Professionalität in der Grundschule
GSa164_Nov23_ES
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www.grundschulverband.de · November 2023 · D9607F<br />
<strong>Grundschule</strong> aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 164<br />
Guter<br />
Unterricht<br />
Schul−<br />
entwicklung<br />
Lehrkräfte−<br />
bildung<br />
Demokratische<br />
Strukturen<br />
Sozialpädagog:<strong>in</strong>nen<br />
Son<strong>der</strong>pädagog:<strong>in</strong>nen<br />
Kommune<br />
Sekundarschule<br />
Vernetzung<br />
Schulleitung<br />
Bildungs−<br />
Erziehungs−<br />
Partnerschaft<br />
Erzieher:<strong>in</strong>nen<br />
Assistenzkräfte<br />
multiprofessionelle<br />
Teams<br />
Eltern<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
Jugendhilfe<br />
Kitas<br />
Feedback−<br />
Kultur<br />
Lehrkräfte<br />
Vere<strong>in</strong>e<br />
<strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Zum Thema<br />
Professionalisierung –<br />
e<strong>in</strong> Entwicklungsprozess<br />
Forschung<br />
Kollegiale Fallberatung<br />
im Team<br />
Rundschau<br />
Geme<strong>in</strong>same Veranstaltung<br />
von GGG und GSV
Inhalt<br />
Aus dem Grundschulverband<br />
S. 2 Schule ist auch die Schule <strong>der</strong> Demokratie.<br />
Bundesverdienstkreuz für Maresi Lassek<br />
(H. Brügelmann)<br />
Tagebuch<br />
S. 4 Ich b<strong>in</strong> im Grundschulverband, weil ...<br />
(S. Telle)<br />
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
S. 5 Professionalisierung – e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Entwicklungsprozess<br />
(M. Lassek, H. Brügelmann)<br />
S. 7 Schul- und Unterrichtsentwicklung mit dem<br />
Deutschen Schulpreis (A. Preußker, J. Schubert)<br />
S. 10 Wenn Tausendfüßler anfangen, jeden e<strong>in</strong>zelnen<br />
Schritt zu planen … (H. Brügelmann)<br />
S. 13 Mit e<strong>in</strong>er halben Stelle zusätzlich für Schulsozialarbeit<br />
ist es nicht getan (A. El-Mafaalani)<br />
S. 16 Profession(alität) an <strong>in</strong>klusiven <strong>Grundschule</strong>n<br />
(K. Merz-Atalik)<br />
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
S. 19 Schule auf dem Weg – es geht weiter, auch wenn …<br />
(K. Groll, B. Harnisch-Soller, M. Lassek, R. Struckmeyer)<br />
S. 23 Netzwerke made <strong>in</strong> Brandenburg (D. Sommer)<br />
S. 25 Schulentwicklung unterstützen durch „Standards<br />
guter Schulen“ (Ch. Beermann, T. Buncher)<br />
S. 27 Feste Erwachsenen-Teams als Verantwortungsgeme<strong>in</strong>schaft<br />
(R. Stähl<strong>in</strong>g)<br />
S. 29 K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
(A. Spies, H. Prüshoff)<br />
S. 31 Kompetenzorientiertes Arbeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten<br />
Phase <strong>der</strong> Lehrerbildung<br />
(I. Herklotz, Ch. Weidmann)<br />
Aus <strong>der</strong> Forschung<br />
S. 34 Tipps und Erkenntnisse zur kollegialen Fallberatung<br />
im Team (R. Baumann)<br />
Rundschau<br />
S. 38 „E<strong>in</strong>e Welt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule – Aus <strong>der</strong> Praxis für die<br />
Praxis“ (R. Rentz)<br />
S. 40 Aus dem Vorstand (M. Gutzmann, E.Bohn)<br />
S. 41 Geme<strong>in</strong>same Veranstaltung von GGG und GSV<br />
(M.Gutzmann, G. Klenk, D. Ziel<strong>in</strong>ski)<br />
S. 42 Neues Fachreferat: Mathematisches Lernen im<br />
Kontext von Heterogenität (M. Nührenbörger,<br />
U. Häsel-Weide)<br />
Landesgruppen aktuell – unter an<strong>der</strong>em:<br />
S. 44 Bremen: Projekt KINDER*RECHTE*SCHULE<br />
S. 47 Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz: #Bildungsprotest 2023<br />
Interview: Mit e<strong>in</strong>er halben Stelle zusätzlich<br />
für Schulsozialarbeit ist es nicht getan<br />
Prof. Alad<strong>in</strong> El-Mafaalani legt begründet dar, warum <strong>in</strong><br />
Schulen verstärkt multiprofessionelle Teams nötig s<strong>in</strong>d.<br />
<strong>Grundschule</strong>n <strong>in</strong> schwieriger sozialer Lage s<strong>in</strong>d hier vor<strong>der</strong>gründig<br />
zu berücksichtigen. (Siehe auch „Verantwortung<br />
für Bildungsgerechtigkeit – Startchancen-Programm<br />
als Chance“, S. 41) Wenn man das System neu aufstellen<br />
möchte, muss man bei den <strong>Grundschule</strong>n beg<strong>in</strong>nen, denn<br />
all das, was sozial ungleich verteilt ist, sollte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule<br />
angeboten werden. Dazu muss vor Ort geschaut werden,<br />
wie Schulen und Angebote sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Passungsverhältnis<br />
br<strong>in</strong>gen lassen. Die Reihenfolge „Plan e<strong>in</strong>reichen – Genehmigung<br />
erhalten“ ist umzukehren. Multiprofessionelle<br />
Teams müssen e<strong>in</strong>e stabile, eigenständige und relevante<br />
Säule <strong>der</strong> Schule se<strong>in</strong>.<br />
Impressum<br />
Seite 13–15<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />
ersche<strong>in</strong>t vierteljährlich und wird allen Mitglie<strong>der</strong>n zugestellt<br />
(ausgenommen Unterstützer:<strong>in</strong>nen).<br />
Das e<strong>in</strong>zelne Heft kostet 9,00 € (<strong>in</strong>kl. Versand <strong>in</strong>nerhalb Deutschlands);<br />
für Mitglie<strong>der</strong> und ab 10 Exemplaren 5,00 €.<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />
Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />
Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />
www.grundschulverband.de, <strong>in</strong>fo@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />
Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />
gabriele.klenk@grundschulverband.de<br />
Fotos und Grafiken: novupr<strong>in</strong>t (Titelillustration); Max Lauteschläger (S. 8)<br />
Autor<strong>in</strong>nen und Autoren (soweit nicht an<strong>der</strong>s vermerkt)<br />
Herstellung: novupr<strong>in</strong>t Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />
Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />
<strong>in</strong>fo@grundschulverband.de<br />
Druck: WKS Pr<strong>in</strong>t Partner GmbH, 34587 Felsberg<br />
ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6108<br />
www.<br />
grundschule-aktuell.<strong>in</strong>fo<br />
Hier f<strong>in</strong>den Sie Informationen zu „<strong>Grundschule</strong> aktuell“<br />
und hier das Archiv <strong>der</strong> Zeitschrift:<br />
www.<br />
grundschulverband.de/archiv/<br />
In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift br<strong>in</strong>gen Autor<strong>in</strong>nen und Autoren<br />
ihr Bemühen um e<strong>in</strong>e gen<strong>der</strong>sensible Sprache durch be son <strong>der</strong>e schriftsprachliche<br />
Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong> anerkannte<br />
Lösung für das Problem „gen<strong>der</strong>sen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />
jede Autor<strong>in</strong> und je<strong>der</strong> Autor ihre o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>e bevorzugte Form.<br />
UII<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Diesmal<br />
Schulentwicklung unterstützen durch<br />
„Standards guter Schulen“<br />
Der Schulverbund „Blick über den Zaun“ besteht aus<br />
e<strong>in</strong>em Netzwerk von mehr als 130 Schulen <strong>in</strong> Deutschland<br />
sowie <strong>der</strong> Schweiz. Verschiedenste Schulformen<br />
arbeiten <strong>in</strong> 15 Arbeitskreisen zusammen, <strong>der</strong>en Kern<br />
gegenseitige Schulbesuche und Peer Reviews bilden<br />
mit <strong>der</strong> Zielsetzung, vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu lernen, sich über<br />
Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig bei<br />
<strong>der</strong> Schulentwicklung zu unterstützen. Die Südschule<br />
Lemgo <strong>in</strong> NRW berichtet davon, wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen<br />
Phase <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung zum Stand des geme<strong>in</strong>samen<br />
Entwicklungsprozesses durch Rückmeldung von außen<br />
Orientierung und Unterstützung durch Schulbesuche<br />
erhielt.<br />
Kompetenzorientiertes Arbeiten<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Phase <strong>der</strong> Lehrkräftebildung<br />
Noch mehr Grundschulverband?<br />
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Stichwort „Grundschulverband“<br />
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direkt zur Anmeldung:<br />
Seite 25–26<br />
Ina Herklotz und Christoph Weidmann beschreiben, wie<br />
sie <strong>in</strong> ihren Studiensem<strong>in</strong>aren junge Lehrkräfte professionell<br />
und zukunftsorientiert begleiten, die Übergangsphase<br />
von Studium zur Grundschullehrkraft bewusst <strong>in</strong><br />
den Blick nehmen und <strong>der</strong> Schnittstelle zwischen den<br />
Rollen als Lernende und gleichzeitig als Lehrkraft beson<strong>der</strong>e<br />
Aufmerksamkeit widmen. Im Mittelpunkt steht<br />
die Offenheit, sich <strong>in</strong>nerhalb des aktuellen Lernbereichs<br />
e<strong>in</strong> Handlungsfeld zu wählen, das e<strong>in</strong>e konkret perspektivische<br />
E<strong>in</strong>satzmöglichkeit gibt sowie die Aufbereitung<br />
hierzu für die Sem<strong>in</strong>arkolleg:<strong>in</strong>nen an e<strong>in</strong>em „Best-of-<br />
Tag“.<br />
Seite 31–33<br />
Liebe Leser*<strong>in</strong>nen,<br />
das neue Heft widmet sich e<strong>in</strong>em unerschöpflichen Thema:<br />
„<strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong>“. Sicherlich fallen auch<br />
Ihnen dazu viele Begriffe – wie auf dem Titelbild – e<strong>in</strong> und Sie<br />
denken an persönliche Erfahrungen o<strong>der</strong> an geme<strong>in</strong>same Entwicklungsprozesse<br />
an Ihrer Schule. Verbunden mit dem Start<br />
als neue Serie wird zum e<strong>in</strong>en die Entwicklung <strong>der</strong> Kompetenzen<br />
und Sichtweisen <strong>der</strong> Pädagog*<strong>in</strong>nen auf <strong>der</strong> Basis ihrer<br />
persönlichen Erfahrung und <strong>der</strong> Bereitschaft, sich immer wie<strong>der</strong><br />
neu auf die Bedarfe und Bedürfnisse aller K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>zustellen,<br />
thematisiert. Zum an<strong>der</strong>en steht die Entwicklung des<br />
Kollegiums und die Haltung e<strong>in</strong>er lernenden Organisation<br />
zum Wohl <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Zentrum. Uns geht es vor allem um<br />
Offenheit für neue Erfahrungen und <strong>der</strong>en selbstkritische<br />
Prüfung vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> aktuellen Fachdiskussion.<br />
Der e<strong>in</strong>führende Beitrag greift diese verschiedenen Facetten<br />
von Professionalisierung als e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Entwicklungsprozess<br />
von multiprofessionellen Teams und Schule<br />
auf. Beispiele aus <strong>der</strong> Praxis runden den Auftakt ab, wie<br />
z. B. zur Teamarbeit als Verantwortungsgeme<strong>in</strong>schaft an <strong>der</strong><br />
PRIMUS-Schule Berg Fidel o<strong>der</strong> zur Arbeit von Schulen im<br />
Netzwerk wie <strong>in</strong> Brandenburg und im Schulverbund Blick<br />
über den Zaun. Lohnenswert ist <strong>der</strong> Blick auf den Deutschen<br />
Schulpreis und davon ausgehend weitere Angebote zur Professionalisierung<br />
im Bereich Schul- und Unterrichtsentwicklung.<br />
<strong>Professionalität</strong> stand im Monat Oktober auch im Zeichen<br />
von bedeutsamen Preisverleihungen und damit <strong>der</strong> Anerkennung<br />
professionellen Handelns. In Rahmen des diesjährigen<br />
Schulpreis-F<strong>in</strong>ales wurde auch die 100. Schule mit<br />
dem Schulpreis durch den Bundespräsidenten am 12. Oktober<br />
ausgezeichnet. Unter den 6 Preisträgern s<strong>in</strong>d 3 <strong>Grundschule</strong>n.<br />
Wir gratulieren ganz herzlich <strong>der</strong> Rothenburg-<strong>Grundschule</strong><br />
Berl<strong>in</strong>, <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong> op de Host <strong>in</strong> Horst und <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
am Dichterviertel <strong>in</strong> Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr sowie allen<br />
an<strong>der</strong>en nom<strong>in</strong>ierten und ausgezeichneten Schulen. Alle diese<br />
Schulen haben gezeigt, was engagierte Schulleitungen, Pädagog*<strong>in</strong>nen,<br />
Eltern und K<strong>in</strong><strong>der</strong> bewegen können, auch und gerade<br />
unter schwierigen Bed<strong>in</strong>gungen.<br />
Ebenso herzlich gratulieren wir Maresi Lassek, unserer<br />
ehemaligen langjährigen Bundesvorsitzenden, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e große<br />
Ehre für ihren unermüdlichen E<strong>in</strong>satz für die <strong>Grundschule</strong><br />
zuteil wurde. Am 9. Oktober 2023 wurde Maresi Lassek durch<br />
den Bundespräsidenten Frank-Walter Ste<strong>in</strong>meier mit dem<br />
Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Stellvertretend für alle<br />
Geehrten, die sich mit beson<strong>der</strong>en Projekten für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Personengruppen e<strong>in</strong>setzen, die unsere Unterstützung brauchen,<br />
fand Maresi Lassek im Rahmen <strong>der</strong> Feierstunde bedeutsame<br />
Worte. Wenn es dar<strong>in</strong> heißt: „Wir müssen uns offensiver<br />
zu Wort zu melden, zum Ertrag e<strong>in</strong>es friedvollen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>s,<br />
von gesellschaftlichem Engagement und den Freiheiten<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Demokratie“, dann stehen wir für e<strong>in</strong>e Schule, die<br />
auch e<strong>in</strong>e Schule <strong>der</strong> Demokratie ist.<br />
Wir bleiben nicht nur dazu mit Ihnen weiterh<strong>in</strong> im Gespräch.<br />
Herzlichst<br />
Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />
sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
1
Praxis: Aus dem <strong>Professionalität</strong> Verband <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Rundschau<br />
Hans Brügelmann<br />
„Schule ist auch<br />
die Schule <strong>der</strong> Demokratie!“<br />
Wir freuen uns: Maresi Lassek, unserer ehemaligen Bundesvorsitzenden, ist<br />
vom Bundespräsidenten Frank-Walter Ste<strong>in</strong>meier das Bundesverdienstkreuz<br />
verliehen worden.<br />
In <strong>der</strong> Regel erhalten die Geehrten<br />
den Orden von <strong>der</strong> Bürgermeister<strong>in</strong>,<br />
dem Landrat o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Mitglied<br />
<strong>der</strong> Landesregierung. Zu beson<strong>der</strong>en<br />
Anlässen aber nimmt <strong>der</strong> Bundespräsident<br />
die Ehrung persönlich vor. So<br />
auch zum Tag <strong>der</strong> Deutschen E<strong>in</strong>heit –<br />
dieses Jahr unter dem Motto „Bildung<br />
und Zusammenhalt för<strong>der</strong>n, Demokratie<br />
stärken“.<br />
Zur Er<strong>in</strong>nerung an die Bürgerdemonstrationen<br />
<strong>in</strong> Leipzig wurde die<br />
Veranstaltung auf den 9. Oktober gelegt.<br />
Die neuen Ordensträger*<strong>in</strong>nen, 15 Frauen<br />
und 8 Männer, wurden <strong>in</strong> das Schloss<br />
Bellevue e<strong>in</strong>geladen, darunter auch <strong>der</strong><br />
Bildungssoziologe Alad<strong>in</strong> El-Mafaalani,<br />
<strong>der</strong> sich für die För<strong>der</strong>ung von Migrant*<strong>in</strong>nen<br />
engagiert, die ehemalige hessische<br />
Landesschulsprecher<strong>in</strong> Svenja Appuhn,<br />
die nach dem verheerenden Erdbeben<br />
<strong>in</strong> Nepal 25.000 Mitschüler*<strong>in</strong>nen<br />
für den Wie<strong>der</strong>aufbau von Schulen mobilisiert<br />
hat, und <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>buchautor<br />
Andreas Ste<strong>in</strong>höfel, „Vater“ des tiefbegabten<br />
Rico (s. im E<strong>in</strong>zelnen https://t1p.<br />
de/verdienstkreuz-kurzportraets).<br />
Maresi Lassek war vorgeschlagen worden<br />
vom Vorstand des Verbandes (s.<br />
den Auszug aus <strong>der</strong> Begründung auf <strong>der</strong><br />
Folgeseite) und parallel auch aus dem<br />
Bundespräsidialamt – <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung an<br />
den von ihr geleiteten GSV-Jubiläumskongress<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Paulskirche 2019, auf<br />
dem <strong>der</strong> Bundespräsident se<strong>in</strong>e bee<strong>in</strong>druckende<br />
Rede „100 Jahre <strong>Grundschule</strong>“<br />
zu ihrer wichtigen Funktion für<br />
die Entwicklung <strong>der</strong> Demokratie gehalten<br />
hatte (https://t1p.de/ste<strong>in</strong>meierrede_2019).<br />
Die Bedeutung von Bildung für das<br />
Zu sammenleben <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />
war auch e<strong>in</strong> zentrales Motiv se<strong>in</strong>er<br />
Ansprache bei <strong>der</strong> Ordensverleihung<br />
(https://t1p.de/ste<strong>in</strong>meier-rede-2023).<br />
In ihrer Dankesrede zum Abschluss<br />
<strong>der</strong> Veranstaltung, die lang anhaltenden<br />
Applaus erhielt, nahm Maresi Lassek<br />
diesen Gedanken wie<strong>der</strong> auf. In ihrer<br />
Dankesrede zum Abschluss <strong>der</strong> Veranstaltung,<br />
die langanhaltenden Applaus<br />
erhielt, nahm Maresi Lassek diesen Gedanken<br />
wie<strong>der</strong> auf:<br />
2<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> Aus <strong>der</strong> dem <strong>Grundschule</strong> Verband<br />
Rundschau<br />
… tief bee<strong>in</strong>druckt von den großen Leistungen <strong>der</strong> heute ausgezeichneten<br />
Persönlichkeiten und bee<strong>in</strong>druckt von <strong>der</strong> würdevollen und zugewandten<br />
Gestaltung des Festaktes, darf ich mich stellvertretend für alle Geehrten sehr<br />
herzlich für die hohe Anerkennung und Würdigung bedanken.<br />
Uns allen s<strong>in</strong>d die beson<strong>der</strong>en Anliegen und <strong>der</strong> heutige Anlass <strong>der</strong> Verleihung<br />
des Verdienstordens sehr nahe: Demokratisches Handeln, gesellschaftlicher Zusammenhalt,<br />
Bildung … und auch, dass mehr Menschen <strong>in</strong> unserem Land sich<br />
für diese Anliegen e<strong>in</strong>setzen … e<strong>in</strong> anspruchsvolles Ziel.<br />
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Sie haben heute Personen ausgezeichnet,<br />
die sich auf ganz unterschiedlichen Fel<strong>der</strong>n im S<strong>in</strong>ne dieser Ziele engagieren,<br />
vor Ort im direkten Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, Jugendlichen und Erwachsenen<br />
o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> wissenschaftlichen, kulturellen und geme<strong>in</strong>nützigen Arbeit.<br />
Aus dem Vorschlag<br />
des Bundesvorstands zur<br />
Verleihung <strong>der</strong> Auszeichnung:<br />
Frau Maresi Lassek hat sich als Pädagog<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
und neben ihrer Berufstätigkeit weit über<br />
die schon hohen Anfor<strong>der</strong>ungen heutiger<br />
Grund schularbeit h<strong>in</strong>aus engagiert – vor<br />
allem für benachteiligte K<strong>in</strong><strong>der</strong> und ihre<br />
Familien. Sie ist e<strong>in</strong>e Pionier<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusiver Pädagogik<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong>. Wegweisende<br />
Konzepte am Schulanfang, die ab etwa 1998<br />
entwickelt wurden, haben ihre Vorarbeit zu<br />
e<strong>in</strong>er jahrgangsgemischten und <strong>in</strong>tegrativen<br />
Schule<strong>in</strong>gangsphase aufgegriffen. Von Beg<strong>in</strong>n<br />
an verfolgte sie die Idee e<strong>in</strong>er <strong>Grundschule</strong>,<br />
die Verantwortung für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> im<br />
Stadtteil übernimmt.<br />
Als Sozialpädagog<strong>in</strong> und Grundschullehrer<strong>in</strong>,<br />
später als Rektor<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
am Pfälzer Weg im Stadtteil Osterholz-Tenever<br />
<strong>in</strong> Bremen, engagierte sie sich seit 1993<br />
für die Entwicklung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>klusiven <strong>Grundschule</strong>,<br />
die sich den Herausfor<strong>der</strong>ungen des<br />
Stadtteils stellt und die Kooperation mit allen<br />
sozial arbeitenden E<strong>in</strong>richtungen sucht. Ihr<br />
Blick richtete sich vor allem auf die Situation<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> am Schulanfang, <strong>der</strong>en Familien<br />
damals zu 70 Prozent (mit steigen<strong>der</strong> Tendenz)<br />
aus etwa 20 verschiedenen Län<strong>der</strong>n<br />
nach Tenever gekommen waren und zu großen<br />
Teilen <strong>in</strong> prekären Verhältnissen lebten.<br />
Viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> besuchten ke<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten,<br />
die Mütter sprachen ke<strong>in</strong> Deutsch. K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die<br />
am Schulanfang scheiterten, wurden nach<br />
damaliger Rechtslage <strong>in</strong> Bremen im Laufe des<br />
ersten Schulhalbjahres wie<strong>der</strong> ausgeschult.<br />
Die größte Herausfor<strong>der</strong>ung lag am Schulanfang.<br />
Die Schule etablierte jahrgangsübergreifenden<br />
Unterricht, um besser auf die<br />
Lebenswelten <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>zuge hen,<br />
Unterschiede als selbstverständlich an -<br />
zunehmen, den Startnachteil vieler K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
auszugleichen und ihnen – mit Erfolg – e<strong>in</strong>e<br />
Perspektive zu geben. Die <strong>Grundschule</strong> am<br />
Pfälzer Weg war e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ersten <strong>in</strong> Deutschland,<br />
die e<strong>in</strong>e jahrgangsübergreifende,<br />
flexible, <strong>in</strong>tegrative Schule<strong>in</strong>gangsphase<br />
mit engem E<strong>in</strong>bezug <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagese<strong>in</strong>richtung<br />
nahe <strong>der</strong> Schule entwickelte.<br />
Maresi Lasseks Pädagogik ist durch und<br />
durch ressourcenorientiert. (…)<br />
Uns alle e<strong>in</strong>t zu zeigen, dass es lohnt, K<strong>in</strong><strong>der</strong>n von Anfang an mehr Bildungschancen<br />
zu geben und Barrieren abzubauen, die Bildungsbeteiligung und<br />
kultureller Teilhabe im Wege stehen, vor allem denjenigen, denen <strong>der</strong> Zugang<br />
nicht <strong>in</strong> die Wiege gelegt wurde, o<strong>der</strong> die Hilfen <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>en Lebens- und<br />
Krisenlagen benötigen.<br />
Uns alle e<strong>in</strong>t darüber h<strong>in</strong>aus zu zeigen, dass es neben <strong>der</strong> berechtigten Kritik<br />
an bestehenden Bed<strong>in</strong>gungen gel<strong>in</strong>gen muss, weiterführende, auch alternative<br />
Wege zu nutzen, um Solidarität und Gerechtigkeit deutlicher wahrnehmbar zu<br />
machen und zu stärken.<br />
Für e<strong>in</strong> gutes Zusammenleben mit all <strong>der</strong> Vielfalt <strong>in</strong> unserem Land braucht<br />
es das Mitmachen und Mitdenken Vieler, von E<strong>in</strong>zelnen und von geme<strong>in</strong>sam<br />
Aktiven <strong>in</strong> Verbänden.<br />
Und … wir müssen uns offensiver zu Wort zu melden, zum Ertrag e<strong>in</strong>es friedvollen<br />
Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>s, von gesellschaftlichem Engagement und den Freiheiten <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Demokratie.<br />
Zu wünschen bleibt, dass dies auch <strong>in</strong> den Medien, ob digital o<strong>der</strong> analog, mehr<br />
stattf<strong>in</strong>det. Neben aller Kritik muss es auch die Perspektive auf das Gel<strong>in</strong>gende<br />
geben als Chance<br />
… für das gesellschaftliche Zusammenleben,<br />
… für die Achtung <strong>der</strong> Menschenwürde,<br />
… für <strong>in</strong>klusives Denken und Handeln,<br />
… für die Achtung <strong>der</strong> Rechte, Sorgen und Nöte von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n,<br />
Jugendlichen und aller Menschen<br />
… und für die Kraft <strong>der</strong> Vielfalt für e<strong>in</strong>e lebenswerte geme<strong>in</strong>same Zukunft.<br />
Herzlichen Dank, sehr geehrter Herr Bundespräsident, für den heutigen Tag!<br />
Als Konrektor<strong>in</strong> und Rektor<strong>in</strong> hat Maresi Lassek<br />
mit ihrem Kollegium die <strong>Grundschule</strong><br />
am Pfälzer Weg durch vielfältige Aktivitäten<br />
über viele Jahre so entwickelt, dass die Schule<br />
im Jahr 2006 für den Deutschen Schulpreis<br />
nom<strong>in</strong>iert wurde und 2012 den Deutschen<br />
Schulpreis <strong>der</strong> Robert-Bosch-Stiftung<br />
erhalten hat – u. a. wegen <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s<br />
engen und aufwändigen Zusammenarbeit<br />
mit den Eltern und an<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>richtungen im<br />
Stadtteil. In diesem schwierigen Umfeld ist es<br />
<strong>der</strong> Schule auf e<strong>in</strong>e beispielgebende Weise<br />
gelungen, „e<strong>in</strong>e haltgebende, die familiären<br />
und häuslichen Lebenswelten stabilisierende,<br />
zurückstrahlende Schulkultur zu entwickeln.<br />
Mit großer Energie und Leidenschaft suchen<br />
die Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer nach Wegen, die<br />
sozialen Teilhabechancen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
ihrer Eltern zu verbessern.“ Dazu gehörte<br />
auch die Entwicklung e<strong>in</strong>es ausgefeilten Diagnose-<br />
und För<strong>der</strong>konzepts am Schulanfang.<br />
Das dazugehörige Screen<strong>in</strong>g-Instrument wird<br />
bis heute e<strong>in</strong>gesetzt und hat im deutschsprachigen<br />
Raum e<strong>in</strong>en hohen Bekanntheitsgrad.<br />
Trotz dieses hohen Engagements unter<br />
starker Alltagsbelastung war Maresi Lassek<br />
parallel bildungspolitisch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bremer<br />
Landesgruppe des Grundschulverbands e. V.<br />
und als <strong>der</strong>en Vertreter<strong>in</strong> auch auf Bundesebene<br />
aktiv. Sie wurde daraufh<strong>in</strong> 2004 <strong>in</strong> den<br />
Bundesvorstand und 2010 zur Vorsitzenden<br />
gewählt. In diesen ehrenamtlichen Funktionen<br />
hat sie <strong>in</strong> und mit dem Verband über<br />
16 Jahre h<strong>in</strong>weg vielfältige Aktivitäten <strong>in</strong>itiiert<br />
(z. B. im Rahmen <strong>der</strong> Initiative „Länger<br />
geme<strong>in</strong>sam lernen“ mit an<strong>der</strong>en Verbänden,<br />
aber auch Hilfen für Lehrer:<strong>in</strong>nen zur För<strong>der</strong>ung<br />
von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit beson<strong>der</strong>en Schwierigkeiten<br />
beim Lernen). (…)<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus ist Maresi Lassek bis<br />
heute als Referent<strong>in</strong> geschätzt, pflegt und<br />
entwickelt Netzwerke und setzt sich für die<br />
Rechte aller K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>e allseitige Bildung<br />
e<strong>in</strong>. Ihre Pädagogik begeistert und motiviert<br />
Studierende, Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer und<br />
Schulleitungen. Mit zahlreichen Beiträgen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitschrift <strong>Grundschule</strong> aktuell und<br />
ihrer Mitwirkung im Redaktionsteam sowie<br />
als Autor<strong>in</strong> bzw. Mitherausgeber<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Buchreihe Beiträge zur Reform <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
hat Maresi Lassek für all diese Themen<br />
wichtige Meilenste<strong>in</strong>e dokumentiert,<br />
zuletzt mit den beiden Bänden 150 und 151<br />
KINDER LERNEN ZUKUNFT (2020).<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
3
Tagebuch<br />
Ich b<strong>in</strong> im Grundschulverband,<br />
weil …<br />
Svenja Telle<br />
ist Grundschullehrer<strong>in</strong> und Mitglied<br />
im Vorstand <strong>der</strong> Landesgruppe<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
Als ich noch an <strong>der</strong> Uni war, stellte uns e<strong>in</strong>e Professor<strong>in</strong><br />
den Grundschulverband vor. Ich war gleich<br />
begeistert und wurde Mitglied. Irgendwie fühlte<br />
es sich gut an, dabei zu se<strong>in</strong>. Zum ersten Staatsexamen<br />
profitierte ich dann von den vielen Bänden und Zeitschriften<br />
des Grundschulverbands, die mir e<strong>in</strong>e gute<br />
Sammlung an Fachliteratur boten.<br />
Als ich dann <strong>in</strong>s Referendariat kam, hatte ich e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en<br />
Praxisschock. Vieles war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule noch wie zu<br />
me<strong>in</strong>er eigenen Grundschulzeit und all das, was wir an<br />
<strong>in</strong>novativen D<strong>in</strong>gen an <strong>der</strong> Uni gelernt hatten, war noch<br />
lange nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität me<strong>in</strong>er Schule angekommen.<br />
Da tat es mir gut, durch den Grundschulverband immer<br />
wie<strong>der</strong> zu merken: „Ich b<strong>in</strong> nicht alle<strong>in</strong>e mit me<strong>in</strong>en Ideen<br />
und Visionen von e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>dgerechten Schule. Da s<strong>in</strong>d<br />
an<strong>der</strong>e, die genauso denken wie ich.“ Die regelmäßigen<br />
Bände und Ausgaben <strong>der</strong> Zeitschrift <strong>Grundschule</strong> aktuell<br />
bestärkten mich immer wie<strong>der</strong>, nicht von me<strong>in</strong>en Vorstellungen<br />
abzurücken.<br />
2019 war ich dann zum zweiten Mal auf dem Bundesgrundschulkongress<br />
<strong>in</strong> Frankfurt. Dort tauschte ich mich<br />
während <strong>der</strong> Vorträge, Workshops und geselligen Runden<br />
immer wie<strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>er Kolleg<strong>in</strong> aus. Uns kamen<br />
Gedanken wie „Der Grundschulverband ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong><br />
toller Zusammenschluss von Menschen, die alle wollen,<br />
dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> gut lernen können. Se<strong>in</strong>e Arbeit <strong>in</strong>spiriert<br />
uns immer wie<strong>der</strong> aufs Neue.“ Auf dem Bundesgrundschulkongress<br />
wurde uns erst so richtig klar, dass es die<br />
sechzehn Landesgruppen im Grundschulverband gibt.<br />
Wir fassten den Entschluss, uns <strong>in</strong> unserer Landesgruppe<br />
zu engagieren. Zufälligerweise war zwei Monate später<br />
e<strong>in</strong>e Mitglie<strong>der</strong>versammlung <strong>der</strong> Landesgruppe Nie<strong>der</strong>sachsen.<br />
Dort meldete ich mich an und traf auf total nette<br />
Kolleg:<strong>in</strong>nen. Ich wurde dann direkt <strong>in</strong> den Vorstand gewählt,<br />
was ich ursprünglich gar nicht beabsichtigt hatte.<br />
Unser Vorstand trifft sich regelmäßig zum Austausch,<br />
für Planungen etc. Die Arbeit macht immer wie<strong>der</strong> aufs<br />
Neue viel Spaß. Zusätzlich wurde ich dann 2021 Delegierte<br />
für Nie<strong>der</strong>sachsen und geriet <strong>in</strong> die Arbeit <strong>der</strong> Strategie-<br />
Workshops, die 2020 gegründet worden waren. Ich arbeitete<br />
im Workshop „<strong>Grundschule</strong> aktuell“ und „social<br />
media“ mit. Bis heute treffen wir uns regelmäßig, um den<br />
Bereich „social media“ weiter zu entwickeln. Oft treffen<br />
wir uns per Videokonferenz und können so aus ganz<br />
Deutschland zusammenkommen. Es macht Spaß, sich <strong>in</strong><br />
lockerer Runde mit so <strong>in</strong>teressanten Menschen auszutauschen<br />
und neue Ideen für den Grundschulverband zu<br />
entwickeln.<br />
Diese Treffen mit Kolleg:<strong>in</strong>nen, die ähnliche Auffassungen<br />
von Lernen und K<strong>in</strong><strong>der</strong>n haben wie ich, war ja<br />
von Anfang an für mich e<strong>in</strong> großer Gew<strong>in</strong>n und ist es bis<br />
heute geblieben. Darum b<strong>in</strong> ich im Grundschulverband.<br />
4<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Professionalisierung<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Entwicklungsprozess von Lehrkräften,<br />
multiprofessionellen Teams und Schule<br />
Mit Blick auf den Fachkräftemangel beson<strong>der</strong>s auch an <strong>Grundschule</strong>n stellten wir<br />
uns im Redaktionsteam bei <strong>der</strong> Vorbereitung des Themenschwerpunkts <strong>Professionalität</strong><br />
und Professionalisierung als grundsätzliche Frage, ob <strong>in</strong> <strong>der</strong> aktuellen<br />
Schullage Weiterentwicklungsprozesse überhaupt e<strong>in</strong>e Chance haben können.<br />
Geht es den Pädagog*<strong>in</strong>nen zurzeit<br />
nicht eher um e<strong>in</strong><br />
Bewältigen elementarer Herausfor<strong>der</strong>ungen,<br />
damit K<strong>in</strong><strong>der</strong> Basiskompetenzen<br />
<strong>in</strong> den Kulturtechniken<br />
erwerben und sich als soziale und<br />
selbstbewusste Persönlichkeiten entwickeln<br />
können?<br />
Muss es an<strong>der</strong>erseits beim Thema<br />
Professionalisierung nicht auch um den<br />
Anspruch gehen, dass Lehrkräfte und<br />
alle weiteren Fachkräfte an Schulen ihre<br />
eigenen Stärken e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und ihre<br />
Entwicklungsbedarfe äußern können,<br />
damit über Teilnahme und Teilhabe e<strong>in</strong><br />
zufriedenes und gesundes Arbeitsklima<br />
entstehen kann?<br />
Schnell wurde <strong>in</strong> unseren Gesprächen<br />
deutlich, dass <strong>Professionalität</strong> zu e<strong>in</strong>em<br />
fast unerschöpflichen Thema werden<br />
kann. Sie umfasst e<strong>in</strong>mal sehr unterschiedliche<br />
Bereiche und wird zum an<strong>der</strong>en<br />
<strong>in</strong> unterschiedlichen Schulen<br />
auch unterschiedlich gewichtet, wenn<br />
es um Professionalisierungsprozesse<br />
geht: E<strong>in</strong>zelpersonen lernen <strong>in</strong>dividuell<br />
und mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, Berufsgruppen mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
und vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> als professionelle<br />
Lerngeme<strong>in</strong>schaften und Schulen<br />
vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> als lernende Institutionen.<br />
Immer geht es um Menschen und<br />
um geme<strong>in</strong>same Entwicklungsprozesse.<br />
Das Anliegen ist höchst vielschichtig<br />
und wirft e<strong>in</strong>e Menge Fragen auf: Was<br />
macht <strong>Professionalität</strong> von Lehrkräften<br />
aus? Was ist für die Ausbildung unverzichtbar?<br />
Können sich Quere<strong>in</strong>steiger*<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> professionelle Grundschularbeit<br />
e<strong>in</strong>arbeiten? Wie steht es<br />
mit multiprofessioneller Teamarbeit?<br />
Welche fachliche Expertise brauchen<br />
Schulen? Geht es nicht grundsätzlich<br />
um die Bereitschaft sich weiterzuentwickeln?<br />
Was brauchen die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, um<br />
gute Schule zu erleben, und was brauchen<br />
Lehrkräfte und sozialpädagogische<br />
Fachkräfte, um gute Schule zu machen?<br />
Unter Pädagogischer <strong>Professionalität</strong><br />
versteht man nach Wikipedia im<br />
engeren S<strong>in</strong>ne neben <strong>der</strong> <strong>in</strong> Bildungsstätten<br />
erworbenen Wissensbasis auch<br />
die Anwendbarkeit dieses Wissens <strong>in</strong><br />
komplexen und spezifischen Arbeitssituationen.<br />
Pädagogische <strong>Professionalität</strong><br />
vollständig zu erreichen, sei nicht<br />
möglich, da dieser Prozess wegen se<strong>in</strong>er<br />
komplexen Anfor<strong>der</strong>ungen zu langwierig<br />
und nicht abschließbar sei. Die<br />
Lehrperson muss sich jedoch mit den<br />
Diskrepanzen des Bildungssystems arrangieren<br />
und mit den Gegebenheiten<br />
professionell umgehen. Daher ist e<strong>in</strong>e<br />
Verschränkung <strong>der</strong> Voraussetzungs- und<br />
Lehrerperspektive nötig, um professionelles<br />
Handeln zu ermöglichen.<br />
Was aber umfasst<br />
professionelles Handeln?<br />
Nach Me<strong>in</strong>ung <strong>der</strong> Redaktion zählen<br />
dazu unter an<strong>der</strong>em:<br />
● E<strong>in</strong>stellungen und Haltungen wie<br />
e<strong>in</strong>e wertschätzende Kommunikation,<br />
Heterogenität als Chance begreifen<br />
und <strong>in</strong>klusiv handeln, bildungspolitisches<br />
Engagement, pädagogische Beziehungsarbeit<br />
und erzieherisches Wirken<br />
als wesentlicher Auftrag,<br />
● die Anerkennung des Anspruchs <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf allseitige Bildung, auf geme<strong>in</strong>sames<br />
und <strong>in</strong>dividuelles Lernen,<br />
auf e<strong>in</strong>e pädagogische Leistungskultur,<br />
auf Partizipation und Beachtung ihrer<br />
Rechte,<br />
● Teambewusstse<strong>in</strong> und Teamarbeit<br />
als elementare Voraussetzung für<br />
Schulentwicklung, die Bereitschaft zur<br />
Verantwortungsübernahme und zur<br />
Wert schätzung <strong>der</strong> Eltern als Erziehungs-<br />
und Bildungspartner.<br />
Wodurch sich e<strong>in</strong>e erfolgreiche Lehrkraft<br />
auszeichnet, beschreibt Klaus<br />
Zierer (<strong>in</strong> Schulleitung 2/16) zu sammen<br />
fassend: „Nicht die Kompetenz <strong>in</strong><br />
Form von Wissen und Können, son<strong>der</strong>n<br />
die Haltung <strong>in</strong> Form von Wollen<br />
und Werten ist ausschlaggebend, letztere<br />
entscheidet darüber, ob erstere überhaupt<br />
zum E<strong>in</strong>satz kommt!“<br />
Als zentral für <strong>Professionalität</strong> gelten<br />
vielen auch die 10 Merkmale guten<br />
Unterrichts von Hilbert Meyer:<br />
● Klare Strukturierung des Unterrichts<br />
● Hoher Anteil an echter Lernzeit<br />
● Lernför<strong>der</strong>liches Klima<br />
● Inhaltliche Klarheit<br />
● S<strong>in</strong>nstiftendes Kommunizieren<br />
● Methodenvielfalt<br />
● Individuelles För<strong>der</strong>n<br />
● Intelligentes Üben<br />
● Vorbereitete Lernumgebung<br />
● Transparente Leistungserwartung<br />
Dabei gilt, alle drei Phasen <strong>der</strong><br />
Lehrer*<strong>in</strong>nen-Ausbildung im Blick zu<br />
behalten und außerdem die Ausbildung<br />
aller Professionen, die an Schulen heute<br />
arbeiten. Im Studium und <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten<br />
Ausbildungsphase werden als Basis<br />
für e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche <strong>in</strong>dividuelle<br />
Weiterentwicklung professionelle pädagogische<br />
und <strong>in</strong>haltliche Handlungsmöglichkeiten<br />
erworben. Zu bedenken<br />
ist dabei, wie e<strong>in</strong> konstruktives Verhältnis<br />
entstehen kann zwischen Forschung<br />
sowie theoretischer und Praxis-Ausbildung.<br />
Wissenschaft sollte sich nicht<br />
anmaßen zu zeigen, wie es geht, son<strong>der</strong>n<br />
Impulse geben und Hilfen anbieten, wie<br />
Praxis sich weiterentwickeln kann. Auch<br />
mit dem Fokus darauf, dass Professiona-<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
5
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Klare<br />
Strukturierung<br />
des Unterrichts<br />
Vorbereitete<br />
Lernumgebung<br />
Lernför<strong>der</strong>liches<br />
Klima<br />
Intelligentes<br />
Üben<br />
Hoher Anteil<br />
an echter<br />
Lernzeit<br />
Transparente<br />
Leistungserwartung<br />
Methodenvielfalt<br />
S<strong>in</strong>nstiftendes<br />
Kommunizieren<br />
Inhaltliche<br />
Klarheit<br />
Individuelles<br />
För<strong>der</strong>n<br />
Die 10 Merkmale guten Unterrichts von Hilbert Meyer<br />
lisierung nicht e<strong>in</strong>e immer stärkere Akademisierung<br />
<strong>der</strong> pädagogischen Berufe<br />
bedeutet. Es geht im Wesentlichen um<br />
Offenheit für neue Erfahrungen und<br />
<strong>der</strong>en selbstkritische Prüfung vor dem<br />
H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> aktuellen Fachdiskussion.<br />
Die nachfolgenden Beiträge <strong>in</strong> diesem<br />
Heft beziehen sich aus unterschiedlichen<br />
Perspektiven auf (geme<strong>in</strong>same)<br />
Entwicklungsprozesse:<br />
Erstens: Die Sichtweisen und Kompetenzen<br />
<strong>der</strong> Pädagog*<strong>in</strong>nen entwickeln<br />
sich über persönliche Erfahrungen<br />
<strong>in</strong> dem Maß weiter, wie sich auch<br />
gesellschaftliche Bed<strong>in</strong>gungen än<strong>der</strong>n<br />
und die Ausgangslagen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> mitbestimmen.<br />
Die <strong>in</strong>dividuelle Bereitschaft,<br />
sich immer wie<strong>der</strong> neu auf die<br />
unterschiedlichen Bedarfe und Bedürfnisse<br />
aller K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>zustellen, wirkt<br />
als pädagogische Herausfor<strong>der</strong>ung und<br />
Entwicklungsimpuls.<br />
Zweitens: Die Entwicklung des Kollegiums<br />
erfor<strong>der</strong>t geme<strong>in</strong>sames Nachdenken<br />
über die Schularbeit und die<br />
berechtigten Ansprüche <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />
e<strong>in</strong> Prozess, <strong>der</strong> multiprofessionelle<br />
Zusammenarbeit selbstverständlich<br />
werden lässt.<br />
Drittens: Entwickelt werden muss e<strong>in</strong>e<br />
geme<strong>in</strong>same Haltung dazu, dass Schule<br />
als lernende Organisation auch vom<br />
Austausch mit an<strong>der</strong>en Schulen <strong>in</strong><br />
Netzwerken profitieren kann.<br />
Viertens: Schule kann sich nur entwickeln<br />
<strong>in</strong> Kooperation mit außerschulischen<br />
Partner*<strong>in</strong>nen wie Unis<br />
o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendo<strong>der</strong><br />
Sozialarbeit mit dem Ansatz,<br />
gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungen und<br />
Bed<strong>in</strong>gungen des Lebensumfelds <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>zubeziehen.<br />
Da die Dimensionen von <strong>Professionalität</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> (Grund-)Schule bei Weitem<br />
den Rahmen e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen Heftes<br />
übersteigen, wird sich ab <strong>Grundschule</strong><br />
aktuell 165 e<strong>in</strong>e Beitragsreihe zu<br />
dem Thema anschließen. Aspekte, die<br />
<strong>in</strong> diesem Heft nicht aufgegriffen werden<br />
können, werden dort Platz f<strong>in</strong>den.<br />
Wir freuen uns, wenn Sie <strong>der</strong> Redaktion<br />
von Ihnen beson<strong>der</strong>s gewünschte Ansätze<br />
mitteilen.<br />
Das Redaktionsteam<br />
6 GS aktuell 164 • November 2023
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Andrea Preußker, Johannes Schubert<br />
Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />
mit dem Deutschen Schulpreis<br />
Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger machen mobil<br />
für e<strong>in</strong>e bessere Bildung<br />
Die Robert Bosch Stiftung hat e<strong>in</strong>e lange Tradition <strong>in</strong> <strong>der</strong> frühk<strong>in</strong>dlichen und<br />
schulischen Bildung. E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> bekanntesten und renommiertesten Programme<br />
des För<strong>der</strong>bereichs Bildung ist <strong>der</strong> Deutsche Schulpreis. Ausgehend vom Deutschen<br />
Schulpreis wurden <strong>in</strong> den vergangenen Jahren weitere Angebote zur Professionalisierung<br />
im Bereich Schul- und Unterrichtsentwicklung <strong>in</strong>itiiert, die aufzeigen,<br />
dass <strong>der</strong> Deutsche Schulpreis weit über den re<strong>in</strong>en Wettbewerb h<strong>in</strong>ausgeht.<br />
Im Jahr 2006 riefen die Robert Bosch<br />
Stiftung und die Heidehof Stiftung<br />
als Reaktion auf den ersten „Pisa-<br />
Schock“ den Deutschen Schulpreis <strong>in</strong>s<br />
Leben. Das damit verbundene Ziel des<br />
Wettbewerbs ist es aufzuzeigen, dass es<br />
über alle Schularten und Bundeslän<strong>der</strong><br />
h<strong>in</strong>weg hervorragende Schulen gibt, die<br />
unabhängig von bildungspolitischen<br />
und schulstrukturellen Rahmenbe d<strong>in</strong>gungen<br />
e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag zu<br />
Chancengerechtigkeit und <strong>in</strong> klusiver<br />
Bildung leisten. Diese Schulen können<br />
