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GSa163_Sept23_ES

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Thema: Pausenkulturen<br />

Markus Peschel und Patrick Peifer<br />

„Ich sage, wenn Pause ist<br />

– nicht die Klingel!“<br />

Pausenkulturen in der Grundschule<br />

Wofür dienen Pausen an Grundschulen und wie werden diese organisiert? Diese<br />

Frage provoziert viele Sichtweisen und Verständnisse auf ein Schulsystem und/<br />

oder auf eine Schulkultur, die in den besten Fällen gut miteinander korrespondieren.<br />

Meist aber überlagern organisatorische, strukturelle oder institutionalisierte<br />

Prozesse die der Individualität und einer Kultur, die das Individuum (v. a.<br />

Schüler*innen, Lehrer*innen, Schulleitungen) mit seinen Interessen, Kompetenzen,<br />

Chancen, Möglichkeiten und Wünschen in den Mittelpunkt der schulischen<br />

Aktivitäten – und damit auch in Bezug auf die Pausen – stellen.<br />

Dabei ist der Begriff „Pause“<br />

keinesfalls, wie dies lange Zeit<br />

praktiziert wurde, negativ konnotiert<br />

„als eine Unterbrechung der<br />

Unterrichtsprozesse“ (Haenisch 2011,<br />

15; vgl. Foucault 1976) oder als „leere<br />

Zeit“ (Osnabrücker Forschungsgruppe<br />

2016, 1) anzusehen, sondern sollte vielmehr<br />

in seiner Vielfältigkeit – wie in<br />

dieser Zeitschrift skizziert wird – und<br />

als Chance begriffen werden (vgl. z. B.<br />

Kneis, Zimmer & Peschel in dieser Zeitschrift).<br />

Unter anderem im Rahmen<br />

stärker aufkommender Ganztagsschulen<br />

gewinnen Pausen verstärkt an<br />

Bedeutung (vgl. Adelt 2011; Cunis &<br />

Karlsberg in dieser Zeitschrift; Grundschule<br />

aktuell 162), rücken in einem<br />

rhythmisierten Schulalltag unter dem<br />

„Aspekt der Regeneration […] ins Zentrum“<br />

(Haenisch 2011, 15) und werden<br />

sogar als dessen „Herzstück“ (Fiegenbaum<br />

2011, 63) tituliert – die für Lehrende<br />

und Lernende gleichermaßen<br />

erforderlich und förderlich sein sollen.<br />

Etliche Beispiele für eine Pausenkultur<br />

werden in dieser Zeitschrift aufgegriffen<br />

und von den Autor*innen aus verschiedenen<br />

Perspektiven neu gedacht,<br />

justiert, diskutiert und reflektiert.<br />

Wann brauchen<br />

Schüler*innen Pause(n)?<br />

Die Aufmerksamkeitsspanne, in der<br />

Grundschüler*innen (i. d. R. sechs bis<br />

zehn Jahre) Informationen aus einer<br />

(kurzzeitigen) Darbietung entnehmen<br />

und verarbeiten können, beträgt zwischen<br />

15 und 20 Minuten (vgl. Wöstmann<br />

et al. 2015) und wird in der Praxis<br />

über einen regelmäßigen Methodenwechsel<br />

immer wieder neu belebt oder<br />

auch über Bewegungspausen (vgl. GSV<br />

156; Gramespacher in dieser Zeitschrift)<br />

umgesetzt. Insofern werden zwischen<br />

Konzentrations- bzw. Lernphasen (Ausruh-)Zeiten<br />

integriert, in denen die Kinder<br />

kognitiv weniger anspruchsvollen<br />

Tätigkeiten nachgehen oder einen Wechsel<br />

ihrer Aktivitäten vollziehen (wollen)<br />

(vgl. Wendsche, Varol & Ullmann in dieser<br />

Zeitschrift) – die „Pausen“. Doch: Wie<br />

