Kommunikations- wissenschaft - Medien ...
Kommunikations- wissenschaft - Medien ...
Kommunikations- wissenschaft - Medien ...
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M&K 50. Jg. 2002/3 E 20039 F<br />
&<br />
HANS-BREDOW-INSTITUT<br />
<strong>Medien</strong><br />
<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />
Helmut Scherer / Werner Wirth<br />
Ich chatte – wer bin ich? Identität und Selbstdarstellung in<br />
virtuellen <strong>Kommunikations</strong>situationen<br />
Silvia Knobloch / Grit Patzig / Matthias Hastall<br />
„Informational Utility“ – Einfluss von Nützlichkeit auf selektive<br />
Zuwendung zu negativen und positiven Online-Nachrichten<br />
Nicola Döring<br />
Klingeltöne und Logos auf dem Handy: Wie neue <strong>Medien</strong> der<br />
Uni-Kommunikation genutzt werden<br />
Reihe<br />
„Klassiker der <strong>Kommunikations</strong>- und <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong> heute“<br />
Thomas Gebur<br />
Theodor W. Adorno: <strong>Medien</strong>kritik als Gesellschaftskritik<br />
Hermann-Dieter Schröder<br />
Chronik der <strong>Medien</strong>entwicklung in Deutschland 2001<br />
Nomos Verlagsgesellschaft<br />
Baden-Baden<br />
Die neue Rundfunk und Fernsehen
II<br />
Anzeige<br />
2. Umschlagseite
M&K 50. Jg. 2002/3<br />
HANS-BREDOW-INSTITUT<br />
<strong>Medien</strong><br />
<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />
&<br />
Redaktion:<br />
Joan Kristin Bleicher, Hardy Dreier, Uwe Hasebrink,<br />
Anja Herzog, Uwe Jürgens, Claudia Lampert, Christiane Matzen,<br />
Hermann-Dieter Schröder, Wolfgang Schulz, Jutta Simon,<br />
Ralph Weiß<br />
Nomos Verlagsgesellschaft<br />
Baden-Baden
M&K 50. Jahrgang 3/2002
BERICHTE<br />
Helmut Scherer / Werner Wirth Ich chatte – wer bin ich? Identität und Selbstdarstellung<br />
in virtuellen <strong>Kommunikations</strong>situationen . . . 337<br />
Silvia Knobloch / Grit Patzig / „Informational Utility“ – Einfluss von Nützlichkeit<br />
Matthias Hastall auf selektive Zuwendung zu negativen und positiven<br />
Online-Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359<br />
Nicola Döring Klingeltöne und Logos auf dem Handy: Wie neue<br />
<strong>Medien</strong> der Uni-Kommunikation genutzt werden 376<br />
LITERATUR<br />
Aufsatz Reihe „Klassiker der <strong>Kommunikations</strong>- und<br />
<strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong> heute“<br />
Thomas Gebur Theodor W. Adorno: <strong>Medien</strong>kritik als Gesellschaftskritik<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402<br />
Besprechungen<br />
INHALTSVERZEICHNIS<br />
Daniela Ahrens Manfred Faßler: Netzwerke. Einführung in die<br />
Netzstrukturen, Netzkulturen und verteilte Gesellschaftlichkeit,<br />
München 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423<br />
Joan Kristin Bleicher David Gauntlett (Hrsg.): Web.Studies. Rewiring<br />
media studies for the digital age. London 2001 . . . . 425<br />
Christiane Eilders Karsten Renckstorf / Denis McQuail / Nicholas Jankowski<br />
(Hrsg.): Television News Research. Recent<br />
European Approaches and Findings. Berlin 2001 . 426<br />
Ernest W. B. Hess-Lüttich Jens Wernecken: Wir und die anderen ... Nationale<br />
Stereotypen im Kontext des <strong>Medien</strong>sports. Berlin<br />
2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428<br />
Joachim R. Höflich Friedrich Krotz: Die Mediatisierung kommunikativen<br />
Handelns. Der Wandel von Alltag und sozialen<br />
Beziehungen, Kultur und Gesellschaft durch die<br />
<strong>Medien</strong>. Wiesbaden 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430<br />
Wiebke Loosen Michael Kunczik /Astrid Zipfel: Publizistik. Ein<br />
Studienhandbuch. Köln/Weimar/Wien 2001 . . . . . 433<br />
Peter von Rüden Manfred Rexin (Hrsg.): Radio-Reminiszenzen. Erinnerungen<br />
an RIAS Berlin. Berlin 2002 . . . . . . . . . 435<br />
335
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Gerhard Vowe Pippa Norris: A Virtuous Circle. Political Communications<br />
in Postindustrial Societies. Cambridge<br />
2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437<br />
Rainer Winter Klaus Neumann-Braun / Stefan Müller-Doohm<br />
(Hrsg.): <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong>soziologie.<br />
Eine Einführung in zentrale Begriffe und Theorien.<br />
München 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439<br />
Wolfgang Wunden Felix Weil: Die <strong>Medien</strong> und die Ethik. Grundzüge<br />
einer brauchbaren <strong>Medien</strong>ethik. Freiburg 2001 . . . 441<br />
Zeitschriftenlese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443<br />
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455<br />
CHRONIK<br />
Hermann-Dieter Schröder Chronik der <strong>Medien</strong>entwicklung in Deutschland<br />
2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461<br />
English abstracts and keywords . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
dieses Heftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471<br />
Hinweise für Autorinnen<br />
und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473<br />
336
Ich chatte – wer bin ich?<br />
Identität und Selbstdarstellung in virtuellen <strong>Kommunikations</strong>situationen<br />
Helmut Scherer / Werner Wirth<br />
BERICHTE<br />
Mit dem Siegeszug des Internets scheint vielen das Konzept der Identität brüchig geworden<br />
zu sein. Untersuchungen zur Konstruktion der Identität in der virtuellen Realität<br />
betonten vor allem das freie Spiel mit virtuellen Identitäten und die Loslösung von<br />
der eigenen, im „real-life“ verhafteten Identität. Im vorliegenden Beitrag wird der Mythos<br />
vom freien Spiel mit Identitäten kritisch hinterfragt. Dazu wird zunächst der Begriff<br />
der Identität geklärt und von dem der Selbstdarstellung unterschieden. Davon ausgehend<br />
wird erörtert, welche Funktionen mit authentischen und nicht authentischen<br />
Selbstdarstellungen im Chat verbunden sein können. Im Anschluss daran werden die<br />
theoretischen Überlegungen mit Hilfe einer qualitativen und einer quantitativen Studie<br />
empirisch unterlegt. In beiden Studienteilen werden Nutzer eines bestimmten Chat-Forums<br />
untersucht. Dabei zeigt sich, dass der Ansatz, Chatten aus der Perspektive der Normalität<br />
zu untersuchen, durchaus fruchtbar ist. Die Unterscheidung zwischen Identität<br />
und Selbstdarstellung macht deutlich, dass viele Chatter eine authentische Selbstdarstellung<br />
auch dann pflegen, wenn sie bei einzelnen Identitätsmerkmalen die Unwahrheit<br />
sagen. Dies dient weniger dazu, die eigene Identität zu verlassen und in andere Identitäten<br />
zu schlüpfen, sondern hat vielmehr beziehungs- und kommunikationstaktische<br />
Gründe. Die Mehrzahl der Beteiligten ist daran interessiert, durch das Chatten Beziehungen<br />
aufzubauen, und ein gewisser Teil der Befragten hat ein großes Interesse daran,<br />
diese Beziehungen sogar in das normale Alltagsleben zu integrieren. Das Vorspiegeln<br />
falscher Identitätsmerkmale hat in diesem Kontext offenbar mehrheitlich die Funktion,<br />
die Beziehungschancen zu erhöhen, die man mitunter im Alltagsleben als defizitär erlebt.<br />
Keywords: Authentizität, Beziehung, Chat-Forum, Identität, Real-Life-Orientierung,<br />
Selbstdarstellung, Virtual-Life-Orientierung<br />
1. Identität in der Postmoderne<br />
Die Spät- und Postmoderne und besonders die für sie typischen gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse<br />
werden häufig mit einer grundlegenden Identitätsproblematik<br />
in Verbindung gebracht (vgl. etwa Beck 1986; Giddens 1991; Glass 1993). Da vorgegebene<br />
soziale Lebensformen (Sippen, Stände, Zünfte, soziale Klassen) zunehmend verdrängt<br />
werden, werde dem Individuum zugemutet, ein „eigenes Leben zu führen“<br />
(Beck/Beck-Gernsheim 1994: 21). Eigene Positionen müssten folglich ständig aufs Neue<br />
gefunden, abgeglichen und überprüft werden. Dies könne zu inkohärenten, multiplen,<br />
fragmentarisierten oder Patchwork-Identitäten führen (vgl. Turkle 1999: 289; Glass<br />
1993; Gergen 1996).<br />
Virtuelle Räume werden oft zugleich als Ausdruck und Verstärker dieser Tendenzen<br />
gesehen. Pessimisten vermuten, dass es durch die für virtuelle Räume typischen Entgrenzungs-<br />
und Anonymisierungsmöglichkeiten schnell zu einer generellen Verunsicherung<br />
bis hin zu einem totalen Verlust der Identität kommen könne. Optimisten<br />
schreiben hingegen der virtuellen Realität gar therapeutische Wirkungen zu. Die Inszenierung<br />
multipler Identitätsfragmente wird als Heilstrategie für eine gestörte Identität<br />
337
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
interpretiert. In dieser Tradition ist beispielsweise das Buch „Life on the Screen“ von<br />
Turkle (1995; 1999) zu sehen. Es erzählt von multiplen Online-Identitäten, einem Patchwork<br />
von identitätsrelevanten Persönlichkeitsaspekten, die alle im Selbst schlummern:<br />
„... wie jedes Unternehmen, so beherbergt auch jeder von uns einen Erbsenzähler, einen<br />
Visionär, einen Herzensbrecher, einen Fundamentalisten und ein wildes Kind“ (Turkle<br />
1999: 417). Turkle geht davon aus, dass im Cyberspace, losgelöst und unabhängig von<br />
der eigenen (körperlich-physikalischen) Präsenz, eine Vielzahl von neuen und spannend-fremdartigen<br />
Identitäten konstruiert werden könne, da sämtliche physischen<br />
Charakteristika (Aussehen, Stimmlage, Alter) leicht zu verheimlichen seien (vgl. z. B.<br />
Turkle 1999: 287). Ähnlich wie Turkle betonen auch eine Reihe anderer Autorinnen und<br />
Autoren bei der Beschreibung des Verhaltens in Chat-Räumen das freie Spiel mit Masken<br />
und virtuellen Identitäten sowie die Loslösung von der eigenen, im „Real-Life“ verhafteten<br />
Identität oder gar das Lügen und Täuschen (vgl. z. B. Rheingold 1994; Rötzer<br />
1996; Höflich 1999; Vogelgesang 2000; Donath 2000; aktuell Höflich/Gebhardt, 2001:<br />
32; zusammenfassend Döring 1999: 311). Häufiger als vielleicht vermutet, werden jedoch,<br />
oft sogar bei den selben Autoren, auch andere Aspekte thematisiert, die darauf<br />
schließen lassen, dass insbesondere bei einem Interesse an fortdauernden Beziehungen<br />
zwischen den Chat-Partnern authentische Identitätsaspekte in den Vordergrund rücken<br />
(vgl. etwa Döring 1999: 311; Gallery 2000; Schmidt 2000: 20; Bahl 1997: 100f.; Höflich/Gebhardt<br />
2001: 37f.).<br />
Offen bleiben vor allem zwei Aspekte:<br />
1. Häufig wird der theoretische Bezug der Spiel- oder <strong>Medien</strong>-Identitäten zum Selbst<br />
nicht geklärt. So schreibt beispielsweise Turkle (1999): Die unterschiedlichen virtuellen<br />
Identitäten seien „wie evokative Objekte, die etwas über das reale Selbst lehren“<br />
(Turkle 1999: 416) und die Online-Personae hätten eine gewisse „Ähnlichkeit mit<br />
dem Selbst“, aber auch dieses Selbst sei „weitgehend virtuell“ (Turkle 1999: 417). Im<br />
Kapitel „Identitätskrise“ beschreibt die Autorin, dass die Identität angesichts der<br />
vielfältigen Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung im Internet<br />
allenfalls durch besondere Maßnahmen wie etwa die Konstruktion einer Homepage<br />
noch intakt bleiben kann. Ähnlich ambivalent sind auch Turkles Aussagen zur<br />
Wirkung des Chattens. Das Spiel mit den unterschiedlichen Identitäten in MUDs<br />
oder im Chat-Room könne therapeutische Wirkungen haben, es könne aber auch gefährlich<br />
werden. „Wir können in virtuellen Welten verloren gehen.“ (Turkle, 1999:<br />
438)<br />
2. Es ist weitgehend offen, wie verbreitet Täuschungsversuche, multiple, falsche oder<br />
verschwiegene Identitäten tatsächlich sind, bzw. umgekehrt, wie häufig man authentische<br />
Selbstbeschreibungen im Chat-Alltag findet und von welchen Bedingungen es<br />
