<br />
Projektfonds <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> aufgelegt.<br />
ErzählZeit wurde über drei Jahre<br />
darüber finanziert. Seit 2012 hat das<br />
Projekt eine jährlich neu zu beantra gende<br />
Förderung durch die Senatsverwaltung<br />
für <strong>Bildung</strong>, Jugend und Familie<br />
erhalten. ErzählZeit ist Teil des Ber liner<br />
Rahmenkonzepts <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>,<br />
welches als zentrale Grundlage einen<br />
richtungsweisenden Handlungsrahmen<br />
für die Implementierung von ästhetischkünstlerischer<br />
<strong>Bildung</strong> im Schulalltag<br />
gibt.<br />
Qualität und Nachhaltigkeit kultureller<br />
<strong>Bildung</strong> hängen unmittelbar auch mit<br />
nachhaltigen Rahmenbedingungen für<br />
die Akteur*innen zusammen.<br />
In der Zukunft muss eine stetige Erhöhung<br />
der Fördersumme angestrebt werden,<br />
damit – neben der immer wieder<br />
Sabine Kolbe<br />
Diplomschauspielerin,<br />
Theaterpädagogin, Erzählerin<br />
www.sabinekolbe.de<br />
post@sabinekolbe.de<br />
www.erzaehlzeit.de<br />
kolbe@erzaehlzeit.de<br />
neu bestätigten Nachhaltigkeit für die<br />
Sprachentwicklung der beteiligten Kinder<br />
und Schüler*innen – auch für die<br />
im Projekt arbeitenden Erzähler*innen<br />
eine verbindliche Wertschätzung ihrer<br />
künstlerischen Arbeit und eine langfristige<br />
Planbarkeit gegeben ist. Ein Förderinstrument,<br />
welches zumindest zweijährige,<br />
wünschenswert drei- bis fünfjährige<br />
Finanzierungen ermöglicht, würde<br />
kontinuierlicher Arbeit einen gesicherten<br />
Rahmen und Boden für weitere Entwicklungen<br />
geben.<br />
Fazit<br />
Gaby Waldek/waldekfoto@gmx.de<br />
Der Dreischritt Erzählen – Zuhören –<br />
Weitererzählen ermöglicht den Kindern<br />
und Schüler*innen aus dem intensiven<br />
Erleben von Geschichten heraus, die<br />
eigene Sprachfähigkeit zu erweitern. Mit<br />
der stetigen Erweiterung des ErzählZeit-<br />
Grundkonzepts – durch Bibliotheksveranstaltungen,<br />
die ErzählZeit in der<br />
Jurte, Festtage, Begegnungen mit anderen<br />
künstlerischen Ausdrucksformen in<br />
Projektwochen, der DRAUSSEN.Erzähl-<br />
Zeit, der ZwischenZeit für zu Hause<br />
– zeichnet sich ErzählZeit mit seiner<br />
ästhetischen Gesamtqualität und künstlerischen<br />
Professionalität im Feld der<br />
kulturellen <strong>Bildung</strong> aus und setzt einen<br />
Qualitätsmaßstab im Bereich der künstlerischen<br />
Sprachförderung.<br />
Mein Wunsch: jedes Schuljahr eine<br />
Begleitung durch Erzählzeit! Kunst ist<br />
so wichtig für uns alle, verbindet verschiedene<br />
Kulturen und bildet. (Hausburg<br />
GS 2021 EZ 13)<br />
EZ ist etwas ganz Besonderes für die<br />
Kinder. (Ebereschen GS 2021 EZ 13)<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
25
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Gabriele Klenk im Gespräch mit der Künstlerin Sabine Schwarz<br />
Kultur in die Schule bringen<br />
Gabriele Klenk: Frau Schwarz, Sie gestalten<br />
Kunst mit Kindern, kommen<br />
in Grundschulen oder Kindertagesbetreuungen<br />
bzw. laden Gruppen von<br />
Kindern in Ihr Atelier ein. Wie sehen<br />
Ihre Angebote für Schulklassen oder<br />
Kindergruppen konkret aus?<br />
Sabine Schwarz: Konkrete Angebote<br />
für kreative Projekte sind zum Beispiel<br />
aus Wünschen von Kindern, in<br />
Gesprächen mit Lehrkräften oder aus<br />
Vorgaben des Kunst- oder Werkunterrichts<br />
entstanden. Es geht um Projekte,<br />
für die ein Bedarf vorhanden ist, sei es<br />
die Garten-, Treppenhaus- oder Pausenhofgestaltung.<br />
Oft wollen Schülerinnen<br />
und Schüler, die täglich im Treppenhaus<br />
laufen, dieses gemeinsam gestalten.<br />
Manchmal entstehen Ideen auch in<br />
Kunst-AGs. In einem Schulhaus werden<br />
derzeit eine Treppenhausgestaltung in<br />
einem Stockwerk nach Franz Marc und<br />
in einem anderen nach Hundertwasser<br />
geschaffen.<br />
Zuerst gibt es kleine Entwürfe der<br />
Kinder. Ich versuche diese dann so umzusetzen,<br />
dass wir sie gemeinsam gestalten<br />
können. Im Außenbereich setze<br />
ich mobile Elemente ein, wie Holzstelen<br />
oder Betonskulpturen. Wir gestalten<br />
Außenwände oder Säulen durch Bemalen<br />
oder fertigen mobile Kugelbahnen<br />
an, die von den Kindern als Pausenspiele<br />
genutzt werden, Windwiegen<br />
oder Pflanzenstäbe oder auch Kunst aus<br />
Recyclingmaterial. Ich bringe Material<br />
in die Schulen mit und setze Techniken<br />
wie z. B. Actionpainting oder Fluidpainting<br />
ein.<br />
G. K.: Inwiefern stehen in diesen Projekten<br />
die Produkte oder die damit<br />
verbundenen Prozesse im Vordergrund?<br />
S. S.: Im Vordergrund steht tatsächlich<br />
eine konkrete Produktvorstellung.<br />
Gleichzeitig geht es aber immer darum<br />
„Wie machen wir das?“ Ich möchte<br />
die Kinder im Vorfeld und im Projekt<br />
beteiligen. Sie sollen Kunst ganz neu<br />
erleben dürfen, um ganz frei zu arbeiten<br />
– unabhängig von der Lehrkraft – mit<br />
einer Künstlerin.<br />
G. K.: Werden auch Kinder erreicht,<br />
die ansonsten keine Nähe zu Kunst<br />
oder künstlerischem Gestalten haben?<br />
S. S.: Diese werden ganz besonders<br />
erreicht. Ehrfürchtig und erfreut erlebe<br />
ich, wie Kinder sich erschließen lassen,<br />
auch in sehr sensiblen Bereichen. Zum<br />
Beispiel arbeite ich auch mit autistischen<br />
Kindern, die große Berührungsprobleme<br />
haben, kaum aus sich<br />
herausgehen und schon Sorge haben,<br />
sich durch Materialien schmutzig zu<br />
machen. Sie werden in diesem aktiven<br />
Kreativsein stark mitgerissen. Hier sehe<br />
ich sehr viel Potenzial, Kunst als Schlüssel<br />
für gemeinsames oder auch individuelles<br />
Handeln, das nicht zu einer<br />
Überforderung führt, zu erleben.<br />
G. K.: In unserer Gesellschaft gibt es<br />
bisweilen die gängige Meinung „Kunst<br />
kommt von Können“. Gibt es innerhalb<br />
Ihrer Kunstprojekte für alle Kinder<br />
Könnenserfahrungen bzw. künstlerisches<br />
Erleben, auch wenn sie von<br />
zu Hause in dieser Hinsicht wenig mitbringen?<br />
S. S.: Jedes Kind fängt bei null an. Ich<br />
bringe Materialien und Aufgaben mit,<br />
die sie eigentlich noch nicht können.<br />
Es gibt so viele Anregungen und Techniken,<br />
dass jedes Kind etwas Neues<br />
www.kuenstlerin-sabine-schwarz.de<br />
erleben darf und sich darauf einlassen<br />
will. Manchmal habe ich Schüler oder<br />
Schülerinnen, die alles richtig und<br />
schön machen möchten, aber auch Kinder,<br />
die meinen, mit Pinsel und Farben<br />
nicht richtig umgehen zu können. Wenn<br />
sie nun ganz aus sich herausgehen und<br />
rasch Erfolgserlebnisse haben, begeistert<br />
sie das. Kinder, die in der Schule keine<br />
guten Noten haben, tasten sich an Dinge<br />
heran und können den Erfolg unmittelbar<br />
sehen, wenn sie das Werk schaffen<br />
und sowohl die Rückmeldung der Mitschülerinnen<br />
und Mitschüler als auch<br />
ihrer Lehrkraft erleben.<br />
Lehrkräfte sind in Projekten nicht die<br />
Akteure, sondern dürfen das Verhalten<br />
ihrer Kinder in Sozialkontakten und<br />
auch im Umgang mit der Aufgabe beobachten.<br />
Ich hingegen bin eine Art Regisseurin,<br />
die leitet und lenkt. Ich hatte<br />
in einer Schule folgende Situation: Die<br />
Lehrkraft erklärte mir vorher, dass ein<br />
Schüler ihrer Klasse nicht bei dem Projekt<br />
dabei sein sollte, weil er „das ganze<br />
Projekt schmeißen würde und sie<br />
möchte das Erlebnis für die Klasse haben“.<br />
Meine Antwort war: „Für dieses<br />
Kind bin ich da, dieses Kind hole ich<br />
mit rein und wir finden eine Lösung für<br />
alle. Ich will gar nicht wissen, um welches<br />
Kind es sich handelt.“ Ich habe das<br />
Kind als wichtigen Helfer von Anfang an<br />
mit einbezogen und es beauftragt, sich<br />
mitverantwortlich für das Projekt zu sehen.<br />
Am Ende war die Lehrkraft froh,<br />
und das Kind hat mir beim Einladen der<br />
26 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Farben in mein Auto gesagt: „Das war<br />
heute mein schönster Schultag!“<br />
G. K.: Wie ermutigen Sie Kinder<br />
dazu, sich mit Farbe und Form auszudrücken,<br />
um sich dabei als kreativ und<br />
erfolgreich gestaltend wahrzunehmen?<br />
S. S.: Ich biete besonders schöne, hochwertige<br />
Farben an, die „appetitlich“ vor<br />
den Kindern liegen und damit einen<br />
hohen Aufforderungscharakter haben.<br />
Leinwände, Glitzer, Muscheln, Steine,<br />
Beton sind Materialien, die normalerweise<br />
nicht im Unterricht verarbeitet<br />
werden. Dann ist es die Technik, die ich<br />
ihnen anhand von Fotos von Produkten<br />
mit dieser Technik vorher zeige, um ihnen<br />
einen Anreiz zu geben. Unsichere Kinder<br />
ermutige ich mit Hinweisen wie: „So<br />
ungefähr sieht dein Werk dann auch aus.“<br />
Oder: „Das ist eine Gemeinschaftsarbeit<br />
und meine Anleitung ist immer dabei.“<br />
G. K.: Inwiefern sind in Ihren Kunstprojekten<br />
individuelle Ausdrucksmöglich<br />
kei ten von Kindern ebenso mitgedacht<br />
wie kooperative Arbeitsweisen<br />
oder gemeinsame Produkte?<br />
S. S.: Gemeinschaftswerke fördern das<br />
Miteinander. Zunächst müssen die Kinder<br />
sich absprechen, welche Farben und<br />
welche Technik sie anwenden möchten.<br />
Sie benötigen Zeit, bis alle in der Gruppe<br />
zufrieden sind. Dafür müssen Kompromisse<br />
eingegangen und Wünsche<br />
zurückgestellt werden. Im gemeinsamen<br />
Prozess kann niemand etwas falsch<br />
machen, jedes Kind hat eine individuelle<br />
Arbeit. Diese kann man sehen und<br />
trotzdem entsteht ein gemeinsames<br />
Werk. Das gemeinsame Tun wird sichtbar,<br />
macht stolz und ist nachhaltig. Ich<br />
erlebe immer wieder, dass mich Kinder<br />
auf der Straße ansprechen oder in<br />
mein Atelier kommen und noch einmal<br />
etwas Künstlerisches schaffen wollen.<br />
Beim kreativen Prozess werden neue<br />
Türen geöffnet, sich etwas zuzutrauen,<br />
Neues anzugehen und seinen Horizont<br />
zu erweitern.<br />
G. K.: Können Kinder eigene Ideen<br />
und Wünsche einbringen und gibt es<br />
hierzu gemeinsame Reflexionen?<br />
S. S.: Der Punkt ist sehr vielfältig. Er<br />
umfasst das spontane Ansehen während<br />
des Prozesses und nach Fertigstellung des<br />
Produkts. Am Schluss schaut dann die<br />
ganze Klasse auf die Werke. Es kommen<br />
Fragen wie „Was haben die anderen<br />
gemacht?“, „Wie ist das so entstanden?“,<br />
„Wie ist es dir dabei gegangen?“. In einer<br />
Schule durften Kinder in ihrer Klasse zu<br />
ihren Bildern eigene Geschichten schreiben<br />
und konnten dabei auch ihre Emotionen<br />
ausdrücken. In der Vernissage<br />
ihrer Schule haben die Kinder vorher<br />
erlebt, welche Wertschätzung es bedeutet,<br />
wenn das eigene Bild ausgestellt, vielleicht<br />
sogar versteigert wird oder in der<br />
Schule ausgestellt bleibt, selbst wenn es<br />
nicht mehr in diese Schule geht.<br />
G. K.: Was bedeutet es für die Persönlichkeitsentwicklung<br />
von Kindern,<br />
sich künstlerisch betätigen zu können?<br />
S. S.: In diesen Projekten können Kinder<br />
weggehen vom herkömmlichen<br />
Leistungsgedanken und bekommen<br />
den Geist frei, sich in den Prozess zu<br />
begeben, extrem konzentriert zu sein,<br />
Lebensfreude unmittelbar zu erfahren<br />
und trotzdem einfach von allem anderen<br />
einmal abzuschalten. In diesem<br />
Moment können die Kinder ein Glücksgefühl<br />
haben, und ihnen dieses zu geben<br />
und es sie mitnehmen zu lassen, ist<br />
mein Fokus als Künstlerin.<br />
G. K.: Gibt es heimliche Wünsche von<br />
Ihnen als Künstlerin und Pädagogin<br />
mit Schwerpunkt Kunsttherapie an die<br />
Grundschule?<br />
S. S.: Mein Wunsch ist vor allem, das<br />
freie Malen und die Kunst losgelöst von<br />
Lehrplänen zu sehen. Hier bekommen<br />
die Lehrkräfte meines Erachtens zu<br />
wenig Raum und sind sehr darauf<br />
fokussiert, den „Lehrplan zu schaffen“.<br />
Das Fach Kunst und künstlerisches<br />
Tun ermöglichen Persönlichkeitsentwicklung<br />
von Kindern. Es kommt aber<br />
darauf an, was ich mache, ob ich ein Bild<br />
ausmalen lasse oder ob ich den Kindern<br />
Impulse gebe, eigenständig kreativ zu<br />
sein. Da wäre mein Wunsch, auch Fachkräfte<br />
wie Künstler und Künstlerinnen<br />
verstärkt in die Schulen zu holen oder<br />
diese in ihrem Atelier zu besuchen.<br />
Damit schaffen Lehrkräfte für sich Entlastung<br />
und gönnen ihren Schülern und<br />
Schülerinnen das Erleben von mehr und<br />
vielfältigerer Kunst. Gleichzeitig wird<br />
den Lehrkräften eine künstlerische Fortbildung<br />
geboten, denn sie selbst lernen<br />
ja auch diese Techniken, die Kinder in<br />
den Projekten erwerben. Es geht nicht<br />
um Arbeit mit Schablonen, sondern<br />
um Anregungen durch mich und individuelle<br />
Umsetzung von Ideen der Kinder.<br />
Ich würde mir sehr wünschen, dass<br />
in unserer Gesellschaft die Kunst deutlicher<br />
wertgeschätzt würde, auch durch<br />
finanzielle Unterstützung in der Schule<br />
und weg von einer Haltung „hier wird<br />
nur ein wenig gekleckst“. Was mir auch<br />
sehr wichtig ist: Ich bin immer offen für<br />
Zuschauen und Helfen während des<br />
Projektes, dabei entwickelt sich Akzeptanz<br />
für die künstlerische Arbeit. Über<br />
die Kinder, deren Eltern und deren<br />
Lehrkräfte erreiche ich auch die Gesellschaft<br />
außerhalb der Schule.<br />
G. K.: Vielen Dank für das Gespräch.<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
27
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Maresi Lassek im Gespräch mit Marko Gartelmann<br />
aus dem Team der Musikwerkstatt der Bremer Philharmoniker<br />
Musik: Begegnung. Erlebnis. Berührung<br />
Musikangebote für Kinder in der Schule und darüber hinaus –<br />
die Bremer Philharmoniker<br />
Maresi Lassek: Die Bremer Philharmoniker<br />
gestalten Musikbegegnungen<br />
für Kinder. Die Philharmoniker kommen<br />
mit klassischer Musik in die<br />
Schule und laden Schulklassen und<br />
Lehrkräfte in ihre Musikwerkstatt ein,<br />
um Instrumente kennenzulernen und<br />
auszuprobieren. Es gibt sogar ein Phil<br />
Mobil, mit dem die Musikwerkstatt zu<br />
den Schulen und Kindergärten fährt.<br />
Wie sehen die unterschiedlichen Angebote<br />
konkret aus? Werden auch Kinder<br />
erreicht, die ansonsten keine Nähe<br />
zu Musik und Instrumenten haben<br />
können?<br />
Marko Gartelmann: Ja, diese Erfahrung<br />
machen wir fast bei jeder unserer Veranstaltungen.<br />
Wir sind bei den Bremer<br />
Philharmonikern mittlerweile seit ca. 20<br />
Jahren in der Musikvermittlung tätig.<br />
Wir haben dafür eigens die Musikwerkstatt<br />
Bremen gegründet und ein Team<br />
aus Musikpädagogen zusammengestellt,<br />
die sehr engagiert und altersgerecht den<br />
Kindern und Jugendlichen die Faszination<br />
der Musik und der Instrumente<br />
nahebringen. In den vergangenen Jahren<br />
ist somit ein umfangreiches Angebot<br />
an Projekten in der Musikvermittlung<br />
entstanden. Im Fokus stehen dabei vor<br />
allem Schulen der Elementarstufe – zum<br />
einen, weil Kinder in dem Alter zwischen<br />
ca. sechs und zehn Jahren wichtige<br />
persönliche Entwicklungsschritte<br />
vollziehen und noch „offenohrig“ sind.<br />
Zum anderen erreichen wir, auch durch<br />
die allgemeine Schulpflicht bedingt, alle<br />
Kinder, also auch diejenigen, bei deren<br />
Eltern der <strong>Bildung</strong>sgedanke nicht so<br />
