Kinder Stärken erleben lassen
GSa165_Feb24_ES
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Praxis: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
Petra Büker und Julia Höke<br />
Reflexion im Dialog<br />
Ein Modell für eine <strong>Kinder</strong>, Eltern, Teams und<br />
Schule stärkende Bildungsdokumentation<br />
Bildungsbeobachtung und -dokumentation bilden eine Kernaufgabe innerhalb<br />
einer ressourcenorientierten, kinder stärkenden Pädagogik und Didaktik in der<br />
Grundschule. Wenngleich der Anspruch einer systematischen Verankerung von<br />
Beobachtung und Dokumentation vor den aktuellen Herausforderungen im<br />
Schulalltag als zusätzliche zeitliche Belastung, vielleicht gar überfordernd erscheint,<br />
sehen wir insbesondere in dieser eine Möglichkeit, nicht nur <strong>Kinder</strong>,<br />
sondern auch Eltern, Kollegien und Grundschulen selbst zu stärken. Dazu bieten<br />
wir ein strukturiertes Modell an, welches die Kernelemente bzw. Phasen<br />
einer Bildungsdokumentation mit konkreten Reflexionsfragen verknüpft, deren<br />
Beantwortung auf unterschiedlichen Ebenen einen Dialog zwischen Lehrkräften,<br />
<strong>Kinder</strong>n, Eltern, Kollegien und Leitungen anregen kann.<br />
Bildungsdokumentation – das auch<br />
noch? Grundschulen stehen mehr<br />
denn je vor vielfältigen Herausforderungen.<br />
Lehrkräftemangel, die<br />
Nachwehen der Covid-19-Pandemie<br />
und die Ergebnisse der aktuellen Schulleistungsvergleichs-<br />
sowie Gesundheitsstudien<br />
beeinflussen sowohl den Blick<br />
von außen auf die Grundschule und die<br />
Lehr- und Fachkräfte als auch den eigenen<br />
Blick der schulischen Akteure auf<br />
den pädagogischen Alltag, die <strong>Kinder</strong><br />
und die eigene Rolle in der Institution.<br />
Die abnehmenden Kompetenzen in<br />
basalen Bildungsbereichen wie Lesen,<br />
Schreiben, Mathematik und Naturwissenschaften,<br />
die Häufung von Problemen<br />
im emotional-sozialen Bereich und<br />
die hohe Abhängigkeit der Bildungserfolge<br />
von der sozialen Herkunft geben<br />
Anlass zu großer Sorge und zu Fokussierungen<br />
von Maßnahmen, die auf den<br />
Erwerb von Sach- und Methodenkompetenzen<br />
in den sogenannten Kernfächern<br />
zielen. Dabei geraten andere<br />
Inhaltsbereiche wie musisch-ästhetische<br />
Bildung sowie überfachliche Querschnittsaufgaben<br />
seit Beginn der Pandemie<br />
allzu häufig in den Hintergrund.<br />
Mit unserem Beitrag möchten wir<br />
dazu anregen, die Beobachtung und Dokumentation<br />
von Lern- und Bildungsprozessen<br />
mit dem Blick auf Ressourcen<br />
und <strong>Stärken</strong> von <strong>Kinder</strong>n (wieder)<br />
in den Blick zu nehmen und Lust zu machen,<br />
diese zum proaktiven Umgang mit<br />
den aktuellen Herausforderungen zu<br />
nutzen. Dabei kann es sich um spontane,<br />
freie Beobachtungen als auch um gezielte,<br />
systematische Beobachtungen unter<br />
Einsatz qualitativer oder standardisierter<br />
Verfahren und Instrumente handeln.<br />
In der inklusiven Grundschule wird die<br />
Bildungsdokumentation in den Zusammenhang<br />
mit dem Erstellen von Förderplänen<br />
für <strong>Kinder</strong> mit besonderen Unterstützungsbedarfen<br />
gestellt. Insgesamt<br />
gelten das Schaffen von Transparenz<br />