bundesweit e<strong>in</strong> Vorbild für an<strong>der</strong>e Schulen<br />
se<strong>in</strong>.<br />
Grundlage des Deutschen Schulpreises<br />
bilden sechs Qualitätsbereiche, die<br />
sich an e<strong>in</strong>em umfassenden Verständnis<br />
von Bildung und Lernen orientieren. Sie<br />
wurden von Vertreter:<strong>in</strong>nen aus Wissenschaft,<br />
Schulpraxis und Bildungsverwaltung<br />
erarbeitet, werden fortlaufend<br />
aktualisiert und beschreiben die Qualität<br />
an Schulen <strong>in</strong> ihren vielfältigen Facetten:<br />
„Unter richtsqualität“, „Leistung“,<br />
„Um gang mit Vielfalt“, „Verantwortung“,<br />
„Schulklima, Schulleben und außerschulische<br />
Partner“ und „Schule als lernende<br />
Institution“.<br />
Fokus auf „Unterrichtsqualität“<br />
Seit dem Wettbewerbsjahr 2022 steht<br />
<strong>der</strong> Qualitätsbereich „Unterrichtsqualität“<br />
im Mittel punkt des Deutschen<br />
Schulpreises. Dies war e<strong>in</strong>e Reaktion<br />
u. a. auf die alarmierenden Ergebnisse<br />
des IQB-Bildungstrends aus dem<br />
Jahr 2021 und die fachöffentliche und<br />
wissenschaftliche Debatte über Unterricht<br />
während <strong>der</strong> COVID-19-Pandemie,<br />
als Lehren und Lernen kaum noch<br />
<strong>in</strong> klassischen Raum- und Zeitsett<strong>in</strong>gs<br />
stattfand.<br />
Der Qualitätsbereich „Unterrichtsqualität“<br />
bezieht sich auf qualitätsvolle<br />
Lehr- und Lernprozesse, die sich explizit<br />
nicht ausschließlich auf den formalen<br />
Lern-ort des Klassenzimmers<br />
o<strong>der</strong> die formale Struktur des Fachunterrichts<br />
beschränken, und die –<br />
orientiert am erweiterten Lernbegriff<br />
– fachliche, überfachli che und personale<br />
sowie soziale und methodische<br />
Bildungsziele verfolgen. Konkret geht es<br />
um das geme<strong>in</strong>sam geteilte Verständnis<br />
e<strong>in</strong>er Schule von qualitätsvollem Lehren<br />
und Lernen, die konkrete Ausgestaltung<br />
<strong>der</strong> Lehr- und Lernprozesse, die systematischen<br />
und etablierten Prozesse <strong>der</strong><br />
Unterrichtsentwicklung e<strong>in</strong>er Schule<br />
sowie den E<strong>in</strong>bezug von Evaluationen<br />
(<strong>in</strong>tern und extern) und <strong>der</strong> damit verbundenen<br />
Nutzung von Daten für die<br />
Unterrichtsentwicklung.<br />
Wesentlich ist dabei nicht nur die Beschreibung,<br />
was Schulen im Bereich<br />
des Lehrens und Lernens tun o<strong>der</strong> welche<br />
Unterrichtsmethoden sie e<strong>in</strong>setzen,<br />
son<strong>der</strong>n ebenso die substanzielle Begründung,<br />
warum diese – mit Blick auf<br />
die Schüler:<strong>in</strong>nen und <strong>der</strong>en Voraussetzungen<br />
und Möglichkeiten – Wege<br />
und Konzepte verfolgt werden und<br />
wie dabei e<strong>in</strong>e hohe Qualität gesichert<br />
wird.<br />
Gute Praxis sichtbar machen<br />
Als Wettbewerb zeigt <strong>der</strong> Deutsche<br />
Schulpreis auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong><br />
zugrundeliegenden Qualitätsbereiche<br />
<strong>in</strong>novative Beispiele guter schulischer<br />
Praxis. Die Preisträgerschulen des<br />
Deutschen Schulpreises stehen dabei<br />
als Vorbil<strong>der</strong> für „Gute Schule“ <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit und zeigen, dass gute<br />
Schule überall möglich ist.<br />
Viele <strong>der</strong> Konzepte <strong>der</strong> Preisträgerschulen<br />
wurden hierzu auf dem Deutschen<br />
Schulportal aufbereitet und s<strong>in</strong>d<br />
kostenlos für alle Interessierten zugänglich.<br />
Dabei dürfen die anhaltenden gesellschaftlichen<br />
und weltpolitischen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen, die auf Schule e<strong>in</strong>wirken<br />
sowie <strong>der</strong> wachsende Lehrkräftemangel<br />
nicht außer Acht gelassen werden.<br />
Die Preisträgerschulen des Deutschen<br />
Schulpreises s<strong>in</strong>d damit gleichermaßen<br />
konfrontiert. Sie haben zumeist<br />
sehr <strong>in</strong>dividuelle Ansätze und Lösungen<br />
entwickelt, um diesen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
erfolgreich zu begegnen.<br />
Diese Schulen s<strong>in</strong>d nicht besser ausgestattet<br />
als an<strong>der</strong>e Schulen, es s<strong>in</strong>d<br />
buchstäblich ganz normale Schulen.<br />
Erst ihre Haltung ermöglicht ihnen,<br />
Optimismus auszustrahlen, nicht aufzugeben<br />
und <strong>in</strong>dividuelle Lösungen zu<br />
f<strong>in</strong>den.<br />
Die Robert Bosch Stiftung unterbreitet<br />
verschiedene Angebote zur<br />
Schul- und Unterrichtsentwicklung,<br />
die geme<strong>in</strong>sam mit Vertreter:<strong>in</strong>nen von<br />
Preisträgerschulen, <strong>der</strong> Bildungsverwaltung<br />
und Wissenschaft konzipiert<br />
wurden. So können sich auf dem Campus<br />
des Deutschen Schulportals <strong>in</strong>teressierte<br />
Pädagog:<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Onl<strong>in</strong>e-Veranstaltungen<br />
mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und mit Vertreter:<strong>in</strong>nen<br />
aus Wissenschaft, Bildungsverwaltung<br />
und Schulpraxis über<br />
Schul- und Unterrichtsentwicklung aus-<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
7
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Der Deutsche Schulpreis 2023, Preisverleihung am 12.10.2023 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>,<br />
Preisträger ist „<strong>Grundschule</strong> op de Host <strong>in</strong> Horst“<br />
tauschen sowie Impulse und Ideen von<br />
Preisträgerschulen für die eigene Arbeit<br />
erhalten.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus öffnen Preisträgerschulen<br />
im Rahmen des „Hospitationsprogramms<br />
an Preisträgerschulen des<br />
Deutschen Schulpreises“ sprichwörtlich<br />
ihre Türen. An Weiterentwicklung <strong>in</strong>teressierte<br />
Schulen können durch e<strong>in</strong>e<br />
Hospitation an e<strong>in</strong>er Preisträgerschule<br />
Denkanstöße, Ideen und Handlungsempfehlungen<br />
für die eigene Schule und<br />
den eigenen Unterricht gew<strong>in</strong>nen.<br />
Der Deutsche Schulpreis als<br />
Instrument <strong>der</strong> Schul- und<br />
Unterrichtsentwicklung<br />
Die Bewerbung um den Deutschen<br />
Schulpreis können Schulen darüber<br />
h<strong>in</strong>aus als Instrument für die <strong>in</strong>dividuelle<br />
Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />
und Selbstevaluation nutzen. So wird<br />
durch das Feedback von ehemaligen<br />
Bewerber- und auch Preisträgerschulen<br />
deutlich, dass die Bewerbung und die<br />
damit verbundene Beschäftigung mit<br />
den Qualitätsbereichen des Deutschen<br />
Schulpreises Impulse gibt, sich schul<strong>in</strong>tern<br />
kritisch mit <strong>der</strong> eigenen Schulund<br />
Unterrichtsrealität ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen:<br />
„Schon alle<strong>in</strong> die Beschäftigung<br />
mit den Bewerbungsunterlagen br<strong>in</strong>gt<br />
die Schule weiter. Man beschäftigt sich<br />
ausnahmsweise mal nicht mit den alltäglichen<br />
kle<strong>in</strong>en Problemen, son<strong>der</strong>n<br />
schaut auf das, was man erreicht hat<br />
und was man erreichen will.“, so Monika<br />
Nebel, Schulleiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> Meusebach-<br />
<strong>Grundschule</strong> Geltow. So können durch<br />
die geme<strong>in</strong>same Reflexion <strong>der</strong> eigenen<br />
Entwicklung durch die <strong>in</strong> Schule aktiven<br />
Personen mit Hilfe <strong>der</strong> sechs Qualitätsbereiche<br />
Erfolge, Lernerfahrungen und<br />
Entwicklungspotentiale explizit sichtbar<br />
und für die weitere Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />
nutzbar gemacht werden.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus erhalten alle Bewerberschulen<br />
im Anschluss an das<br />
Wettbewerbsjahr auf Wunsch e<strong>in</strong><br />
Feedbackgespräch zu ihrer Bewerbung<br />
mit Vertreter:<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> Jury, <strong>in</strong> dem sie<br />
geme<strong>in</strong>sam Stärken und Entwicklungspotenziale<br />
<strong>der</strong> Schule identifizieren. In<br />
<strong>der</strong> Folge gibt es verschiedene Möglichkeiten,<br />
wie Bewerberschulen von den<br />
weiteren Angeboten des Deutschen<br />
Schulpreises profitieren können. Erste<br />
Möglichkeit: Die mit dem Deutschen<br />
Schulpreis ausgezeichneten Schulen werden<br />
Teil des Netzwerkes <strong>der</strong> Preisträgerschulen.<br />
In diesem werden sie durch<br />
verschiedene Vernetzungs- und Qualifizierungsangebote<br />
<strong>in</strong> ihrer Qualitätsentwicklung<br />
und -sicherung unterstützt.<br />
Zweite Möglichkeit: Alle Bewerberschulen<br />
und alle nom<strong>in</strong>ierten Schulen<br />
können am Forum des Deutschen Schulpreises<br />
teilnehmen. Im Zentrum dieses<br />
15-monatigen Programms steht e<strong>in</strong> von<br />
<strong>der</strong> Schule selbst gewähltes Unterrichtsentwicklungsvorhaben,<br />
das die teilnehmenden<br />
Schulen auf <strong>der</strong> Grundlage<br />
des o.g. Feedbacks zu ihrer Bewerbung<br />
8 GS aktuell 164 • November 2023
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
identifizieren und fortentwickeln. Hierzu<br />
erhalten sie <strong>in</strong>dividuelle Beratung<br />
und bedarfsgerechte Workshops für die<br />
Umsetzung des Vorhabens sowie Vernetzungsmöglichkeiten<br />
mit an<strong>der</strong>en Bewerberschulen.<br />
Es wird deutlich, dass e<strong>in</strong>e Beschäftigung<br />
mit dem Deutschen Schulpreis<br />
weit über den re<strong>in</strong>en Wettbewerbsgedanken<br />
h<strong>in</strong>aus geht. Durch angebundene<br />
und begleitende Programme<br />
und Projekte haben alle <strong>in</strong>teressierten<br />
Schulen – unabhängig ihrer Kapazitäten<br />
für Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />
und ihrer Kompetenzen auf diesem Gebiet<br />
– die Möglichkeit, auf ihrem <strong>in</strong>dividuellen<br />
Entwicklungsweg unterstützt<br />
zu werden.<br />
Bewerbung um den Deutschen<br />
Schulpreis 2024<br />
Der Deutsche Schulpreis 2024 richtet<br />
sich an alle allgeme<strong>in</strong>bildenden und<br />
beruflichen Schulen <strong>in</strong> öffentlicher o<strong>der</strong><br />
privater Trägerschaft <strong>in</strong> Deutschland<br />
sowie an Deutsche Auslandsschulen, die<br />
sich bis zum 1. Februar 2024 bewerben<br />
können. Die Bewerbung erfolgt onl<strong>in</strong>e<br />
über das Bewerberportal des Deutschen<br />
Schulpreises. Im Mittelpunkt steht die<br />
Frage: Wie gestalten Sie an Ihrer Schule<br />
qualitätsvolles Lehren und Lernen?<br />
Diese Frage können Schulen auf<br />
maximal zehn Seiten (exkl. Anhänge)<br />
beantworten und ihre Schule mit dem<br />
Fokus auf den Qualitätsbereich „Unterrichtsqualität“<br />
darstellen. Dabei sollen<br />
explizit auch Querbezüge zu den wei-<br />
Andrea Preußker, Teamleiter<strong>in</strong> Bildung,<br />
Robert Bosch Stiftung<br />
Johannes Schubert,<br />
Senior Projektmanager Bildung,<br />
Robert Bosch Stiftung<br />
teren fünf Qualitätsbereichen des Deutschen<br />
Schulpreises hergestellt werden,<br />
sodass e<strong>in</strong> umfassendes Bild <strong>der</strong> Schule<br />
für die Jury entsteht.<br />
Dem Wettbewerb liegt e<strong>in</strong> mehrstufiges<br />
Auswahlverfahren zugrunde,<br />
das neben <strong>der</strong> schriftlichen Bewerbung<br />
auch digitale Interviews zur Klärung von<br />
Verständnisfragen und Schulbesuche vor<br />
Ort bei den 20 besten Bewerberschulen<br />
vorsieht. Die unabhängige Jury ist dabei<br />
mit über 40 Expert<strong>in</strong>nen und Experten<br />
aus den Bereichen Bildungswissenschaft,<br />
Schulpraxis und Bildungsverwaltung besetzt.<br />
Der Deutsche Schulpreis ist die<br />
höchstdotierte Auszeichnung für Schulen<br />
<strong>in</strong> Deutschland. Die besten Bewerberschulen<br />
werden jährlich ausgezeichnet<br />
und so für ihr Engagement<br />
gewürdigt. Der Hauptpreis ist mit<br />
100.000 Euro dotiert, die fünf weiteren<br />
Preisträgerschulen erhalten Preisgel<strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> Höhe von <strong>in</strong>sgesamt 150.000 Euro.<br />
Alle nom<strong>in</strong>ierten Schulen erhalten e<strong>in</strong><br />
Preisgeld <strong>in</strong> Höhe von je 5.000 Euro.<br />
Seit 2006 wurden bereits 103 Preisträger<br />
mit dem Deutschen Schulpreis<br />
ausgezeichnet und s<strong>in</strong>d seither Teil des<br />
Netzwerks des Deutschen Schulpreises.<br />
Über das ganze Bundesgebiet verteilte<br />
Regionalberater:<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>formieren <strong>in</strong>teressierte<br />
Schulen auf Wunsch und<br />
Nachfrage über den Deutschen Schulpreis<br />
und unterstützen <strong>in</strong> Beratungsgesprächen<br />
sowie mit fachlichem Feedback<br />
bei <strong>der</strong> Bewerbung. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
f<strong>in</strong>den regelmäßig digitale Beratungsworkshops<br />
für am Schulpreis <strong>in</strong>teressierte<br />
Schulen, die auf dem Campus des<br />
Deutschen Schulportals stattf<strong>in</strong>den.<br />
Eltern, Schüler:<strong>in</strong>nen und Kooperationspartner<br />
haben zudem die Möglichkeit,<br />
Schulen für den Deutschen<br />
Schulpreis zu empfehlen. Schulen, die<br />
e<strong>in</strong>e Empfehlung erhalten haben, werden<br />
von e<strong>in</strong>em Regionalberater o<strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>er Regionalberater<strong>in</strong> des Deutschen<br />
Schulpreises kontaktiert und e<strong>in</strong>geladen,<br />
e<strong>in</strong>e schriftliche Bewerbung e<strong>in</strong>zureichen.<br />
Alle Informationen zum Deutschen<br />
Schulpreis s<strong>in</strong>d auch unter www.<br />
deutscher-schulpreis.de auff<strong>in</strong>dbar.<br />
E<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ksammlung zum Artikel<br />
und weitere Informationen zu den Qualitätsbereichen<br />
des Deutschen Schulpreises<br />
f<strong>in</strong>den Sie unter:<br />
https://t1p.de/GSa164Lit<br />
Die Qualitätsbereiche des<br />
Deutschen Schulpreises<br />
Zu sechs Qualitätsbereichen und verschiedenen<br />
Schwerpunkten s<strong>in</strong>d jeweils<br />
mehrere Leitfragen zusammengetragen,<br />
die an den Schulen die Initiierung des<br />
Austauschs zur Weiterentwicklung von<br />
Unterrichts- und Schulqualität unterstützen<br />
können.<br />
Unterrichtsqualität<br />
• Unterrichtsverständnis<br />
• Unterrichtsgestaltung<br />
• Unterrichtsentwicklung<br />
• Unterrichtsergebnisse<br />
Leistung<br />
• Leistungsverständnis<br />
• Leistungsför<strong>der</strong>ung<br />
• Leistungsdokumentation<br />
• Leistungsergebnisse<br />
• Leistungsrückmeldung<br />
Umgang mit Vielfalt<br />
• Schulisches Selbstverständnis<br />
• Lernen und Lehren<br />
• Diagnostik und För<strong>der</strong>ung<br />
Verantwortung<br />
• Demokratielernen<br />
• Partizipation<br />
• Verantwortungsübernahme<br />
Schulklima, Schulleben und<br />
außerschulische Partner<br />
• Schulleben<br />
• Respekt<br />
• Prävention<br />
• Kooperation<br />
• Netzwerke und Öffentlichkeitsarbeit<br />
Schule als lernende Institution<br />
• Schulentwicklung<br />
• Personalentwicklung<br />
• Kooperation und Kommunikation<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
9
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Hans Brügelmann<br />
Wenn Tausendfüßler anfangen,<br />
jeden e<strong>in</strong>zelnen Schritt zu planen …<br />
Zur Bedeutung expliziten und impliziten Wissens<br />
für pädagogisches Handeln<br />
Es ist gut 50 Jahre her, dass <strong>der</strong> kürzlich verstorbene Mathematikdidaktiker<br />
He<strong>in</strong>rich Bauersfeld mich als se<strong>in</strong>en Mitarbeiter auf das Buch „Personal Knowledge“<br />
(deutsch: „Implizites Wissen“) von Michael Polanyi (1958/1985) aufmerksam<br />
machte. Bauersfeld leitete damals als Vorsitzen<strong>der</strong> den Ausschuss<br />
„Strategien <strong>der</strong> Curriculum-Entwicklung“ beim Deutschen Bildungsrat. Unsere<br />
Aufgabe war es, Modelle für e<strong>in</strong>e effektivere Schulreform zu entwickeln.<br />
implizit vorhanden, lässt sich aber nicht<br />
<strong>in</strong> Regelform fassen.<br />
Dieses „Explikationsproblem“ (s.<br />
Kas ten) kann sich je nach Aktivität <strong>in</strong><br />
unterschiedlicher Schärfe stellen (Neuweg<br />
2005; 2016, 101 ff.):<br />
Damals wurde das deutsche<br />
Bürokratie-Modell (Steuerung<br />
durch Verordnung von oben)<br />
grundsätzlich durch das aus den USA<br />
importierte Technologie-Modell <strong>in</strong><br />
Frage gestellt (Steuerung durch Transfer<br />
von Wissen aus <strong>der</strong> Forschung <strong>in</strong> die<br />
Praxis). Beide Modelle setzten auf<br />
Steuerung durch explizite Anweisungen.<br />
Auswüchse des Technologie-Modells<br />
gipfelten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Idee e<strong>in</strong>es „teacherproof<br />
curriculum“, also e<strong>in</strong>es von<br />
„Experten“ entwickelten Unterrichtsprogramms,<br />
das unabhängig von <strong>der</strong><br />
Kompetenz <strong>der</strong> Pädagog*<strong>in</strong>nen (sozusagen<br />
„lehrer*<strong>in</strong>nen-dicht“) se<strong>in</strong>e Wirkung<br />
entfalten sollte.<br />
Diese naive Wissenschaftsgläubigkeit<br />
f<strong>in</strong>det sich heute wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> manchen<br />
Vorschlägen e<strong>in</strong>er „evidenz-basierten“<br />
Schulreform, die als Ursache „schlechter<br />
Schulen“ e<strong>in</strong>en mangelhaften Transfer<br />
von Forschungsergebnissen <strong>in</strong> die<br />
Praxis unterstellen (vgl. zur Kritik: Brügelmann<br />
2015). Polanyi betont dagegen<br />
den Unterschied zwischen Wissen und<br />
Können: Manche D<strong>in</strong>ge kann man, ohne<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage zu se<strong>in</strong>, das WIE zu erklären,<br />
und an<strong>der</strong>es können wir beschreiben<br />
und erklären, ohne es auch selber tun<br />
zu können. Die „Intelligenz <strong>der</strong> Praxis“<br />
(Re<strong>in</strong>hard Kahl) hat e<strong>in</strong>en zu respektierenden<br />
Eigenwert.<br />
Lange Zeit s<strong>in</strong>d Polanyis Thesen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Erziehungswissenschaft und Pädagogik<br />
kaum diskutiert o<strong>der</strong> gar Ma<strong>in</strong>stream<br />
geworden. Die Bedeutung des Wissens<br />
über Pädagogik für die Verbesserung<br />
des Könnens <strong>in</strong> ihrer Praxis wird immer<br />
wie<strong>der</strong> überschätzt, auch wenn Georg<br />
Hans Neuweg die Kritik von Polanyi <strong>in</strong><br />
verschiedenen Beiträgen systematisch<br />
entfaltet hat (zusammengefasst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Buch mit dem vielsagenden Titel<br />
„Das Schweigen <strong>der</strong> Könner“).<br />
Der Seiltänzer,<br />
<strong>der</strong> nicht auf das Ende des Seiles, son<strong>der</strong>n<br />
darauf achtet, wie er das Gleichgewicht<br />
hält […], <strong>der</strong> Pianist, <strong>der</strong> nicht<br />
auf das Stück achtet, das er spielenmöchte,<br />
son<strong>der</strong>n auf se<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>gerbewegungen<br />
[…], <strong>der</strong> Redner, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e<br />
Idee aus dem Blick verliert, weil er beg<strong>in</strong>nt,<br />
auf die e<strong>in</strong>zelnen Worte zu fokussieren,<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Tausendfüßer, <strong>der</strong><br />
se<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e problemlos unter Kontrolle<br />
hält bis zu dem Zeitpunkt, an dem er<br />
erstmals darüber nachdenkt, wie er<br />
das eigentlich macht, s<strong>in</strong>d allesamt<br />
Beispiele für e<strong>in</strong>e „pathologische Explikation<br />
[…]“<br />
(Neuweg 2021, 8)<br />
Neuweg geht von den beson<strong>der</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
an erfolgreiches Handeln <strong>in</strong><br />
komplexeren Handlungssituationen wie<br />
Unterricht aus (zu Folgerungen für die<br />
För<strong>der</strong>ung [schrift-]sprachlicher Lernprozesse<br />
vgl. Br<strong>in</strong>kmann/ Brügelmann<br />
2018).<br />
Dabei stellt sich als erstes folgendes<br />
Problem: Wir handeln oft kompetent,<br />
ohne dabei bewusst Regeln zu folgen.<br />
Oft können wir sie nicht e<strong>in</strong>mal im<br />
Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> benennen. Das Wissen ist<br />
Handeln ohne Regelbewusstse<strong>in</strong>,<br />
auch wenn die Regeln im<br />
Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> verbalisierbar s<strong>in</strong>d<br />
Wer se<strong>in</strong>e Schuhe häufiger mit e<strong>in</strong>er<br />
Schleife b<strong>in</strong>det, handelt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel,<br />
ohne nachzudenken. Gelernt wurden<br />
die Schl<strong>in</strong>gungen des Knoten zwar<br />
bewusst, aber dann mit zunehmen<strong>der</strong><br />
Übung automatisiert. Allerd<strong>in</strong>gs kann<br />
man sich den Vorgang wie<strong>der</strong> bewusst<br />
machen, z. B. wenn man ihn an<strong>der</strong>en<br />
erklären will. Viele Handlungen im<br />
sozialen Alltag – und damit auch im<br />
Unterricht – erfor<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e solche Automatisierung<br />
wie<strong>der</strong>kehren<strong>der</strong> Aktivitäten,<br />
damit man se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit<br />
auf <strong>der</strong>en wechselnde Inhalte konzentrieren<br />
kann.<br />
Die Regeln s<strong>in</strong>d zwar nicht vom<br />
Handelnden selbst, aber von<br />
Außenstehenden beschreibbar<br />
Die Mehrzahlform von Nomen wird<br />
im Deutschen auf sehr unterschiedliche<br />
Weise gebildet (z. B. „Autos“, aber<br />
„K<strong>in</strong><strong>der</strong>“ o<strong>der</strong> „Häuser“ – und sogar<br />
„Nadeln“ vs. „Nägel“). Ähnlich vielfältig<br />
s<strong>in</strong>d die Vergangenheitsformen von<br />
Verben (z. B. bei formal gleicher Grundform<br />
„sah“ vs. „g<strong>in</strong>g“ vs. „drehte“). Die<br />
meisten im deutschen Sprachraum Aufgewachsenen<br />
bilden die Formen richtig,<br />
ohne dass sie ihnen vorweg erklärt wurden<br />
und ohne, dass sie diese auf Nachfragen<br />
erklären könnten. L<strong>in</strong>guist*<strong>in</strong>nen<br />
allerd<strong>in</strong>gs können die <strong>der</strong> Wortbildung<br />
zugrunde liegenden Regeln explizieren.<br />
10 GS aktuell 164 • November 2023
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Das bedeutet aber nur, dass sich die<br />
Sprecher*<strong>in</strong>nen im Alltag so verhalten,<br />
als ob sie diesen Regeln bewusst folgten.<br />
Tatsächlich tun sie dies nicht. Ähnlich<br />
ist es mit Merkmalen, die man erfolgreichen<br />
Lehrer*<strong>in</strong>nen zuschreibt. Wer<br />
bewusst versucht, „strukturiert“ o<strong>der</strong><br />
„zugewandt“ zu se<strong>in</strong>, wird schnell merken,<br />
dass se<strong>in</strong> Verhalten auf an<strong>der</strong>e<br />
künstlich wirkt – und damit an<strong>der</strong>s als<br />
das Orig<strong>in</strong>al.<br />
Die Regeln erfolgreichen Handelns<br />
s<strong>in</strong>d pr<strong>in</strong>zipiell – auch von<br />
Dritten – nicht formalisierbar<br />
In vielen Fällen scheitern nicht nur<br />
<strong>der</strong>/die Handelnde, son<strong>der</strong>n auch<br />
Beobachter schon daran, das fragliche<br />
Können überhaupt <strong>in</strong> Regelform zu fassen.<br />
„Es kommt darauf an“ ist e<strong>in</strong>e Antwort,<br />
die man auch von erfolgreichen<br />
Lehrer*<strong>in</strong>nen oft erhält, wenn man sie<br />
fragt, wann sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten<br />
Weise <strong>in</strong>tervenieren.<br />
Für gute Witze lassen sich Beispiele<br />
benennen. Aber e<strong>in</strong>e Anleitung für<br />
das Verfassen von guten Witzen lässt<br />
sich genauso wenig formulieren wie<br />
e<strong>in</strong> Algorithmus für das Schreiben von<br />
Liebesbriefen (die vor über 100 Jahren<br />
gescheiterten „Briefsteller“…).<br />
Kommen wir zur nächsten, von Neuweg<br />
als „Instruktionsproblem“ bezeichneten<br />
Schwierigkeit (s. Kasten):<br />
Auch wenn Handelnde selbst<br />
die Regeln ihres Handelns benennen<br />
o<strong>der</strong> wenn Außenstehende die Bed<strong>in</strong>gungen<br />
erfolgreichen Handelns analysieren<br />
und beschreiben können, bedeutet<br />
das noch nicht, dass diese Erklärungen<br />
e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Person tatsächlich<br />
helfen, auch erfolgreich zu<br />
handeln. Schon um zu lernen, e<strong>in</strong>e<br />
Schleife zu b<strong>in</strong>den, reicht die verbale Erklärung<br />
meist nicht aus, und alle<strong>in</strong> mit<br />
Hilfe e<strong>in</strong>er Grammatik lernen Fremdsprachler*<strong>in</strong>nen<br />
nie richtig zu sprechen.<br />
(s. zu ähnlichen Problemen beim Radfahrlernen<br />
die H<strong>in</strong>weise im untenstehenden<br />
Textkasten).<br />
Wenn e<strong>in</strong> Wissen sprachlich nicht o<strong>der</strong><br />
kaum weitergegeben werden kann, muss<br />
<strong>der</strong> Betreffende durch Probieren o<strong>der</strong> an<br />
e<strong>in</strong>em Modell lernen, das ihm vorzeigt,<br />
was nicht vorgesagt werden kann. Alle<strong>in</strong><br />
anhand von Rezeptbüchern wird man<br />
nicht zum guten Koch, anhand e<strong>in</strong>es<br />
„didaktischen Leitfadens“ nicht zur<br />
guten Lehrer<strong>in</strong>. Noviz*<strong>in</strong>nen brauchen<br />
den Umgang mit Meister*<strong>in</strong>nen, die sie<br />
beobachten, mit denen sie auch reden,<br />
von denen sie aber vor allem situationsbezogene<br />
Rückmeldungen zu eigenen<br />
Versuchen bekommen.<br />
„Situationsbezogen“ – denn <strong>in</strong> sozialen<br />
Kontexten stellt sich bei <strong>der</strong> Anwendung<br />
von Regeln schließlich noch<br />
das „Modifikationsproblem“: In welchen<br />
Situationen nutze ich welches<br />
eher formelle, welches eher <strong>in</strong>formelle<br />
Sprachregister? Wie erkenne ich Ironie –<br />
und wie gehe ich mit ironisch geme<strong>in</strong>ten<br />
Äußerungen um? Gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pädagogik<br />
gleicht ke<strong>in</strong>e Situation genau <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en.<br />
Schon die Erfahrung „jedes K<strong>in</strong>d<br />
ist an<strong>der</strong>s“ macht deutlich, wie schwierig<br />
es ist, auf <strong>der</strong> Basis von Allgeme<strong>in</strong>aussagen<br />
zu handeln. Entwe<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d sie<br />
so genau formuliert, dass sie den unter-<br />
Das Explikationsproblem<br />
Lassen sich die Regeln kunstfertiger Praxis überhaupt angeben?<br />
Wir müssen hier e<strong>in</strong>e wichtige Unterscheidung e<strong>in</strong>führen.<br />
E<strong>in</strong>e Frage ist, ob <strong>der</strong> Könner selbst sagen kann, wie er warum<br />
vorgeht. Kann er das nicht, spreche ich von Nichtverbalisierbarkeit.<br />
Zum Beispiel könnte ich Sie fragen, wie sie am Fahrrad das<br />
Gleichgewicht halten. Wenn sie nach rechts kippen, was tun Sie<br />
dann? Lenken Sie dagegen, nach l<strong>in</strong>ks? O<strong>der</strong> lenken Sie <strong>in</strong> die<br />
Richtung, <strong>in</strong> die Sie kippen, also nach rechts? Die meisten von<br />
uns wissen es nicht, und wenn sie nachdenken, sagen sie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Regel das Falsche.<br />
[…]<br />
Aber die Nichtverbalisierbarkeit ist für sich genommen noch ke<strong>in</strong><br />
didaktisches Problem. Denn auch wenn <strong>der</strong> Könner selbst nicht<br />
verbalisieren kann, wie er vorgeht, kann man ihn ja beobachten<br />
und dadurch herausf<strong>in</strong>den, welchen Regeln se<strong>in</strong>e Praxis folgt.<br />
Wirklich schwierig wird es erst, wenn auch die dritte Person, <strong>der</strong><br />
Beobachter, e<strong>in</strong> Explikationsproblem hat. Ich spreche dann von<br />
Nichtformalisierbarkeit. Sowohl aus den Forschungen zur künstlichen<br />
Intelligenz als auch aus <strong>der</strong> Expertenforschung wissen wir,<br />
dass e<strong>in</strong>e solche Formalisierung immer dort schwierig ist, wo das<br />
fragliche Können gerade dar<strong>in</strong> besteht, dass jemand nicht Dienst<br />
nach Vorschrift macht, son<strong>der</strong>n sich subtil auf den jeweiligen situativen<br />
Kontext e<strong>in</strong>lässt.<br />
Das Instruktionsproblem<br />
Es gibt Fälle, <strong>in</strong> denen wir das, was e<strong>in</strong> Könner kann, sehr wohl <strong>in</strong><br />
Form von Regeln beschreiben können. Das Problem ist nur: Diese<br />
Regeln eignen sich nicht dafür, damit an<strong>der</strong>e o<strong>der</strong> sich selbst zu<br />
<strong>in</strong>struieren.<br />
Denken wir noch e<strong>in</strong>mal an das Beispiel des Radfahrens zurück.<br />
Kaum jemand von uns kann verbalisieren, was genau er macht,<br />
wenn er am Rad das Gleichgewicht hält. Gleichwohl: Dieses Können<br />
ist formalisierbar. Physiker nämlich kennen die Regeln, die<br />
Radfahrer <strong>in</strong>tuitiv befolgen. Sie lautet: Je<strong>der</strong> auftretende Neigungsw<strong>in</strong>kel<br />
ist zu kompensieren durch e<strong>in</strong>e Lenkbewegung<br />
<strong>in</strong> die Richtung des Ungleichgewichts, die e<strong>in</strong>e die Wirkung <strong>der</strong><br />
Schwerkraft aufhebende Zentrifugalkraft auslöst, wobei <strong>der</strong><br />
Radius <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Lenkbewegung beschriebenen Kurve dem<br />
Quadrat <strong>der</strong> Fahrgeschw<strong>in</strong>digkeit dividiert durch den Neigungsw<strong>in</strong>kel<br />
entsprechen muss.<br />
Der Punkt ist nur: Obwohl die Regel beschreibt, wie es geht, kann<br />
man mit ihr nicht lernen, wie es geht. Nicht jede beschreibende<br />
Regel ist auch e<strong>in</strong>e generative Regel, durch die wir das Verhalten<br />
erzeugen können, das die Regeln anbefiehlt.<br />
[...]<br />
Der Lehramtsstudierende, <strong>der</strong> beispielsweise weiß, dass er am<br />
Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es neuen thematischen Abschnitts e<strong>in</strong>en advance organizer<br />
geben soll, muss immer noch selbst entscheiden, was als<br />
„Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es neuen thematischen Abschnitts“ gelten soll und<br />
wie <strong>der</strong> „advance organizer“ <strong>in</strong> dieser Situation, im Lichte <strong>der</strong> angestrebten<br />
Lernziele und für diese Zielgruppe konkret aussehen<br />
soll. Wer weiß, dass er nach e<strong>in</strong>er Frage an die Schüler genügend<br />
Zeit zum Nachdenken geben soll, hat nicht notwendigerweise<br />
schon e<strong>in</strong> Gefühl dafür , was <strong>in</strong> <strong>der</strong> konkreten Situation als e<strong>in</strong>e<br />
solche „Frage“ gelten soll und was es heißt „genügend lange“ zu<br />
warten.<br />
(Neuweg 2016, 30 ff.)<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
11
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
schiedlichen Bed<strong>in</strong>gungen nicht gerecht<br />
werden („Nach je<strong>der</strong> Frage 3 Sekunden<br />
warten!“) o<strong>der</strong> sie passen <strong>in</strong> ihrer Allgeme<strong>in</strong>heit<br />
zwar auf viele Situationen,<br />
s<strong>in</strong>d durch ihre Abstraktheit aber stark<br />
auslegungsbedürftig (s. das Beispiel im<br />
Kasten „Instruktionsproblem“).<br />
Der Erfolg pädagogischer Maßnahmen,<br />
didaktischer Konzepte o<strong>der</strong><br />
methodischer Verfahren ist immer<br />
kontextabhängig und deshalb müssen<br />
Regeln situationsbezogen ausgelegt<br />
werden. Diese Auslegung kann man den<br />
Regeln selbst nicht entnehmen, sie erfor<strong>der</strong>t<br />
e<strong>in</strong>e durch vielfältige Erfahrung<br />
geschulte Urteilskraft.<br />
Die E<strong>in</strong>sicht, dass pädagogisches<br />
Handeln auf die „Intelligenz des Unbewussten<br />
und die Macht <strong>der</strong> Intuition“<br />
(Gigerenzer 2007) angewiesen ist, bedeutet<br />
nicht, die Kraft von (nachträglicher)<br />
Reflexion, von Theorien und<br />
von empirischer Forschung zu leugnen.<br />
Es geht um Balance – und um selbstkritische<br />
Bescheidenheit, um gegenseitigen<br />
Respekt und um die Aufgabe<br />
von Hierarchie-Ansprüchen.<br />
Wissenschaft eröffnet wichtige an<strong>der</strong>e<br />
Blicke auf Praxis – aber <strong>der</strong>en Ertrag<br />
für das Handeln im pädagogischen Alltag<br />
ist nicht besser als die Erfahrung von<br />
Lehrer*<strong>in</strong>nen.<br />
Professionalisierung bedeutet nicht,<br />
dass Lehrer*<strong>in</strong>nen sich als gehorsame<br />
Empfänger*<strong>in</strong>nen wissenschaftlicher<br />
Das Modifikationsproblem<br />
Das Konzept e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>tuitiv-improvisierenden<br />
Handelns ist gerade für die Lehrerbildungsforschung<br />
hochattraktiv, weil das<br />
Bild des <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sich selbst <strong>in</strong>struierende<br />
und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ausführende Person gespaltenen<br />
Experten dem berufsfertigen Lehrer<br />
nur sehr e<strong>in</strong>geschränkt gerecht wird. [ …]<br />
Erkenntnisse verstehen, son<strong>der</strong>n dass<br />
sie den Austausch mit an<strong>der</strong>en (auch<br />
mit Wissenschaft) suchen, um ihre Erfahrungen<br />
immer wie<strong>der</strong> selbstkritisch<br />
zu überdenken.<br />
Denn die Stärke impliziter Erfahrung<br />
ist auch ihre Achillesferse: ihre enge B<strong>in</strong>dung<br />
an reale (aber oft zufällige) Situationen<br />
und ihre Abhängigkeit von <strong>der</strong><br />
persönlichen Wahrnehmung und Deutung<br />
– mit <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong>en bl<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
Rout<strong>in</strong>isierung (Neuweg 2016, 107 f.).<br />
Entwickeln kann sich die persönliche<br />
Urteilskraft nur durch Handlungsversuche<br />
<strong>in</strong> unterschiedlichen Kontexten<br />
o<strong>der</strong> über wechselseitige Hospitationen<br />
und durch die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit<br />
an<strong>der</strong>en Perspektiven (s. den Beitrag<br />
von Beermann/Buncher zum „Blick<br />
über den Zaun“ <strong>in</strong> diesem Heft). Das<br />
können Theorien und empirische Befunde<br />
se<strong>in</strong>, aber eben auch die Sichtweisen<br />
von Kolleg*<strong>in</strong>nen, vor allem <strong>in</strong><br />
Für ihn s<strong>in</strong>d vielmehr […] e<strong>in</strong>e rasche<br />
Situationsauffassung und e<strong>in</strong> Beurteilen<br />
und Handeln kennzeichnend, das er als<br />
weitgehend <strong>in</strong>tuitiv erlebt und auch so<br />
erleben muss, um dem hohen Interaktionstempo,<br />
<strong>der</strong> Eigendynamik und <strong>der</strong><br />
situativen Komplexität des Unterrichts<br />
gewachsen zu se<strong>in</strong>…“<br />
(Neuweg 2016, 211)<br />
multiprofessionellen Teams (s. den Betrag<br />
von NN <strong>in</strong> diesem Heft). Zu dem,<br />
was das für die Lehrer*<strong>in</strong>nen-Bildung<br />
und ihre verschiedenen Phasen konkret<br />
bedeutet, hat Neuweg (2022) bedenkenswerte<br />
Argumente im Detail diskutiert.<br />
Prof. em. Hans Brügelmann,<br />
Mitglied im Vorstand <strong>der</strong> GSV-Landesgruppe<br />
Bremen<br />
Literatur<br />
Br<strong>in</strong>kmann, E./ Brügelmann, H. (2018): Wie<br />
können Anfänger lernen, was Könner nicht<br />
wissen? Zur Bedeutung impliziten Wissens<br />
und <strong>in</strong>zidentellen Lernens für den (Schrift-)<br />
Spracherwerb und se<strong>in</strong>e För<strong>der</strong>ung. In:<br />
Gutzmann, M. (Hrsg.) (2018): Sprachen und<br />
Kulturen. Beiträge zur Reform <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong>,<br />
Bd. 146. Grundschulverband:<br />
Frankfurt (222-233); Download:<br />
https://www.pedocs.de/volltexte/2021/23735<br />
Brügelmann, H. (2015): Vermessene Pädagogik<br />
– Standardisierte Schüler. Zu Risiken und<br />
Nebenwirkungen von PISA, Hattie, VerA und<br />
Co. Beltz: We<strong>in</strong>heim/Basel. Download <strong>der</strong><br />
Kurzfassung unter:<br />
https://t1p.de/evidenzkritik-PAEDAGOGIK<br />
Gigerenzer, G. (2007): Bauchentscheidungen.<br />
Die Intelligenz des Unbewussten und die<br />
Macht <strong>der</strong> Intuition. Bertelsmann: München.<br />
Neuweg, G. H. (2015): Das Schweigen <strong>der</strong><br />
Könner. Gesammelte Schriften zum impliziten<br />
Wissen. Waxmann: Münster/ New York.<br />
Neuweg, G. H. (2021): Reflexivität. Über<br />
Wesen, S<strong>in</strong>n und Grenzen e<strong>in</strong>es lehrerbildungsdidaktischen<br />
Leitbildes. In: Zeitschrift<br />
für Bildungsforschung,<br />
https://doi.org/10.1007/s35834-021-00320-8<br />
Neuweg, G. H. (2022): Lehrerbildung. Zwölf<br />
Denkfiguren im Spannungsfeld von Wissen<br />
und Können. Waxmann: Münster/New York.<br />
Polanyi, M. (1985): Implizites Wissen.<br />
Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 543.<br />
Suhrkamp: Frankfurt (engl. 1958).<br />
„Bürger:<strong>in</strong>nen machen mobil für e<strong>in</strong>e bessere Bildung“<br />
Aus dem freudigen Anlass <strong>der</strong> Auszeichnung<br />
von Maresi Lassek mit dem<br />
Bundesverdienstkreuz und unserem<br />
aktuellen Bericht hierzu werden wir den<br />
Beitrag „Bürger:<strong>in</strong>nen machen mobil für<br />
e<strong>in</strong>e bessere Bildung“ an den Beispielen<br />
„Bürgerrats Bildung und Lernen“ sowie<br />
„Bildungswende jetzt!“ <strong>in</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
aktuell im Februar veröffentlichen.<br />
Freuen Sie sich schon jetzt darauf!<br />
12 GS aktuell 164 • November 2023
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Alad<strong>in</strong> El-Mafaalani<br />
„Mit e<strong>in</strong>er halben Stelle zusätzlich für<br />
Schulsozialarbeit ist es nicht getan“<br />
Prof. Alad<strong>in</strong> El-Mafaalani im Interview<br />
mit dem Deutschen Schulportal<br />
Deutsches Schulportal (DS): Herr<br />
Prof. El-Mafaalani, brauchen wir mehr<br />
multiprofessionelle Teams an den<br />
Schulen?<br />
Alad<strong>in</strong> El-Mafaalani: Ja, und zwar aus<br />
verschiedenen Gründen: Zum e<strong>in</strong>en<br />
müssen Schulen heute viel mehr Aufgaben<br />
erfüllen als früher. Zum an<strong>der</strong>en<br />
ist soziale Ungleichheit heute e<strong>in</strong><br />
viel schwerwiegen<strong>der</strong>es Problem. Die<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen Ungleichheit<br />
gab es zwar schon immer, aber<br />
gesellschaftlich wurde stillschweigend<br />
akzeptiert, dass 10 Prozent e<strong>in</strong>es Jahrgangs<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule scheitern. Aufgrund<br />
des demografischen Wandels können<br />
wir aber heute auf ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d verzichten.<br />
Und um das zu erreichen, brauchen wir<br />
e<strong>in</strong>e multiprofessionelle Zusammenarbeit<br />
an den Schulen – eigentlich schon<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Kita.<br />
Bedarf an multiprofessionellen<br />
Teams vor allem an <strong>Grundschule</strong>n<br />
DS: Brauchen wir solche Teams an<br />
allen Schulen? O<strong>der</strong> für welche Schulen,<br />
für welche Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler vor allem?<br />
El-Mafaalani: Zwei D<strong>in</strong>ge sollten Vorrang<br />
haben: das Alter <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler – wir brauchen multiprofessionelle<br />
Teams vor allem <strong>in</strong><br />
<strong>Grundschule</strong>n – und e<strong>in</strong>e benachteiligte<br />
Lage <strong>der</strong> Schule.<br />
Aus diesen beiden Kriterien kann<br />
man e<strong>in</strong>e Rangfolge ableiten: 1. <strong>Grundschule</strong>n<br />
<strong>in</strong> schwieriger sozialer Lage, 2.<br />
alle an<strong>der</strong>en <strong>Grundschule</strong>n, 3. weiterführende<br />
Schulen <strong>in</strong> schwieriger sozialer<br />
Lage. Und wenn man dann noch<br />
genug Personal und Geld hat, kann<br />
man irgendwann auch alle an<strong>der</strong>en<br />
weiterführenden Schulen mit multiprofessionellen<br />
Teams ausstatten.<br />
DS: Wieso vor allem <strong>Grundschule</strong>n?<br />
El-Mafaalani: Die <strong>Grundschule</strong>n stehen<br />
vor den größten Herausfor<strong>der</strong>ungen,<br />
denn die gesellschaftlichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
– wachsende Armut, verän<strong>der</strong>te<br />
Familienstrukturen und zu -<br />
nehmende Migration – kommen am<br />
stärksten <strong>in</strong> den <strong>Grundschule</strong>n an.<br />
Zunehmend arbeiten oft beide Elternteile<br />
und müssen sich darauf verlassen<br />
können, dass die <strong>Grundschule</strong> ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
im Ganztag <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er guten Art und<br />
Weise versorgt. Außerdem ist <strong>der</strong> Anteil<br />
neu zugewan<strong>der</strong>ter K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die unterschiedliche<br />
Sprachen sprechen und<br />
e<strong>in</strong>e Vielfalt an kulturellen Prägungen<br />
mitbr<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong> den <strong>Grundschule</strong>n am<br />
höchsten. Das ist e<strong>in</strong>e Stärke und etwas<br />
Positives, wenn man damit umgehen<br />
kann. Es wird allerd<strong>in</strong>gs schwierig,<br />
wenn das System noch so funktioniert<br />
wie vor e<strong>in</strong> paar Jahrzehnten. Und die<br />
größte Herausfor<strong>der</strong>ung s<strong>in</strong>d die Verfestigung<br />
und Konzentration von<br />
Armut.<br />
Diese wachsenden Herausfor <strong>der</strong>ungen<br />
müssen die <strong>Grundschule</strong>n mit<br />
immer weniger Personal bewältigen,<br />
denn <strong>der</strong> Lehrkräftemangel ist hier am<br />
größten. Daher ist es wichtig, gerade<br />
sie mit multiprofessionellen Teams zu<br />
unterstützen. Denn wenn die <strong>Grundschule</strong>n<br />
nicht funktionieren, haben<br />
auch die weiterführenden Schulen ke<strong>in</strong>e<br />
Chance.<br />
Man muss also bei <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
anfangen, wenn man das System neu<br />
aufstellen will. Will man nur Krisenmanagement<br />
betreiben, kann man<br />
natürlich auch erst mal überall e<strong>in</strong> bisschen<br />
multiprofessionelle Teams e<strong>in</strong>setzen.<br />
Der Bildungsforscher und Soziologe Alad<strong>in</strong><br />
El-Mafaalani sieht <strong>in</strong> multiprofessionellen<br />
Teams den entscheidenden Hebel,<br />
um den wachsenden Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
im Bildungssystem zu begegnen. Sie<br />
müssten e<strong>in</strong>e tragende Säule <strong>in</strong> den Schulen<br />
werden. Welche Schularten er dabei<br />
priorisiert, welche Umverteilung angesichts<br />
des Fachkräftemangels stattf<strong>in</strong>den<br />
müsste und wie die Steuerung aussehen<br />
sollte, erklärt Alad<strong>in</strong> El-Mafaalani dem<br />
Schulportal im Interview.<br />
Annette Kuhn, 28. Juni 2023<br />
Das Interview erschien am 28. Juni 2023 auf<br />
dem Deutschen Schulportal<br />
Das Deutsche Schulportal <strong>der</strong> Robert Bosch<br />
Stiftung ist die größte deutschsprachige Onl<strong>in</strong>eplattform<br />
zu den Themen Schulentwicklung<br />
und Unterrichtsentwicklung.<br />
Getragen vom Erfahrungsschatz zahlreicher<br />
mit dem Deutschen Schulpreis<br />
aus ge zeichneter Schulen bietet es Praxisimpulse<br />
und aktuelle Informationen für<br />
pädagogische Fachkräfte und alle, die sich<br />
für gute Schulen <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>setzen.<br />
https://deutsches-schulportal.de/<br />
bildungswesen/alad<strong>in</strong>-el-mafaalanimultiprofessionelle-teams-mit-e<strong>in</strong>er-halben-stelle-zusaetzlich-fuer-schulsozialarbeit-ist-es-nicht-getan/<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
13
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
DS: Mit Blick auf das Startchancen-<br />
Programm: Wissen wir denn überhaupt,<br />
welche Schulen am meisten<br />
Unterstützung brauchen?<br />
El-Mafaalani: Der Soziologe Marcel<br />
Helbig hat dazu gerade e<strong>in</strong>e sehr wichtige<br />