präsent ist. Diese Kinder würden wahrscheinlich<br />
gar nicht oder vielleicht erst<br />
viel später mit Orchesterinstrumenten<br />
und klassischer Musik in Kontakt kommen.<br />
Uns ist es aber wichtig, möglichst<br />
alle Kinder zu erreichen, ohne<br />
Rücksicht auf Alter, Herkunft oder<br />
Geschlecht.<br />
Kontakt<br />
Musikwerkstatt Bremen<br />
der Bremer Philharmoniker,<br />
Plantage 13, 28215 Bremen<br />
Ansprechpartner: Marko Gartelmann<br />
E-Mail: gartelmann@<br />
bremerphilharmoniker.de<br />
M. L.: Ein ambitioniertes Ziel! Wie lässt<br />
sich das umsetzen?<br />
M. G.: Wir haben eine Art „Baukastensystem“<br />
mit verschiedenen Projektangeboten<br />
entwickelt, die einzeln buchbar,<br />
aber auch untereinander kombinierbar<br />
sind und so die Vielfalt der Musik<br />
und der Instrumente abbilden.<br />
M. L.: Wie sieht dieses Baukastensystem<br />
konkret aus?<br />
M. G.: Grundsätzlich lassen sich unsere<br />
Angebote in drei Kategorien einteilen:<br />
1) Projekte und Konzerte in Schulen.<br />
Hier haben die Schulen die Möglichkeit,<br />
aus verschiedenen Angeboten zu wählen.<br />
Wir bieten neben Schulkonzerten<br />
mit kleinen Kammerensemblen, die in<br />
den Turnhallen der Schulen stattfinden,<br />
auch Projekttage oder auch eine komplette<br />
Projektwoche an. Gemeinsam ist<br />
allen, dass immer die gesamte Schülerschaft<br />
der Schule teilnimmt. Dabei<br />
arbeiten wir auch mit externen Künstlern<br />
aus den Bereichen Schauspiel,<br />
Gesang oder Tanz zusammen.<br />
Joerg Sarbach<br />
2) Außerschulische Lernorte. Dies können<br />
verschiedene Konzertsäle Bremens<br />
sein oder das Theater Bremen, mit dem<br />
wir in Kooperation speziell für Grundschulen<br />
konzipierte Konzertformate<br />
anbieten. Die Idee dabei ist, dass die<br />
Kinder ein klassisches Orchester in voller<br />
Größe und seine reichhaltige Klangwelt<br />
„live“ erleben. Ein weiterer wichtiger<br />
außerschulischer Lernort ist die<br />
„Musikwerkstatt“ an mittlerweile über<br />
das Bremer Stadtgebiet verteilten drei<br />
verschiedenen Standorten, die sich übrigens<br />
auch überregional großer Beliebtheit<br />
erfreuen und stark nachgefragt werden.<br />
Ob klassisches Instrumentarium,<br />
asiatische oder afrikanische Percussion,<br />
in allen wird unsere Philosophie<br />
gelebt: selbst ausprobieren, anfassen und<br />
erfahren.<br />
M. L.: In der Schulpraxis gibt es manchmal<br />
durchaus Schreckmomente, wenn<br />
Kinder mit Instrumenten musizieren.<br />
Dabei beschränkt sich der Umgang<br />
auf das meist eher bescheidene Schulinstrumentarium.<br />
Wie viel Pädagogik<br />
und musikalisches Fachwissen ist gefordert,<br />
wenn es um die wertvollen Instrumente<br />
der Bremer Philharmoniker<br />
geht?<br />
M. G.: Wir haben für unsere Angebotsformate<br />
der Musikwerkstatt eigene Instrumente<br />
angeschafft. Das sind in der<br />
Regel solide „Schülerinstrumente“ mit<br />
einem guten Klang, die aber natürlich<br />
nicht die Qualität der Instrumente der<br />
professionellen Musiker:innen haben,<br />
die ja oft mehrere hunderttausend Euro<br />
wert sind.<br />
M. L.: Wie gehen die Kinder und Jugend<br />
lichen mit diesen Instrumenten<br />
um? Geht da nicht auch mal etwas zu<br />
Bruch?<br />
M. G.: Es ist erstaunlich, dass in den fast<br />
20 Jahren, in denen die Kinder in der<br />
28 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Joerg Sarbach<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
29
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Musikwerkstatt regelmäßig Instrumente<br />
ausprobieren, nur einmal ein größerer<br />
Schaden entstanden ist, der vom<br />
Instrumentenbauer wieder in Stand<br />
gesetzt werden musste. Wir haben vielmehr<br />
die Erfahrung gemacht, dass die<br />
Kinder sehr achtsam und respektvoll<br />
mit den Instrumenten umgehen. Aber<br />
natürlich zeigen wir ihnen vor dem Ausprobieren,<br />
wie und wo man die Instrumente<br />
anfasst und wie sie gehalten werden.<br />
Hier kommt der Wertschätzung<br />
eine wichtige Bedeutung zu, sie ist für<br />
uns unter anderem auch ein wichtiger<br />
Bestandteil des Wissenstransfers zu den<br />
Kindern und Jugendlichen.<br />
M. L.: So können ja auch Lehrerinnen<br />
und Lehrer vom Konzept und der<br />
Routine der Philharmoniker profitieren.<br />
Allerdings muss Musik an vielen<br />
Grundschulen aus Mangel an Fachlehrkräften<br />
fachfremd unterrichtet werden.<br />
Bietet die Musikwerkstatt Unterstützung<br />
oder sogar Fortbildung an?<br />
M. G.: Ja, das ist uns auch sehr wichtig.<br />
Wir möchten mit unseren Angeboten<br />
den schulischen Unterricht unterstützen<br />
und nicht ersetzen – dies können und<br />
wollen wir auch gar nicht. Unsere Stärke<br />
liegt unter anderem in der Authentizität<br />
der Musiker:innen und der Exklusivität<br />
der Angebote. In den Musikwerkstätten<br />
haben wir fast alle Instrumente<br />
eines Symponieorchesters zum Ausprobieren<br />
angeschafft, aber auch außereuropäische<br />
Instrumente wie z. B. ein<br />
komplettes indonesisches Gamelanspiel<br />
oder afrikanische und orientalische<br />
Instrumente – das ist den Schulen<br />
in der Regel nicht möglich. Und natürlich<br />
stellen wir den Lehrer:innen und<br />
Erzieher:innen umfangreiche Materialien<br />
zur Vor – oder Nachbereitung eines<br />
Projekts zur Verfügung. So versuchen<br />
wir „Highlights“ zu schaffen, die eine<br />
lebendige und vielfältige Umsetzung<br />
der Lehrpläne für die Lehrkräfte unterstützen,<br />
gerade wenn sie vielleicht fachfremd<br />
unterrichten müssen.<br />
Außerdem bieten wir auch einen<br />
Workshop für Kollegien von Schulen an,<br />
die Musik mehr in Ihren Unterricht einbeziehen<br />
wollen. Das Angebot möchten<br />
wir gerne erweitern und stehen mit der<br />
Schulbehörde diesbezüglich in Kontakt.<br />
M. L.: Entstehen dadurch auch kontinuierlichere<br />
Kontakte zu Schulen und<br />
Lehrkräften?<br />
M. G.: Ja, es bestehen langjährige<br />
Beziehungen zu Schulen in Form<br />
von Partnerschulen. Mit der ältesten<br />
Partnerschule stehen wir jetzt seit über<br />
14 Jahren in regelmäßigem Kontakt.<br />
Insgesamt wird das Angebot „Partnerschule“<br />
von über acht Bremer Grundschulen<br />
wahrgenommen. Partnerschule<br />
und Bremer Philharmoniker schließen<br />
dafür einen Kooperationsvertrag, der<br />
eine kontinuierliche Zusammenarbeit<br />
vorsieht, mindestens einmal pro Schulhalbjahr<br />
findet entweder ein Schulprojekt,<br />
ein Konzert oder ein Besuch<br />
in einer der drei Musikwerkstätten<br />
statt. Als Partnerschulen kommen<br />
vor allem die Schulen in Betracht, zu<br />
denen es schon eine längere und fruchtbare<br />
Zusammenarbeit gibt – denn eine<br />
erfolgreiche Umsetzung der Projekte<br />
hängt auch in einem erheblichen Maße<br />
von dem Zusammenspiel zwischen<br />
Schulleitung, dem Kollegium und der<br />
Musikwerkstatt ab.<br />
M. L.: Welche Kosten entstehen für die<br />
attraktiven Angebote, wer kommt für<br />
die Finanzierung auf? Es sind ja wahrscheinlich<br />
einige Schulen beteiligt, die<br />
kaum von den Eltern der Kinder Geld<br />
dafür einsammeln können?<br />
M. G.: Bei der Gestaltung der Kostenstruktur<br />
der Angebote der Musikwerkstatt<br />
ist es im Grundsatz so, dass die Bremer<br />
Philharmoniker GmbH den Schulen<br />
in der Regel nur die Projektkosten<br />
in Rechnung stellen, die zahlungswirksam<br />
sind, also Kosten, die entweder<br />
durch Anschaffungen für Projekte wie<br />
z. B. Requisiten, Transporte, Honorare<br />
externer Künstler, etc. anfallen. Derzeit<br />
sind das z. B. 4 Euro Eintrittsgeld<br />
pro Kind für ein Schulkonzert – was ja<br />
deutlich günstiger als eine Eintrittskarte<br />
für z. B. einen Kinobesuch ist. Trotzdem<br />
können die Kinder an manchen Schulen<br />
dieses Geld nicht aufbringen. Wir versuchen<br />
dann mit Stiftungen und Sponsoren<br />
zusammenzuarbeiten, die diese<br />
Kosten dann übernehmen können.<br />
Oft sind es aber auch Mittel der Philharmoniker<br />
GmbH, denn es ist uns ein<br />
Anliegen, dass kulturelle Teilhabe nicht<br />
nur denjenigen Kindern vorbehalten<br />
ist, deren Eltern es sich leisten können.<br />
Die Hälfte unsere Partnerschulen liegen<br />
daher auch in Bremer Brennpunktgebieten.<br />
M. L.: Kinder und klassische Musik, hat<br />
das nicht einen exklusiven Anstrich?<br />
Was verbinden die professionellen<br />
Musikerinnen und Musiker mit ihrem<br />
Ansatz, welche Motivation steht dahinter?<br />
Welche Erfahrungen machen sie<br />
mit den pädagogisch begleiteten Angeboten?<br />
Aufführungen „Die Nussknacker“ und „Karneval der Tiere“<br />
www.fanslau-fotografie.de<br />
30 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
M. G.: Kinder im Grundschulalter<br />
haben unserer Erfahrung nach noch<br />
keinen ausgeprägten Musikgeschmack.<br />
Der entwickelt sich meist erst später bei<br />
älteren Kindern als Ausdruck der Zugehörigkeit<br />
zu einer bestimmen Gruppe,<br />
der Peergroup. So ist für Kinder in<br />
erster Linie die Qualität des Kontakts<br />
maßgebend: Mag ich die musikalische<br />
Darbietung, die Geschichte und vor<br />
allem auch die Personen, durch die ich<br />
das erste Mal Kontakt zur klassischen<br />
Musik habe? Da spielt Authentizität<br />
oftmals eine größere Rolle als der<br />
für viele noch unbekannte klassische<br />
Musikstil.<br />
M. L.: Sie legen viel Herzblut in die<br />
Arbeit der Musikwerkstatt.<br />
M. G.: Das stimmt! Im Bereich der klassischen<br />
Musik haben wir eine großartige,<br />
jahrhundertalte Tradition und<br />
für mich erwächst daraus auch die Verpflichtung,<br />
diese an die nachfolgenden<br />
Generationen weiterzugeben. Dabei ist<br />
es wichtig, Kindern Zugänge zur Musik<br />
zu ermöglichen – es geht nicht darum,<br />
viele kleine „Mozarts“ zu schaffen! Ich<br />
würde das eher mit einer neuen Farbe<br />
im „Tuschkasten des Lebens“ der Kinder<br />
vergleichen. Jeder malt da sowieso sein<br />
eigenes Lebensbild und es wäre doch<br />
toll, wenn dieses Lebensbild schön bunt<br />
werden würde …<br />
M. L.: Gibt es Reaktionen von Kindern,<br />
die besonders berühren oder nachdenklich<br />
stimmen?<br />
M. G.: Natürlich gibt es immer<br />
Reaktionen der Kinder. Oft bekommen<br />
wir Dinge geschenkt, einen Stein,<br />
der uns beschützen soll oder etwas<br />
Gebasteltes. Viele Kinder fragen uns<br />
auch „Kommt ihr morgen wieder?“<br />
Über solche Rückmeldungen freuen wir<br />
uns sehr – aber es gibt auch Fragen, die<br />
uns nachdenklich stimmen: So wurde<br />
unsere Querflötistin einmal von einer<br />
Schülerin gefragt, wie viele Lieder sie<br />
denn auf ihrer Flöte gespeichert hat …<br />
Das klingt vielleicht erst wie ein Scherz,<br />
zeigt aber vor allem, wie weit entfernt<br />
viele Kinder vom analogen Musizieren<br />
sind. Das Tolle an der Arbeit mit Kindern<br />
ist, dass sie in ihren Reaktionen<br />
eigentlich immer ehrlich sind. Es gibt<br />
da kein freundliches Zuhören, entweder<br />
man gewinnt ihre Aufmerksamkeit oder<br />
aber eben auch nicht. Dann werden<br />
Sitznachbar:innen wichtiger als das, was<br />
vorne auf der Bühne passiert …<br />
M. L.: Der Grundschulverband konstatiert<br />
seit langem, dass kulturelle<br />
<strong>Bildung</strong> in Zeiten von Leistungsvergleichsstudien<br />
ins Hintertreffen geraten<br />
ist. Die Corona-Pandemie hat<br />
diese Entwicklung weiter verschärft, da<br />
Bewegung in Klassenräumen und insbesondere<br />
Singen als besonders aerosolstreuend<br />
und damit gefährlich eingestuft<br />
werden müssen. Aus Sicht des<br />
Grundschulverbands ist diese Einschränkung<br />
– wie andere auch – nicht<br />
unproblematisch für die Persönlichkeitsentwicklung.<br />
Was bedeutet es aus<br />
der Erfahrung und Beobachtung von<br />
Musikerinnen und Musikern für die<br />
Entwicklung von Kindern, wenn musische<br />
<strong>Bildung</strong> so eingeschränkt wird?<br />
M. G.: In der Tat haben wir auch aktuell<br />
die Beobachtung gemacht, dass die<br />
Kinder der ersten und zweiten Klassen<br />
durch die Pandemie entwicklungsverzögert<br />
zu sein scheinen und wir<br />
nun deutlich niederschwelliger arbeiten<br />
müssen. Ich glaube in diesem<br />
Zusammenhang auch, dass die seelischen<br />
Folgen der Maßnahmen der Pandemie<br />
für die Jüngsten unserer Gesellschaft<br />
noch gar nicht absehbar sind. Es<br />
ist da umso wichtiger, dass die Seele eine<br />
Ausdrucksform findet, um das alles zu<br />
verarbeiten – ob das Musik ist oder aber<br />
auch Kunst oder darstellendes Spiel, ist<br />
eigentlich sekundär. Die Hauptsache ist<br />
dabei, dass die Kinder Zugänge zur kulturellen<br />
<strong>Bildung</strong> bekommen.<br />
Vielleicht sollten wir grundsätzlich<br />
darüber nachdenken, wie <strong>Bildung</strong>sinhalte<br />
künftig gewichtet werden können<br />
und dass es in einer Zeit, in der fast alle<br />
Informationen mit ein paar Klicks zur<br />
Verfügung stehen und die Welt immer<br />
mehr vernetzt ist, es vielleicht wichtiger<br />
ist, auch noch andere Fähigkeiten als das<br />
Abfragen von gespeichertem Wissen zu<br />
priorisieren? Die künftig zu lösenden<br />
Probleme in unserer Gesellschaft bzw.<br />
Welt werden meiner Einschätzung nach<br />
eine hohe Kommunikationsfähigkeit erfordern<br />
und diese Fähigkeiten werden<br />
eben gerade auch in den Bereichen der<br />
kulturellen <strong>Bildung</strong> geschult – so ist Musik<br />
für mich eine Kommunikationsform,<br />
die es ermöglicht, mit anderen Menschen<br />
auch auf seelischer Ebene in Kontakt<br />
zu treten.<br />
M. L.: Gibt es (heimliche) Wünsche der<br />
außerschulischen Musikexpertinnen<br />
und Musikexperten an die Schulen und<br />
Lehrkräfte?<br />
M. G.: Voraussetzung ist für die erfolgreiche<br />
Durchführung eines Projekts,<br />
dass beide Seiten einschätzen können,<br />
was sie erwartet. Bestimmte organisatorische<br />
Leistungen können wir<br />
nicht erbringen, da ergibt sich dann<br />
ein Aufwand für die Schule, z. B. Platz<br />
in der Turnhalle oder Aula zu schaffen,<br />
einen Umkleideraum und vielleicht<br />
einen kleinen Pausensnack für<br />
die Musiker:innen und andere externe<br />
Projektbeteiligte zur Verfügung zu stellen.<br />
Wenn das klar und innerhalb der<br />
Schule abgestimmt ist, sind die Voraussetzungen<br />
für ein Gelingen des Projekts<br />
gegeben. In der Praxis werden wir von<br />
den meisten Schulen immer freundlich<br />
aufgenommen, und die Lehrkräfte freuen<br />
sich auf die Projekte mit uns – so wie<br />
wir auch auf sie. Es sind wunderbare<br />
Gelegenheiten einer beiderseitigen positiven<br />
Begegnung und Erfahrung.<br />
M. L.: Unser Gespräch wird bundesweit<br />
gelesen werden. Haben Lehrkräfte<br />
in anderen Bundesländern die Chance,<br />
auf ähnliche Angebote wie das der Bremer<br />
Philharmoniker zu treffen?<br />
M. G.: Viele Symphonie- und Theaterorchester<br />
haben Angebote für Schulen,<br />
die aber sehr unterschiedlich in Umfang<br />
und Verfügbarkeit ausfallen können.<br />
Aber mit dem Angebot an pädagogischen<br />
Projekten der Musikwerkstatt<br />
der Bremer Philharmoniker, mit denen<br />
wir jährlich bis zu 15.000 Kinder und<br />
Jugendliche erreichen, sind die Bremer<br />
Schulen schon in einer außerordentlich<br />
komfortablen Lage. Über die Angebote<br />
in anderen Regionen kann man sich am<br />
besten auf den entsprechenden Webseiten<br />
der Orchester informieren oder<br />