sind diese Pausen organisiert? Und von<br />

wem? Wer macht wann wie (und wie<br />

lange) Pause? Was ist, wenn manche Kinder<br />

keine Pause machen wollen?<br />

An einem trivial erscheinenden Beispiel<br />

sollen diese Impulsfragen expliziert<br />

werden: Vor, während und nach<br />

einer Pause geht es zeitweilig recht laut<br />

an Grundschulen zu: 100, 200, 400 oder<br />

mehr Kinder toben gleichzeitig (!) in<br />

die große Pause, versuchen, dort ihrem<br />

Bewegungsdrang nachzugehen, begehen<br />

Reibereien, die während des Unterrichts<br />

nicht zur Sprache kamen, essen,<br />

kommunizieren und müssen dann –<br />

zu früh, zu spät – wieder zurück in die<br />

nächste Lehr-Lern-Situation, den Unterricht.<br />

Diese Pausenzeiten berücksichtigen<br />

nicht, ob das lernende Kind vor<br />

der Pause mit seinem Lernen bzw. dem<br />

Lernprozess „fertig“ ist oder ob es schon<br />

„genug“ Pause gehabt hat. Ein tagtägliches<br />

Geschäft auch der Lehrkräfte, die<br />

zudem auf dem Pausenhof Kontrollgänge<br />

machen und damit selbst keine Pause<br />

haben (vgl. Foucault 1976; Breit, Rittberger<br />

& Sertl 2005), ggf. Streitigkeiten klären<br />

müssen, bevor es wieder in die übliche<br />

Schulstunde geht.<br />

Doch warum ist das so? Fast überall?<br />

Oder – anders gefragt: Wie könnte es anders<br />

gehen? Dazu werden im Folgenden<br />

einige Fragen aufgeworfen, die bewusst<br />

unbeantwortet bleiben, aber Hinweise,<br />

u. a. auf die Beiträge in dieser Zeitschrift,<br />

geben sollen, wie sich Schule und Organisationsstrukturen<br />

ändern könnten, um<br />

die o. g. Szenarien zu entspannen – und<br />

die Individuen als Adressat*innen zu<br />

stärken, eine neue Form der Pausenkultur<br />

und Lernkultur zu entwickeln und Schulkultur<br />

zu verändern. Verdeutlicht werden<br />

kann dies unter dem folgenden Aspekt.<br />

Pause und Kontrolle<br />

Entgegen dem häufig gewünschten disziplinierten<br />

und zivilisierten Verhalten<br />

von Grundschüler*innen werden im<br />

Rahmen videografischer Studien, die<br />

u. a. den Übergang von Pausen zum<br />

Unterricht im Klassenraum beforschen,<br />

andere, konträre Facetten deutlich (vgl.<br />

Wagner-Willi 2004). Unter Berücksichtigung,<br />

wie sich Schüler*innen in<br />

solchen Übergangs- bzw. Schwellenzuständen<br />

(sog. Liminalitäten) verhalten,<br />

konnten verbal- und nonverbal-sprachliche<br />

(z. B. Schubsen oder<br />

Drängeln beim Eintreten ins Klassenzimmer<br />

oder der Sitzplatzeinnahme,<br />

Kopfschütteln, Haare schwingen)<br />

Interaktionsmuster ausgemacht werden,<br />

die different sind zu jenen schulischen<br />

Regelstrukturen, wie sie in der<br />

Unterrichtsorganisation zum Ausdruck<br />

kommen (vgl. ebd.). Um u. a. strukturiert(er)es<br />

Verhalten der Schüler*innen<br />

zu erzielen, führen Lehrer*innen tagtäglich<br />

auf dem Pausenhof Kontrollgänge<br />

durch, die „Pausenaufsichten“.<br />

Selbstverständlich sind bspw. Mobbing<br />

oder Rangeleien, die in körperli-<br />

GS aktuell 163 • September 2023<br />

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