Studie vorgelegt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er für die<br />
E<strong>in</strong>zugsgebiete aller <strong>Grundschule</strong>n <strong>in</strong><br />
Deutschland die K<strong>in</strong><strong>der</strong>armutsquoten<br />
berechnet hat. Jetzt können wir erstmals<br />
die Schulen <strong>in</strong> sozialstrukturell schwierigster<br />
Lage identifizieren. Wir sehen<br />
e<strong>in</strong>e klare Konzentration <strong>in</strong> bestimmten<br />
Regionen, und das macht deutlich,<br />
dass das Gießkannenpr<strong>in</strong>zip bei <strong>der</strong><br />
Verteilung <strong>der</strong> Mittel aus dem Startchancen-Programm<br />
nicht s<strong>in</strong>nvoll ist.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule alles<br />
erleben, was sozial ungleich verteilt ist<br />
DS: Wen braucht es <strong>in</strong> multiprofessionellen<br />
Teams vor allem?<br />
El-Mafaalani: Wichtig wären <strong>in</strong> jedem<br />
Fall Professionen, die die soziale Lage im<br />
Blick haben: also Sozialpädagog<strong>in</strong>nen<br />
und Sozialpädagogen, aber auch alle,<br />
die sich mit Gesundheit und Ernährung<br />
von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n befassen und die systematische<br />
Eltern- und Familienarbeit<br />
machen.<br />
Und man müsste die <strong>Grundschule</strong>n so<br />
organisieren, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong> dort alles<br />
erleben können, was unsere Gesellschaft<br />
Positives zu bieten hat. All das,<br />
was sozial ungleich verteilt ist, sollte <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Schule angeboten werden – zum<br />
Beispiel die Möglichkeit, e<strong>in</strong> Musik<strong>in</strong>strument<br />
zu erlernen. Dazu brauchen wir<br />
Musikpädagog<strong>in</strong>nen und -pädagogen.<br />
Das Gleiche gilt für Kunst und an<strong>der</strong>e<br />
Kulturangebote.<br />
Schulen sollten auch stärker mit entsprechenden<br />
E<strong>in</strong>richtungen und mit<br />
Sportvere<strong>in</strong>en kooperieren. E<strong>in</strong>ige Schulen<br />
machen das schon, aber man muss<br />
damit anfangen, solche Kooperationen<br />
<strong>in</strong> die Fläche zu bekommen. Dafür können<br />
sich <strong>Grundschule</strong>n zusammentun<br />
und zu kle<strong>in</strong>en logistischen Betrieben<br />
werden, um K<strong>in</strong><strong>der</strong> zum Beispiel zu<br />
Sportvere<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> zur Musikschule<br />
zu br<strong>in</strong>gen, etwa wenn es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />
Schulen zu wenig Raum für vielfältige<br />
Angebote gibt. Für diese Organisation<br />
brauchen Schulen auch mehr Verwaltungskräfte.<br />
Diese For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gewerkschaften<br />
halte ich für sehr wichtig.<br />
DS: Inwiefern müssen Eltern über<br />
multiprofessionelle Teams erreicht<br />
werden?<br />
El-Mafaalani: Es ist für K<strong>in</strong><strong>der</strong> un günstig,<br />
wenn Elternhaus und Schule gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
o<strong>der</strong> parallel zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> arbeiten.<br />
Gerade für den Lernerfolg, für den<br />
Ausgleich sozialer Ungleichheit und für<br />
den reibungsloseren Ablauf des Schulalltags<br />
ist die Elternarbeit zentral. Wenn<br />
man sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule mit den<br />
Problemen <strong>der</strong> Eltern befasst, löst man<br />
oft automatisch die Probleme <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Aber wichtig dabei ist: Lehrkräfte<br />
s<strong>in</strong>d nicht die geeignete Profession für<br />
e<strong>in</strong>e systematische Elternarbeit, weil sie<br />
dafür gar nicht ausgebildet s<strong>in</strong>d. Daran<br />
sollte man auch nichts än<strong>der</strong>n, denn<br />
Lehrkräfte sollten mehr Zeit für den<br />
Unterricht haben. Für die Elternarbeit<br />
brauchen wir an<strong>der</strong>e Professionen. Aber<br />
um die entsprechenden Fachkräfte <strong>in</strong><br />
den Schulen zu haben, müssen wir umorganisieren.<br />
Umverteilung von Fachkräften<br />
zugunsten <strong>der</strong> Schule<br />
DS: In welcher Weise?<br />
El-Mafaalani: Wir haben nur e<strong>in</strong>e<br />
begrenzte Zahl von Sozialpädagog<strong>in</strong>nen<br />
und Sozialpädagogen. Da müssen e<strong>in</strong>ige<br />
von an<strong>der</strong>en Stellen „abgezogen“ und<br />
<strong>in</strong> die Schulen here<strong>in</strong>geholt werden. Das<br />
kann man aber auch guten Gewissens<br />
machen, denn wenn die Ganztagsschule<br />
die Regel ist und fast alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> dort<br />
s<strong>in</strong>d, macht es S<strong>in</strong>n, die pädagogische<br />
Expertise <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule zu konzentrieren.<br />
DS: S<strong>in</strong>d multiprofessionelle Teams<br />
angesichts des weiter steigenden<br />
Personalmangels an Schulen überhaupt<br />
umsetzbar?<br />
El-Mafaalani: Man braucht hier kreative<br />
Lösungen und muss ehrenamtliche Initiativen<br />
wie zum Beispiel Lesepaten systematisch<br />
mit <strong>der</strong> Schule verknüpfen.<br />
Und wir müssen noch viel mehr pensionierte<br />
und verrentete Menschen <strong>in</strong>s<br />
System holen, die dafür bezahlt werden.<br />
Sonst wird es nicht gel<strong>in</strong>gen. Wir s<strong>in</strong>d<br />
lei<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation, dass wir Ganztag<br />
und multiprofessionelle Teams e<strong>in</strong>führen<br />
wollen, wenn <strong>der</strong> demografische<br />
Wandel auf se<strong>in</strong>em Höhepunkt ist.<br />
E<strong>in</strong> System e<strong>in</strong>zuführen, <strong>in</strong> dem man<br />
expandieren will, es aber immer weniger<br />
Fachkräfte gibt, ist schwierig.<br />
Natürlich gibt es Orte <strong>in</strong> Deutschland,<br />
wo sich kreative Lösungen nicht f<strong>in</strong>den<br />
lassen. Wichtig ist aber, dass wir dort,<br />
wo sie möglich s<strong>in</strong>d, diese auch nutzen.<br />
Gerade <strong>in</strong> segregierten Stadtteilen ist die<br />
Zivilgesellschaft vor Ort oft viel weiter<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bearbeitung von sozialen Problemen.<br />
Das könnte man viel mehr nutzen.<br />
Lösungen vor Ort suchen<br />
DS: Wer soll diese kreativen Lösungen<br />
f<strong>in</strong>den und das alles steuern?<br />
El-Mafaalani: Das darf man nicht aus<br />
den Landeshauptstädten heraus organisieren,<br />
weil die Problemlagen <strong>in</strong>nerhalb<br />
e<strong>in</strong>es Bundeslands und <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />
Region viel zu unterschiedlich s<strong>in</strong>d. Das<br />
zeigt auch die Studie von Marcel Helbig.<br />
Das kann also nur funktionieren, wenn<br />
man vor Ort schaut, wie sich Schulen<br />
öffnen und vernetzen können und<br />
wie sich die Angebote mit den Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Schule <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Passungsverhältnis<br />
br<strong>in</strong>gen lassen.<br />
DS: Brauchen Schulen dafür mehr<br />
Eigenständigkeit?<br />
El-Mafaalani: Ja, Schulleitungen brauchen<br />
hier e<strong>in</strong>e gewisse Handlungsautonomie<br />
und eigene Budgets. Wir müssen<br />
die Reihenfolge än<strong>der</strong>n.<br />
Im Augenblick ist es so: Man muss<br />
erst mal e<strong>in</strong>en Plan machen und alles<br />
begründen, dann wird das e<strong>in</strong>gereicht<br />
und genehmigt o<strong>der</strong> nicht, und dann<br />
erst kann es losgehen.<br />
Dieser Weg funktioniert aber nicht,<br />
wenn man flexibler auf die Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
reagieren will. Denn zum<br />
e<strong>in</strong>en dauert das sehr lang, und zum<br />
an<strong>der</strong>en können die Schulen viel besser<br />
sehen, was sie brauchen, und davon ausgehend<br />
Lösungen vor Ort entwickeln.<br />
Es wäre gut, wenn Schulen aktiv werden<br />
können und sich dann rückwirkend<br />
rechtfertigen.<br />
Aber ich b<strong>in</strong> optimistisch, dass sich<br />
die Steuerung <strong>in</strong> diese Richtung entwickeln<br />
kann, weil <strong>der</strong> alte Weg alle<strong>in</strong><br />
aufgrund des Fachkräftemangels gar<br />
nicht mehr zu bewerkstelligen ist. Aus<br />
<strong>der</strong> Not heraus wird hier mehr Flexibilität<br />
ermöglicht.<br />
14 GS aktuell 164 • November 2023
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
DS: Multiprofessionelle Teams an<br />
Schulen ist ke<strong>in</strong>e neue Idee, son<strong>der</strong>n<br />
schon lange im Gespräch. Sie selbst<br />
haben sie schon lange gefor<strong>der</strong>t.<br />
Warum hat sich so lange nichts getan?<br />
El-Mafaalani: Die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es<br />
Anspruchs auf e<strong>in</strong>en Kitaplatz war<br />
genauso wenig bildungspolitisch motiviert,<br />
wie es nun <strong>der</strong> Anspruch auf<br />
Ganztagsbetreuung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
ist. All das ist e<strong>in</strong>e Reaktion auf den<br />
demografischen Wandel, damit Mütter<br />
und Väter erwerbstätig se<strong>in</strong> können.<br />
Aber die Müttererwerbsquote hat sich<br />
bisher nicht wesentlich verbessert. Das<br />
liegt hauptsächlich daran, dass Eltern<br />
mit dem System, wie es jetzt ist, nicht<br />
zufrieden s<strong>in</strong>d. Sie achten auf Verlässlichkeit<br />
und Qualität, und die hat sich<br />
bislang nicht verbessert.<br />
Es reicht nicht, e<strong>in</strong>fach nur Plätze formal<br />
bereitzustellen. Mehr Qualität bekommen<br />
wir nur durch e<strong>in</strong>e Öffnung<br />
<strong>der</strong> Schulen und durch die Arbeit von<br />
multiprofessionellen Teams. Mit e<strong>in</strong>er<br />
halben Stelle zusätzlich für Schulsozialarbeit<br />
ist es aber nicht getan. Die multiprofessionellen<br />
Teams müssen e<strong>in</strong>e stabile,<br />
eigenständige und relevante Säule<br />
an <strong>der</strong> Schule se<strong>in</strong>. Der aktuelle Ruf nach<br />
multiprofessionellen Teams ist also <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Arbeitsmarktpolitik begründet, zum<strong>in</strong>dest<br />
<strong>in</strong>direkt.<br />
Personal auf breitere Füße stellen<br />
DS: Sehen Sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stärkung multiprofessioneller<br />
Teams die Gefahr,<br />
dass an Schulen <strong>in</strong> kritischer Lage<br />
möglicherweise immer weniger ausgebildete<br />
Lehrkräfte arbeiten?<br />
El-Mafaalani: Diese Gefahr mag existieren.<br />
Aber es ist die zweitschlimmste.<br />
Die schlimmste Gefahr ist <strong>der</strong> Lehrermangel<br />
an den Schulen <strong>in</strong> segregierten<br />
Stadtteilen. Er ist am stärksten an<br />
<strong>Grundschule</strong>n <strong>in</strong> schwieriger Lage und<br />
<strong>in</strong> strukturschwachen Regionen. Um<br />
hier gegenzusteuern, ist es zunächst<br />
e<strong>in</strong>e Lösung, das Personal auf breitere<br />
Füße zu stellen und sich damit zu arrangieren,<br />
nicht besetzte Lehrkräftestellen<br />
mit an<strong>der</strong>en Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeitern<br />
aufzufüllen. Das ist ke<strong>in</strong>eswegs<br />
optimal und auch ke<strong>in</strong>e dauerhafte<br />
Lösung – aber immer noch besser, als<br />
wenn die Stellen unbesetzt s<strong>in</strong>d.<br />
DS: Brauchen wir nicht e<strong>in</strong>e stärkere<br />
bedarfsorientierte Ressourcenzuweisung<br />
an Schulen – nach dem<br />
Motto „Die besten Fachkräfte an die<br />
schwierigsten Schulen“ –, um das Problem<br />
zu lösen?<br />
El-Mafaalani: Würde man das h<strong>in</strong>be -<br />
kommen, ohne dass es zu starken<br />
Unruhen kommt, wäre ich e<strong>in</strong> großer<br />
Sympathisant von so e<strong>in</strong>er Idee. Aber<br />
wenn dabei große Konflikte entstehen,<br />
halte ich es für s<strong>in</strong>nvoller, das System<br />
erst mal mit vielen Ressourcen zu stabilisieren<br />
und die Schulen <strong>in</strong> schwierigen<br />
Lagen gut auszustatten. Denn wenn<br />
Lehrkräfte sehen, dass die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
an diesen Schulen gut<br />
s<strong>in</strong>d, dann ist es für sie deutlich attraktiver,<br />
dort zu arbeiten.<br />
Zum Autor<br />
Alad<strong>in</strong> El-Mafaalani<br />
ist e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> bekanntesten Soziologen<br />
<strong>in</strong> Deutschland. Se<strong>in</strong>e Bücher „Das<br />
Integrationsparadox“ (2018), „Mythos<br />
Bildung“ (2020) und „Wozu Rassismus?“<br />
(2021) s<strong>in</strong>d Bestseller.<br />
Er ist Professor für Erziehungswissenschaft<br />
und Inhaber des Lehrstuhls für<br />
Erziehung und Bildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft<br />
an <strong>der</strong> Universität<br />
Osnabrück. Außerdem arbeitet Alad<strong>in</strong><br />
El-Mafaalani <strong>in</strong> verschiedenen Sachverständigengremien,<br />
u. a. ist er Mitglied<br />
im Bundesjugendkuratorium. Zuvor<br />
hat Alad<strong>in</strong> El-Mafaalani unter an<strong>der</strong>em<br />
als Professor für Politikwissenschaft<br />
und politische Soziologie an <strong>der</strong> Fachhochschule<br />
Münster gearbeitet und<br />
war Lehrer am Berufskolleg <strong>in</strong> Ahlen <strong>in</strong><br />
Westfalen.<br />
„Schularchitektur und Lernraumkultur“<br />
Der Band 157 „Schularchitektur und Lernraumkultur“<br />
zeigt mit e<strong>in</strong>er Vielfalt an Texten<br />
und Fotos Möglichkeiten für e<strong>in</strong>e Planung von<br />
Schulen sowie Neugestaltung von Lernräumen<br />
auf, die sowohl Schulbauplaner:<strong>in</strong>nen als auch<br />
Kollegien Perspektiven und Impulse bieten. Da<br />
<strong>der</strong> Erwerb <strong>der</strong> Bildrechte für zahlreiche Abbildungen<br />
aus unterschiedlichen Län<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>es<br />
beson<strong>der</strong>s sorgfältigen Aufwands bedarf, verschiebt<br />
sich das Ersche<strong>in</strong>ungsdatum lei<strong>der</strong> auf<br />
die Anfangsmonate 2024. Als Appetizer werden<br />
wir allen Mitglie<strong>der</strong>n demnächst e<strong>in</strong>en Vorabdruck<br />
mit e<strong>in</strong>igen Kapiteln zukommen lassen.<br />
Wir bitten herzlich um Verständnis und können<br />
schon jetzt e<strong>in</strong>en ganz beson<strong>der</strong>en Bildband<br />
ankündigen.<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
15
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Kerst<strong>in</strong> Merz-Atalik<br />
Profession(alität) an<br />
<strong>in</strong>klusiven <strong>Grundschule</strong>n<br />
Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger machen mobil für e<strong>in</strong>e bessere Bildung<br />
Inklusive Schulentwicklung bedeutet<br />
auch, e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Vielfalt <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
und pädagogischen Konzepten<br />
angemessene Ressourcen- und<br />
Personalausstattung zu gewährleisten,<br />
dies zeigen Erfahrungen aus an<strong>der</strong>en<br />
europäischen Län<strong>der</strong>n (Merz-Atalik<br />
2021; Powell, J.J.W., Merz-Atalik, K. et<br />
al. 2021). Die Schulen <strong>in</strong> Deutschland<br />
haben bislang nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen<br />
e<strong>in</strong>e angemessene Personalausstattung<br />
vorzuweisen.<br />
Die menschenrechtlich gefor<strong>der</strong>te<br />
Transformation zu e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> klusiven<br />
Bildungssystem (UN<br />
Con vention of the Rights of Persons<br />
with Disabilities, UNCRPD 2006) – zu<br />
<strong>der</strong> sich die Bundesregierung 2009 verpflichtet<br />
hat – setzt neben <strong>der</strong> grundlegenden<br />
Ressourcenzuweisung auch<br />
e<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusionsermöglichendes Ressourcen<br />
management <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Schu len<br />
sowie die <strong>in</strong>klusions orien tierte Professionalisierung<br />
(im S<strong>in</strong>ne von Haltun gen,<br />
Selbstwirksamkeitserwartun gen, Kompetenzen<br />
und Praktiken) aller beteiligten<br />
Fachkräfte, Lehrpersonen und<br />
Akteur*<strong>in</strong>nen voraus. Während dieser<br />
Tage <strong>in</strong> den Medien häufig <strong>der</strong> Fachkräftemangel<br />
im Bildungssystem für die<br />
bislang mangelhafte Umsetzung <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>klusiven Bildung verantwortlich<br />
gemacht wird, muss man feststellen,<br />
dass es <strong>in</strong> den letzten Jahren weitgehend<br />
versäumt wurde, die angemessenen<br />
Weichen für diese <strong>in</strong>klusionsgerichteten<br />
Transformationsprozesse im H<strong>in</strong>blick<br />
auf Professionen und <strong>Professionalität</strong><br />
für <strong>in</strong>klusive Schulen anzugehen.<br />
Der folgende Beitrag diskutiert daher<br />
die Frage:<br />
● Welche Profession(en) und<br />
● welche <strong>Professionalität</strong>(en) brauchen<br />
<strong>Grundschule</strong>n für die <strong>in</strong>klusive<br />
Bildung?<br />
Die Grundaskoli Akranes, e<strong>in</strong>e<br />
‚normale‘ Geme<strong>in</strong>schaftsschule (1 – 10)<br />
<strong>in</strong> Island.<br />
Die Schule hat 690 Schüler*<strong>in</strong>nen<br />
(2023/24), darunter zahlreiche K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
mit e<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>en För<strong>der</strong>bedarf.<br />
Alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Wohne<strong>in</strong>zugsgebiet haben<br />
das Recht die Schule zu besuchen.<br />
Nur unter 0,5 % <strong>der</strong> Schüler*<strong>in</strong>nen <strong>in</strong><br />
Island besuchen Son<strong>der</strong>schulen ( European<br />
Agency 2023; Daten von 2020).<br />
Empfehlungen zur<br />
Personalausstattung und<br />
Professionalisierung für<br />
Inklusive Bildung<br />
Die Professionalisierung von Lehrpersonen<br />
wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> UNCRPD<br />
als wesentliche Voraussetzung für<br />
gel<strong>in</strong>gende <strong>in</strong>klusive Schulentwicklung<br />
erkannt und konkrete H<strong>in</strong>weise zur<br />
Qualifizierung von Fach- und Lehrpersonen<br />
wurden dargelegt. Zur Verwirklichung<br />
des Rechts auf <strong>in</strong>klusive<br />
Bildung sollten die Vertragsstaaten<br />
(darunter Deutschland) geeignete Maßnahmen<br />
treffen,<br />
● „zur E<strong>in</strong>stellung von Lehrkräften,<br />
e<strong>in</strong>schließlich solcher mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen,<br />
die <strong>in</strong> Gebärdensprache o<strong>der</strong><br />
Brailleschrift ausgebildet s<strong>in</strong>d, und<br />
● zur Schulung von Fachkräften sowie<br />
Mitarbeiter*<strong>in</strong>nen auf allen Ebenen des<br />
Bildungswesens.<br />
● Diese Schulung schließt die Schärfung<br />
des Bewusstse<strong>in</strong>s für Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
und die Verwendung geeigneter<br />
ergänzen<strong>der</strong> und alternativer Formen,<br />
Mittel und Formate <strong>der</strong> Kommunikation<br />
sowie pädagogische Verfahren<br />
und Materialien zur Unterstützung von<br />
Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen e<strong>in</strong>“ (Beauftragter<br />
<strong>der</strong> Bundesregierung für die<br />
Belange von Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
2009, 22).<br />
Zum Kollegium gehören neben den<br />
Klassen- und Fachlehrer*<strong>in</strong>nen selbstverständlich<br />
auch „Support Teacher“,<br />
Schülerassistent*<strong>in</strong>nen, Psycholog*<strong>in</strong>nen,<br />
e<strong>in</strong>e Krankenpflegekraft und Sozialpädagog*<strong>in</strong>nen.<br />
Jede Klassenstufe (3 Parallelklassen) hat<br />
e<strong>in</strong>e/n Beratungslehrer*<strong>in</strong>. Und die Lehrpersonen<br />
formieren mit den an<strong>der</strong>en<br />
Fachkräften pro Klassenstufe e<strong>in</strong> „Student<br />
protection council“.<br />
In <strong>der</strong> Folge <strong>der</strong> ersten Staatenprüfung<br />
Deutschlands durch die UN zur Umsetzung<br />
<strong>der</strong> UNCRPD schrieb die Kommission<br />
<strong>in</strong> die ‚Abschließenden Bemerkungen‘,<br />
sie sei „besorgt darüber,<br />
dass <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> Schüler*<strong>in</strong>nen mit<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> dem Bildungssystem<br />
des Vertragsstaats segregierte För<strong>der</strong>schulen<br />
besucht“ (UN-Fachausschuss<br />
zur UNCRPD 2015, 8). Er empfahl dem<br />
Vertragsstaat daher auch bundesweite<br />
Initiativen zu entwickeln, und<br />
„a) umgehend e<strong>in</strong>e Strategie, e<strong>in</strong>en<br />
Aktionsplan, e<strong>in</strong>en Zeitplan und Ziele zu<br />
entwickeln, um <strong>in</strong> allen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
den Zugang zu e<strong>in</strong>em qualitativ hochwertigen,<br />
<strong>in</strong>klusiven Bildungssystem herzustellen,<br />
e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> notwendigen<br />
f<strong>in</strong>anziellen und personellen Ressourcen<br />
auf allen Ebenen; [sowie] (d) die Schulung<br />
aller Lehrkräfte auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>klusiven Bildung sowie die erhöhte Zugänglichkeit<br />
des schulischen Umfelds, <strong>der</strong><br />
Materialien und <strong>der</strong> Lehrpläne und die<br />
Bereitstellung von Gebärdensprache <strong>in</strong><br />
allgeme<strong>in</strong>en Schulen, e<strong>in</strong>schließlich für<br />
Postdoktoranden, sicherzustellen“. (UN-<br />
Fachausschuss zur UNCRPD 2015, 8;<br />
Hervor.d.Verf.).<br />
In dem im darauffolgenden Jahr veröffentlichten<br />
ausführlichen Kommentar<br />
zum Recht auf <strong>in</strong>klusive Bildung<br />
(2016, 33 Seiten) for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> UN-<br />
Fachausschuss erneut: „Alle Lehrkräfte<br />
16 GS aktuell 164 • November 2023
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
und sonstigen Mitarbeiter erhalten Bildungs-<br />
und Fortbildungsmaßnahmen,<br />
die ihnen die Kernwerte und -kompetenzen<br />
zur E<strong>in</strong>richtung angemessener<br />
Lernumgebungen […] vermitteln“ (UN<br />
Fachausschuss zur UNCRPD 2016, 6).<br />
Es wurde gar e<strong>in</strong> umfassen<strong>der</strong> Qualifizierungsprozess<br />
angeregt (vgl. Infokasten).<br />
Die OECD (Organisation für<br />
wirtschaftliche Zusammenarbeit und<br />
Entwicklung, 2021) empfiehlt neben <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>stellung und Professionalisierung<br />
von angehendem und bestehendem Personal,<br />
e<strong>in</strong>e bewusste Anbahnung von<br />
Diversität <strong>in</strong>nerhalb des Lehrkörpers<br />
(gemäß <strong>der</strong> Diversität <strong>der</strong> Lernenden),<br />
unter den Schulleitungen und <strong>der</strong><br />
unterstützenden Fachkräfte. Gemäß <strong>der</strong><br />
OECD geht es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>klusiven Schule<br />
nicht nur um die Integration von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen alle<strong>in</strong>, vielmehr<br />
handele es sich bei <strong>in</strong>klusiven<br />
und gerechten Bildungssystemen um<br />
solche, „die sicherstellen, dass das Erreichen<br />
des Bildungspotenzials nicht<br />
das Ergebnis persönlicher und sozialer<br />
Umstände ist, e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Faktoren<br />
wie Geschlecht, ethnische Herkunft,<br />
Migrantenstatus, beson<strong>der</strong>e Bildungsbedürfnisse<br />
und Begabung“ (OECD<br />
2021, 10).<br />
Professionen an <strong>in</strong>klusiven<br />
Schulen <strong>in</strong> Deutschland<br />
Während die Personalausstattung <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternational dom<strong>in</strong>ierenden<br />
<strong>in</strong>klusiven Geme<strong>in</strong>schaftsschulen<br />
(vgl. Merz-Atalik 2022) systembezogen<br />
als Grundausstattung erfolgt<br />
(vgl. das Beispiel aus Island), werden<br />
<strong>in</strong> Deutschland immer noch <strong>in</strong> den<br />
meisten Bundeslän<strong>der</strong>n die Personalressourcen<br />
für die <strong>in</strong>klusive Bildung an<br />
den Regelschulen „ressourcenneutral“<br />
berechnet. Zur Berechnung werden<br />
die Lehrerwochenstunden e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />
an e<strong>in</strong>er entsprechenden Son<strong>der</strong>schule<br />
erhoben, und sozusagen mit dem<br />
Die Personalausstattung von <strong>in</strong>klusiven<br />
Schulen <strong>in</strong> den deutschen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
gleicht e<strong>in</strong>em Flickenteppich.<br />
Während es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen e<strong>in</strong>e son<strong>der</strong>pädagogische<br />
Grundversorgung gibt<br />
(z. B. NRW o<strong>der</strong> Bremen), werden <strong>in</strong><br />
K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Regelschule gegeben (Rucksackmodell).<br />
Ausgehend von <strong>der</strong> Lehrkräfteversorgung<br />
an <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule<br />
kommt man so auf lediglich 1,7 zusätzliche<br />
Lehrerstunden pro Unterrichtstag<br />
und Klasse (Klemm 2021).<br />
Deutschland steht im <strong>in</strong>ternationalen<br />
Vergleich im Mittelfeld <strong>in</strong> Bezug auf die<br />
Lehrer-Schüler-Relation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Primarstufe.<br />
Während <strong>in</strong> Deutschland durchschnittlich<br />
15 Schüler*<strong>in</strong>nen auf e<strong>in</strong>e<br />
Lehrperson kamen, waren es bspw. <strong>in</strong><br />
Norwegen 10, <strong>in</strong> Island 10,5 und <strong>in</strong> Italien<br />
11,2 (OECD Data, Onl<strong>in</strong>e 2021).<br />
an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n Son<strong>der</strong>pädagog*<strong>in</strong>nen<br />
überwiegend lediglich nach<br />
festgelegten Deputatsstunden abgeordnet<br />
von den Son<strong>der</strong>schulen (so bspw. <strong>in</strong><br />
Bayern und Baden-Württemberg).<br />
„(71) E<strong>in</strong> schrittweiser Prozess <strong>der</strong><br />
Fortbildung aller Lehrkräfte an Vor-,<br />
Grund-, Sekundar-, Hoch- und Berufsschulen<br />
muss e<strong>in</strong>geleitet werden, um<br />
ihnen die notwendigen Kernkompetenzen<br />
und Werte für die Arbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
<strong>in</strong>klusiven Lernumfeld zu vermitteln. Es<br />
müssen hierfür Anpassungen berufsvorbereiten<strong>der</strong><br />
und berufsbegleiten<strong>der</strong> Bildungsmaßnahmen<br />
sowie für kurz- und<br />
langfristige Kurse zur schnellstmöglichen<br />
Entwicklung entsprechen<strong>der</strong><br />
Kompetenzen erfolgen, um den Übergang<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusives Bildungssystem<br />
zu ermöglichen.<br />
Allen Lehrkräften müssen zielführende<br />
(Lern) E<strong>in</strong>heiten/ Module zur Verfügung<br />
gestellt werden, um sie auf ihre Arbeit <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>klusiven Umfeld vorzubereiten;<br />
außerdem müssen sie praktische experimentelle<br />
Lernerfahrungen machen, mit<br />
Hilfe <strong>der</strong>er sie ihre Fertigkeiten entwickeln<br />
und ihr Vertrauen <strong>in</strong> ihre Fähigkeit,<br />
Probleme zu lösen, die sich aus unterschiedlichsten<br />
Inklusionsherausfor<strong>der</strong>ungen<br />
ergeben, aufbauen können.<br />
Das Kerncurriculum des Lehramtsstudiums<br />
muss e<strong>in</strong> grundlegendes<br />
Verständnis für menschliche Vielfalt,<br />
Wachstum und Entwicklung, den Menschenrechtsansatz<br />
im Bereich Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
und <strong>in</strong>klusiver Pädagogik<br />
vermitteln, e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Ermittlung<br />
<strong>der</strong> funktionalen Fähigkeiten <strong>der</strong><br />
Lernenden (Stärken, Kompetenzen und<br />
Lerntypen), um sicherzustellen, dass<br />
Lernende mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen an e<strong>in</strong>em<br />
<strong>in</strong>klusiven Lernumfeld teilhaben.<br />
Die Ausbildung von Lehrkräften sollte<br />
auch Wissen vermitteln im Bereich <strong>der</strong><br />
Verwendung von angemessenen Formen,<br />
Mitteln und Formaten <strong>der</strong> so genannten<br />
unterstützten Kommunikation,<br />
wie zum Beispiel Braille, Großdruck, zugängliche<br />
Multimedia-Produkte, leichte<br />
Sprache, leicht verständliche Sprache,<br />
Gebärdensprache und Gehörlosenkultur,<br />
Bildungstechniken und -materialien<br />
zur Unterstützung von Menschen mit<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus brauchen Lehrkräfte<br />
e<strong>in</strong>e praktische Anleitung und Unterstützung<br />
im Bereich des personalisierten<br />
Unterrichtens, welches die Vermittlung<br />
<strong>der</strong> gleichen Inhalte durch variierende<br />
Unterrichtsmethoden unter Berücksichtigung<br />
verschiedener Lernstile und<br />
Fähigkeiten ermöglicht, sowie bei <strong>der</strong><br />
Entwicklung und Nutzung <strong>in</strong>dividueller<br />
Lehrpläne, die beson<strong>der</strong>en Lernbedürfnissen<br />
gerecht werden, und bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung<br />
e<strong>in</strong>er Pädagogik, bei <strong>der</strong> die<br />
Lernenden und ihre e<strong>in</strong>zigartigen Fähigkeiten<br />
im Mittelpunkt stehen“<br />
(UN-Kommission, 2016, 30f; Herv. d. Verf.).<br />
Gemäß <strong>der</strong> Vielfalt an Lernvoraussetzungen<br />
und -bedürfnissen <strong>der</strong> Schüler*<strong>in</strong>nen<br />
gibt es an <strong>in</strong>klusiven Schulen<br />
<strong>in</strong>ternational zudem neben e<strong>in</strong>er<br />
besseren Lehrkräfteversorgung fest an<br />
den Schulen verankerte <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />
Professionen, die <strong>in</strong> Teams arbeiten<br />
(z. B. Psychopädagog*<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Spanien;<br />
Lehrer- o<strong>der</strong> Schülerassistent*<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> Island; Ressource-Teacher <strong>in</strong> Kanada<br />
o<strong>der</strong> Integrationslehrer*<strong>in</strong>nen<br />
und Mitarbeiter*<strong>in</strong>nen für Integration<br />
<strong>in</strong> Südtirol, Italien; vgl. Merz-Atalik<br />
2021). In Deutschland dom<strong>in</strong>ieren<br />
h<strong>in</strong>gegen bei den schulischen Unterstützungspersonen<br />
sogenannte ‚Schulbegleiter*<strong>in</strong>nen‘<br />
o<strong>der</strong> Integrationshelfer*<strong>in</strong>nen‘,<br />
die oftmals aus nicht-schulischen<br />
Mitteln f<strong>in</strong>anziert werden (z. B.<br />
E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe). Während es <strong>in</strong>ternational<br />
akademische (auf Bachelorniveau)<br />
o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest nicht-akademische<br />
Ausbildungsgänge für die zusätzlichen<br />
schulischen Assistent*<strong>in</strong>nen gibt,<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
17
Thema: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Bislang wurde es weitgehend versäumt,<br />
eigene Professionen und Berufsbil<strong>der</strong><br />
für die Arbeit <strong>in</strong> <strong>in</strong>klusiven Schulen zu<br />
entwerfen, bzw. vorhandene Professions-<br />
und Berufsbil<strong>der</strong> dementsprechend<br />
weiterzuentwickeln (z. B. durch eigenständige<br />
Profile <strong>in</strong> den Studiengängen<br />
für Erzieher*<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> Schulsozialarbeiter*<strong>in</strong>nen).<br />
zeichnet sich für Deutschland eher das<br />
Bild von nicht-zureichenden o<strong>der</strong> gar<br />
fehlenden Qualifizierungen ab. Klemm<br />
(2021) bemängelt diese fehlenden Standards<br />
für die Qualifizierung von Schulbegleitungen.<br />
Professionalisierung für<br />
Inklusive Bildung<br />
Trotz <strong>der</strong> bundesweiten Empfehlungen<br />
<strong>der</strong> KMK (2011) und <strong>der</strong> KMK/<br />
HRK (2015 ) zeigt sich e<strong>in</strong>e erhebliche<br />
Diskrepanz und Differenz <strong>in</strong> Bezug auf<br />
die Verankerung <strong>der</strong> Inklusion <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Lehrer*<strong>in</strong>nenbildung an den Hochschulen.<br />
E<strong>in</strong>e Studie des CHE ‚Centrum<br />
für Hochschulentwicklung‘ kam<br />
<strong>in</strong> 2015 zu dem Ergebnis, dass damals<br />
„verpflichtende Lehrveranstaltungen<br />
o<strong>der</strong> Module zum Thema Inklusion<br />
[...] an weniger als <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> Hochschulen<br />
umgesetzt“ (ebd., 6) wurden.<br />
Zudem gab es nur an sehr wenigen<br />
Hochschulstandorten verpflichtende<br />
schulpraktische Studien <strong>in</strong> <strong>in</strong>klusiven<br />
Sett<strong>in</strong>gs (7) und die Professionalisierung<br />
<strong>der</strong> Dozent*<strong>in</strong>nen für das Thema<br />
Inklusion lag weitgehend <strong>in</strong> <strong>der</strong>en eigener<br />
Verantwortung. Nur an wenigen<br />
Hochschulen gab es für die Nachqualifizierung<br />
<strong>der</strong> Dozent*<strong>in</strong>nen explizit<br />
Unterstützung (ebd.). Die Studie belegte<br />
zudem, dass die befragten Hochschulen<br />
zwar e<strong>in</strong>en weiten Begriff von Inklusion<br />
mit allen Heterogenitätsdimensionen<br />
befürworteten, jedoch die Thematik<br />
nicht unbed<strong>in</strong>gt als Querschnittsthema<br />
im H<strong>in</strong>blick auf unterschiedliche<br />
Diversitätsdimensionen o<strong>der</strong> Fachgebiete<br />
verankert hatten. In Qualität als<br />
auch im Studienumfang und <strong>der</strong> strukturellen<br />
Konsequenzen gab es sehr differente<br />
Umsetzungsformen. Dies hat<br />
sich bis heute nicht wesentlich geän<strong>der</strong>t,<br />
das zeigt die Folgestudie, welche durch<br />
den Monitor Lehrerbildung Onl<strong>in</strong>e<br />
veröffentlicht wurde (vgl. CHE 2022).<br />
Waren es 2014 noch 6 Bundeslän<strong>der</strong>, <strong>in</strong><br />
welchen Veranstaltungen zur Inklusion<br />
für alle Lehramtsstudiengänge verpflichtend<br />
waren, s<strong>in</strong>d es zwar mittlerweile<br />
10 (<strong>der</strong> 16 Bundeslän<strong>der</strong>), aber<br />
Tiefe und Umfang <strong>der</strong> <strong>in</strong>klusionsbezogenen<br />
Inhalte bleiben weitgehend<br />
beliebig und von standortbezogenen<br />
Interessen und Haltungen <strong>der</strong> Universitäten<br />
und Diszipl<strong>in</strong>en bee<strong>in</strong>flusst.<br />
Es fehlen bundesweite Standards, um<br />
e<strong>in</strong>e verlässliche und qualitativ hochwertige<br />
Professionalisierung für die<br />
Lehrpersonen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>klusiven Schule<br />
zu för<strong>der</strong>n. Dies gilt auch weitgehend<br />
für die dritte Phase <strong>der</strong> Lehrerbildung.<br />
Die Fortbildungsangebote zum Themenbereich<br />
‚Inklusion‘ seien laut e<strong>in</strong>er Studie<br />
völlig unzureichend (Daschner & Hanisch<br />
2019; nach: Klemm 2021).<br />
Lehramtsstudiengänge mit <strong>in</strong>tegrierter<br />
Son<strong>der</strong>pädagogik o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em dualen<br />
Abschluss (<strong>Grundschule</strong> und Son<strong>der</strong>pädagogik;<br />
bspw. Bielefeld), bzw. solche<br />
mit diversitätsbezogenen Handlungsfel<strong>der</strong>n<br />
für alle Schulstufen – wie sie für<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>klusive Schulentwicklung för<strong>der</strong>lich<br />
wären – s<strong>in</strong>d im <strong>in</strong>ternationalen<br />
Vergleich <strong>in</strong> Deutschland immer noch<br />
selten.<br />
Fazit<br />
Es wäre dr<strong>in</strong>gend erfor<strong>der</strong>lich, dass<br />
e<strong>in</strong>e „Initiative zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Entwicklung<br />
e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>klusiven Bildungssystems“<br />
auf Bundesebene gestartet<br />
wird, welche sich umfassend mit<br />
„Damit die Ausbildung relevanter Kompetenzen<br />
nicht von den gewählten<br />
Unterrichtsfächern, persönlichen Interessen<br />
<strong>der</strong> Studierenden o<strong>der</strong> Lehrenden<br />
o<strong>der</strong> gar dem Zufall abhängt, muss das<br />
den Forschungserkenntnissen zur<br />
Lehrer*<strong>in</strong>nenbildung für e<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusives<br />
Bildungssystem befasst und resümierend<br />
verlässliche Standards für die drei<br />
Phasen <strong>der</strong> Lehrer*<strong>in</strong>nenbildung entwickelt.<br />
Ähnlich dem „National Framework<br />
for Inclusion“ (General Tea-<br />
Kerst<strong>in</strong> Merz-Atalik<br />
ist Professor<strong>in</strong> an <strong>der</strong><br />
Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg<br />
mit dem Schwerpunkt<br />
„Pädagogik bei Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung und<br />
Benachteiligung/Inklusion“.<br />
Sie ist Fachreferent<strong>in</strong> für Inklusive<br />
Bildung und längeres geme<strong>in</strong>sames<br />
Lernen im Grundschulverband.<br />
Thema ‚Umgang mit Heterogenität/Inklusion‘<br />
[jedoch] verpflichtend <strong>in</strong> den<br />
Curricula <strong>der</strong> Lehramtsstudiengänge“<br />
(ebd., 3) und allen Studienbereichen als<br />
Querschnittsthema verankert werden.<br />
ch<strong>in</strong>g Council for Scotland), <strong>der</strong> seit<br />
mehr als 10 Jahren <strong>in</strong> allen schottischen<br />
Lehrerbil dungs-Institutionen und für<br />
alle Phasen <strong>der</strong> Qualifizierung und Professionalisierung<br />
von Lehrer*<strong>in</strong>nen und<br />
Schulleitungen zugrunde gelegt wurde.<br />
Auf <strong>der</strong> Basis e<strong>in</strong>es solchen Frameworks<br />
lassen sich weitere vergleichende Daten,<br />
Erkenntnisse und Praxisfel<strong>der</strong>fahrungen<br />
erheben, wie und mit welchen Schulpraxis-<br />
und Studienangeboten bzw.<br />
Fortbildungsmaßnahmen es gel<strong>in</strong>gt,<br />
<strong>in</strong>klusive Lehrer*<strong>in</strong>nen zu qualifizieren.<br />
Zudem sollten auch <strong>in</strong> Deutschland<br />
die Schulen entsprechend <strong>der</strong> zunehmenden<br />
Bildungsaufgaben, die sich<br />
nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em traditionellen Unterricht<br />
im 45-M<strong>in</strong>uten-Takt bewältigen lassen,<br />
mit den erfor<strong>der</strong>lichen <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Personalressourcen ausgestattet werden.<br />
Hierzu bedarf es <strong>der</strong> Entwicklung von<br />
neuen, <strong>in</strong>klusionsorientierten Professionen<br />
(z. B. zur persönlichen Assistenz<br />
o<strong>der</strong> zur Unterstützung e<strong>in</strong>es b<strong>in</strong>nendifferenzierten<br />
Unterrichts und <strong>der</strong><br />
Lehrpersonen) und den entsprechenden<br />
Ausbildungsgängen.<br />
18 GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Kirst<strong>in</strong> Groll, Beatrix Harnisch-Soller, Maresi Lassek, Rolf Struckmeyer<br />
Schule auf dem Weg –<br />
es geht weiter, auch wenn …<br />
… Schulleitung wechselt, Generationenwechsel im Kollegium<br />
stattf<strong>in</strong>det und sich Teams multiprofessioneller aufstellen<br />
Schulentwicklung stand nicht im Fokus, als die <strong>Grundschule</strong> am Pfälzer Weg <strong>in</strong><br />
Bremen 1991 neu gegründet wurde. Allerd<strong>in</strong>gs beabsichtigten die Schulleitung<br />
und e<strong>in</strong> Teil des Kollegiums, mit e<strong>in</strong>er verän<strong>der</strong>ten Schulanfangsphase darauf zu<br />
reagieren, dass an diesem Standort ke<strong>in</strong>e „Vorklasse“ e<strong>in</strong>gerichtet werden sollte.<br />
Wie bedeutsam sich diese Entscheidung<br />
auf den Schulentwicklungsprozess<br />
auswirken<br />
würde, war damals nicht absehbar,<br />
kann aber heute – nach über 30<br />
Jahren – rückschauend bewertet werden.Be<br />
wer tet auch unter dem Aspekt,<br />
wie sich Schulentwicklung mit den Verän<strong>der</strong>ungen<br />
durch personelle, konzeptionelle<br />
und gesellschaftliche Bed<strong>in</strong>gungen<br />
verstetigen ließ und die Weiterentwicklung<br />
bzw. Anpassungsleistung<br />
an neue Herausfor<strong>der</strong>ungen möglicherweise<br />
unterstützt hat. Auch die Rolle <strong>der</strong><br />
Schulleitungswechsel und <strong>der</strong>en Bedeutung<br />
für die <strong>Professionalität</strong> <strong>der</strong> Schularbeit<br />
lassen sich e<strong>in</strong>ordnen.<br />
Unstrittig aus Sicht von uns vier<br />
Schulleitungen ist, dass jede Schule<br />
ihren eigenen Weg f<strong>in</strong>den und gestalten<br />
muss. Der Entwicklungsweg <strong>der</strong><br />
Schule am Pfälzer Weg (s. tabellarische<br />
Übersicht auf <strong>der</strong> Verbandshomepage:<br />
https://t1p.de/GSa164Lit) war geprägt<br />
von <strong>der</strong> Ausgangslage im Wohnbezirk,<br />
von baulichen, personellen und strukturellen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen, von Vorgaben,<br />
Rechtfertigungs- und Beweispflichten<br />
und von eher zufälligen Gelegenheiten,<br />
die (manchmal unkonventionell) genutzt<br />
werden konnten. Auch g<strong>in</strong>g es uns<br />
immer darum, das Image e<strong>in</strong>er Brennpunktschule<br />
positiv zu bee<strong>in</strong>flussen.<br />
Im Zeitraum von 1991 bis 2022 haben<br />
drei Wechsel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulleitung stattgefunden.<br />
Die aktuelle Schulleiter<strong>in</strong><br />
Kirst<strong>in</strong> Groll beschreibt ihre e<strong>in</strong>jährige<br />
Erfahrung am Ende dieses Berichts.<br />
Standortbed<strong>in</strong>gungen und<br />
weitere Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
Der Schulstandort<br />
Zur Ausgangslage <strong>der</strong> Schule gehörten<br />
1991, dass Kita und <strong>Grundschule</strong> als<br />
e<strong>in</strong> Gebäudekomplex errichtet wurden,<br />
die Lage <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Problemwohngebiet<br />
mit Armut, Arbeitslosigkeit und<br />
niedrigen Bildungsabschlüssen, mit<br />
stetig wachsenden K<strong>in</strong><strong>der</strong>zahlen, e<strong>in</strong>er<br />
multikulturellen Bewohnerschaft und<br />
hoher Fluktuation. Es gab – wie <strong>in</strong> ähnlich<br />
strukturierten Stadtgebieten Bremens<br />
– e<strong>in</strong>en Quartiersmanager. Dieser<br />
verstand es mit e<strong>in</strong>er ambitioniert<br />
ausgerichteten Stadtteilarbeit, u. a. über<br />
e<strong>in</strong>e basisdemokratische Stadtteilgruppe<br />
(Bewohnerforum), alle Institutionen<br />
e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den. Um <strong>in</strong> wichtigen Fragen<br />
berücksichtigt zu werden, beteiligten<br />
sich Schul- und Kita-Leitungen an <strong>der</strong><br />
Stadtteilgruppe und profitierten von<br />
<strong>der</strong> Lobbyarbeit dort sowie <strong>der</strong>en politischer<br />
Wirkung, wenn es um Projekte,<br />
Ressourcen o<strong>der</strong> Entscheidungen g<strong>in</strong>g.<br />
Öffnung und Transparenz im Quartier<br />
ermöglichten die Begegnung und Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
mit Bewohneranliegen,<br />
mit Kitas und Schulen von <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
bis zur Sekundarstufe II. Kontakte<br />
bestanden auch zu E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong><br />
Jugend- und Sozialarbeit und zum politischen<br />
Ortsbeirat. Gremienarbeit mit<br />
Akteuren, die nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schularbeit<br />
steckten, verlangte multiprofessionelles<br />
und <strong>in</strong>tegratives Agieren. Vielleicht<br />
zählen diese Bed<strong>in</strong>gungen zu den Wegbereitern<br />
für verstärkte Kooperationsbereitschaft<br />
<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Schule und<br />
mit dem Wohnumfeld, e<strong>in</strong>e Arbeits-<br />
weise, die zum<strong>in</strong>dest damals nicht<br />
selbstverständlich <strong>der</strong> <strong>Professionalität</strong><br />
e<strong>in</strong>er Schule zugeordnet wurde. Das so<br />
entstandene Netzwerk im Schulbezirk<br />
öffnete Türen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e zu den<br />
wichtigen Anliegen wie die Übergänge<br />
Kita/<strong>Grundschule</strong> und <strong>Grundschule</strong>/<br />
Sek I.<br />