aber einfach mit dem Verantwortlichen/<br />
der Verantwortlichen des jeweiligen<br />
Orchesters direkt sprechen und sich<br />
beraten lassen.<br />
M. L.: Vielen Dank!<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
31
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Marion Gutzmann<br />
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Kubbes Museum.<br />
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Sammeln, Sortieren, Etikettieren, Präsentieren – all dies findet in diesem<br />
Kinderbuch statt. So macht Kubbe, ein kleiner Baumstamm, jeden Dienstag<br />
einen Ausflug in den Wald und findet viele schöne Sachen. Mit Hingabe<br />
sortiert er seine Fundstücke und versieht all die Blätter, Stöcke und bunten<br />
Knöpfe mit einem Etikett. Bald richtet Kubbe ein eigenes Museum ein<br />
und kann sich vor Besuchern kaum retten. Als die Museumsarbeit zu<br />
anstrengend wird, ist seine Oma eine gute Ratgeberin. Nun fotografiert<br />
Kubbe alle Sammelobjekte und dokumentiert die Fotos in Büchern.<br />
Endlich kann er all die Dinge wieder in den Wald zurückbringen – er entdeckt<br />
aber auch, dass man aus den Resten selbst schöne Dinge basteln<br />
kann – „… fast schon Kunst, denkt er sich …“<br />
Ein Tag im Museum – was lässt sich da alles entdecken. Jede der reich<br />
bebilderten Seiten lädt ein zum Betrachten und Verweilen, manche Frage<br />
lässt die Augen noch einmal über die Seiten wandern: Welche Geschichten<br />
stecken hinter den Bildern? Wie kann man solche Hände malen? Warum<br />
sehen manche Menschen auf den Bildern so ernst aus, welches Geheimnis<br />
kann man aus einem Museum mitnehmen, wenn man nur lange genau<br />
schaut? Mit dem Blick neugieriger Kinderaugen werden die Leserinnen<br />
und Leser mitgenommen, die Geheimnisse eines Kunstmuseums zu<br />
entdecken. „Ein Museumstag“ wurde nominiert für den deutschen Kinderund<br />
Jugendliteraturpreis 2022 in der Sparte Bilderbuch.<br />
Susanna Mattiangeli (2021):<br />
Ein Museumstag.<br />
Bohem Press GmbH<br />
Aus dem Italienischen<br />
36 Seiten, € 15,00<br />
Mit einem kleinen Mädchen gelingt eine Entdeckungsreise auf der Suche nach<br />
dem eigenen Lieblingsmuseum – ist es das Archäologische Museum oder das<br />
Museum für Naturkunde? Wo gibt es ältere Dinge, wo die neueren zu entdecken?<br />
Und was hat es mit den Sternen auf sich? Der Spaziergang durch das Buch mit<br />
den frisch illustrierten Seiten endet zu Hause im Lieblingsmuseum mit den vielen<br />
eigenen Lieblingssachen. Das Buch schließt mit einem anregenden Mitmachteil.<br />
Emma Lewis (2017):<br />
Ein Museum nur für mich.<br />
Prestel Verlag München<br />
Aus dem Englischen<br />
48 Seiten, € 14,99<br />
32 GS aktuell 158 • Mai 2022
Thema: <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
Susanna Mattiangeli (2021):<br />
Kunstfresser.<br />
Südpol Verlag GmbH<br />
64 Seiten, € 24,00<br />
Warum gibt es Museen und wie sind sie<br />
entstanden? Und was ist eigentlich<br />
Kunst? Diese und andere Fragen werden<br />
bei einem Ausflug ins Museum mit der<br />
Museumsmotte Heribert und seiner<br />
Nichte Jolinde geklärt. Neben der<br />
spannenden Geschichte um Heribert<br />
und Jolinde lädt das reich bebilderte<br />
Buch zum Suchen und Entdecken von<br />
Details rund ums Museum ein. Ganz<br />
nebenbei vermitteln Sachtexte Informationen<br />
zum Museumsaufbau, zur Arbeit<br />
im Museum, zu berühmten Gemälden<br />
und geben einen kindgerechten<br />
Überblick über Kunstgeschichte und<br />
Kunstepochen. Mitmachangebote laden<br />
zum Malen und Schreiben ein und es<br />
gibt Platz zum Einkleben.<br />
Nikolaus Heidelbach (2019):<br />
Alma und Oma im Museum<br />
Beltz & Gelberg<br />
48 Seiten, € 14,99<br />
Mit einem Museumsbesuch von Oma und Alma und<br />
faszinierenden Gesprächen vor jedem der sechzehn<br />
religiösen Meisterwerke lädt der preisgekrönte Illustrator<br />
Nikolas Heidelbach in diesem Bilderbuch zum genauen<br />
Hinsehen, Fragenstellen und gemeinsamen Nachdenken<br />
und Erklären der dargestellten Szenen zur Kunst des<br />
Mittelalters ein. Mit der Oma zeichnet Heidelbach eine<br />
Figur, die zeigt, dass Kunstvermittlung keinesfalls<br />
belehrend sein muss, sondern Kinder anregend und<br />
spielerisch bei der Betrachtung von Kunstwerken<br />
begleitet werden können. Die Werke der alten Meister<br />
wie z. B. „Maria im Rosengarten“ oder „Heiliger Antonius“,<br />
die in Wirklichkeit im Wallraf-Richartz-Museum in Köln<br />
am Rhein ausgestellt sind, laden zu einem außergewöhnlichen<br />
Suchspiel ein, hat sich Almas Oma doch<br />
in neun dieser Kunstwerke versteckt.<br />
Joanne Liu (2018):<br />
Kunst für Max.<br />
Prestel Verlag München<br />
32 Seiten, € 12,99<br />
In diesem in fröhlich-kräftigen Farben illustrierten Bilderbuch erlebt Max seinen<br />
ersten Museumsbesuch und entdeckt, weil er so klein ist – anders als die anderen<br />
Besucherinnen und Besucher -, vor allem Kunst des Alltäglichen. Während sich die<br />
Erwachsenen zielstrebig und konzentriert mit den abgebildeten Kunstwerken von<br />
Monet oder Picasso auseinandersetzen, findet Max seine Kunst u. a. neben Monets<br />
„Seerosenteich und Brücke“ beim Blick aus dem Fenster auf die einzigartige Pracht<br />
der Bäume. Auch die Tätowierung eines Besuchers, die Spur einer Schnecke, die<br />
Tätigkeit der Museumsmitarbeiter wecken sein Interesse. Max wird zum Künstler, als<br />
er zum Schluss den Schatten der Sonne nutzt und mit seinem Körper ein Abbild der<br />
Kunstwerke nach Henri Matisse gestaltet. Ein Bilderbuch, das ganz ohne Worte<br />
auskommt und in dem Joanne Liu auf jeder Doppelseite mit kindlichem Blick<br />
überraschende Arrangements von Entdeckungen im Alltäglichen und von Kunst<br />
geschaffen hat. Mit diesem Schlüssel „Kunst ist überall, man muss sie nur entdecken!“<br />
können Grundschulkinder ihre ganz persönlichen Entdeckungen, auch außerhalb<br />
des Kunstunterrichts, machen.<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
33
Aus Praxis: der XXXXX Forschung<br />
Birte Oetjen, Kerstin Pfann, Stefanie Truckenbrodt, Sabine Martschinke (Lehr-Forschungs-Projekt KIDI)<br />
E-Books individuell und adaptiv<br />
im Schriftspracherwerb gestalten<br />
Gestaltungsmerkmale und Gelingensbedingungen<br />
von E-Books im schriftsprachlichen Anfangsunterricht<br />
Der Einsatz digitaler Medien verspricht Möglichkeiten einer individuellen und<br />
adaptiven Förderung von Kindern. Vor dem Hintergrund des Forschungsprojektes<br />
KIDI (Kinder digital und forschend im Schriftspracherwerb begleiten)<br />
geht der vorliegende Beitrag der Frage nach, wie E-Books im entwicklungsorientierten<br />
Schriftspracherwerb individuell und lernbegleitend für Kinder der ersten<br />
Klasse von Anfang an gestaltet werden können.<br />
Abb. 1: Die KIDI-Kinder mit den Identifikationsfiguren KIDI und SONUS<br />
Abb. 2: Drei beispielhafte E-Books für drei verschiedene KIDI-Kinder<br />
Individuelle und adaptive<br />
Förderung mit digitalen Medien<br />
Das Potenzial individueller und adaptiver<br />
Förderangebote, die auf Basis einer<br />
geeigneten Diagnose erstellt sowie<br />
kontinuierlich an die Lernvoraussetzungen<br />
(aller) Kinder angepasst<br />
werden (Dumont 2019), wird derzeit<br />
noch zu selten ausgeschöpft (Gerick<br />
et al. 2017). Auch gibt es bislang kaum<br />
belastbare Studien, die Rückschlüsse<br />
auf Wirkungen und Gelingensbedingungen<br />
individueller Förderung mit<br />
digitalen Medien erlauben (Böhme<br />
et al. 2020; Gerick et al. 2017). Für<br />
den Schriftspracherwerb gibt es allerdings<br />
zahlreiche digitale Medien, insbesondere<br />
Apps und Programme, die<br />
mit einer frühen Lese- und Schreibförderung<br />
werben, aber meist didaktischen<br />
Ansprüchen nicht genügen (vgl.<br />
Brinkmann 2012).<br />
Die Suche „nach der Nadel im Heuhaufen“<br />
(Sauerborn 2016, 74) gestaltet<br />
sich somit schwierig. Erste Hinweise<br />
auf wichtige Kriterien (Sauerborn 2016;<br />
Kysela-Schiemer/Edtstadler 2020), speziell<br />
auch für sogenannte „diklusive<br />
Apps“ für den digital-inklusiven Unterricht<br />
(Schulz 2020), verweisen auf linguistische<br />
und entwicklungspsychologische<br />
Kriterien sowie auf Differenzierung und<br />
Adaptivität als wichtige Gestaltungsmerkmale.<br />
Diese Kriterien sollten Lehrkräfte<br />
bei der Entwicklung individueller,<br />
digitaler Förderangebote beachten.<br />
Ein möglicher digitaler „Individualisator“<br />
(Beckermann/Neumann 2022,<br />
110) ist das E-Book, welches interaktiv<br />
Angebote für Kinder bereitstellen kann.<br />
Gestaltungsmerkmale und Gelingensbedingungen<br />
von E-Books zur individuellen<br />
Förderung sind bislang allerdings<br />
nur selten empirisch erforscht. Der<br />
Frage, wie E-Books individuell, adaptiv<br />
34<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022
Aus der Praxis: Forschung XXXXX<br />
und lernbegleitend für eine erste Klasse<br />
gestaltet werden können, widmet sich<br />
unser KIDI-Projekt.<br />
Das Förder- und<br />
Forschungsprojekt KIDI<br />
Im KIDI-Projekt konzipieren Grundschullehramtsstudierende<br />
in einem universitären<br />
Seminar drei aufeinander<br />
aufbauende individuelle und adaptive<br />
E-Books für Erstklässler*innen im<br />
Schriftspracherwerb mit der App Book<br />
Creator. Dabei tauchen die Kinder mit<br />
den Identifikationsfiguren KIDI und<br />
SONUS in unterschiedliche Geschichten<br />
ein, in denen neben schriftsprachlichen<br />
auch digitale Kompetenzen gefördert<br />
werden. Die E-Books variieren dabei<br />
von Kind zu Kind je nach motivationalen<br />
und kognitiven Lernvoraussetzungen<br />
und werden von den Kindern mit<br />
Hilfe von iPads bearbeitet. Schriftliche<br />
Arbeitsergebnisse sammeln die Kinder<br />
zur Dokumentation und Reflexion<br />
in einem analogen KIDI-Buch, welches<br />
auch analoge Aufgabenstellungen enthalten<br />
kann, die den Kindern über das<br />
E-Book digital erklärt werden.<br />
Abbildung 2 zeigt beispielhaft, wie die<br />
unterschiedlichen E-Books aussehen<br />
können: Während ein Kind mit KIDI<br />
und SONUS im Weltraum über eine LearningApp<br />
Anlaute übt (links), erlebt ein<br />
anderes Kind mit den beiden und einem<br />
Einhorn namens Ella eine Schatzsuche<br />
im Himmel (Mitte). Das dritte Beispiel<br />
(rechts) zeigt, wie KIDI und SONUS mit<br />
Hilfe eines Videos ein Arbeitsblatt zum<br />
Silbenschreiben im analogen KIDI-Buch<br />
erklären.<br />
Wie ein Kind auf einem ‚Spaziergang<br />
durch den Zoo‘ parallel mit einem E-<br />
Book und dem KIDI-Buch arbeitet, zeigt<br />
Abbildung 3. Das Kind verschriftet auf<br />
einem analogen Arbeitsblatt Wörter im<br />
KIDI-Buch und kann sich als Unterstützung<br />
die Wörter im E-Book so oft wie<br />
nötig anhören.<br />
Unser KIDI-Projekt folgt einem Design-Based<br />
Research-Ansatz (Einsiedler<br />
2010), sodass sowohl die Förderung<br />
über die E-Books als auch die Erhebungen<br />
im Verlauf des Projektes stetig angepasst<br />
werden können.<br />
Im Pilotprojekt passten 59 Studierende<br />
in Kleingruppen von November<br />
2021 bis Dezember 2021 die Rahmengeschichte<br />
von KIDI und SONUS für<br />
eine individuelle Schreibförderung an.<br />
Die ausgewählten elf KIDI-Kinder der<br />
ersten Ganztagsklasse unserer Kooperationsschule<br />
unterscheiden sich u. a.<br />
im Förderbedarf, im Geschlecht und in<br />
ihren sprachlichen Voraussetzungen.<br />
Wie wurden die KIDI-Kinder<br />
diagnostiziert?<br />
Die schriftsprachlichen Lernvoraussetzungen<br />
der KIDI-Kinder wurden<br />
formell und informell direkt zu Schulanfang<br />
(Oktober 2021) diagnostiziert:<br />
● formelle Diagnose: FIPS Fähigkeitsindikatoren<br />
Primarschule (Bäuerlein<br />
et al. 2021),<br />
● informelle Diagnose: Verschriftung<br />
von acht vorgegebenen Weltraum-Wörtern<br />
mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad<br />
und entwicklungsorientierte<br />
Auswertung,<br />
● bildgestützter Steckbrief: Erfassung<br />
persönlicher Vorlieben, verschiedener<br />
Selbsteinschätzungsmerkmale (z. B. Wie<br />
viele Buchstaben kennst du schon?) und<br />
erster schulischer Erfahrungen der Kinder<br />
(vgl. Abb. 4).<br />
Während der Bearbeitung der E-Books<br />
wurden im Sinne eines formative assessments<br />
die analogen Aufgaben der Kinder<br />
prozessbegleitend ausgewertet und<br />
Interviews anhand von Beobachtungsbögen<br />
mit den KIDI-Kindern geführt.<br />
Am Ende jedes E-Books bearbeiteten<br />
die Kinder zusätzlich einen Reflexionsbogen.<br />
In diesem durften sie ihre Lieblingswörter<br />
aus dem erlebten Abenteuer<br />
schreiben oder malen. Außerdem wurden<br />
die Kinder über geschlossene Fragen<br />
nach der Anzahl der bearbeiteten Aufgaben,<br />
dem Spaß an der Bearbeitung,<br />
dem Schwierigkeitsgrad der Aufgaben,<br />
dem benötigten Unterstützungsbedarf<br />
sowie nach ihrem persönlichen Lernzuwachs<br />
gefragt. Nach der Durchführung<br />
jeder Förderphase wurden die E-Books<br />
nach ihren verschiedenen Gestaltungsmerkmalen<br />
analysiert und inhaltsanalytisch<br />
ausgewertet. Die KIDI-Kinder verschrifteten<br />
im Rahmen einer abschließenden<br />
informellen Diagnose nochmals<br />
die Weltraum-Wörter (Abb. 5).<br />
Ausgewählte Fragestellungen<br />
des KIDI-Projekts<br />
Um erste Folgerungen für den erfolgreichen<br />
Einsatz individueller und adaptiver<br />
E-Books zur individuellen Schreibförderung<br />
für die erste Klasse ableiten<br />
Abb. 3: KIDI-Kind bei der Arbeit mit<br />
einem E-Book und dem KIDI-Buch<br />
Abb. 4: Bildgestützter Steckbrief von<br />
einem KIDI-Kind<br />
Abb. 5: Beispielhafte Verschriftung eines<br />
KIDI-Kindes vor und nach der Förderung<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
35
Aus Praxis: der XXXXX Forschung<br />
„Das heißt für die Gestaltung von E-Books, dass die<br />
Kinder passgenaue Angebote brauchen. Während einige<br />
Kinder noch vorwiegend in ihren Lernvoraussetzungen<br />
gefördert werden müssen, können andere Kinder<br />
bereits erste Rechtschreibübungen sinnvoll nutzen.“<br />
aus analogen Aufgaben können regelmäßig<br />
im Sinne eines entwicklungsorientierten<br />
Schriftspracherwerbs analysiert<br />
werden. Gleichzeitig können die<br />
Kinder allerdings auch nach genauem<br />
Sprachvorbild mehr vorgegebene Wörter<br />
verschriften, da eine zusätzliche digitale<br />
Erklärung das mehrmalige Abhören<br />
von Wörtern ermöglicht.<br />
zu können, werden im Folgenden ausgewählte<br />
Fragestellungen bearbeitet:<br />
(1) Wie gestalten die Studierendengruppen<br />
die E-Books hinsichtlich der<br />
Aufgabenformate und der schriftsprachlichen<br />
Übungsbereiche?<br />
(2) Wie adaptiv sind die E-Books aus<br />
Sicht der KIDI-Kinder gestaltet und wie<br />
schätzen die Kinder den Lernnutzen<br />
durch die E-Books ein?<br />
Erste Ergebnisse und Folgerungen<br />
für einen erfolgreichen<br />
Einsatz von E-Books<br />
Für die Gestaltung der E-Books wurden<br />
sowohl Ergebnisse der informellen Diagnose<br />
als auch der formellen Diagnose<br />
berücksichtigt. Die Verschriftungen<br />
der Weltraum-Wörter wurden mit Hilfe<br />
eines neunstufigen Strategiemodells<br />
ausgewertet (Kirschhock/Martschinke<br />
2005, 32).<br />
Vor der Förderung nutzen die KIDI-<br />
Kinder vorrangig die beginnende alphabetische<br />
Schreibstrategie (M = 2.18; SD<br />
= .48; Min = 1.38; Max = 3.13). Die Kinder<br />
haben dementsprechend eine erste<br />