abhängt, ob man im Chat täuscht oder eine authentische Selbstbeschreibung abgibt.<br />
Wir wollen beiden Fragen in diesem Beitrag nachgehen und untersuchen, wie Teilnehmer<br />
eines Chat-Forums mit der eigenen Identität umgehen. Dabei soll theoretisch und<br />
empirisch überprüft werden, wie tragfähig die Idee des freien Spiels mit Identitäten beim<br />
Chatten ist. Ausgehend von einer knappen Diskussion des Identitätsbegriffs und des<br />
Konzepts der Selbstdarstellung wird erörtert, welche Funktionen mit authentischen und<br />
nicht authentischen Selbstdarstellungen im Chat verbunden sein können und mit welchen<br />
identitätsbezogenen Motiven diese oder jene Form der Selbstdarstellung verknüpft<br />
ist. Im Anschluss daran versuchen wir, die theoretischen Überlegungen mit Hilfe einer<br />
qualitativen sowie einer quantitativen Studie empirisch zu unterlegen. In den Schlussbetrachtungen<br />
verorten wir unsere Ergebnisse wirkungs-, medien- sowie diffusionstheoretisch.<br />
338
2. Identität, Identitätsmanagement und Kommunikation<br />
Scherer / Wirth · Identität und Selbstdarstellung<br />
2.1 Unitäre versus multiple Identitätskonzeption<br />
Frühe Identitätstheorien wie Cooley (1902) oder Erikson (1980, original 1959) betonten<br />
vor allem Einheitlichkeit, Konsistenz und Kontinuität in der Betrachtung des Selbstbildes<br />
(vgl. auch Kraus/Mitzscherlich 1998). 1 Neuere Identitätstheorien beziehen hingegen<br />
auch Wahrnehmungen der eigenen Diskontinuität und Inkonsistenz in das Identitätskonzept<br />
mit ein (vgl. Bausinger 1978: 204; Haußer 1995; Marcia 1966, 1993). 2 Dem Menschen<br />
geht es bei der Auseinandersetzung mit seinem Selbst also nicht nur um die Stabilität,<br />
Konstanz und Kontinuität, sondern auch um die Verarbeitung biographischer<br />
Umbrüche oder um die Interpretation und Akzeptanz der Widersprüche im Selbst.<br />
Marcia (1966, 1993) verankert Identität in einzelnen Lebenswelten. Eine Gliederung der<br />
empirischen Befunde in die Bereiche Ausbildung/Beruf, Freunde, Partnerschaft/Familie<br />
und Einstellung/Ideologie eröffnet die Möglichkeit, dass Identität in den unterschiedlichen<br />
Bereichen auch je unterschiedlich hergestellt wird. Danach können stabile<br />
Identitäten einerseits und Identitätskrisen andererseits gleichzeitig in je unterschiedlichen<br />
Lebensbezügen existieren. Jeder dieser Identitätsaspekte kann nach Marcia (1966,<br />
1993) in einem Zustand der mehr oder weniger klaren inneren Verpflichtung sein. Eine<br />
starke innere Verpflichtung liegt vor, wenn das Selbst hinsichtlich eines bestimmten<br />
Aspekts zu einem Standpunkt gelangt ist, dem es sich verpflichtet fühlt. Eine geringe innere<br />
Verpflichtung liegt vor, wenn das Selbst sich gerade (re-)orientiert, d. h. einen bisherigen<br />
Identitätszustand hinterfragt oder aufzugeben bereit ist. Solche „krisenartigen“<br />
Identitätszustände erfordern aktive Identitätsarbeit, bis eine Stabilisierung des jeweiligen<br />
Identitätsaspekts erreicht wird (achievement). Marcia (1966, 1993) nennt den dann<br />
erreichten Zustand „erarbeitete Identität“.<br />
2.2 Identitätsmanagement und Selbstdarstellung<br />
Nach Mead (1973: 180ff.) ergibt sich Identität im Wesentlichen aus der Auseinandersetzung<br />
mit der Umwelt. Kontinuierlich werden Informationen (Beurteilungen, Reaktionen)<br />
der Anderen zum Selbst wahrgenommen und verarbeitet. Dabei wird dem sozial<br />
geformten „Me“ das aus sich heraus agierende „I“ gegenübergestellt. Die Identität entsteht<br />
dann im Prozess des Aushandelns der Innenperspektive („I“) mit der wahrgenommenen<br />
Außenperspektive („Me“). Krappmann (2000) spricht von einem zu leistenden<br />
„Balance-Akt“. Konkret entwickelt das Individuum aus der Interaktion und Kommunikation<br />
mit Anderen Vorstellungen darüber, wie es von diesen Anderen gesehen<br />
wird und integriert jene in sein Selbstbild.<br />
1 Besonders deutlich wird dies auch bei den Phasenmodellen von Erikson (1980), bei denen bestimmte<br />
Identitätsthematiken als jeweils dominant für bestimmte Lebensphasen angesehen werden.<br />
2 Frey und Haußer (1987: 3f.) unterscheiden drei verschiedene sozial<strong>wissenschaft</strong>liche Begriffe<br />
von Identität. Identität als von außen vorgenommene Zuschreibung von Merkmalen zu einem<br />
Subjekt, Identität als Kennzeichnung sozialer Systeme (etwa kulturelle Identität oder ethnische<br />
Identität). Für uns relevant ist lediglich der dritte Identitätsbegriff, der Identität als Selbstidentifizierung<br />
einer Person beschreibt. Auf die anderen beiden Konzeptualisierungen wird im Rahmen<br />
dieses Beitrags nicht eingegangen.<br />
339
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Verbindet man die Perspektiven von Mead (1973) und Marcia (1993), so wird deutlich,<br />
dass Identitätsarbeit sowohl die Verbindung der verschiedenen Identitätsaspekte<br />
der einzelnen Lebenswelten als auch die Herstellung eines verinnerlichten Identitätsstatus<br />
umfasst. Identitätsarbeit ist dann insofern ein integraler Bestandteil des Alltagslebens,<br />
als soziale Spiegelungen der eigenen Identität bzw. ihrer einzelnen Aspekte im<br />
täglichen Miteinander kaum zu vermeiden und letztlich Teil nahezu jeder Kommunikation<br />
sind. Die stetige Auseinandersetzung mit einzelnen Identitätsaspekten ist also keineswegs<br />
pathologisch. Identitätsarbeit muss mehr oder weniger für alle Identitätsaspekte<br />
in allen Identitätszuständen geleistet werden (vgl. Keupp/Höfer 1998; Keupp et al.<br />
1999: 109ff.; Kraus/Mitzscherlich 1998). Freilich sind nicht alle Aspekte zur gleichen<br />
Zeit wichtig. In einer Chat-Diskussion über Techno sind vorrangig die diesbezüglichen<br />
Identitätsaspekte (Musikstil, etwaige Gruppenzugehörigkeiten) für das Selbst (und seine<br />
Chat-Partner) relevant, während etwa das Alter und die damit zusammenhängenden<br />
Selbstbezüge ohne Bedeutung bleiben (vgl. auch Döring 1999: 258). Allgemein kann die<br />
Gesamtheit der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse in den verschiedenen Lebenswelten<br />
sowie das Aushandeln zwischen Innen- und Außenperspektive auch als<br />
Identitätsmanagement bezeichnet werden (vgl. Kraus/Mitzscherlich 1998). 3<br />
Identitätsmanagement umschließt auch strategische Momente. Goffman (1969) legt<br />
ausführlich dar, dass Menschen darüber nachdenken, wie sie auf andere wirken und wie<br />
diese Wirkung gezielt gesteuert werden kann. Damit sind Aspekte der Präsentation der<br />
eigenen Identität angesprochen, die in der Psychologie unter dem Begriff der Selbstdarstellung<br />
erforscht werden. 4 Schlenker (1980) definiert Selbstdarstellung (im weiteren<br />
Sinne) als jene Aspekte der Eindruckslenkung (impression-management), bei denen es<br />
sich um selbstrelevante Eindrücke handelt. Darunter fällt eine große Bandbreite von<br />
Handlungen, angefangen von skrupellosen Manipulationen im Sinne des Machiavellismus-Konstruktes<br />
bis hin zu Versuchen, anderen ein authentisches Bild der eigenen Person<br />
zu vermitteln oder sich dem eigenen Selbstbild zu nähern (vgl. Schlenker 1980;<br />
Schütz 1991). Dabei kann zwischen assertiven und defensiven Verhaltensweisen unterschieden<br />
werden. Assertives Verhalten dient dem Aufbau und der Stützung der eigenen<br />
Identität, defensives Verhalten dem Schutz und der Wiederherstellung der Identität.<br />
Selbstdarstellung und Identität können somit als zwei Seiten einer Medaille begriffen<br />
werden. Während Identität ein „selbstreflexiver Prozess eines Individuums“ (Frey/<br />
Haußer 1987: 3f.) ist und sich in einem Gefühl der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung<br />
des Individuums mit sich selbst und seiner Umgebung (vgl. Bausinger<br />
1978: 204) äußert, ist Selbstdarstellung ein darauf bezogenes, taktisches oder strategisches<br />
Verhalten.<br />
3 Wir wählen hier den Begriff des Identitätsmanagements, da Identitätsarbeit in der Literatur<br />
nicht einheitlich verwendet wird. Während Marcia (1966, 1993) Identitätsarbeit eher eng als<br />
konkreten Prozess der Herstellung des Zustands erarbeiteter Identität versteht, fassen andere<br />
Autoren den Begriff weiter. Kraus und Mitzscherlich (1998) schlagen den Terminus Identitätsmanagement<br />
vor.<br />
4 Identitätsforschung ist sowohl soziologisch als auch psychologisch geprägt. Während die Soziologie<br />
primär an den Identitätsperspektiven und ihren Wechselbeziehungen interessiert ist,<br />
beschäftigt sich die psychologische Identitätsforschung vor allem mit den psychischen Identitätskomponenten.<br />
Diese sind das Selbstkonzept, das Selbstwertgefühl und die Kontrollüberzeugung<br />
(vgl. Frey/Haußer 1987; Haußer 1995).<br />
340
Scherer / Wirth · Identität und Selbstdarstellung<br />
2.3 Identitätsmanagement und Kommunikation<br />
Identitätsmanagement und Selbstdarstellung sind ohne Kommunikation nicht denkbar.<br />
Vielmehr ist Kommunikation von entscheidender Bedeutung (Mead 1973: 184). So ist es<br />
hochplausibel, dass die formalen, technischen und inhaltlichen Charakteristika von<br />
<strong>Kommunikations</strong>prozessen einen zentralen Einfluss sowohl auf das Identitätsmanagement<br />
als auch auf die Praktiken der Selbstdarstellung haben.<br />
Mit den neuen <strong>Kommunikations</strong>angeboten wie dem Chat oder den virtuellen Spielwelten<br />
ist eine erhebliche Entgrenzung der kommunikativen Optionen verbunden<br />
(Husmann 1998: 52; Döring 1999), die spezifische Praktiken der Selbstdarstellung erlaubt.<br />
In der Literatur wird in diesem Zusammenhang meist der Wegfall des Körperlichen<br />
hervorgehoben (vgl. z. B. Turkle 1999; Whitley 1997), d. h. eben die nachprüfbaren<br />
Merkmale der Identität lassen sich nicht mehr bzw. nicht mehr so einfach und so<br />
schnell wie bei einer Face-to-Face-Begegnung überprüfen. Entsprechend stark wird in<br />
der Literatur denn auch über Versuche berichtet, diese Form der Entgrenzung zu nutzen,<br />
um spielerisch oder mit ernsten Absichten <strong>Kommunikations</strong>partner zu täuschen<br />
(vgl. Turkle 1999; Schmidt 2000; Donath 2000; Höflich/Gebhardt 2001). Das Forschungsinteresse<br />
an der Abweichung vom Normalen und Traditionellen ist sicherlich<br />
gerechtfertigt. Allerdings scheint uns eine allzu einseitige Betonung dieser Aspekte vorschnell.<br />
Sie verdeckt andere, näher liegende Praktiken der Selbstdarstellung in virtuellen<br />
Räumen, die zudem möglicherweise auf eine größere Zahl an Nutzerinnen und Nutzern<br />
zutreffen.<br />
Mindestens zwei Gründe können für dieses Argument angeführt werden: Erstens findet<br />
die medienspezifische Entgrenzung auch auf anderen, weniger beachteten Ebenen<br />
statt. Die Ein- und Austrittskosten in den <strong>Kommunikations</strong>prozess sind gering. Relativ<br />
mühelos kann man sich in ein Gespräch einschalten und wieder ausklinken. Man hinterlässt<br />
zwar Spuren, kann aber nicht aufgespürt werden. Die geographischen Entfernungen<br />
werden bedeutungslos. Damit erhöht sich die Zahl möglicher <strong>Kommunikations</strong>partner<br />
immens. Mit geringerem Aufwand als in der Wirklichkeit können mehr geeignete<br />
<strong>Kommunikations</strong>partner gefunden bzw. die Beziehung zu ihnen gepflegt werden.<br />
In diesem Licht erscheint das Chatten „lediglich“ als technische Verlängerung von<br />
auch im Alltag bekannten Praktiken.<br />
Zweitens – und vielleicht weniger trivial – sind dauerhaft nicht-authentische, d. h. entscheidend<br />
veränderte, ständig wechselnde oder auch fehlende Selbstdarstellungen, nicht<br />
funktional und dauerhaft kaum aufrecht zu erhalten. Solchen „Pseudo-Selbstdarstellungen“<br />
steht keine genuin entwickelte und in einer entsprechenden Sozialisierung verankerte<br />
Identität gegenüber. Konversation unter diesen extremen Umständen wird auf<br />