Personalentwicklung<br />
In den gut dreißig Jahren hatten<br />
Bed<strong>in</strong>gungen E<strong>in</strong>fluss auf die Personalentwicklung<br />
wie: Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />
Schülerzahlen, Überlassung von Räumen<br />
an e<strong>in</strong>en Hort, Erweiterung <strong>der</strong><br />
multiprofessionellen Ausstattung,<br />
Generationenwechsel im Kollegium und<br />
konzeptionelle Entwicklungen. Grundsätzlich<br />
wirkten Phasen von schwankenden<br />
Schülerzahlen auf die Personal- und<br />
Raumplanung und verlangten sensible<br />
Steuerung.<br />
Der Gründungsschulleiter stand vor<br />
<strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung, se<strong>in</strong> Kollegium<br />
regelrecht aus den Nachbarschulen zusammensuchen,<br />
da vonseiten <strong>der</strong> Schulbehörde<br />
ke<strong>in</strong>e Ausschreibung für die<br />
neue Schule erfolgte. Ganz unterschiedliche<br />
Gründe veranlassten Kolleg*<strong>in</strong>nen<br />
damals zum Wechsel: Raus aus <strong>der</strong> alten,<br />
viel zu groß gewordenen Schule, neues<br />
Schulgebäude, e<strong>in</strong> verän<strong>der</strong>tes E<strong>in</strong>schulungskonzept.<br />
Nach gut zehn Jahren zogen abnehmende<br />
Schülerzahlen räumliche<br />
Konsequenzen nach sich, <strong>der</strong> benachbarte<br />
Hort zog <strong>in</strong> Räumlichkeiten<br />
<strong>der</strong> Schule und <strong>der</strong> Kita e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Zusammenlegung,<br />
die neben räumlichen<br />
E<strong>in</strong>schränkungen vermehrt Absprachen<br />
und Kooperation zur Doppelnutzung<br />
von Räumen und zu pädagogischen<br />
Fragen wie z. B. dem Thema Hausaufgaben<br />
erfor<strong>der</strong>te. Selbst für e<strong>in</strong> offenes<br />
Kollegium erwies sich die Situation zuweilen<br />
als sehr herausfor<strong>der</strong>nd. Schließ-<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
19
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
lich aber fanden die drei E<strong>in</strong>richtungen<br />
(Kita, <strong>Grundschule</strong>, Hort) als Drei unter<br />
e<strong>in</strong>em Dach zusammen und beson<strong>der</strong>s<br />
bei <strong>der</strong> späteren Durchsetzung <strong>der</strong><br />
Ganztagsschule wirkten Lehrkräfte und<br />
Sozialpädagogische Fachkräfte als geschlossenes<br />
Team.<br />
Bis zum Jahr 2020 vollzog sich e<strong>in</strong><br />
personeller Generationenwechsel, Pensionierungen<br />
und <strong>der</strong> Aufbau des<br />
För<strong>der</strong>bereichs Wahrnehmung und Entwicklung<br />
(W und E) brachten junge<br />
Kolleg<strong>in</strong>nen und Assistenzkräfte an den<br />
Standort.<br />
E<strong>in</strong>fluss auf die Personalentwicklung<br />
hatte zudem <strong>in</strong> erheblichem Ausmaß<br />
die Verän<strong>der</strong>ung von Konzepten. Der<br />
Entscheidung für die jahrgangsübergreifende<br />
Schule<strong>in</strong>gangsstufe folgten<br />
Konzepte für e<strong>in</strong> Beobachtungsverfahren<br />
zum Schulanfang, <strong>in</strong>tegrative und <strong>in</strong>klusive<br />
Schulentwicklung, Begabungsför<strong>der</strong>ung,<br />
gebundene Ganztagsschule<br />
und <strong>in</strong>klusive Beschulung W und E.<br />
Beweispflichten<br />
Zur beson<strong>der</strong>en Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
wurden die zahlreichen Hospitant*<strong>in</strong>nen<br />
und <strong>der</strong>en Fragen nach den „Gel<strong>in</strong>gens-<br />
Belegen“ für das Jahrgangsübergreifende<br />
Lernen JüL, unser Konzept löste e<strong>in</strong>fach<br />
auch viel Skepsis aus. Ähnliche Nachfragen<br />
ergaben sich gleichermaßen <strong>in</strong><br />
<strong>in</strong>ternen Diskussionen im Kollegium,<br />
da die e<strong>in</strong>e Hälfte bis 2005 jahrgangsübergreifend<br />
arbeitete und die an<strong>der</strong>e <strong>in</strong><br />
den Klassen 3 und 4 jahrgangsbezogen.<br />
Die Nahtstelle des Übergangs von <strong>der</strong><br />
Stufe 1/2 <strong>in</strong> die 3. Klasse entwickelte<br />
sich schul<strong>in</strong>tern zur Prüfstelle für die<br />
Güte <strong>der</strong> Schule<strong>in</strong>gangsstufe. Das gesamte<br />
Kollegium musste sich damit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen,<br />
wie verän<strong>der</strong>te Unterrichtsformen<br />
wirken (können), welche<br />
Kompetenzen K<strong>in</strong><strong>der</strong> beim Übergang<br />
<strong>in</strong> Klasse 3 mitbr<strong>in</strong>gen sollten und wie<br />
damit umzugehen ist, wenn es an<strong>der</strong>s ist.<br />
Aufgabe <strong>der</strong> Schulleitung <strong>in</strong> dieser Phase<br />
war, mit dem Kollegium Wege zu f<strong>in</strong>den,<br />
mehr vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu erfahren und dieses<br />
über kollegiale Hospitationen und<br />
gegenseitiges Präsentieren und Kennenlernen<br />
von Strukturen und Materialien<br />
zu ermöglichen.<br />
Die Außenwirkung des Konzepts<br />
JüL auf an<strong>der</strong>e Schulen, Bildungsverwaltungen,<br />
Lehrerausbildung und Eltern<br />
löste umfangreichen Informationsbedarf<br />
aus und zog über Jahre e<strong>in</strong>e<br />
Vielzahl an Hospitationen nach sich.<br />
Der Andrang war herausfor<strong>der</strong>nd und<br />
nur durch Teamarbeit und <strong>in</strong>terne Absprachen<br />
zu bewältigen. Diese <strong>in</strong>tensive<br />
Erfahrung gab Sicherheit, ließ Rout<strong>in</strong>en<br />
entstehen und stärkte die Offenheit<br />
für Diskussionen über die pädagogische<br />
Arbeit und organisatorische Strukturen.<br />
In den Jahren von 1995 bis 2000 nahm<br />
die Schule freiwillig an Verfahren zu <strong>in</strong>terner<br />
und externer Evaluation teil. E<strong>in</strong><br />
Selbste<strong>in</strong>schätzungsverfahren wurde<br />
durch den Besuch von „Kritischen<br />
Freunden“ mit Feedback für Kollegium<br />
und Schulleitung ergänzt.<br />
E<strong>in</strong>deutig als Entwicklungsschub kann<br />
die Bewerbung für den Deutschen Schulpreis<br />
im Jahr 2006 gewertet werden. Sie<br />
erfor<strong>der</strong>te die <strong>in</strong>tensive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
mit den sechs vorgegebenen<br />
Qualitätsbereichen und die Diskussion<br />
darüber im Kollegium und mit Eltern,<br />
e<strong>in</strong>er Art <strong>in</strong>terner Vergewisserungsprozess<br />
über das pädagogische Konzept.<br />
Nachhaltige und tragende<br />
Erfahrungen<br />
Partizipation und Verantwortung<br />
Bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> jahrgangsübergreifenden<br />
Schule<strong>in</strong>gangsstufe mussten<br />
Konzepte, Strukturen und Materialien<br />
sowohl für die Organisation des<br />
Unterrichts als auch für die <strong>in</strong>haltliche<br />
Planung erarbeitet werden. Das Team<br />
1/2 leistete Entwicklungsarbeit, die nur<br />
durch enge Zusammenarbeit, Aufgabenteilung<br />
und organisierte Kooperationszeiten<br />
möglich war. Auch das Aufgreifen<br />
<strong>der</strong> Anfangsskepsis <strong>der</strong> Eltern und die<br />
Organisation <strong>der</strong> Hospitationsbesuche<br />
waren nur arbeitsteilig zu bewältigen.<br />
Bei <strong>der</strong> Entwicklung des schul<strong>in</strong>ternen<br />
Übergangs von <strong>der</strong> Stufe 1/2 <strong>in</strong> Klasse<br />
3, später <strong>in</strong> Stufe 3/4, bewährten sich<br />
Kooperation und Teamstrukturen <strong>in</strong><br />
ähnlicher Form. Die Schulleitung organisierte<br />
Kooperationszeiten, gab den<br />
Teams Gestaltungsfreiraum und das<br />
Vertrauen, dass ihnen die erfolgreiche<br />
Bewältigung <strong>der</strong> Aufgaben selbstverantwortlich<br />
gel<strong>in</strong>gen wird.<br />
Für die Eltern waren sowohl die altersgemischte<br />
Lernorganisation als auch<br />
die Entwicklung <strong>der</strong> Ganztagsschule<br />
e<strong>in</strong>schneidende Än<strong>der</strong>ungen. Für<br />
beide Konzepte war ihre Beteiligung<br />
von grundlegen<strong>der</strong> Bedeutung, denn<br />
die Schule benötigte e<strong>in</strong>erseits die<br />
Zustimmung <strong>der</strong> Elterngremien, darüber<br />
h<strong>in</strong>aus aber auch <strong>der</strong>en positive<br />
Haltung gegenüber den Verän<strong>der</strong>ungen.<br />
Von <strong>der</strong> Weitergabe <strong>der</strong> Erfahrungen<br />
und Informationen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />
Elternschaft wird wesentlich <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>stellung<br />
dazu bestimmt. Durch Elternbeteiligung<br />
konnten Informationen <strong>in</strong><br />
unterschiedlichen Herkunftssprachen<br />
erfolgen. Zugewan<strong>der</strong>ten Eltern fehlen<br />
nicht selten Informationen über Schule<br />
und Schulsystem <strong>in</strong> Deutschland.<br />
Erfahrungsgemäß beteiligen sich diese<br />
Eltern kaum an Elterngremien. Ihre Distanz<br />
führt zu Informationslücken über<br />
das pädagogische Konzept, Vorgehensweisen<br />
bleiben ihnen fremd. Um diesem<br />
Umstand etwas gerechter zu werden,<br />
entstand als Begegnungsformat<br />
das Elternprojekt KESCH K<strong>in</strong><strong>der</strong> Eltern<br />
Schule im Dialog. Das Konzept schafft<br />
<strong>in</strong>formelle Begegnungen zwischen<br />
Pädagog*<strong>in</strong>nen und Eltern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule<br />
und bei geme<strong>in</strong>samen Aktionen außerhalb.<br />
Auch Lehrkräfte und pädagogische<br />
Mitarbeiter*<strong>in</strong>nen profitieren, da<br />
ihr Zugang zu Eltern über <strong>in</strong>formellere<br />
Kommunikationskanäle erweitert wird.<br />
Die Wirkung von Partizipation und<br />
Verantwortung erleben K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Jahrgangsmischung u. a. durch ihre<br />
wechselnden Rollen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altershierarchie<br />
mit E<strong>in</strong>fluss auf die Kommunikation<br />
im Unterricht und <strong>in</strong> den<br />
Pausen sowie das Verhalten <strong>in</strong> Konfliktsituationen.<br />
Beteiligung geschieht darüber<br />
h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> formalen Gremien<br />
wie Gruppenkonferenz und K<strong>in</strong><strong>der</strong>konferenz.<br />
Mit dem Ansatz, K<strong>in</strong><strong>der</strong>n viel Orientierung<br />
zu geben, um ihnen Verantwortung<br />
für ihre Lern- und Arbeitsprozesse<br />
zu ermöglichen, verschaffen<br />
Tages- und Wochenpläne Übersicht<br />
über Aufgaben und Abläufe. Mit diesem<br />
Ziel hat die Schule auch K<strong>in</strong><strong>der</strong>sprechtage<br />
e<strong>in</strong>geführt. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> bereiten sich<br />
auf das Gespräch mit ihren Lehrkräften<br />
über e<strong>in</strong>e (bildliche bzw. schriftliche)<br />
Selbste<strong>in</strong>schätzung vor. Immer gehört<br />
<strong>der</strong> Blick auf nächste Schritte dazu, <strong>der</strong><br />
die Verantwortung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> für ihren<br />
Lernprozess unterstützt.<br />
Die Schule gibt ke<strong>in</strong>e Noten, die Lerndokumentation<br />
erfolgt <strong>in</strong> Berichten und<br />
fachbezogen <strong>in</strong> Rastern, die grundsätzlich<br />
mit den Eltern und K<strong>in</strong><strong>der</strong>n besprochen<br />
werden.<br />
20<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Die Kraft <strong>der</strong> Teams<br />
Teamarbeit war immer <strong>der</strong> Motor, <strong>der</strong><br />
die Planung und Umsetzung von Konzepten<br />
und Projekten getragen hat. Auch<br />
als Impulsgeber für Schulentwicklung<br />
verstand sich das e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Team. E<strong>in</strong>e feste und dauerhafte Teamstruktur<br />
stellt die Gestaltung <strong>der</strong> pädagogischen<br />
Arbeit <strong>in</strong> den Lerngruppen<br />
und <strong>in</strong> multiprofessioneller Zusammenarbeit<br />
von Grundschullehrkräften, Son<strong>der</strong>pädagog*<strong>in</strong>nen,<br />
Sozialpädagogischen<br />
Fachkräften und Assistenzkräften sicher.<br />
Organisationsstruktur Lerngruppe – Teamstruktur<br />
Tigeraugen<br />
Lerngruppe<br />
3/4<br />
Lerngruppe<br />
1/2<br />
Schmetterl<strong>in</strong>ge<br />
Amethystgruppe<br />
Lerngruppe<br />
3/4<br />
P<strong>in</strong>gu<strong>in</strong>e<br />
Lerngruppe<br />
1/2<br />
Jadegruppe<br />
Lerngruppe<br />
3/4<br />
Ponys<br />
Lerngruppe<br />
1/2<br />
Team 1/2 und Team 3/4 s<strong>in</strong>d für die<br />
Planung und Umsetzung des jahrgangsübergreifenden<br />
Lernens zuständig.<br />
Die Strangteams aus jeweils e<strong>in</strong>er<br />
Lerngruppe 1/2 und e<strong>in</strong>er Lerngruppe<br />
3/4 übernehmen sowohl die Ausbildung<br />
junger Kolleg*<strong>in</strong>nen als auch die Integration<br />
aller neuen Personen an <strong>der</strong> Schule.<br />
Sie koord<strong>in</strong>ieren das <strong>in</strong>haltliche Lernen<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> über die gesamte Grundschulzeit<br />
und beraten über diagnostische<br />
und unterstützende Maßnahmen.<br />
Das ZuP (Zentrum für unterstützende<br />
Pädagogik)-Team (Son<strong>der</strong>pädagog*<strong>in</strong>nen,<br />
Sozialpädgog*<strong>in</strong>nen,<br />
Sozialarbeiter*<strong>in</strong>) hat zunächst die Entwicklung<br />
zur <strong>in</strong>klusiven Schule gesteuert<br />
und ab 2017 die Integration <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
mit E<strong>in</strong>schränkungen im Bereich Wahrnehmung<br />
und Entwicklung unterstützt.<br />
Die Mitglie<strong>der</strong> des ZuP-Teams s<strong>in</strong>d den<br />
Lerngruppen- bzw. Strangteams zugeordnet.<br />
Teams bestehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel aus bis<br />
zu 10 Personen und haben feste, <strong>in</strong> den<br />
Wochenablauf <strong>der</strong> Schule <strong>in</strong>tegrierte<br />
Kooperationszeiten. Alle Kolleg*<strong>in</strong>nen<br />
<strong>der</strong> Schule nehmen an m<strong>in</strong>destens zwei<br />
Teams teil, dies wird durch die <strong>in</strong> Bremen<br />
verpflichtende Präsenzzeit möglich.<br />
Zusätzliche Teamzeiten werden zeitlich<br />
vergütet.<br />
Die Rolle <strong>der</strong> Schulleitung zwischen<br />
„Steuern“ und „Raum geben“<br />
Die Schulleitungsteams trugen im<br />
Entwicklungszeitraum grundsätzlich<br />
Impulse o<strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen aus dem<br />
Quartier, aus dem Schulnetzwerk und<br />
aus <strong>der</strong> Behörde <strong>in</strong> die Steuergruppe<br />
und <strong>in</strong> das Kollegium, übernahmen die<br />
organisatorische und <strong>in</strong>haltliche Koord<strong>in</strong>ation,<br />
begleiteten Prozesse und<br />
arbeiteten <strong>in</strong>haltlich mit.<br />
Türkise<br />
Lerngruppe<br />
3/4<br />
Vögel<br />
Lerngruppe<br />
1/2<br />
Team 1/2 Team 3/4 Strangteam 1/2 und 3/4<br />
Die Schulleitung übernahm<br />
die Vertretung<br />
<strong>der</strong> Schule <strong>in</strong> Schulentwicklungsprozessen<br />
mit<br />
externen Partnern.<br />
Die Bereitschaft <strong>der</strong><br />
Leitung, Verantwortung<br />
für neue Konzepte zu<br />
übernehmen und sich<br />
dabei auf die Mitarbeit<br />
und die Stärken im Kollegium<br />
verlassen zu können,<br />
machte die Umsetzung<br />
von Entwicklungen möglich.<br />
Neue Konzepte s<strong>in</strong>d nicht immer sofort<br />
auf Zustimmung gestoßen. Bei <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>führung von JüL <strong>in</strong> 1/2 galt z. B. die<br />
Absprache, dass die übrigen Lehrkräfte<br />
<strong>in</strong> den 3. und 4. Klassen jahrgangsbezogen<br />
weiterarbeiten konnten.<br />
Die Umsetzung von JüL <strong>in</strong> 3/4 konnte<br />
dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Phase erfolgen, als Verän<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit<br />
über die K<strong>in</strong><strong>der</strong> immer mehr E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong><br />
den Unterricht gehalten hatten und zugleich<br />
die ersten Pensionierungen anstanden.<br />
Die Kooperation mit <strong>der</strong> benachbarten<br />
Oberschule zum Übergang<br />
von 4 nach 5 wurde von <strong>der</strong> Schulleitung<br />
<strong>in</strong>itiiert, begleitet und organisatorisch<br />
unterstützt, bis sich Abläufe verstetigt<br />
hatten.<br />
Das organisatorische Konzept für<br />
die gebundene Ganztagsschule war<br />
das Ergebnis <strong>in</strong>tensiver Teamarbeit<br />
von Lehrkräften, Hortkollegium und<br />
Schulleitung. Die Kolleg*<strong>in</strong>nen ordneten<br />
sich e<strong>in</strong>er bestimmten Teilaufgabe<br />
zu, konnten <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Schulen<br />
hospitieren und erarbeiteten Vorschläge<br />
für die eigene Schule. Die Teambildung<br />
für den gebundenen Ganztag<br />
erfor<strong>der</strong>te gezielte Steuerung durch die<br />
Schulleitung, verbunden mit <strong>der</strong> Offenlegung<br />
<strong>der</strong> Entscheidungskriterien. Konzept<br />
und Organisierbarkeit, Schulklima<br />
und Arbeitsatmosphäre (<strong>der</strong> Blick aufs<br />
Ganze) mussten für alle transparent gemacht<br />
werden. Die Verpflichtung, im gebundenen<br />
Ganztag zum<strong>in</strong>dest an e<strong>in</strong>zelnen<br />
Tagen auch am Nachmittag präsent<br />
zu se<strong>in</strong>, war e<strong>in</strong>e große Hürde für junge<br />
Mütter unter den Lehr- und Betreuungskräften.<br />
Als beson<strong>der</strong>s kritische Stelle erwies<br />
sich <strong>der</strong> durch die Bildungsbehörde angeordnete<br />
Aufbau e<strong>in</strong>es Standorts für W<br />
und E. Vehemente Wi<strong>der</strong>stände e<strong>in</strong>zelner<br />
Kolleg*<strong>in</strong>nen und fehlendes Personal<br />
waren ke<strong>in</strong>e för<strong>der</strong>liche Ausgangslage<br />
für die Organisation des Prozesses und<br />
höchst belastend für das gesamte System.<br />
Resümee<br />
Die Entscheidung, herkömmliche Strukturen<br />
zu verlassen und am Schulanfang<br />
alle angemeldeten K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> jahrgangsübergreifende<br />
Lerngruppen aufzunehmen,<br />
war Auslöser für e<strong>in</strong>e viele<br />
Jahre währende Entwicklungsphase<br />
mit Verän<strong>der</strong>ungen und Anpassungen.<br />
Dah<strong>in</strong>ter stand auch immer <strong>der</strong><br />
Anspruch, K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zweitsprache<br />
Deutschalphabetisiert werden<br />
und/o<strong>der</strong> <strong>in</strong> ökonomisch prekären<br />
Verhältnissen leben, ke<strong>in</strong>e zusätzlichen<br />
Gruppenwechsel am Schulanfang o<strong>der</strong><br />
durch Wie<strong>der</strong>holungen von Schulbesuchsjahren<br />
zuzumuten. Die Familiensprache<br />
sollte nicht als Defizit, son<strong>der</strong>n<br />
als Ressource wirken. Anspruch war<br />
also auch, e<strong>in</strong> pädagogisches Konzept<br />
zu entwickeln, das diesen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mehr<br />
Chancen bietet.<br />
Impulse – Motivation – Teamarbeit<br />
Die Arbeit <strong>in</strong> Teamstrukturen hat <strong>der</strong><br />
Schule immer wie<strong>der</strong> weiterführende<br />
Impulse gegeben und Entwicklungsstellen<br />
aufgezeigt. Dies e<strong>in</strong>mal für die<br />
pädagogische und <strong>in</strong>haltliche Arbeit<br />
mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, zum an<strong>der</strong>en für<br />
die Gestaltung e<strong>in</strong>er gel<strong>in</strong>genden<br />
Zusammenarbeit <strong>der</strong> Pädagog*<strong>in</strong>nen.<br />
Entscheidend waren gegenseitige Offenheit,<br />
die Bereitschaft, bei neuen Konzepten<br />
e<strong>in</strong>e Anfangs<strong>in</strong>vestition auch<br />
mit <strong>in</strong>tensiven Arbeitsphasen <strong>in</strong> Kauf<br />
zu nehmen, anzusprechen wo es hakt<br />
und <strong>der</strong> Teamarbeit durch feste Zeiten<br />
Verlässlichkeit zu geben. Der Mehrwert<br />
<strong>der</strong> Zusammenarbeit wog meistens e<strong>in</strong>e<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
21
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
anfängliche Mehr<strong>in</strong>vestition auf, weil die<br />
Pädagog*<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge durch Vere<strong>in</strong>barungen<br />
zur Verantwortungs- und<br />
Aufgabenteilung Entlastung erleben<br />
konnten.<br />
Die positive Wirkung von Verän<strong>der</strong>ungen<br />
ließ im Laufe <strong>der</strong> Zeit Bedenken<br />
schw<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e gute Schulausstattung<br />
ist unbestritten Voraussetzung<br />
für das hohe Entwicklungspotenzial gewesen.<br />
Grenzen zeigten sich bei <strong>der</strong> Integration<br />
des För<strong>der</strong>schwerpunkts W<br />
und E. Kann <strong>in</strong>klusive Entwicklung gel<strong>in</strong>gen,<br />
wenn die Leistungsfähigkeit und<br />
Integrationskraft e<strong>in</strong>es Systems an Grenzen<br />
kommt, weil sich Heterogenität und<br />
<strong>der</strong> Unterstützungsbedarf zu massiv an<br />
e<strong>in</strong>em Ort konzentrieren und dadurch<br />
letztendlich e<strong>in</strong> Son<strong>der</strong>system bilden?<br />
Das war e<strong>in</strong>e tiefgreifende Frage trotz<br />
<strong>der</strong> klar positiven Haltung zur Inklusion.<br />
Dass funktionierende Teamarbeit<br />
hilft, Herausfor<strong>der</strong>ungen und Krisen zu<br />
bewältigen, hat sich während <strong>der</strong> Corona-Pandemie<br />
gezeigt. Die Teams, gewohnt<br />
sich selbständig zu organisieren,<br />
übernahmen die Integration neu h<strong>in</strong>zukommen<strong>der</strong><br />
Kolleg*<strong>in</strong>nen ganz selbstverständlich.<br />
Als vorteilhaft erwies sich, dass Schulleitungsmitglie<strong>der</strong><br />
immer <strong>in</strong> die pädagogische<br />
Arbeit <strong>der</strong> Teams und <strong>in</strong> den<br />
Unterricht e<strong>in</strong>gebunden waren. Synergien<br />
entstanden zwischen <strong>der</strong> Arbeit<br />
<strong>der</strong> Schulleitung und den Teams auf<br />
Basis <strong>der</strong> vere<strong>in</strong>barten Strukturen.<br />
Konzepte und Wi<strong>der</strong>stände<br />
Nach unserer Erfahrung ist es äußerst<br />
schwierig, mehrere Schulentwicklungsprojekte<br />
gleichzeitig anzustoßen. Auch<br />
lässt sich gegen den Wi<strong>der</strong>stand e<strong>in</strong>er<br />
großen Gruppe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulgeme<strong>in</strong>schaft<br />
Schulentwicklung nicht s<strong>in</strong>nvoll<br />
weiterbr<strong>in</strong>gen.<br />
Unabhängig davon, ob e<strong>in</strong> Entwicklungsschritt<br />
den <strong>in</strong>dividuellen<br />
Unterricht o<strong>der</strong> die gesamte Schule<br />
betrifft, kann dieser Sorgen und Bedenken<br />
bei Pädagog*<strong>in</strong>nen und Eltern<br />
hervorrufen. Herauszuf<strong>in</strong>den, ob<br />
e<strong>in</strong>e Informationslücke, Unsicherheit<br />
wegen <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung, Angst vor erhöhter<br />
Anfor<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> auch Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
für die <strong>in</strong>dividuelle Arbeitszeit<br />
(Kooperation im Team, Ganztagsschule)<br />
dah<strong>in</strong>ter stehen, kann helfen.<br />
E<strong>in</strong>zelne Kolleg*<strong>in</strong>nen brauchen Überlegungen<br />
mit <strong>der</strong> Schulleitung <strong>in</strong> Entwicklungsgesprächen<br />
und manchmal<br />
auch <strong>in</strong>dividuelle Lösungen.<br />
Wie auch immer … die Umsetzung<br />
von Konzepten kann schrittweise<br />
o<strong>der</strong> komplett erfolgen, benötigt aber<br />
erfahrungsgemäß etwa 5 Jahre und bis<br />
zur Verstetigung etwa 10 Jahre. Nach<br />
e<strong>in</strong>er systemischen Verän<strong>der</strong>ung<br />
braucht es immer e<strong>in</strong>e Phase <strong>der</strong> pädagogisch<br />
fachlichen Entwicklung, die<br />
dann zu mehr Qualität führt.<br />
Schulleitungswechsel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule<br />
Pfälzer Weg hatten <strong>in</strong> drei Fällen<br />
die Konstante, dass Schulleitungsmitglie<strong>der</strong><br />
aus dem eigenen Haus kamen.<br />
Das war für das Weitertragen von Konzepten<br />
stärkend, stellte diese allerd<strong>in</strong>gs<br />
nicht sicher, denn die Beteiligung von<br />
Kollegium und Eltern spielte immer<br />
e<strong>in</strong>e Rolle. Aus unserer Überzeugung<br />
haben bewährte und gelebte Strukturen,<br />
die Kommunikation und Kooperation<br />
sicherstellen, sowie die Zufriedenheit<br />
durch direkte Beteiligung über Teamarbeit<br />
e<strong>in</strong>e stabilisierende Wirkung für<br />
Kont<strong>in</strong>uität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulentwicklung.<br />
Durch Transparenz und Absprachen<br />
haben im beschriebenen Zeitraum<br />
schulübergreifende Vere<strong>in</strong>barungen<br />
Verb<strong>in</strong>dlichkeit erhalten und s<strong>in</strong>d zum<br />
festen Bestandteil <strong>der</strong> Schulkultur<br />
geworden. Vielleicht hat auch dieser<br />
Umstand nachfolgende Schulleitungen<br />
<strong>in</strong> die Pflicht genommen.<br />
Schulleitungswechsel 2022<br />
„In die Pflicht genommen“ o<strong>der</strong> Kont<strong>in</strong>uität<br />
und Weiterentwicklung aufgrund<br />
persönlicher Erfahrungen und<br />
<strong>in</strong>nerer Überzeugung<br />
Manchmal gibt es die seltenen beruflichen<br />
Momente, die berühren und<br />
<strong>in</strong> spirieren. Dieser Moment war vor e<strong>in</strong><br />
paar Jahren, als ich zufällig an <strong>der</strong> Schule<br />
am Pfälzer Weg zu Besuch war und<br />
man mir das Konzept erläuterte. Nicht<br />
dass ich das damals alles bis <strong>in</strong>s Detail<br />
verstanden hätte, aber das Konzept des<br />
jahr gangsübergreifenden Lernens komb<strong>in</strong>iert<br />
mit <strong>der</strong> Arbeit <strong>in</strong> Strang-Teams<br />
wie auch die ganze Atmosphäre dieser<br />
Schule <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em herausfor<strong>der</strong>nden<br />
und bunten Stadtteil haben <strong>in</strong> mir den<br />
Wunsch erweckt, genauso arbeiten zu<br />
wollen. Dass ich e<strong>in</strong>ige Jahre später das<br />
Glück haben würde, hier Schulleiter<strong>in</strong><br />
zu se<strong>in</strong>, hätte ich nie erwartet.<br />
Schulleitungsstellen können von<br />
<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> von außen besetzt werden.<br />
Wer von <strong>in</strong>nen kommt, hat den Vorteil,<br />
die Strukturen und Abläufe zu kennen,<br />
was vieles e<strong>in</strong>facher macht. Von außen<br />
zu kommen, hat den Vorteil, dass e<strong>in</strong><br />
an<strong>der</strong>er Blick auf die Gegebenheiten besteht,<br />
<strong>der</strong> auch mal das e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
h<strong>in</strong>terfragt. Gleichzeitig eröffnet sich<br />
die Möglichkeit, diese wun<strong>der</strong>baren<br />
Kle<strong>in</strong>igkeiten zu bemerken, die e<strong>in</strong>em<br />
im Alltag oft nicht mehr auffallen, zum<br />
Beispiel das Leben und Lachen auf den<br />
Fluren, die fröhlichen Stimmen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
während des offenen Anfangs und<br />
nur wenig später e<strong>in</strong>e Ruhe <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen<br />
Schule, so dass man glauben könnte,<br />
es wäre kaum e<strong>in</strong>er da. Dabei s<strong>in</strong>d nur<br />
alle konzentriert bei <strong>der</strong> Arbeit. Diese<br />
„Kle<strong>in</strong>igkeiten“ s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Erfolg e<strong>in</strong>es<br />
unglaublich kompetenten und engagierten<br />
Kollegiums. E<strong>in</strong> Kollegium, das<br />
sich multiprofessionell zusammensetzt<br />
und erfolgreich mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> arbeitet.<br />
Bemerkenswert ist auch die Tatsache,<br />
dass Besucher*<strong>in</strong>nen unserer Schule<br />
nur selten unterscheiden können, wer<br />
pädagogische*r Mitarbeiter*<strong>in</strong>, Grundschullehrkraft,<br />
Assistenzkraft, sozialpädagogische<br />
Fachkraft o<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>pädagog*<strong>in</strong><br />
ist! Teams verän<strong>der</strong>n sich h<strong>in</strong><br />
und wie<strong>der</strong> und müssen dann neu zusammenf<strong>in</strong>den<br />
– bei Neubesetzung e<strong>in</strong>er<br />
Funktionsstelle auch das Schulleitungsteam,<br />
welches <strong>in</strong> Bremen aus drei Personen<br />
besteht. Diese Verän<strong>der</strong>ungen<br />
gehen nicht immer reibungslos, sorgen<br />
aber dafür, dass ke<strong>in</strong> Stillstand entsteht<br />
und ke<strong>in</strong> Verbleiben <strong>in</strong> alten Strukturen.<br />
Auch Schulleitungen müssen <strong>in</strong> diesen<br />
Prozessen manches neu denken, sich<br />
anpassen und bereit se<strong>in</strong>, selbst etwas zu<br />
verän<strong>der</strong>n.<br />
Nach <strong>der</strong> langen Corona-Zeit dauerte<br />
es, bis auch Schulgeme<strong>in</strong>schaften wie<strong>der</strong><br />
aus e<strong>in</strong>er Art Dornröschenschlaf erwachen.<br />
Umso wichtiger ist es jetzt, dass<br />
Schule sich wie<strong>der</strong> und vor allem weiter<br />
öffnet, nicht nur durch Ausflüge o<strong>der</strong><br />
Schulfeste, son<strong>der</strong>n auf allen Ebenen.<br />
Als mich e<strong>in</strong>mal die Schulleiter<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er<br />
eigenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> anrief, begann das<br />
Gespräch mit den Worten: „Es ist nichts<br />
Schlimmes.“ Dieser Satz hängt mir heute<br />
noch nach, weil er beschreibt, wie die<br />
Beziehung Schule – Elternhaus oft wahr-<br />
22<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
genommen wird: Der Kontakt entsteht<br />
nur, wenn es e<strong>in</strong> Problem gibt o<strong>der</strong> wenn<br />
die K<strong>in</strong><strong>der</strong> bewertet werden. Das schafft<br />
bestenfalls gemischte Gefühle gegenüber<br />
allem, was mit Schule zu tun hat.<br />
Hier müssen wir aktiv gegenarbeiten,<br />
Schule weiter öffnen und <strong>in</strong> den Stadtteil<br />
e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen, Menschen <strong>in</strong> die Schule<br />
e<strong>in</strong>laden und vor allem immer wie<strong>der</strong><br />
positive Gesprächsanlässe wahrnehmen.<br />
von l<strong>in</strong>ks nach rechts:<br />
Rolf Struckmeyer, Schulleiter von 1991 bis 2005<br />
Maresi Lassek, Schulleiter<strong>in</strong> von 2005 bis 2015<br />
Beatrix Harnisch-Soller, Schulleiter<strong>in</strong> von 2015 bis 2022<br />
Kirst<strong>in</strong> Groll, (Ohne Foto) Schulleiter<strong>in</strong> seit 2022<br />
Wird Positives wahrgenommen, lässt<br />
sich auch über Schwierigkeiten besser<br />
reden.<br />
Unsere zentrale Aufgabe ist, unseren<br />
Schüler*<strong>in</strong>nen das bestmögliche Rüstzeug<br />
für ihr weiteres Leben mitzugeben.<br />
Hierzu zählt gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Stadtteil mit<br />
ger<strong>in</strong>ger Wahlbeteiligung Demokratiebildung,<br />
damit die Schüler*<strong>in</strong>nen wissen,<br />
welche Rechte und Möglichkeiten sie<br />
Zusammengefasste Informationen zum Werdegang <strong>der</strong> Schule am Pfälzer Weg <strong>in</strong> Bremen von<br />
1991 bis 2023 sowie die Quellenangaben f<strong>in</strong>den Sie unter dem L<strong>in</strong>k: https://t1p.de/GSa164Lit<br />
haben. Schüler*<strong>in</strong>nen sollen die Chance<br />
haben, sich zu mündigen Persönlichkeiten<br />
zu entwickeln, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage<br />
s<strong>in</strong>d, kritisch zu denken, sich e<strong>in</strong>e eigene<br />
Me<strong>in</strong>ung zu bilden und sich auch<br />
trauen, diese zu äußern. Daher f<strong>in</strong>de ich<br />
es selbstverständlich, als Schulleiter<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
unserer K<strong>in</strong><strong>der</strong>konferenz zu den wichtigen<br />
Themen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> Fragen zu beantworten<br />
und auch mal Rede und Antwort<br />
zu stehen. Transparenz und Mitbestimmung<br />
s<strong>in</strong>d maßgeblich für e<strong>in</strong>e<br />
gute Zusammenarbeit mit Eltern und im<br />
Kollegium. Schulleitung darf sich nicht<br />
e<strong>in</strong>igeln und Entscheidungen im e<strong>in</strong>samen<br />
Kämmerle<strong>in</strong> treffen. Gute Schule<br />
und Schulentwicklung können nur gel<strong>in</strong>gen,<br />
wenn die Ideen und Konzepte auf<br />
breiter Basis mitgetragen werden. Unsere<br />
nächsten Schritte haben wir schon festgelegt.<br />
Wir haben den Fokus auf Sprachbildung<br />
gelegt. Den Blick genau auf das<br />
richten, was unsere Schüler*<strong>in</strong>nen benötigen<br />
und auf dieser Grundlage organisatorische,<br />
strukturelle, <strong>in</strong>haltliche<br />
Verän<strong>der</strong>ungen vorzunehmen, um diese<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> bestmöglich voranzubr<strong>in</strong>gen. Wir<br />
haben noch viel vor!<br />
Denise Sommer<br />
Netzwerke made <strong>in</strong> Brandenburg<br />
Wie alles begann<br />
Seit 2007 arbeiten Brandenburger Grund- und För<strong>der</strong>schulen <strong>in</strong> Netzwerken zusammen.<br />
Auf Initiative des Referates für Grund- und För<strong>der</strong>schulen im M<strong>in</strong>isterium<br />
für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) entstand e<strong>in</strong>e landesweite Netzwerkstruktur,<br />
die u. a. die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Grund- und För<strong>der</strong>schulen <strong>in</strong><br />
regionalen Verbünden stärken soll.<br />
Anne Knauf und Katja Sieger<br />
haben diese Entwicklung se<strong>in</strong>erzeit<br />
angeschoben, viele Jahre<br />
engagiert begleitet und geprägt. Prozesse<br />
<strong>der</strong> Schulentwicklung an den Schulen<br />
sollen geför<strong>der</strong>t und damit die Um setzung<br />
bildungspolitischer Schwerpunkte<br />
des Landes sichergestellt werden. Seit<br />
2011 regelt e<strong>in</strong> Rundschreiben des MBJS<br />
die Netzwerkarbeit als ge me<strong>in</strong> same<br />
Kooperationsplattform <strong>der</strong> Schulen<br />
sowie <strong>der</strong> unteren und obersten Schulaufsicht.<br />
Dieses Rundschreiben wurde <strong>in</strong><br />
den letzten Jahren teilweise unter E<strong>in</strong>beziehung<br />
<strong>der</strong> Schulleiter<strong>in</strong>nen und<br />
<strong>der</strong> unteren Schulaufsicht mehrfach<br />
überarbeitet. Unter an<strong>der</strong>em wurde<br />
e<strong>in</strong> Controll<strong>in</strong>gsystem e<strong>in</strong>geführt, welches<br />
die Ergebnisse <strong>der</strong> Zielerfüllung<br />
<strong>der</strong> bildungspolitischen Schwerpunkte<br />
aus den Grund- und För<strong>der</strong>schulen des<br />
Landes bündelt und auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> 4<br />
Schulamtsbereiche sowie des Landes auf<br />
<strong>der</strong> Grundlage e<strong>in</strong>es landesweit e<strong>in</strong>heitlichen<br />
Erhebungsbogens ausgewertet.<br />
Netzwerkstruktur für<br />
Brandenburger Grundund<br />
För<strong>der</strong>schulen<br />
Auf <strong>der</strong> zentralen Ebene leitet und<br />
steuert das M<strong>in</strong>isterium für Bildung,<br />
Jugend und Sport die Netzwerkarbeit.<br />
Dazu f<strong>in</strong>den jährlich Fachplenen statt,<br />
an denen Mitarbeiter<strong>in</strong>nen des Referates<br />
für Grund- und För<strong>der</strong>schulen,<br />
Schulrät<strong>in</strong>nen sowie die Netzwerkmo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong>nen<br />
teilnehmen. In jedem<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
23
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Schulamtsbereich gibt es e<strong>in</strong> regionales<br />
Netzwerkgremium, dem die Leiter<strong>in</strong>nen<br />
<strong>der</strong> regionalen Netzwerke, die<br />
Netzwerkmo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong> sowie die Schulrät<strong>in</strong>nen<br />
für Grund- und För<strong>der</strong>schulen<br />
angehören. Pro Schuljahr f<strong>in</strong>den etwa<br />
5 Beratungen des Netzwerkgremiums<br />
statt. In den Schulamtsbereichen arbeiten<br />
<strong>in</strong> mehreren lokalen Netzwerken<br />
etwa 10 bis 15 Schulleiter<strong>in</strong>nen <strong>der</strong><br />
Grund- und För<strong>der</strong>schulen zusammen.<br />
Trotz Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anzahl und<br />
regionalen Zuordnung sowie personeller<br />
Verän<strong>der</strong>ungen besteht <strong>in</strong> den lokalen<br />
Netzwerken e<strong>in</strong>e große Kont<strong>in</strong>uität.<br />
Jedes Netzwerk wird von e<strong>in</strong>er Schulleiter<strong>in</strong><br />
geleitet, wofür 2 Anrechnungsstunden<br />
zur Verfügung gestellt werden.<br />
Sehr positiv wirken sich das Zusammenbr<strong>in</strong>gen<br />
von Grund- und För<strong>der</strong>schulen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> lokalen Struktur aus.<br />
Die regelmäßige Teilnahme <strong>der</strong> Schulpsycholog<strong>in</strong>nen<br />
und Schulpsychologen<br />
sowie <strong>der</strong> Leiter<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> son<strong>der</strong>pädagogischen<br />
För<strong>der</strong>- und Beratungsstellen<br />
dienen <strong>der</strong> noch besseren Kooperation.<br />
Auch die Leiter<strong>in</strong>nen <strong>der</strong><br />
Schulen <strong>in</strong> freier Trägerschaft können an<br />
den ca. 5 lokalen Netzwerkberatungen<br />
im Jahr teilnehmen. Für e<strong>in</strong> Schuljahr<br />
werden die zu beratenden Themen mit<br />
den bildungspolitischen Schwerpunkten<br />
abgestimmt und darüber h<strong>in</strong>aus an<strong>der</strong>e<br />
relevante Themen <strong>der</strong> Schulleiter<strong>in</strong>nen<br />
aufgegriffen. Außerdem können externe<br />
Partner für Fortbildungen h<strong>in</strong>zugezogen<br />
werden. In die Netzwerkberatungen werden<br />
die Dienstberatungen <strong>der</strong> unteren<br />
Schulaufsicht e<strong>in</strong>gebunden, so dass die<br />
zuständige Schulrät<strong>in</strong> an den Netzwerktreffen<br />
teilnimmt.<br />
Me<strong>in</strong>e Sicht auf die<br />
Netzwerkarbeit im Land<br />
Seit 1998 arbeite ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulleitung<br />
<strong>in</strong> Brandenburg, seit 2010 b<strong>in</strong> ich Netzwerkleiter<strong>in</strong><br />
und habe <strong>in</strong> diesem Kontext<br />
im Laufe <strong>der</strong> Jahre sehr viele überaus<br />
engagierte Schulleiterkolleg<strong>in</strong>nen<br />
und Schulrät<strong>in</strong>nen kennen und schätzen<br />
gelernt. Beson<strong>der</strong>s die wertschätzende<br />
Zusammenarbeit mit me<strong>in</strong>en Kolleg<strong>in</strong>nen<br />
„<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe“ und mit <strong>der</strong> unteren<br />
Schulaufsicht zuerst <strong>in</strong> Wünsdorf dann<br />
<strong>in</strong> Brandenburg, ihre Unterstützung<br />
und Beratung beför<strong>der</strong>ten me<strong>in</strong>e Entwicklung<br />
als Schulleiter<strong>in</strong> und die Prozesse<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule. In den zahlreichen<br />
Netzwerkgremien und jährlichen Fachplenen<br />
des MBJS konnte ich sehr gute<br />
externe Referent<strong>in</strong>nen erleben, die mit<br />
ihren Fortbildungen und Vorträgen die<br />
Netzwerkarbeit und damit schulische<br />
Entwicklungsvorhaben beför<strong>der</strong>ten.<br />
Während <strong>in</strong> den Anfangsjahren diese<br />
beson<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> Kooperation und<br />
Partizipation <strong>in</strong> den lokalen Netzwerken<br />
und regionalen Netzwerkgremien <strong>der</strong><br />
Schulämter unter enger E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />
<strong>der</strong> Mitarbeiter<strong>in</strong>nen für Grund- und<br />
För<strong>der</strong>schulen des Landes<strong>in</strong>stitutes<br />
für Schule und Medien (LISUM) Freiraum<br />
für die Ausgestaltung bot, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen<br />
aus me<strong>in</strong>er Sicht zu viele adm<strong>in</strong>istrative<br />
Formalien entstanden, die<br />
nicht immer <strong>der</strong> anfangs so wichtigen<br />
Idee, schulische Entwicklungen durch<br />
regionale „Best-Practice-Beispiele“ zu<br />
för<strong>der</strong>n, dienlich s<strong>in</strong>d.<br />
Vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> enormen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen, denen sich Leiter<strong>in</strong>nen<br />
an Brandenburgs Grund- und<br />
För<strong>der</strong>schulen aktuell und zukünftig<br />
stellen müssen, s<strong>in</strong>d die regionalen<br />
Netzwerke zu erfolgreichen und für<br />
die Schulleiter<strong>in</strong>nen wichtigen Arbeitsplattformen<br />
geworden. Kollegiales Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
statt Konkurrenz, Teilen von<br />
Erfahrungen, Weitergabe von Ideen, geme<strong>in</strong>sames<br />
Arbeiten an Konzepten und<br />
das Sich-Zuhören, führen dazu, dass sich<br />
Leiter<strong>in</strong>nen auf Augenhöhe austauschen<br />
und <strong>in</strong> schwierigen Situationen stützen<br />
und ermutigen. Bereichernd und anregend<br />
s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>drücke, wenn wir als<br />
Netzwerk reihum <strong>in</strong> den Schulen tagen,<br />
die Unterschiede und Geme<strong>in</strong>samkeiten<br />
wahrnehmen. Wir erleben ähnliche<br />
Problemsituationen und erfahren<br />
gute Lösungsansätze, die auf die eigene<br />
Schule übertragbar s<strong>in</strong>d. Neue Schulleiter<strong>in</strong>nen<br />
werden schnell <strong>in</strong>tegriert und<br />
erhalten von allem Mitglie<strong>der</strong>n Unterstützung.<br />
Dr. Katja Friedrich (LISUM Berl<strong>in</strong>-<br />
Brandenburg) evaluierte durch Auswertung<br />
schriftlicher Fragebögen von<br />
Denise Sommer<br />
Grundschullehrer<strong>in</strong> seit 1986<br />
von 1992 bis 1998 Mitarbeiter<strong>in</strong> im<br />
Pädagogischen Landes<strong>in</strong>stitut<br />
Brandenburg (PLIB) u. a. Lernwerkstätten<br />
und BLK-Modellversuch „Kle<strong>in</strong>e<br />
<strong>Grundschule</strong>“; seit 2009 Leiter<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Grundschule</strong> Glienick und Netzwerkleiter<strong>in</strong>:<br />
seit 1997 Vorsitzende <strong>der</strong><br />
LG Brandenburg<br />
439 Grund- und För<strong>der</strong>schulen im Jahr<br />
2014 die Netzwerkarbeit. Als beson<strong>der</strong>s<br />
positiv schätzten die Schulleiter<strong>in</strong>nen<br />
damals den Erfahrungsaustausch, die<br />
Bearbeitung von Fragen und Problemen<br />
sowie die Stärkungserfahrung e<strong>in</strong>.<br />
Diese Befunde s<strong>in</strong>d aus me<strong>in</strong>er Sicht<br />
nach wie vor relevant und aktueller<br />
denn je. Netzwerke <strong>der</strong> Zukunft dürfen<br />
nicht nur e<strong>in</strong> von „Oben-nach-Unten-<br />
Durchstellen“ von bildungspolitischen<br />
Schwerpunkten und das Abfragen <strong>der</strong><br />
Zielerfüllung se<strong>in</strong>. Vielmehr müssen<br />
die Ideen und Erfahrungen <strong>der</strong> Schulleiter<strong>in</strong>nen<br />
sowie das Geme<strong>in</strong>same, <strong>der</strong><br />
Teamgeist und die Stärkung im Mittelpunkt<br />
stehen. Dazu bedarf es weniger<br />
Regelung, dafür mehr Vertrauen und<br />
Wertschätzung sowie endlich <strong>der</strong> Bereitstellung<br />
von mehr zeitlichen Ressourcen<br />
für Schulleitungstätigkeit für schulische<br />
Entwicklungsprozesse durch das<br />
Bildungsm<strong>in</strong>isterium.<br />
Die Angleichung <strong>der</strong> Anrechnungsstunden<br />
von Leitungstätigkeit an<br />
Brandenburger <strong>Grundschule</strong>n an die<br />
Ausstattung für Schulleitungen <strong>der</strong><br />
weiterführenden Schulen ist dabei<br />
nur e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>imalfor<strong>der</strong>ung, die <strong>der</strong><br />
Brandenburger Vorstand des Grundschulverbandes<br />
seit Jahren bildungspolitisch<br />
for<strong>der</strong>t.<br />
24<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Christ<strong>in</strong>e Beermann, Torsten Buncher<br />