Einsicht in den Laut-Buchstaben-Bezug<br />
und können bereits einen Anlaut oder<br />
einen prägnanten anderen Laut verschriften.<br />
Die Ergebnisse der formellen<br />
Diagnose zeigen in den Bereichen<br />
Wortschatz (T-Wert: 33–60; Prozentrang:<br />
3–55), phonologische Bewusstheit<br />
(T-Wert: 38–59; Prozentrang: 14–81)<br />
und Lesen (T-Wert: 43–93; Prozentrang:<br />
5–100) zudem eindrücklich, wie<br />
sehr sich die KIDI-Kinder zu Schulanfang<br />
unterscheiden.<br />
Das heißt für die Gestaltung der E-<br />
Books, dass die Kinder passgenaue Angebote<br />
brauchen. Während einige Kinder<br />
noch vorwiegend in ihren Lernvoraussetzungen<br />
gefördert werden müssen,<br />
können andere Kinder bereits erste<br />
Rechtschreibübungen sinnvoll nutzen.<br />
(1) E-Books abwechslungsreich<br />
gestalten: Die Mischung macht’s!<br />
Insgesamt haben sich als wichtige strukturierende<br />
und inhaltliche Gestaltungsmerkmale<br />
für alle E-Books neben<br />
einer bildgestützten Seitengestaltung<br />
mit Audiospur, einem direkten Bezug<br />
zum Klassenunterricht sowie einer<br />
Begrenzung des Übungswortschatzes<br />
folgende Gestaltungsmerkmale für eine<br />
möglichst selbstständige Bearbeitung<br />
bewährt, die wir gerne näher betrachten<br />
möchten:<br />
● Verzahnung digitaler und analoger<br />
Aufgabenformate,<br />
● Verwendung unterschiedlicher digitaler<br />
Anwendungen und integrierter<br />
Hilfestellungen über Bild-, Audio- und<br />
Videomaterial,<br />
● adaptive Auswahl schriftsprachlicher<br />
Übungsbereiche.<br />
Verzahnung digitaler<br />
und analoger Aufgaben<br />
Insgesamt bestehen die E-Books zu 62 %<br />
aus digitalen Aufgaben und verweisen<br />
zu 38 % auf analoge Aufgaben im KIDI-<br />
Buch. Während im ersten E-Book zwei<br />
Studierendengruppen noch ausschließlich<br />
analoge oder digitale Aufgaben einsetzen,<br />
wird im Verlauf der Förderung<br />
bei allen E-Books die zunehmende Verzahnung<br />
von digitalen und analogen<br />
Aufgaben erkennbar. So werden die<br />
KIDI-Kinder im Verlauf der Förderung<br />
beispielsweise bewusst immer häufiger<br />
über das E-Book angeleitet, auch eigene<br />
oder vorgegebene Wörter zu verschriften.<br />
Eine Verknüpfung digitaler<br />
und analoger Aufgaben ist dabei nicht<br />
allein für eine umfangreiche Schreibförderung<br />
von Bedeutung (Börjesson<br />
et al. 2020). Der Einsatz zusätzlicher<br />
analoger Aufgaben erwies sich auch als<br />
wichtige Beobachtungsgrundlage für die<br />
weitere entwicklungsorientierte Diagnose<br />
und Förderung. Schreibergebnisse<br />
Verwendung unterschiedlicher<br />
digitaler Anwendungen<br />
Der Book Creator selbst bietet zahlreiche<br />
Möglichkeiten der multimedialen<br />
Aufbereitung, indem auditive und<br />
visuelle Elemente integriert werden<br />
können. Dabei können z. B. Fotoaufnahmen<br />
und Audiokommentare, aber<br />
auch verschiedene Videoformate und<br />
weitere digitale und interaktive Tools<br />
unkompliziert eingebettet werden.<br />
Besonders häufig wurde in unseren<br />
E-Books die Anwendung LearningApps.<br />
org eingebunden, in welcher für die Kinder<br />
beispielsweise Übungen zur Laut-<br />
Buchstaben-Zuordnung erstellt werden<br />
können. Für unsere KIDI-Kinder,<br />
die sich noch am Anfang des Schriftspracherwerbs<br />
befinden, sind besonders<br />
die integrierten Video- und Audiokommentare<br />
von zentraler Bedeutung.<br />
Diese werden individuell erstellt und<br />
zur Unterstützung genutzt. In Videos<br />
können den Kindern fachliche Inhalte,<br />
wie Silbenklatschen oder -schwingen<br />
(z. B. Abb. 2), nochmals erläutert, kleine<br />
Bewegungspausen initiiert und Aufgabenstellungen<br />
wiederholt und vorgemacht<br />
werden.<br />
Da ein Großteil der KIDI-Kinder<br />
noch nicht lesen kann, führen die nummerierten<br />
Audiodateien durch die Geschichte<br />
mit KIDI und SONUS. Die Audiodateien<br />
können aber auch besonders<br />
für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache<br />
von Vorteil sein, da unbekannte Wörter<br />
erklärt und wiederholt werden können.<br />
Auch wertschätzende und ermunternde<br />
Rückmeldungen zu den Aufgabenformaten<br />
können über Audiodateien in das<br />
E-Book integriert werden.<br />
Die Kinder können dementsprechend<br />
selbstständig und im eigenen Tempo Inhalte<br />
in ihrem E-Book bearbeiten und<br />
bei Bedarf jederzeit wiederholen. Zusätzlich<br />
erlaubt die digitale Lernumgebung<br />
die problemlose Erweiterung und<br />
Anpassung der Aufgaben auch während<br />
des Übungsprozesses.<br />
36<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022
Aus der Praxis: Forschung XXXXX<br />
Abb. 6: Einschätzung des Schwierigkeitsgrades<br />
und Unterstützungsbedarfes<br />
aus dem Reflexionsbogen<br />
Adaptive Auswahl schriftsprachlicher<br />
Übungsbereiche<br />
Neben dem „Wissen über Schrift“ und<br />
der „Sprachentwicklung“ ist besonders<br />
die „phonologische Bewusstheit“ eine<br />
bedeutende Lernvoraussetzung für<br />
den erfolgreichen Schriftspracherwerb<br />
(Kirschhock/Renner 2020) und aufgrund<br />
der Diagnoseergebnisse auch für<br />
die KIDI-Gruppe besonders relevant.<br />
Die E-Books fokussieren deswegen<br />
mit 67 % aller Übungen besonders die<br />
phonologische Bewusstheit als Übungsschwerpunkt.<br />
Ein Großteil der Aufgaben<br />
zielt dabei auf die phonologische<br />
Bewusstheit im engeren Sinn ab, bei<br />
welcher das Operieren mit An-/In- oder<br />
Endlauten von Wörtern im Fokus steht<br />
(ebd.).<br />
(2) E-Books passend gestalten:<br />
Das Kind mit seinen individuellen<br />
Entwicklungen nicht aus den<br />
Augen verlieren!<br />
Um zu beurteilen, wie adaptiv die<br />
E-Books gestaltet sind, möchten wir<br />
abschließend noch einen Blick auf die<br />
4<br />
3,5<br />
3<br />
2,5<br />
2<br />
1,5<br />
1<br />
Reflexionsbögen der Kinder sowie auf<br />
erste Ergebnisse zum Lernnutzen aus<br />
den Interviewdaten mit den Kindern<br />
richten.<br />
Auf einer vierstufigen Skala (vgl.<br />
Abb. 7: Schwierigkeit: 1 „sehr leicht“, 4<br />
„sehr schwer“; Unterstützungsbedarf: 1<br />
„sehr wenig Unterstützung“, 4 „sehr viel<br />
Unterstützung“) geben die Kinder insgesamt<br />
an, dass sie die E-Books eher leicht<br />
finden (M = 1.9; Min = 1.0; Max = 3.33;<br />
SD = .77) und bei der Bearbeitung eher<br />
wenig Unterstützung durch die Lehrkraft<br />
brauchen (M = 2.07; Min = 1.00;<br />
Max = 3.67; SD = .72).<br />
Allerdings werden auch hier über die<br />
Standardabweichung sowie Minimalund<br />
Maximalwerte individuelle Unterschiede<br />
zwischen den KIDI-Kindern<br />
erkennbar. Während einige Kinder die<br />
Aufgaben leicht finden und nach eigenen<br />
Angaben nur wenig Unterstützung<br />
brauchen, gibt es andere Kinder, die die<br />
Aufgaben schwer finden und viel Unterstützung<br />
durch die Lehrkraft benötigen.<br />
Dieses Ergebnis untermauert nochmals<br />
die Notwendigkeit individueller E-<br />
Books, zeigt vor dem Hintergrund der<br />
Einschätzung der Kinder allerdings auch<br />
die große Herausforderung der Gestaltung<br />
passgenauer E-Books.<br />
Der Lernnutzen der Kinder wurde in<br />
Anlehnung an Hess (2019) über fünf geschlossene<br />
Items innerhalb der Interviews<br />
erfasst. So wurden die Kinder<br />
u. a. gefragt, wie sie mit dem digitalen<br />
Angebot zurechtkommen. Abbildung<br />
7 zeigt, dass der Lernnutzen insgesamt<br />
bei allen E-Books als hoch eingeschätzt<br />
wird und im Verlauf der Förderung sogar<br />
zunimmt. Limitierend ist sowohl<br />
für die Interviewdaten als auch für die<br />
Lernnutzen: E-Book 1 Lernnutzen: E-Book 2 Lernnutzen: E-Book 3<br />
Abb. 7: Wahrgenommener Lernnutzen der E-Books aus Kinderperspektive<br />
Reflexionsbögen anzumerken, dass die<br />
Aussagen der Kinder auf Validität geprüft<br />
werden müssen (Dumont 2019).<br />
Zusammenfassung,<br />
Diskussion und Ausblick<br />
Erste Ergebnisse aus unserer KIDI-Studie<br />
zeigen: Jedes Kind mit seinen individuellen<br />
Lernvoraussetzungen durchläuft<br />
seinen eigenen Lernprozess, was<br />
eine abwechslungsreiche und passgenaue<br />
Gestaltung von E-Books zu<br />
Birte Oetjen (oben links)<br />
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />
Institut für Grundschulforschung der<br />
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.<br />
Kerstin Pfann (oben rechts)<br />
ist abgeordnete Grundschullehrerin<br />
und wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
am Institut für Grundschulforschung<br />
der Friedrich-Alexander-Universität<br />
Erlangen-Nürnberg.<br />
Stefanie Truckenbrodt (unten links)<br />
ist abgeordnete Grundschullehrerin<br />
und wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />
Institut für Grundschulforschung der<br />
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.<br />
Dr. Sabine Martschinke (unten rechts)<br />
ist Professorin und Inhaberin des<br />
Lehrstuhls für Grundschulpädagogik<br />
und -didaktik mit dem Schwerpunkt<br />
Umgang mit Heterogenität der<br />
Friedrich-Alexander-Universität<br />
Erlangen-Nürnberg.<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
37
Aus Praxis: der XXXXX Forschung<br />
einer notwendigen Voraussetzung für<br />
eine digitale, individuelle Förderung<br />
macht. Im Projektverlauf profitieren<br />
alle KIDI-Kinder von der Förderung,<br />
auch die Kinder mit ungünstigen Lernvoraussetzungen,<br />
wenngleich die Lernfortschritte<br />
bei ihnen weniger groß sind.<br />
Die praktische Umsetzung individueller<br />
Förderung mit E-Books ist allerdings<br />
auch ein Weg mit Stolpersteinen.<br />
Digitale Anwendungen bieten vielfältige<br />
Möglichkeiten, den Schriftspracherwerb<br />
zielführend zu unterstützen, wobei<br />
Lernstände und -prozesse dokumentiert<br />
werden können. Der tatsächliche<br />
Einsatz digitaler Anwendungen in der<br />
Schule erfordert im Vorfeld allerdings<br />
eine eingehende Prüfung hinsichtlich<br />
des Datenschutzes, der die Möglichkeiten<br />
vieler Tools in der Unterrichtspraxis<br />
einschränkt. Zudem benötigten einige<br />
Erstklässler*innen besonders am Anfang<br />
noch viel Unterstützung bei der Bearbeitung<br />
der E-Books, auch wenn diese in<br />
einem offenen Unterricht teilweise von<br />
versierteren Kindern geleistet werden<br />
kann. Doch auch wenn zunächst technische<br />
Grundkenntnisse im Umgang mit<br />
dem iPad angebahnt werden mussten, so<br />
kamen die Kinder sehr schnell mit der<br />
digitalen Lernumgebung zurecht. Digitale<br />
Medien, in unserem Fall E-Books,<br />
können also bereits von Anfang an Lernwelt,<br />
Lerngegenstand und Unterstützungshilfe<br />
sein.<br />
Unsere Ergebnisse können aufgrund<br />
der kleinen Stichprobe und der fehlenden<br />
Kontrollgruppe nur erste Hinweise<br />
für Gelingenselemente von E-Books liefern.<br />
Das anfangs postulierte Potenzial<br />
zur individuellen Förderung bleibt allerdings<br />
unbestreitbar. Das KIDI-Projekt<br />
zeigt, dass Erstklässler*innen im Schriftspracherwerb<br />
zielführend mit E-Books<br />
lernen und mit diesen begleitet werden<br />
können, weshalb eine weiterführende<br />
Förderung im Bereich des Lesens geplant<br />
ist.<br />
Literatur<br />
Bäuerlein, K./ Beinicke, A./ Schorr, M./<br />
Schneider, W. (2021): Fähigkeitsindikatoren<br />
Primarschule. Ein digitales Testverfahren zur<br />
Erfassung der Lernausgangslage und der<br />
Lernentwicklung in der 1. Klasse. Göttingen:<br />
Hogrefe Schultests.<br />
Beckermann, T./ Neumann, D. (2022):<br />
Beispiele für digitale Individualisierung von<br />
Unterricht. In: Schulz, L. u. a. (Hrsg.) (2022):<br />
Diklusive Lernwelten. Zeitgemäßes Lernen<br />
für alle Schülerinnen und Schüler. Dornstadt:<br />
Visual Ink Publishing UG, 103–117.<br />
Böhme, R./ Munser-Kiefer, M./ Prestridge, S.<br />
(2020): Lernunterstützung mit digitalen<br />
Medien in der Grundschule. In: Zeitschrift<br />
für Grundschulforschung, 13. Jg., H. 1, 1–14.<br />
https://doi.org/10.1007/s42278-019-00066-3.<br />
Börjesson, K./ Conrady, P./ Geist, B./ Hurschler,<br />
S./ Mahrhofer-Bernt, C./ Marquardt,<br />
C. u. a. (2020): Eckpunkte für den Handschreibunterricht.<br />
Eine Stellungnahme zur<br />
Ländervereinbarung der KMK vom<br />
15.10.2020. Online verfügbar unter<br />
https://m.symposion-deutschdidaktik.de/<br />
beitraege/statements/, zuletzt aufgerufen am<br />
14.02.2022.<br />
Brinkmann, E. (2012): Lesen- und Schreibenlernen<br />
mit Hilfe des Computers: Können<br />
Programme den eigenaktiven Schriftspracherwerb<br />
der Kinder sinnvoll unterstützen?<br />
Online verfügbar unter www.pedocs.de/<br />
volltexte/2020/20523/pdf/Brinkmann_2012_<br />
Lesen_und_Schreibenlernen_mit_Hilfe.pdf<br />
Dumont, H. (2019): Neuer Schlauch für alten<br />
Wein? Eine konzeptuelle Betrachtung von<br />
individueller Förderung im Unterricht. In:<br />
Zeitschrift für Erziehungswissenschaften, 22.<br />
Jg., H. 2, 249–277. https://doi.org/10.1007/<br />
s11618-018-0840-0.<br />
Einsiedler, W. (2010): Didaktische Entwicklungsforschung<br />
als Transferförderung. In:<br />
Zeitschrift für Erziehungswissenschaften, 13.<br />
Jg., H. 1, 59–81. https://doi.org/10.1007/<br />
s11618-010-0106-y.<br />
Gerick, J./ Eickelmann, B./ Bos, W. (2017):<br />
Zum Stellenwert neuer Technologien für die<br />
individuelle Förderung im Deutschunterricht<br />
in der Grundschule. In: Heinzel, F. u. a.<br />
(Hrsg.) (2017): Individualisierung im<br />
Grundschulunterricht. Wiesbaden: Springer,<br />
131–136.<br />
Hess, M. (2019): Die Handlungskompetenz<br />
von Lehrpersonen bei Erhalten von Feedback<br />
beurteilen. Ein Beurteilungssystem für<br />
unterrichtliche Interaktionssituationen. In:<br />
Schöppe, K. u. a. (Hrsg.) (2019): Kreativität &<br />
<strong>Bildung</strong> – Nachhaltiges Lernen. München:<br />
kopaed, 465–520.<br />
Kirschhock, E.M./ Martschinke, S. (2005):<br />
Entwicklungsorientiert diagnostizieren. In:<br />
Helbig, P. u. a. (Hrsg.) (2005): Schriftspracherwerb<br />
im entwicklungsorientierten Unterricht.<br />
Lernwege bereiten und begleiten. Bad<br />
Heilbrunn: Klinkhardt, 29–42.<br />
Kirschhock, E.M./ Renner, G. (2020): Digitale<br />
Medien im Schriftspracherwerb an der<br />
Schnittstelle zwischen Elementar- und<br />
Primarbereich. In: Brandt, B. u. a. (Hrsg.)<br />
(2020): Digitales Lernen in der Grundschule<br />
II. Aktuelle Trends in Forschung und<br />
Praxis. Münster: Waxmann, 357–373.<br />
Kysela-Schiemer, G./ Edtstadler, K. (2020):<br />
Schreiben und Lesen lernen mit digitalen Medien.<br />
In: Medienimpulse, 58. Jg., H. 1, https://<br />
doi.org/10.21243/mi-01-20-9.<br />
Sauerborn, H. (2016): Die Nadel im Heuhaufen?<br />
Auf der Suche nach didaktisch „wertvollen“<br />
Apps zur Unterstützung des frühen<br />
Leseerwerbs in der Schule und zu Hause. In:<br />
Dietz, F. u. a. (Hrsg.) (2016): Zwischen<br />
Büchern und Bildschirmen. Lesen und<br />
Schreiben lernen in verschiedenen Medien.<br />
Herzogenrath: Deutsche Gesellschaft für<br />
Lesen und Schreiben (DGLS-Beiträge, 18),<br />
47–76.<br />
Schulz, L. (2020): Bewertungskriterien von<br />
diklusiven Apps oder Webplattformen.<br />
Online verfügbar unter https://leaschulz.<br />
com/wp-content/uploads/2020/10/2020_10_<br />
diklusiveKritierien-App_LSchulz.pdf, zuletzt<br />
aufgerufen am 21.02.2022.<br />
38<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022
Praxis: Rundschau XXXXX<br />
Rundschau<br />
Kreative Ansätze zur Förderung interkultureller Verbindungen<br />