Dauer kaum zufrieden stellen können, da ja nicht wirklich das Selbst kommuniziert. Die<br />
zur Pseudo-Selbstdarstellung passende Identität muss in allen kommunikativen Handlungen<br />
mühsam mitgedacht werden. Whitley (1997) wendet sich dezidiert gegen die Vorstellung,<br />
dass eine neue, unabhängige Identität konstruiert werden könne, wenn die Beschränkungen<br />
entfallen, welche die Offenkundigkeit des Körperlichen im wirklichen Leben<br />
mit sich bringt. Langfristige Verstellung sei nur schwer möglich, da sie erstens mit<br />
einem hohen Aufwand verbunden, zweitens mit dem steigenden Risiko der Enttarnung<br />
verhaftet und drittens mit einem niedrigen <strong>Kommunikations</strong>nutzen verknüpft sei.<br />
Wynn und Katz (1997) argumentieren ebenfalls gegen die postmoderne Perspektive<br />
einer spielerischen, fragmentierten und dekontextuierten Identität. Sie plädieren für die<br />
Anbindung des Cyberspace-Diskurses an die traditionellen Theorien zur sozialen Interaktion<br />
bzw. zur Ethnomethodologie (z. B. Berger & Luckmann 1967; Garfinkel 1984;<br />
341
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Goffman 1969 und Whitley 1997). Im Gegensatz zu den Annahmen Turkles seien Menschen<br />
stets bemüht, Kohärenz und Struktur in ihre Erfahrungen zu bringen, um so ein<br />
Höchstmaß an Interpretationssicherheit in ihren kommunikativen Beziehungen zu erringen<br />
(vgl. Wynn/Katz 1997).<br />
Damit soll nicht gesagt sein, dass es keine vorgetäuschten Identitäten im Chat gibt<br />
bzw. dass das Spiel mit Identitäten für niemanden Nutzen bringen könnte. Natürlich<br />
kann die Virtualität dazu dienen, mehr und verschiedenartigere Rollen einzunehmen als<br />
dies in persönlicher Kommunikation möglich ist. Es mag durchaus Chatter mit einer<br />
tatsächlich multiplen Identität geben. Die in der Literatur referierten Einzelbeispiele belegen<br />
dies. Allerdings erscheint es auf der Basis der vorgestellten Theorien und Argumente<br />
kaum plausibel, dass dies den Normalfall beim Chatten darstellt. Dazu nimmt die<br />
Authentizität eine zu große Rolle für langfristig angelegte <strong>Kommunikations</strong>beziehungen<br />
ein. Im Folgenden werden wir erläutern, unter welchen Bedingungen authentische<br />
Selbstdarstellungen zu erwarten sind, und wir werden das Verhältnis von Authentizität<br />
zur partiell maskierten Selbstdarstellung etwas eingehender beleuchten. Dabei wird sich<br />
zeigen, dass selbst partielle Täuschungen nichts mit der Konstruktion einer fremden<br />
oder falschen Identität zu tun haben müssen, sondern vielmehr mit dem Paradigma der<br />
authentischen Selbstdarstellung verträglich sind.<br />
3. Strategien der authentischen und nicht-authentischen Selbstdarstellung im<br />
Chat<br />
Als authentisch verstehen wir eine Selbstdarstellung dann, wenn sie im Kern mit dem<br />
wahrgenommenen Selbst übereinstimmt. Konkret bedeutet Authentizität also nicht unbedingt<br />
die intersubjektiv nachprüfbare Offenlegung aller Identitätsaspekte, sondern<br />
dass vom Individuum selbst keine Kluft zwischen der Selbstdarstellung und den im Augenblick<br />
wichtigen Aspekten der Identität empfunden wird. Die Beschreibung einzelner<br />
Charakteristika einer Person wie Name, Alter, Geschlecht, Größe etc. muss also<br />
nicht in jedem Fall mit der authentischen Selbstbeschreibung übereinstimmen. Fühlt<br />
sich ein 50-Jähriger so jung wie ein 30-Jähriger, so ist das nachprüfbar wahre Alter nicht<br />
authentisch und ist umgekehrt das authentisch wahre Alter nicht intersubjektiv nachprüfbar.<br />
Kurz: Es geht um eine größtmögliche Übereinstimmung zwischen Selbstdarstellung<br />
und der eigenen, wahrgenommenen Identität. Diese Definition und die Erläuterungen<br />
des letzten Kapitels werfen ein neues Licht auf die Selbstdarstellung im Internet.<br />
Möglicherweise ist die virtuelle Realität weit weniger von multiplen Identitäten und<br />
körper- bzw. identifikationslosen Wesen bevölkert als bislang angenommen. Vorliegenden<br />
Befunden zufolge stoßen Täuschungen und Maskierungen in Chat-Foren dann<br />
auf Probleme, wenn es zu persönlichen, nicht-virtuellen Kontakten kommt oder solche<br />
Kontakte von den Chat-Partnern geplant werden (vgl. z. B. Bahl 1997). Daraus lässt sich<br />
schlussfolgern, dass zumindest die an der Beziehungsanbahnung und -pflege orientierten<br />
Chatter an einer weitgehend authentischen Selbstdarstellung nicht vorbeikommen.<br />
Beziehungen sollen geknüpft oder gehalten bzw. ganz einfach „gelebt“ werden. Für<br />
solche Zwecke ist eine möglichst authentische und an der Nachprüfbarkeit orientierte<br />
Selbstbeschreibung funktional. Zugespitzt: Zur Sicherung kommunikativer Beziehungen<br />
müssen Identitätsdarstellungen weitgehend authentisch sein. 5 Dies eröffnet den<br />
5 Die eingeforderte Authentizität widerspricht nur vordergründig den Thesen Goffmans, wo-<br />
342
Scherer / Wirth · Identität und Selbstdarstellung<br />
Raum für zwei theoretisch plausible Idealtypen authentischer Selbstdarstellung, die im<br />
Folgenden beschrieben werden.<br />
3.1 Real-Life-Beziehungsorientierung und „objektiv“-authentische Selbstdarstellung<br />
Wie weit reichend die Selbstdarstellung mit „objektiven“ Merkmalen übereinstimmen<br />
muss, hängt unter anderem davon ab, wie zentral diese Merkmale für die Definition der<br />
Kommunikation bzw. der darauf aufgebauten Beziehung sind und wie leicht sie sich<br />
überprüfen lassen. Vor allem aber hängen sie davon ab, ob die Beziehung sich in absehbarer<br />
Zukunft auf den virtuellen Raum beschränkt oder aber auch off-line, also in der<br />
Realität besteht bzw. dort fortgeführt werden soll. Eine „objektiv“-authentische Selbstdarstellung<br />
wird umso wichtiger, je weniger sich die kommunikativen Beziehungen auf<br />
den virtuellen Raum beschränken (sollen). In solchen Fällen ist eine völlig „objektiv“authentische<br />
Selbstdarstellung funktional. Bestimmte, vor allem äußerliche Aspekte von<br />
Identität müssen dann authentisch beschrieben werden. Die Strategien der Selbstdarstellung<br />
orientieren sich also an den Anforderungen, die sich aus der Gestaltung der Beziehung<br />
außerhalb des Chat-Rooms ergeben. Wir können daher auch von einem reallife<br />
bezogenen Identitätsmanagement sprechen.<br />
3.2 Virtual-Life-Beziehungsorientierung und „quasi“-authentische Selbstdarstellung<br />
Eine weniger umfassende „objektive“ Authentizität ist in solchen <strong>Kommunikations</strong>situationen<br />
erforderlich, die absehbar lediglich im virtuellen Raum fortgesetzt werden<br />
sollen. Diese Form der Selbstdarstellung nennen wir „quasi“-authentisch. Wir werten<br />
sie immer noch als (im weiteren Sinne) authentisch, weil auch hier Identitäten nicht<br />
beliebig gewechselt werden können, sondern Authentizität, Kontinuität und Konsistenz<br />
der Selbstdarstellung unverzichtbar sind und gewollt sein müssen, damit die<br />
virtuelle <strong>Kommunikations</strong>beziehung lebensfähig wird. Im Unterschied zur „objektiv“-authentischen<br />
werden bei der „quasi“-authentischen Selbstdarstellung jedoch einzelne<br />
Charakteristika der Identität modifiziert oder verheimlicht. Es handelt sich dabei<br />
um solche Veränderungen, die entweder für die jeweilige <strong>Kommunikations</strong>situation<br />
funktional sind (Motiv: Nutzenmaximierung) oder aber dem eigenen Selbstideal besser<br />
entsprechen (Motiv: Idealisierung) (vgl. Döring 1999). Im ersten Fall erhöht die Täuschung<br />
zum Beispiel die Akzeptanz der Chat-Partner. Kinder machen sich älter, damit<br />
sie im Chat ernst genommen werden. Im anderen Fall dient die Modifikation der Verdeutlichung<br />
der „wahren Identität“ („da kann ich endlich ich sein“). Eine Frau gibt<br />
sich im Chat weniger gehemmt als sie im wirklichen Leben ist. „Fast so, als wäre ich<br />
ich selbst, aber das ist natürlich paradox. Ich fühle mich eher so, wie ich zu sein wünsche“<br />
(Turkle 1999: 288). Die nicht-authentischen Aspekte sind jedoch keine Fremdkörper,<br />
sondern im Sinne einer Aneignung verinnerlicht. Ihnen, nicht den objektiven<br />
Fakten, fühlt man sich innerlich verpflichtet. Die partiale Täuschung verleiht der Identität<br />
(bzw. dem gerade relevanten Ausschnitt) eine erhöhte innere Konsistenz. Noch<br />
deutlicher: Man fühlt sich befreit, man ist endlich so, wie man sich eigentlich fühlt.<br />
nach wir „alle Theater spielen“. Vielmehr betont auch Goffman mehrfach die relative Übereinstimmung<br />
der Inszenierung mit dem Selbst, z. B.: „das inszenierte Selbst ist ein Produkt einer<br />
erfolgreichen Szene, und nicht die Ursache“ (Goffman 1969: 231, auch 222, 19f.).<br />
343
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Wichtig ist, dass man die Täuschung zwar bewusst unternimmt, sie aber nicht als<br />
Betrug wahrnimmt. Sie passt zur eigenen Identität, sie korrigiert lediglich kleine Unstimmigkeiten.<br />
Da diese Form der Selbstdarstellung zwar nicht ausschließlich, aber<br />
vorrangig in virtuellen Beziehungen möglich und sinnvoll ist, können wir auch von einem<br />
auf das virtuelle Leben bezogenen Identitätsmanagement sprechen.<br />
3.3 Identitätsarbeit und nicht-authentische Selbstdarstellung<br />
Von den beiden dargestellten Typen unterscheidet sich die nicht-authentische Selbstdarstellung<br />
grundlegend. Sie liegt dann vor, wenn die Verstellung der Identität radikaler<br />
oder umfassender ist. Die verstellten Aspekte werden vom Selbst klar als fremdartig<br />
und nicht oder zumindest nicht vollständig als zur eigenen Identität gehörig erlebt. Im<br />
Gegensatz zur authentischen Selbstdarstellung dürfte bei der nicht-authentischen<br />
Selbstdarstellung die Anbahnung oder Pflege dauerhafter Beziehungen nur selten im<br />
Zentrum der Interessen stehen. Stattdessen vermuten wir, dass die Arbeit an der eigenen<br />
Identität im Vordergrund der Selbstdarstellung steht und die Kommunikation mit<br />
den Chat-Partnern nur Mittel zum Zweck darstellt. Wiederum sind verschiedene Untertypen<br />
plausibel. Da eine differenzierte Analyse dieser Form der Selbstdarstellung<br />
nicht im Fokus der vorliegenden Arbeit steht, werden wir die Diskussion hier nicht<br />
weiter vertiefen.<br />
4. Methode<br />
Mit den Daten aus einer qualitativen und einer quantitativen Untersuchung zum Chat-<br />
Verhalten soll nun versucht werden, die beiden Authentizitätsgruppen – „objektiv“-authentische<br />
und „quasi“-authentische Selbstdarstellung – empirisch zu identifizieren und<br />
ihre unterschiedlichen Orientierungen aufzuzeigen. Die qualitative Teilstudie war eine<br />
persönliche Leitfadenbefragung und die quantitative eine Online-Befragung. Beide Erhebungen<br />
wurden im Rahmen eines zweisemestrigen Werkstattseminars am Institut für<br />
Journalistik und <strong>Kommunikations</strong>forschung in Hannover zum Thema „Soziale Aspekte<br />
der Internetnutzung“ durchgeführt. Bei der qualitativen Leitfadenstudie wurden 16<br />
Personen befragt, die alle Erfahrung mit Chatten hatten. Diese Personen wurden zum<br />
Teil über direkte und indirekte persönliche Kontakte rekrutiert, zum anderen Teil wurden<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei einem Stammtisch zu dem in der Region Hannover<br />
sehr erfolgreichen Chat-Forum ffn funcity gewonnen. Die Online-Befragung<br />
wurde im bereits erwähnten Chat-Forum ffn funcity durchgeführt. Bei dieser Online-<br />
Befragung (Feldzeit etwa 2 Wochen im Winter 2001) wurden 1.703 Befragte rekrutiert.<br />
Das Alter der Befragten variierte zwischen 10 und 83 Jahren. Die Befragten waren mehrheitlich<br />
eher jung: 54 Prozent waren unter 20 Jahre, 82 Prozent unter 30 Jahre alt. Dazu<br />
passt, dass 47 Prozent der Befragten noch zur Schule gingen. Stark vertreten waren daneben<br />
auch die Vollzeit-Berufstätigen (27 Prozent). Der Rest verteilte sich auf Auszubildende<br />
