GSa163_Sept23_ES
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Praxis: Pausenkulturen<br />
Christiane Weichmann und Claudia Köhler<br />
Sabbatical – eine Pause<br />
vom Schulsystem?!<br />
In Israel sind für Lehrkräfte regelmäßige Sabbatzeiten eingeplant, in denen sie<br />
aufgefordert sind, sich sowohl beruflich mit Kursen als auch auch persönlich<br />
weiterzubilden. In Deutschland ist es Lehrkräften freigestellt, ob sie die Sabbatzeit<br />
zur Regeneration, Persönlichkeitsstärkung, Blickwinkelerweiterung oder<br />
Reflexion und Restrukturierung ihrer Arbeit nutzen.<br />
Im Folgenden beschreiben zwei Lehrerinnen<br />
ihre Beweggründe für das<br />
Sabbatical, ihre Erfahrungen während<br />
ihrer jeweiligen Freistellungsphase<br />
sowie ihre Erkenntnisse und Wünsche,<br />
die sie mit in den Schulalltag nehmen<br />
wollen.<br />
Beweggründe für die Sabbatzeit<br />
Beide haben wir unser Sabbatical 2016<br />
beantragt, mit einer 5-jährigen „Ansparphase“<br />
sowie einer ein- bzw. zweijährigen<br />
„Freistellungsphase“. Ebenso war es uns<br />
beiden wichtig, vor bzw. während der<br />
Auszeit Coaching in Anspruch zu nehmen,<br />
um diese bewusst zu planen und<br />
hinterher zufrieden darauf zurückblicken<br />
zu können. Unsere Lebensumstände und<br />
Beweggründe für die Freistellungsphase<br />
unterschieden sich jedoch.<br />
Claudia in Lappland<br />
Christiane<br />
Das Konzept des Sabbaticals<br />
beschäftigte mich bezüglich meines<br />
damals nahenden 50. Geburtstages und<br />
wurde tatsächlich 2021/22 wahr: „Was<br />
ist mir wichtig im Leben?“, „Welchen<br />
Ballast kann ich loswerden?“ – diesen<br />
Fragen wollte ich Raum geben und mich<br />
auch auf die Unsicherheit bewusst einlassen:<br />
„Ich verlasse etwas Vertrautes –<br />
was kommt jetzt?“. „Wer bin ich, wenn<br />
ich keine Lehrerin bin, wenn ich mein<br />
Pflichtbewusstsein ablege?“ Ich hatte<br />
bereits mehrere einjährige Auszeiten in<br />
meinem Leben. Nach dem Abitur arbeitete<br />
ich in England in einem christlichen<br />
Freizeitzentrum im Gästeservice als<br />
Freiwillige mit, anschließend besuchte<br />
ich eine Bibelschule. 2002/03 ging ich<br />
zwischen zwei Anstellungen für eine<br />
Tanzausbildung in die USA.<br />
Claudia<br />
Mit meinem Mann und unseren beiden<br />
Kindern lebte ich von 2007 bis 2015 in<br />
Australien und Papua-Neuguinea, wo<br />
ich sowohl in Preschools, Primary und<br />
Grammar Schools als auch in Homeschool-Cooperations<br />
mitarbeiten und<br />
wertvolle Erfahrungen sammeln durfte.<br />
In Buschschulen, mit einfachsten Unterrichtsmitteln,<br />
wie Stöckchen, Muscheln,<br />
Steinen und simplen, alten Tafeln,<br />
erkannte ich immer wieder, wie entscheidend<br />
die Lehrpersönlichkeit, ihre<br />
Kreativität und ihr Enthusiasmus für<br />
das gemeinsame Lernen ist. 2015 brachte<br />
der Re-Entry in die deutsche Gesellschaft<br />
und das bayerische Schulsystem<br />
viele Herausforderungen mit sich. Mit<br />
einer zweijährigen, bezahlten Sabbatzeit<br />
ab 2021 eröffnete sich die Option,<br />
eventuell noch einmal ins Ausland zu<br />
gehen. Eine Perspektive, die 2016 für<br />
mich wirklich essenziell war. Aufgrund<br />
unserer familiären und beruflichen Entwicklungen<br />
kam für 2021 kein längerfristiger<br />
Auslandsaufenthalt mehr in<br />
Frage.<br />
Erfahrungen während<br />
des Sabbaticals<br />
Für uns beide war eine der grundlegendsten<br />
und bedeutsamsten<br />
Erfahrungen die: einfach Zeit zu haben –<br />
für die Menschen und Erlebnisse, die uns<br />
wichtig sind, sowie gleichzeitig von der<br />
Einengung der Gedanken auf den Beruf<br />
befreit zu sein. Gerade in den letzten Jahren<br />
haben wir zunehmend und verstärkt<br />
erlebt, dass die Konzentration unserer<br />
Lebenswelt auf den Schulalltag zunimmt,<br />
sich viele unserer Gedanken auch außerhalb<br />
der Unterrichtsverpflichtung sehr<br />
stark um berufsrelevante Themen drehen,<br />
Beziehungen und außerschulische<br />
Interessen vernachlässigt werden. Die<br />
Freistellungsphase erlebten wir als<br />
Öffnung zeitlicher und gedanklicher<br />
Räume, so dass wir uns vertieft mit<br />
selbst gewählten Themen auseinandersetzen<br />
und bestehende Beziehungen<br />
aktiver und intensiver pflegen sowie neue<br />
Beziehungen knüpfen konnten.<br />
Christiane<br />
Bezüglich der Ausgestaltung eines<br />
Sabbatjahres gibt es vielfältige Möglichkeiten.<br />
Aber was passt zu mir? Entscheidungen<br />
treffen heißt auch, anderes<br />
auszuschließen, was innerhalb eines<br />
Jahres nicht möglich ist. Ja, ich bin im<br />
Sabbatjahr viel unterwegs gewesen,<br />
die Ruhephasen und Zeiten zu Hause<br />
waren jedoch sehr wichtig für mich.<br />
Ich nahm meine eigenen Bedürfnisse<br />
dahingehend ernst, dass ich Eindrücke<br />
verarbeiten wollte und musste. Ich hatte<br />
ein großes Privileg: Es gab für mich keinen<br />
äußeren Ballast, keine Krankheiten,<br />
keine familiären Belastungen, keine<br />
finanziellen Unsicherheiten. Ich konnte<br />
mein gewohntes Umfeld verlassen<br />
und aufbrechen … und wieder voller<br />
Erfahrungen nach Hause kommen.<br />
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GS aktuell 163 • September 2023