Schulentwicklung unterstützen<br />
durch „Standards guter Schulen“<br />
Netzwerkarbeit im Schulverbund „Blick über den Zaun“<br />
Beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Phasen <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung braucht e<strong>in</strong> System Orientierung und<br />
Sicherheit durch Ziele und verständigte Standards. Rückmeldungen von außen<br />
zum Stand des Entwicklungsprozesses helfen, die Eigenwahrnehmung zu vervollständigen<br />
und „bl<strong>in</strong>de Flecken“ aufzudecken. Wie die Südschule Lemgo von<br />
<strong>der</strong> Arbeit im Schulnetzwerk „Blick über den Zaun“ profitiert, beschreibt dieser<br />
Artikel.<br />
Der Schulverbund „Blick über<br />
den Zaun“ wurde 1989 von<br />
überwiegend reformpäda gogisch<br />
arbeitenden Schulen gegründet.<br />
Heute umfasst das Netzwerk mehr als<br />
130 Schulen aus Deutschland sowie <strong>der</strong><br />
Schweiz. Die Schulen verschiedenster<br />
Schulformen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> 15 Arbeitskreisen<br />
organisiert. Den Kern <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
bilden die gegenseitigen Schulbesuche,<br />
Peer Reviews, mit <strong>der</strong> Zielsetzung,<br />
vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu lernen, sich<br />
über Erfahrungen auszutauschen und<br />
sich gegenseitig bei <strong>der</strong> Schulentwicklung<br />
zu unterstützen. An den Peer<br />
Reviews nehmen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel zwei Vertreter*<strong>in</strong>nen<br />
je<strong>der</strong> Schule teil, darunter<br />
m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong> Schulleitung,<br />
um die Umsetzung von<br />
Impulsen für die Schulentwicklung auf<br />
Schulebene zu unterstützen. Die<br />
Besucher*<strong>in</strong>nen geben als kritische<br />
Freund:<strong>in</strong>nen am Ende <strong>der</strong> Peer Re -<br />
views e<strong>in</strong>e Rückmeldung.<br />
Als Grundlage <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen<br />
Arbeit im Schulverbund haben Lehrkräfte<br />
<strong>der</strong> Mitgliedsschulen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Leitbild Standards e<strong>in</strong>er guten Schule<br />
formuliert, an denen sich die Mitgliedsschulen<br />
bis heute orientieren.<br />
Die Südschule im<br />
„Blick über den Zaun“<br />
Im Jahr 2004 fiel an <strong>der</strong> Südschule nach<br />
<strong>in</strong>tensiver Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit<br />
<strong>der</strong> bisherigen Praxis Schule und ihrer<br />
Struktur <strong>der</strong> Beschluss, das Lernen ab<br />
dem Schuljahr 2005/2006 jahrgangsübergreifend<br />
zu organisieren. Die guten<br />
Erfahrungen mit Ganztagsangeboten ab<br />
1999 führten parallel zu dem Beschluss,<br />
zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e Klasse und darauf aufbauend,<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> damals gerade vor <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>führung stehenden „Offenen Ganztagsschule“<br />
(OGS) e<strong>in</strong>en Zug im Ganztag<br />
zu organisieren.<br />
Das Kollegium sah dar<strong>in</strong> die Chance,<br />
den Bedürfnissen <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler <strong>in</strong> ihrer <strong>in</strong>dividuellen Entwicklung<br />
besser gerecht werden zu können.<br />
Im Unterricht sollten zukünftig<br />
die Jahrgänge 1 – 3 gemischt werden,<br />
um <strong>der</strong> Heterogenität <strong>der</strong> Lernstände<br />
und -voraussetzungen weiteren Raum<br />
zu geben. Der Unterricht sollte nicht<br />
(mehr) den Versuch unternehmen, die<br />
Leistungsstände <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
anzugleichen. Der leitende Gedanke<br />
lautete: „Nicht die K<strong>in</strong><strong>der</strong> differenzieren,<br />
son<strong>der</strong>n die Aufgaben”. Der <strong>in</strong>tensiv<br />
durchdachte Schulentwicklungsprozess<br />
lief wie geplant und war bezogen auf<br />
die Umstrukturierungen im Schuljahr<br />
2008/2009 (auch mit e<strong>in</strong>em Ganztagszug)<br />
abgeschlossen.<br />
Der Aufbau e<strong>in</strong>er neuen und verb<strong>in</strong>dlichen<br />
Unterrichts- und Arbeitsstruktur<br />
erfor<strong>der</strong>t neben umfassenden<br />
Diskussionen auch das Herbeiführen<br />
von Übere<strong>in</strong>künften und Beschlüssen.<br />
Alle<strong>in</strong> Mehrheiten zu bekommen, reicht<br />
nicht. Der Begriff „Konsent” beschreibt<br />
aus heutiger Sicht unser damaliges Vorgehen.<br />
Er liegt zwischen dem erlangen<br />
e<strong>in</strong>es Mehrheitsbeschlusses und dem<br />
Leitbild vgl.<br />
https://www.blickueberdenzaun.<br />
de/schulverbund/leitbild<br />
Aufruf am 14.09.2023<br />
Konsensieren bis zum Abschleifen aller<br />
Ecken und Kanten. Konsent me<strong>in</strong>t hier<br />
die Verständigung über das von allen<br />
Tragbare.<br />
Obwohl bei diesem umfangreichen<br />
Schulentwicklungsprozess die <strong>in</strong>ternen<br />
Kommunikationsstrukturen mitgedacht<br />
waren, wurde schnell e<strong>in</strong> Bedürfnis<br />
nach Austausch außerhalb des<br />
eigenen Systems spürbar. Wir suchten<br />
nach „Gleichges<strong>in</strong>nten”, also Schulen,<br />
die ähnliche Prozesse durchlaufen<br />
hatten und sich denselben Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
stellten wie wir. So sehr<br />
wir durch sorgfältige Planung <strong>in</strong>nerhalb<br />
des Systems Stabilität und Orientierung<br />
durch geme<strong>in</strong>same Absprachen,<br />
Konsensbildung und Leitbildarbeit gefunden<br />
hatten, suchten wir doch nach<br />
e<strong>in</strong>em übergeordneten Rahmen, <strong>in</strong><br />
dem wir die von uns angestrebten Zielsetzungen<br />
wie<strong>der</strong>fanden. Fündig wurden<br />
wir für unser pädagogisches Fundament<br />
im Leitbild und den Standards des<br />
Schulverbunds „Blick über den Zaun“.<br />
Im Herbst 2009 absolvierten wir unseren<br />
ersten Schulbesuch.<br />
Schulbesuche und ihre<br />
Wirkung auf die Schule<br />
Die Vorbereitung e<strong>in</strong>es Schulbesuchs<br />
setzt e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
mit den Standards voraus. Wie<br />
erreichen wir den e<strong>in</strong>zelnen Standard? /<br />
Wie setzen wir dies konkret um? waren<br />
Leitfragen unserer Entwicklung. Dabei<br />
wurde deutlich: Wo stehen wir? Was<br />
haben wir schon erreicht? Was haben<br />
wir bisher nicht gesehen? Woran wollen<br />
wir <strong>in</strong> Zukunft arbeiten?<br />
Diese Abgleiche <strong>der</strong> Standards mit<br />
dem eigenen Verständnis <strong>der</strong> Schule<br />
machen deutlich, was Schwerpunkte<br />
s<strong>in</strong>d, mit denen e<strong>in</strong>e Schule sich weiter<br />
beschäftigen will und wozu sie deshalb<br />
e<strong>in</strong>e Rückmeldung <strong>der</strong> „kritischen<br />
Freund*<strong>in</strong>nen” nutzen möchte. Gleich-<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
25
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
zeitig entstand durch die schriftliche Fixierung<br />
e<strong>in</strong>e Art Handlungsleitfaden für<br />
bereits tätige und zukünftige Kolleg*<strong>in</strong>nen.<br />
Die Arbeit an und mit den BüZ-<br />
Standards hatte nie das Ziel – und darf<br />
nie das Ziel haben -, e<strong>in</strong>en Haken h<strong>in</strong>ter<br />
Erreichtes zu setzen. Die Vergewisserung<br />
des eigenen Tuns trägt auch immer die<br />
Verpflichtung zur weiteren Arbeit und<br />
Sicherung mit im Gepäck.<br />
Während e<strong>in</strong>es Schulbesuchs, <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Regel drei Tage dauert, fokussieren<br />
die „kritischen Freund*<strong>in</strong>nen” bei ihren<br />
Beobachtungen die Standards und pädagogischen<br />
Schwerpunkte, zu denen sich<br />
die besuchte Schule e<strong>in</strong>e Rückmeldung<br />
wünscht.<br />
Ablauf e<strong>in</strong>es Schulbesuchs<br />
Lernreisen zu Schulen unterschiedlicher<br />
Schulformen <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n lösen den Blick vom<br />
Alltäglichen. Sie führen zu den Fragestellungen<br />
im Kern: Wie muss sich<br />
Schule darstellen, damit sich e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />
mit se<strong>in</strong>em Platz identifizieren und <strong>in</strong><br />
die Tiefe des Gegenstandes lernen kann.<br />
Wie zeigt e<strong>in</strong>e Schule nach außen, dass<br />
sie stolz auf die Leistungen aller ihrer<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> ist? Wie organisiert e<strong>in</strong>e Schule<br />
den demokratischen Prozess aller<br />
Personengruppen? Wie organisiert und<br />
sichert die Schule eigenes Lernen nachhaltig?<br />
Der erste Tag e<strong>in</strong>es Peer reviews dient<br />
dem gegenseitigen Kennenlernen und/<br />
o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>sehen; die Schule wird besichtigt,<br />
Wissenswertes über die Schule<br />
vermittelt und die Schulen des Arbeitskreises<br />
br<strong>in</strong>gen sich gegenseitig auf den<br />
neuesten Stand, was ihre eigene Entwicklung<br />
betrifft. Am zweiten Tag folgt<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Hospitationsphase, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Unterricht genau betrachtet wird.<br />
An <strong>der</strong> Südschule war uns Transparenz<br />
immer beson<strong>der</strong>s wichtig: Grundsätzlich<br />
standen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule die Türen <strong>der</strong><br />
Klassenräume stets offen, schon weil<br />
sich viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> zum Lernen im ganzen<br />
Schulgebäude bewegten. So war es für<br />
uns auch selbstverständlich, die Hospitierenden<br />
nicht e<strong>in</strong>zelnen Klassen zuzuweisen.<br />
Neben den Beobachtungen<br />
im Unterricht gew<strong>in</strong>nen die „kritischen<br />
Freund*<strong>in</strong>nen” durch Gesprächsrunden<br />
mit Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern, Eltern<br />
und Kolleg*<strong>in</strong>nen E<strong>in</strong>sichten. Am dritten<br />
Tag e<strong>in</strong>es Schulbesuchs erfolgt e<strong>in</strong><br />
Rückmeldegespräch mit <strong>der</strong> Schulleitung<br />
und anschließend mit dem gesamten<br />
Kollegium. Es werden gefundene Schätze<br />
gehoben und Fragen ohne Diskussion<br />
o<strong>der</strong> gar Rechtfertigungen gestellt. Die<br />
„kritischen Freund:<strong>in</strong>nen“ erläutern die<br />
Wahrnehmungen zu den ausgesuchten<br />
Standards und Fragestellungen.<br />
Auswirkungen des Schulbesuchs<br />
Die Rückmeldungen <strong>der</strong> Kolleg:<strong>in</strong>nen<br />
<strong>der</strong> BüZ-Schulen im Anschluss an ihren<br />
Besuch wirken tief und lange nach. Lob<br />
<strong>der</strong> Peers kommt von höchster Stelle,<br />
Fragen <strong>der</strong> Peers wollen beantwortet<br />
werden. Da sich alle Besucher*<strong>in</strong>nen<br />
und alle an <strong>der</strong> Schule Tätigen an denselben<br />
Standards orientierten, s<strong>in</strong>d viele<br />
Fragestellungen obsolet, die sich auf<br />
die Gestaltung des Unterrichts und des<br />
Lebens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule beziehen.<br />
E<strong>in</strong> richtungsweisen<strong>der</strong> Gedanke <strong>der</strong><br />
Rückmeldung nach dem ersten Schulbesuch<br />
Warum nicht die 4.Klässler <strong>in</strong><br />
die Jahrgangsmischung e<strong>in</strong>beziehen? begleitete<br />
die Schulentwicklung fast zehn<br />
Jahre lang, bis wir 2019 e<strong>in</strong>en Weg gefunden<br />
hatten, diesem Gedanken Rechnung<br />
zu tragen. Auch dieser <strong>in</strong>tensive<br />
Weiterentwicklungsprozess profitierte<br />
deutlich von <strong>der</strong> Hospitation an Schulen<br />
aus dem BüZ-Netzwerk: Im Nachgang<br />
<strong>der</strong> Hospitationen von Kolleg*<strong>in</strong>nen an<br />
Schulen mit unterschiedlichen Lösungen<br />
zum Jahrgangsübergreifenden Lernen<br />
trugen wir die Erkenntnisse zusammen<br />
und entwickelten an <strong>der</strong> Südschule e<strong>in</strong><br />
eigenes Konzept zur Gestaltung von<br />
Lernhäusern.<br />
Werkstatt Individuell<br />
und Tagungen<br />
E<strong>in</strong>e nicht zu unterschätzende Hilfe<br />
für die Unterrichtsentwicklung und<br />
die Professionalisierung aller Lehrkräfte<br />
stellten die Besuche <strong>der</strong> Werkstätten<br />
<strong>der</strong> Bosch-Stiftung dar, die<br />
später im Rahmen <strong>der</strong> Werkstätten<br />
des BüZ angeboten wurden. Die Entwicklung<br />
offener Aufgabenstellungen<br />
für jahrgangs ge misch te Lerngruppen<br />
wurde massiv beför<strong>der</strong>t. Unmittelbar<br />
e<strong>in</strong>bezogen waren die Mitarbeitenden<br />
<strong>der</strong> OGS durch die rhythmisierte Ganztagsstruktur.<br />
Neben die allgeme<strong>in</strong>en<br />
E<strong>in</strong>führungen <strong>in</strong> die Schreib- und<br />
Lese lernprozesse sowie <strong>in</strong> Grund lagen<br />
<strong>der</strong> Grundschulmathematik traten weitere<br />
<strong>in</strong>terne Fortbildungen z. B. zum<br />
Umgang mit schwierigem Verhalten.<br />
Neben den Werkstatt-Treffen f<strong>in</strong>den<br />
alle drei Jahre Tagungen des Schulverbunds<br />
für alle Mitgliedsschulen statt. Die<br />
Tagungen dienen vornehmlich <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren<br />
Verständigung.<br />
Resümee: Warum tun wir das?<br />
Schulen vermitteln traditionell Kulturtechniken.<br />
Ihr Auftrag ist aber weiter<br />
gespannt. K<strong>in</strong><strong>der</strong> müssen e<strong>in</strong>en Lernraum<br />
vorf<strong>in</strong>den, <strong>der</strong> sie zu mündigen<br />
Teilhabenden und demokratisch<br />
Gestaltenden ihrer geme<strong>in</strong>samen Zu -<br />
kunft heranreifen lässt.<br />
Diesen Aufgaben kann sich e<strong>in</strong> Kollegium<br />
nur durch geme<strong>in</strong>sames Nachdenken,<br />
Beschreiben <strong>der</strong> jeweils nächsten<br />
Könnensstufe e<strong>in</strong>es jeden K<strong>in</strong>des und<br />
Entwicklung e<strong>in</strong>es Kodex’ <strong>der</strong> ethisch<br />
verantworteten Erziehungsarbeit nähern.<br />
Peer reviews eröffnen Zeit und Raum,<br />
geben Antworten, entwickeln Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
und stärken Schulen, K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Kollegien.<br />
Christ<strong>in</strong>e Beermann, Konrektor<strong>in</strong> an<br />
<strong>der</strong> Südschule 2006, komm. Leitung<br />
2015, Rektor<strong>in</strong> 2016 - 2022<br />
Torsten Buncher, Konrektor an <strong>der</strong><br />
Südschule 1998, komm. Leitung 1999,<br />
Rektor 2001-2015, heute Schulaufsicht<br />
für <strong>Grundschule</strong>n<br />
26<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Re<strong>in</strong>hard Stähl<strong>in</strong>g<br />
Wie entwickelten sich <strong>in</strong> je<strong>der</strong><br />
Klasse feste Erwachsenen-Teams als<br />
Verantwortungsgeme<strong>in</strong>schaft?<br />
Inklusion <strong>in</strong> Berg Fidel<br />
Die Entwicklung des Konzepts <strong>der</strong> so genannten „son<strong>der</strong>pädagogischen För<strong>der</strong>ung“<br />
<strong>in</strong> unserer Schule hat zehn bis zwanzig Jahre gedauert. Ohne dass es uns<br />
von Anfang an bewusst war, g<strong>in</strong>g es letzten Endes bei aller Son<strong>der</strong>- o<strong>der</strong> Integrationspädagogik<br />
immer nur um die Schaffung von stabilen und solidarischen Geme<strong>in</strong>schaftsstrukturen,<br />
<strong>in</strong> denen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> im sozialen Brennpunkt Berg Fidel<br />
Verlässlichkeit erfahr en können.<br />
Unsere K<strong>in</strong><strong>der</strong> und <strong>der</strong>en Eltern<br />
verlangten nach e<strong>in</strong>er solidarischen<br />
Klassengeme<strong>in</strong>schaft, aus<br />
<strong>der</strong> ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d ausgeschlossen werden<br />
kann s (Stähl<strong>in</strong>g & Wen<strong>der</strong>s 2021).<br />
„Und sie benötigen e<strong>in</strong>e feste Teamgruppe<br />
von Erwachsenen, die ke<strong>in</strong>en fallen<br />
lässt“, so sagte ich bei je<strong>der</strong> Gelegenheit<br />
zu me<strong>in</strong>en Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen.<br />
„Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> brauchen auch verlässliche<br />
Absprachen über Tagespläne, Pläne<br />
<strong>der</strong> Woche und Vorankündigungen von<br />
beson<strong>der</strong>en Ereignissen. Und feste Regeln,<br />
die auch konsequent e<strong>in</strong>gehalten<br />
werden!“, ergänzte e<strong>in</strong>e Klassenlehrer<strong>in</strong>,<br />
„Das geht nur mit e<strong>in</strong>er festen Teamsitzung“.<br />
In e<strong>in</strong>er Konferenz beschlossen wir<br />
schließlich für die ganze Schule, dass <strong>in</strong><br />
je<strong>der</strong> Klasse wöchentlich e<strong>in</strong>e feste und<br />
verpflichtende Teamsitzung stattf<strong>in</strong>det:<br />
Daran nehmen alle teil, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse<br />
mitwirken. Allen wurde immer klarer,<br />
dass dies so wertvoll ist, dass wir jedem<br />
Teammitglied dafür e<strong>in</strong>e Stunde anrechnen<br />
müssten. Im Stundenplan war<br />
die Teamsitzung fest e<strong>in</strong>geplant.<br />
Das klasseneigene<br />
Pädagogen-Team als<br />
Verantwortungsgeme<strong>in</strong>schaft<br />
Nach e<strong>in</strong>igen Jahren hatten die<br />
Erwachsenen e<strong>in</strong>er jeden Klasse e<strong>in</strong>en<br />
unverwechselbaren Stil <strong>der</strong> Teamarbeit<br />
entwickelt. Jedes Team übernahm die<br />
Verantwortung für die Gesamtwoche<br />
und die Lernkultur. Jedes Team erprobte<br />
autonome Wege und organisierte Vertretungsregelungen<br />
selbst (Stähl<strong>in</strong>g &<br />
Wen<strong>der</strong>s 2015, S. 8 ff).<br />
Unterschiedlich waren je nach Teamzusammensetzung<br />
die Aufgabenverteilung<br />
und die Herangehensweisen. In<br />
e<strong>in</strong>em Team z. B. arbeitete e<strong>in</strong>e Berufsanfänger<strong>in</strong><br />
als Klassenlehrer<strong>in</strong> zusammen<br />
mit e<strong>in</strong>er erfahrenen und vielseitig<br />
e<strong>in</strong>setzbaren Erzieher<strong>in</strong>, die bereits<br />
e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe geleitet hatte.<br />
Die Erzieher<strong>in</strong> war Musiklehrer<strong>in</strong>.<br />
E<strong>in</strong> weiteres Team hatte als „Honorarkraft“<br />
e<strong>in</strong>e engagierte Mutter, die im<br />
Stadtteil verwurzelt war. Sie arbeitete<br />
zusammen mit e<strong>in</strong>er erfahrenen<br />
Klassenlehrer<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>er Erzieher<strong>in</strong>,<br />
die ihre pädagogischen E<strong>in</strong>sichten <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong><strong>der</strong>heim gesammelt hatte. In<br />
e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Team fasz<strong>in</strong>ierte das Engagement<br />
e<strong>in</strong>er jungen Fußballtra<strong>in</strong>er<strong>in</strong>,<br />
über das sie schnell das Vertrauen <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> gewann.<br />
Die Teams waren <strong>in</strong> ihrer Zusammenarbeit<br />
weniger durch ihre verschiedenen<br />
Berufe gekennzeichnet als durch die<br />
Persönlichkeiten ihrer Mitglie<strong>der</strong>. Die<br />
Arbeit war geprägt durch die <strong>in</strong>dividuellen<br />
Möglichkeiten und Stärken <strong>der</strong><br />
Team-Mitglie<strong>der</strong>. Seit 1992 hatten wir<br />
im Zusammenhang mit <strong>der</strong> gebundenen<br />
Ganztagsgrundschule den Begriff „multiprofessionelles<br />
Team“ (Stähl<strong>in</strong>g 2004)<br />
benutzt – geme<strong>in</strong>t als festes Klassenteam.<br />
Heute wird <strong>der</strong> Begriff häufig aus<br />
dem Zusammenhang des Klassenteams<br />
gelöst und sogar e<strong>in</strong> Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
von Klassenlehrer:<strong>in</strong> und Son<strong>der</strong>pädagog:<strong>in</strong><br />
als „multiprofessionelle“ Arbeit<br />
bezeichnet. Aber erst wenn die multiprofessionellen<br />
Teams zu e<strong>in</strong>er Verantwortungsgeme<strong>in</strong>schaft<br />
für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Klasse werden, än<strong>der</strong>t<br />
sich <strong>der</strong> gesamte Unterricht und die<br />
Qualität steigt.<br />
Klasseneigene Pädagog:<strong>in</strong>nen-<br />
Teams <strong>in</strong> <strong>der</strong> PRIMUS-Schule<br />
Berg Fidel/Geist <strong>in</strong> Münster<br />
Unsere Schule ist <strong>in</strong>zwischen seit 2014<br />
aufgebaut als gebundene Ganztagsschule<br />
von Jahrgang 1 – 10. Jede Klasse<br />
hat e<strong>in</strong> festes eigenes Erwachsenen-<br />
Team. Neben den hauptamtlichen<br />
Pädagog:<strong>in</strong>nen (z. B. Klassenlehrer:<strong>in</strong>,<br />
Son<strong>der</strong>pädagog:<strong>in</strong>, Erzieher:<strong>in</strong> und<br />
Schulbegleiter:<strong>in</strong>), gehören pädagogische<br />
Mitarbeiter:<strong>in</strong>nen zum Team (z. B.<br />
Bildung – und Teilhabe- Kräfte -Kräfte,<br />
Studierende, Praktikant:<strong>in</strong>nen). Die<br />
Klassenlehrer:<strong>in</strong>nen leiten ihre Teams<br />
und s<strong>in</strong>d Hauptansprechpartner:<strong>in</strong>nen<br />
<strong>der</strong> Eltern.<br />
Diese Erwachsenen s<strong>in</strong>d geme<strong>in</strong>sam<br />
für sämtliche pädagogischen Aufgaben<br />
und für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> verantwortlich. Der<br />
Plan <strong>der</strong> Woche wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> wöchentlichen<br />
Teamsitzung vere<strong>in</strong>bart.<br />
Um die Woche zu planen, über<br />
Schüler:<strong>in</strong>nen zu sprechen und die<br />
Arbeit zu koord<strong>in</strong>ieren, haben alle<br />
Teams <strong>in</strong>zwischen montagnachmittags<br />
von 13.15 bis ca. 14.45 Uhr Teamsitzungen<br />
<strong>in</strong> ihrem Klassenraum. Dies<br />
geschieht zur selben Zeit, damit die<br />
Teams untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> auf kurzen Wegen<br />
Absprachen treffen können.<br />
Jedes Klassenteam kann alle 6 – 8 Wochen<br />
Supervision nutzen und zieht sich<br />
e<strong>in</strong>mal pro Halbjahr zu e<strong>in</strong>em Teamtag<br />
zurück. An diesem Teamtag übernimmt<br />
e<strong>in</strong> Partnerteam die Klasse. Im Gegenzug<br />
vertritt das eigene Team das Partnerteam<br />
bei dessen Teamtag.<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
27
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Beispiel Ali<br />
„Dass wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule Berg Fidel als<br />
Erwachsene immer noch nicht gut<br />
genug s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong><strong>der</strong>, möchte<br />
ich aber doch sagen“, sagte e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>pädagog<strong>in</strong><br />
im Lehrzimmer. „Wir son<strong>der</strong>n<br />
aus, ohne es selbst zu bemerken.<br />
Im Alltag passiert uns das immer wie<strong>der</strong>:<br />
Beispiel Ali.“<br />
„Ja, er traktierte so sehr die an<strong>der</strong>en<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Klasse, dass wir im<br />
Team nach e<strong>in</strong>em Jahr schließlich die<br />
Hoffnung aufgegeben haben. Er soll <strong>in</strong><br />
die Son<strong>der</strong>schule. Wir haben vieles vergeblich<br />
versucht. Niemand kann noch<br />
weitere Kraft <strong>in</strong>vestieren, um dem Jungen<br />
zu helfen. Wir müssen auch die<br />
an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong> schützen!“, sagte die<br />
Klassenlehrer<strong>in</strong>.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs ließ mich als Schulleiter die<br />
Metapher von <strong>der</strong> Schule als Schiff nicht<br />
ruhen. Auf e<strong>in</strong>em Segelschiff, das mit<br />
„schwer erziehbaren“ Jugendlichen <strong>in</strong><br />
See sticht, ist man auch bei schwersten<br />
Regelverstößen nicht berechtigt, e<strong>in</strong>en<br />
Jugendlichen über Bord zu werfen.<br />
Könnte Ali weiterh<strong>in</strong> wohnortnah<br />
zur Schule gehen und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Klassengeme<strong>in</strong>schaft bleiben? Ich bat<br />
darum, dass wir dieses Problem noch<br />
e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Ruhe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Supervision angehen:<br />
Das Team versetzte sich während<br />
e<strong>in</strong>er angeleiteten Phantasiereise <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e problembeladene, alltägliche Situation,<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ali etwas tat, das die Mitarbeiter:<strong>in</strong>nen<br />
hilflos machte, ärgerte o<strong>der</strong><br />
provozierte. Dann wechselte jede:r die<br />
Perspektive und identifizierte sich mit<br />
dem Jungen: Wie fühle und denke ich als<br />
Ali? Was berührt mich als Ali beson<strong>der</strong>s?<br />
Alle Teammitglie<strong>der</strong> sagten, dass Ali<br />
mehr Zuwendung will. Er lenkt Aufmerksamkeit<br />
auf sich, <strong>in</strong>dem er etwas<br />
„anstellt“. Unsere vergeblichen Maßnahmen<br />
zur Integration <strong>in</strong> die Klassengeme<strong>in</strong>schaft<br />
scheiterten, weil Ali jedes<br />
pädagogisch ausgefeilte Gruppenangebot<br />
(Entspannungsübungen, Reiten, <strong>in</strong>tensives<br />
Kle<strong>in</strong>gruppentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g u. a.) für se<strong>in</strong>e<br />
Zwecke umdef<strong>in</strong>ierte: Er wollte, dass<br />
man sich mit ihm beschäftigt und ihn <strong>in</strong><br />
den Mittelpunkt rückt. Durch se<strong>in</strong> Verhalten<br />
unterlief er unsere Aktivitäten.<br />
Die Pädagog:<strong>in</strong>nen gaben ihn schließlich<br />
auf, weil ihre Maßnahmen und Methoden<br />
nicht zum Erfolg führten.<br />
Die Klassenlehrer<strong>in</strong> stellte plötzlich<br />
e<strong>in</strong>e überraschende Frage: „Was wollen<br />
wir eigentlich? Wollen wir unsere attraktiven<br />
Angebote durchführen und ihn<br />
dann davon ausschließen o<strong>der</strong> wollen<br />
wir zu ihm e<strong>in</strong>e Beziehung aufbauen?“<br />
Es dauerte etwas, bis wir erkannten,<br />
dass unsere Angebote ihm nichts halfen,<br />
weil wir sie auf jeden Fall „durchzogen“.<br />
„Aber unsere Aktivitäten mit <strong>der</strong> ganzen<br />
Klasse s<strong>in</strong>d doch fest im Stundenplan<br />
verankert. Raumbelegungspläne,<br />
E<strong>in</strong>satzzeiten <strong>der</strong> Kolleg:<strong>in</strong>nen und die<br />
Abstimmung mit an<strong>der</strong>en Projekten.<br />
Die Maßnahmen s<strong>in</strong>d doch auch erfolgreich.<br />
Sollen wir wegen e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />
alles auf den Kopf stellen?“, fragte die<br />
Erzieher<strong>in</strong>. „Für e<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d sie<br />
passend und wertvoll, aber nicht für Ali.<br />
Was tun?“<br />
„Er stört immer die Aktivität, er<br />
nimmt sie nicht an, er könnte so gut<br />
davon lernen!“, warf e<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>.<br />
Bereits am Tag nach <strong>der</strong> Supervision<br />
begannen wir, Ali an<strong>der</strong>s wahrzunehmen<br />
– als e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, das verzweifelt nach<br />
Liebe schreit. Ohne groß darüber zu debattieren,<br />
gaben wir es auf, irgende<strong>in</strong><br />
Verhalten von ihm zu erwarten. Wir for<strong>der</strong>ten<br />
nicht mehr, dass er an e<strong>in</strong>em Angebot<br />
teilnahm. Im Team sprachen wir<br />
ab, dass wir alle Lernanfor<strong>der</strong>ungen reduzieren.<br />
Die Erzieher<strong>in</strong> nahm ihn e<strong>in</strong>ige Tage<br />
später an die Hand und fragte, was er<br />
gerne machen wolle. Sie zeigte ihm vieles<br />
im Haus, im Gelände, außerhalb <strong>der</strong><br />
Schule und wartete, bis ihn irgendetwas<br />
<strong>in</strong>teressierte. „Daran setzen wir jetzt an!“,<br />
sagte sie im Team.<br />
Ali blieb an unserer Schule. Stundenpläne<br />
mussten nicht geän<strong>der</strong>t werden,<br />
aber die Angebote wurden nicht<br />
zur Hürde für ihn. Auch wir reagierten<br />
flexibler und for<strong>der</strong>ten nur so viel<br />
von ihm, wie er sich selbst abverlangte.<br />
Dazu entwickelte das Team zusammen<br />
e<strong>in</strong>en „För<strong>der</strong>plan“. Jedes Teammitglied<br />
wusste, an welchen Zielen Ali momentan<br />
arbeitete. Am Ende des Tages gab es<br />
e<strong>in</strong> Gespräch mit Ali: Was war gelungen,<br />
was machen wir morgen?<br />
In <strong>der</strong> Teamsitzung fasste es die<br />
Klassenlehrer<strong>in</strong> zusammen. „Nicht das<br />
pädagogische o<strong>der</strong> therapeutische Angebot,<br />
son<strong>der</strong>n die Beziehung zum K<strong>in</strong>d<br />
entscheidet doch über den Erfolg!“<br />
„Richtig, ich übertreibe nicht: egal was<br />
es anstellt, wir halten zu ihm, diese Botschaft<br />
spürt er genau“, bestätigte ich.<br />
Dr. Re<strong>in</strong>hard Stähl<strong>in</strong>g<br />
bis 2022 Schulleiter <strong>der</strong> PRIMUS-Schule<br />
Berg Fidel/Geist <strong>in</strong> Münster, e<strong>in</strong>er Gesamtschule<br />
<strong>der</strong> Jahrgänge 1–10.<br />
ggs-bergfidel@gmx.de<br />
www.re<strong>in</strong>hard-staehl<strong>in</strong>g.de<br />
„Ich würde mich freuen, wenn ihr<br />
das son<strong>der</strong>pädagogischen Gutachten<br />
und die Schülerzeugnisse bitte e<strong>in</strong>mal<br />
genau gegenlest und ergänzt o<strong>der</strong><br />
Fragezeichen daran macht! Das ist e<strong>in</strong>e<br />
geme<strong>in</strong>same Aufgabe des Teams. Es entlastet<br />
mich sehr und stärkt mich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er<br />
Verantwortung. Ich b<strong>in</strong> zwar alle<strong>in</strong><br />
zuständig, aber eure Hilfe ist wertvoll“,<br />
sagte die Klassenlehrer<strong>in</strong> und fand ihre<br />
Teammitglie<strong>der</strong> bereit zu dieser Aufgabe.<br />
Empf<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> Team wie e<strong>in</strong>e gut<br />
e<strong>in</strong>gespielte Feuerwehrmannschaft, so<br />
kann e<strong>in</strong> „Son<strong>der</strong>-E<strong>in</strong>satz“ selbstständig<br />
zum Wohle aller Mitwirkenden gel<strong>in</strong>gen.<br />
In <strong>der</strong> Praxis br<strong>in</strong>gt dann je<strong>der</strong> das e<strong>in</strong>,<br />
was er kann und überlässt an<strong>der</strong>en – angesichts<br />
eigener Grenzen – die Tätigkeitsfel<strong>der</strong>,<br />
die er nicht beherrscht. E<strong>in</strong><br />
gutes Team akzeptiert die persönlichen<br />
Grenzen jedes e<strong>in</strong>zelnen Mitglieds und<br />
arbeitet an <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Fähigkeiten<br />
von allen.<br />
Literatur<br />
Stähl<strong>in</strong>g, Re<strong>in</strong>hard (2004): Multiprofessionelle<br />
Teams <strong>in</strong> altersgemischten Klassen.<br />
E<strong>in</strong> Konzept für <strong>in</strong>tegrativen Unterricht.<br />
Die Deutsche Schule, 96 (1), 45–55.<br />
Stähl<strong>in</strong>g, Re<strong>in</strong>hard & Wen<strong>der</strong>s, Barbara<br />
(2015): Teambuch Inklusion. E<strong>in</strong> Praxisbuch<br />
für multiprofessionelle Teams. Baltmannsweiler:<br />
Schnei<strong>der</strong>.<br />
Stähl<strong>in</strong>g, Re<strong>in</strong>hard & Wen<strong>der</strong>s, Barbara<br />
(2021): Wor<strong>in</strong> unsere Stärke besteht. E<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong>klusives Modell im sozialen Brennpunkt.<br />
Gießen: Psychosozial-Verlag.<br />
28<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Anke Spies, Heike Prüshoff<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Kooperationsverhältnisse mit dem Jugendhilfesystem (Teil I)<br />
Mit diesem Beitrag beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e offene Reihe zum K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Primarstufe.<br />
Wir möchten die sche<strong>in</strong>bar zusätzliche Belastung, die mit dem gesetzlich<br />
vorgegebenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutzauftrag an Lehrkräfte und weitere schulische Akteur*<strong>in</strong>nen<br />
herangetragen wird reduzieren, <strong>in</strong>dem wir Wissen und Handlungsstrategien<br />
für den schulischen Alltag erläutern und vor allem zielführende Kooperationsmöglichkeiten<br />
mit dem Jugendhilfesystem aufzeigen.<br />
Wir gehen jeweils von e<strong>in</strong>em<br />
authentischen Fall aus <strong>der</strong><br />
Grundschulpraxis aus, zeigen<br />
dessen Komplexität und klären, wie die<br />
Aufgaben, die zum schulischen Alltag<br />
gehören von den Aufgaben des Hilfesystems<br />
abgrenzt werden können, damit<br />
betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n Hilfe zukommen<br />
kann, ohne dass sich schulische<br />
Akteur*<strong>in</strong>nen überfor<strong>der</strong>n, K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
Zugang zum Hilfesystem vorenthalten<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Bildungsbiografie zusätzlich<br />
gefährden.<br />
Lehrkräfte s<strong>in</strong>d immer mögliche erste<br />
Ansprechpartner*<strong>in</strong>nen für e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d,<br />
das aktiv Hilfe sucht. Aber auch als Beobachter*<strong>in</strong>nen<br />
k<strong>in</strong>dlicher Verhaltensausdrücke,<br />
die auf Gewalt- o<strong>der</strong> Vernachlässigungsstrukturen<br />
h<strong>in</strong>deuten<br />
können, s<strong>in</strong>d Lehrkräfte wichtige Mittler*<strong>in</strong>nen<br />
zum Hilfesystem: In <strong>der</strong> pädagogischen<br />
Beziehung haben sie e<strong>in</strong>e<br />
Schlüsselfunktion für die M<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Gefährdung e<strong>in</strong>er Bildungsbiografie,<br />
die im Aufwachsen unter Gewaltund<br />
Vernachlässigungserfahrungen<br />
massiv bedroht se<strong>in</strong> kann. Um <strong>in</strong> dieser<br />
Aufgabe we<strong>der</strong> übereilt noch resignativ,<br />
son<strong>der</strong>n zielführend zu handeln,<br />
haben Lehrkräfte und an<strong>der</strong>e professionelle<br />
Akteur*<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Schulen<br />
als Berufsgeheimnisträger*<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong><br />
Recht auf professionelle, fachlich gem.<br />
§ 8a SGB VIII im K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz ausgewiesene<br />
Unterstützung. Zugleich stehen<br />
sie berufsethisch <strong>in</strong> <strong>der</strong> professionellen<br />
Pflicht <strong>der</strong> Mitverantwortung, können<br />
aber auch <strong>in</strong> <strong>in</strong>terprofessionellen/<br />
multiprofessionellen Teams <strong>in</strong>nerhalb<br />
ihrer Schule nicht davon ausgehen, dass<br />
das nötige Wissen tatsächlich vorhanden<br />
ist. Schon das Wissen um H<strong>in</strong>tergründe,<br />
Zwecke und Praxen von Aufgaben und<br />
Grenzen <strong>in</strong> Fallzugängen ist also e<strong>in</strong> zentraler<br />
Bauste<strong>in</strong> für aktiven K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong>, dem gem. <strong>der</strong> Empfehlungen<br />
<strong>der</strong> KMK (2023) auch e<strong>in</strong> dezidiertes<br />
schulisches Schutzkonzept zugrunde<br />
liegen sollte.<br />
Als Theorie-Praxisteam veranschaulichen<br />
wir fallbezogene Klärungen aus<br />
<strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> im K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz ausgewiesenen<br />
„Insofern erfahrenen Fachkraft<br />
gem. § 8a SGB VIII“: Heike Prüshoff<br />
ist freiberuflich als systemische Supervisor<strong>in</strong><br />
und Teamentwickler<strong>in</strong> für<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstäten, Schulen und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe tätig.<br />
Als langjährige Fachberater<strong>in</strong> gem.<br />
§ 8a/8b SGB VIII und aus ihren Tätigkeiten<br />
im Rahmen <strong>der</strong> Gefährdungse<strong>in</strong>schätzung<br />
bei K<strong>in</strong>deswohlgefährdungen,<br />
<strong>der</strong> Beratung betroffener K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Angehöriger, <strong>der</strong> Begleitung von Schutzkonzeptentwicklungen<br />
<strong>in</strong> <strong>Grundschule</strong>n<br />
und K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätten, sowie <strong>der</strong> Entwicklung<br />
von Verfahrensabläufen im<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz für sämtliche im KKG<br />
(s.u.) genannten Berufsgruppen und<br />
<strong>der</strong>en Aus- und Fortbildung br<strong>in</strong>gt sie<br />
Expertise <strong>in</strong> die Fallerörterungen e<strong>in</strong> und<br />
kennt die organisationalen ‚Schwachstellen‘<br />
im System.<br />
Die grundschulpädagogische E<strong>in</strong>ordnung<br />
<strong>der</strong> Fälle und die Aufbereitung<br />
des wissenschaftlichen K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutzdiskurses<br />
leistet Dr. Anke Spies als Professor<strong>in</strong><br />
für Erziehungswissenschaft mit<br />
dem Schwerpunkt Pädagogik und Didaktik<br />
<strong>der</strong> Elementar- und Primarbildung<br />
an <strong>der</strong> Carl von Ossietzky Universität<br />
Oldenburg vor dem langjährigen<br />
H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit Fragen des<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutzes und <strong>der</strong> K<strong>in</strong>deswohlgefährdung,<br />
sowie <strong>der</strong> Aufbereitung dieses<br />
Themenfeldes <strong>in</strong> Forschung, Lehre<br />
und Fortbildung.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz gehört zum<br />
professionellen ‚Kerngeschäft‘<br />
<strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
M<strong>in</strong>destens jedes dritte bis fünfte K<strong>in</strong>d<br />
e<strong>in</strong>er Grundschulklasse ist von Vernachlässigung,<br />
psychischer und physischer<br />
Misshandlung, sexualisierter<br />
Gewalterfahrungen, häuslicher Gewalt,<br />
Hochkonflikttrennung o<strong>der</strong> Gewaltkumulationen<br />
betroffen. Dritt- und<br />
Viertklässler*<strong>in</strong>nen gelten als Hochrisikogruppe<br />
für sexualisierte Gewalt.<br />
Der Dunkelfeldforschung zufolge s<strong>in</strong>d<br />
je Klasse etwa e<strong>in</strong> bis zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
betroffen (Destatis 2022).<br />
Obwohl professionelle pädagogische<br />
Akteur*<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>Grundschule</strong>n (Lehrkräfte,<br />
Schulleitungen, Schulsozialarbeit,<br />
För<strong>der</strong>schullehrkräfte) e<strong>in</strong>e wichtige Instanz<br />
s<strong>in</strong>d, um K<strong>in</strong><strong>der</strong>wohlgefährdung<br />
<strong>in</strong> Kooperation mit <strong>der</strong> Jugendhilfe zu<br />
erkennen und Hilfe zu vermitteln, fehlen<br />
ihnen oft Rechts- und Handlungssicherheiten,<br />
wie u.a. die bundesweiten<br />
Evaluationen des Deutschen Jugend<strong>in</strong>stituts<br />
(DJI) zeigen. Sofern sich schon<br />
e<strong>in</strong>e Delegationspraxis etabliert hat, die<br />
von e<strong>in</strong>em ‚Kerngeschäft Unterricht‘<br />
ausgeht und pädagogische Beziehungen<br />
u.a. <strong>der</strong> Schulsozialarbeit o<strong>der</strong> son<strong>der</strong>pädagogischen<br />
Kolleg*<strong>in</strong>nen und Programmatiken<br />
überantwortet, ist <strong>der</strong><br />
Zugang zum E<strong>in</strong>zelfall bee<strong>in</strong>trächtigt.<br />
Denn K<strong>in</strong><strong>der</strong> äußern sich gegenüber<br />
Lehrkräften, Schulsozialarbeit, Son<strong>der</strong>pädagog*<strong>in</strong>nen<br />
o<strong>der</strong> Schulleitungen<br />
nur dann direkt, wenn sie diese aufgrund<br />
von Beziehungserfahrungen als<br />
vertrauenswürdig e<strong>in</strong>schätzen können<br />
und sie den Mut zur Aufdeckung aufbr<strong>in</strong>gen<br />
können. An<strong>der</strong>nfalls s<strong>in</strong>d sie<br />
auf Rückzüge, Unauffälligkeit, körperliche<br />
Symptome o<strong>der</strong> offensive Verhaltens<strong>in</strong>szenierungen<br />
angewiesen, die<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Konzentration auf den fachlichen<br />
Unterricht leicht übersehen o<strong>der</strong> mittels<br />
diagnostischer Verfahren, programmatischer<br />
(Sozial-)Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs und Sanktionen<br />
‚unsichtbar‘ werden können,<br />
wenn die Möglichkeiten von K<strong>in</strong>des-<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
29
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
wohlgefährdungen nicht h<strong>in</strong>reichend –<br />
auch im Unterricht – berücksichtigt s<strong>in</strong>d<br />
(Spies 2022).<br />
Mit dem Bundesk<strong>in</strong><strong>der</strong>schutzgesetztes<br />
(BKiSchG) und dem Gesetz zur Kooperation<br />
und Information im K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz<br />
(KKG) ist die Verpflichtung<br />
zur schulischen Beteiligung am aktiven<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz seit 2012 rechtlich<br />
verankert und wird vom K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und<br />
Jugendhilferecht (SGB VIII) gestützt. Mit<br />
§3 KKG (3) stehen alle Schulen als Organisationen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflicht, ihre schulischen<br />
Entwicklungsprozesse zur Verbesserung<br />
des K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutzes auch an <strong>der</strong> strukturellen<br />
Vernetzung mit den Kooperationsstrukturen<br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe auszurichten.<br />
Mit §4 KKG s<strong>in</strong>d Lehrkräfte und weitere<br />
schulische Akteur*<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verantwortung,<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> im E<strong>in</strong>zelfall rechtsund<br />
handlungssicher pädagogisch unterstützen<br />
zu können. Dafür steht ihnen<br />
mit §8b SGB VIII /§4 KKG die Beratung<br />
durch e<strong>in</strong>e, im K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz (<strong>in</strong>sofern)<br />
erfahrene und ausgewiesene Fachkraft<br />
(InsoFa §8a) zu.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs sche<strong>in</strong>en <strong>Grundschule</strong>n<br />
dazu zu neigen, diese Rechtsvorschriften<br />
nicht umzusetzen, zu missverstehen o<strong>der</strong><br />
über Delegationspraxen zu umgehen:<br />
Den Daten des Statistischen Bundesamtes<br />
zufolge werden lediglich 10% <strong>der</strong> jährlich<br />
dem Hilfesystem mitgeteilten Verdachtsfälle<br />
auf K<strong>in</strong>deswohlgefährdung<br />
von <strong>Grundschule</strong>n bzw. <strong>der</strong>en Akteur*<strong>in</strong>nen<br />
übermittelt. Fast ebenso viele Schulen<br />
geben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er repräsentativen Studie<br />
des DJI (Kappler & Pooch 2018) <strong>in</strong> Bezug<br />
auf sexualisierte Gewalt an, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz<br />
ke<strong>in</strong>e Relevanz für sie habe. Zusammen<br />
mit den 41% <strong>der</strong> Schulen, die<br />
schulischem K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge<br />
Rolle zuschreiben, sche<strong>in</strong>t demnach<br />
etwa die Hälfte <strong>der</strong> Schulen <strong>in</strong> Deutschland<br />
we<strong>der</strong> an kooperativen Vernetzungsstrukturen<br />
beteiligt zu se<strong>in</strong>, noch die professionellen<br />
pädagogischen Beziehungen<br />
zur Vermittlung <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen zu för<strong>der</strong>n,<br />
die nötig s<strong>in</strong>d, damit die gesetzlichen<br />
Aufträge an schulpädagogische<br />
<strong>Professionalität</strong> umgesetzt werden können.<br />
Als Ursachen ermittelt e<strong>in</strong>e weitere<br />
DJI-Studie (Zimmermann 2019) unzureichende<br />
Wissensbestände, die e<strong>in</strong>e<br />
ungenügende Handlungs- und Rechtssicherheit<br />
von Lehrkräften für die Hilfe<br />
im E<strong>in</strong>zelfall begründen und zu e<strong>in</strong>er als<br />
Kooperation deklarierten Delegation o<strong>der</strong><br />
De-Thematisierung führen.<br />
„Ärger zu Hause“<br />
E<strong>in</strong>e unauffällige Drittklässler<strong>in</strong> mit<br />
guten Leistungen wendet sich wegen<br />
„Ärger zu Hause“ hilfesuchend an ihre<br />
