Kinder Stärken erleben lassen
GSa165_Feb24_ES
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Thema: <strong>Kinder</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>erleben</strong> <strong>lassen</strong><br />
GSa: … der kümmert sich zum Beispiel<br />
um die kleinen Geschwister oder<br />
hilft bei Streitereien …<br />
AS :… ja, all solche Dinge. Da wäre toll<br />
zu merken, da ist die Wertschätzung<br />
auf einer anderen Ebene, die vielleicht<br />
auch gar nicht benotet werden muss,<br />
weil dann die Kiddies ein ganz anderes<br />
Erfolgserlebnis hätten. Aber nur, weil du<br />
auf deine Geschwister aufpasst, heißt<br />
das nicht, dass du kein Deutsch lernen<br />
musst oder kein Mathe oder so. Prinzipiell<br />
wäre es vielleicht was Schönes,<br />
wenn man den Blick so erweitert …<br />
GSa: … und vielleicht nicht nur was<br />
Schönes. Denn wenn jemand sich als<br />
Mensch anerkannt fühlt, traut er sich<br />
vielleicht auch eher, an seiner Schwäche<br />
zu arbeiten, weil er sie sich eingestehen<br />
kann, was er nicht kann, wenn diese<br />
Schwäche nicht zum Anlass wird, ihn<br />
als Person abzuwerten.<br />
AS: Genau! Aber dazu noch eine<br />
Anmerkung. Es heißt immer, wir müssen<br />
auch die Schwachen mitnehmen,<br />
und das unterschreibe ich. Aber bitte<br />
frag die doch vorher, soweit das ein<br />
Kind schon entscheiden kann, ob es<br />
mitgenommen werden möchte. Vielleicht<br />
sagt es: Das ist ja schön, dass du<br />
mir das Lesen nahebringen willst. Aber<br />
ich möchte, ich brauche das jetzt überhaupt<br />
nicht. Ich habe diese Diskussion<br />
mit Eltern häufig. Wenn die dann sagen:<br />
„Schreiben Sie doch da was, damit mein<br />
Kind liest.“ – „Und warum möchten Sie<br />
das denn gerne, dass Ihr Kind liest?“ –<br />
„Ja, damit das dann zum Beispiel später<br />
Zeitung lesen oder Internet und<br />
HYPNOSE: Wenn etwas oder jemand<br />
anderes dir seinen Willen aufzwingt. Du<br />
musst dann tun, was von dir verlangt<br />
wird, und kannst dich nicht wehren.<br />
Zum Beispiel guckst du einen Schokoriegel<br />
an und er zwingt dich, ihn sofort<br />
zu essen. Vom Schokoriegel ist das natürlich<br />
dumm. Denn erstens hat er nach<br />
dem Essen keine Macht mehr über dich,<br />
und zweitens hättest du ihn ja auch freiwillig<br />
verputzt.<br />
(Aus: Rico, Oskar und das<br />
Vomhimmelhoch, S. 10)<br />
sich eine eigene Meinung bilden kann.“<br />
Ich sage dann, okay, aber aktuell ist Ihr<br />
Kind ja der Meinung, dass es nicht lesen<br />
möchte. Was ist denn jetzt daran falsch?<br />
GSa: Sind Ihnen Ihre Buchfiguren<br />
in dieser Komplexität<br />
eigentlich von Anfang an vor<br />
Augen oder entwickeln diese<br />
ein Eigenleben, während Sie<br />
schreiben?<br />
AS: Eigentlich ist beides da. Da<br />
ist schon so eine recht deutliche<br />
Vorstellung, zumindest von den<br />
Hauptfiguren, wie ich sie gerne<br />
hätte. Ich kaue gerade an einem<br />
anderen Stoff, wo ich mit der Hauptfigur<br />
zum Beispiel noch gar nicht klar bin,<br />
und merke, ich würde gerne anfangen<br />
zu schreiben, aber es hat überhaupt keinen<br />
Sinn, solange diese Figur emotional<br />
nicht richtig ausgestattet ist. Und dann<br />
kommen während des Schreibens die<br />
Feinheiten noch dazu, die mich manchmal<br />
selbst überraschen.<br />
VERB: Wort für Dinge, die man tut, deshalb<br />