Der Whole School Approach<br />
Eine Vielfalt von Blickwinkeln hilft<br />
uns dabei, die Welt mit offenen<br />
Augen und aus unterschiedlichen<br />
Richtungen zu betrachten. Dabei kann<br />
gerade ein interkultureller <strong>Bildung</strong>sansatz<br />
verbunden mit künstlerischen,<br />
ästhetischen und musischen Ansätzen<br />
unterstützen, die interkulturelle Verständigung<br />
zu fördern und das Lernen<br />
im globalen Kontext erlebbar zu<br />
machen. Die kulturelle Vielfalt in unserer<br />
Gesellschaft und ein Blick in die<br />
Welt bieten immer wieder Chancen und<br />
Gelegenheiten, den Schulalltag auf vielfältige<br />
Art und Weise zu bereichern.<br />
Ausstellung zu Migration<br />
Beiträge von Lehrkräften in der Zeitschrift<br />
„Eine Welt in der Schule“ zeigen<br />
aus der Praxis, wie durch kreative<br />
Ansätze ein komplexes Themenfeld<br />
von Schüler*innen erschlossen und für<br />
sie erfahrbar gemacht werden kann. Ein<br />
Beispiel ist der Beitrag „Ein Projekt für<br />
eine bessere Welt – im kleinen Schuluniversum“<br />
aus dem Heft Nr. 144/2019.<br />
Der Autor Florian Kübber berichtet<br />
von dem klassenübergreifenden Projekt<br />
„Welt in Bewegung. Wir sind weltbewegend“<br />
der 7. bis 10. Klassen der<br />
Erich-Klausener-Realschule in Herten.<br />
Angestoßen durch die Erlebnisberichte<br />
der geflüchteten Mitschüler*innen der<br />
internationalen Klasse planten und<br />
gestalteten 150 Schüler*innen eine<br />
eigene Ausstellung zum Themenfeld<br />
„Migration“. Durch den gemeinsamen<br />
Gestaltungsprozess begegneten sich<br />
die Schüler*innen dabei im kreativen<br />
gemeinsamen Agieren, welches Raum<br />
gab, sich mit den unterschiedlichen<br />
Hintergründen der Mitschüler*innen zu<br />
befassen und einen Perspektivwechsel<br />
zu erleben.<br />
Ausstellungsprojekt „FadenWERK“<br />
Über einen kreativen Zugang zu einem<br />
Thema lud auch das 2019 durchgeführte<br />
Ausstellungsprojekt „FadenWERK“<br />
des Projektes „Eine Welt in der Schule“<br />
ein, das in einzelnen Beiträgen im<br />
Heft 146/2020 von Lehrkräften näher<br />
beschrieben ist. Bremer Kinder und<br />
Jugendliche starteten mit drei Wollknäueln<br />
und einer Packung Sprühfarbe,<br />
um mit einem großen Schwung<br />
an Kreativität einen kritischen Blick auf<br />
die heutige Mode- und Textilproduktion<br />
zu werfen und sich Gedanken zum eigenen<br />
Konsumverhalten zu machen. Ziel<br />
war, unter dem Motto „Von Fast zu Slow<br />
Fashion“ über ein gemeinsames Ausstellungsprojekt<br />
Anregungen für einen<br />
nachhaltigen Umgang mit Kleidung zu<br />
hinterlassen.<br />
Mit Musik zur Müllvermeidung<br />
Dass der musikalische Weg ein weiterer<br />
gewinnbringender Zugang für Kinder<br />
und Jugendliche ist, um sich mit globalen<br />
Herausforderungen auseinanderzusetzen,<br />
zeigt der Beitrag „Hey! Macht<br />
alle mit!“ im Heft Nr. 148/2021. Über<br />
einen selbst komponierten Song und<br />
den dazugehörigen Dreh eines Musikvideos<br />
näherten sich Schüler*innen<br />
einer vierten Klasse der Thematik Müll<br />
und Müllvermeidung vor der eigenen<br />
Haustür und im globalen Kontext.<br />
Herausgekommen ist ein Song, der<br />
nicht nur den jungen Künstler*innen,<br />
sondern auch ihrem Umfeld die Vielfalt<br />
und Schützenswertigkeit der Welt aufzeigt<br />
und zum aktiven Handeln einlädt.<br />
Austausch mit Schüler*innen<br />
aus drei Kontinenten<br />
Der Austausch mit Partnerklassen aus<br />
anderen Kontinenten kann eine weitere<br />
Bereicherung für die Schüler*innen<br />
Ausschnitt Titel Heft 148/2021 mit dem<br />
Bericht über ein Projekt mit Partnerschulen<br />
aus drei Kontinenten – kostenlose<br />
Leseprobe: https://t1p.de/EW-H148<br />
sein, wenn es um Perspektivwechsel<br />
und den Blick auf andere kulturelle<br />
Begebenheiten geht. In dem Beitrag<br />
„Mera, deine, nuestro future – Ein Kompass<br />
für morgen“ im Heft Nr. 148/2021<br />
berichtet die Schulleiterin Sabine Cordes<br />
von einem Projekt ihrer Schule im<br />
Verbund mit vier Partnerschulen aus<br />
drei Kontinenten. Über selbst gedrehte<br />
Videos kamen die Schüler*innen miteinander<br />
in den Austausch und stellten<br />
sich gegenseitig ihre Umgebung und<br />
ihre Vorstellungen für eine gemeinsame<br />
Zukunft auf diesem Planeten vor. Die<br />
Zusammenarbeit mündete in einer<br />
gemeinsamen Schatzkiste, die von<br />
einem Kompass geziert mit Anregungen<br />
und Wünschen der Kinder in Text und<br />
Bild gefüllt war.<br />
Alle hier genannten Beispiele verdeutlichen,<br />
dass durch kreative Ansätze<br />
ein Gemeinschaftsgefühl unterstützt<br />
werden kann und sich verschiedene<br />
Zugänge zu globalen Fragestellungen<br />
eröffnen können.<br />
Ulrike Oltmanns<br />
Weitere Infos<br />
Die erwähnten Ausgaben der Zeitschrift „Eine Welt in der Schule“ können auf<br />
der Seite des Projektes bestellt werden: /www.weltinderschule.uni-bremen.de/<br />
die-zeitschrift/inhalte-ausgaben.html. Bei Interesse an einzelnen Artikeln melden<br />
Sie sich gerne direkt bei uns: einewelt@uni-bremen.de<br />
Unterstützung für Lehrkräfte für einen Aufbau zu Partnerschulen oder interkulturellen<br />
Netzwerkformaten bieten zahlreiche Organisationen an.<br />
Zwei sind hier exemplarisch zu nennen: Das „ESD Expert Net“ (https://esd-expert.<br />
net/go-global-virtueller-schulaustausch.html), welches im Auftrag des Bundesministeriums<br />
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2010 ins<br />
Leben gerufen wurde, sowie der „Chat der Welten“ von <strong>Bildung</strong> trifft Entwicklung<br />
(https://bildung-trifft-entwicklung.de/de/ueber-cdw.html). Beide haben zum<br />
Ziel, länderübergreifend über gemeinsame Themen und Ziele in den Austausch<br />
zu kommen.<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
39
Praxis: Rundschau XXXXX<br />
Start einer bundesweiten Kampagne des Grundschulverbands<br />
Internationaler Kindertag am 1. Juni<br />
Während dieser Beitrag entsteht,<br />
laufen die Vorbereitun<br />
gen für eine bundesweite<br />
Veranstaltung des Grundschulverbands<br />
zum Internationaler Kindertag am 1. Juni.<br />
Wie kam es zu dieser Idee, was haben<br />
wir seit der Delegiertenversammlung<br />
im November 2020 geplant und weitergedacht<br />
und was erwartet Sie an diesem<br />
besonderen Tag?<br />
In den letzten Ausgaben von Grundschule<br />
aktuell haben wir Sie darüber informiert,<br />
wie wir die behutsame Neuausrichtung<br />
des Verbands gestalten wollen<br />
und in verschiedenen strategischen<br />
Arbeitsgruppen die ersten Ideen dazu<br />
umgesetzt haben. Sicherlich ist Ihnen<br />
aufgefallen, dass sich die Zeitschrift immer<br />
mehr in einem frischeren Gewand<br />
präsentiert. Auch die ersten Podcasts des<br />
Grundschulverbands sind geschaltet. Inzwischen<br />
treffen sich die Vorsitzenden<br />
der Landesgruppen regelmäßig<br />
und der Austausch auf Landes-<br />
und Bundesebene vernetzt<br />
sich zunehmend. Und – auch<br />
ein Erfolg – der neu gestaltete<br />
Newsletter erreicht inzwischen<br />
einen größeren Leserkreis.<br />
Parallel unterstützen alle<br />
Arbeitsgruppen die Idee der<br />
strategischen Arbeitsgruppe<br />
Mitgliedergewinnung, am 1. Juni<br />
eine bundesweite gemeinsame Kampagne<br />
für eine zukunftsfähige Grundschule<br />
zu starten. Diese soll zeigen, dass<br />
der Verband – obwohl er auf inzwischen<br />
mehr als 50 Jahre zurückblickt – immer<br />
noch jung, modern, frisch und anregend<br />
sein kann. Für den Auftakt entwickelt,<br />
plant und realisiert die AG SocialMedia<br />
eine konzertierte Werbeaktion auf allen<br />
unseren Kanälen. Erstmals kommen<br />
die neuen Layouts für unsere Aktivitäten<br />
zum Einsatz und der für diese Aktion<br />
erweiterte Slogan des Bundesgrundschulkongresses<br />
von 2019:<br />
KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT!<br />
Für den Vorstand:<br />
Edgar Bohn,<br />
Marion Gutzmann<br />
Zum Internationalen Kindertag:<br />
Wie kann das Recht auf grundlegende <strong>Bildung</strong><br />
aktuell gesichert werden?<br />
– Chancen & Herausforderungen –<br />
am Mittwoch, den 1. Juni 2022<br />
um 16.30 Uhr<br />
Eine Online-Veranstaltung (Zoom) des Grundschulverbandes –<br />
kostenlos für alle Mitglieder und Nicht-Mitglieder.<br />
Anmeldung unter: info@grundschulverband.de<br />
In Vorbereitung der Veranstaltung am 1. Juni 2022 wurden die Landesgruppen<br />
um Unterstützung gebeten: Wir sammelten Kinderstimmen<br />
(Was gefällt dir an deiner Grundschule? Was wünschst du dir für deine<br />
Grundschule?) und Statements von Mitgliedern zum<br />
Grund ihrer Mitgliedschaft im Grundschulverband.<br />
Daraus werden nun kleine Filme geschnitten,<br />
die Teil des Programms sein<br />
werden und danach auf unserem You-<br />
Tube-Kanal jederzeit abgerufen werden<br />
können.<br />
In einer Diskussionsrunde wird – ausgehend<br />
vom Kinderrecht auf <strong>Bildung</strong> –<br />
beleuchtet, wie die Arbeit in den<br />
Grundschulen gestaltet sein muss, damit<br />
alle Kinder bestmöglich lernen können.<br />
Welche Visionen von guter Grundschule<br />
haben die Diskutierenden? Und was muss<br />
jetzt geschehen, damit die Grundschulen entsprechend<br />
aufgestellt sind?<br />
Als Expert:innen haben zugesagt:<br />
l Eva Osterhues-Bruns (Schulleiterin und Fachreferentin des Grundschulverbands),<br />
l Prof. i. R. Dr. Hans Brügelmann (<strong>Bildung</strong>sforscher und freier Journalist),<br />
l Svenja Telle und Johannes Wolz (beide im aktiven Schuldienst),<br />
l Marion Gutzmann, stellvertretende Vorsitzende des Verbands, wird<br />
die Diskussion leiten.<br />
Im Anschluss daran werden die Landesgruppen eigene Kurzbeiträge<br />
anbieten.<br />
Darüber hinaus werden alle Landesgruppen Herbsttagungen veranstalten,<br />
die die Thematik vertiefen werden. Lassen Sie sich überraschen!<br />
Wir haben Sie jetzt hoffentlich neugierig gemacht und freuen uns auf Sie!<br />
40<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022
Praxis: Rundschau XXXXX<br />
Rundschau<br />
Überlegungen zu einem lebensweltlichen Zugang zu kulturellem und religiösem Lernen<br />
„Komm mit, ich will dir etwas zeigen!“<br />
In einem studentischen Unterrichtsversuch<br />
innerhalb des fachdidaktischen<br />
Tagespraktikums im Fach<br />
Lebensgestaltung – Ethik – Reli gionskunde<br />
(L – E – R) brachte Salim einen<br />
Koran mit. Die Schüler*innen beobachteten<br />
gespannt, wie er das kunstvoll<br />
verzierte Buch zeigte und peinlich darauf<br />
bedacht war, dass kein anderer das<br />
Buch berührte. Als er der Aufforderung<br />
seiner Mitschüler*innen folgte und einige<br />
Koranverse rezitierte, staunten sie<br />
und waren offensichtlich überrascht<br />
über die fremden Klänge, die sie zuvor<br />
noch nie gehört hatten. Einige kicherten<br />
unsicher. 1<br />
Die Frage, warum sie nicht den Koran<br />
berühren durften, beschäftigte die<br />
Schüler*innen. Dass dies nur Moslems<br />
erlaubt sei, machte für sie keinen Sinn.<br />
Für sie war der Koran ein Buch, und<br />
Bücher kann man anfassen, aufschlagen<br />
und berühren. Für Salim jedoch ist<br />
der Koran mehr als nur ein Buch. Dieses<br />
„Mehr“ verweist auf einen Bedeutungsüberschuss,<br />
den nur „Eingeweihte“ verstehen.<br />
Die Szene bot somit vielfältige<br />
Anschlussmöglichkeiten für das (kulturell-religiöse)<br />
Lernen in den folgenden<br />
Stunden.<br />
Dieses Beispiel aus dem religionskundlichen<br />
Fach L – E – R, welches nur<br />
im Land Brandenburg unterrichtet wird,<br />
soll dazu dienen, der Frage nachzugehen,<br />
welchen Beitrag kulturelle <strong>Bildung</strong><br />
unter der Perspektive religiöser <strong>Bildung</strong><br />
zur Lösung gegenwärtiger sozialer und<br />
kultureller Herausforderungen leisten<br />
kann, wie es die Seoul-Agenda <strong>Kulturelle</strong><br />
<strong>Bildung</strong> aus dem Jahre 2010 als eines<br />
von drei Zielen formuliert.<br />
<strong>Bildung</strong> – kulturelle <strong>Bildung</strong> –<br />
religiöse <strong>Bildung</strong><br />
Unsere heutige Welt ist eine kulturell<br />
und religiös plurale, globalisierte Welt.<br />
Kinder und Jugendliche finden in dieser<br />
ganz unterschiedliche Wert- und Sinnangebote<br />
zur Orientierung im Leben.<br />
Doch woran orientieren sich schulische<br />
<strong>Bildung</strong>sanstrengungen? Eine allgemein<br />
geteilte Antwort darauf ist eine<br />
philosophische: am guten Leben. Doch<br />
auf die Frage, was ein „gutes Leben“ ist,<br />
kann man individuell und gesellschaftlich<br />
sehr unterschiedlich antworten.<br />
Seit den Schulleistungsuntersuchungen<br />
der OECD (PISA-Studien) bekam das<br />
<strong>Bildung</strong>sverständnis vom „guten Leben“<br />
eine neoliberale Konnotation. Ob dieses<br />
<strong>Bildung</strong>sverständnis, welches in die<br />
gegenwärtige Orientierung an Standards<br />
und Kompetenzen eingetragen ist, den<br />
Heranwachsenden dabei hilft, jetzt und<br />
in der Zukunft „mit sich selbst klarzukommen,<br />
sich im Leben zurechtzufinden<br />
und es gemeinsam mit anderen<br />
zu gestalten“ 2 , darf kritisch hinterfragt<br />
werden. Ein auf Wissen, Können oder<br />
Kompetenzen reduziertes <strong>Bildung</strong>sverständnis<br />
genügt dafür nicht. Vielmehr<br />
bedarf es eines Verständnisses von <strong>Bildung</strong><br />
als Erfahrungsprozess, welches<br />
den Menschen verändert. Diese Veränderung<br />
bezieht sich auf den Menschen<br />
selbst, sein Verhältnis zu den<br />
anderen und zur Welt als Ganzes. Ein<br />
solches transformatorisches Verständnis<br />
von <strong>Bildung</strong> schließt sowohl das<br />
Andersdenken als auch das Anderswerden<br />
ein. Den Anlass für derartige<br />
Veränderungen bieten Krisenerfahrungen.<br />
Diese entstehen dann,<br />
wenn Menschen mit ihrem Verständnis<br />
von sich Selbst und der Welt an Grenzen<br />
stoßen. 3 Es bedarf einer Grenzüberschreitung,<br />
um den Herausforderungen<br />
erfolgreich zu begegnen.<br />
Die eingangs geschilderten Reaktionen<br />
der Schüler*innen auf Salims Koranrezitation<br />
verweisen auf eine solche<br />
„Krisenerfahrung“. Die Szene hat<br />
das Potenzial, diese Grenzen zu überschreiten.<br />
Möglich wird diese Grenzüberschreitung<br />
durch die geistige Auseinandersetzung<br />
mit der Welt an der<br />
konkreten Erfahrung, die zugleich die<br />
<strong>Bildung</strong> des Bewusstseins unterstellt.<br />
In einem solchen <strong>Bildung</strong>sverständnis<br />
ist <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong> Voraussetzung<br />
für ein geglücktes Leben und maßgeblicher<br />
Bestandteil von Allgemeinbildung.<br />
4 <strong>Bildung</strong> vermag so einen bedeutenden<br />
Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung<br />
und zu kultureller Teilhabe zu<br />
leisten, wie es bspw. der Schlussbericht<br />
Religion in der Grundschule?<br />
Immer wieder bewegt dieses Thema<br />
und sucht bzw. schafft bisher oftmals<br />
nur Teillösungen für bestimmte Gruppen.<br />
Der Grundschulverbandsetzt sich<br />
– vor dem Hintergrund des Integrationsauftrags<br />
von Grundschule – für<br />
eine Diskussion ein, gemeinsam zu<br />
überlegen, wie wir den religiösen Bedürfnissen<br />
aller Kinder gerecht werden<br />
können.<br />
Welche Rolle spielt Religion in der modernen<br />
Gesellschaft? Welche Bedeutung<br />
hat Religion in einem multireligiösen<br />
