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GSa163_Sept23_ES

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Thema: Pausenkulturen<br />

Adrian Krawczyk<br />

Schule als guter Ort, auch in der Pause<br />

„Die Pause“ ist häufig mit der Idee verknüpft, eine „Oase der Freiheit“ zu sein:<br />

Der Unterricht wird unterbrochen und man kann den eigenen Bedürfnissen und<br />

Neigungen nachgehen, mit Freunden spielen, rennen, toben, quatschen. Soweit<br />

die idealisierte Vorstellung. Oder: Ist die Pause doch ein Mittel zum Zweck, um<br />

die Lernfähigkeit zwischen den disziplinierenden Lerneinheiten zu steigern?<br />

Pausengefühle sind vielschichtig.<br />

Pausen können das „Beste“ an<br />

Schule sein oder den „Flow“ jäh<br />

abreißen lassen. Sie können Ausgrenzung<br />

bedeuten, im Guten und Schlechten den<br />

Raum für (Wett-)Kampf eröffnen, oder<br />

wertvolle Unterrichtszeit „rauben“, wenn<br />

nach ihr z. B. erst Streitigkeiten<br />

geschlichtet oder nasse Sachen<br />

gewechselt werden müssen. Pausen können<br />

unterschiedlich bewertet, auch in<br />

ihrer Bedeutung unterschätzt werden. In<br />

der Pause kann man sich erholen,<br />

zugleich fordert sie aber auch oft heraus:<br />

Man muss in der Gruppe bestehen, sich<br />

einordnen oder behaupten. Oder man<br />

erfährt Anerkennung, vielleicht erlernt<br />

man wertvolle „skills“ und „moves“, riskiert<br />

etwas, verliert sich im Spiel und<br />

wächst über sich hinaus. Mehr oder<br />

weniger kontrolliert, entsteht Raum für<br />

Erfahrungen im dynamischen Miteinander,<br />

den Unterricht so nicht bieten<br />

kann, der aber einen wichtigen Beitrag<br />

für Sozialisierungsprozesse und Persönlichkeitsentfaltung<br />

liefert. Misst man „der<br />

Pause“ einen relevanten Wert jenseits der<br />

lernoptimierenden Unterbrechung von<br />

Unterricht zu, wird sie zum pädagogischen<br />

Handlungsfeld. Tut man das, muss<br />

sich konsequenterweise auch die Haltung<br />

bzw. die Einstellung zu Raum und Zeit<br />

ändern.<br />

Der dritte Pädagoge geht<br />

(nie) in die Pause<br />

Welche Rolle spielt der Ort der Pause?<br />

Der Raum ist der „dritte Pädagoge“ –<br />

auch in der Pause, denn er kann ja gar<br />

nicht anders als wirken. Im Idealfall hat<br />

er viel zu bieten, für alle Personen und<br />

für alle Bedürfnisse. Der Raum könnte<br />

neben seiner Qualität für Lernsettings<br />

auch danach bemessen werden, wie er<br />

auf den außerunterrichtlichen Bereich<br />

wirkt und welche weiteren Angebote er<br />

für Kinder über den ganzen Tag bieten<br />

kann.<br />

● Ist alles vorhanden, was zu einem gut<br />

ausbalancierten Wechsel zwischen Anund<br />

Entspannung (neben Lernen auch<br />

Spielen, Toben und Entspannung) dazugehört?<br />

● Wie steht es um die Atmosphäre?<br />

● Gibt es Lieblingsplätze, Aussichtsplätze,<br />

Schlupfwinkel, um abzutauchen,<br />

ausreichend Terrain für Abenteuer?<br />

● Finde ich den passenden Platz zu<br />

meinen Bedürfnissen?<br />

● Fühle ich mich an diesem Ort gut<br />

aufgehoben, kann ich mich mit ihm<br />

identifizieren, kann ich mitgestalten?<br />

● Habe ich genügend freie Räume,<br />

Freiräume?<br />

Diese Fragestellungen werden spätestens<br />

2026 an Relevanz gewinnen, wenn<br />

der Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung<br />

in Kraft tritt. Im Ganztag ist nicht<br />

nur die Mittagsverpflegung als „Pause“<br />

zu organisieren, sondern die gesamte<br />

Zeit rund um den Unterricht bekommt<br />

einen ganz anderen Stellenwert. Der<br />

Ganztag verschärft den Anspruch an den<br />

Ort Schule, der nun über den ganzen<br />

Tag das Zuhause der Kinder mit allen<br />

Konsequenzen darstellt. Mehr „Schul-<br />

Zeit“ wird schnell verkürzend mit ergänzenden<br />

Bildungsangeboten, wie z. B.<br />

kulturellen und musikalischen Angeboten<br />

verbunden. Kinder haben aber auch<br />

ein Recht auf Spiel, Freiheit und Erholung<br />

(Artikel 31, UN-Kinderrechtskonvention)<br />

– also auf „Pause“, und ihr wird<br />

Raum gegeben werden müssen. Das betrifft<br />

die zeitliche Dimension – als Frei-<br />

Spiel-Zeit –, aber auch den Ort.<br />

Schule wird ein guter Ort, wenn man<br />

vielfältige Lern- und Erfahrungsräume<br />

anbieten kann. Ein Pausenraum oder ein<br />

Außenspielgerät wird diesem Anspruch<br />

alleine nicht gerecht werden können.<br />

Will man z. B. Rückzug, Spiel und Bewegung,<br />

besser noch Selbstwirksamkeit<br />

ermöglichen, steht man vor der schwierigen<br />

Aufgabe, wo und wie man das in<br />

begrenzten Spielräumen erreichen will.<br />

Hat man sich von der oft vergeblichen<br />

Forderung nach Extrafläche irgendwann<br />

verabschiedet, wird man mit dem Vorhandenen<br />

arbeiten müssen und schnell<br />

beim Selbstverständnis von Schule und<br />

der eigenen Haltung ankommen. Schulen<br />

sind für Lernsettings optimiert und<br />

auf Kontrolle geeicht. Was könnte man<br />

darüber hinaus anbieten? Wie erweckt<br />

man z. B. Außenraum, Pausenhalle,<br />

Speiseraum oder auch Unterrichtsräume<br />

zum „Leben“? Gestaltung ist dabei<br />

die eine Komponente, wofür Schulen sicher<br />

ein Budget brauchen, und es lohnt<br />

sich, Gestaltungskompetenz von außen<br />

zu holen. Hinzu kommt die systemische<br />

Dimension bei der Schulgestaltung. Was<br />

darf ich? Wer unterstützt mich? Was<br />

steht meiner Idee/einer Umsetzung im<br />

Weg (Brandschutz, Denkmalpflege, Reinigung)?<br />

Eine besondere Herausforderung<br />

liegt aber woanders. Sie beginnt dort,<br />

wo Selbstverständliches in Frage gestellt<br />

und geändert werden will. Wie sieht es<br />

beispielsweise mit der Auslastung und<br />

Adrian Krawczyk<br />

ist Architekt und seit 2010 mit dem<br />

Thema „Ganztägigkeit“ im Spannungsfeld<br />

von Flächennutzung und Pädagogik<br />

bei der Hamburger Behörde für<br />

Schule und Berufsbildung beschäftigt.<br />

Als Referent unterstützt er im Referat<br />

für Ganztag-, Struktur- und Prozessentwicklung<br />

die qualitative Weiterentwicklung<br />

von Raumkonzepten an<br />

Schulen und verantwortet Förderprogramme<br />

an der Schnittstelle von<br />

Pädagogik und Raum.<br />

GS aktuell 163 • September 2023<br />

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