über erreichte und noch zu erreichende<br />
Kompetenzen für alle Beteiligten, die beobachtungsbasierte<br />
Planung von individuellen<br />
Bildungsangeboten und die Nutzung<br />
der Bildungsdokumentation für<br />
die Weiterentwicklung des Unterrichts<br />
jedoch als curricularer Auftrag und<br />
Qualitätsmerkmal einer pädagogischen<br />
Leistungskultur für alle Schüler*innnen.<br />
So ist in den KMK-Empfehlungen<br />
Unter einer Bildungsdokumentation<br />
wird im Allgemeinen eine regelmäßige<br />
Beobachtung, Dokumentation, Analyse<br />
und Interpretation von Bildungs-, Lernund<br />
Entwicklungsprozessen der <strong>Kinder</strong><br />
verstanden, welche im Sinne einer pädagogischen<br />
Diagnostik eine Datengrundlage<br />
für eine individualisierte Lernberatung,<br />
eine passgenaue individuelle<br />
Förderung und für eine Reflexion von<br />
Lernwegen und -ergebnissen mit <strong>Kinder</strong>n<br />
und Eltern bieten (vgl. beispielsweise<br />
Bildungsgrundsätze MSW/MFKJ<br />
NRW 2018, 38; Büker/Höke 2020, 15).<br />
zur Arbeit in der Grundschule (2015,<br />
20) eine stärken- und prozessorientierte<br />
Form der Bildungsdokumentation festgeschrieben.<br />
Eine neue Hinwendung zu<br />
diesem Kernauftrag kann also zum einen<br />
dazu führen, den in den letzten Jahren<br />
etablierten und sowohl entwicklungspsychologisch<br />
als auch kindheitssoziologisch<br />
untermauerten Blick auf <strong>Kinder</strong><br />
als kompetente Akteur*innen und Gestalter*innen<br />
ihrer eigenen Bildungsbiografie<br />
zu stärken.<br />
Zum anderen <strong>lassen</strong> sich in der systematischen<br />
Verankerung und dem gemeinsamen<br />
Austausch über Beobachtung<br />
und Dokumentation auch besondere<br />
Chancen für die Personal- und Organisationsentwicklung<br />
in Grundschulen<br />
erkennen. Diese ist aktuell wichtiger denn<br />
je, um die zunehmend unterschiedlichen<br />
Professionen sowie die heterogenen Erfahrungshintergründe<br />
der an der Grundschule<br />
Tätigen (erfahrene Kolleg*innen,<br />
Vertretungslehrkräfte, Quer- und Seiteneinsteiger*innen,<br />
für die Tätigkeit in der<br />
OGS (Nach-)Qualifizierte, …) zusammenzuführen,<br />
gemeinsam erfolgreiche<br />
Bildungsprozesse für die <strong>Kinder</strong> und mit<br />
den <strong>Kinder</strong>n zu gestalten und die Qualität<br />
in der Grundschule als Institution zu<br />
sichern und weiterzuentwickeln.<br />
Eine besondere Bedeutung kommt der<br />
Bildungsdokumentation auch in der Begleitung<br />
des Übergangs von der Kita in<br />
die Grundschule zu. Um den Blick gemeinsam<br />
auf Ressourcen und <strong>Stärken</strong><br />
von <strong>Kinder</strong>n zu setzen, kann eine Struktur<br />
helfen, wie unser Modell „Reflexion<br />
im Dialog“ zur Umsetzung von Beobachtung<br />
und Dokumentation kindlicher Entwicklungs-,<br />
Lern- und Bildungsprozesse<br />
sie anbietet. Der vorliegende Beitrag<br />
bietet eine knappe Zusammenfassung<br />
unserer unten angeführten Publikation<br />
(Büker/Höke 2020), welche sowohl eine<br />
breite theoretische Grundlage als auch<br />
ausführlichere Reflexionsfragen beinhaltet.<br />
Diese ermöglichen eine metareflexive<br />
„Beobachtung der Beobachtung“.<br />
12<br />
GS aktuell 165 • Februar 2024