und säkularisierten Umfeld? Und<br />
wie werden sich religiöse Vorstellungen,<br />
Wahrnehmung und Denken entwickeln<br />
bzw. wie werden sie angeeignet?<br />
Diesen und anderen Fragen wollen wir<br />
uns mit einer neuen Serie zum Themenbereich<br />
Religionen und Weltanschauungen<br />
in der Schule widmen, in der jeweils<br />
unterschiedliche Aspekte beleuchtet<br />
und verschiedene Positionen vorgestellt<br />
werden.<br />
Den Auftakt bietet der Beitrag „Komm<br />
mit, ich will dir etwas zeigen! – Überlegungen<br />
zu einem lebensweltlichen<br />
Zugang zu kulturellem und religiösem<br />
Lernen“ von Frau Dr. Petra Lenz, der das<br />
Thema des Heftes „<strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong>“<br />
aufgreift und insbesondere betrachtet,<br />
was <strong>Bildung</strong> sein kann und welchen<br />
bildenden Beitrag Kultur und Religion<br />
leisten können.<br />
der Enquete-Kommission „Kultur in<br />
Deutschland“ aus dem Jahre 2007 betont.<br />
Um sich unter der Perspektive religiösen<br />
Lernens ein Begriffsverständnis von<br />
<strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> zu erschließen, stellt<br />
sich die ganz grundsätzliche Frage, was<br />
wir unter Kultur in diesem Kontext verstehen<br />
wollen.<br />
In der Unterrichtsbeobachtung rezitiert<br />
Salim Verse des Koran auf Arabisch.<br />
Er kann dies, weil er es gelernt hat. Zu<br />
Hause, in der Familie, wie er den Mitschüler*innen<br />
erklärte. Er hat Erfahrungen<br />
im Rezitieren des Korans gesammelt,<br />
Rückmeldungen dazu bekommen,<br />
wurde angeleitet, seine Rezitation zu<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
41
Praxis: Rundschau XXXXX<br />
Dr. Petra Lenz<br />
arbeitet als Akademische Mitarbeiterin<br />
am Institut für Lebensgestaltung –<br />
Ethik – Religionskunde der Universität<br />
Potsdam und begleitet als Systemischer<br />
Coach Menschen in Führungspositionen.<br />
In ihren Studien setzt sich Petra Lenz<br />
intensiv mit philosophischen, soziologischen,<br />
psychologischen, pädagogischen<br />
und religionswissenschaftlichen<br />
Themen auseinander. Ihre Forschungsinteressen<br />
beziehen sich auf Fragen<br />
des ethisch-moralischen und religionskundlichen<br />
Lehrens und Lernens sowie<br />
auf Gesundheit und Krankheit.<br />
verbessern und weiter zu entwickeln. Je<br />
besser er den Koran rezitieren kann,<br />
umso größer wird sein Ansehen in seiner<br />
religiösen Gemeinschaft sein. Und<br />
auch seine Lehrer haben das Rezitieren<br />
gelehrt bekommen, wie Generationen<br />
von Moslems vor ihnen. Dieser Prozess<br />
der Aneignung von Wissen und praktischem<br />
Vermögen über Generationen<br />
hinweg macht Kultur (cultura) aus. Er ist<br />
zu unterscheiden von der Reflexion über<br />
diesen Aneignungsprozess, als dessen<br />
Resultat Wissen über Kultur(en) und somit<br />
Wissenschaft entsteht. 5<br />
Dieses kulturwissenschaftliche Verständnis<br />
des Kulturbegriffs findet sich<br />
auch in der Definition der UNESCO-<br />
Weltkonferenz zur Kulturpolitik aus<br />
dem Jahre 1982. Kultur wird hier im<br />
weitesten Sinne verstanden als „die Gesamtheit<br />
der einzigartigen geistigen, materiellen,<br />
interkulturellen und emotionalen<br />
Aspekte“ von Gesellschaften und sozialen<br />
Gruppen, die „nicht nur Kunst<br />
und Literatur ein[schließt], sondern<br />
auch Lebensformen, die Grundrechte<br />
des Menschen, Wertsysteme, Traditionen<br />
und Glaubensrichtungen.“ 6 Sich<br />
mit Kultur unter der Perspektive von <strong>Bildung</strong><br />
ohne Rückbezug auf das Religiöse<br />
zu befassen, ist somit nicht möglich.<br />
Religiöse <strong>Bildung</strong> wiederum ist nicht<br />
ohne Bezug zum religiösen Wandel<br />
der Gesellschaft zu denken. Dieser ist<br />
zum einen durch einen Bedeutungsverlust<br />
bzw. das Verschwinden von Religion(en)<br />
charakterisiert, aber auch durch<br />
eine neue Sichtbarkeit des Religiösen.<br />
Religion und Moderne schließen sich<br />
(auch) in der Gegenwart nicht aus. Religion(en)<br />
bestimmen menschliches Handeln<br />
und haben wesentlichen Einfluss<br />
auf gesellschaftliche Entwicklungen und<br />
Wandlungsprozesse. 7 Dadurch, dass der<br />
Mensch einerseits Kultur schafft und gestaltet<br />
und andererseits durch Kultur<br />
und deren Bearbeitung gebildet wird,<br />
entfaltet sich die pädagogische Dimension<br />
<strong>Kulturelle</strong>r <strong>Bildung</strong> im Spannungsfeld<br />
individueller Lebensgestaltung und<br />
gesellschaftlicher Verhältnisse. 8<br />
Kultur – Individuum – Lebenswelt<br />
In Deutschland gibt es heute neben<br />
dem traditionell konfessionell-christlichen<br />
Religionsunterricht auch alevitischen,<br />
buddhistischen, christlich-orthodoxen<br />
und islamischen Religionsunterricht.<br />
Dass der konfessionelle Religionsunterricht<br />
die beste Organisationsform<br />
eines religionsbezogenen Unterrichts<br />
ist, um Antworten auf die drängenden<br />
Fragen der Gegenwart zu finden, darf<br />
zumindest bezweifelt werden. Die Legitimation<br />
des konfessionellen Religionsunterrichts<br />
bezieht ihren Sinn aus der<br />
Vermittlung einer kulturellen Orientierung,<br />
wie sie in einer historischen, in<br />
allen Bereichen religiös durchwirkten<br />
Gesellschaft erforderlich war. So basiert<br />
auch die Bestimmung des Religionsunterrichts<br />
als ordentliches Lehrfach<br />
in Artikel 7, Abs. 3 des GG auf<br />
der Voraussetzung einer (christlichen)<br />
Volksreligiosität. So, wie diese auf der<br />
einen Seite verschwindet, bringen Menschen,<br />
die durch Kriege, Gewalt, Unterdrückung,<br />
Umweltveränderungen und<br />
andere Bedrohungen gezwungen sind,<br />
ihr Land zu verlassen, ihre Religionen<br />
mit zu uns. Sie sind gezwungen, sich in<br />
unserer kulturell-religiös andersartigen<br />
Gesellschaft neu zu „(er)finden“. Identitäten<br />
und Zugehörigkeiten kommen ins<br />
Schwanken, verändern sich, brechen ab<br />
und werden neu definiert. Um Lösungen<br />
für so entstehende gesellschaftliche<br />
Herausforderungen zu finden, erscheint<br />
eine Fixierung auf den konfessionellen<br />
Religionsunterricht als „kulturell<br />
unsinnig“, da diese gerade einer Loslösung<br />
von traditionellen kulturellen<br />
Wertsetzungen bedürfen. 9<br />
Konfessionelle Ansätze, deren Ziel<br />
Orientierung, religiöse Beheimatung<br />
und Identitätsbildung ist (learning in<br />
religion), kann dies meiner Ansicht nach<br />
nur eingeschränkt leisten. Auch wenn<br />
sich der christliche Religionsunterricht<br />
heute nicht mehr ausschließlich an Religionsangehörige<br />
der eigenen Konfession<br />
richtet, thematisch religionskundliche<br />
und interreligiöse Themen integriert,<br />
die Identitätsentwicklung der Kinder<br />
und Jugendlichen in den Blick nimmt<br />
(i. S. eines learning from religion) und<br />
neue Unterrichtsmodelle wie der Konfessionell-kooperative<br />
Religionsunterricht<br />
in Baden-Württemberg oder interreligiöser<br />
Unterricht wie der Hamburger<br />
„Religionsunterricht für alle“ entstanden<br />
sind, bleibt es doch ein konfessioneller<br />
Unterricht „in Übereinstimmung<br />
mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“<br />
(GG Art. 7, Abs. 3).<br />
Religionskundlicher Unterricht hingegen<br />
wird vom Staat verantwortet und<br />
ist bekenntnisneutral. Die Teilnahme<br />
an diesem Unterricht steht allen Schüler*innen,<br />
unabhängig von ihrer Religion<br />
oder Weltanschauung, offen, und<br />
auch die Lehrkraft ist an keine Zugehörigkeit<br />
(oder Nicht-Zugehörigkeit) zu<br />
einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft<br />
gebunden. 10 Interessant für<br />
die Grundschule sind die religionskundlichen<br />
Fächer Lebensgestaltung – Ethik –<br />
Religionskunde (L – E – R) in Brandenburg<br />
und der Schweizer Fachbereich<br />
Ethik, Religionen, Gemeinschaft (ERG).<br />
Wie das Fach L – E – R vereint auch der<br />
Fachbereich ERG verschiedene fachliche<br />
Perspektiven (ethisch – religionskundlich<br />
– lebenskundlich). 11 Beide Fächer<br />
intendieren eine Handlungsfähigkeit der<br />
Kinder, um sich aktiv in die Entwicklung<br />
der Gesellschaft und Welt einbringen<br />
zu können. In einem solchen religiösweltanschaulich<br />
neutralen, religionsbezogenen<br />
Unterricht, der das Lernen<br />
über Religionen mit dem Erfahrungsund<br />
Identitätsbildungsansatz des Lernens<br />
von Religionen verbindet (learning<br />
through religion) 12 , kommen religiöse<br />
Bezüge in den Blick, um Lösungsmöglichkeiten<br />
für gegenwärtige und zukünftige<br />
Fragen und Probleme in der Lebenswelt<br />
der Kinder zu ergründen und die<br />
Kompetenzen dafür zu erweitern. Diese<br />
42<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022
Praxis: Rundschau XXXXX<br />
Rundschau<br />
problemhaltigen Herausforderungen in<br />
den Lebenswelten der Kinder müssen<br />
den Ausgangspunkt unterrichtlicher<br />
Arrangements bilden, um Sinn für die<br />
Lernenden zu erzeugen.<br />
Das Beispiel von Salim zeigt, dass im<br />
Zusammentreffen von Menschen Unverständnis<br />
und Probleme dadurch entstehen<br />
können, dass verbindliche kulturelle<br />
„Sprachen“ aufeinandertreffen. Das Geschehen<br />
im Klassenraum macht deutlich,<br />
dass sich die Beziehung von Religion<br />
und Kultur auf der individuellen<br />
Ebene abbildet. <strong>Kulturelle</strong> <strong>Bildung</strong><br />
als religiöse <strong>Bildung</strong> muss sich deshalb<br />
an den biografischen Erfahrungen und<br />
individuellen Lebenslagen orientieren<br />
und Anlässe bieten, um die Grenzen der<br />
gewohnheitsmäßigen und unhinterfragten<br />
Sichtweisen und Handlungsoptionen<br />
zu überschreiten. Wenn junge Menschen<br />
in einem religionsbezogenen Unterricht<br />
verstehen lernen, dass derartige Missverständnisse<br />
das Resultat unterschiedlicher<br />
kulturell-religiöser Prägungen sind,<br />
kann religionsbezogen <strong>Bildung</strong> als <strong>Kulturelle</strong><br />
<strong>Bildung</strong> gelingen.<br />
Anmerkungen<br />
1) Vgl. Lenz 2014, 13.<br />
2) Heinrich, Hüther und Senf 2020, 14 f.<br />
3) Vgl. Koller 2012, 9 und 71.<br />
4) Vgl. Emert 2009.<br />
5) Vgl. Böhme 2004, 1.<br />
6) Deutsche UNESCO-Kommission 1983,<br />
121. Zitiert nach Fuchs 2012, 63.<br />
7) Vgl. Pollack 2018, 304.<br />
8) Vgl. Reinwand 2012, 96.<br />
9) Vgl. Faulstich-Christ u. a. 2011, 14.<br />
10) Vgl. Kenngott 2017.<br />
11) Vgl. Lorenzen und Schmidt 2019.<br />
12) Vgl. Schreiner 2016.<br />
Literatur<br />
Böhme, H. (2004): Kulturwissenschaft und<br />
Lebenspraxis. In: F. Jaeger und J. Straub<br />
(Hrsg.), Handbuch der Kulturwissenschaften.<br />
Band 2. Paradigmen und Disziplinen.<br />
Stuttgart: J.B. Metzler, Stuttgart, 1–83.<br />
https://doi.org/10.1007/978-3-476-05011-3_1.<br />
Emert, K. (2009): Was ist kulturelle <strong>Bildung</strong>?<br />
Bundeszentrale für politische <strong>Bildung</strong>.<br />
www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/<br />
59910/was-ist-kulturelle-bildung/<br />
Faulstich-Christ, K., Hund-Göschel, G.,<br />
Moegling, K., Sauerwein, T., Volkmann, M.<br />
(2011): Vom kulturellen Sinn und Unsinn der<br />
Fächer. Einführende Überlegungen zum<br />
fächerübergreifenden Unterricht. In:<br />
Artmann, M., Herzmann, P., Rabenstein, K.<br />
(Hrsg.): Das Zusammenspiel der Fächer beim<br />
Lernen. Immenhausen bei Kassel, 9–21.<br />
Fuchs, M. (2012): Kulturbegriffe, Kultur der<br />
Moderne, kultureller Wandel. In: Bockhorst,<br />
H., Reinwald, V.-I., Zacharias, W. (Hrsg.):<br />
Handbuch kulturelle <strong>Bildung</strong>. München:<br />
kopaed, 63–67.<br />
Heinrich, M., Hüther, G., Senf, M. (2020):<br />
#Education for Future. <strong>Bildung</strong> für ein<br />
gelingendes Leben. München: Goldmann.<br />
Kenngott, E.-M. (2017): Religionskunde.<br />
WiReLex. Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische<br />
Lexikon im Internet.<br />
www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100127/.<br />
Koller, H.-C. (2012): <strong>Bildung</strong> anders denken.<br />
Einführung in die Theorie transformatorischer<br />
<strong>Bildung</strong>sprozesse. Stuttgart: Kohlhammer.<br />
Lenz, P. (2014): Das Thema Islam in LER<br />
unterrichten. Eine Skizze, In: zeitsprung 2,<br />
13–15. https://akd-ekbo.de/wp-content/<br />
uploads/2_2014.pdf.<br />
Lorenzen, S., Schmidt, K. (2019): Religionsunterricht<br />
in der Schweiz. WiReLex. Das<br />
Wissenschaftlich-Religionspädagogische<br />
Lexikon im Internet. www.bibelwissenschaft.<br />
de/stichwort/200639/.<br />
Pollack, D. (2018): „Säkularisierung“. In:<br />
Pollack, D., Krech, V., Müller, O., Hero, M.<br />
(Hrsg.): Handbuch Religionssoziologie,<br />
Wiesbaden: Springer Fachmedien, 303–327.<br />
https://doi.org/10.1007/978-3-531-18924-<br />
6_12.<br />
Reinwand, V.- I. (2012): Kapiteleinführung:<br />
Mensch und <strong>Bildung</strong>. In: Bockhorst, H.,<br />
Reinwald, V.-I., Zacharias, W. (Hrsg.):<br />
Handbuch kulturelle <strong>Bildung</strong>. München:<br />
kopaed, 96–97.<br />
Schreiner, P. (2016): Religionsunterricht,<br />
international. WiReLex. Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische<br />
Lexikon im<br />
Internet. https://doi.org/10.23768/wirelex.<br />
Religionsunterricht_international_.100208<br />
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WER KANN LESEN?<br />
SELBER LESEN LEICHT GEMACHT!<br />
„Unsere leseleichten Büchlein ermöglichen Kindern, schon früh Texte selbstständig zu<br />
lesen, deren inhaltlicher Ertrag die Mühe lohnt.<br />
Und: Die Kinder werden immer besser beim Lesen, weil sie mehr lesen – und sie lesen<br />
mehr, weil sie immer besser werden. Denn Lesen lernt man am besten dadurch, dass<br />
man viel liest. Unsere Erprobung mit Anfänger:innen, die beim Lesen Schwierigkeiten<br />
haben, hat bestätigt: Die Kinder lesen die Büchlein gerne und mit Erfolg.“<br />
Hans Brügelmann & Erika Brinkmann<br />
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GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
43
Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />
Baden-Württemberg<br />
Vorsitzender: Edgar Bohn<br />
edgar-bohn@gsv-bw.de, https://gsv-bw.de<br />
Couchsurfing<br />
Grundschulverband<br />
Das Format nimmt immer<br />
mehr an Fahrt auf …<br />
Am 24. Februar haben<br />
Dr. Eva Odersky von der<br />
Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München und Melanie<br />
Frank vom Seminar Bad<br />
Mergentheim auf unserem<br />
digitalen Sofa darüber<br />
diskutiert, ob weniger bei<br />
der Unterrichtsvorbereitung<br />
nicht oft mehr ist. Aus Sicht<br />
von Susanne Doll und Eva-<br />
Kristina Franz stehen Studierende<br />
und Anwärter*innen<br />
bei der Vielfalt an teilweise<br />
hochglänzendem Unterrichtsmaterial,<br />
das vor allem<br />
im Internet angeboten wird,<br />
immer mehr unter Druck: Was<br />
wähle ich für den Unterricht<br />
aus? Wie treffe ich Entscheidungen?<br />
Welche Kriterien<br />
ziehe ich heran …<br />
Die insgesamt über 30 Teilnehmer*innen<br />
diskutierten<br />
bereits im Plenum intensiv<br />
mit, in Breakoutsessions<br />
wurden diese Themen dann<br />
noch vertieft. Ein – wie wir<br />
finden – gelungener Abend<br />
mit tollen Gästen!<br />
Instagram und Co<br />
Im Nachklapp der Veranstaltung<br />
konnten dann über<br />
unseren Instagram-Account<br />
auch zwei weitere Probemitgliedschaften<br />
verlost werden.<br />