(10 Prozent), Studenten (6 Prozent), Teilzeit-Berufstätige (6 Prozent) und Andere<br />
(6 Prozent). Mehr als die Hälfte der Befragten (57 Prozent) war weiblich.<br />
Das untersuchte Chat-Forum ffn funcity hat einen eigenen Charakter. Es ist gestaltet<br />
wie eine virtuelle Stadt. In dieser Stadt gibt es verschiedene Begegnungsstätten wie Cafés<br />
oder Kneipen. Man kann dort Wohnungen anmieten, in denen man Bilder aufhängen<br />
und Besuch empfangen kann. Die Chatter in ffn funcity unterscheiden deutlich zwischen<br />
besseren und schlechteren Wohngegenden. Das Chat-Forum ist sehr erfolgreich; die<br />
meisten der von uns befragten Chatter bewerten die Qualität des Chat-Forums als gut<br />
344
Scherer / Wirth · Identität und Selbstdarstellung<br />
oder sehr gut. 6 Die besondere Infrastruktur und Topologie von ffn funcity spiegelt sich<br />
auch bei seinen Nutzern: Ein Drittel der Befragten gab an, ausschließlich bei ffn funcity<br />
zu chatten.<br />
5. Ergebnisse<br />
Wir haben den Titel dieses Beitrags als Frage formuliert und damit an die Überlegungen<br />
angeknüpft, Chatten erlaube ein mitunter riskantes Spiel mit Identitäten, bei dem der<br />
Chatter mal neckisch verspielt, mal ahnungsvoll besorgt fragt: „Wer bin ich?“. Unsere<br />
Daten legen eine ziemlich einfache und dennoch stupende Antwort auf diese Frage nahe:<br />
Der Chatter ist zunächst einmal „ganz er selbst“. Besonders prägnant hat dies einer unserer<br />
Probanden in den qualitativen Interviews ausgedrückt. Auf die Frage, als welche<br />
Person er im Chat aufgetreten sei, antwortete er kurz und bündig: „Ich bin als mich aufgetreten.“<br />
Auch die Ergebnisse der Online-Befragung machen deutlich, dass die meisten<br />
Befragten der Meinung sind, beim Chat ein wirklichkeitsgetreues Bild von sich zu zeichnen,<br />
das sich von ihrem Verhalten in Alltagssituationen nicht unterscheidet. So erhält die<br />
Vorgabe „Beim Chatten gebe ich mich genauso wie im normalen Leben“ deutlich höhere<br />
Zustimmungswerte als die gegenteilige Formulierung „Beim Chatten beschreibe ich<br />
mich anders als ich wirklich bin“. Auf einer Skala von 1 („trifft überhaupt nicht zu“) bis<br />
5 („trifft voll und ganz zu“) erreicht die erste Vorgabe einen Mittelwert von 3,85, die<br />
zweite einen deutlich geringeren durchschnittlichen Zustimmungswert von 1,85 (vgl.<br />
Tab. 1).<br />
Auf der von uns im theoretischen Teil begründeten Gegenüberstellung von Authentizität<br />
und Nicht-Authentizität verortet sich also die überwiegende Mehrzahl der Befragten<br />
im Bereich der Authentizität. 7 Dies gilt auch dann, wenn bestimmte äußere<br />
Merkmale der Identität von der gleichen Person in unterschiedlicher Form verwendet<br />
werden. So weist etwa der in der Literatur oft diskutierte häufige Wechsel von Nicknames<br />
nicht notwendigerweise auf unterschiedliche Identitätsentwürfe hin. Zwei Zitate<br />
aus den qualitativen Interviews sollten dies deutlich machen.<br />
Interviewzitate:<br />
„Nein, es gibt halt meinen Nick. Aber hinter der Person, die ich da gebe, bin halt ich.<br />
(...). Ich verstell mich nicht in irgendwelchem Sinn halt.“<br />
„(...), wenn mich einer fragt, wie alt bist du, wo kommst du her, wie siehst du aus, was<br />
ja so die Standardfragen sind, dann erzähle ich nicht auf einmal irgendwas anderes,<br />
weil mein Nick ein anderer ist.“<br />
6 Auf einer Skala von 0 („gefällt nicht“) bis 10 („gefällt sehr gut“) kreuzten 75 Prozent der Befragten<br />
Skalenwerte zwischen 8 und 10 an, der Mittelwert lag bei 8,28 Skalenpunkten. Wir danken<br />
den Betreibern von ffn funcity sehr herzlich für ihre Kooperationsbereitschaft.<br />
7 Nimmt man bei der Vorgabe „Beim Chatten gebe ich mich genauso wie im normalen Leben.“<br />
nur die Skalenpunkte 4 und 5, dann sind es zwei Drittel der Befragten, die mehr oder weniger<br />
deutlich sagen, dass sie sich im Chat genauso verhalten wie im normalen Leben, also eine authentische<br />
Selbstdarstellung zeigen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass ein Drittel der<br />
Befragten dieser Aussage nicht so explizit zustimmt. 13 % (Skalenpunkte 1 und 2) lehnen diese<br />
Aussage für sich eher ab. Und 12 % (Skalenpunkte 4 und 5) geben an, sich beim Chatten anders<br />
zu verhalten, als sie wirklich sind.<br />
345
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Tabelle 1: Authentische Selbstdarstellung im Chat<br />
„Beim Chatten gebe ich „Beim Chatten beschreibe<br />
mich genauso wie ich mich anders als ich<br />
im normalen Leben.“ wirklich bin.“<br />
% %<br />
trifft überhaupt nicht zu: 1 5 57<br />
2 8 18<br />
3 22 12<br />
4 29 7<br />
trifft voll und ganz zu: 5 37 5<br />
Mittelwert (n = 1.703) 3,85 1,85<br />
Vielmehr erscheint der Gebrauch von Nicks zum Teil gesprächs- und beziehungstaktisch<br />
motiviert.<br />
Interviewzitate:<br />
„Ich hab damals mit meinen Vornamen und dann halt mein Alter dahinter gechattet,<br />
aber das war nicht so... Und mein Nickname, den ich jetzt habe, der ist halt etwas lustiger.<br />
Da sprechen halt die Leute halt einen auch drauf an, und das prägt sich halt auch<br />
besser ein, als wenn du nur einen normalen Vornamen hast.“<br />
„Nur teilweise z. B. statt als Guest mitzuchatten oder mitzulesen, tut man sich dann<br />
halt ’n anderen Nick, um sich halt mal mit ganz anderen Leuten zu unterhalten.<br />
Um nicht in den Chat zu kommen und zu sagen „hallo, hier bin ich“, und man wird<br />
erst mal bombardiert mit „hallo“ und (...) es prasselt alles auf einen ein, man möchte<br />
natürlich auch jeden irgendwie auch mit begrüßen. Und um sich diesen Stress eigentlich<br />
zu sparen, nimmt man dann halt einen anderen Nick, der vielleicht unbekannt<br />
(...)“ 8<br />
Allerdings zeigen die Ergebnisse der Onlinebefragung, dass es durchaus einen Zusammenhang<br />
zwischen der Nutzung verschiedener Nicknames und der authentischen<br />
Selbstdarstellung im Chat gibt. Wer sich im Chat weniger authentisch gibt, der nutzt in<br />
der Regel auch mehr verschiedene Nicknames. 9<br />
Wenn wir die Frage der Selbstdarstellung nicht nur mit dem Wechsel von Nicknames<br />
verbinden, sondern auch die Präsentation verschiedener Persönlichkeitsmerkmale im<br />
Chat einbeziehen, dann finden wir ein Ergebnis, welches den bisherigen empirischen<br />
Aussagen zu widersprechen scheint. Zwar geben etwa zwei Drittel der Online-Befragten<br />
an, sie würden sich im Chat nicht anders präsentieren als in anderen Situationen (vgl.<br />
Tab. 1, Skalenpunkte 4 und 5), aber 71 Prozent der Befragten geben auch an, zumindest<br />
8 Vgl. die ganz ähnlich lautenden Aussagen in den Leitfadeninterviews bei Dabiri und Helten<br />
1998.<br />
9 Vgl. hierzu auch die empirische Studie von Bechar-Israeli (1996), die zeigt, dass die meisten<br />
Chatter einen Nickname mit einem Bezug zum realen Selbst wählen und diesen möglichst lange<br />
beibehalten. Identitätsspiele mit Nicknames seien demnach die Ausnahme.<br />
346
Scherer / Wirth · Identität und Selbstdarstellung<br />
gelegentlich bei der Selbstbeschreibung etwas zu schummeln. 10 Bringen wir diesen Wert<br />
in Zusammenhang mit der Selbstbeschreibung („Beim Chatten gebe ich mich genauso<br />
wie im normalen Leben.“), dann sieht man (vgl. Tab. 2), dass es eine deutliche Korrelation<br />
zwischen beiden Merkmalen gibt. Personen, die das Item ablehnen, schummeln<br />
deutlich häufiger. Es gibt aber auch viele Befragte, die sich scheinbar widersprüchlich<br />
verhalten, indem sie sagen, sie würden sich beim Chatten wie im normalen Leben geben,<br />
trotzdem aber zumindest gelegentlich schummeln.<br />
Tabelle 2: Authentische Selbstdarstellung und Schummeln beim Chatten<br />
„Beim Chatten gebe ich mich<br />
genauso wie im normalen Leben.“<br />
Trifft überhaupt nicht zu Trifft voll und ganz zu<br />
1 2 3 4 5<br />
% % % % %<br />
Schummele nie 17 17 18 23 46<br />
Schummele doch 83 83 82 77 54<br />
Gesamt 100 100 100 100 100<br />
Befragte n = 78 128 380 488 622<br />
Wir halten diesen Widerspruch für vordergründig. Wie oben ausgeführt, ist es sinnvoll,<br />
zwischen Identität und Selbstdarstellung zu unterscheiden. Die Selbstdarstellung kann<br />
als Teil des Identitätsmanagements aufgefasst werden, sie folgt mitunter kommunikationstaktischen<br />
Erwägungen, wie wir es etwa bei der Verwendung verschiedener Nicknames<br />
anschaulich beobachten konnten. Analog zu unseren theoretischen Überlegungen<br />
lautet die Frage also nicht, ob die Chatter immer die Wahrheit sagen, sondern ob sie<br />
sich dabei als authentische Persönlichkeit erleben. Gleichzeitig wird die Selbstdarstellung<br />
sehr wahrscheinlich mit unterschiedlichen Orientierungen variieren. Wir haben<br />
oben postuliert, dass zumindest zwei Beziehungsorientierungen plausibel sind: eine<br />
Real-Life-Beziehungsorientierung und eine Virtual-Life-Beziehungsorientierung, die<br />
sich jeweils in der Selbstdarstellung im Chat unterscheiden.<br />
Im weiteren Verlauf der Analyse wollen wir nun die Tragfähigkeit dieses Konzepts<br />
überprüfen. Dazu ist es notwendig, die Personen mit unterschiedlichem Authentizitätserleben<br />
und unterschiedlicher Orientierung in unserer Stichprobe zu identifizieren. Dies<br />
kann nur näherungsweise geschehen, da die unterschiedlichen Orientierungen nicht direkt<br />
erfragt wurden. Um zu solch einer Annäherung an die Chatter-Typen zu gelangen,<br />
bedienen wir uns der Ergebnisse aus Tabelle 2. Als Indikator für die Authentizität verwenden<br />
wir die Selbsteinstufung der Befragten darüber, wie sie sich im Chat geben. Bei<br />
den Befragten, die der Vorgabe „Beim Chatten gebe ich mich genauso wie im normalen<br />
Leben.“ „voll und ganz“ (Skalenpunkt 5) oder „annähernd voll und ganz“ (Skalenpunkt<br />
4) zustimmen, gehen wir von einer insgesamt authentisch erlebten Selbstdarstellung aus.<br />
Die Befragten, die sich neutral oder ablehnend zu diesem Statement äußern (Skalen-<br />
10 Die Frage bezog sich darauf, ob man beim Chatten nie, selten, gelegentlich oder häufig beim<br />
Aussehen, beim Alter, beim Geschlecht oder bei Meinungen und Einstellungen schummeln<br />
würde.<br />
347
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
punkte 1 bis 3), stufen wir ihrer Selbstdarstellung im Chat nach als nicht-authentisch ein.<br />
Die Gruppe der Nicht-Authentischen umfasst 35 Prozent der Befragten, sie wird im<br />
weiteren Verlauf nicht weiter differenziert. Unser eigentliches Interesse gilt in diesem<br />
Beitrag den Personen mit authentisch erlebter Selbstdarstellung. Diese Gruppe wollen<br />
wir genauer betrachten. Wir unterscheiden diese Personen nun danach, ob sie angeben,<br />
zumindest gelegentlich zu schummeln oder ob sie dies ablehnen. Die erste Gruppe nennen<br />
wir im weiteren Verlauf „Quasi“-Authentische und wir erwarten, dass diese eher<br />
die Virtual-Life-Beziehungsorientierung vertreten. Die zweite Gruppe sind die „Objektiv“-Authentischen,<br />
bei denen wir eher eine Real-Life-Beziehungsorientierung erwarten.<br />
23 Prozent der Befragten sind nach dieser Einteilung „Objektiv“-Authentische,<br />
42 Prozent zählen zu den „Quasi“-Authentischen. 65 Prozent der Befragten sind also<br />
insgesamt den Personen mit authentisch erlebter Selbstdarstellung zuzurechnen.<br />
Die auf die oben beschriebene Art und Weise gebildeten Gruppen unterscheiden sich<br />
in demographischer Hinsicht. Dies gilt besonders für die „Objektiv“-Authentischen<br />
(vgl. Tab. 3), sie sind im Vergleich zu den anderen Chattern etwas häufiger Männer und<br />
vor allem älter. Dadurch ergibt sich ein geringerer Anteil von Schülern und ein höherer<br />
Anteil von Vollzeitbeschäftigten bei den „Objektiv“-Authentischen.<br />
Tabelle 3: Demographische Beschreibung der Chatter-Typen<br />
„Objektiv“- „Quasi“- Sonstige<br />
Authentische Authentische<br />
Männer 46 % 42 % 44 %<br />
