EJF-Lazarus Aktuell Zeitschrift der EJF-Lazarus Gesellschaft
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Kunst als Therapie und Prävention<br />
“Das kuenstlerische Produkt wird somit selbst Bestandteil praeventiven Handelns<br />
in <strong>der</strong> Jugendhilfe”<br />
Kunst und Jugendhilfe - bei<br />
erster Betrachtung zwei<br />
Begriffe, die in <strong>der</strong> täglichen<br />
Praxis in unseren Jugendhilfeeinrichtungen<br />
nur schwer<br />
miteinan<strong>der</strong> vereinbar erscheinen:<br />
das vor Kreativität und Motivation<br />
sprühende und selbstbewusste<br />
Kind und <strong>der</strong> motivationsarme,<br />
selbstzerstörerisch<br />
und ohne Selbstvertrauen handelnde<br />
Jugendliche.<br />
Dies gilt allerdings nur bei erster,<br />
oberflächlicher Betrachtung.<br />
Gerade künstlerisch-kreatives Handeln<br />
ist ein wesentliches Element<br />
in <strong>der</strong> Betreuung <strong>der</strong> uns anvertrauten<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
zur (Wie<strong>der</strong>)Erlangung verloren<br />
gegangenen Vertrauens und Selbstvertrauens.<br />
Die zentrale Erfahrung<br />
einer künstlerischen Produktion<br />
ist, dass die eigene, höchst<br />
individuelle authentische Äußerung<br />
auf öffentliche Aufmerksamkeit<br />
und Anerkennung stößt.<br />
Der Umstand, dass künstlerische<br />
Produktion mit dem Erlernen<br />
sozialer und „handwerklicher“<br />
Kompetenzen und öffentlicher<br />
Anerkennung verbunden ist, bietet<br />
für die von uns betreuten Kin<strong>der</strong><br />
und Jugendlichen das Umfeld, ihr<br />
Selbstwertgefühl zu entwickeln<br />
und ihre Handlungsmöglichkeiten<br />
zu erweitern. Das künstlerische<br />
Produkt wird somit selbst Bestandteil<br />
präventiven Handelns<br />
in <strong>der</strong> Jugendhilfe.<br />
Michael Piekara<br />
Referent für Kin<strong>der</strong>- und<br />
Jugendhilfe<br />
Sigrid Jordan-Nimsch, Referentin für<br />
Betreuung delinquenter Kin<strong>der</strong> und<br />
Jugendlicher und für Projektentwicklung<br />
KUNST<br />
als Ausdruck präventiver Jugendhilfe<br />
Kin<strong>der</strong> des Dr. Janusz Korczak-Hauses<br />
im Töpferkurs<br />
Keramikkurs zur<br />
Entspannung<br />
Seit einiger Zeit gibt es im Dr.<br />
Janusz Korczak- Haus am Tierpark<br />
einen Keramikzirkel für Kin<strong>der</strong><br />
und Jugendliche unter Anleitung<br />
des Ehepaars Malek. Frau<br />
Malek ist Keramikerin mit einer<br />
eigenen Werkstatt, ihr Mann ehemaliger<br />
Pädagoge. Beide kümmern<br />
sich begeistert und liebevoll um<br />
die 18 regelmäßig teilnehmenden<br />
Kin<strong>der</strong>. Die Kin<strong>der</strong> leben in verschiedenen<br />
Gruppen des Jugend-<br />
hilfeverbundes und sollen eine<br />
För<strong>der</strong>ung in allen entwicklungsrelevanten<br />
Lebensbereichen erhalten.<br />
Sie kämpfen mit Schulschwierigkeiten,<br />
Verhaltensproblemen o<strong>der</strong><br />
müssen traumatische Erlebnisse<br />
aufarbeiten. Bei <strong>der</strong> Arbeit mit Ton<br />
werden sie ruhig, entspannen, werden<br />
gelobt und haben schnell sichtbare<br />
Erfolgserlebnisse.<br />
Katharina (12) z.B. sagt: „Ich<br />
mache das, weil es mich beruhigt<br />
und um mich besser zu konzentrieren.<br />
Es macht Spaß, weil man verschiedene<br />
Techniken lernt um viele<br />
Sachen aus Ton zu formen, die man<br />
später verschenken kann.“<br />
Chris (7) dagegen meint: „Ich hab'<br />
schon mal eine Tasse gemacht; jetzt<br />
will ich aber nicht mehr, weil mir<br />
<strong>der</strong> Computer mehr Spaß macht -<br />
ich hasse Keramik.“ (Anschließend<br />
formte Chris doch wie<strong>der</strong> den<br />
Ton). Robert (13) „Weil ich Kunst<br />
mag und Keramik ist schön, weil<br />
man eigene Gestaltung machen<br />
kann. Es ist eine schöne Freizeitbeschäftigung.<br />
Man kann Geschenke<br />
selbst entwerfen.“<br />
Die drei ersten oeffentlichen Auffuehrungen des Maerchenspiels ”Der Teufel mit<br />
den drei goldenen Haaren” im Oktober 2005 waren ein grosser Publikumserfolg<br />
Praventionstheater<br />