Klassenlehrer<strong>in</strong>, die sie an die Schulsozialarbeit<br />
verweist. Entwe<strong>der</strong> ist die<br />
Klassenlehrer<strong>in</strong> von diesem Vertrauensbeweis<br />
(emotional) überfor<strong>der</strong>t, sich <strong>in</strong><br />
Rechts- und Sachlage unsicher o<strong>der</strong> es<br />
besteht e<strong>in</strong>e organisations<strong>in</strong>terne Regelung<br />
zur Delegation an Schulsozialarbeit.<br />
Die Schüler<strong>in</strong> kostet es fraglos viel<br />
Mut und Abwägung, ihre Lehrer*<strong>in</strong> um<br />
(professionelle) Unterstützung zu bitten,<br />
denn sie nimmt das Risiko familiendynamischer<br />
Konsequenzen <strong>der</strong> Aufdeckung<br />
(Hilfegesuch) <strong>in</strong> Kauf. Möglicherweise<br />
ist die Lehrkraft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />
<strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong> jene Bezugsperson,<br />
<strong>der</strong> im Resilienzdiskurs viel<br />
Wirkmächtigkeit zugeschrieben wird.<br />
Würde die Klassenlehrer<strong>in</strong> als Vertrauensperson<br />
auf die Delegation an die<br />
Schulsozialarbeit verzichten und ihrer<br />
Schüler<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>dzentrierten Haltung<br />
begegnen, könnte das damit verbundene<br />
Beziehungs- bzw. B<strong>in</strong>dungsangebot<br />
e<strong>in</strong>e stabilisierende Funktion<br />
haben. Sie könnte nach Erläuterungen<br />
des Ärgers und <strong>der</strong> häuslichen Situation<br />
fragen und würde damit professionelle<br />
pädagogische Haltung, Präsenz und<br />
Aufmerksamkeit signalisieren, den Mut,<br />
den das Sich-Anvertrauen erfor<strong>der</strong>t würdigen<br />
und das Risiko anerkennen, dem<br />
sich das K<strong>in</strong>d auf <strong>der</strong> Suche nach Hilfe<br />
aussetzt.<br />
In e<strong>in</strong>em o<strong>der</strong> mehreren solcher Gespräche<br />
hätte die Lehrer<strong>in</strong> Informationen<br />
zur E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Sachlage erhalten<br />
und mit dem K<strong>in</strong>d absprechen<br />
können, welche Schritte sie als Erwachsene<br />
als nächstes unternimmt. So<br />
wäre sie im ‚Kerngeschäft‘ <strong>der</strong> pädagogischen<br />
Beziehung geblieben, hätte sich<br />
parallel dazu, aber als Berufsgeheimnisträger<strong>in</strong><br />
pseudonymisiert (!) durch die<br />
Beratung e<strong>in</strong>er §8a-InsoFa Feedback<br />
für ihr pädagogisches Handeln und<br />
zur Gefährdungse<strong>in</strong>schätzung erhalten.<br />
E<strong>in</strong> solches <strong>in</strong>terprofessionelles und fallbezogenes<br />
Kooperationsverhältnis mit<br />
dem Jugendhilfesystem wäre die Grundlage<br />
für sämtliche weitere Schritte und<br />
an<strong>der</strong>e E<strong>in</strong>zelfälle, die an dieser Schule<br />
Unterstützung benötigen. E<strong>in</strong> solches<br />
Kooperationsverhältnis wäre zudem e<strong>in</strong><br />
Bauste<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> strukturellen Rahmung<br />
für die <strong>in</strong>terorganisationale Zusammenarbeit<br />
zwischen E<strong>in</strong>zelschule(n) und<br />
kommunaler/regionaler Jugendhilfe. So<br />
würden mit jedem beratenen E<strong>in</strong>zelfall<br />
auch die professionellen pädagogischen<br />
Kompetenzen <strong>in</strong>nerhalb des Kollegiums<br />
wachsen und die Organisation Schule im<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz h<strong>in</strong>zulernen können.<br />
Die professionelle Anfor<strong>der</strong>ung an die<br />
Lehrkraft liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> verantwortungsvollen,<br />
zuverlässigen weiteren Zuwendung<br />
zur Schüler<strong>in</strong> um <strong>der</strong>en Situation<br />
die Lehrkraft nun weiß und <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> umgehenden pseudonymisierten (!)<br />
Kontaktaufnahme mit dem nächsten<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutzzentrum o<strong>der</strong> <strong>der</strong> nächsten<br />
Fachberatungsstelle. Die emotionale<br />
Belastung des Aushaltens <strong>der</strong> Informationen<br />
ist fraglos gegeben, aber letztlich<br />
temporär, denn mit <strong>der</strong> kollegialen<br />
§ 8a Beratung löst sich das Spannungsbild,<br />
weil dort falladäquate pädagogische<br />
Handlungsschritte vere<strong>in</strong>bart werden,<br />
die die weiteren Unterrichtsbegegnungen<br />
mit <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong> entlasten.<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa164Lit<br />
Anke Spies<br />
ist Professor<strong>in</strong> für Erziehungswissenschaft<br />
und leitet den Arbeitsbereich<br />
„Pädagogik und Didaktik <strong>der</strong> Elementar-<br />
und Primarbildung“ im Institut für<br />
Pädagogik an <strong>der</strong> Carl von Ossietzky<br />
Universität Oldenburg.<br />
anke.spies@uol.de<br />
Heike Prüshoff<br />
Dipl. Sozpäd/Soz Arb., ist freiberuflich<br />
als systemische Supervisor<strong>in</strong> und<br />
Teamentwickler<strong>in</strong> für K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätten,<br />
Schulen und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
tätig.<br />
h.prueshoff@web.de<br />
30<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Ina Herklotz, Christoph Weidmann<br />
Kompetenzorientiertes Arbeiten <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> zweiten Phase <strong>der</strong> Lehrerbildung<br />
Perspektiven <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sem<strong>in</strong>arausbildung<br />
Der Übergang vom Studierenden zum Lehramtsanwärter bzw. zur Lehramtsanwärter<strong>in</strong><br />
und damit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Phase e<strong>in</strong>er zweijährigen Ausbildung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Grundschulsem<strong>in</strong>ar stellt die Schnittstelle zwischen <strong>der</strong> Rolle als Lernende*r und<br />
<strong>der</strong> Rolle als Lehrkraft dar und verdient somit beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit.<br />
Für die Sem<strong>in</strong>arleitung bedeutet<br />
dies, den Lernprozess <strong>der</strong> jungen<br />
Lehrkräfte professionell und<br />
zukunftsorientiert zu gestalten.<br />
Die Motivation<br />
Fragen <strong>der</strong> Bildungspolitik stehen<br />
augenblicklich deutlich im öffentlichen<br />
Interesse. Insbeson<strong>der</strong>e das Schlagwort<br />
„Lehrermangel“ begleitet uns <strong>in</strong><br />
den Medien. Jede Lehrkraft wird im<br />
Moment dr<strong>in</strong>gend gebraucht, dennoch<br />
verzeichnen wir so viele Studienabbrecher*<strong>in</strong>nen<br />
bzw. Abbrecher*<strong>in</strong>nen<br />
des Vorbereitungsdienstes wie kaum<br />
jemals zuvor. „Komplexe digitale und<br />
gesellschaftliche Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
verän<strong>der</strong>n <strong>in</strong> unseren Schulen auch die<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen an Lehrkräfte. Benötigt<br />
werden zunehmend nicht nur fachliche<br />
Kompetenzen, son<strong>der</strong>n auch überfachliche<br />
Kompetenzen wie personale, digitale<br />
und transformative Fähigkeiten<br />
(Pressemitteilung Schule im Wandel,<br />
Stifterverband und McK<strong>in</strong>sey & Company,<br />
Berl<strong>in</strong>, 21.01.2022.).“<br />
Lehrkräfte brauchen also das Rüstzeug,<br />
auf Verän<strong>der</strong>ungen flexibel reagieren<br />
zu können und Innovationen eigenverantwortlich<br />
anzustoßen. Diese For<strong>der</strong>ung<br />
veranlasst zu e<strong>in</strong>em Umdenken<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausbildung <strong>in</strong> Richtung Kompetenz-<br />
und Prozessorientierung. Treffend<br />
formuliert den Gedanken e<strong>in</strong>es<br />
professionellen Berufsbildes die Handreichung<br />
„Kompetenzorientierung <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Lehrerbildung“: „Die berufliche<br />
Handlungskompetenz ‚ist das Potenzial<br />
e<strong>in</strong>er Person (bestehend aus Kenntnissen,<br />
Fertigkeiten, E<strong>in</strong>stellungen, sowie<br />
die damit verbundenen motivationalen,<br />
volitionalen und sozialen Bereitschaften<br />
[s. We<strong>in</strong>ert] etc.), berufliche Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
– also Arbeitsaufgaben und<br />
Probleme <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeitstätigkeit – selbstorganisiert<br />
zu bewältigen’ (S. 17)“.<br />
Die Zielsetzung<br />
„Kompetenzorientierter Unterricht<br />
ermöglicht Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern<br />
e<strong>in</strong>e aktive geistige Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
mit bedeutsamen Themen und Fragestellungen<br />
und befähigt sie, auch neue<br />
Aufgaben und Problemstellungen zu<br />
lösen… Kompetenzorientierte Aufgaben<br />
ermöglichen...<strong>in</strong>dividuelle Zugänge, lassen<br />
vielfältige Lösungswege zu, weisen<br />
lebensweltorientierte Anwendungsbezüge<br />
auf und schaffen Anlässe zur<br />
Kommunikation und Reflexion (s. LehrplanPlus<br />
Bayern, S. 22, 23)“.<br />
Parallel zu, o<strong>der</strong> besser geboten<br />
durch die grundgelegte Kompetenzorientierung<br />
im Unterricht entwickeln<br />
wir also e<strong>in</strong>e entsprechende Konzeption<br />
für die Arbeit im Sem<strong>in</strong>ar, die<br />
e<strong>in</strong>en konstruktivistischen Bildungsbegriff<br />
e<strong>in</strong>schließt. Konstruktivistisches<br />
Lehren und Lernen stellt nach Hasselhorn/Gold<br />
folgende Bed<strong>in</strong>gungen:<br />
● aktiv: Eigenaktivität des Lernenden<br />
● konstruktiv: reale und komplexe<br />
Probleme<br />
● situiert: authentische, anwendungsorientierte<br />
Kontexte<br />
● selbstregulativ: selbstgesteuertes<br />
Lernen, metakognitive Regulation<br />
● sozial kooperatives Lernen<br />
(vgl. Hasselhorn,M./ Gold, A. <strong>in</strong>:<br />
Krug, U.: Handbuch zur för<strong>der</strong>- und<br />
kompetenzorientierten Unterrichtsentwicklung,<br />
S. 18)<br />
Kompetenzorientiertes Arbeiten ist<br />
komplex und erfor<strong>der</strong>t – vor allem<br />
für Berufse<strong>in</strong>steiger – den Mut, Prozesse<br />
zuzulassen und das Wissen und<br />
die Erfahrung, diese fach- und sachgerecht<br />
zu planen und durchzuführen.<br />
Damit die angehenden Lehrer*<strong>in</strong>nen<br />
Kompetenzorientierung zunehmend<br />
vertieft im eigenen Unterricht e<strong>in</strong>- und<br />
umsetzen können und wollen, muss<br />
diese auch im Sem<strong>in</strong>arbetrieb vorgelebt,<br />
erfahren und erprobt werden dürfen.<br />
Je früher dies <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bildungsbiografie<br />
geschieht, desto vertiefter und <strong>in</strong>tensiver<br />
kann das Verständnis dafür entstehen.<br />
Erklärtes Ziel <strong>der</strong> Konzeption ist<br />
es also, kompetenzorientiertes Arbeiten<br />
be-greifbar zu machen und – professionell<br />
begleitet – die Eigenverantwortung<br />
im unterrichtlichen Tun und <strong>der</strong> Arbeit<br />
im Berufsfeld Schule während <strong>der</strong> Ausbildung<br />
durch <strong>in</strong>dividuell bedeutsam<br />
gewählte Handlungssituationen zu<br />
för<strong>der</strong>n.<br />
Die Umsetzung<br />
Prozesse als zentralen Wachstumsfaktor<br />
für Kompetenzen im Sem<strong>in</strong>ar<br />
zuzulassen, ist e<strong>in</strong> mutiger Schritt <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> eigenen Sem<strong>in</strong>ararbeit. Die <strong>in</strong>haltliche<br />
Vielfalt <strong>der</strong> Rahmenpläne und die<br />
umfassenden Bedarfe durch heterogene<br />
Fächerkomb<strong>in</strong>ationen und Voraussetzungen<br />
seitens <strong>der</strong> jungen Kolleg*<strong>in</strong>nen<br />
legt auf den ersten Blick e<strong>in</strong> <strong>in</strong>haltliches<br />
„Abarbeiten“ von Inhalten nahe,<br />
um alles „abhaken“ zu können.<br />
Ausschließlich e<strong>in</strong>zelne, <strong>in</strong> sich verme<strong>in</strong>tlich<br />
abgeschlossene Arbeitstage<br />
(AT) können dem Anspruch <strong>der</strong> beschriebenen<br />
Kompetenzorientierung<br />
kaum gerecht werden, da <strong>der</strong> Faktor<br />
„Zeit“ für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividualisiert-handelnde<br />
Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung und Vertiefung<br />
vorhanden se<strong>in</strong> muss, um e<strong>in</strong>en<br />
vor allem prozessorientierten, <strong>in</strong>dividualisierten<br />
Lernzuwachs zu ermöglichen.<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
31
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Aus dieser Überlegung heraus entstand<br />
für den Teil <strong>der</strong> Sem<strong>in</strong>ararbeit, die sich<br />
<strong>in</strong>haltlich mit den Unterrichtsfächern<br />
(z. B. Deutsch, Mathematik) beschäftigt,<br />
die Konzeption <strong>der</strong> sog. „Fachetappe“.<br />
Im Gegensatz zu thematisch s<strong>in</strong>gulären<br />
Ausbildungstagen umfasst e<strong>in</strong>e Fachetappe<br />
e<strong>in</strong>en Zeitraum von mehreren<br />
Wochen und orientiert sich an den<br />
Lernschritten von J. Leisen (s. Abb. 1).<br />
Die Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen bereiten<br />
sich auf die Fachetappe vor, <strong>in</strong>dem sie<br />
Fachliteratur recherchieren und Materialien<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen E<strong>in</strong>satzschule<br />
sichten. Bei e<strong>in</strong>em „Kick-off “-Tag er -<br />
folgt das „Ankommen im Lerngegenstand“<br />
– e<strong>in</strong>em def<strong>in</strong>ierten Lernbereich,<br />
z. B. Deutsch – Lesen o<strong>der</strong> Mathematik-<br />
Zahlen und Operationen. Inhalt an diesem<br />
Tag ist zunächst e<strong>in</strong> vertiefter fachdidaktischer<br />
Input verbunden mit e<strong>in</strong>er<br />
exemplarischen Erprobung und Diskussion<br />
e<strong>in</strong>er kompetenzorientierten<br />
unterrichtlichen Aufgabenstellung. An -<br />
schließend erfolgt e<strong>in</strong>e fokussierte und<br />
visualisierte Lehrplanarbeit verbunden<br />
mit <strong>der</strong> Annäherung an e<strong>in</strong> unterrichtlich<br />
bedeutsames Handlungsfeld im<br />
S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es authentischen, anwendungsorientierten<br />
Kontexts.<br />
J. Leisen benennt dies als „Problemstellung“<br />
(s. Abb. 1). Diese bezieht sich<br />
auf e<strong>in</strong>e Kompetenzerwartung des<br />
Lehrplans und kann konkrete Unterrichtsplanungen<br />
genauso umfassen,<br />
wie beispielsweise Lehrwerksanalysen,<br />
die Entwicklung von Übungsformaten,<br />
Formen <strong>der</strong> Lernstandserhebung,<br />
Schülerbeobachtungen u.v.m. An<br />
<strong>der</strong> Konkretisierung dieser Handlungssituation<br />
(s. Abb. 2) arbeiten die Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>gruppen <strong>in</strong><br />
den nächsten Wochen jeweils e<strong>in</strong>en halben<br />
Sem<strong>in</strong>artag. Als Beispiele für unterrichtliche<br />
Handlungssituationen seien<br />
genannt: „Der unterrichtliche E<strong>in</strong>satz<br />
von Apps zum Stellenwertverständnis“,<br />
e<strong>in</strong>e Projektskizze aus dem Bereich Größen<br />
und Messen: „Das Sonnensystem<br />
auf dem Fußballplatz“ o<strong>der</strong> „E<strong>in</strong>e Leserolle<br />
zu Sachtexten“. Die jeweils an<strong>der</strong>e<br />
Hälfte des Ausbildungstages bleibt zeitlich<br />
flexibel und steht zur Unterrichtsmitschau<br />
genauso zur Verfügung wie zur<br />
Vertiefung e<strong>in</strong>zelner fachdidaktischer<br />
Inhalte seitens <strong>der</strong> Sem<strong>in</strong>arleitung. An<br />
den Unterrichtstagen <strong>der</strong> Fachetappe<br />
erproben die Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
ihre theoretisch angelegten Überlegungen.<br />
Die im Verlauf <strong>der</strong> Fachetappe<br />
konkretisierten Erfahrungsberichte<br />
und praktisch und theoretisch<br />
fundierten Ergebnisse <strong>der</strong> Handlungssituationen<br />
münden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en „Best-of “-<br />
Tag. Hier wird für e<strong>in</strong>en Ausbildungstag<br />
geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>e „M<strong>in</strong>i-Tagung“ geplant<br />
und realisiert, die methodisch aus Elementen<br />
wie Workshops, Hauptvortrag,<br />
Ausstellung o<strong>der</strong> kommunikativen Formaten<br />
wie World-Café besteht. Die<br />
Arbeitsergebnisse <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Arbeitsgruppen<br />
werden aufbereitet präsentiert,<br />
diskutiert und schließlich <strong>der</strong> gesamten<br />
Lerngruppe zugänglich gemacht.<br />
Die Überzeugung<br />
Die Möglichkeit sich aktiv und eigenverantwortlich<br />
die Thematik <strong>der</strong> Handlungssituation<br />
zu wählen und unterrichtlich<br />
umzusetzen ist <strong>der</strong> Kerngedanke<br />
<strong>der</strong> Konzeption (s. Abb.3). Im S<strong>in</strong>ne des<br />
konstruktivistischen Denkens ermöglicht<br />
dieser Schritt dem Lehramtsanwärter<br />
bzw. <strong>der</strong> Lehramtsanwärter<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e aktive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem<br />
fachdidaktischen Lerngegenstand. Die<br />
Arbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>gruppe erfor<strong>der</strong>t beispielsweise<br />
Dialogfähigkeit, Kooperation,<br />
Flexibilität, Kreativität und Selbstständigkeit,<br />
also vielfältige personale Kompetenzen.<br />
Der Prozess <strong>der</strong> Themenf<strong>in</strong>dung<br />
für das eigene Handlungsfeld för<strong>der</strong>t<br />
Methodenkompetenz, also die Fähigkeit<br />
zu recherchieren, Informationen<br />
<strong>in</strong> Zusammenhänge e<strong>in</strong>zuordnen, die<br />
Praktikabilität für den Unterricht zu<br />
prüfen und Ergebnisse zu präsentieren.<br />
Fachkompetenz wird <strong>in</strong>itiiert durch den<br />
fachdidaktischen Input und erweitert<br />
durch die eigene Recherche und kritische<br />
Prüfung von Fachwissen und dessen<br />
Anwendung <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen Handlungssituation.<br />
Diese Selbststeuerung<br />
und Individualität des Lernprozesses zeigen<br />
sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verantwortung, die<br />
Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen für ihre eigene<br />
Ausbildung übernehmen. Methoden <strong>der</strong><br />
Meta-Kognition, also Entscheidungen<br />
zu reflektieren und Feedback e<strong>in</strong>zuholen<br />
und Möglichkeiten <strong>der</strong> Dokumentation<br />
und Planung, z. B. <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Advance<br />
Organizers (Lernlandkarte, Team-<br />
P<strong>in</strong>-Board) spielen ebenfalls e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Rolle und strukturieren den Prozess<br />
(s. Abb. 4).<br />
Das Fazit<br />
Grundlage allen nachhaltigen Lernens<br />
ist die Motivation für den Inhalt und<br />
die Überzeugung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nhaftigkeit und<br />
Bedeutsamkeit des eigenen Tuns. Somit<br />
kann die <strong>in</strong>tensive Arbeit an e<strong>in</strong>em<br />
Thema nicht primär als Belastung,<br />
son<strong>der</strong>n als bereichern<strong>der</strong> Fortschritt<br />
Abb. 1: Fachetappe: Teilschritte<br />
Abb. 2: Arbeitsprozess<br />
32<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Abb. 3:<br />
Fachetappe:<br />
Konzeption<br />
im Überblick<br />
im eigenen Lernprozess gesehen werden.<br />
Plausibilität, Perspektivität und<br />
Praktikabilität des eigenen Vorhabens<br />
s<strong>in</strong>d somit entscheidende Faktoren<br />
selbstgesteuerten Lernens (vgl. Arnold,<br />
R.). Die Offenheit, sich <strong>in</strong>nerhalb<br />
des aktuellen Lernbereichs <strong>der</strong> Fachetappe<br />
e<strong>in</strong> Handlungsfeld zu wählen,<br />
das den Teilnehmern e<strong>in</strong>e konkret perspektivische<br />
E<strong>in</strong>satzmöglichkeit des<br />
Erarbeiteten gibt (Ausbildungsrelevanz),<br />
macht die vertiefte Arbeit daran plausibel.<br />
E<strong>in</strong> Mehrwert, <strong>der</strong> die Plausibilität<br />
ebenso begründet, ist die Aufbereitung<br />
des Themas für die Kolleg*<strong>in</strong>nen am<br />
„Best-Of-Tag“. Für die Praktikabilität,<br />
d. h. die Machbarkeit, steht die Sem<strong>in</strong>arleitung<br />
als Lernbegleitung <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
bei <strong>der</strong> thematischen E<strong>in</strong>grenzung<br />
des Handlungsfeldes zur Seite. Dieser<br />
Rollenwechsel und das damit verbundene<br />
Selbstverständnis ermöglichen<br />
es, die Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen durch<br />
die eigenständige Arbeit <strong>in</strong> ihrer <strong>in</strong>dividuellen<br />
Entwicklung zu unterstützen<br />
und die Verzahnung von Sem<strong>in</strong>ar und<br />
<strong>der</strong> Unterrichtstätigkeit facettenreich<br />
und fachlich variabel anzuregen. Von<br />
den Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen wird<br />
diese Konzeption vielfach als gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gend<br />
rückgemeldet. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
<strong>der</strong> Mehrwert durch die unterrichtliche<br />
Relevanz wird immer wie<strong>der</strong> hervorgehoben.<br />
Anstrengend und sehr herausfor<strong>der</strong>nd,<br />
oftmals auch relativ lang s<strong>in</strong>d<br />
die Phase <strong>der</strong> E<strong>in</strong>grenzung des eigenen<br />
Handlungsfeldes und die Prüfung<br />
<strong>der</strong> Praktikabilität. Diesen vielschichtigen<br />
Prozess zuzulassen und<br />
als e<strong>in</strong>en Teil e<strong>in</strong>er überaus wertvollen<br />
Arbeit zu erkennen, ist e<strong>in</strong> wichtiger<br />
Schritt, um sich wandelnden beruflichen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen stellen zu lernen und<br />
e<strong>in</strong>e professionelle Haltung als Lehrkraft<br />
zu entwickeln.<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa164Lit<br />
Abb. 4: Advance Organizer<br />
Ina Herklotz und Christoph Weidmann<br />
s<strong>in</strong>d Sem<strong>in</strong>arrektoren im Regierungsbezirk Mittelfranken.<br />
Ihr beson<strong>der</strong>es Interesse gilt <strong>der</strong> Thematik „Lernkultur“.<br />
Ausgehend von unterrichtlichen Erfahrungen beschäftigen<br />
sie sich mit kompetenzorientierten und selbstbestimmten<br />
Lernprozessen <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Phase <strong>der</strong> Lehrerbildung.<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
33
Aus Praxis: <strong>der</strong> <strong>Professionalität</strong> Forschung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Rebecca Baumann<br />
Tipps und Erkenntnisse zur<br />
kollegialen Fallberatung im Team<br />
Belastet, aber gut beraten<br />
Die Beratungsmethode <strong>der</strong> kollegialen Fallberatung gilt für die Belastungsbewältigung<br />
als erfolgversprechend, da sie relevante Ressourcen wie die soziale<br />
Unterstützung und Kooperation im Kollegium stärken kann.<br />
Der Beitrag stellt e<strong>in</strong> Ablaufschema<br />
sowie wichtige Voraussetzungen<br />
und H<strong>in</strong>weise zur<br />
Durchführung vor und fasst ausgewählte<br />
Evaluationsergebnisse zu<br />
Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsstudien zum Umgang mit<br />
Belastungen (an <strong>der</strong> Universität<br />
Erlangen-Nürnberg) zusammen. Es<br />
zeigt sich, dass alle teilnehmenden an -<br />
gehenden Grundschullehrkräfte <strong>der</strong><br />
Beratungsmethode viele positive Effekte<br />
zuschreiben und kollegiale Fallberatung<br />
als sehr hilfreich bewerten. Die Ergebnisse<br />
sollen (angehenden) Lehrkräften<br />
Mut machen, kollegiale Fallberatung an<br />
den Schulen vermehrt durchzuführen<br />
– auch, um langfristig gesund zu<br />
bleiben.<br />
Belastete Lehrkräfte –<br />
was kann helfen?<br />
(Grundschul-)Lehrkräfte gelten im Vergleich<br />
zu an<strong>der</strong>en Berufsgruppen als<br />
beson<strong>der</strong>s belastet (Krause/Dorsemagen<br />
2014, S. 987). Durch die zunehmende<br />
Heterogenität <strong>der</strong> Schülerschaft und<br />
die damit verbundenen sehr unterschiedlichen<br />
Lernvoraussetzungen,<br />
vorrangig auch an <strong>Grundschule</strong>n als<br />
Lernort für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong>, werden immer<br />
mehr Anfor<strong>der</strong>ungen an Grundschullehrkräfte<br />
herangetragen, die subjektiv<br />
als belastend bewertet werden können<br />
(Martsch<strong>in</strong>ke et al. 2020, S. 277 – 279).<br />
S<strong>in</strong>d nicht ausreichend Ressourcen für<br />
<strong>der</strong>en Bewältigung vorhanden, kann<br />
es zu Belastungen mit psychischen<br />
Folgen kommen, z. B. <strong>in</strong> Form von<br />
Depressionen, Burnout o<strong>der</strong> psychosomatischen<br />
Erkrankungen (Blossfeld<br />
et al. 2014, S. 69).<br />
Die Aktivierung von Ressourcen stellt<br />
zwar ke<strong>in</strong> Allheilmittel dar, kann jedoch<br />
die Überfor<strong>der</strong>ung und damit verbundene<br />
negative Konsequenzen abmil<strong>der</strong>n<br />
o<strong>der</strong> gar verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n (Bakker/<br />
Demerouti 2007, S. 313). Die soziale<br />
Unterstützung und Kooperation im<br />
Kollegium als Ressourcen spielen bei<br />
berufserfahrenen (Oetjen et al. 2021,<br />
S. 383) und angehenden Grundschullehrkräften<br />
(Baumann/Martsch<strong>in</strong>ke<br />
2022, S. 104) auch im zunehmend <strong>in</strong>klusiven<br />
Schulalltag e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.<br />
Kollegiale Fallberatung<br />
stärkt Ressourcen<br />
Kollegiale Fallberatung nutzt systematisch<br />
die schützende und entlastende<br />
Wirkung kollegialer Beziehungen<br />
(Meißner et al. 2018, S. 15, 20). Laut<br />
Tietze (2018, S. 11) handelt es sich<br />
dabei um „e<strong>in</strong> strukturiertes Beratungsgespräch<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe, <strong>in</strong> dem<br />
e<strong>in</strong>(e) Teilnehmer*<strong>in</strong> von den übrigen<br />
Teilnehmer*<strong>in</strong>nen nach e<strong>in</strong>em feststehenden<br />
Ablauf mit verteilten Rollen<br />
beraten wird mit dem Ziel, Lösungen<br />
für e<strong>in</strong>e konkrete berufliche Schlüsselfrage<br />
zu entwickeln.“ Kollegiale Fallberatung<br />
ist im Vergleich zu Coach<strong>in</strong>g<br />
und Supervision e<strong>in</strong>e zeitsparen<strong>der</strong>e<br />
und kostengünstigere Alternative, da<br />
ke<strong>in</strong> externes Coach<strong>in</strong>g und ke<strong>in</strong>e<br />
Supervision benötigt werden. Kollegiale<br />
Fallberatung kann e<strong>in</strong>e professionelle<br />
Beratung jedoch nicht ersetzen, son<strong>der</strong>n<br />
nur ergänzen.<br />
Laut Spangler (2012, S. 38f.) sowie Baumann<br />
und Kolleg<strong>in</strong>nen (2022, S. 289f.)<br />
verfolgt kollegiale Fallberatung unterschiedliche<br />
Ziele, die auch auf den<br />
<strong>in</strong>klusiven Schulalltag bezogen werden<br />
können:<br />
● Lösungsmöglichkeiten für berufliche<br />
Probleme aus dem Schulalltag ent-<br />
wickeln (z. B. für als belastend wahrgenommene<br />
Verhaltensmerkmale von<br />
Schüler*<strong>in</strong>nen)<br />
● <strong>in</strong>strumentelle (z. B. praktische Tipps<br />
zum Umgang mit e<strong>in</strong>zelnen Schüler*<strong>in</strong>nen)<br />
und personale (z. B. Tipps<br />
zum Umgang mit Frustration) Handlungskompetenzen<br />
erweitern<br />
● alternative Lösungsansätze <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Gruppe entwickeln und zu den bisherigen<br />
Ansätzen Rückmeldung durch die<br />
Gruppe erhalten<br />
● vom Wissen an<strong>der</strong>er profitieren und<br />
die Gruppe als Spiegel <strong>der</strong> persönlichen<br />
Situation nutzen<br />
● Potenziale und Ressourcen <strong>in</strong>nerhalb<br />
<strong>der</strong> Gruppe teilen und damit <strong>der</strong> Tabuisierung<br />
von Problemen entgegenwirken<br />
● Selbstreflexion und -wahrnehmung<br />
durch strukturiertes Vorgehen för<strong>der</strong>n.<br />
Tatsächlich werden wünschenswerte<br />
Effekte auf die berufliche Belastung, die<br />
soziale Unterstützung, die Zusammenarbeit<br />
im Team und auf weitere Handlungskompetenzen<br />
wahrgenommen<br />
(Abele<strong>in</strong>/Hanglberger 2018, S. 199 – 201)<br />
und im Rahmen e<strong>in</strong>er Fortbildung zu<br />
kollegialer Fallberatung bei Lehrkräften<br />
erzielt (Meißner et al. 2018, S. 20). So<br />
verwun<strong>der</strong>t nicht, dass Lehrkräfte e<strong>in</strong>e<br />
regelmäßige Teilnahme an kollegialer<br />
Fallberatung für wünschenswert halten<br />
und das, obwohl die meisten Lehrkräfte<br />
noch nie daran teilgenommen haben<br />
(Abele<strong>in</strong>/Hanglberger 2018, S. 199 – 201).<br />
Es liegen unterschiedliche Ablaufmodelle<br />
von kollegialer Fallberatung<br />
vor, wobei <strong>in</strong> den Professionalisierungsangeboten,<br />
die im vorliegenden Beitrag<br />
fokussiert werden, das Heilsbronner<br />
Modell nach Spangler (2012) genutzt<br />
wird. Die Struktur <strong>der</strong> Schritte, die im<br />
Folgenden vorgestellt werden, hat den<br />
Vorteil, dass selbst Personen ohne Erfahrung<br />
<strong>in</strong> kollegialer Fallberatung diese<br />
durchführen o<strong>der</strong> gar <strong>in</strong>itiieren können<br />
(ebd., S. 45).<br />
34<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> Aus <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Forschung<br />
Kollegiale Fallberatung<br />
schrittweise und systematisch<br />
durchführen<br />
Für Grundschullehrkräfte sowie Grundschullehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
im Vorbereitungsdienst<br />
und Studium werden<br />
an <strong>der</strong> Universität Erlangen-Nürnberg<br />
Professionalisierungsangebote zum<br />
ressourcenorientierten Umgang mit<br />
Belastungen im <strong>in</strong>klusiven Schulalltag<br />
durchgeführt und evaluiert. Die<br />
Angebote für die dritte (Lehrkräfte<br />
schonen und s<strong>in</strong>nvoll e<strong>in</strong>setzen; Elt<strong>in</strong>g<br />
et al. 2021) und die zweite Lehrerbildungsphase<br />
(FIT 2020; Fallbezogenes<br />
Inklusionsspezifisches Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g zum<br />
Umgang mit Belastungen; Baumann/<br />
Martsch<strong>in</strong>ke 2021; 2022) weisen e<strong>in</strong>en<br />
vergleichbaren Zeitaufwand von acht<br />
Stunden auf, die sich auf vier Module<br />
aufteilen. In Modul 1 erfolgte e<strong>in</strong>e<br />
selbstreflexive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit<br />
eigenen Ressourcen und Belastungen,<br />
<strong>in</strong> Modul 2 werden Problemlösekompetenzen<br />
durch e<strong>in</strong> Problemlöseschema<br />
gestärkt und <strong>in</strong> Modul 3 Selbstregulationsfähigkeiten<br />
weiterentwickelt,<br />
<strong>in</strong>dem man sich mit dem Umgang von<br />
Unlösbarkeiten beschäftigt. Im letzten<br />
Modul 4 sollen im Rahmen e<strong>in</strong>er kollegialen<br />
Fallberatung die soziale Unterstützung<br />
und Zusammenarbeit unter<br />
den teilnehmenden Grundschullehrkräften<br />
bzw. Grundschullehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
und weitere Ressourcen<br />
gestärkt werden, die für den Umgang<br />
mit Belastungen zentral s<strong>in</strong>d. In e<strong>in</strong>er<br />
Beratungsgruppe von 5 bis maximal 10<br />
Personen (Tietze 2018, S. 12 – 13) werden<br />
dabei tragfähige Lösungsansätze für<br />
berufliche Probleme entwickelt.<br />
Ablauf kollegialer Fallberatung<br />
nach Spangler (2012, S. 43 – 48)<br />
und Tietze (2018, S. 52 – 55)<br />
Zuerst wird aus e<strong>in</strong>em freiwilligen<br />
Interessenkreis e<strong>in</strong>e Person ausgewählt,<br />
die e<strong>in</strong>en Fall bzw. e<strong>in</strong> berufliches Problem<br />
mit Belastungspotential <strong>in</strong> die<br />
Gruppe e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gt. Sie hat die Aufgabe,<br />
den Fall und die Schlüsselfrage<br />
vorzustellen sowie Verständnisfragen<br />
zu beantworten. Die an<strong>der</strong>en Teilnehmenden<br />
fungieren als Beratende<br />
und sollen Fall und Schlüsselfrage<br />
nachvollziehen sowie ihre Erfahrungen<br />
Abb. 1: Schritte<br />
kollegialer Fallberatung<br />
nach dem<br />
Heilsbronner Modell<br />
nach Spangler<br />
(2012, S. 43–45)<br />
und Ideen mitteilen. Die Rollen werden<br />
<strong>in</strong> je<strong>der</strong> Beratung getauscht. Es ist<br />
notwendig, zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>e Mo<strong>der</strong>ation<br />
zu bestimmen, weil e<strong>in</strong>e konstante<br />
Gruppenleitung nicht vorgesehen<br />
ist. Sie hat die Aufgabe, auf die Zeit zu<br />
achten, Anfang und Ende zu benennen,<br />
zu neuen Schritten überzuleiten, auf<br />
Regeln h<strong>in</strong>zuweisen, und sie soll darauf<br />
achten, dass es sich um e<strong>in</strong> berufliches<br />
Thema handelt. Danach erfolgt<br />
die Beratung nach dem Ablaufschema<br />
des Heilsbronner Modells (vgl. Abb. 1).<br />
● In Schritt 1 werden die Problemsituation<br />
und die Fragestellung durch die<br />
fallgebende Person vorgestellt.<br />
● In Schritt 2 stellt die Beratungsgruppe<br />
Verständnisfragen (z. B. „Was haben<br />
Sie schon alles an Lösungen versucht<br />
und mit welchem Erfolg?“ o<strong>der</strong> „Was<br />
möchten Sie erreichen?“; Sauer et al.<br />
o.J., o.S.), damit das Problem und das<br />
Ziel umfassend nachvollzogen werden<br />
können, was e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung<br />
für die Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten<br />
ist.<br />
● In Schritt 3 darf die Gruppe erste<br />
E<strong>in</strong>drücke und Assoziationen äußern,<br />
wobei die fallgebende Person zunächst<br />
nur zuhört.<br />
● In Schritt 4 äußert sich die fallgebende<br />
Person zur Brauchbarkeit <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>fälle.<br />
● Schritt 5 dient <strong>der</strong> Sammlung von<br />
Lösungsvorschlägen aus dem Erfahrungswissen<br />
<strong>der</strong> Berater*<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Phase des Bra<strong>in</strong>storm<strong>in</strong>gs – auch hier<br />
darf die fallgebende Person zunächst<br />
nur zuhören. In dieser Phase ist Kritik<br />
verboten (Tietze 2018, S. 118 – 119) und<br />
es geht zunächst um Quantität, die die<br />
durch die Bandbreite <strong>der</strong> Äußerungen<br />
e<strong>in</strong>er qualitativen Unterstützung nahe<br />
kommt.<br />
● In Schritt 6 werden die von <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ation<br />
notierten Lösungsideen von<br />
<strong>der</strong> fallgebenden Person nach ihrer<br />
Nützlichkeit bewertet.<br />
● Schritt 7 dient e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>en<br />
Austausch <strong>der</strong> Beteiligten, zum Beispiel<br />
zum Abklären letzter Fragen o<strong>der</strong> zum<br />
Planen nächster Handlungsschritte.<br />
● Abschließend erfolgt <strong>in</strong> Schritt 8<br />
e<strong>in</strong>e Abschlussrunde: Um die Motivation<br />
für die künftige Mitarbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Fallberatungsgruppe und das Geme<strong>in</strong>schaftsgefühl<br />
zu stärken, berichtet hier<br />
jede*r Teilnehmende von ähnlich gelagerten<br />
eigenen Erfahrungen. Die Fallberatung<br />
endet mit e<strong>in</strong>em Dank unter<br />
den Beteiligten und kann durch e<strong>in</strong>e<br />
optionale Feedbackrunde abgerundet<br />
werden.<br />
Studien zu kollegialer Fallberatung<br />
bei Grundschullehrkräften<br />
– Beschreibung des<br />
Untersuchungsansatzes<br />
Für den Beitrag werden Ergebnisse<br />
zur Evaluation von kollegialen Fallberatungen<br />
im Rahmen von Professionalisierungsangeboten<br />
für Lehrkräfte<br />
(Elt<strong>in</strong>g et al. 2021) und Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
(Baumann/Mart-<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
35
Aus Praxis: <strong>der</strong> <strong>Professionalität</strong> Forschung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
sch<strong>in</strong>ke 2021, Baumann et al. 2022)<br />
zusammenfassend berichtet. Im Fokus<br />
steht dabei u. a. die Frage, wie hilfreich<br />
kollegiale Fallberatung (auch im<br />
Vergleich zu an<strong>der</strong>en Übungen zum<br />
Be lastungsmanagement wie Problemlöseschemata)<br />
von (angehenden)<br />
Grund schullehrkräften für den Umgang<br />
mit Belastungen durch Schüler*<strong>in</strong>nen<br />
bewertet wird (Frage 1). Dabei <strong>in</strong>teressiert<br />
zudem, ob fallgebende Personen<br />
<strong>der</strong> Fallberatung e<strong>in</strong>en höheren Nutzen<br />
zuschreiben, als die an<strong>der</strong>en Teilnehmer*<strong>in</strong>nen<br />
(„Beratende“) (Frage<br />
2). Letztlich wurden die angehenden<br />
Lehrkräfte auch befragt, ob und wenn<br />
ja, weshalb kollegiale Fallberatung als<br />
beson<strong>der</strong>s erfolgversprechend e<strong>in</strong>geschätzt<br />
wird (Frage 3).<br />
Wer wurde befragt und<br />
wie wurde erhoben?<br />
Das Professionalisierungsangebot mit<br />
<strong>in</strong>sgesamt vier Modulen für die Lehrkräfte<br />
fand im Jahr 2018 e<strong>in</strong>malig mit<br />
13 Grundschullehrkräften statt. Das Angebot<br />
für die Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
wurde <strong>in</strong> acht Sem<strong>in</strong>argruppen mit 79<br />
Teilnehmenden 2019 und 2020 durchgeführt.<br />
Alle Teilnehmer*<strong>in</strong>nen beteiligten<br />
sich demnach auch an <strong>der</strong><br />
kollegialen Fallberatung im Rahmen<br />
des letzten Moduls. Für Frage 1 schätzen<br />
die Teilnehmenden <strong>in</strong> Kurzfragebögen<br />
nach jedem Modul auf e<strong>in</strong>er vierstufigen<br />
Rat<strong>in</strong>gskala (1: trifft gar nicht zu<br />
–4: trifft voll zu) den subjektiven Lernnutzen<br />
e<strong>in</strong> (pro Modul 2 Items, z. B. „Die<br />
Inhalte und Übungen lassen sich auf die<br />
belastenden Fälle <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er aktuellen<br />
und zukünftigen Berufspraxis gut übertragen.“).<br />
Für den Vergleich <strong>der</strong> Rollen<br />
„fallgebend“ vs. „fallberatend“ (Frage 2)<br />
bei den Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen werden<br />
die Ergebnisse wegen <strong>der</strong> ger<strong>in</strong>gen<br />
Stichprobengröße <strong>der</strong> Fallgebenden<br />
(n=6) nur deskriptiv berichtet. Um H<strong>in</strong>weise<br />
für die Bewertung aller Module<br />
und <strong>der</strong> Fallberatung aus <strong>der</strong> Sicht von<br />
Fallberatenden und Fallgebenden zu generieren,<br />
wurden bei freiwilligen Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
vier Monate nach<br />
<strong>der</strong> Teilnahme telefonische Leitfaden<strong>in</strong>terviews<br />
geführt (n=22, darunter<br />
auch n=3 Fallgebende). Für die dritte<br />
Frage wurden dazu Antworten aus<br />
e<strong>in</strong>er offenen Frage nach beson<strong>der</strong>s hilfreichen<br />
Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsbauste<strong>in</strong>en analysiert.<br />
Die Auswertung erfolgte <strong>in</strong> Anlehnung<br />
an das Ablaufmodell <strong>der</strong> strukturierenden<br />
qualitativen Inhaltsanalyse auf <strong>der</strong><br />
Ebene <strong>der</strong> Hauptkategorien und <strong>in</strong> Anlehnung<br />
an die zusammenfassende qualitative<br />
Inhaltsanalyse auf Subkategorieebene<br />
(Mayr<strong>in</strong>g 2015) mithilfe <strong>der</strong> Software<br />
MAXQDA.<br />
Ergebnisse und Konsequenzen<br />
für die Praxis<br />
Abb. 2: Wahrgenommener Lernnutzen<br />
<strong>der</strong> kollegialen Fallberatung (Modul 4)<br />
aus Sicht <strong>der</strong> Lehrkräfte (N=13; Elt<strong>in</strong>g<br />
et al. 2021) und Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
(N=79; Baumann/Martsch<strong>in</strong>ke 2021)<br />
Die Lehrkräfte und Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
schätzen für die kollegiale<br />
Fallberatung <strong>in</strong> Modul 4 den Lernnutzen<br />
sehr positiv (vgl. Abb. 2) und<br />
im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Modulen am<br />
höchsten e<strong>in</strong> (Frage 1).<br />
Bei genauerer Betrachtung bestehen<br />
jedoch Unterschiede im Lernnutzen<br />
<strong>in</strong> Abhängigkeit von <strong>der</strong> Rolle <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Fallberatung (Frage 2): Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen,<br />
die e<strong>in</strong>en eigenen Fall<br />
bzw. e<strong>in</strong> persönliches Problem <strong>in</strong> die<br />
Beratungsrunde e<strong>in</strong>brachten (M=3.83,<br />
SD=.26, n=6), gaben e<strong>in</strong>en höheren<br />
Lernnutzen an als die an<strong>der</strong>en Teilnehmenden<br />
(M=3.32, SD=.62, n=73),<br />
die als Beratende mitwirkten (siehe für<br />
e<strong>in</strong>e Teilstichprobe auch Baumann et al.<br />
2022).<br />
Doch weshalb wird die kollegiale Fallberatung<br />
von Lehrkräften und Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
unabhängig von<br />
<strong>der</strong> Rolle als so hilfreiche Beratungsmethode<br />
wahrgenommen? Frage 3 berichtet<br />
die Ergebnisse e<strong>in</strong>er vertiefenden<br />
Anschluss-Interviewstudie mit freiwilligen<br />
Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen. Hierbei<br />
sollten sich die Teilnehmenden vier<br />
Monate später an beson<strong>der</strong>s hilfreiche<br />
Übungen bzw. Module er<strong>in</strong>nern. Auch<br />
hier überwiegen Nennungen zur kollegialen<br />
Fallberatung, zwei Drittel legten<br />
sich auf das Modul fest. Auf Rückfrage<br />
sollten die Befragten begründen,<br />
weshalb sie die Beratungsmethode<br />
aus gewählt haben. Dabei wurden vier<br />
Gründe als Subkategorien (siehe Abb.<br />
3) identifiziert (Baumann et al. 2022):<br />
Am häufigsten wird die kollegiale Fallberatung<br />
aufgrund <strong>der</strong> Chance geschätzt,<br />
an<strong>der</strong>e Sichtweisen und e<strong>in</strong>en<br />
Austausch wahrzunehmen. Das Erhalten<br />
von Hilfe und Tipps wird nahezu genauso<br />
häufig genannt. Die Möglichkeit,<br />
nach e<strong>in</strong>em strukturierten Ablauf vorzugehen,<br />
wurde ebenso als Begründung<br />
aufgeführt. Zuletzt trägt auch die Erfahrung<br />
von sozialer E<strong>in</strong>gebundenheit<br />
Abb. 3: Gründe für die positive Bewertung <strong>der</strong> kollegialen Fallberatung aus <strong>der</strong> Sicht<br />
<strong>der</strong> Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
4,0<br />
3,5<br />
3,0<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
Lehrkräfte<br />
3,88<br />
Lernnutzen<br />
3,36<br />
Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen<br />
36<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> Aus <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Forschung<br />
und e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsgefühl zur positiven<br />
Bewertung <strong>der</strong> Fallberatung bei.<br />
Auch wenn die Stichproben noch größer<br />
se<strong>in</strong> könnten, kann auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong><br />
positiven Evaluationsergebnisse und<br />
damit auch im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> bundesweit<br />
geltenden bildungswissenschaftlichen<br />
KMK-Standards (2014, S. 13) dafür plädiert<br />
werden, kollegiale Fallberatung <strong>in</strong><br />
allen drei Phasen <strong>der</strong> Lehrkräftebildung<br />
vermehrt zu <strong>in</strong>itiieren, durchzuführen<br />
und zu untersuchen. Diese Beratungsmethode<br />
kann unabhängig von <strong>der</strong> Rolle<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Fallberatung dazu beitragen, dem<br />
im Lehrberuf häufig vorherrschenden<br />
E<strong>in</strong>zelkämpfertum (Spangler 2012, S. 35)<br />
entgegenzuwirken und damit auch die<br />
Gesundheit (angehen<strong>der</strong>) Lehrkräfte<br />
aufrechtzuerhalten.<br />
Weiterführende Tipps für die Praxis<br />
● Wie kann die Beratungsgruppe zusammengesetzt<br />
werden?<br />
Weil sich durch Differenzen zwischen<br />
Schularten Grenzen bei <strong>der</strong> Übertragbarkeit<br />
von Problemen und Handlungsmöglichkeiten<br />
ergeben können (Meißner<br />
et al. 2018, S. 20), s<strong>in</strong>d Beratungsgruppen<br />
speziell für e<strong>in</strong>e Schulart empfehlenswert.<br />
Kollegiale Fallberatung ist auch schulübergreifend<br />