Frauen 54 % 58 % 57 %<br />
Alter 24,2 Jahre 21,5 Jahre 20,5 Jahre<br />
Vollzeitarbeitende 36 % 24 % 21 %<br />
Schüler 34 % 50 % 54 %<br />
Befragte n = 398 712 593<br />
Auch hinsichtlich der Chat-Gewohnheiten gibt es Unterschiede (vgl. Tab. 4a und b). Die<br />
„Objektiv“-Authentischen sind die intensivsten Chatter, sie sind häufiger im Chat-<br />
Room, und wenn sie dort sind, dann verbleiben sie wesentlich länger. Das Ergebnis entspricht<br />
weitgehend unseren Erwartungen. Ein etwas freierer Umgang mit der eigenen<br />
Identität erscheint nur dann möglich, wenn man nicht allzu intensiv chattet. Wer häufig<br />
und vor allem lange im Chat ist, der kann unterschiedliche Selbstdarstellungen kaum<br />
konsequent durchhalten.<br />
Tabelle 4: Chat-Verhalten der Chatter-Typen<br />
a) allgemeines Chat-Verhalten<br />
„Objektiv“- „Quasi“- Sonstige<br />
Authentische Authentische<br />
Mittelwert Mittelwert Mittelwert f-prob.<br />
Häufigkeit des Chattens 34mal 27mal 28mal<br />
pro Monat pro Monat pro Monat .001<br />
Dauer einer Chat-Sitzung 125 Min. 113 Min. 104 Min. .000<br />
Seit wann wird gechattet 1,8 Jahre 1,6 Jahre 1,7 Jahre .329<br />
348
) ffn funcity spezifisches Chat-Verhalten<br />
Scherer / Wirth · Identität und Selbstdarstellung<br />
„Objektiv“- „Quasi“- Sonstige<br />
Authentische Authentische<br />
%-Anteil %-Anteil %-Anteil χ 2 – prob<br />
Anteil Befragter, der jeden<br />
Tag auf ffn funcity chattet<br />
Anteil Befragter, der aus-<br />
36 % 29 % 27 % .001<br />
schließlich auf ffn funcity<br />
chattet<br />
36 % 34 % 33 % .125<br />
Befragte n = 398 712 593<br />
Für die Befragten scheint das untersuchte Chat-Forum ffn funcity eine besondere Bedeutung<br />
zu haben, 30 Prozent nutzen es täglich, 34 Prozent chatten ausschließlich auf<br />
diesem Chat-Forum. Am stärksten ausgeprägt ist dieses Verhalten jeweils bei den „Objektiv“-Authentischen,<br />
in Bezug auf die Exklusivität der Nutzung sind die Unterschiede<br />
allerdings eher gering. Für die „Objektiv“-Authentischen scheint ffn funcity attraktiver<br />
zu sein. Möglicherweise bietet der besondere oben beschriebene Charakter dieses<br />
Chat-Forums günstige Voraussetzungen für diesen spezifischen Stil des Chatverhaltens.<br />
Im Lichte unserer theoretischen Überlegungen erscheint es als plausibel, dass sich der<br />
Charakter der Beziehungsorientierung für die beiden analysierten Gruppen unterscheidet.<br />
Wir sind davon ausgegangen, dass sich die „Quasi“-Authentischen durch eine stärkere<br />
Virtual-Life-Beziehungsorientierung auszeichnen. Dies liegt – so unsere Vermutung<br />
– daran, dass die Kommunikation im normalen Alltagsleben als defizitär empfunden<br />
wird. Die Chancen auf fruchtbare Beziehungen werden als relativ schlecht eingestuft,<br />
da dort Äußerlichkeiten dominieren. Für manches ist man im Alltagsleben zu jung,<br />
zu wenig gut aussehend oder man hat das „falsche“ Geschlecht. Im Chat muss dies alles<br />
keine Rolle spielen. Das Chat-Forum kann als ein Ort gelten, in dem diese Defizite überwunden<br />
werden können. Aus diesem Grund richten die „Quasi“-Authentischen ihre<br />
Beziehungsorientierungen stärker auf den Chat. Um dies zu belegen, haben wir einige<br />
Aussagen zur Bewertung des Alltagslebens und des Chats für die „Objektiv“-Authentischen<br />
und die „Quasi“-Authentischen gegenübergestellt. Dabei ergeben sich mehrere<br />
Vergleichsperspektiven, die jeweils unterschiedliche Aussagen erlauben. Im Folgenden<br />
sollen nun diese verschiedenen Vergleiche – soweit sie für unsere Fragestellung Relevanz<br />
besitzen – dargestellt und analysiert werden.<br />
Der Ausgangspunkt für unsere Argumentation ist der Vergleich der beiden Untersuchungsgruppen<br />
in der Alltagswelt (vgl. Tab. 5a). Die Ergebnisse stimmen mit unseren<br />
Vermutungen überein. Die „Quasi“-Authentischen erleben den normalen Alltag als vergleichsweise<br />
defizitär. Sie haben häufiger das Gefühl missverstanden zu werden, sie<br />
fühlen sich seltener akzeptiert und sie meinen häufiger, dass Äußerlichkeiten eine sehr<br />
große Rolle spielen.<br />
Diese vermeintlichen Defizite des Alltagslebens können bei den Quasi-Authentischen<br />
der Anlass sein, sich dem Chat mit der Absicht zuzuwenden, die Defizite dort<br />
durch ein entsprechendes Verhalten zu kompensieren. Die Zuwendung zum Chat<br />
könnte also mit der Hoffnung verbunden sein, dass dort Äußerlichkeiten eine geringere<br />
Rolle spielen, dass man dort besser verstanden und eher akzeptiert wird. Tatsächlich<br />
erfüllt sich diese Hoffnung für die Quasi-Authentischen auch. Im Vergleich zum Alltagsleben<br />
schneidet der Chat erheblich besser ab (vgl. Tab. 5b). Man fühlt sich dort in<br />
349
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
spürbar geringerem Maße missverstanden, und man hat signifikant weniger den Eindruck,<br />
dass im Chat Äußerlichkeiten eine zentrale Rolle spielen. Dies führt aber nicht<br />
dazu, dass man sich im Chat eher akzeptiert fühlt, dieses Defizit kann offensichtlich<br />
nicht überwunden werden; es gibt sogar eine leichte, wenn auch statistisch nicht aussagekräftige<br />
Tendenz, dass das Gefühl der Akzeptanz im Chat nachlässt.<br />
Interessanterweise finden wir aber beim Vergleich von Alltag und Chat auch für die<br />
„Objektiv“-Authentischen ganz ähnliche Phänomene (vgl. Tab. 5b). Auch bei ihnen<br />
schneidet das Chatforum in der oben beschrieben Weise besser ab als das Alltagsleben,<br />
auch bei ihnen finden wir das leichte Defizit bei der Akzeptanz.<br />
Es stellt sich die Frage, ob das Chat-Erleben für die „Quasi“-Authentischen wenigstens<br />
in Relation zu den „Objektiv“-Authentischen größere Vorteile gegenüber dem Alltagsleben<br />
aufweist, ob für sie der Unterschied zwischen Chat und Alltagsleben spürbar<br />
größer ist. Ein Vergleich der Differenzen zwischen Alltagsleben und Chat (vgl. Tab. 5c)<br />
zeigt tatsächlich, dass sich für die Quasi-Authentischen tendenziell die negativen Beurteilungen<br />
etwas deutlicher abschwächen. Aber die Unterschiede zwischen den Gruppen<br />
in den Differenzen zwischen Alltag und Chat sind nicht signifikant, und sie sind letztlich<br />
so gering, dass sie nicht interpretierbar sind.<br />
Die bisher dargestellten Ergebnisse führen letztlich dazu, dass sich die Unterschiede,<br />
die wir für das Alltagsleben gefunden haben, im Chat auf insgesamt etwas weniger ausgeprägtem<br />
Niveau wiederfinden lassen (vgl. Tab. 5d). Beim Chatten nähern sich die Urteile<br />
der beiden Gruppen also geringfügig an. In Bezug auf das Missverstehen sind die<br />
Unterschiede beim Alltagsleben signifikant, beim Chat nicht mehr. Für das Missverstehen<br />
und für die Bedeutung von Äußerlichkeiten gilt zudem für beide Authentizitätsgruppen,<br />
dass sie im Chat weniger stark empfunden werden.<br />
Tabelle 5a: Die Virtual-Life-Beziehungsorientierung – Defizite des Alltagslebens<br />
„Es gibt ja auch Unterschiede zwischen dem Chat und dem wirklichen Leben.<br />
Wir haben wieder einige Aussagen aufgelistet. Zunächst möchten wir dich bitten, uns zu sagen,<br />
wie sehr diese Aussagen auf dein ganz normales Alltagsleben zutreffen.“<br />
„Und wie sehr treffen diese Aussagen auf das Chatten zu?“<br />
(Skala von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“)<br />
im normalen Alltagsleben .... „Objektiv“- „Quasi“-<br />
Authentische Authentische<br />
Mittelwert Mittelwert f.prob<br />
... habe ich oft das Gefühl, ich<br />
werde missverstanden.<br />
... werde ich so akzeptiert, wie ich<br />
2,42 2,62 .010<br />
wirklich bin.<br />
... spielen Äußerlichkeiten eine<br />
4,17 3,98 .004<br />
sehr große Rolle. 3,18 3,47 .001<br />
Befragte n = 398 712<br />
350
Scherer / Wirth · Identität und Selbstdarstellung<br />
Tabelle 5b: Die Virtual-Life-Beziehungsorientierung – die Unterschiede von Alltag und<br />
Chat<br />
„Es gibt ja auch Unterschiede zwischen dem Chat und dem wirklichen Leben.<br />
Wir haben wieder einige Aussagen aufgelistet. Zunächst möchten wir dich bitten, uns zu sagen,<br />
wie sehr diese Aussagen auf dein ganz normales Alltagsleben zutreffen.“<br />
„Und wie sehr treffen diese Aussagen auf das Chatten zu?“<br />
(Skala von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“)<br />
„Quasi“-Authentische „Objektiv“-Authentische<br />
Im Im Chat t-Test Im Im Chat t-Test<br />
normalen normalen<br />
Alltags- Alltagsleben<br />
leben<br />
Mittelwert Mittelwert Sign. Mittelwert Mittelwert Sign.<br />
... habe ich oft das<br />
Gefühl, ich werde<br />
missverstanden.<br />
... werde ich so<br />
2,62 2,20 .000 2,42 2,11 .000<br />
akzeptiert, wie ich<br />
wirklich bin.<br />
... spielen Äußerlich-<br />
3,98 3,93 .286 4,17 4,10 .222<br />
keiten eine sehr<br />
große Rolle.<br />
3,47 2,18 .000 3,18 1,99 .000<br />
Befragte n = 398 712<br />
Tabelle 5c: Die Virtual-Life-Beziehungsorientierung – die Veränderung zwischen Alltag<br />
und Chat im Vergleich<br />
„Es gibt ja auch Unterschiede zwischen dem Chat und dem wirklichen Leben. Wir haben<br />
wieder einige Aussagen aufgelistet. Zunächst möchten wir dich bitten, uns zu sagen, wie sehr<br />
diese Aussagen auf dein ganz normales Alltagsleben zutreffen.“<br />
„Und wie sehr treffen diese Aussagen auf das Chatten zu?“<br />
(Skala von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“)<br />
Bewertung Chat minus Bewertung<br />
Alltagsleben<br />
„Objektiv“- „Quasi“-<br />
Authent. Authent.<br />
Mittelwert Mittelwert f. prob.<br />
... habe ich oft das Gefühl, ich werde missverstanden. -,31 -,42 .176<br />
... werde ich so akzeptiert, wie ich wirklich bin. -,07 -,05 .833<br />
... spielen Äußerlichkeiten eine sehr große Rolle. -1,19 -1,29 .353<br />
Befragte n = 398 712<br />
351
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Tabelle 5d: Die Virtual-Life-Beziehungsorientierung – die Bewertung des Chat<br />
„Es gibt ja auch Unterschiede zwischen dem Chat und dem wirklichen Leben. Wir haben<br />
wieder einige Aussagen aufgelistet. Zunächst möchten wir dich bitten, uns zu sagen, wie sehr<br />
diese Aussagen auf dein ganz normales Alltagsleben zutreffen.“<br />
„Und wie sehr treffen diese Aussagen auf das Chatten zu?“<br />
(Skala von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“)<br />
„Objektiv“- „Quasi“-<br />
Authent. Authent.<br />
Mittelwert Mittelwert f. prob.<br />
... habe ich oft das Gefühl, ich werde missverstanden. 2,11 2.20 .208<br />
... werde ich so akzeptiert, wie ich wirklich bin. 4,10 3,93 .006<br />
... spielen Äußerlichkeiten eine sehr große Rolle. 1,99 2,18 .020<br />
Befragte n = 398 712<br />
Zusammenfassend finden sich in diesen Analysen Hinweise für die vermutete stärkere<br />
Virtual-Life-Beziehungsorientierung der „Quasi“-Authentischen. Sie erleben im Vergleich<br />
zu den „Objektiv“-Authentischen das Alltagsleben in Bezug auf ihre kommunikativen<br />
Möglichkeiten als stärker eingeschränkt. Das Chatten kann als Versuch interpretiert<br />
werden, diese Einschränkungen zumindest partiell zu überwinden. Es bleibt<br />
also eine plausible Annahme, dass das gelegentliche Schummeln im Chat, durch das sich<br />
diese Gruppe auszeichnet, vor allem kommunikationstaktische Gründe hat. Allerdings<br />
sind sie beim Überwinden der kommunikativen Schranken, welche der Alltag vor ihnen<br />
aufrichtet, nicht wirklich erfolgreicher als die Gruppe der „Objektiv“-Authentischen.<br />
Auch diese bewerten den Chat positiver. Dies spricht aber nicht wirklich gegen unsere<br />
Annahmen. Ausgehend von der negativeren Bewertung des Alltagslebens ist bei den<br />
„Quasi“-Authentischen eine stärkere Motivation zu erwarten, die beziehungstaktischen<br />
Vorteile des Chats ausnutzen zu wollen. Ob ihnen dies auch wirklich besser gelingt, ist<br />
eine andere Frage. Diese stärkere Orientierung an den Möglichkeiten des Chats führt in<br />