Das Projekt „Leerstelle o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Büffel büffelt nicht“ spielt<br />
in <strong>der</strong> Uckermark<br />
Auf die Frage, was beim<br />
Theaterspielen erreicht<br />
werden soll, antwortet<br />
einer <strong>der</strong> jugendlichen Mitwirkenden<br />
ganz spontan: Dass manche<br />
freundlicher zueinan<strong>der</strong> werden.<br />
Das hört sich einfach an, ist es aber<br />
nicht - betrachtet man die Lebensläufe<br />
<strong>der</strong> Jungen und Mädchen<br />
zwischen 14 und 17, die beim<br />
Theaterprojekt „Leerstelle“ ihren<br />
ersten Auftritt haben. Sind es doch<br />
verhaltensauffällige Jugendliche<br />
aus sozial benachteiligten Familien<br />
- oft mit einer rechtsextremen<br />
Gesinnung, die sie als ‚normal',<br />
zu ihrer Welt und ihrem<br />
Alltag dazugehörig erleben, sie<br />
daher tolerieren, akzeptieren o<strong>der</strong><br />
offen vertreten. Aggressives Verhalten,<br />
Gewalt, Alkohol und Missbrauch<br />
gehören zu den Erfahrungen<br />
<strong>der</strong> meisten Jugendlichen <strong>der</strong><br />
Gruppe.<br />
Mit 15 dieser Jugendlichen aus<br />
Schwedter Schulen erarbeiten die<br />
Berliner Schauspielerin Ulrike<br />
Völger und die Bosnische Dramaturgin<br />
Julija Schemberger unter<br />
professionellen Bedingungen an<br />
den Uckermärkischen Bühnen<br />
Schwedt Szenen und Theaterstücke.<br />
Aber nicht nur das, sie<br />
ermutigen sie, sich sprachlich zu<br />
äußern, die innere und äußere<br />
Stummheit zu überwinden, sie setzen<br />
den rassistischen Sprüchen und<br />
dem nazistischen Gehabe, glaubhaft,<br />
aber bestimmt an<strong>der</strong>e, tolerante<br />
und weltoffenere Lebensformen<br />
entgegen. Langsam wei-<br />
chen auf diese Weise grobes Verhalten<br />
und beleidigende Sprache<br />
einem freundlicheren, solidarischeren<br />
Umgang miteinan<strong>der</strong>.<br />
Das Kennzeichen des Projekts, das<br />
von „entimon“, einem Programm<br />
gegen Gewalt und Rechtsextremismus<br />
im Rahmen des Bundesministeriums<br />
für Familie, Senioren,<br />
Frauen und Jugend, geför<strong>der</strong>t<br />
wird, ist, dass Streetworkerinnen<br />
und Schulsozialarbeiterinnen<br />
von <strong>EJF</strong>-<strong>Lazarus</strong> intensiv und<br />
vertrauensvoll mit den beiden<br />
Theaterprofis zusammenarbeiten,<br />
um beide Bereiche eng zu verzahnen.<br />
Die Sozialarbeiter motivieren<br />
die Jugendlichen, die Ausdauer<br />
aufzubringen, ein über ein ganzes<br />
Schuljahr gehendes Projekt durchzuhalten,<br />
sie bieten Hilfestellungen<br />
an, greifen bei aktuellen Problemen<br />
ein. Die Leiterinnen bieten den<br />
Jugendlichen dabei eine „Leerstelle“,<br />
die nicht von außen definiert<br />
wird, in <strong>der</strong> die Jugendlichen sich<br />
selbst suchen können, Anerkennung<br />
erfahren und in ihrem Selbstwertgefühl<br />
gestärkt werden. Beides<br />
zusammen, verbindliche Motivierung<br />
und freie Anerkennung,<br />
machen die Stärke des Projektes<br />
aus.<br />
Dass dies auch Krisen einschließt,<br />
zeigt sich immer wie<strong>der</strong>. Denn wer<br />
die Jugendlichen stärkt, stärkt<br />
auch ihre gewaltbereiten Seiten.<br />
Dieses Risiko immer wie<strong>der</strong> einzugehen<br />
und die darin steckende<br />
jugendliche Vitalität gleichwohl in<br />
die Theaterarbeit einmünden zu<br />
lassen, ist die Kunst, die das Theater<br />
zu einem wichtigen Mittel <strong>der</strong><br />
Prävention macht. O<strong>der</strong>, wie eine<br />
<strong>der</strong> Leiterinnen mit einem Lächeln<br />
formuliert, wir lernen aus je<strong>der</strong><br />
Krise. Die drei ersten öffentlichen<br />
Aufführungen des Märchenspiels<br />
„Der Teufel mit den drei goldenen<br />
Haaren“ im Oktober 2005 in<br />
Schwedt waren ein großer Erfolg.<br />
Das Publikum dankte mit langem<br />
Applaus und lauten Begeisterungsrufen.<br />
12 <strong>EJF</strong>-<strong>Lazarus</strong> <strong>Aktuell</strong> 2/2005 <strong>EJF</strong>-<strong>Lazarus</strong> <strong>Aktuell</strong> 2/2005 13