Insgesamt baut unsere<br />
Landesgruppe gerade Ihren<br />
Auftritt in den sozialen<br />
Medien aus und versucht,<br />
neben grundschulverbandsspezifischen<br />
Themen auch<br />
interessante Veranstaltungen<br />
oder für die Grundschulpraxis<br />
relevante Diskussionen für<br />
Interessierte zu bündeln und<br />
zu kommentieren.<br />
Und auch weiterhin<br />
sind und bleiben wir im<br />
Gespräch<br />
Mit dem Kultusministerium,<br />
mit ZSL und IBBW sind wir<br />
regelmäßig in einem guten<br />
Austausch. Dabei stellen wir<br />
fest: KM, ZSL und IBBW sind<br />
offen für Gespräche, in die<br />
wir als Grundschulverband<br />
zum Wohle der Kinder, Lehrkräfte<br />
und Schulleitungen<br />
Anliegen beratend einbringen<br />
können. Es geht voran!<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Edgar Bohn und Eva Franz<br />
Der Landesverband Baden-Württemberg „online“<br />
(oben links: Christoph Straub, oben rechts: Edgar Bohn,<br />
Mitte links: Annette Pohl, Mitte rechts: Carmen Kindelerr,<br />
unten links: Susanne Doll, unten rechts: Dr. Annette Graf,<br />
unten Gabriele Doderer)<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Gabriele Klenk<br />
https://grundschulverband-bayern.de<br />
Online-Treffen der Landesgruppe<br />
mit der Grundschulreferentin<br />
des Staatsministeriums<br />
für Unterricht<br />
und Kultus<br />
Zu einem sehr wertschätzenden<br />
und konstruktiven<br />
Online-Gespräch mit der<br />
Grundschulreferentin am<br />
Kultusministerium, Ministerialrätin<br />
Maria Wilhelm,<br />
trafen sich Gabriele Klenk<br />
(Vorsitzende des Vorstands<br />
der Landesgruppe)<br />
sowie Konstanze von Unold<br />
(Delegierte GSV) und Martina<br />
Tobollik (Landesvorstand)<br />
Ende Februar. Thematisiert<br />
wurden die coronabedingt<br />
zum Teil analog und digital<br />
angebotenen Lernentwicklungsgespräche,<br />
das<br />
unkomplizierte Abrufen der<br />
Gelder für die tägliche Arbeit<br />
zu Alltagskompetenz und<br />
Lebensökonomie sowie der<br />
Umgang mit dem Rahmenhygieneplan<br />
im Schulbetrieb.<br />
In diesem Zusammenhang<br />
wurde dem bayerischen<br />
Gesundheitsminister Klaus<br />
Holetschek für seine Antwort<br />
zum GSV-Schreiben in Bezug<br />
auf die Maskenpflicht im<br />
Schriftspracherwerb gedankt.<br />
Die vielfältigen Online-Unterstützungsangebote<br />
der<br />
Landesgruppe (Gespräche<br />
mit Schulleitungen, Seminarleitungen,<br />
Regionalgruppentreffen)<br />
sowie die beiden<br />
Online-Grundschultage zum<br />
Thema „Kinder.Lernen.Zukunft“<br />
im April und Oktober<br />
wurden ebenfalls vorgestellt.<br />
44<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer<br />
denisomm@aol.com, www.grundschulverband.de<br />
Wir geben nicht auf!<br />
Trotz aller Belastungen und<br />
Herausforderungen lieben<br />
viele Grundschullehrerinnen<br />
und -lehrer ihren Beruf und<br />
ganz besonders die Arbeit<br />
mit den Schülerinnen und<br />
Schülern. In der aktuellen<br />
Situation der Aufnahme von<br />
ukrainischen Flüchtlingskindern<br />
an unseren Schulen<br />
gehen wir erneut mit Zuversicht<br />
und Verantwortungsbewusstsein<br />
in die nächste<br />
große Herausforderung.<br />
Dennoch gibt es zu viele<br />
Aufgaben und zu wenig<br />
Zeit, um allen Kindern<br />
und Jugendlichen gerecht<br />
zu werden. Das war die<br />
wichtigste Botschaft an die<br />
Politikerinnen und Politiker<br />
des Brandenburgischen<br />
<strong>Bildung</strong>sausschusses und an<br />
die <strong>Bildung</strong>sministerin Britta<br />
Ernst am 10. März 2022 in<br />
Potsdam. Ein gemeinsames<br />
Positionspapier der sieben<br />
kooperierenden Lehrer- und<br />
Fachverbände des Landes an<br />
die Landtagsfraktionen im<br />
November 2021 war Anlass<br />
für den Ausschuss, die Schulpraxis<br />
von der Grundschule<br />
bis zur beruflichen <strong>Bildung</strong> in<br />
einem fast 3-stündigen Fachgespräch<br />
zu Wort kommen<br />
zu lassen.<br />
Unter Berücksichtigung<br />
vorliegender wissenschaftlicher<br />
Befunde wie der<br />
Schaarschmidt-Studie der<br />
Universität Potsdam aus dem<br />
Jahr 2006 und der wissenschaftlichen<br />
Expertise des<br />
Grundschulverbandes zur<br />
Überlastung von Lehrkräften<br />
in der Grundschule aus<br />
dem Jahr 2020 gaben die<br />
Vertreterinnen und Vertreter<br />
der Verbände anschaulich,<br />
umfassend und engagiert<br />
einen Einblick in die Problemlagen<br />
bei Lehrkräften und<br />
Schulleitungen aller Schulformen<br />
und Schulstufen in<br />
Brandenburg.<br />
Für den Grundschulverband<br />
benannte Frau Sommer unter<br />
anderem folgende dringende<br />
Handlungsbedarfe: Inklusion<br />
– sonderpädagogische Förderung<br />
geflüchteter Kinder,<br />
Umsetzung des Digitalpaktes,<br />
Ausbau der Sozialarbeit,<br />
Aufbau multiprofessioneller<br />
Teams und Erhöhung der Anzahl<br />
der Schulpsychologen,<br />
Einsatz von Verwaltungsfachkräften.<br />
Wiederholt verwiesen die<br />
Verbände auf die Entlastung<br />
der Lehrkräfte und Schulleitungen<br />
durch zusätzliches<br />
Verwaltungspersonal und<br />
finanzielle Anreize und/<br />
oder Beförderungsämter für<br />
Lehrkräfte bei Übernahme<br />
zusätzlicher Aufgaben<br />
wie z. B. Betreuung der<br />
Quer- und Seiteneinsteiger,<br />
Fachkonferenzleitung und<br />
Konzeptentwicklung. Erneut<br />
wurde die Erhöhung der Vertretungsreserve<br />
von aktuell<br />
3 Prozent auf 10 Prozent vor<br />
dem Hintergrund fehlenden<br />
Personals kontrovers diskutiert.<br />
Die ungleiche Ausstattung<br />
der Anrechnungsstunden<br />
für Schulleitungen an<br />
Grund- und weiterführenden<br />
Schulen sowie die fehlenden<br />
Stellen für Stellvertretung an<br />
einzügigen Grundschulen<br />
wurden ebenfalls wiederholt<br />
benannt.<br />
Auch wenn eine Lösung der<br />
vielfältigen Problemlagen<br />
nicht absehbar ist, war das<br />
Fachgespräch wichtig und<br />
notwendig. Der Grundschulverband<br />
wird sich weiterhin<br />
für die Verbesserung der<br />
Situation in Brandenburg<br />
engagiert einsetzen und die<br />
Kommunikation mit dem<br />
MBJS und der <strong>Bildung</strong>spolitik<br />
fortsetzen. Wir geben nicht<br />
auf!<br />
Mit einer breiteren Palette<br />
von Online-Veranstaltungen<br />
möchte sich der Vorstand der<br />
Landesgruppe Brandenburg<br />
an Mitglieder und Noch-<br />
Nicht-Mitglieder des Grundschulverbands<br />
wenden.<br />
Bitte merken Sie sich folgende<br />
Termine vor:<br />
12. Mai, 18.00 Uhr –<br />
Grundschultreff mit<br />
Steffi – Online-Angebot für<br />
die Studienseminare Potsdam,<br />
Bernau und Cottbus<br />
2. Juni und 4. August,<br />
18.00 Uhr – Online-<br />
Treff der Brandenburger<br />
Landesgruppe<br />
Wir bitten um Anmeldung<br />
bei Stefanie Gärtner.<br />
Ansprechperson:<br />
Stefanie Gärtner<br />
st.gaertner22@gmx.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Denise Sommer<br />
Ein großes Anliegen der<br />
Landesgruppe ist und bleibt<br />
der Fokus auf die Qualität<br />
des Unterrichts (Digitalität,<br />
4Ks in der pädagogischen<br />
Leistungskultur) und die<br />
damit einhergehende Bitte<br />
um (Wieder-)Aufnahme des<br />
Newsletters als Kommunikationsmittels<br />
zwischen<br />
KM und Basis. Von Seiten<br />
der Grundschulreferentin<br />
wurde auf die qualitativ<br />
hochwertigen Konzepte Filby<br />
(Leseförderung), Sinus (Mathematikförderung)<br />
sowie<br />
BiSS-Transfer zum Schreiben<br />
(in Planung) hingewiesen.<br />
Gabriele Klenk nutzte die<br />
Gelegenheit und weckte im<br />
gewinnbringenden Austausch<br />
das Interesse für die<br />
beiden neuen Publikationen<br />
des GSV „Schulkulturen in<br />
Entwicklung“ und „Didaktik<br />
der Lernkulturen“, die „auch<br />
in die Bibliothek eines<br />
Ministeriums gehören“. Der<br />
Wunsch von Grundschulreferentin<br />
und Landesgruppe,<br />
„im Gespräch zu bleiben“ (mit<br />
dem Ziel einer zukunftsfähigen<br />
Grundschule) wurde mit<br />
einem weiteren Gesprächstermin<br />
manifestiert.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Martina Tobollik<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
45
Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />
Bremen<br />
Kontakt: grundschulverband-landesgruppe-bremen@email.de<br />
www.grundschulverband-bremen.de<br />
Wie uns alle im persönlichen<br />
Leben und die Kolleg:innen in<br />
den Schulen hat auch uns im<br />
Vorstand der Landesgruppe<br />
beschäftigt, wie wir den aus<br />
der Ukraine Geflüchteten<br />
helfen können. Wir sind<br />
bereits mit der Behörde,<br />
Stiftungen, Schulleitungen<br />
und Lehrkräften im Gespräch.<br />
Gerne nehmen wir auch weitere<br />
Anregungen von Ihnen<br />
aus der Praxis entgegen. Für<br />
diejenigen, die auf instagram<br />
aktiv sind, finden sich schon<br />
erste Hinweise zum Ukrainischen<br />
Schulsystem unter<br />
lernen.mit.methode. Dort<br />
ist auch eine Sammlung von<br />
gut nutzbaren Materialien<br />
angeregt.<br />
Gemeinsam mit dem Verein<br />
„Potztausendschön“ hat die<br />
GSV-Landesgruppe Schulen,<br />
deren Kinder wegen der<br />
sozialen Situation besonders<br />
von Corona betroffen waren,<br />
ein Naturtheaterprojekt<br />
angeboten, das im Juli durchgeführt<br />
werden soll. In der<br />
Hoffnung, dass das Projekt<br />
verstetigt und erweitert<br />
werden kann, verweisen wir<br />
auf die Informationsseite zu<br />
den für Juli im LichtLuftBad<br />
geplanten Naturtheatertagen<br />
https://potztausendschoen.<br />
de/bienentheaternaturtag.<br />
html .<br />
Im Januar hat sich der<br />
Landesvorstand zum regelmäßigen<br />
Austausch mit der<br />
Senatorin für Kinder und<br />
<strong>Bildung</strong> Sascha Aulepp getroffen.<br />
Einerseits ging es um<br />
Bedingungen für den Einsatz<br />
von nicht-pädagogischem<br />
Personal in den Grundschulen,<br />
den der Grundschulverband<br />
grundsätzlich<br />
als Bereicherung begrüßt,<br />
z. B. durch Kulturschaffende<br />
oder Handwerker, aber unter<br />
der Voraussetzung, dass die<br />
Schulen selbst die Zusammenarbeit<br />
als Entlastung<br />
einschätzen. Weiteres Thema<br />
waren Erfahrungen der<br />
Schulen mit dem Anspruch<br />
der Inklusion. Spezielle<br />
Punkte wie der Übergang aus<br />
der Grundschule in die Sekundarstufe<br />
sollen in einem<br />
separaten Gespräch mit der<br />
zuständigen Referentin Meike<br />
Wittenberg besprochen<br />
werden.<br />
Das bereits kurz vorgestellte<br />
Kooperationsprojekt<br />
„Bremer Mathetaschen“<br />
kann durch die Unterstützung<br />
der Stiftung StarCare<br />
21 weitere Bremer Mathetaschen<br />
verteilen.<br />
Am 28. März wurden<br />
15 Bremer Mathetaschen an<br />
Referendare an Schulen in<br />
prekärer Lage übergeben.<br />
Passende Arbeitsmaterialien<br />
sind im Bremer Schulintranet<br />
its Learning unter „Bremer<br />
Matheboxen und Bremer<br />
Mathetaschen“ eingestellt (s.<br />
auch www.grundschulverband-bremen.de/bremer-mathetasche/<br />
). Sechs Taschen<br />
konnten an einen Kita-Schul-<br />
Verbund in Bremerhaven<br />
übergeben werden. Wir<br />
freuen uns auf zukünftig<br />
intensivere Zusammenarbeit<br />
mit der Seestadt.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Hans Brügelmann und<br />
Heike Hegemann-Fonger<br />
Hessen<br />
Vorsitzender: Mario Michel<br />
mario.michel@gsvhessen.de, www.gsvhessen.de<br />
Vorstandswahlen<br />
Am 17.03.2022 fand unsere<br />
Mitgliederversammlung statt.<br />
Nach dem Bericht des<br />
Vorstandes wurde dieser<br />
entlastet. Wir bedanken uns<br />
bei Christiane Stricker, Sven<br />
Sauter und Ann-Christin Wilhelm<br />
für die geleistete Arbeit<br />
in den letzten 5 Jahren.<br />
Im Anschluss standen<br />
Neuwahlen auf der Tagesordnung.<br />
In den Vorstand<br />
wurden folgende 6 Personen<br />
gewählt: Annette Zinser, Ellen<br />
Löher, Rosemarie Heussner-<br />
Kahnt, Stephanie Jurkscheit,<br />
Heidi Fischer und Mario Michel.<br />
Alle Vorstandsmitglieder<br />
freuen sich auf die zukünftige<br />
Zusammenarbeit.<br />
Unsere erste Aufgabe wird<br />
sein, den Kontakt mit Euch,<br />
unseren Mitgliedern, wieder<br />
zu aktivieren und intensivieren.<br />
Des Weiteren können wir<br />
an dieser Stelle bereits<br />
ankündigen, dass die Landesgruppe<br />
Hessen im Herbst in<br />
Kooperation mit weiteren<br />
Verbänden einen Grundschultag<br />
ausrichten wird.<br />
Nähere Informationen folgen<br />
in naher Zukunft.<br />
Maßnahmenpaket Deutsch<br />
Nachdem wir bereits in<br />
den vergangenen Monaten<br />
immer wieder in Kontakt mit<br />
dem Kultusministerium bezgl.<br />
des Maßnahmenpakets<br />
Deutsch getreten sind, wurde<br />
eine Arbeitsgruppe „Praxishinweise<br />
zur Umsetzung des<br />
Maßnahmenpakets <strong>Bildung</strong>ssprache<br />
Deutsch“ gegründet.<br />
Stephanie Jurkscheit vertritt<br />
unsere Landesgruppe in<br />
der AG und versucht unsere<br />
wissenschaftliche Expertise<br />
gewinnbringend einzubringen.<br />
Vielleicht gelingt es uns<br />
dadurch, die Auswirkungen<br />
des Maßnahmenpakets für<br />
die Kinder, die Grundschullehrkräfte<br />
und unseren Unterricht<br />
im überschaubaren<br />
Rahmen zu halten.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Mario Michel<br />
46<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Vorsitzender: Ralph Grote, Hasengang 3, 17309 Pasewalk<br />
ralphgrote@aol.com<br />
Eine weitere Coronasaison<br />
neigt sich dem Ende entgegen<br />
– so dachte man. In<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
steigen die Zahlen positiver<br />
PCR-Testungen auch noch<br />
im März besonders unter<br />
den Grundschulkindern ins<br />
Unermessliche.<br />
Mittendrin in diesem dritten<br />
Corona-Winter gab es einen<br />
Regierungswechsel: Unsere<br />
neue <strong>Bildung</strong>sministerin von<br />
den Linken heißt Simone<br />
Oldenburg. Nach natürlichen<br />
Übergangsquerelen und<br />
einer Neustrukturierung im<br />
<strong>Bildung</strong>sministerium gelang<br />
es, die Hinweisschreibenflut<br />
zu senken und die Schulleitungen<br />
schneller und effizienter<br />
zu informieren. Trotzdem<br />
bleibt es undurchsichtig<br />
und relativ unplanbar, unter<br />
anderem aufgrund fehlender<br />
Lehr- und Fachkräfte.<br />
Auch die neue Rahmendienstzeitverordnung<br />
der<br />
Schulräte und SachbearbeiterInnen<br />
in den Schulämtern<br />
zeigt sich als problematisch,<br />
da hier 60 Prozent ortsunabhängige<br />
Dienstzeit<br />
vorgeschrieben wird. Die<br />
BearbeiterInnen sind nicht<br />
mehr im Home Office, aber<br />
teilweise sind die Dienstwege<br />
doch weiterhin verlängert<br />
aufgrund mangelnder Digitalisierung<br />
in den Schulämtern<br />
und an den „ortsunabhängigen<br />
Arbeitsplätzen“.<br />
Die Umsetzung der Inklusionsstrategie<br />
wurde<br />
weiter auf die lange Bank<br />
geschoben, im Herbst soll es<br />
dazu eventuell Neuerungen<br />
geben.<br />
Ein neues Zeugnisformular<br />
für die Schuleingangsphase<br />
ist noch nicht in Sicht.<br />
So bleiben Grundschullehrkräfte<br />
Einzelkämpfer,<br />
Schulleitungen bleiben in<br />
der Pflicht, für Unmögliches<br />
möglichst effiziente und<br />
kreative Lösungen zu finden.<br />
Hilfe bietet das 3-Phasen-Modell,<br />
welches Schulleitungen<br />
bei entsprechender Anzahl<br />
fehlender Lehrkräfte automatisch<br />
mehr Planungsfreiheit<br />
gibt – ein Modell, das sicher<br />
auch nach Corona Anwendung<br />
finden wird aufgrund<br />
des Fachkräftemangels.<br />