der Konsequenz aber auch dazu, dass sie stärker auf den Chat angewiesen bleiben, dass<br />
sie ihre Beziehungen eher virtuell ausleben müssen.<br />
Wie erwähnt, vermuten wir bei den „Objektiv“-Authentischen im Gegensatz zu den<br />
„Quasi“-Authentischen eine stärkere Real-Life-Beziehungsorientierung. Das heißt, sie<br />
suchen im Chat Beziehungen, die sie auch ins Alltagsleben integrieren können. Einen<br />
Anhaltspunkt für diese Vermutung bietet eine vergleichende Analyse der Beschreibung<br />
von Chat-Beziehungen (vgl. Tabelle 6). „Objektiv“-Authentische sind in Bezug auf die<br />
Beziehungspflege im Chat erfolgreicher als „Quasi“-Authentische. Sie haben mehr Beziehungen<br />
im Chat und sie stimmen dem Statement, dass sie im Chat wirkliche Freunde<br />
gefunden haben, mehr zu als die „Quasi“-Authentischen. Am deutlichsten wird die<br />
Real-Life-Beziehungsorientierung der „Objektiv“-Authentischen aber dadurch, dass<br />
sie häufiger angeben, ihre Chat-Freunde seien zu Freunden im Alltagsleben, also im<br />
Real-Life geworden und dass sie ihre Chat-Freunde auch im wirklichen Leben treffen.<br />
Vergleichsweise marginal sind die Unterschiede in Bezug auf Liebe und Partnerschaft.<br />
Im Chat den Mann oder die Frau fürs Leben zu finden, scheint doch ein besonderer<br />
Glücksfall zu sein, den man auch durch ein bestimmtes Verhalten, eine bestimmte Orientierung<br />
in Bezug auf den Chat nur wenig fördern kann.<br />
352
Scherer / Wirth · Identität und Selbstdarstellung<br />
Tabelle 6: Die Real-Life-Beziehungsorientierung – Beziehungen<br />
„Mit wie vielen Chat-Bekannten chattest du regelmäßig? (Anzahl der Personen)“<br />
„Nun geht es um das Thema Beziehungen. Gib bitte an, ob die jeweiligen Aussagen auf dich<br />
persönlich zutreffen oder nicht.“<br />
(Skala von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“)<br />
„Objektiv“- „Quasi“- f-prob.<br />
Authentische Authentische<br />
Mittelwert Mittelwert<br />
Zahl der Bekannten im Chat<br />
Tiefe Beziehungen entstehen erst, wenn man<br />
9,5 7,1 .000<br />
sich im wirklichen Leben trifft.<br />
Beim Chatten habe ich wirkliche Freunde<br />
4,01 3,90 .172<br />
gefunden, denen ich vertraue.<br />
Mein Freundeskreis beim Chat ist zu meinem<br />
3,56 3,20 .000<br />
Freundeskreis im wirklichen Leben geworden.<br />
Beim Chatten habe ich Bekanntschaften<br />
geschlossen und Leute gefunden, mit denen ich<br />
2,28 2,06 .004<br />
mich auch im wirklichen Leben treffe.<br />
Beim Chat habe ich eine Person kennen<br />
gelernt, in die ich mich im wirklichen Leben<br />
2,90 2,52 .000<br />
verliebt habe.<br />
Beim Chatten habe ich eine(n) Freund(in) /<br />
2,36 2,25 .279<br />
Lebenspartner(in) gefunden. 2,09 1,99 .321<br />
Befragte n = 398 712<br />
Einige andere Ergebnisse bestätigen diese Befunde. „Objektiv“-Authentische haben ein<br />
größeres Interesse daran, ihre Chat-Partner auch im Real-Life zu treffen. 42 Prozent dieser<br />
Gruppe geben an, eine sympathische Chat-Bekanntschaft auch einmal real treffen zu<br />
wollen, die „Quasi“-Authentischen geben dies nur zu 34 Prozent an. Die „Objektiv“-<br />
Authentischen stellen im Übrigen auch höhere Anforderungen an die Authentizität ihrer<br />
Gesprächspartner (ohne Tabelle). Deutlich häufiger als die „Quasi“-Authentischen<br />
geben sie an, sie würden einen Chat abbrechen, wenn sie feststellen müssten, dass ihr<br />
Partner nicht die Wahrheit sage.<br />
Bis hierhin konnten wir zeigen, dass unsere Vermutungen über Typen von Chattern<br />
und ihre Beziehungsorientierungen (Real- oder Virtual-Life) sich empirisch plausibel<br />
belegen lassen. Einige Zitate aus den Leitfadeninterviews machen deutlich, wie sich der<br />
Zusammenhang zwischen Selbstdarstellung und Beziehungsorientierung wohl erklären<br />
lässt. Viele Chatter suchen im Chat-Room nach fruchtbaren sozialen Beziehungen. Diese<br />
haben für sie aber nur dann einen Wert, wenn die Beziehung sich auf ihre authentische<br />
Persönlichkeit richtet und nicht auf eine fiktive Identität.<br />
Interviewzitate:<br />
„Dann kann mir ja nicht geholfen werden, weil die Leute mich ja nicht kennen. Ratschläge<br />
sind immer nur so gut, so lange sie auf die Person passen.“<br />
„Ich vermute mal, es liegt daran, dass ich ja da hingehe, sage ich jetzt mal, um halt ir-<br />
353
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
gendwie halt Leute auch ernsthaft kennen zu lernen. Vor allen Dingen Mädchen.<br />
Und ich denke mal, in solchen Sachen gehört Ehrlichkeit einfach dazu.“<br />
Solange man sich im Chat bewegt, kann man bei der Darstellung äußerer Merkmale ein<br />
gewisses Maß an Freiheit walten lassen und sich selbst so darstellen, dass man für andere<br />
attraktiv erscheint. Orientiert man sich aber vom Virtual-Life zum Real-Life, dann<br />
hat man diese Möglichkeit nicht. Unvermeidlich würde der gesuchte reale Kontakt zur<br />
Enttäuschung und somit zum Beziehungsrisiko werden.<br />
Interviewzitate:<br />
„Weil, irgendwann, wenn da dann mehr draus wird als diese Chat-Bekanntschaft,<br />
müsste ich dann sagen ‚Bin ich ja gar nicht‘.“<br />
„Der Chat ist ja im Endeffekt nur der erste Schritt. Man lernt sich darüber kennen<br />
und kommuniziert auch darüber, nur: Dann führt es normalerweise unweigerlich<br />
auch zu Telefonaten. Weil man möchte ja wissen, mit wem hat man’s zu tun? (...) Der<br />
andere gegenüber kann einem ja alles erzählen, man möchte ja irgendwo auch Sicherheit<br />
für das Bild, was man sich gerade über diese Person gemacht hat. (...), dass<br />
man merkt, Mensch, ist der Typ wirklich so am anderen Ende oder halt nicht. Und<br />
solche Sachen wie Verstellen fliegen normalerweise sehr schnell auf.“<br />
6. Schlussbetrachtung<br />
Es hat sich gezeigt, dass unser Ansatz, Chatten aus der Perspektive der Normalität zu<br />
untersuchen, fruchtbar war. Die konsequente Unterscheidung zwischen Identität und<br />
Selbstdarstellung hat deutlich gemacht, dass viele Chatter eine authentische Selbstdarstellung<br />
auch dann pflegen, wenn sie bei einzelnen Identitätsmerkmalen die Unwahrheit<br />
sagen. Dies dient, so unser Ergebnis, weniger dazu, die eigene Identität zu verlassen und<br />
in andere Identitäten zu schlüpfen, sondern es hat vielmehr beziehungs- und kommunikationstaktische<br />
Gründe. In dem von uns untersuchten Chat-Forum ist die Mehrzahl<br />
der Beteiligten daran interessiert, durch das Chatten Beziehungen aufzubauen, und ein<br />
gewisser Teil der Befragten hat ein großes Interesse daran, diese Beziehungen sogar in<br />
das normale Alltagsleben zu integrieren (vgl. ähnlich auch Husmann 1998: 75). Für einen<br />
erheblichen Teil der Teilnehmer und Teilnehmerinnen am Chat ist das Anlass genug,<br />
sich „objektiv“ authentisch zu geben, d. h. bei der Selbstdarstellung nicht zu<br />
schummeln. Bei einem anderen Teil der Befragten dient das (gelegentliche) Vorspiegeln<br />
falscher Identitätsmerkmale offenbar dazu, ihre Kontaktchancen zu erhöhen, die sie<br />
mitunter im Alltagsleben als defizitär erleben. Aber auch diese „Quasi“-Authentischen<br />
erleben sich subjektiv durchaus als authentisch, die „kleinen“ Täuschungen werden<br />
kaum als solche wahrgenommen. Allerdings konzentrieren sich ihre Bemühungen stärker<br />
als bei den „Objektiv“-Authentischen auf die virtuellen Beziehungen.<br />
Weitet man die Perspektive etwas aus, so findet sich eine Reihe weiterer Studien mit<br />
analogen Befunden: Zu nennen ist beispielsweise eine Untersuchung zur Selbstdarstellung<br />
auf persönlichen Webpages (vgl. Wynn/Katz 1997), eine ethnographische Analyse<br />
von Gesprächen mit Freunden vor dem Bildschirm beim Chatten (vgl. Klemm/Graner<br />
2000), eine Beobachtungs- und Befragungsstudie zur Identitätskonstruktion in MUDs<br />
(vgl. Götzenbrucker 2001) sowie eine Inhaltsanalyse zur Verwendung von Nicknames<br />
(vgl. Bechar-Israeli 1996). Alles in allem zeichnet sich eine kumulative Evidenz quantitativer<br />
und qualitativer Befunde ab, die in ihrer Gesamtheit klar gegen eine von der realen<br />
Alltagskommunikation und ihren sozialen Rahmungen völlig losgelöste, „virtuelle“<br />
Kommunikation in elektronischen Diskussionsforen spricht.<br />
354
Scherer / Wirth · Identität und Selbstdarstellung<br />
Unsere Ergebnisse können nur ein erster Schritt sein. Aufgrund des gegebenen Datenmaterials<br />
mussten die analytischen Gruppen mit unterschiedlichen Selbstdarstellungsstrategien<br />
etwas holzschnittartig ausfallen. Anzumerken ist natürlich auch, dass<br />
weder die qualitative Leitfadenstudie noch die aufgrund von Selbstselektivitätseffekten<br />
vermutlich verzerrte quantitative Teilstudie Repräsentativität beanspruchen kann.<br />
Dennoch lassen sich unseres Erachtens aus diesen Ergebnissen einige weiterführende<br />
Überlegungen entwickeln, die freilich über den Fokus dieser Studie hinausgehen und daher<br />
nur hypothetischen bzw. spekulativen Charakter haben können. Sie zeigen jedoch<br />
programmatisch Wege für die künftige Chat-Forschung auf.<br />
<strong>Medien</strong>wirkungstheoretisch erhebt sich die Frage, inwieweit die Art und Weise, wie<br />
ein Chat-Forum aufgebaut und organisiert wird, den Umgang der Chatter mit dem Medium<br />
Chat beeinflussen kann. Es erscheint plausibel, die hohe Beziehungsorientierung,<br />
die wir gefunden haben, (auch) auf die Gestaltung des von uns untersuchten Chat-Forums<br />
zurückzuführen. Die Infrastruktur und die Topologie des Chat-Forums waren<br />
weitgehend analog zu „Real-life“-Habitaten angelegt: Wohnungen, feste Adressen,<br />
Briefkästen, urbane Treffpunkte sorgten womöglich nicht nur für eine konstante, sondern<br />
auch für eine authentische Selbstdarstellung seitens der Bewohner. Die Ergebnisse,<br />
die eine hohe Bindung gerade der Chatter mit einer „objektiv“-authentischen Selbstdarstellung<br />
für dieses Chat-Forum zeigen, sind ein Hinweis in diese Richtung. Die Spezifität<br />
des Chat-Forums setzt also vermutlich einen Rahmen für das Verhalten seiner<br />
Nutzer. Der Chatter kann und muss diesen Rahmen ausdeuten, er ist aber dabei möglicherweise<br />
weniger frei und ungebunden als bislang angenommen (vgl. Höflich/Gebhardt<br />
2001). Der Rahmen ist nicht völlig frei zwischen den Chattern verhandelbar. Andererseits<br />
ist die Charakteristik der Einwohnerschaft von ffn funcity auch auf Selbstselektionseinflüsse<br />
zurückzuführen. Wer ein Chat-Habitat mit den beschriebenen<br />
Merkmalen nicht schätzt, wird kaum zu den Dauerbewohnern gehören. Zudem gestalten<br />
die Chatter ihr Chat-Forum und seine Regeln bis zu einem gewissen Grad selbst (vgl.<br />
dazu auch Thimm/Ehmer 2000, 239). Aus theoretischer Sicht verweist dies auf das dynamisch-transaktionale<br />
Wirkungsmodell (vgl. z. B. Früh 1991), bei dem der wirkungsrelevante<br />
mediale Stimulus erst durch das Zusammenspiel von medialen Potenzialen und<br />
Nutzerhandlungen konstruiert wird.<br />
Aus medientheoretischer Perspektive sollte die künftige Chat-Forschung also stärker<br />
als bislang die Gestaltung und die Architektur der untersuchten Chat-Foren berücksichtigen.<br />
Weitgehend unbemerkt von der Forschung hat längst eine umfassende Ausdifferenzierung<br />
der Chat-Foren begonnen. Es ist leicht vorstellbar, dass Studien über<br />
z. B. ausschließlich textliche Themen-Chats einerseits und solche über Chats in multimedialen,<br />
virtuellen Städten andererseits zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen<br />
führen. Anzuregen wäre in diesem Zusammenhang eine grundlegende Inventarisierung<br />
und Typologisierung aktueller Chat-Foren, die zum Beispiel auf einer Methodenkombination<br />
aus Inhaltsanalyse (für die Gestaltung der Foren) und Beobachtung (für die<br />
Handlungsformen der Nutzer) beruhen könnten.<br />
Die dritte weiterführende Überlegung betrifft einen diffusionstheoretischen Aspekt:<br />