heißt es auch Tuwort. Zum Beispiel<br />
schlafen, stehen, sitzen. Das Getue kann<br />
man zusätzlich noch beugen, das nennt<br />
man dann Grammatik und die ist ziemlich<br />
kompliziert, denn beim Schlafen,<br />
Stehen, Sitzen tut man ja gar nichts,<br />
schon gar nichts mit Verbeugungen. Es<br />
müsste also eigentlich Lasswort heißen,<br />
aber das ist leider auch so ein Gegenteilwort,<br />
das es nicht gibt.<br />
(Aus: Rico, Oskar und das<br />
Vomhimmelhoch, S. 10)<br />
Anfangs gebe ich jeder Figur drei<br />
Eigenschaften mit, und der Rest ergibt<br />
sich dann von alleine. Und zwar<br />
möglichst drei Eigenschaften, die nach<br />
außen nicht gut zusammenpassen, die<br />
also sehr vielfältige oder auch disparate<br />
Persönlichkeiten charakterisieren, in<br />
denen sich ganz viele Dinge vereinen.<br />
Das macht uns ja so spannend als ein<br />
Gegenüber. Das ist so ein bisschen Menschenkunde,<br />
die auch die <strong>Kinder</strong> betreiben<br />
dürfen und können. Was eben die<br />
Lehrer erkennen sollen, das sollten <strong>Kinder</strong><br />
schon auch erkennen dürfen.<br />
<strong>Kinder</strong> können, das wissen wir, zum<br />
Beispiel echt eklig sein, auch kleine<br />
Mobber. Und dann hilft es demjenigen,<br />
der gemobbt wird, gar nicht, dass dieses<br />
Mobbing-Kind selber Probleme zu Hause<br />
hat. Wenn ich eins auf die Mütze kriege,<br />
dann kriege ich das auf die Mütze,<br />
und dann ist mir egal, warum der andere<br />
das macht. Der hat sie dann einfach<br />
nicht mehr alle.<br />
Aber es wäre schön, <strong>Kinder</strong>n zu eröffnen:<br />
Irgendwie sind wir alle etwas<br />
schräg. Du denkst vielleicht, du hast ein<br />
komisches Leben, aber wir haben alle<br />
ein komisches Leben. Jeder von uns.<br />
GSa: Mich haben in Ihren Rico-<br />
Bänden immer die Einschübe mit<br />
Ricos persönlichen Erklärungen<br />
unbekannter Begriffe fasziniert (s.<br />
einige Beispiele in den Kästen). Haben<br />
Sie sich die ganz ausgedacht, oder<br />
sind Sie zum Teil auch von <strong>Kinder</strong>äußerungen<br />
inspiriert worden?<br />
AS: Die sind komplett ausgedacht.<br />
Ursprünglich wollte ich nur aus der<br />
Perspektive des hochbegabten Oskar<br />
schreiben, aber das hat überhaupt nicht<br />
funktioniert. Und dann habe ich den<br />
kleinen „Tiefbegabten“ dazugeholt. Der<br />
war anfangs einfach der Doofe, der war<br />
für die Gags zuständig, aber die Gags<br />
gingen auf seine Kosten. Da habe ich<br />
schnell gemerkt: Das geht gar nicht, ich<br />
will nicht ein Kind, das ich lächerlich<br />
mache. Aber da war immer die Angst,<br />
dass er trotzdem irgendwie als zu doof<br />
rüberkommen könnte. Also habe ich<br />
die Story kurzerhand aus seiner Perspektive<br />
verfasst, und da entstand dann<br />
auch die Idee hinter den Kästchen: Dass<br />
man sieht, Rico kann zwar nur geradeaus<br />
laufen, aber er kann super um drei<br />
Ecken denken! Denn darin offenbart<br />
sich ja seine Intelligenz, dass er in der<br />
Lage ist, ganz toll psychologisch Dinge<br />
zu durchschauen, und diese dann nur<br />
eben anders formuliert, als wir sie formulieren<br />
würden.<br />
GSa: Vielen Dank, lieber Herr Steinhöfel,<br />
für diesen anregenden Austausch!<br />
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GS aktuell 165 • Februar 2024<br />
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