möglich, z. B. können sich<br />
Lehrkräfte diverser <strong>Grundschule</strong>n für e<strong>in</strong><br />
Mehr an unterschiedlichen Perspektiven<br />
regelmäßig treffen. Um Anfahrtswege zu<br />
sparen, kann die Fallberatung onl<strong>in</strong>e, z. B.<br />
per Zoom, stattf<strong>in</strong>den. Erste Evaluationsergebnisse<br />
zu kollegialer Fallberatung per<br />
Zoom bei Grundschullehrkräften zeigen,<br />
dass auch e<strong>in</strong> Onl<strong>in</strong>e-Format positiv<br />
wahrgenommen wird und wirksam se<strong>in</strong><br />
kann.<br />
● Wie bereite ich e<strong>in</strong>e<br />
Fallberatung vor?<br />
Vor <strong>der</strong> Durchführung sollten wichtige<br />
Bed<strong>in</strong>gungen thematisiert werden, z. B.<br />
e<strong>in</strong> vertrauliches Behandeln <strong>der</strong> Inhalte.<br />
Auch die vorige Vermittlung des Ablaufschemas<br />
ist e<strong>in</strong>e bedeutsame Voraussetzung<br />
für e<strong>in</strong> verlässliches, berechenbares<br />
Vorgehen (Tietze 2018, S. 12 – 13).<br />
Zudem sollten wichtige Regeln für die<br />
unterschiedlichen Phasen aufgezeigt<br />
werden: Zum Beispiel sollte es sich bei<br />
Lösungsvorschlägen um nichtbelehrende<br />
Ich-Botschaften handeln, wie „Ich<br />
könnte mir vorstellen ...“ anstatt „Du<br />
solltes ...“ (Tietze 2018, S. 130 – 134).<br />
● Wie wähle ich e<strong>in</strong>en Fall bzw. e<strong>in</strong>e*n<br />
Fallgeber*<strong>in</strong> aus?<br />
Wichtig ist, dass die Probleme („Fälle“)<br />
aus dem beruflichen Bereich kommen<br />
und im Handlungsspektrum <strong>der</strong> Fallgebenden<br />
liegen. Es sollten ke<strong>in</strong>e Probleme<br />
mit Kolleg*<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schulleitung<br />
e<strong>in</strong>gebracht werden, weil kollegiale<br />
Beratung sich an alle Kolleg*<strong>in</strong>nen<br />
e<strong>in</strong>er Hierarchieebene widmet und die<br />
Schulleitung als Weisungsbefugte qua<br />
Def<strong>in</strong>ition von e<strong>in</strong>er Teilnahme ausgeschlossen<br />
ist (Spangler 2012, S. 115).<br />
Aus <strong>der</strong> Studie liegen H<strong>in</strong>weise darauf<br />
vor, dass Fallberatung bei Problemen<br />
im Umgang mit Schüler*<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong><br />
Eltern beson<strong>der</strong>s hilfreich se<strong>in</strong> kann.<br />
Außerdem gibt es H<strong>in</strong>weise, dass fallgebende<br />
Personen e<strong>in</strong>en noch höheren<br />
Nutzen aus <strong>der</strong> Fallberatung ziehen<br />
als die Beratungsgruppe, wenngleich<br />
auch diese von <strong>der</strong> Teilnahme profitiert.<br />
Da die Rollen <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Fallberatung<br />
getauscht werden, sollen (angehende)<br />
Lehrkräfte dazu ermuntert werden,<br />
Rebecca Baumann<br />
ist wissenschaftliche Mitarbeiter<strong>in</strong> am<br />
Institut für Grundschulforschung an<br />
<strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität<br />
Erlangen-Nürnberg. Schwerpunkte <strong>in</strong><br />
Forschung und Lehre s<strong>in</strong>d u.a. Inklusion<br />
und Heterogenität, Lehrkräftegesundheit<br />
sowie Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung.<br />
e<strong>in</strong>en eigenen Fall <strong>in</strong> die Beratungsgruppe<br />
e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.<br />
Der letzte und wichtigste Tipp ist<br />
aber, offen zu se<strong>in</strong> für kollegiale Fallberatung,<br />
sie e<strong>in</strong>fach auch e<strong>in</strong>mal auszuprobieren,<br />
damit viele Lehrkräfte so<br />
viel Kraft und Ressourcen schöpfen wie<br />
die Kolleg<strong>in</strong>, die im Interview ihren Gew<strong>in</strong>n<br />
aus dem Austausch so beschreibt:<br />
„Man hat wie so ´nen Riesenblumenstrauß<br />
aufgemacht an D<strong>in</strong>gen, die man<br />
machen kann, wo man auf manches<br />
selbst nicht kommt.“ (KH93: 76)<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa164Lit<br />
Kartensatz „Grundschrift – Damit K<strong>in</strong><strong>der</strong> besser schreiben lernen“<br />
Kartei zum Lernen und Üben<br />
Teil 1<br />
Die Buchstaben<br />
© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen: www.designritter.de<br />
Kartei zum Lernen und Üben<br />
Teil 2<br />
Schreiben mit Schwung<br />
© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen: www.designritter.de<br />
Kartensatz: 56 Karten (Teil 1)<br />
und 20 Karten (Teil 2)<br />
Voraussichtlich wie<strong>der</strong> lieferbar<br />
ab 1. August 2023 und<br />
ab sofort bestellbar unter<br />
www.grundschulverband.de<br />
22,00 € – 33,00 € <strong>in</strong>kl. MwSt.<br />
Herausgeber:<br />
Horst Bartnitzky, Ulrich Hecker,<br />
Christ<strong>in</strong>a Mahrhofer-Bernt<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
37
Praxis: Rundschau <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
„E<strong>in</strong>e Welt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule – nicht nur Projekttitel,<br />
son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>e Zeitschrift als Austauschplattform für Praxisbeispiele“<br />
Über unsere Zeitschrift<br />
„E<strong>in</strong>e Welt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule – Aus <strong>der</strong> Praxis für die Praxis“<br />
Zusammen mit dem Ausleihservice<br />
bildet die Zeitschrift das<br />
Herzstück unseres Projekts. Mit<br />
dem gleichnamigen Titel „E<strong>in</strong>e Welt <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Schule – Aus <strong>der</strong> Praxis für die Praxis“<br />
ersche<strong>in</strong>t sie zweimal im Jahr und<br />
ist im Abonnement o<strong>der</strong> als E<strong>in</strong>zelausgabe<br />
erhältlich. Sie vere<strong>in</strong>t Impulse und<br />
E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> den Unterrichtsalltag von<br />
Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />
mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf den globalen<br />
Kontext.<br />
Unsere 1. Ausgabe <strong>in</strong> diesem Jahr<br />
hatte das Thema Schulpartnerschaften<br />
mit dem Globalen Süden <strong>in</strong> den Blick<br />
genommen. Internationale Schulpartnerschaften,<br />
sogar über Kont<strong>in</strong>ente<br />
h<strong>in</strong>weg? Ist das nicht e<strong>in</strong> bisschen weit<br />
und zu viel für junge Schüler*<strong>in</strong>nen, vor<br />
allem was das Thema Sprache angeht?<br />
Diese Gedanken begleiteten den Beg<strong>in</strong>n<br />
<strong>der</strong> Recherche nach Beiträgen und wir<br />
fragten uns, ob wir überhaupt genügend<br />
Beispiele aus <strong>der</strong> Praxis f<strong>in</strong>den würden,<br />
um Interessierten darüber berichten zu<br />
können. Es zeigte sich, dass sich Lehrkräfte<br />
und Praktiker*<strong>in</strong>nen durch diesen<br />
Vorbehalt nicht davon abbr<strong>in</strong>gen<br />
ließen, Partnerschaften mit Schulen aus<br />
den Län<strong>der</strong>n des Globalen Südens aufzubauen<br />
und Besuche o<strong>der</strong> (digitale)<br />
Treffen durchzuführen.<br />
Sprachbarrieren überw<strong>in</strong>den<br />
In <strong>der</strong> Tat wollten wir auch dem Thema<br />
Sprache und ihren Grenzen beson<strong>der</strong>e<br />
Beachtung schenken. In e<strong>in</strong>em Artikel<br />
Aufgepasst!<br />
Mitglie<strong>der</strong> des Grundschulverbandes erhalten<br />
20 % Rabatt und zahlen damit nur<br />
14,40 Euro anstatt 18,00 Euro für das Zeitschriftenabo,<br />
<strong>in</strong>klusive Versand.<br />
Gerne laden wir Sie dazu e<strong>in</strong>, von e<strong>in</strong>em<br />
Praxisbeispiel aus Ihrem Lehralltag zu<br />
berichten! Auch Interviews mit Schüler*<strong>in</strong>nen<br />
zu e<strong>in</strong>em globalen Thema s<strong>in</strong>d<br />
möglich.<br />
zur Sprachenvielfalt plädiert Anna Müller<br />
für Language Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g und gibt<br />
praktische H<strong>in</strong>weise, wie dieses umgesetzt<br />
werden kann. Aus ihrer Praxis als<br />
Bildungsreferent<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />
Jugendarbeit gibt sie e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick, wie<br />
Begegnung trotz sprachlicher Unterschiede<br />
gel<strong>in</strong>gen kann und welchen Benefit<br />
die Vielfalt aus verschiedenen Sprachen<br />
<strong>in</strong> die Zusammenarbeit mitbr<strong>in</strong>gt.<br />
In unserer Rubrik Copy-to-go bieten<br />
wir bei je<strong>der</strong> Ausgabe Kopiervorlagen<br />
für den praktischen E<strong>in</strong>satz im<br />
Unterricht an. In Anlehnung an Anna<br />
Müllers Anregungen zu Methoden bei<br />
<strong>in</strong>ternationalen Jugendbegegnungen<br />
stellten wir e<strong>in</strong> Kennenlernb<strong>in</strong>go auf<br />
Deutsch und Englisch zur Verfügung<br />
und führten <strong>in</strong> die Methode des Dreiecks<br />
<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samkeiten e<strong>in</strong>. Das<br />
Kennenlernb<strong>in</strong>go funktioniert ähnlich<br />
wie e<strong>in</strong> Zahlenb<strong>in</strong>go, wobei ke<strong>in</strong>e Zahlen<br />
angekreuzt, son<strong>der</strong>n Frage-Kästchen<br />
mit Antworten gefüllt werden. Die Fragen<br />
haben wir so ausgewählt, dass sie<br />
<strong>in</strong> verschiedene Richtungen gerade für<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> anschlussfähig s<strong>in</strong>d, die nicht<br />
unbed<strong>in</strong>gt denselben sprachlichen o<strong>der</strong><br />
kulturellen H<strong>in</strong>tergrund teilen, und die<br />
sich leicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Frage-Antwort-Spiel<br />
<strong>in</strong>tegrieren lassen. Beim Dreieck <strong>der</strong><br />
Geme<strong>in</strong>samkeiten versuchen die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> übere<strong>in</strong>stimmende<br />
Vorlieben, Eigenschaften o<strong>der</strong> Merkmale<br />
zu f<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>dem sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Dreiergruppe mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> kommunizieren.<br />
Hierbei ist e<strong>in</strong>e Durchführung<br />
auf nicht-schriftlicher Basis möglich,<br />
da sie sich gegenseitig auch „mit Händen<br />
und Füßen“ vorstellen o<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge<br />
aufzeichnen können.<br />
Als ganz neue Rubrik bieten wir jetzt<br />
<strong>in</strong> Kooperation mit <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>buchbibliothek<br />
des Bremer Instituts für<br />
Bil<strong>der</strong>buchforschung an <strong>der</strong> Universität<br />
Bremen e<strong>in</strong>e Buchbesprechung an. Das<br />
Debüt bildete „Am Tag als Saída zu<br />
uns kam“ von Susana Gómez Redondo<br />
(Text) und Sonja Wimmer (Bil<strong>der</strong>), rezensiert<br />
von Dr. Elisabeth Hollerweger.<br />
Unter dem Leitsatz „Lesend Grenzen<br />
über Bord werfen“ tauchen die Leser*<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e beg<strong>in</strong>nende Freundschaft<br />
zweier K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>, <strong>der</strong>en erste<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung das Fehlen e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />
Sprache ist. Die beiden nähern<br />
sich über Alltagsbegriffe an, die<br />
ihnen aus ihrer jeweiligen Sprache vertraut<br />
s<strong>in</strong>d. Dadurch entwickelt sich e<strong>in</strong>e<br />
Beziehung und sie schaffen es schließlich,<br />
das Fremde im Eigenen zu erleben,<br />
was zu e<strong>in</strong>em gleichwertigen Austausch<br />
untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> führt.<br />
Nicht nur wegen Corona: Digitale<br />
Schulpartnerschaften als Chance<br />
Gleich zwei Artikel befassen sich mit<br />
Partnerschaften, <strong>der</strong>en Begegnungen ausschließlich<br />
im digitalen Raum stattfanden.<br />
Abril García y Marcias und Wendy Quetzal<br />
Morel Schramm berichteten mit praktischen<br />
Tipps über ihr geme<strong>in</strong>sames<br />
Projekt mit zwei Schulklassen aus Mexiko-Stadt<br />
und Berl<strong>in</strong>. In dem Austausch<br />
begleiteten sie als Lehrer<strong>in</strong> und<br />
Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kooperative Fotoausstellung<br />
<strong>der</strong> Schüler*<strong>in</strong>nen, die sich<br />
noch nie <strong>in</strong> Präsenz getroffen hatten, zum<br />
Thema Biodiversität <strong>in</strong> den beiden Städten<br />
und Umgebung. Die Projekttreffen<br />
fanden ausschließlich onl<strong>in</strong>e statt. Mithilfe<br />
e<strong>in</strong>es Padlets arbeiteten die Teilnehmenden<br />
trotz des Zeitunterschieds<br />
geme<strong>in</strong>sam an <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>.<br />
In Berl<strong>in</strong> gab es im Anschluss sogar e<strong>in</strong>e<br />
Ausstellung <strong>der</strong> Fotos im Roten Rathaus.<br />
Rajeswari Namagiri Gorana und Sab<strong>in</strong>e<br />
Cordes verb<strong>in</strong>det schon seit 2017<br />
e<strong>in</strong>e berufliche virtuelle Partnerschaft<br />
zwischen ihren Schulen. Die Pädagog<strong>in</strong>nen<br />
aus dem west<strong>in</strong>dischen Ahmedabad<br />
und norddeutschen W<strong>in</strong>gst schreiben<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel über ihre Zusammenarbeit<br />
und den Mehrwert, aber auch<br />
über Herausfor<strong>der</strong>ungen, die mit e<strong>in</strong>er<br />
solchen Zusammenarbeit verbunden<br />
s<strong>in</strong>d. Von den drei bereits geme<strong>in</strong>sam<br />
umgesetzten Projekten gehen sie hier<br />
explizit auf ihr Projekt Feliz Birth Tag<br />
e<strong>in</strong>, bei dem auch noch e<strong>in</strong>e mexikanische<br />
<strong>Grundschule</strong> Teil des Trios war. Die<br />
38<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
Nachhaltigen Entwicklungsziele (Susta<strong>in</strong>able<br />
Development Goals, kurz SDGs)<br />
fest im Blick, befassten sich die Projektgruppen<br />
mit bewusstem Konsum. Um<br />
diesen sperrigen Begriff beson<strong>der</strong>s für<br />
Grundschüler*<strong>in</strong>nen fassbarer zu machen,<br />
wendeten sie sich dem Thema Geburtstag<br />
zu, <strong>der</strong> <strong>in</strong> allen drei Schulen e<strong>in</strong><br />
beson<strong>der</strong>er Tag ist und unterschiedlich<br />
gefeiert wird. Sie entwickelten anhand<br />
dieses Alltagsbeispiels Ideen und Strategien,<br />
wie e<strong>in</strong>e Feier nachhaltig gestaltet<br />
werden kann.<br />
Praxisbeispiele zwischen<br />
hier und an<strong>der</strong>swo<br />
Gerl<strong>in</strong>de Schlöer-Muth beschreibt den<br />
von ihr <strong>in</strong>itiierten Prozess von <strong>der</strong> Idee<br />
für e<strong>in</strong>e Schulpartnerschaft bis zur Verstetigung.<br />
Zwischen zwei Schulen <strong>in</strong><br />
Frankfurt/Ma<strong>in</strong> und Mwanga <strong>in</strong> Tansania<br />
entwickelte sich e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung, die<br />
über den langen Zeitraum ständigen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
unterworfen war. Ihr Fazit:<br />
E<strong>in</strong>e Schulpartnerschaft ist ke<strong>in</strong> Selbstläufer,<br />
geme<strong>in</strong>same Projekte müssen neu<br />
konzipiert werden.<br />
So spricht sich Klaus Schill<strong>in</strong>g,<br />
Bundeskoord<strong>in</strong>ator <strong>der</strong> UNESCO-<br />
Pro jektschulen ebenfalls für e<strong>in</strong>e Verankerung<br />
globaler Partnerschaften im<br />
Schulalltag aus, wenn sie gel<strong>in</strong>gen sollen.<br />
Auch ist die Zusammenarbeit mit<br />
externen Partner*<strong>in</strong>nen oft s<strong>in</strong>nvoll und<br />
schafft positive Synergieeffekte. In se<strong>in</strong>em<br />
Beitrag führt er exemplarisch kulturelle<br />
Bildung am Beispiel von Musik-,<br />
Theater- und Kunstprojekten auf und<br />
weist darauf h<strong>in</strong>, Schulpartnerschaften<br />
als Aufgabe <strong>der</strong> gesamten Schule wahrzunehmen.<br />
Im Interview mit uns Projektmitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />
greifen Samuel Njiki Njiki<br />
und Eckardt Kreye grundlegende Fragestellungen<br />
auf, die sich im Vorfeld von<br />
Schulpartnerschaften und <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Umsetzung<br />
ergeben können. Dabei folgt<br />
dem organisatorischen Proze<strong>der</strong>e die<br />
zwischenmenschliche Interaktion, die<br />
beson<strong>der</strong>s dann stattf<strong>in</strong>det, wenn sich<br />
die Gruppen wirklich begegnen können,<br />
was nicht allen aus Ressourcen-<br />
Sicht möglich ist. Trotz kritischer Betrachtung<br />
e<strong>in</strong>iger Mechanismen <strong>in</strong>nerhalb<br />
des Schulaustausch-Kosmos, macht<br />
Njiki Njiki allen Mut: „Traut euch das zu<br />
und macht das e<strong>in</strong>fach!“ So sehen auch<br />
wir vom Projekt E<strong>in</strong>e Welt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule<br />
diese beson<strong>der</strong>e Zeitschriftenausgabe<br />
als Inspiration und Impuls, für Schulpartnerschaften<br />
zu ermutigen und bestehende,<br />
aber vielleicht e<strong>in</strong>geschlafene<br />
<strong>in</strong>ternationale Verb<strong>in</strong>dungen, beson<strong>der</strong>s<br />
nach <strong>der</strong> Corona-Pandemie, wie<strong>der</strong>aufleben<br />
zu lassen!<br />
Ergänzend zu den Artikeln haben<br />
wir e<strong>in</strong>e Übersicht zu Anlaufstellen und<br />
Informationsplattformen zusammengestellt,<br />
an die sich Interessierte mit<br />
ihren Unterstützungsbedarfen und Fragen<br />
wenden können.<br />
Rachel Rentz<br />
M. A. Kulturwissenschaft, seit Januar<br />
2023 wissenschaftliche Mitarbeiter<strong>in</strong> im<br />
Projekt „E<strong>in</strong>e Welt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule“<br />
Die nächste Ausgabe<br />
In <strong>der</strong> Ausgabe 153 im November 2023<br />
werden für die Beiträge aus <strong>der</strong> Praxis<br />
konkrete Materialien für den Unterrichtse<strong>in</strong>satz<br />
im Fokus stehen. Unter an<strong>der</strong>em<br />
werden Bedeutung und Chancen von<br />
Spielen anhand konkreter Spielideen im<br />
Lernkontext aufgegriffen. Zwei Weltkarten<br />
aus LKW-Plane, die wir im Verleih<br />
haben, und <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten,<br />
werden beleuchtet. Wie<strong>der</strong> wird es<br />
e<strong>in</strong>e Buchrezension aus unserem Bestand<br />
geben. Außerdem stellen wir weiteres<br />
Material u. a. zu Mexiko und Schokolade<br />
vor, besprechen Praxisbeispiele, wie diese<br />
e<strong>in</strong>gesetzt werden können und teilen<br />
Erfahrungen von Pädagog*<strong>in</strong>nen.<br />
Neugierig geworden?<br />
Schauen Sie auf unserer Website www.welt<strong>in</strong><strong>der</strong>schule.uni-bremen.de vorbei!<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
39
Praxis: Rundschau <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Aus dem Vorstand<br />
Geme<strong>in</strong>sam<br />
für e<strong>in</strong>e starke <strong>Grundschule</strong><br />
Der Sommer begann mit e<strong>in</strong>em<br />
überaus erfreulichen Ereignis:<br />
E<strong>in</strong>ladung des Bundesprä sidenten<br />
für den Vorsitzenden des Grundschulverbands<br />
zu e<strong>in</strong>em Abendessen am<br />
12. Juli 2023 im Schloss Bellevue zum<br />
Thema „Soziale Pflichtzeit“.<br />
Der Bundespräsident Frank-Walter<br />
Ste<strong>in</strong>meier stellte se<strong>in</strong>en Vorschlag zur<br />
Sozialen Pflichtzeit vor. Im Zentrum<br />
stand dabei die Überlegung, Wege zu<br />
f<strong>in</strong>den, wie e<strong>in</strong>e ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>driftende<br />
Gesellschaft wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Kontakt mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
kommen könnte. Als Vertreter<br />
des Grundschulverbands konnte<br />
ich darauf aufmerksam machen, dass<br />
die <strong>Grundschule</strong> die e<strong>in</strong>zige Institution<br />
im Bildungsbereich ist, die Menschen<br />
aus allen Herkünften zusammenbr<strong>in</strong>gt.<br />
Der Vorschlag, die Aufteilung<br />
<strong>der</strong> Schüler:<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sekundarstufe<br />
zu überdenken und auch hier die<br />
gute Praxis <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong>n – e<strong>in</strong>e<br />
geme<strong>in</strong>same Schule für alle – weiterzuführen,<br />
wurde <strong>in</strong>teressiert aufgenommen.<br />
Nachfragen und die Diskussion<br />
bestärkten dar<strong>in</strong>, diese Position<br />
weiter offensiv <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit zu<br />
vertreten.<br />
Nach diesem erfreulichen Start <strong>in</strong> den<br />
Sommer galt es, schnelle Lösungen für<br />
unvorhersehbare Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
zu f<strong>in</strong>den: Christ<strong>in</strong>e Damm schied – für<br />
uns völlig überraschend und mit Bedauern<br />
– zum 30. September aus <strong>der</strong><br />
Geschäftsstelle aus. Wir mussten rasch<br />
klären, wie wir die so entstandene Lücke<br />
schnellstmöglich wie<strong>der</strong>besetzen. Auf<br />
unsere Ausschreibung g<strong>in</strong>gen über<br />
40 Bewerbungen e<strong>in</strong>. Letztendlich gelang<br />
es, mit Frau Jana Haag und Frau<br />
Abigail Montwé zwei vielversprechende<br />
neue Mitarbeiter<strong>in</strong>nen zu f<strong>in</strong>den, die ab<br />
dem 15. Oktober 2023 bzw. dem 1. November<br />
2023 ihre Arbeit aufnehmen<br />
werden. Auch an dieser Stelle e<strong>in</strong> herzliches<br />
Willkommen und auf e<strong>in</strong>e gute<br />
Zusammenarbeit!<br />
Am 9. Oktober 2023 wurde Maresi<br />
Lassek, die über 10 Jahre als Bundesvorsitzende<br />
unseren Verband geleitet und<br />
sich darüber h<strong>in</strong>aus sehr engagiert für<br />
die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong> e<strong>in</strong>gesetzt<br />
hat, vom Bundespräsidenten Frank-<br />
Walter Ste<strong>in</strong>meier das Bundesverdienstkreuz<br />
verliehen. Wir freuen uns sehr mit<br />
ihr über diese hohe Auszeichnung und<br />
gratulieren Maresi von ganzem Herzen!<br />
Anschließen möchten wir auch e<strong>in</strong>e<br />
weitere Gratulation für drei <strong>Grundschule</strong>n,<br />
die am 12. Oktober 2023 mit<br />
dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet<br />
worden s<strong>in</strong>d: die Rothenburg-<strong>Grundschule</strong><br />
Berl<strong>in</strong>, die <strong>Grundschule</strong> op de<br />
Host <strong>in</strong> Horst, Nie<strong>der</strong>sachsen, und die<br />
<strong>Grundschule</strong> am Dichterviertel <strong>in</strong> Mülheim<br />
an <strong>der</strong> Ruhr, Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen.<br />
Die Mülheimer und die Horster <strong>Grundschule</strong><br />
s<strong>in</strong>d auch Mitgliedschulen des<br />
Grundschulverbands.<br />
Inzwischen s<strong>in</strong>d alle Bundeslän<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
das neue Schuljahr gestartet. Die Unterrichtsversorgung<br />
wird von den M<strong>in</strong>isterien<br />
weitgehend als nicht so schlimm<br />
wie erwartet geschil<strong>der</strong>t. Dies kann ke<strong>in</strong><br />
wirklicher Trost se<strong>in</strong>, wenn wir weiterh<strong>in</strong><br />
gerade und beson<strong>der</strong>s im Bereich <strong>der</strong><br />
<strong>Grundschule</strong>n mit e<strong>in</strong>em teilweise erheblichen<br />
Mangel an gut ausgebildeten<br />
Lehrkräften auskommen müssen. So<br />
gehört <strong>der</strong> Grundschulverband zu den<br />
mehr als 90 unterzeichnenden Bildungsorganisationen,<br />
Eltern- und Schüler:<strong>in</strong>nenvertretungen<br />
des Appells „Bildungswende<br />
Jetzt!“, <strong>in</strong> dem zu e<strong>in</strong>em „echten“<br />
Nationalen Bildungsgipfel aufgefor<strong>der</strong>t<br />
und sich geme<strong>in</strong>sam für e<strong>in</strong>en bundesweiten<br />
Bildungsprotesttag am 23. September<br />
2023 engagiert wurde. In Bayern,<br />
Berl<strong>in</strong> und Bremen haben die Landesgruppen<br />
Aktionen vor Ort mit organisiert.<br />
Es bleibt zu hoffen, dass diese<br />
Aktion – gerade im H<strong>in</strong>blick auf den<br />
Stand <strong>der</strong> Diskussion um den kommenden<br />
Bundeshaushalt – Wirkung zeigt.<br />
Mit se<strong>in</strong>en beiden Pressemitteilungen<br />
zur <strong>in</strong>klusiven Bildung und zur Unterf<strong>in</strong>anzierung<br />
<strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong> hat <strong>der</strong><br />
Vorstand auf die Veröffentlichung des<br />
aktuellen Staatenberichts zur Umsetzung<br />
<strong>der</strong> UN-Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenkonvention, des<br />
Deutschen Schulbarometers sowie des<br />
UNICEF-Berichts zur Lage <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> Deutschland reagiert.<br />
Gerade an dieser Stelle wird e<strong>in</strong>mal<br />
mehr deutlich: Insbeson<strong>der</strong>e die <strong>Grundschule</strong><br />
braucht e<strong>in</strong>e starke Stimme. Wir<br />
als Grundschulverband müssen diese<br />
starke Stimme für unsere Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong>n se<strong>in</strong>.<br />
Lassen Sie uns geme<strong>in</strong>sam daran arbeiten,<br />
den Verband weiter voran zu br<strong>in</strong>gen.<br />
Wir freuen uns über alle, die sich<br />
dabei aktiv und engagiert e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen<br />
und im Bund und den Landesgruppen<br />
mitwirken. Kommen Sie mit vielen<br />
Menschen <strong>in</strong>s Gespräch und werben Sie<br />
für unseren Grundschulverband.<br />
Jede Stimme zählt!<br />
Edgar Bohn, Marion Gutzmann<br />
40<br />
GS aktuell 164 • November 2023
Praxis: <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Rundschau<br />
Rundschau<br />
Geme<strong>in</strong>same Veranstaltung von GGG und GSV<br />
„Verantwortung für Bildungsgerechtigkeit –<br />
Startchancen-Programm als Chance“<br />
Erstmalig haben die Geme<strong>in</strong>nützige<br />
Gesellschaft Gesamtschule (GGG)<br />
und <strong>der</strong> Grundschulverband<br />
(GSV) e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Veranstaltung<br />
zum Startchancenprogramm organisiert<br />
und am 10. Juni 2023 an <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsschule<br />
Fritz-Karsen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
durchgeführt. E<strong>in</strong> großer Dank gilt<br />
Robert Giese, <strong>der</strong> als gastgeben<strong>der</strong> Schulleiter<br />
den organi sa torischen Rahmen<br />
bereitstellte und trotz Temperaturen über<br />
30 Grad e<strong>in</strong>e an genehme Veranstaltungsatmosphäre<br />
schaffen konnte.<br />
Mit dieser Veranstaltung wurde e<strong>in</strong>es<br />
<strong>der</strong> zentralen Ziele bei<strong>der</strong> Verbände <strong>in</strong>s<br />
Zentrum gerückt, für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen – unabhängig von <strong>der</strong> Herkunft<br />
– beste Bildungschancen zu garantieren.<br />
Vortrag, Podiumsgespräch und vier<br />
Foren boten e<strong>in</strong> abgerundetes Programm<br />
und e<strong>in</strong>en wirkungsvollen Rahmen für<br />
e<strong>in</strong>e überzeugende Positionierung bei<strong>der</strong><br />
Verbände zum Startchancenprogramm,<br />
das K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen bessere<br />
Bildungschancen eröffnen soll.<br />
Die Vorsitzenden bei<strong>der</strong> Verbände,<br />
Dieter Ziel<strong>in</strong>ski (GGG) und Edgar Bohn<br />
(GSV), eröffneten die Tagung und for<strong>der</strong>ten<br />
zur Lösung <strong>der</strong> Krise im Bildungssystem<br />
e<strong>in</strong>en gesamtgesellschaftlichen<br />
Dialog über Bildung und Schule – K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendliche gehören ganz nach oben<br />
auf die Agenda e<strong>in</strong>es breiten gesellschaftlichen<br />
Diskurses.<br />
Souverän vertrat Ra<strong>in</strong>er Dahlhaus<br />
(GGG) die plötzlich erkrankte Referent<strong>in</strong><br />
und stellte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag Themen<br />
und Eckpunkte aus dem „Expert*<strong>in</strong>nenforum<br />
Startchancenprogramm“ kritisch<br />
reflektiert vor.<br />
Daran schloss sich e<strong>in</strong> kompetent<br />
besetztes Podiumsgespräch mit Ruppert<br />
Stüwe MdB (SPD), Hans-Jürgen<br />
Kuhn (Die Grünen), Achim Elvert<br />
(SL Gesamtschule Ückendorf Gelsenkirchen),<br />
Marion Gutzmann (GSV)<br />
und Dieter Ziel<strong>in</strong>ski (GGG) an, das von<br />
Dr. Petra Strähle (Robert-Bosch-Stiftung)<br />
mo<strong>der</strong>iert wurde und die Vertreter*<strong>in</strong>nen<br />
<strong>der</strong> Ampelkoalition mit<br />
den E<strong>in</strong>schätzungen und Erwartungen<br />
zur Umsetzung des Startchancenprogramms<br />
konfrontieren sollte. Nicht<br />
alles konnte vertiefend diskutiert werden<br />
- hier soll zukünftig mehr Zeit sowohl<br />
für die Themen als auch für die stärkere<br />
E<strong>in</strong>beziehung des Publikums e<strong>in</strong>geplant<br />
werden.<br />
In vier Foren wurden am Nachmittag<br />
die Situation an den Schulen vertiefend<br />
diskutiert. Dies waren die Themen und<br />
Akteur:<strong>in</strong>nen:<br />
● Forum 1 (Warum) ist das Startchancenprogramm<br />
für MEINE<br />
SCHULE e<strong>in</strong>e Chance? Erfahrungen<br />
aus dem Talentschulprogramm NRW<br />
Leitung: Achim Elvert, Gesamtschule<br />
Ückendorf (Gelsenkirchen), GGG<br />
● Forum 2 Konzept Reformschule<br />
W<strong>in</strong> ter hude mit Bezug zum Startchancenprogramm:<br />
Was br<strong>in</strong>gt die<br />
Schule von 1-13 für die Bildungsgerechtigkeit?<br />
Leitung: Andrea Karlsberg,<br />
Malte Cunn<strong>in</strong>s, GSV<br />
● Forum 3 Startchancen: Am Start<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> ausgerichtet?<br />
Leitung: Marion Gutzmann,<br />
Gabriele Klenk, GSV<br />
● Forum 4 Startchancen(-programm)<br />
– Chance für den Sozialraum:<br />
Beispiel Hans-Christian-An<strong>der</strong>sen-Stadtteilschule,<br />
Kiel-Gaarden<br />
Leitung: Kathar<strong>in</strong>a Bruhn, Miriam<br />
Bouzeggaoui, Thomas Witt<br />
von l<strong>in</strong>ks nach rechts:<br />
Herzstück <strong>der</strong> Veranstaltung war die Verabschiedung<br />
e<strong>in</strong>er Resolution bei<strong>der</strong> Verbände:<br />
Mehr als überfällig war, dass sich<br />
die Regierungsparteien auf Bundesebene<br />
<strong>in</strong> ihrem Koalitionsvertrag <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<br />
von Bildungschancen aller K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendlichen verpflichtet haben.<br />
Jedoch for<strong>der</strong>n GGG und GSV vor dem<br />
H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen endlosen<br />
Debatte von Bund und Län<strong>der</strong>n um die<br />
Mittelverteilung schnellste E<strong>in</strong>igung, um<br />
Bildungsbiografien und -erfolge von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
nicht mehr länger herkunftsbed<strong>in</strong>gt<br />
e<strong>in</strong>zuschränken, das K<strong>in</strong><strong>der</strong>recht auf allseitige<br />
Bildung e<strong>in</strong>zulösen und Schulen<br />
<strong>in</strong> herausfor<strong>der</strong>nden Lagen beson<strong>der</strong>s<br />
zu unterstützen und zu begleiten. Zentrale<br />
For<strong>der</strong>ungen s<strong>in</strong>d, das Startchancenprogramm<br />
schon im Schuljahr<br />
2023/2024 beg<strong>in</strong>nen und die Verteilung<br />
<strong>der</strong> Mittel nicht nach dem Königsste<strong>in</strong>er<br />
Schlüssel, son<strong>der</strong>n nach e<strong>in</strong>em Sozial<strong>in</strong>dex<br />
erfolgen zu lassen. Inhaltliche Vorgaben<br />
s<strong>in</strong>d, dass die ganzheitliche Bildung<br />
das Ziel ist und dass den Schulen<br />
Freiräume bei <strong>der</strong> Ausgestaltung gegeben<br />
werden müssen. Die For<strong>der</strong>ungen im<br />
Wortlaut s<strong>in</strong>d nachzulesen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pressemitteilung<br />
und Resolution bei<strong>der</strong> Verbände,<br />
die auf <strong>der</strong> Veranstaltung vorgestellt<br />
und erweitert worden ist.<br />
Marion Gutzmann,<br />
Gabriele Klenk, Dieter Ziel<strong>in</strong>ski<br />
Marion Gutzmann, stellv. Vorsitzende GSV, Redaktionsteam <strong>Grundschule</strong> aktuell<br />
Gabriele Klenk, weiteres Vorstandsmitglied, Redaktionsteam <strong>Grundschule</strong> aktuell<br />
Dieter Ziel<strong>in</strong>ski, Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>nützige Gesellschaft Gesamtschule<br />
Die Resolution „Verantwortung für Bildungsgerechtigkeit – Startchancen-Programm<br />
als Chance?“ – Grundschulverband e.V. f<strong>in</strong>den Sie unter:<br />
https://grundschulverband.de/pm-verantwortung-fuer-bildungsgerechtigkeit/<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
41
Praxis: Rundschau <strong>Professionalität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Neues Fachreferat<br />
Mathematisches Lernen<br />
im Kontext von Heterogenität<br />
Im Frühjahr 2023 hat <strong>der</strong> Grundschulverband<br />
e<strong>in</strong> neues Fachreferat<br />
e<strong>in</strong>gerichtet und uns, Uta Häsel-<br />
Weide und Marcus Nührenbörger, im<br />
Team als Fachreferent*<strong>in</strong>nen gewählt. In<br />
diesem Beitrag möchten wir uns und<br />
unser Verständnis von mathematischem<br />
Lernen im Kontext von Heterogenität<br />
vorstellen.<br />
Was verstehen wir unter<br />
mathematischem Lernen im<br />
Kontext von Heterogenität?<br />
Mathematisches Lernen <strong>in</strong> Kontext von<br />
Heterogenität bedeutet zunächst, die<br />
Vielfalt <strong>der</strong> Lernenden – ihre unterschiedlichen<br />
Lernvoraussetzungen<br />
und Erfahrungen – <strong>in</strong> mathematischen<br />
Lehr- und Lernkontexten zu achten und<br />
mit Blick auf <strong>in</strong>haltsbezogene soziale<br />
Begegnungen zu beachten. Diese<br />
Reflexion von Heterogenität zeigt sich<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ausrichtung des Unterrichts,<br />
die fachliche Lernpotentiale bei allen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern aufgreift<br />
und durch die Kreation von Lernangeboten<br />
för<strong>der</strong>t, die <strong>in</strong>dividuell unterschiedliche<br />
Bearbeitungsoptionen bieten<br />
und Spielräume für <strong>in</strong>teraktive<br />
Zugänge zu mathematischen Gegenständen<br />
schaffen. Die Gestaltung von<br />
solchen potentialför<strong>der</strong>nden Lernangeboten<br />
orientiert sich zum e<strong>in</strong>en<br />
an den grundlegenden Pr<strong>in</strong>zipien des<br />
sozial-<strong>in</strong>teraktiven, aktiv-entdeckenden<br />
und ganzheitlichen Lernens sowie <strong>der</strong><br />
natürlichen Differenzierung. Zum an<strong>der</strong>en<br />
zielt e<strong>in</strong> solcher Mathematikunterricht<br />
auf die <strong>in</strong>dividuelle För<strong>der</strong>ung von<br />
<strong>in</strong>halts- und prozessbezogenen Kompetenzen<br />
mit Blick auf die Entwicklung<br />
und Sicherung von tragfähigen Grundlagen<br />
bei allen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n,<br />
Zentrales Gestaltungselement e<strong>in</strong>es<br />
Mathematikunterrichts im Kontext von<br />
Heterogenität s<strong>in</strong>d geme<strong>in</strong>same Lernumgebungen,<br />
die rund um e<strong>in</strong>e fachliche<br />
Grundidee über Variationen und<br />
Adaptionen <strong>in</strong>haltlich bedeutsame Zugänge<br />
für alle Lernenden ermöglichen.<br />
Verschiedene Aufgaben e<strong>in</strong>er Lernumgebung<br />
s<strong>in</strong>d somit stets über die geme<strong>in</strong>same<br />
<strong>in</strong>haltliche Idee verbunden,<br />
auch wenn sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> jeweiligen mathematischen<br />
Komplexität variieren. Auf<br />
diese Weise werden allen Lernenden<br />
gegenstandsbezogene Lernprozesse ermöglicht,<br />
ohne dass für jedes K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>dividuelle<br />
Aufgaben(päckchen) o<strong>der</strong> Hefte<br />
benötigt werden, die schnell zu e<strong>in</strong>er<br />
Isolierung <strong>der</strong> Lernenden führen.<br />
Mathematisches Lernen verstehen<br />
wir als fachliches Lernen <strong>in</strong> sozialer Geme<strong>in</strong>schaft<br />
und im Austausch. E<strong>in</strong>e gezielte<br />
Umsetzung kooperativer Sett<strong>in</strong>gs<br />
mit e<strong>in</strong>em offenen, fachlichen Austausch<br />
über mathematische Erkenntnisse<br />
ermöglicht gegenseitige fachliche<br />
Anregungen, das Erkennen von an<strong>der</strong>en<br />
Denkwegen und Vorgehensweisen<br />
und för<strong>der</strong>t auch soziales Lernen – die<br />
Anerkennung und gegenseitige Wertschätzung,<br />
die Unterstützung und fachliche<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung. Individuelle<br />
Bearbeitungen von spezifischen Aufgaben<br />
stellen e<strong>in</strong>e wichtige Ergänzung<br />
für konzentrierte Übungen zur Automatisierung<br />
von Basisfertigkeiten dar,<br />
die aber nur dann zur Entwicklung<br />
und Sicherung von mathematisch tragfähigen<br />
Grundlagen beitragen, wenn<br />
sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Mathematikunterricht<br />
e<strong>in</strong>gebettet s<strong>in</strong>d. Diagnose<br />
und För<strong>der</strong>ung gehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen<br />
Unterricht Hand und Hand und<br />
e<strong>in</strong>e unterrichts<strong>in</strong>tegrierte För<strong>der</strong>ung als<br />
Kern mit e<strong>in</strong>em diagnosegeleiteten Blick<br />
auf die Potentiale <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> stellt e<strong>in</strong>en<br />
Ausweg aus <strong>der</strong> Statuszuschreibung von<br />
Diagnosen dar.<br />
Wer s<strong>in</strong>d wir?<br />
Als Professor*<strong>in</strong>nen für son<strong>der</strong>päd a-<br />
go gische För<strong>der</strong>ung im Fach Mathematik<br />
an <strong>der</strong> Universität Pa<strong>der</strong>born<br />
(Uta Häsel-Weide) und für Didaktik<br />
<strong>der</strong> Mathematik mit dem Schwerpunkt<br />
Inklusion an <strong>der</strong> Universität Münster<br />
(Marcus Nührenbörger) verfolgen wir<br />
zusammen mit an<strong>der</strong>en, mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
und unabhängig vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verschiedene<br />
Projekte zur mathematikdidaktischen<br />
Entwicklungs- und Transferforschung.<br />
Geprägt haben uns Erfahrungen als<br />
Lehrkräfte im jahrgangsgemischten, <strong>in</strong>tegrativen<br />
Fachunterricht <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
(Marcus Nührenbörger) und<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> För<strong>der</strong>schule (Uta Häsel-Weide).<br />
Geforscht haben wir zur Ablösung<br />
vom zählenden Rechnen von<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Schwierigkeiten beim<br />
Mathematiklernen und zu sozial-<strong>in</strong>teraktiven<br />
Lehr- und Lernprozessen im<br />
geme<strong>in</strong>samen Mathematikunterricht<br />
wie auch zur Entwicklung von mathematischen<br />
Praktiken. Wir haben vielfältige<br />
Lernumgebungen und Unterrichtsmaterialien<br />
für den geme<strong>in</strong>samen<br />
<strong>in</strong>klusiven Mathematikunterricht (weiter)<br />
entwickelt. Im Grundschulverband<br />
waren wir u. a. als Herausgebende des<br />
Bands „Geme<strong>in</strong>sam Mathematik lernen<br />
– mit allen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n rechnen“ aktiv<br />
und haben an den Bänden „Individuell<br />
för<strong>der</strong>n – Kompetenzen stärken“ mitgewirkt.<br />
Was wollen wir mit dem<br />
Fachreferat bewegen?<br />
In und mit dem Grundschulverband<br />
wollen wir Mathematikunterricht im<br />
Kontext von Heterogenität geme<strong>in</strong>sam<br />
forschungsbasiert weiter entwickeln.<br />
Wir möchten die Lehrkräfte für mathematisches<br />
Lernen begeistern, sie (weiter)<br />
qualifizieren und von ihnen und<br />
mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> lernen. Als Teil des Grundschulverbands<br />
möchten wir für notwendige<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen guten<br />
Mathematiklernens e<strong>in</strong>treten.<br />
Marcus Nührenbörger,<br />
Uta Häsel-Weide<br />
Fachreferent*<strong>in</strong>nen im Fachreferat<br />
„Mathematisches Lernen“<br />
42<br />
GS aktuell 164 • November 2023
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Baden-Württemberg<br />
Vorsitzen<strong>der</strong>: Edgar Bohn<br />
edgar-bohn@gsv-bw.de, https://gsv-bw.de<br />
Unsere Aktivitäten im<br />
Südwesten stehen gerade<br />
im Spannungsfeld zwischen<br />
„Rout<strong>in</strong>en etabliere“ und<br />
„ganz Neues wagen …“.<br />
Mittlerweile regelmäßig<br />
stehen wir im Austausch mit<br />
den bildungspolitischen<br />
Sprechern <strong>der</strong> Landtagsfraktionen.<br />
Diese Rout<strong>in</strong>e, die wir<br />
als große Chance sehen, mit<br />
unseren Anliegen wahrgenommen<br />
und gehört zu<br />
werden, hegen und pflegen<br />
wir und werden nicht müde,<br />
dort laut zu werden für e<strong>in</strong>e<br />
chancengerechte Bildung <strong>in</strong><br />
Baden-Württemberg zu <strong>der</strong><br />
neben e<strong>in</strong>er besseren Ausstattung<br />
<strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong>n<br />
auch e<strong>in</strong>e Besserstellung <strong>der</strong><br />
Grundschulpädagog:<strong>in</strong>nen<br />
gehört. Hier gehen die Maßnahmen<br />
<strong>der</strong> Bildungspolitik<br />
mit dualem Studium und<br />
Quere<strong>in</strong>stieg unserer Ansicht<br />
nach <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e gute Richtung.<br />
Frustration zeigt sich nach<br />
wie vor vielerorts an Schulen.<br />
Hier wollen wir etwas ganz<br />
Neues wagen und s<strong>in</strong>d schon<br />
mittendr<strong>in</strong>: Unter dem Titel<br />
Out of the Box – Dem Künstlerischen<br />
Raum geben. Mit<br />
Mut und Fantasie Unterricht<br />
und Schule entwickeln<br />
wollen wir im Rahmen<br />
unseres Grundschultags die<br />
Kraft <strong>der</strong> Fantasie nutzen, um<br />
Schule und Unterricht neu zu<br />
denken. Mit unserem Projekt<br />
wollen wir <strong>Grundschule</strong>n Mut<br />
machen, sich auf neue Wege<br />
zu begeben. Dazu sollen<br />
Grundschulpädagog:<strong>in</strong>nen<br />
durch Experten angeleitet<br />
sich auf den Weg machen,<br />
das eigene Bildungsverständnis<br />
<strong>der</strong> Kunst zu h<strong>in</strong>terfragen<br />
und die spezifische Bildungskraft<br />
<strong>der</strong> Kunst zu entdecken.<br />
Prof. Mario Urlaß und Prof.<br />
Dr. Thomas Heyl begleiten<br />
uns dabei schon seit e<strong>in</strong>igen<br />
Monaten und nun s<strong>in</strong>d wir<br />
sehr gespannt auf unsere Erfahrungen<br />
am 24. und 25.11.<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Akademie Schloss<br />
Rotenfels.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Eva Franz<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Gabriele Klenk<br />
https://grundschulverband-bayern.de<br />
Bundesweiter Protesttag<br />
Am 23.09.2023 demonstrierten<br />
wir geme<strong>in</strong>sam mit vielen<br />
an<strong>der</strong>en für e<strong>in</strong>e Bildungswende<br />
– <strong>in</strong>itiiert vom Bündnis<br />
Bildungswende JETZT!,<br />
das aus Gewerkschaften,<br />
Bildungsverbänden, Elternund<br />
Schülervertretungen<br />
besteht. Bundesweit g<strong>in</strong>gen<br />
Menschen auf die Straße, um<br />
sich für e<strong>in</strong> gerechtes, zukunftsfähiges<br />
und <strong>in</strong>klusives<br />
Bildungssystem lautstark e<strong>in</strong>zusetzen.<br />
In Bayern war <strong>der</strong><br />
Grundschulverband sowohl<br />
<strong>in</strong> Erlangen als auch <strong>in</strong> München<br />
mit e<strong>in</strong>em Infostand<br />
vertreten. So war es möglich,<br />
mit Interessierten <strong>in</strong>s Gespräch<br />
zu kommen und auf<br />
unsere bildungspolitischen<br />
und pädagogischen For<strong>der</strong>ungen<br />
für e<strong>in</strong>e zukunftsfähige<br />
und k<strong>in</strong>dgerechte Schule<br />
aufmerksam zu machen. Viele<br />
waren von <strong>der</strong> Literatur und<br />
den regelmäßigen Austauschmöglichkeiten,<br />
z. B. <strong>in</strong><br />
unserer Happy Hour, begeistert<br />
und wir freuen uns,<br />
wenn wir dadurch e<strong>in</strong>zelne<br />