Die starke Betonung von zum Teil extremen Identitätsspielen, die wir in der frühen Literatur<br />
zum Chatten finden, dürfte wohl vor allem auf die Spezifik der untersuchten<br />
Chatter-Populationen zurückzuführen sein. Chat-Foren als Medium standen damals<br />
am Anfang ihres Diffusionsprozesses (vgl. zum Diffusionsprozess z. B. Rogers 1995).<br />
Bei den untersuchten Chattern dürfte es sich vermutlich in erster Linie um Innovatoren<br />
gehandelt haben. Diese Gruppe unterscheidet sich in der Regel markant von den anderen<br />
Gruppen, die erst im späteren Verlauf des Diffusionsprozesses eine Innovation über-<br />
355
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
nehmen. Dies gilt vor allem für ihr Verhältnis zur Innovation. Dieses ist selbstzweckhaft<br />
und nicht zielgerichtet. Es geht ihnen also in der Regel darum, mit der Innovation<br />
umzugehen und nicht so sehr darum, mit dieser Innovation irgendwelche Alltagsprobleme<br />
zu lösen. Inzwischen haben wir aber sicherlich in Bezug auf das Chatten diese erste<br />
Phase der Diffusion weit hinter uns gelassen. Die Chatter, die wir jetzt analysieren,<br />
zählen in großer Zahl zu den early adopters oder der early majority, wenn nicht gar der<br />
Diffusionsprozess zumindest bei den Teenagern schon weiter fortgeschritten ist. Diese<br />
Gruppen erliegen aber bei weitem nicht mehr so der Faszination der Innovation, wie<br />
dies für die Innovatoren gilt. Ihr Umgang mit dem Medium ist gelassener und pragmatischer.<br />
Wenn wir auf der einen Seite sagen, dass Chatter heute keine Innovatoren mehr sind,<br />
so müssen wir auch auf der anderen Seite feststellen, dass für die meisten Chatter das<br />
Chatten keine Innovation mehr darstellt. Die Mehrzahl der von uns untersuchten Chatter<br />
bewegt sich schon relativ lange in Chat-Räumen. Der Durchschnittswert liegt bei<br />
etwa eindreiviertel Jahren. Diese Personen haben vermutlich in der Regel die Phase<br />
überwunden, in der sie mit dem neuen Medium spielerisch umgehen. Sie haben es geprüft<br />
und für tauglich befunden, bestimmte Alltagsprobleme zu lösen. Chatten ist für<br />
diese Personen nicht mehr ungewöhnlicher als etwa Telefonieren, und es wird, genauso<br />
wie andere <strong>Medien</strong>, eingesetzt, um kommunikative Probleme und Beziehungsfragen zu<br />
lösen.<br />
Wie gesagt handelt es sich bei diesen Überlegungen nur um Hypothesen, die in künftigen<br />
Studien erst noch geprüft werden müssen. Auch auf der Ebene der Selbstdarstellungsstrategien<br />
muss empirisch wie theoretisch weiter gearbeitet werden. So bleibt beispielsweise<br />
noch zu klären, in welcher Hinsicht sich die Minderheit der nicht-authentischen<br />
Selbstdarsteller (deren Verhalten in diesem Artikel nicht weiter verfolgt wurde)<br />
von der Mehrheit abhebt und welche Theorien ihren Handlungen zugrunde gelegt werden<br />
können. Die vorliegenden Ergebnisse sollten aber deutlich gemacht haben, dass sich<br />
das Konzept der unterschiedlichen authentischen Selbstdarstellung als fruchtbar erweist,<br />
um zu einer etwas realistischeren Betrachtung zum Wesen der Chat-Kommunikation<br />
vorzudringen.<br />
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358
„Informational Utility“<br />
Einfluss von Nützlichkeit auf selektive Zuwendung zu negativen und positiven Online-<br />
Nachrichten<br />
Silvia Knobloch / Grit Patzig / Matthias Hastall<br />
Gemäß dem „Informational Utility“-Modell kann die „Nützlichkeit“ von Nachrichten<br />
durch drei Subdimensionen konzeptualisiert werden: Das wahrgenommene Ausmaß der<br />
Konsequenzen (Magnitude), die Wahrscheinlichkeit der Betroffenheit (Likelihood) und<br />
die zeitliche Nähe der Ereignisse (Immediacy). Diese Aspekte von Nützlichkeit beeinflussen<br />
die Rezeption von Nachrichten, die umso umfassender genutzt werden, je stärker<br />
die Dimensionen ausgeprägt sind. Da sie überdies die Rezeption sowohl positiver als auch<br />
negativer Nachrichten (zu Chancen bzw. Gefahren) beeinflussen sollten, wurden zu diesen<br />
drei Dimensionen jeweils zwei Hypothesen formuliert. In zwei Feldexperimenten zu<br />
positiven und negativen Online-Nachrichten lasen Gymnasiasten (n = 137) fiktive Online-Schülerzeitungen,<br />
deren Artikel hinsichtlich der Informational-Utility-Dimensionen<br />
variierten. Die Zuwendung zu einzelnen Artikeln wurde per Software aufgezeichnet.<br />
Abschließend beantworteten die Probanden einen Fragebogen. Vier der sechs Hypothesen<br />
konnten bestätigt werden. Likelihood und Immediacy wirkten auf die Nutzung<br />
positiver Nachrichten in signifikantem Maße, und die Rezeption von negativen Berichten<br />
wurde durch Magnitude und Immediacy nachweisbar beeinflusst.<br />
Keywords: Informational Utility, Nützlichkeit, selektive Zuwendung, Nachrichten<br />
0. Problemstellung<br />
Selektivität ist ein Schlüsselkonzept der <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> (Eilders, 1999),<br />
denn ohne Zuwendung seitens des Publikums können <strong>Medien</strong> keinerlei Wirkungen entfalten.<br />
Dabei ist Zuwendung zu <strong>Medien</strong> stets selektiv, die „captive audience“-Situation<br />
dagegen eine seltene Ausnahme. Aber Untersuchungen, die sich konkret mit selektiver<br />
Zuwendung befasst haben, sind angesichts der Wichtigkeit von Selektivität bisher rar.<br />
Hier soll speziell selektive Nutzung von Informationsangeboten in den <strong>Medien</strong> – in Abgrenzung<br />
von Unterhaltungssparten – diskutiert werden. In der <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />
wird Information häufig als Gegensatz zu Unterhaltung betrachtet (Schmid &<br />
Wünsch, 2001). Im Allgemeinen sollte Nützlichkeit für die Selektion von so genannten<br />
informativen Inhalten der zentrale Einflussfaktor sein, aber zweitrangig für die Auswahl<br />
von Unterhaltungsangeboten. Im Gegensatz dazu richtet sich die Auswahl innerhalb<br />
von Unterhaltung nach hedonistischen Zielen, wobei Nützlichkeit eher unbedeutend ist<br />
(Postman, 1985; Zillmann, 2000).<br />
Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, hat sich die <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />
bisher vor allem mit der Vermeidung von Information durch das Publikum<br />
auseinandergesetzt und die Hinwendung zu Information eher vernachlässigt. Nach einem<br />
Überblick über vorliegende theoretische Perspektiven zu Informationsselektion<br />
durch Rezipienten wird hier mit Informational Utility ein neuer Ansatz vorgestellt und<br />
empirisch überprüft. Darin wird anstelle des bisher geradezu überstrapazierten vagen<br />
Konzepts ‚Interesse’ das Konstrukt Informational Utility (Nützlichkeit) herangezogen<br />
und auf drei Subdimensionen konkretisiert.<br />
359
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
1. Theoretische Perspektiven zur Informationsselektion durch das Publikum<br />
1.1 Große Forschungsfelder<br />
Die Forschung hat bisher selektive Nutzung von Information im Sinne einer Zuwendung<br />
zugunsten von Informationsvermeidung vernachlässigt. Auch wenn auf konkret<br />
methodischer Ebene Zuwendung und Vermeidung komplementär sind (Zuwendung zu<br />
manchen Inhalten geht stets auf Kosten der Zuwendung zu anderen Inhalten, die dann<br />
„vermieden“ werden), hat bisherige Forschung die Vermeidung akzentuiert. Für Ansätze<br />
wie die Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957) und die Wissensklufthypothese<br />
(Tichenor et al., 1970) war „Informationsabstinenz“ (bzw. -defizite) der Ausgangspunkt,<br />
obwohl beide Forschungsfelder auch Motivationen der Zuwendung zu Information<br />
zumindest berührten: Studien zur kognitiven Dissonanz von Canon (1964)<br />
und Freedman (1965) zeigten, dass die Nützlichkeit von Information die Motivation,<br />
dissonante (einstellungskonträre) Informationen zu vermeiden, in ihrem Einfluss auf<br />
selektive Zuwendung überdeckte. Beispielsweise wurde den Teilnehmern in Canons<br />
Experiment vor der Informationsdarbietung mitgeteilt, dass sie nach dem Lesen dieser<br />
Informationen ihren Standpunkt zum selben Thema in einer kontroversen Diskussion<br />
verteidigen oder aber dass sie ihre Ansicht schlicht referieren sollten. Weil es für die erste<br />
Aufgabe nützlicher war, aus dissonanten Informationsangeboten Argumente gegen<br />
die eigene Meinung zu kennen, wurden diese von den Teilnehmern in dieser experimentellen<br />
Bedingung stärker genutzt. Dagegen bevorzugten Personen, die ihren eigenen<br />
Standpunkt nur darlegen sollten, eher Inhalte, die ihrer Meinung entsprachen.<br />
Ähnlich wie bei der Theorie zur kognitiven Dissonanz stand innerhalb der Wissenskluftforschung<br />
das Problem nicht oder unzureichend genutzter Informationsangebote<br />
im Mittelpunkt. Dennoch wurde auch die Hinwendung zu Informationen im Rahmen<br />
dieses Forschungszweiges untersucht: Mehrere Studien zeigten, dass Interesse an einem<br />
bestimmten Themengebiet die selektive Zuwendung zu entsprechenden Informationen<br />
begünstigt (Chew & Palmer, 1994; Ettema et al., 1983; Ettema & Kline, 1977; Genova &<br />
Greenberg, 1979; Lovrich & Pierce, 1984; Star & Hughes, 1950; Viswanath et al., 1993).<br />
Daraus wurde gefolgert, dass sich die Wissenskluft verstärkt, wenn ein Interessenunterschied<br />
zwischen verschiedenen Bevölkerungsteilen besteht. Andererseits wird sich die<br />
Wissenskluft verringern oder konstant bleiben, wenn das Interesse zwischen den verschiedenen<br />
Segmenten der Bevölkerung ausgeglichen ist (Ettema & Kline, 1977; Ettema<br />
et al., 1983). Um Interesse bzw. die Motivation zur Informationsaufnahme zu beschreiben,<br />
wurden die Begriffe „salience, functionality, concern, interest sowie involvement“<br />
(Viswanath et al., 1993: 548–549) in einem Atemzug genannt. Weitere verwandte Begriffe,<br />
die innerhalb der Wissenskluftforschung verwendet wurden, waren Relevanz,<br />
Nützlichkeit, Wichtigkeit und Partizipation (Viswanath & Finnegan, 1996), außerdem<br />
Informationsbedürfnis (Kwak, 1999).<br />
Schließlich sind innerhalb des Uses-and-Gratifications-Ansatzes die Motivationen<br />
der <strong>Medien</strong>nutzung von zentraler Bedeutung (Rosengren et al., 1985). Insbesondere inhaltsbezogene<br />
Gratifikationen, die als „Orientierung“ oder „Surveillance“ (Wenner,<br />
1985) bezeichnet wurden, stehen in Bezug zur Zuwendung zu Informationsangeboten.<br />
Aber die Definition von „Surveillance“ ist ebenfalls beeinträchtigt durch<br />
360<br />
„inconsistencies and troublesome ambiguities due to a lack of specificity in its operationalization.<br />
[...] operationalizations of surveillance often only begin to<br />
scratch the surface of the news consumer’s underlying needs for news, tapping in-
Knobloch / Patzig / Hastall · „Informational Utility“<br />
stead a vague and socially acceptable notion of how news should be used. Many of<br />
the varied definitions of surveillance fail to get at the heart of the matter“ (Wenner,<br />
1985: 177).<br />
Dieser kurze Überblick führt zu der Schlussfolgerung, dass – abgesehen von Festingers<br />
These, dass konsonante Information zum Zweck der Dissonanzreduktion präferiert<br />
werden — die eigentlichen Ursachen der Zuwendung zu Informationen in <strong>Medien</strong> bisher<br />
kaum expliziert worden sind. Eine große Vielfalt von Operationalisierungen auf<br />
kognitiver, affektiver und konativer Ebene (Selbstberichte) wurden herangezogen, um<br />
die Motivation der Informationszuwendung zu messen. Die Wichtigkeit von Interesse<br />
für die Informationsaufnahme (im Sinne von erinnern und wiedergeben können) ist bereits<br />
empirisch belegt worden und sollte auch für die selektive Zuwendung zu Information<br />
bedeutsam sein. Allerdings blieben Interesse als Konstrukt sowie die Ursprünge<br />
von geringem oder hohem „Interesse“ an bestimmten Inhalten völlig unklar. Darüber<br />
