GSa163_Sept23_ES
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Praxis: Aus Pausenkulturen<br />
der Forschung<br />
Johannes Wendsche, Yasemin Z. Varol und Sten Ullmann<br />
Schulpausen: Wie Grundschullehrkräfte<br />
in der Ruhe Kraft finden können<br />
Schulpausen gehören zum Alltag von allen Grundschüler*innen. Doch für<br />
Lehrkräfte sind Pausen meist eher wenig erholsam, da diese meist mit organisationalen<br />
Aufgaben beschäftigt sind, den Unterrichtsraum wechseln oder ihrer<br />
Aufsichtspflicht nachkommen müssen. Schlichtweg: Die Schulpause ist für die<br />
Lehrkraft eher normale Arbeitszeit.<br />
In diesem Beitrag beantworten wir<br />
aus Sicht der Forschung, warum<br />
Arbeitspausen für Lehrkräfte so<br />
wichtig sind, wie sie gestaltet sein können<br />
und unter welchen Rahmenbedingungen<br />
eine gesundheitsförderliche<br />
Pausenorganisation gelingen kann.<br />
Was sind Arbeitspausen?<br />
Sobald wir arbeiten, sind wir körperlichen<br />
und psychischen Belastungen ausgesetzt<br />
und können uns dadurch beansprucht<br />
oder „gestresst“ fühlen. Unser<br />
Körper reagiert auf diese Belastungen<br />
und fährt seine Funktionen hoch. Der<br />
Prozess der Erholung ermöglicht es dem<br />
Körper, zu seiner ursprünglichen Funktionsweise<br />
wie vor der Belastungseinwirkung<br />
zurückzukehren. Arbeitspausen<br />
als Arbeitsunterbrechungen während<br />
einer Arbeitsschicht können diesen Erholungsprozess<br />
bei Beschäftigten unterstützen<br />
(Wendsche/Lohmann-Haislah<br />
2018).<br />
Arbeitspausen sind von längeren Erholungsphasen<br />
nach getaner Arbeit –<br />
der Ruhezeit – und von anderen Unterbrechungsarten<br />
abzugrenzen. Der Feierabend,<br />
das Wochenende, der Urlaub und<br />
die Sabbatzeit liefern einen bedeutsamen<br />
Beitrag zur Erholung. Dahingegen können<br />
Störungen der Erholungszeit oder<br />
z. B. Rufbereitschaftszeiten häufig erneut<br />
zu einem Belastungsanstieg führen und<br />
somit die Erholung und damit letztlich<br />
auch die Arbeitsleistung sowie das allgemeine<br />
Wohlbefinden beeinträchtigen<br />
(Puranik/Koopman/Vough 2020).<br />
Arbeits- und Erholungsphasen regelmäßig<br />
abwechselten und dass bereits<br />
vor über 3000 Jahren Pausensysteme<br />
die Arbeiter im Alten Ägypten beim<br />
Bau der Pyramiden und in der Landwirtschaft<br />
regelmäßig von der schweren<br />
Arbeit entlasteten. Als mit der fortschreitenden<br />
Industrialisierung im 19.<br />
Jahrhundert Kinder unter ex-trem langen<br />
Arbeitszeiten in Fabriken arbeiten<br />
mussten und dabei ihre Schulpflicht verletzten,<br />
entstand mit dem Preußischen<br />
Regulativ (1839) – einem Vorläufer des<br />
heutigen Arbeitsschutzgesetzes – das<br />
erste Gesetz, das die tagtägliche Höchstarbeitszeit<br />
jugendlicher Arbeiter*innen<br />
begrenzte und sie zu regelmäßigen<br />
Arbeitspausen verpflichtete.<br />
Forscher*innen begannen Ende des<br />
19. Jahrhunderts zunächst die Wirkungen<br />
von Pausen bei Schüler*innen zu<br />
untersuchen (Wendsche 2017). So konnte<br />
bspw. gezeigt werden, dass sich durch<br />
regelmäßige Pausen beim Diktat, beim<br />
Lernen von Zahlenreihen oder bei Rechenaufgaben<br />
die (Lern-)Leistung verbessern<br />
lässt. Die Vorteile von Lernpausen<br />
im Vergleich zum Lernen ohne Pausen<br />
sind inzwischen gut belegt (www.<br />
visiblelearningmetax.com/Influences).<br />
Pausenstudien zur Verbesserung der<br />
Arbeitsleistung bei industriellen Tätigkeiten<br />
schlossen sich an. Inzwischen wurden<br />
zahlreiche Gestaltungsmerkmale von<br />
Arbeitspausen, ihre Wirkungen und ihre<br />
Einflussgrößen untersucht (s. Abb. 1). Sie<br />
werden nachfolgend erläutert.<br />
Wie sieht die Erholungs- und<br />
Pausensituation bei Lehrkräften<br />
in Deutschland aus?<br />
In der BIBB-BAuA-Erwerbstätigenbefragung<br />
2012 berichteten 34 % der<br />
Beschäftigten aus Erziehung und Unterricht,<br />
dass ihre Ruhepausen häufig ausfallen<br />
(Lohmann-Haislah 2012). In<br />
der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2017<br />
berichten von den Grundschullehrkräften<br />
sogar 42 %, dass ihre Pausen<br />
häufig ausfallen und 52 %, dass ihre<br />
Pausen häufig unterbrochen/verkürzt<br />
werden. Die Daten sind allerdings aufgrund<br />
der kleinen Stichprobe (N = 65)<br />
vorsichtig zu interpretieren. Sie deuten<br />
aber darauf hin, dass die Probleme mit<br />
Historischer Rückblick (Wendsche<br />
2017)<br />
Die Gliederung des Arbeitstages durch<br />
regelmäßige Pausen ist keine Erfindung<br />
der Neuzeit. Aus anthropologischen Studien<br />
ist bekannt, dass sich bereits in vorzeitlichen<br />
Jäger- und Sammlerkulturen<br />
Abb. 1: Einflussgrößen, Gestaltungsmerkmale und Wirkungen der Pausenorganisation<br />
(siehe Wendsche/Lohmann-Haislah 2018)<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
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