Das große Ziel – Lehrkräftegewinnung<br />
und Steigerung<br />
der Attraktivität des Lehrerberufes<br />
– Fehlanzeige!<br />
Stattdessen permanente<br />
Mehrarbeit, um deren<br />
intransparente Bezahlung<br />
es ein Riesentheater gibt<br />
(so soll eine angewiesene<br />
coronabedingte Mehrarbeitsstunde<br />
mit dem Faktor 0,25<br />
berechnet werden). Zu all<br />
dem kommen dann noch<br />
zu langsame Digitalisierung<br />
(und zugegebenermaßen<br />
auch Berührungsängste<br />
vieler Lehrkräfte bei diesem<br />
Thema) und die Kriegsängste<br />
und Flüchtlingsfamilien aus<br />
der Ukraine.<br />
Eine Vielfachbelastung, der<br />
längst nicht jede motivierte<br />
Lehrkraft in unserem Bundesland<br />
mehr gewachsen ist. Wir<br />
brauchen Hilfe und Perspektiven!<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Sandra Stolzenburg<br />
Niedersachsen<br />
Kontakt: www.gsv-nds.de<br />
Berufsbild Schulleitung<br />
Zur Professionalisierung des<br />
Berufsbildes Schulleitung<br />
hat das niedersächsische<br />
Kultusministerium im Januar<br />
2022 eine neue Broschüre<br />
herausgegeben mit dem Ziel,<br />
ein einheitliches Verständnis<br />
für und von Schulleitung zu<br />
vermitteln. Gleichzeitig tritt<br />
ein neuer Runderlass dazu in<br />
Kraft.<br />
In dem ausgearbeiteten<br />
Berufsbild Schulleitung<br />
werden Anforderungsprofile<br />
an aktuelle und zukünftige<br />
Schulleitungen definiert.<br />
Diese Anforderungsprofile<br />
beziehen sich einerseits auf<br />
wesentliche Handlungsfelder<br />
wie Lehren und Lernen,<br />
Personal, Kooperation, Qualitätsentwicklung,<br />
Schulkultur<br />
und Organisation. Andererseits<br />
werden Kompetenzfelder<br />
beschrieben, die von<br />
Schulleitungen erwartet<br />
werden. Mit der Entwicklung<br />
des Berufsbildes Schulleitung<br />
erkennt das niedersächsische<br />
Kultusministerium das<br />
eigenständige Berufsbild von<br />
Schulleitungen an.<br />
Leider bezieht sich das<br />
Berufsbild lediglich<br />
auf Schulleitungen,<br />
stellvertretende<br />
Schulleitungen werden<br />
davon ausgeschlossen,<br />
sodass es weiterhin weder<br />
Anforderungsprofil noch<br />
Aufgabenschreibung für<br />
diese Personengruppe<br />
gibt. Auch wird<br />
ausgeklammert, dass gute<br />
eigenverantwortliche Schule<br />
nur im Schulleitungsteam<br />
gelingen kann. Die Broschüre<br />
kann unter<br />
www.mk.niedersachsen.<br />
de/startseite/aktuelles/<br />
presseinformationen/landkonkretisiert-berufsbildschulleitung-kultusministertonne-wir-sagen-klar-dassschulleitung-ein-eigenerberuf-ist-208496.html<br />
heruntergeladen werden.<br />
Arbeitsgruppe<br />
Ganztägige <strong>Bildung</strong><br />
Für das Jahr 2026 hat die<br />
Bundesregierung für alle<br />
Kinder im Grundschulalter<br />
das Recht auf eine Ganztagsbetreuung<br />
beschlossen. Die<br />
Landesgruppe Niedersachsen<br />
möchte sich, insbesondere<br />
vor den bevorstehenden<br />
Landtagswahlen, dafür einsetzen,<br />
dass nicht ausschließlich<br />
die Betreuung, sondern<br />
ein qualitativ hochwertiges<br />
ganztägiges <strong>Bildung</strong>sangebot<br />
an unseren Schulen<br />
angeboten wird.<br />
Gemeinsam mit interessierten<br />
Mitgliedern unserer<br />
Landesgruppe haben wir<br />
daher mit dem Ziel, ein<br />
Positionspapier auf der Basis<br />
der Stellungnahme des Bundesverbandes<br />
zu entwickeln,<br />
eine Arbeitsgruppe gebildet.<br />
Hier versuchen wir zentrale<br />
Positionen des Grundschulverbandes<br />
mit den niedersächsischen<br />
Bedingungen zu<br />
verzahnen.<br />
Über eure Anregungen<br />
freuen wir uns – schreibt an<br />
gsv.nds@gmail.com.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Eva Osterhues-Bruns<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
47
Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />
Schleswig-Holstein<br />
Geschäftsführender Vorstand: Maren Barck, Sabine Jesumann, Aenne Thurau<br />
Kontakt: Maren Barck, grundschulverbandSH@gmx.de<br />
Treffen des Vorstandes<br />
Bis Ostern wird der Vorstand<br />
in diesem Jahr dreimal<br />
getagt haben. Hauptsächliche<br />
Themen waren der<br />
Austausch über die Arbeit<br />
aus den verschiedenen<br />
Arbeitsgruppen und Gremien<br />
des GSV auf Bundesebene<br />
sowie die Vorbereitung von<br />
Aktionen zur Landtagswahl.<br />
Interessierte sind herzlich<br />
eingeladen, an den Vorstandstreffen<br />
teilzunehmen.<br />
Die Termine werden auf<br />
Instagram angekündigt.<br />
„Für <strong>Bildung</strong> ist uns<br />
kein Weg zu weit“ –<br />
der erweiterte<br />
Vorstand (von links):<br />
Aenne Thurau,<br />
Wiebke Steenbock,<br />
Maren Barck,<br />
Sabine Jesumann<br />
Die Landesgruppe<br />
bei Instagram<br />
Wir weisen noch einmal auf<br />
den Auftritt der Landesgruppe<br />
Schleswig-Holstein<br />
bei Instagram hin:<br />
grundschulverband_sh<br />
Neue Kontakt-E-Mail<br />
Die Kontakt-E-Mail zum<br />
Vorstand hat sich geändert:<br />
grundschulverbandSH@<br />
gmx.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Sabine Jesumann<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Kontakt: Thekla Mayerhofer, Hafenstr. 44, 06108 Halle (Saale)<br />
May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />
Neues Jahr –<br />
neues Jahresthema<br />
Am 1. März fand das Auftakttreffen<br />
für das Jahresthema<br />
2022 unserer Landesgruppe<br />
im hybriden Format statt.<br />
Inhaltlich wollen wir uns mit<br />
der Professionalisierung zum<br />
Lehramt über die Phasen hinweg<br />
mit einem besonderen<br />
Schwerpunkt in der 3. Phase<br />
der Lehrer:innenbildung<br />
beschäftigen. Passend dazu<br />
nahmen Personen aus den<br />
unterschiedlichen Ausbildungsphasen<br />
teil: je zwei aus<br />
der universitären Ausbildung,<br />
aus dem Staatlichen Seminar,<br />
zuständig für den Vorbereitungsdienst<br />
sowie frisch<br />
ausgebildete Lehrer:innen<br />
mit Blick auf stärker organisatorische<br />
Herausforderungen<br />
im Schulalltag. Mit dem<br />
Ansatzpunkt einer Kultur<br />
des lebenslangen Lernens<br />
diskutierten wir insbesondere<br />
strukturelle Probleme sowie<br />
Professionalität im Lehrer:innenberuf<br />
allgemein. Am<br />
3. Mai wird diese Diskussion<br />
fortgesetzt.<br />
Neuer „alter“ Vorstand?<br />
Leider nicht ganz!<br />
Wenige Tage später, am<br />
11. März, fand unsere offene<br />
Vorstandssitzung statt. Turnusgemäß<br />
wurde ein neuer<br />
Vorstand gewählt, sodass<br />
einen Schwerpunkt der Rückblick<br />
auf die geleistete Arbeit<br />
der letzten Jahre darstellte.<br />
Fast alle Vorstandsmitglieder<br />
kandidierten erneut für<br />
ihr Amt und wurden darin<br />
bestätigt. Petra Uhlig hat<br />
sich dazu entschlossen, auf<br />
eine erneute Kandidatur zu<br />
verzichten. Wir sind Petra<br />
unendlich dankbar für die vielen,<br />
vielen Jahre, in welchen<br />
sie die Landesgruppe nicht<br />
nur mit aufgebaut, sondern<br />
auch durch ihre Funktion<br />
als Vorsitzende geführt und<br />
geprägt hat. Indem Petra den<br />
Vorstand verlässt, verabschiedet<br />
sich eine einflussreiche<br />
Größe des Grundschulverbandes<br />
Sachsen-Anhalt. Obgleich<br />
Petra uns weiterhin als Mitglied<br />
erhalten bleibt und gern<br />
beratend zur Seite steht, wird<br />
sie uns in der Vorstandsarbeit<br />
fehlen! Für alle Aufgaben und<br />
Herausforderungen, als Schulleiterin<br />
und privat, wünschen<br />
wir ihr viel Kraft, Mut und<br />
Energie. DANKE, Petra!<br />
Wir können es kaum<br />
erwarten!<br />
Voller Enthusiasmus planen<br />
wir die Fortbildungsveranstaltung<br />
in Kooperation mit<br />
unserer Mitgliedsschule, dem<br />
<strong>Bildung</strong>shaus Riesenklein,<br />
weiter. Immer mehr nimmt<br />
dieser Tag Gestalt an. Unter<br />
dem Thema „<strong>Bildung</strong> ist<br />
nachhaltig“ wird am<br />
2. Juni einiges geboten.<br />
In Kürze erfolgt die Veröffentlichung<br />
des Programms<br />
sowie aller Infos auf unserer<br />
Website – seid gespannt!<br />
Mehr Infos gibt es hier:<br />
http://bildung-istnachhaltig.de/<br />
Weitere Informationen<br />
www.gsv-lsa.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Nadine Naugk und<br />
Thekla Mayerhofer<br />
48<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Vorsitzender: Johannes Wolz<br />
info@ grundschulverband-rlp.de , www.grundschulverband-rlp.de<br />
NEU auf Instagram<br />
Jeden Mittwoch findet ihr<br />
auf unserem Instagram-Profil<br />
unter #GrundschulMittwoch<br />
aktuelle Infos aus unserer<br />
Vorstandsarbeit, der Schulentwicklung<br />
in Rheinland-Pfalz<br />
sowie Praxisanregungen und<br />
Materialtipps. Schaut vorbei!<br />
@grundschulverband_rlp<br />
Neuer Vorstand<br />
Aufgrund beruflicher Veränderungen<br />
hat sich unser<br />
Vorstand neu zusammengesetzt.<br />
Wir kommen aus<br />
unterschiedlichen Bereichen<br />
der Grundschulpraxis:<br />
Johannes Wolz (Grundschullehrer),<br />
Priska Ruf (Grundschullehrerin),<br />
Saskia Nagat<br />
(Grundschullehrerin), Carmen<br />
Lang (Fachleiterin für GB),<br />
Marja Ertel (FöL & Beraterin<br />
für Inklusion).<br />
Wir wünschen unserer langjährigen<br />
Vorsitzenden Heike<br />
Neugebauer alles Gute für<br />
ihre berufliche Zukunft und<br />
bedanken uns für ihr großes<br />
Engagement im Grundschulverband<br />
Rheinland-Pfalz.<br />
Schule der Zukunft<br />
Am 12. November 2021 hat<br />
der Kongress „Schule der Zukunft“<br />
in Mainz stattgefunden.<br />
Dieser ist Startschuss für einen<br />
breit angelegten Beteiligungsprozess,<br />
in dem ein Leitbild für<br />
die Schule der Zukunft entwickelt<br />
und erprobt werden<br />
soll. In einer abwechslungsreichen<br />
Podiumsdiskussion<br />
inspirierten uns besonders die<br />
Beiträge von Margret Rasfeld<br />
(Mitbegründerin von „Schule<br />
im Aufbruch“ und Schulleiterin<br />
im Ruhestand). Im Januar<br />
2022 haben wir eine Stellungnahme<br />
unserer Landesgruppe<br />
zur Initiative „Schule der<br />
Zukunft“ eingereicht.<br />
Grundwortschatz<br />
Ab dem Schuljahr 2022/2023<br />
wird der Grundwortschatz<br />
Rheinland-Pfalz verbindliche<br />
Grundlage für den Unterricht<br />
in den Grundschulen<br />
sein. Der Grundwortschatz<br />
ist in eine Handreichung<br />
eingebettet, die bereits jetzt<br />
auf dem <strong>Bildung</strong>sserver RLP<br />
als kostenlose pdf-Version<br />
heruntergeladen werden<br />
kann. In Kooperation mit<br />
der Abteilung Grundschulforschung<br />
und Pädagogik der<br />
Primarstufe der Universität<br />
Trier erarbeiten wir zur Zeit<br />
Anregungen und praktische<br />
Materialien, die Lehrkräfte bei<br />
ihren unterrichtlichen Tätigkeiten<br />
in diesem Teilbereich<br />
unterstützen können.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Marja Ertel und<br />
Johannes Wolz<br />
Der neue Vorstand<br />
(von oben im Uhrzeigersinn):<br />
Johannes Wolz, Carmen<br />
Lang, Saskia Nagat,<br />
Marja Ertel, Priska Ruf<br />
Thüringen<br />
Vorsitzende: Steffi Jünemann<br />
grundschulverband-thueringen@gmx.de<br />
Zur Schuleingangsphase<br />
In der letzten Vorstandssitzung<br />
der Landesgruppe<br />
Thüringen kam es mehr oder<br />
weniger zufällig zu einer<br />
Debatte zum Thema der<br />
Schuleingangsphase.<br />
Laut Gesetz soll ein Kind<br />
einer Regelklasse der ersten<br />
Jahrgangsstufe, welches<br />
beispielsweise Lernschwierigkeiten<br />
hat, in jedem Fall in<br />
die zweite Jahrgangsstufe<br />
versetzt werden. Man könnte<br />
nun argumentieren, dass dies<br />
nicht immer den Lernbedürfnissen<br />
der Kinder entspricht,<br />
und sich fragen, ob diese<br />
Gesetzgebung dementsprechend<br />
gerechtfertigt ist.<br />
Dieses beschriebene Problem<br />
betrifft viele Schulen, die<br />
altershomogene Klassen<br />
unterrichten.<br />
Kinder sollten dort unterrichtet<br />
werden, wo sie stehen!<br />
Die flexible Schuleingangsphase<br />
und die damit einhergehende<br />
Differenzierung<br />
sorgt dafür, dass Kinder in<br />
Stammgruppen im Rahmen<br />
einer Jahrgangsmischung<br />
individuell unterrichtet<br />
werden können und dabei<br />
der Leistungsstand des<br />
einzelnen Kindes ausschlaggebend<br />
ist. Diese Form<br />
des lernstandsorientierten<br />
Unterrichts, angelegt an die<br />
individuelle Bezugsnorm, ist<br />
auch natürlich an Schulen<br />
ohne Jahrgangsmischung<br />
möglich.<br />
Der Grundschulverband<br />
steht für Modernisierung<br />
und Zukunftsorientierung<br />
sowie die Arbeit im Sinne<br />
der Schüler*innen. Dahingehend<br />
ist es auch keine<br />
Überraschung, dass sich der<br />
Verband auch schon früher<br />
mit der Schuleingangsphase<br />
und der Jahrgangsmischung<br />
auseinandergesetzt hat. So<br />
auch in Ausgabe Band 123<br />
„Lehren und Lernen in jahrgangsgemischten<br />
Klassen“.<br />
Der Verband macht seine<br />
Forderung nach einer Schuleingangsphase<br />
mit einer<br />
Einheit aus den Jahrgangsstufen<br />
1 und 2 deutlich.<br />
Wir bringen das Thema nur<br />
noch einmal ins Gedächtnis<br />
und wollen dies auch weiterhin.<br />
In diesem Sinn haben<br />
wir vor, in unserem ersten<br />
regelmäßig erscheinenden<br />
Mini-Podcast der Landesgruppe<br />
weiterführend über<br />
das Thema „Differenzierung<br />
in der Schuleingangsphase“<br />
zu sprechen.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Leah Faßbender<br />
GS aktuell 158 • Mai 2022<br />
U III
Grundschule aktuell<br />
Grundschulverband e. V.<br />
Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />
Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />
info@grundschulverband.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />
D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />
Versandadresse<br />
Ausblick Grundschule aktuell 159<br />
Beteiligung erleben – Demokratie lernen<br />
„Demokratie muss gelernt werden, um gelebt werden zu können“ oder „Demokratie muss<br />
gelebt werden, um gelernt werden zu können“. Mit Blick auf diese Sichtweisen werden<br />
in einem einführenden Text verschiedene zentrale Aspekte vorgestellt. Ausgehend von<br />
den Kinderrechten als Basis für das Handeln der Erwachsenen im Schulalltag wird über<br />
die „Demokratisierung der Schule“ nachgedacht, von der Unterrichtsgestaltung bis zum<br />
außerschulischen Engagement. Es geht um „politische <strong>Bildung</strong>“ in der Grundschule – im<br />
täglichen Erleben und als echte Beteiligung in unserer demokratischen Gesellschaft.<br />
In Selbstberichten von Grundschulen, die sich auf den Weg gemacht haben, um Beteiligung<br />
von Kindern erfahren und Demokratie lernen zu lassen, wollen wir Anlässe,<br />
Bedingungen, Schwierigkeiten, Fortschritte und Erfolge aufzeigen, wie es sie für jede<br />
Grundschule geben kann.<br />
In einem Interview mit Eltern soll deren Sicht auf mögliche demokratische Beziehungen<br />
zwischen Elternhäusern und der Grundschule angesprochen werden.<br />
Auch in der kommenden Ausgabe wird es ein besonderes Augenmerk auf Kinder bücher<br />
zu diesem Thema geben, um für den Unterricht wieder ganz konkrete Zugänge zu<br />
ermöglichen. In der Rubrik „Aus der Forschung“ werden Bedarfe für mehr Demokratiebildung<br />
über die „Delphi-Studie“ aufgezeigt.<br />
Die nächsten<br />
Themen<br />
September 2021<br />
November 2021<br />
Februar 2021<br />
Heft 159 | September 2022<br />
Beteiligung erleben –<br />
Demokratie lernen<br />
Heft 160 | November 2022<br />
Schule und Bewegung<br />
Heft 161 | Februar 2023<br />
Friedenserziehung<br />
www.<br />
grundschule-aktuell.info