Menschen begeistern und<br />
gew<strong>in</strong>nen können.<br />
Weitere Informationen sowie<br />
die Möglichkeit, den Appell<br />
zu unterzeichnen, f<strong>in</strong>den sich<br />
hier: https://www.bildungswende-jetzt.de/<br />
Zum Vormerken:<br />
Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />
mit Wahlen 2024<br />
Am 16.04.2024 wird<br />
unsere nächste<br />
Mitglie<strong>der</strong>versammlung mit<br />
<strong>der</strong> Wahl e<strong>in</strong>es neuen<br />
Landesgruppenvorstands<br />
stattf<strong>in</strong>den. Die Veranstaltung<br />
wird im Onl<strong>in</strong>e-Format<br />
angeboten werden, um<br />
möglichst viele Mitglie<strong>der</strong> zu<br />
erreichen. Wenn Sie sich e<strong>in</strong>e<br />
Mitarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landesgruppe<br />
Bayern vorstellen können,<br />
treten Sie gerne mit uns <strong>in</strong><br />
Kontakt. Wir treffen uns<br />
sowohl onl<strong>in</strong>e als auch <strong>in</strong><br />
Präsenz, um uns über das<br />
aktuelle schulpolitische<br />
Geschehen auszutauschen,<br />
Ideen weiterzuentwickeln<br />
und z. B. Grundschultage zu<br />
planen. Unser <strong>der</strong>zeitiger<br />
Landesgruppenvorstand<br />
setzt sich aus Lehrer<strong>in</strong>nen,<br />
RektorInnen und Sem<strong>in</strong>arleiter<strong>in</strong>nen<br />
zusammen. Auch<br />
Studierende s<strong>in</strong>d herzlich<br />
willkommen. Jede und je<strong>der</strong><br />
kann sich so e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen, wie<br />
es für sie o<strong>der</strong> ihn möglich ist.<br />
Wir brauchen Ihre Stimme<br />
und tatkräftige Unterstützung,<br />
damit <strong>der</strong> Grundschulverband<br />
sichtbar und stark<br />
bleibt.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Kathr<strong>in</strong> Ettner<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer<br />
denisomm@aol.com, www.grundschulverband.de<br />
Baustelle Schülerleistung<br />
– im Dialog mit Politik und<br />
Bildungsm<strong>in</strong>isterium<br />
Die weniger guten Leistungen<br />
Brandenburger<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
werden zum Schlagabtausch<br />
<strong>der</strong> Politik. So for<strong>der</strong>t z. B. e<strong>in</strong><br />
CDU-Bildungsexperte Noten<br />
ab Klasse 3 und zusätzliche<br />
För<strong>der</strong>stunden. In Schule<br />
vor Ort passiert jedoch das<br />
Gegenteil: För<strong>der</strong>stunden<br />
fallen seit Jahren <strong>der</strong> Vertretungsreserve<br />
zum Opfer<br />
und damit aus. Die Benachteiligung<br />
<strong>der</strong> schwächsten<br />
Lernenden wirkt doppelt!<br />
Schülerleistung wird auch<br />
e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Themen beim<br />
nächsten Fachgespräch im<br />
November se<strong>in</strong>, zu dem das<br />
M<strong>in</strong>isterium den Grundschulverband<br />
e<strong>in</strong>geladen hat. Als<br />
Vorstand ist es uns sehr wichtig,<br />
Schulen <strong>in</strong> ihrer schulischen<br />
Praxis zu unterstützen<br />
und bildungspolitisch<br />
aktiv zu bleiben. Der letzte<br />
Grundschultag <strong>in</strong> Präsenz hat<br />
uns ermutigt, dieses Format<br />
wie<strong>der</strong> aufleben zu lassen.<br />
Sollten Sie Interesse haben<br />
und Vorschläge zu Themen<br />
o<strong>der</strong> zum Tagungsort e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen<br />
wollen, nehmen Sie<br />
bitte Kontakt mit uns auf.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Denise Sommer<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
43
Praxis: aktuell <strong>Professionalität</strong> … aus den Landesgruppen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Bremen<br />
Vorstandssprecher: Chris Barnick<br />
c.barnick@uni-bremen.de, www.grundschulverband-bremen.de<br />
Projekt<br />
KINDER*RECHTE*SCHULE<br />
Das im Heft 163 bereits<br />
kurz vorgestellte Projekt<br />
KINDER*RECHTE*SCHULE<br />
<strong>der</strong> Landesgruppe Bremen <strong>in</strong><br />
Kooperation mit „E<strong>in</strong>e Welt <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Schule“ hat <strong>in</strong>zwischen<br />
se<strong>in</strong>e Arbeit aufgenommen.<br />
Bei e<strong>in</strong>em ersten Treffen mit<br />
<strong>in</strong>teressierten Kolleg<strong>in</strong>nen<br />
und Kollegen aus drei <strong>Grundschule</strong>n<br />
und e<strong>in</strong>er KITA wurde<br />
das Angebot für e<strong>in</strong>e Erprobung<br />
im laufenden Schuljahr<br />
präsentiert. Dazu gehören<br />
Kisten mit Büchern für die<br />
Hand <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> („Klassenkisten“)<br />
bzw. mit Materialien für<br />
die Kollegien <strong>der</strong> beteiligten<br />
E<strong>in</strong>richtungen („Schulkisten“<br />
bzw. „KITA-Kisten“). Dafür<br />
wurden nach umfassen<strong>der</strong><br />
Sichtung K<strong>in</strong><strong>der</strong>bücher zur<br />
verschiedenen Aspekten<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>rechte und <strong>der</strong><br />
Demokratisierung <strong>der</strong> Schule<br />
zusammengestellt. In e<strong>in</strong>em<br />
Begleitheft, das auf Anfrage<br />
als PDF auch an an<strong>der</strong>e<br />
Interessierte verschickt wird,<br />
werden diese Materialien<br />
kommentiert. Inzwischen<br />
wird das Projekt zusätzlich<br />
durch den För<strong>der</strong>vere<strong>in</strong> STAR<br />
CARE Bremen e. V. unterstützt.<br />
Weitere Informationen unter:<br />
https://www.welt<strong>in</strong><strong>der</strong>schule.<br />
uni-bremen.de/detail/k<strong>in</strong><strong>der</strong>rechte-schule.html<br />
Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />
Wie im September angekündigt,<br />
sollten die „K<strong>in</strong><strong>der</strong>rechte<br />
<strong>in</strong> Schule und Unterricht“<br />
auch Thema <strong>der</strong> Fachveranstaltung<br />
bei <strong>der</strong> jährlichen<br />
Mitglie<strong>der</strong>versammlung <strong>der</strong><br />
Landesgruppe im Herbst se<strong>in</strong>.<br />
Sie wurde für Mittwoch, den<br />
8.11.2023, 17:00 – 18:30 h im<br />
Forum des Landes<strong>in</strong>stituts<br />
für Schule (Am Weidedamm<br />
20) geplant. Beiträge waren<br />
zugesagt von Prof. Dr. Hans<br />
Brügelmann (em. Prof. an den<br />
Universitäten Bremen und<br />
Siegen) und N<strong>in</strong>a Bode-<br />
Kirchhoff (Fachautor<strong>in</strong> und<br />
Grundschullehrer<strong>in</strong> an <strong>der</strong> GS<br />
Düsseldorfer Straße). Die Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />
selbst<br />
sollte anschließend<br />
(~ 18.30 h) im Nebenraum<br />
des Forums stattf<strong>in</strong>den.<br />
Außerdem beteiligt sich<br />
die Landesgruppe an dem<br />
für 2024 geplanten <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Theater-Projekt „E<strong>in</strong><br />
Nashorn macht Theater“ des<br />
Vere<strong>in</strong>s „Potztausendschön<br />
e. V.“ (s. <strong>Grundschule</strong> aktuell<br />
160, S. 45). Es handelt sich um<br />
e<strong>in</strong> Kamishibai-Erzähltheater-<br />
Stück für Vorschulk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätten, mit dem<br />
<strong>in</strong>haltlichen Fokus auf dem<br />
Umgang mit Emotionen.<br />
Das aufsuchende Projekt<br />
br<strong>in</strong>gt K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus vier KITAs<br />
<strong>in</strong> Stadtteilen mit sozioökonomischen<br />
Bedarfslagen mit<br />
Theater <strong>in</strong> Berührung und<br />
trägt damit zum Recht auf<br />
kulturelle Teilhabe bei. Die<br />
zentralen Thematiken werden<br />
mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> tanz-und theaterpädagogischen<br />
Vertiefungsangeboten<br />
bearbeitet.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Hans Brügelmann<br />
Hamburg<br />
Kontakt: Marion L<strong>in</strong>dner, Pl<strong>in</strong>kstraße 81, 25337 Elmshorn<br />
L<strong>in</strong>dner_Marion@t-onl<strong>in</strong>e.de, https://gsvhh.de<br />
Handyverbot an <strong>Grundschule</strong>n?<br />
Ist das s<strong>in</strong>nvoll?<br />
Schleswig-Holste<strong>in</strong>s Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Kar<strong>in</strong> Prien<br />
brachte e<strong>in</strong> Handyverbot an<br />
<strong>Grundschule</strong>n <strong>in</strong>s Gespräch.<br />
Der Norddeutsche Rundfunk<br />
griff dies auf und lud <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Reihe NDR Info „Redezeit“<br />
am 24.08.2023 als Experten<br />
Kar<strong>in</strong> Prien, Tobias Wilde<br />
vom Vere<strong>in</strong> für Kultur- und<br />
Medienpädagogik und<br />
Maik Becker-Pöge aus dem<br />
Vorstand unserer Landesgruppe<br />
sowie <strong>in</strong>teressierte<br />
Zuhörer zu e<strong>in</strong>er Diskussionsrunde<br />
e<strong>in</strong>. Die Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong><br />
Jan<strong>in</strong>e Albrecht stellte die<br />
Frage, ob K<strong>in</strong><strong>der</strong> speziell im<br />
Grundschulalter e<strong>in</strong>e digitale<br />
Schutzzone brauchen. Sollte<br />
es dafür Vorgaben o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest<br />
Empfehlungen <strong>der</strong><br />
Schulbehörde / des M<strong>in</strong>isteriums<br />
geben?<br />
Die unterstützende Funktion<br />
des Handys im Grundschulunterricht,<br />
z. B. um Fotos<br />
zu machen, und dabei dann<br />
zu lernen, welche Regeln<br />
zu beachten s<strong>in</strong>d, sollte e<strong>in</strong><br />
selbstverständlicher Teil<br />
von Unterricht se<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
digitalisierten Welt. S<strong>in</strong>nvolle<br />
Handynutzung als gesamtgesellschaftliche<br />
Aufgabe<br />
und die Vorbildfunktion <strong>der</strong><br />
Eltern und dies nicht erst vom<br />
Grundschulalter an, son<strong>der</strong>n<br />
bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kita, wurde von<br />
den Experten und zugeschalteten<br />
Zuhörern gleichermaßen<br />
hervorgehoben. Maik<br />
Becker-Pöge betonte dabei,<br />
dass es Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
ist, gesellschaftliche<br />
Entwicklung und Wandel<br />
<strong>in</strong> Schule abzubilden und<br />
dafür e<strong>in</strong>en pädagogisch<br />
aufbereiteten Raum zu<br />
schaffen. Dabei könne e<strong>in</strong><br />
vorschnell ausgesprochenes<br />
Verbot dazu führen, dass die<br />
Handy-Nutzung heimlich<br />
und ohne Aufsicht erfolge.<br />
Diesem könne die <strong>Grundschule</strong><br />
entgegenwirken,<br />
<strong>in</strong>dem sie didaktisch geklärte<br />
und methodisch aufbereitete<br />
Lern- und Erfahrungssett<strong>in</strong>gs<br />
für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> schafft, die <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Welt groß werden, <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> die Nutzung von Handys<br />
e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit ist<br />
und auch bleiben wird.<br />
Gespannt s<strong>in</strong>d wir, ob <strong>der</strong><br />
Grundschulverband <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Überarbeitung des Standpunktes<br />
Medienbildung darauf<br />
e<strong>in</strong>geht und damit e<strong>in</strong>e<br />
offizielle Unterstützung für<br />
Mitglie<strong>der</strong> bei Diskussionen<br />
zum Thema Handynutzung <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong> liefert.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Marion L<strong>in</strong>dner<br />
44<br />
GS aktuell 164 • November 2023
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Hessen<br />
Vorsitzen<strong>der</strong>: Mario Michel<br />
mario.michel@gsvhessen.de, www.gsvhessen.de<br />
Bildungsforum mit den<br />
bildungspolitischen Sprechern<br />
und <strong>der</strong> Sprecher<strong>in</strong><br />
im Hessischen Landtag<br />
Geme<strong>in</strong>sam mit <strong>der</strong> GEW<br />
(Gewerkschaft Erziehung<br />
und Wissenschaft), <strong>der</strong> GGG<br />
(Geme<strong>in</strong>nützige Gesellschaft<br />
Gesamtschule) und dem<br />
ebh (Elternbund Hessen) hat<br />
unsere Landesgruppe anlässlich<br />
<strong>der</strong> bevorstehenden<br />
Landtagswahlen <strong>in</strong> Hessen<br />
e<strong>in</strong>geladen und zur Position<br />
ihrer Parteien befragt. Mo<strong>der</strong>iert<br />
wurde die Veranstaltung<br />
von Mart<strong>in</strong> Buhl (Schulleiter<br />
<strong>der</strong> IGS <strong>in</strong> Riedstadt) und<br />
Mario Michel (Vorsitzen<strong>der</strong><br />
des GSV, Landesgruppe<br />
Hessen).<br />
Tatsächlich kamen die<br />
E<strong>in</strong>geladenen vollzählig<br />
<strong>in</strong> das „Haus am Dom“ <strong>in</strong><br />
Frankfurt. Auch Publikum war<br />
angezogen – weniger zwar<br />
als gehofft, genug aber, um<br />
die Veranstaltung lebendig<br />
und beitragsreich zu machen.<br />
Pia Hoelzel (Schulleiter<strong>in</strong>,<br />
GSV) und Gerd-Ulrich Franz<br />
(ehemaliger Bundesvorsitzen<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> GGG) führten <strong>in</strong><br />
die Thematik e<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem sie<br />
die Unzufriedenheit <strong>der</strong> Veranstaltenden<br />
mit <strong>der</strong> Politik<br />
deutlich machten.<br />
Nachdem die Sprecher-<br />
Innen Gelegenheit hatten,<br />
ihre Positionen und bildungspolitischen<br />
Vorhaben<br />
darzustellen, war lei<strong>der</strong> ke<strong>in</strong><br />
wegweisendes Vorhaben<br />
benannt und es blieb im<br />
Wesentlichen beim Lob <strong>der</strong><br />
eigenen Taten und e<strong>in</strong>em<br />
mehr o<strong>der</strong> weniger „Weiter<br />
wie bisher“, gepaart mit e<strong>in</strong><br />
bisschen Flickschusterei hier<br />
und dort. Richtig gute Ideen?<br />
Ke<strong>in</strong>e!<br />
Als dann die Fragemöglichkeit<br />
für das Publikum eröffnet<br />
wurde, war auch die Unzufriedenheit<br />
<strong>der</strong> anwesenden<br />
Lehrkräfte, Schulleitungen,<br />
AusbildnerInnen deutlich zu<br />
spüren und zu hören.<br />
Unter dem Strich gab es<br />
auf wenige Punkte wirkliche<br />
Antworten. Dagegen<br />
blieben viele Fragen offen<br />
und undiskutiert, obwohl<br />
angesprochen:<br />
Entlastung von Lehrkräften<br />
und Neuberechnung von<br />
Lehrkräftearbeitszeit, Entlastung<br />
von Schulleitungen,<br />
Umkehr <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierungsverhältnissen<br />
im Bildungssystem<br />
(<strong>der</strong> frühk<strong>in</strong>dlichen<br />
Bildung <strong>in</strong> Kita und <strong>Grundschule</strong>),<br />
Demokratiebildung<br />
als etablierter Bestandteil<br />
von Lehrkräfteausbildung<br />
und Unterricht, Inklusion<br />
als grundlegendes Pr<strong>in</strong>zip,<br />
Lehrkräftemangel, echte<br />
Ganztagsschule und nicht zuletzt<br />
– wie kann es gel<strong>in</strong>gen,<br />
zukünftig sicherzustellen,<br />
dass nicht bereits bei E<strong>in</strong>tritt<br />
<strong>in</strong> die <strong>Grundschule</strong> <strong>der</strong><br />
Bildungsverlauf e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />
weitgehend vorgezeichnet<br />
beziehungsweise vom Geldbeutel<br />
<strong>der</strong> Eltern abhängig<br />
ist, son<strong>der</strong>n dass stattdessen<br />
Bildungsgerechtigkeit und<br />
Chancengleichheit beför<strong>der</strong>t<br />
werden?<br />
Und wie soll zukünftig<br />
erreicht werden, dass alle<br />
Schulen Hessens gesellschaftlichen<br />
Zusammenhalt und<br />
e<strong>in</strong> wertschätzendes Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
stärken und nicht<br />
die Spaltung <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
weiter vorantreiben?<br />
Die Zusammenarbeit <strong>der</strong><br />
veranstaltenden Verbände<br />
aber wurde als gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gend<br />
wahrgenommen<br />
und soll e<strong>in</strong>e Fortsetzung<br />
erfahren. „Länger geme<strong>in</strong>sam<br />
lernen“ steht bereits als verb<strong>in</strong>dende<br />
Thematik fest, zu<br />
<strong>der</strong> es schon im November 23<br />
e<strong>in</strong> erneutes Kooperationstreffen<br />
geben wird..<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Pia Hölzel<br />
Die bildungspolitischen SprecherInnen <strong>der</strong> demokratischen Parteien waren mit <strong>der</strong> deutlichen Unzufriedenheit<br />
<strong>der</strong> anwesenden Lehrkräfte, Schulleitungen, AusbildnerInnen konfrontiert.<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
45
Praxis: aktuell <strong>Professionalität</strong> … aus den Landesgruppen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
Kontakt: Vorstand <strong>der</strong> Landesgruppe Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
www.gsv-nds.de<br />
Klausurtagung des<br />
Landesgruppenvorstandes<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
Am 12. 8. 2023 traf sich unser<br />
Landesgruppenvorstand zu<br />
e<strong>in</strong>er ganztägigen Sitzung <strong>in</strong><br />
Hannover. Im Vor<strong>der</strong>grund<br />
<strong>der</strong> Sitzung stand die Vorbereitung<br />
des Fachtages am<br />
04.11.2023 <strong>in</strong> Bremen, <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
Kooperation mit dem Projekt<br />
„E<strong>in</strong>e Welt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule“<br />
zum Thema BNE durchgeführt<br />
werden soll. In <strong>der</strong><br />
sich daran anschließenden<br />
Mitglie<strong>der</strong>versammlung wird<br />
dann <strong>der</strong> neue Vorstand <strong>der</strong><br />
Landesgruppe Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
gewählt, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
nächsten <strong>Grundschule</strong> aktuell<br />
im Februar vorstellen wird.<br />
Auch wenn sich <strong>der</strong> neue Vorstand<br />
bei Herausgabe dieser<br />
Zeitschrift bereits konstituiert<br />
haben wird, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>teressierte<br />
Teilnehmer:<strong>in</strong>nen zu unseren<br />
offenen Vorstandssitzungen,<br />
die wir unter an<strong>der</strong>em<br />
im Newsletter sowie auf<br />
Instagram bekannt geben,<br />
willkommen.<br />
Klönschnack im Norden<br />
Die Landesgruppe Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
bereitet den nächsten<br />
Klönschnack im Norden<br />
vor. Wie immer diskutieren<br />
wir e<strong>in</strong> Thema aus unserer<br />
Broschüre Faktencheck<br />
<strong>Grundschule</strong> (https://grundschulverband.de/unserethemen/faktencheck-2/).<br />
Dabei fokussieren wir uns <strong>in</strong><br />
unserem Klönschnack auf das<br />
Vorurteil „Die verbundene<br />
Druckschrift bewirkt unleserliche<br />
Handschriften und ist<br />
e<strong>in</strong> Angriff auf die Kultur!“.<br />
Der Klönschnack f<strong>in</strong>det im<br />
Dezember im Onl<strong>in</strong>e-Format<br />
statt und steht allen Interessierten<br />
offen.<br />
Für den Vorstand:<br />
Eva Osterhues-Bruns<br />
Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen<br />
Vorsitzende: Christiane Mika, Ruhrbogen 30,<br />
45529 Hatt<strong>in</strong>gen; www.grundschulverband-nrw.de<br />
Ankündigung des<br />
Fachtages <strong>Grundschule</strong><br />
NRW 2024<br />
Für Montag, den<br />
18.03.2024 laden wir<br />
geme<strong>in</strong>sam mit <strong>der</strong> GEW<br />
NRW zu unserem Fachtag<br />
<strong>Grundschule</strong> mit dem Motto<br />
„<strong>Grundschule</strong> neu denken“<br />
e<strong>in</strong>. Nach dem e<strong>in</strong>leitenden<br />
Hauptvortrag werden die<br />
Teilnehmenden die Möglichkeit<br />
haben, zwei aus <strong>in</strong>sgesamt<br />
zehn Workshops zu<br />
besuchen. Neben den<br />
Besuchen <strong>der</strong> Workshops<br />
bieten zahlreiche Infotische<br />
die Möglichkeit, neue Ideen<br />
für den Schulalltag o<strong>der</strong> die<br />
eigene Schulentwicklung zu<br />
entdecken. Wir freuen uns<br />
sehr darüber, dass die<br />
M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> für Schule und<br />
Bildung des Landes Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen<br />
Dorothee<br />
Feller den Besuch unserer<br />
Veranstaltung zugesagt hat.<br />
Wann<br />
18.03.2024, 9.00 – 16.00 Uhr<br />
Wo<br />
Luise-Albertz-Halle, Düppelstraße<br />
1, 46045 Oberhausen<br />
Anmeldung<br />
ab Mitte Januar über die Homepage<br />
GEW NRW unter dem<br />
Stichwort Veranstaltungen<br />
Für die Landesgruppe:<br />
André Richter<br />
Thür<strong>in</strong>gen<br />
Vorsitzende: Steffi Jünemann<br />
grundschulverband-thuer<strong>in</strong>gen@gmx.de<br />
Ab jetzt wie<strong>der</strong> aktuell<br />
E<strong>in</strong>e ganze Weile war es<br />
still bei uns. Wer auf diesen<br />
Seiten unter den Berichten<br />
<strong>der</strong> Landesgruppen nach<br />
Informationen aus Thür<strong>in</strong>gen<br />
gesucht hat, wurde die letzten<br />
Monate lei<strong>der</strong> enttäuscht.<br />
Ab jetzt werden wir<br />
allerd<strong>in</strong>gs wie<strong>der</strong> zu je<strong>der</strong><br />
Ausgabe E<strong>in</strong>sichten <strong>in</strong> unsere<br />
Arbeit präsentieren. Was ist<br />
gerade bei uns los? Woran<br />
planen wir gerade? Worauf<br />
könnt ihr euch <strong>in</strong> nächster<br />
Zeit freuen?<br />
Auch auf Instagram<br />
Wer nach aktuellen Informationen<br />
sucht, wird aber nicht<br />
nur <strong>in</strong> dieser Zeitschrift fündig.<br />
Denn während unserer<br />
Abwesenheit hier haben wir<br />
e<strong>in</strong>en Instagram-Account für<br />
die Landesgruppe Thür<strong>in</strong>gen<br />
(@grundschulverband_thuer<strong>in</strong>gen)<br />
erstellt. Dort erhaltet<br />
ihr ebenfalls Informationen<br />
und E<strong>in</strong>blicke. Außerdem teilen<br />
wir dort wichtige Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise,<br />
die nicht<br />
nur Thür<strong>in</strong>gen betreffen,<br />
son<strong>der</strong>n auf bundesweiter<br />
Ebene relevant s<strong>in</strong>d. Ihr könnt<br />
uns dort gerne folgen!<br />
Was haben wir geplant?<br />
Wir möchten wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> den<br />
direkten Austausch mit euch,<br />
unseren Mitglie<strong>der</strong>n und<br />
an<strong>der</strong>en Interessierten treten.<br />
Dafür planen wir aktuell<br />
e<strong>in</strong>en „Advents-Austausch“,<br />
<strong>der</strong> onl<strong>in</strong>e stattf<strong>in</strong>den wird.<br />
Dieses Mal dürft ihr mitentscheiden,<br />
wann dieses<br />
Treffen stattf<strong>in</strong>den soll, hierzu<br />
gibt es e<strong>in</strong>e entsprechende<br />
Onl<strong>in</strong>e-Umfrage. Wer mit<br />
abstimmen möchte und<br />
ke<strong>in</strong>e Informationen zu dieser<br />
Veranstaltung verpassen will,<br />
kann uns gerne an<br />
grundschulverbandthuer<strong>in</strong>gen@gmx.de<br />
schreiben.<br />
Wir freuen uns auf euch!<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Leah Kästner<br />
46<br />
GS aktuell 164 • November 2023
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz<br />
Vorsitzen<strong>der</strong>: Johannes Wolz<br />
<strong>in</strong>fo@ grundschulverband-rlp.de , www.grundschulverband-rlp.de<br />
#Bildungsprotest2023<br />
„Je<strong>der</strong> ist e<strong>in</strong> Genie. Aber wenn<br />
du e<strong>in</strong>en Fisch danach beurteilst,<br />
wie er auf e<strong>in</strong>en Baum<br />
klettern kann, wird er se<strong>in</strong><br />
ganzes Leben glauben, dass<br />
er dumm ist“ , zitierte Leo am<br />
Ende se<strong>in</strong>es Redebeitrages<br />
während des bundesweiten<br />
Bildungsprotesttages am<br />
23. September 2023 <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z.<br />
Auf se<strong>in</strong>em Instagramprofil<br />
@leoloewenherz_lebenmitamc<br />
for<strong>der</strong>t er bessere Inklusion,<br />
Teilhabe und Barrierefreiheit.<br />
Geme<strong>in</strong>sam mit rund<br />
500 engagierten Menschen<br />
Wir waren am 23.09.23 <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z dabei!<br />
kamen wir für e<strong>in</strong>e Kundgebung<br />
zusammen, um<br />
folgende For<strong>der</strong>ungen für<br />
e<strong>in</strong>e Bildungswende JETZT!<br />
(bildungswende-jetzt.de)<br />
aktiv zu unterstützen:<br />
1. Schule und Kita <strong>in</strong>klusiv<br />
und zukunftsfähig machen<br />
2. Ausbildungsoffensive für<br />
Lehrer*<strong>in</strong>nen und Erzieher*<strong>in</strong>nen<br />
3. Son<strong>der</strong>vermögen Bildung<br />
& ausreichende F<strong>in</strong>anzierung<br />
4. Echter Bildungsgipfel auf<br />
Augenhöhe<br />
Gespräch mit <strong>der</strong><br />
Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Am diesjährigen Weltk<strong>in</strong><strong>der</strong>tag<br />
(20.09.23) waren wir zu<br />
e<strong>in</strong>em Gespräch mit <strong>der</strong> rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen<br />
Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Dr. Stefanie Hubig <strong>in</strong><br />
Ma<strong>in</strong>z verabredet. Kernthema<br />
war die Zukunftsfähigkeit <strong>der</strong><br />
<strong>Grundschule</strong>n. Außerdem<br />
haben wir folgende Inhalte<br />
e<strong>in</strong>gebracht:<br />
● Mehr Wertschätzung<br />
& Würdigung des Berufes<br />
„Grundschullehrkraft“ (mit<br />
beson<strong>der</strong>em Blick auf gel<strong>in</strong>gende<br />
Inklusion<br />
● Aktuelle Situation an den<br />
Schulen: Wie äußert sich <strong>der</strong><br />
Fachkräftemangel konkret?<br />
Wie funktioniert die Besetzung<br />
mit PES-Stellen? Welcher<br />
Belastung s<strong>in</strong>d Lehrkräfte/<br />
Schulleitungen ausgesetzt?<br />
Was kann und muss Politik<br />
jetzt tun?<br />
● Bessere Vernetzung aller<br />
Phasen <strong>der</strong> Lehrkräfteausbildung<br />
an <strong>Grundschule</strong>n<br />
(mit beson<strong>der</strong>em Blick auf die<br />
neue Abteilung „Grundschulforschung“<br />
an <strong>der</strong> Universität<br />
Trier und <strong>der</strong>en Zukunftsperspektiven)<br />
● Individualisierung und<br />
Noten? Wie passt das zusammen?<br />
Welche Schritte plant<br />
das BM aktuell? (Anpassung<br />
<strong>der</strong> Grundschulordnung,<br />
Aktualisierung <strong>der</strong> Teilrahmenpläne,<br />
Konsequenzen<br />
aus <strong>der</strong> Initiative „Schule <strong>der</strong><br />
Zukunft“ ...)<br />
Wir ziehen e<strong>in</strong>e grundsätzlich<br />
positive Bilanz aus<br />
dem Gespräch, da sich die<br />
Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> offen und<br />
<strong>in</strong>teressiert an unseren Standpunkten<br />
zeigte und unsere<br />
For<strong>der</strong>ungen pr<strong>in</strong>zipiell<br />
unterstützt. Wir hoffen, dass<br />
sich diese Ankündigungen<br />
<strong>in</strong> regelmäßigeren Treffen<br />
zwischen Bildungsm<strong>in</strong>isterium<br />
und Grundschulverband<br />
RLP manifestieren und sich<br />
dadurch e<strong>in</strong>e engere Zusammenarbeit<br />
entwickeln wird.<br />
P<strong>in</strong>nwand GSV RLP<br />
Alle Term<strong>in</strong>e rund um unsere<br />
Landesgruppe (Sitzungen,<br />
Veranstaltungen, Aktionen)<br />
f<strong>in</strong>det ihr regelmäßig aktualisiert<br />
auf unserer P<strong>in</strong>nwand<br />
unter<br />
grundschulverband-rlp.de.<br />
Wir freuen uns über eure<br />
aktive Unterstützung!<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Marja Ertel und Johannes Wolz<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
47
Praxis: aktuell <strong>Professionalität</strong> … aus den Landesgruppen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
Saarland<br />
Sonja Köhler, Landesgruppenvorsitzende,<br />
sonja.koehler@grundschulverband.saarland; www.grundschulverband.saarland<br />
Neuer Vorstand <strong>der</strong> Landesgruppe<br />
Saarland auf<br />
Sommertour<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Gespräche<br />
se<strong>in</strong>er Sommertour konnte<br />
<strong>der</strong> neue Vorstand verschiedene<br />
bildungspolitische und <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Lehrkräftebildung tätige<br />
Akteur*<strong>in</strong>nen auf die For<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Landesgruppe<br />
an e<strong>in</strong>e tragfähige Personalisierung<br />
saarländischer<br />
<strong>Grundschule</strong>n h<strong>in</strong>weisen: Mit<br />
<strong>der</strong> regierungsbildenden<br />
Landtagsfraktion <strong>der</strong> SPD<br />
besteht u. a. große E<strong>in</strong>igkeit<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>er<br />
Aufstockung <strong>der</strong> Studienplätze<br />
für das Lehramt für die<br />
Primarstufe.<br />
Da das Saarland <strong>in</strong>zwischen<br />
zu den letzten Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
zählt, die immer noch<br />
an e<strong>in</strong>er A12-Besoldung von<br />
Grundschullehrkräften festhalten,<br />
wurde außerdem die<br />
Angleichung <strong>der</strong> Besoldung<br />
<strong>der</strong> Grundschullehrer*<strong>in</strong>nen<br />
an die Besoldung von Lehrpersonen<br />
<strong>der</strong> weiterführenden<br />
Schulen <strong>in</strong>tensiv diskutiert<br />
(#A13füralle). Im Zuge<br />
e<strong>in</strong>er Podiumsdiskussion mit<br />
<strong>der</strong> Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> zum<br />
Thema „Schulleitungen am Limit“,<br />
die unser Kooperationspartner,<br />
<strong>der</strong> Saarländische<br />
Lehrer<strong>in</strong>nen- und Lehrerverband<br />
(SLLV), organisiert hat,<br />
s<strong>in</strong>d wir mit den bildungspolitischen<br />
Sprecher*<strong>in</strong>nen<br />
<strong>der</strong> Grünen <strong>in</strong>s Gespräch<br />
gekommen. Am Rande <strong>der</strong><br />
Veranstaltung und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Folgegespräch haben wir<br />
geme<strong>in</strong>same Positionen zur<br />
f<strong>in</strong>anziellen Aufstockung von<br />
Personal- und Sachmitteln <strong>der</strong><br />
<strong>Grundschule</strong>n abgestimmt<br />
und verschiedene Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
diskutiert.<br />
Mit dem Studiensem<strong>in</strong>ar<br />
für die Primarstufe haben<br />
wir an e<strong>in</strong>er dynamischen<br />
Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />
zweiten Ausbildungsphase<br />
gearbeitet. Ziel ist es dabei,<br />
die E<strong>in</strong>stellung <strong>in</strong> den saarländischen<br />
Schuldienst für<br />
Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen und<br />
Grundschullehrkräfte attraktiver<br />
zu gestalten. Neben<br />
diesen For<strong>der</strong>ungen wurde<br />
mit e<strong>in</strong>er Delegation des<br />
Bildungsm<strong>in</strong>isteriums außerdem<br />
e<strong>in</strong>e zukünftig engere<br />
Zusammenarbeit h<strong>in</strong>sichtlich<br />
<strong>der</strong> Weiterentwicklung von<br />
Kernlehrplänen, Basiscurricula<br />
und Handreichungen vere<strong>in</strong>bart.<br />
Die Vorstellungs- und Auftaktrunde<br />
des neuen Vorstandes<br />
ist übrigens noch nicht<br />
beendet, weitere Gespräche,<br />
u. a. mit bildungspolitischen<br />
Sprecher*<strong>in</strong>nen und Vertreter*<strong>in</strong>nen<br />
des Bildungsm<strong>in</strong>isteriums<br />
stehen an!<br />
#Fürstarke<strong>Grundschule</strong>n<br />
Sitzkreis –<br />
GSV Saar lädt e<strong>in</strong><br />
Die ersten beiden Sitzkreise<br />
fanden zu den Themen<br />
„Referendariat im Saarland“<br />
(17. August 2023) und „Erstes<br />
Staatsexamen“ (18. Juli 2023)<br />
statt. Die Teilnehmenden<br />
hatten die Möglichkeit, Fragen<br />
zum Ablauf, zu den Prüfungen<br />
bzw. Lehrproben und zu den<br />
jeweiligen Vorbereitungen<br />
zu stellen, sich mit gleichges<strong>in</strong>nten<br />
Studierenden<br />
bzw. Anwärter*<strong>in</strong>nen auszutauschen<br />
und mit Absolvent*<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> den Austausch<br />
zu treten. Die jeweils zwei<br />
Veranstaltungen wurden<br />
gut besucht und man wurde<br />
sich schnell im Wunsch nach<br />
weiteren Sitzkreisen e<strong>in</strong>ig.<br />
Das Format „Sitzkreis“ wird<br />
deshalb mit weiteren Ausgaben<br />
zu Schul- und Unterrichtskonzepten<br />
(geplant z. B.<br />
zum Offenen Unterricht nach<br />
Falko Peschel), zu bildungspolitischen<br />
For<strong>der</strong>ungen und<br />
zu pädagogisch-didaktischen<br />
Themen wie <strong>der</strong> Grundschrift<br />
o<strong>der</strong> Ansätzen zur<br />
Leseför<strong>der</strong>ung fortgesetzt.<br />
E<strong>in</strong>geladen s<strong>in</strong>d dazu <strong>in</strong>teressierte<br />
Grundschullehrkräfte,<br />
Lehramtsanwärter*<strong>in</strong>nen und<br />
Studierende.<br />
Die Term<strong>in</strong>e und Themen<br />
werden auf unserer Homepage<br />
https://www.grundschulverband.saarland<br />
und<br />
<strong>in</strong> den sozialen Netzwerken<br />
veröffentlicht.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Sonja Köhler, Marie Fischer und<br />
Pascal Kihm<br />
E<strong>in</strong>ladung zur Frühjahrstagung des<br />
Grundschulverbands<br />
Bitte vormerken: 02.03.2024 <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen<br />
Thema: KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.Jetzt!2.0<br />
Nähere Informationen im nächsten Newsletter!<br />
Save<br />
the date!<br />
48<br />
GS aktuell 164 • November 2023
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Kontakt: Thekla Mayerhofer, Am Sopienhafen 6, 06108 Halle (Saale)<br />
May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />
Nichts Wichtigeres als<br />
e<strong>in</strong> „Gen<strong>der</strong>-Verbot“ zum<br />
Schuljahresbeg<strong>in</strong>n<br />
Passend zum Schuljahresbeg<strong>in</strong>n<br />
wies Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Eva Feußner auf<br />
den korrekten Gebrauch <strong>der</strong><br />
deutschen Orthografie h<strong>in</strong>.<br />
Sie hielt sich dabei nicht bei<br />
<strong>der</strong> richtigen Kommasetzung<br />
o<strong>der</strong> Schreibweise e<strong>in</strong>zelner<br />
Worte auf, son<strong>der</strong>n betonte<br />
lediglich das Verbot von<br />
Son<strong>der</strong>zeichen, um e<strong>in</strong>e<br />
gen<strong>der</strong>gerechte Sprache umzusetzen.<br />
In Sachsen-Anhalts<br />
Schulen kann das Gen<strong>der</strong>n<br />
nun demnach zu schlechteren<br />
Noten führen. Nun<br />
werden wir Lehrer*<strong>in</strong>nen,<br />
Schüler*<strong>in</strong>nen, Büromitarbeiter*<strong>in</strong>nen,<br />
Pädagog*<strong>in</strong>nen<br />
– kurz alle Menschen – uns<br />
im schulischen Kontext nach<br />
bestem Wissen und Gewissen<br />
um e<strong>in</strong>e richtige Rechtschreibung<br />
bemühen.<br />
Netzwerk K<strong>in</strong><strong>der</strong>rechte<br />
Die Stadt Halle (Saale) hat<br />
den Vorstoß gewagt, e<strong>in</strong><br />
Netzwerk „K<strong>in</strong><strong>der</strong>rechte“ zu<br />
gründen. Als Gründungsmitglied<br />
dürfen wir nun<br />
geme<strong>in</strong>sam mit vielen<br />
weiteren Akteur*<strong>in</strong>nen die<br />
Implementierung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>rechte<br />
als selbstverständliche<br />
Grundlage des (schulischen)<br />
Handelns <strong>in</strong> <strong>der</strong> Saalestadt<br />
vorantreiben. Aktuell wird<br />
sich um die Erarbeitung e<strong>in</strong>es<br />
aussagekräftigen Bildes des<br />
Ist-Standes bemüht. Wir<br />
s<strong>in</strong>d gespannt auf den Weg,<br />
den wir geme<strong>in</strong>sam gehen<br />
dürfen.<br />
„Eltern-Uni“<br />
Das <strong>in</strong>teressante Format<br />
<strong>der</strong> Eltern-Uni geht auf die<br />
Zielgerade des ersten Jahres<br />
zu. Drei Veranstaltungen<br />
haben stattgefunden, e<strong>in</strong>e<br />
steht noch aus. Nachdem die<br />
Leistungsrückmeldung, <strong>der</strong><br />
Mathematikunterricht sowie<br />
das Rechtschreiblernen im<br />
Fokus waren, wird <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz<br />
digitaler Medien die erste<br />
Etappe abrunden. Wir überlegen<br />
<strong>der</strong>zeit, wie und ob wir<br />
die Eltern-Uni weiterführen.<br />
Themen gäbe es genug.<br />
Man darf gespannt se<strong>in</strong>.<br />
Mehr Infos gibt’s auf unserer<br />
Website.<br />
Bildungsforum<br />
Nach dem eher verstörenden<br />
landesweiten Bildungsgipfel,<br />
zu welchem unser<br />
M<strong>in</strong>isterpräsident e<strong>in</strong>geladen<br />
hatte, gibt es nun ernsthafte<br />
Bemühungen, e<strong>in</strong>en Dialog<br />
auf Augenhöhe stattf<strong>in</strong>den<br />
zu lassen. Das Bildungsforum<br />
wird Anfang Oktober stattf<strong>in</strong>den.<br />
Zu den geladenen<br />
Gästen zählen die Bildungspolitischen<br />
Sprecher*<strong>in</strong>nen<br />
<strong>der</strong> Fraktionen, Vertreter*<strong>in</strong>nen<br />
verschiedener Organisationen<br />
und Verbände, Eltern<br />
und auch Schüler*<strong>in</strong>nen.<br />
Es gibt e<strong>in</strong>en großen For<strong>der</strong>ungskatalog<br />
und wir<br />
erwarten mit Spannung, wie<br />
Elemente daraus auf e<strong>in</strong>en<br />
geme<strong>in</strong>samen Weg <strong>der</strong><br />
Umsetzung gebracht werden<br />
können.<br />
Weitere Informationen:<br />
www.gsv-lsa.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Thekla Mayerhofer<br />
Schleswig-Holste<strong>in</strong><br />
Geschäftsführen<strong>der</strong> Vorstand: Maren Barck, Sab<strong>in</strong>e Jesumann, Aenne Thurau<br />
Kontakt: Maren Barck, grundschulverbandSH@gmx.de<br />
Experimentierklausel<br />
Die Regierungskoalition hat<br />
e<strong>in</strong>e Experimentierklausel<br />
auf den Weg gebracht, um<br />
Schule zukunftsorientiert zu<br />
entwickeln. Was genau darunter<br />
zu verstehen ist, sollte<br />
auf vier kreisübergreifenden<br />
Regionalkonferenzen für die<br />
allgeme<strong>in</strong>bildenden Schulen<br />
<strong>in</strong> SH erarbeitet werden,<br />
e<strong>in</strong>e Regionalkonferenz<br />
war den Berufsbildenden<br />
Schulen vorbehalten. Die<br />
Regionalkonferenzen fanden<br />
zwischen Februar und Mai<br />
2023 statt. Die M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Frau<br />
Prien betonte, dass es mehr<br />
Freiräume für Schulen geben<br />
solle, man orientiere sich sehr<br />
am nördlichen Nachbarland<br />
Dänemark. Es solle Mut zur<br />
Verän<strong>der</strong>ung geben, aus <strong>der</strong><br />
Vielfalt von Ideen wären Best<br />
Practice Modelle zu nutzen<br />
und Demokratiebildung<br />
sowie nachhaltige Entwicklung<br />
stünden im Vor<strong>der</strong>grund.<br />
Deutlich wurde auf<br />
den Konferenzen, dass <strong>der</strong><br />
Wille und die Notwendigkeit<br />
zur Verän<strong>der</strong>ung an <strong>der</strong> Basis<br />
vorhanden ist. Die Bedarfe<br />
s<strong>in</strong>d regional unterschiedlich<br />
und hängen auch von den<br />
jeweiligen Schulformen ab.<br />
Im Rahmenkonzept für<br />
das Schuljahr 2023/24 des<br />
M<strong>in</strong>isteriums ist zu lesen,<br />
dass die Experimentierklausel<br />
nicht dazu berechtigt, von<br />
geltenden rechtlichen Vorgaben<br />
abzuweichen, aber auch<br />
jetzt schon die geltenden<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen viele<br />
Freiräume bieten, Schule<br />
und Unterricht <strong>in</strong>novativ zu<br />
gestalten.<br />
Alle von Schule geplanten<br />
Vorhaben müssen mit <strong>der</strong><br />
Schulaufsicht abgesprochen<br />
werden und können entwe<strong>der</strong><br />
sofort begonnen<br />
werden (Kategorie A) o<strong>der</strong><br />
benötigen e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e<br />
Erlaubnis, weil das Vorhaben<br />
vom Schulgesetz o<strong>der</strong> rechtlichen<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
abweicht (Kategorie B) o<strong>der</strong><br />
es ist nicht durchführbar, weil<br />
es die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
nicht erfüllt (Kategorie C).<br />
Schulen sollen sich motiviert<br />
fühlen, neue Wege zu<br />
gehen, lieber kle<strong>in</strong>e Schritte<br />
zu tun und wenige Ideen umzusetzen<br />
und alle Lehrkräfte<br />
zu beteiligen.<br />
Am 13.9.23 gab es dazu e<strong>in</strong>e<br />
Impulsveranstaltung, von <strong>der</strong><br />
es e<strong>in</strong>en Live-Mitschnitt auf<br />
Youtube gibt.<br />
Ab Herbst soll es die Möglichkeit<br />
geben, dass Schulen<br />
ihr Vorhaben auf e<strong>in</strong>em Formblatt<br />
e<strong>in</strong>reichen können.<br />
Jetzt liegt es <strong>in</strong> den<br />
Händen von Fortbildungs<strong>in</strong>stitut<br />
und Schulaufsicht,<br />
die Schulen <strong>in</strong>s Boot zu<br />
holen und zu aktivieren. Es<br />
stellt sich die Frage, ob diese<br />
Maßnahme <strong>in</strong> Zeiten immer<br />
knapper werden<strong>der</strong> Ressourcen<br />
auf fruchtbaren Boden<br />
fällt. Immerh<strong>in</strong> ist damit auch<br />
e<strong>in</strong> erheblicher Zeitaufwand<br />
für die Lehrkräfte verbunden.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Sab<strong>in</strong>e Jesumann<br />
L<strong>in</strong>k zum<br />
Youtube-Live-Mitschnitt:<br />
https://t1p.de/GSa164Lit<br />
GS aktuell 164 • November 2023<br />
U III
<strong>Grundschule</strong> aktuell<br />
Grundschulverband e. V.<br />
Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />
Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />
<strong>in</strong>fo@grundschulverband.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />
D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />
Versandadresse<br />
Ausblick <strong>Grundschule</strong> aktuell 165<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> Stärken erleben lassen<br />
In e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> vor allem auf Schwächen von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
h<strong>in</strong>gewiesen wird, z. B. <strong>in</strong> den Ergebnissen des IQB-Bildungstrends, und deutlich<br />
wird, dass Deutschland im Zusammenhang mit den For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> UN-Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenkonvention<br />
sich auf e<strong>in</strong>em „besorgniserregenden Stand“ bef<strong>in</strong>det, ist es wichtig, den Blick<br />
auch darauf zu richten, wie wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong> die <strong>in</strong>dividuellen Stärken <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
wahrnehmen, entwickeln und sichtbar machen können.<br />
Dabei geht es um Fragen wie z. B.: Um welche Stärken von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n geht es? Wie können<br />
för<strong>der</strong>liche Situationen für K<strong>in</strong><strong>der</strong> geschaffen werden? Welchen Raum brauchen K<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />
um sich weiterentwickeln zu können? Letztendlich geht es um e<strong>in</strong>en Perspektivwechsel<br />
von <strong>der</strong> verbreiteten Defizitorientierung h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em ganzheitlichen Blick auf K<strong>in</strong><strong>der</strong>, <strong>der</strong><br />
ihre <strong>in</strong>dividuellen Stärken <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund stellt.<br />
Die nächsten<br />
Themen<br />
Februar 2023 Mai 2023<br />
September 2023<br />
Heft 166 | Mai 2024<br />
Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung<br />
Heft 167 | September 2024<br />
Lehramt studieren –<br />
Lehrkraft se<strong>in</strong><br />
Heft 168 | November 2024<br />
MINT <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong><br />
www.<br />
grundschule-aktuell.<strong>in</strong>fo
Klare<br />
Strukturierung<br />
des Unterrichts<br />
Lernför<strong>der</strong>liches<br />
Klima<br />
Intelligentes<br />
Üben<br />
Vorbereitete<br />
Lernumgebung<br />
Transparente<br />
Leistungserwartung<br />
S<strong>in</strong>nstiftendes<br />
Kommunizieren<br />
Inhaltliche<br />
Klarheit<br />
Hoher Anteil<br />
an echter<br />
Lernzeit<br />
Methodenvielfalt<br />
Individuelles<br />
För<strong>der</strong>n
Guter<br />
Unterricht<br />
Schul−<br />
entwicklung<br />
Lehrkräfte−<br />
bildung<br />
Demokratische<br />
Strukturen<br />
Bildungs−<br />
Erziehungs−<br />
Partnerschaft<br />
Erzieher:<strong>in</strong>nen<br />
Assistenzkräfte<br />
Sozialpädagog:<strong>in</strong>nen<br />
Son<strong>der</strong>pädagog:<strong>in</strong>nen<br />
Kommune<br />
multi−<br />
professionelle<br />
Teams<br />
Eltern<br />
Sekundarschule<br />
Vernetzung<br />
Schulleitung<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
Jugendhilfe<br />
Kitas<br />
Feedback−<br />
Kultur<br />
Lehrkräfte<br />
Vere<strong>in</strong>e<br />
Professionalisierung