hinaus besteht die Gefahr der zirkulären Argumentation – Rezipienten, die sich einer<br />
Kampagne mehr zugewandt haben, müssen „interessierter“ an diesem Inhalt gewesen<br />
sein. Die dargestellten großen Forschungszweige liefern somit nur bedingt Ansatzpunkte<br />
zur Prognose und Erklärung von selektiver Informationsnutzung. Gleichwohl<br />
existieren einige spezifischere Vorschläge zu dieser Fragestellung.<br />
1.2 Spezifische Ansätze<br />
Donohew und Tipton (1973) formulierten ein Modell der Informationssuche, das<br />
zunächst seinen Ursprung in der Theorie der kognitiven Dissonanz hatte. Überdies<br />
berücksichtigt dieses Modell Dogmatismus und Abwechslungssuche als Stile der Informationsverarbeitung.<br />
Dogmatismus betrifft schlicht die Annahme, dass sich Menschen<br />
in ihrer Toleranz von Dissonanz unterscheiden. Abwechslungssuche bezeichnet die individuelle<br />
Regulation der Informationsaufnahme mit dem Ziel, diese innerhalb der<br />
Grenzen von Monotonie und Überlastung zu gestalten (nichtsdestotrotz ist die Operationalisierung<br />
der Autoren eher geeignet, um Neugier als Präferenz für neuartige Informationen<br />
zu messen). Selektive Zuwendung zu <strong>Medien</strong> mit solchen Regulationsabsichten<br />
kann, wie eingangs ausgeführt, als hedonistisch orientierte Tätigkeit (im Sinne von<br />
Mood Management; Zillmann, 1988) betrachtet werden und ist damit der Unterhaltungs-<br />
statt der Informationsnutzung zuzuordnen. Mit Hilfe der These zur Abwechslungssuche<br />
kann ggf. prognostiziert werden, wie umfangreich Informationsangebote genutzt<br />
werden. Aber welche Angebote ausgewählt werden, kann mit Abwechslungssuche<br />
nicht ohne weiteres erklärt werden. Somit erweiterten Donohew und Tipton die situationsbezogene<br />
Theorie zur kognitiven Dissonanz mit dem Dogmatismus-Konzept um<br />
einen persönlichkeitsorientierten Aspekt, lieferten aber keine neuen Hinweise zu Ursachen<br />
von selektiver Informationsnutzung.<br />
Chaffee und McLeod (1968, 1973) schlugen ein Koorientationsmodell der Informationssuche<br />
vor. Danach kann Informationsnutzung durch „social (specifically, communicatory)<br />
utility“ (Chaffee & McLeod, 1973: 243) motiviert sein, so dass individuelle<br />
Problemlösung wie „to resolve internal problems such as reaching a voting decision or<br />
reducing cognitive dissonance“ (ebd.) als Motivation in diesen Fällen zweitrangig sein<br />
sollte. In ihrer empirischen Untersuchung war „social utility“ eine wichtige Determinante<br />
für die Auswahl von Informationen, hier gemessen durch Bestellungen von Wahlkampfbroschüren.<br />
Soziale Nützlichkeit wurde operationalisiert durch Fragen nach<br />
früherer bzw. wahrscheinlicher zukünftiger Teilnahme an Diskussionen über die Wahl<br />
361
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
sowie durch eigenes Interesse an der Wahl im Vergleich zum Interesse von Freunden<br />
(zur Verwendung medialer Information in interpersonaler Kommunikation: vgl. Kepplinger<br />
& Martin, 1986).<br />
Einen weiteren Ansatz zur Erklärung selektiver Informationszuwendung stellt die<br />
Übertragung von Nachrichtenfaktoren als journalistischen Auswahlkriterien auf die<br />
Rezipienten dar (Donsbach, 1991; Eilders, 1997). In einer Feldstudie stellte Donsbach<br />
fest, dass einige Nachrichtenfaktoren die Zuwendungen zu Informationen erhöhten, obwohl<br />
Aspekte der formalen Gestaltung einen noch stärkeren Einfluss hatten. Hierbei<br />
operationalisierte er die Zuwendung durch Copy-Tests. Eilders (1997) kam durch Tagebücher<br />
der <strong>Medien</strong>nutzung und Erinnerung der dargebotenen Artikel zum selben Ergebnis.<br />
Eilders und Wirth (1999) führten ein Experiment durch, um Konfundierung<br />
zwischen formaler Präsentation und Nachrichtenfaktoren zu vermeiden, und stellten<br />
darin fest, dass Prominenz, Personalisierung und Überraschung als Nachrichtenfaktoren<br />
selektive Erinnerungen fördern. Sie folgerten, dass die journalistischen Auswahlkriterien<br />
ebenfalls vom Publikum verwendet werden. Innerhalb dieses Ansatzes werden<br />
praktisch keine Differenzierungen vorgeschlagen, so dass alle Personen gleichermaßen<br />
Berichte für die Rezeption in Abhängigkeit von den damit verbundenen Nachrichtenfaktoren<br />
in den <strong>Medien</strong> auswählen sollten 1 . Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass bei<br />
individueller Auswahl große Varianz in Abhängigkeit vom so genannten „Interesse“ am<br />
Thema vorherrscht. Zu dieser individuellen Informationsselektion gibt der Nachrichtenfaktoren-Ansatz<br />
keine Anhaltspunkte zur Vorhersage oder Erklärung.<br />
Die detaillierteste Theorie zur Nützlichkeit von Nachrichten und ihren Wirkungen<br />
auf die Informationssuche wurde von Atkin (1973, 1985) unterbreitet und wird als<br />
Grundlage für unsere weitere Explikation der selektiven Zuwendung zu Information<br />
und den determinierenden Faktoren dienen. Atkin setzte seinen Schwerpunkt auf Information<br />
und schloss aus seinen Betrachtungen die Suche nach Unterhaltung oder Vergnügen<br />
dezidiert aus. Sein Ansatz deckt sowohl individuelle als auch soziale Faktoren<br />
im Sinne von Chaffee und McLeod (1973) ab. Atkin unterschied zwei Formen der Informationszuwendung,<br />
„information receptivity“ und „information search“. Ersteres<br />
bezieht sich auf routinemäßiges Scannen von Informationsangeboten, letzteres auf absichtsvolles<br />
Suchverhalten in Reaktion auf eine explizite Frage zu einem Thema wie bei<br />
einer Recherche (Huang, 2000; Rimal et al., 1999; Marchionini, 1997) oder beim gezielten<br />
Zugriff auf <strong>Medien</strong>informationen zu Börsenkursen oder Wettervorhersagen.<br />
Die Nützlichkeit einer Nachricht kann nach Atkin wie folgt beschrieben werden: „A<br />
message has instrumental utility for the receiver when it provides him with a helpful<br />
input for responding to everyday environmental stimuli or for defending personal predispositions.<br />
He may need information to keep abreast of governmental actions, to guide<br />
his consumer decision-making, or to reinforce his political preferences“ (Atkin, 1973:<br />
205; er verwendete die Begriffe „Instrumental Utility“ und „Informational Utility“ synonym).<br />
Von dieser extrinsisch motivierten Form der Selektion, die auf längerfristigen<br />
Nutzen zielt, grenzte er die „non-instrumental considerations“ ab, die intrinsische Selektionsmotive<br />
zur kurzfristigen Befriedigung aktueller Erlebensbedürfnisse darstellen<br />
(Atkin, 1973: 205) und eher Unterhaltungsmotive betreffen.<br />
Information dient der Aufhebung von Unsicherheiten. Eine Unsicherheit besteht im<br />
Fehlen von Wissen und, auf einer komplexeren Ebene, im Fehlen von Wissen, das<br />
1 Eine Ausnahme bildet die Einbeziehung einiger Rezipientenmerkmale bei Eilders (1997,<br />
S. 166f.), die aber nur geringen Einfluss zeigten (ebd., S. 258).<br />
362
Knobloch / Patzig / Hastall · „Informational Utility“<br />
benötigt wird, um eine Einstellung zu bilden oder konkretes Verhalten auszuführen. In<br />
diesem Sinne reduziert Information nicht immer Unsicherheit, weil sie auch die Schwierigkeit<br />
der Einstellungsbildung erhöhen kann. Atkin definierte Information schlicht als<br />
etwas, was die Empfänger noch nicht wissen (ebenso Chaffee & McLeod, 1973). Indessen<br />
könnte eine große Vielzahl von Unsicherheiten wahrgenommen werden. Allerdings<br />
sind für das Individuum diejenigen Unsicherheiten relevant, die sich auf die unmittelbare<br />
Umgebung und tatsächlich stellende Probleme beziehen, so genannte extrinsische<br />
Unsicherheiten in Atkins Nomenklatur. Diese Adaptationsanforderungen dienen als<br />
Kriterium, um diejenigen Unsicherheiten abzugrenzen, deren Aufhebung durch Informationszuwendung<br />
angestrebt wird.<br />
Das generelle Bedürfnis nach Information, um extrinsische Unsicherheiten zu reduzieren,<br />
kann weiterhin eingeteilt werden in a) kognitive, b) affektive, c) konative und<br />
d) stabilisierende Adaptationen. Atkin schlägt damit eine Unterscheidung in Überblick,<br />
Orientierung, Kompetenz und Bestätigung als verschiedene Informationsbedürfnisse<br />
vor. Wir werden uns hier auf das Bedürfnis nach Überblicksinformationen, die für kognitive<br />
Adaptationen nötig sind, konzentrieren. „Basically, the individual desires to formulate<br />
precise cognitive orientations toward those stimuli that potentially or currently<br />
impinge on his well-being. […] [The individual] maintains surveillance over potential<br />
changes that may require adaptive adjustments, monitoring threats or opportunities and<br />
forming cognitive orientations such as comprehension, expectations, and beliefs“<br />
(Atkin, 1973: 208/211–213).<br />
Insbesondere dieser Bereich von Atkins Ansatz erinnert an die psychologische Vigilanzforschung<br />
(im Überblick: Krohne, 1993), die das Motiv der Überwachung der Umgebung<br />
in den Mittelpunkt stellt. In diesem Kontext wurde festgestellt, dass negative Information<br />
eher Aufmerksamkeit erzeugen als positive (Pratto & John, 1991). Mit dem<br />
Überwachungsmotiv wurde auch die immer wieder festgestellte Präferenz für negative<br />
Nachrichten begründet (z. B. Shoemaker, 1996). Die Valenz von Informationen wird im<br />
Zusammenhang mit der Handlungsorientierung der Empfänger weiterhin diskutiert<br />
(Wentura et al., 2000; Rothermund et al., 2001). Auch Atkin thematisierte sowohl negative<br />
als auch positive Inhalte („threats and opportunities“, s. o.), die beide nützlich sein<br />
können und somit in einem Informational-Utility-Modell zu berücksichtigen sind.<br />
Nach Atkins Modell wählt das Individuum Botschaften aus, wenn es deren Wert<br />
höher einschätzt als den Aufwand, der mit dem Erhalt der Botschaft verbunden ist (vgl.<br />
auch Jäckel, 1992, zu <strong>Medien</strong>auswahl als Kosten-Nutzen-Optimierung). Instrumentelle<br />
Nützlichkeit ist eine wesentliche Komponente des Wertes einer Botschaft. Die subjektive<br />
Bewertung von Themenwichtigkeit ist folglich zentral für die damit assoziierte<br />
Nützlichkeit der Information. Umgekehrt beeinflusst die Nützlichkeit die Auswahl<br />
der Botschaft. Dennoch ist nach wie vor die essenzielle Frage, was genau einem Thema<br />
subjektive Wichtigkeit verleiht. Atkin hat keine empirische Forschung zur Überprüfung<br />
seines Ansatzes durchgeführt, sondern ausschließlich bereits vorhandene Selektionsstudien<br />
unter diesem speziellen Blickwinkel neu ausgewertet. „In seiner vorliegenden<br />
Form kommt Atkins Ansatz allerdings nicht über ein Denkmodell hinaus.“ (Donsbach,<br />
1991: 97).<br />
1.3 Weiterentwicklung und theoretische Einbettung des Informational-Utility-Modells<br />
Genauere Vorhersagen zu diesem Aspekt können von einer detaillierteren Konzeptualisierung<br />
von Informational Utility abgeleitet werden (Knobloch et al., 2002). Ihr zufolge<br />
sind solche Informationen „nützlich“, die mit aktuellen und zukünftigen Konfronta-<br />
363
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
tionen eines Individuums mit Gefahren oder Chancen in Bezug stehen. Dabei variiert<br />
der Grad der Nützlichkeit a) mit dem wahrgenommenen Ausmaß der Konsequenzen<br />
(Magnitude), b) mit der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit der Betroffenheit (Likelihood)<br />
und c) mit der wahrgenommenen zeitlichen Nähe (Immediacy). Der Einfluss<br />
dieser Dimensionen ist begründet in sich daraus ergebender Handlungsrelevanz. Es ist<br />
umso wichtiger, sich auf Ereignisse einzustellen, wenn diese mit umfangreichen Konsequenzen<br />
verbunden sind, man vermutlich selbst betroffen sein wird und eigene Handlungen<br />
bald ausgeführt werden müssen. Je höher der Grad von Informational Utility auf<br />
diesen drei Dimensionen ist, desto wahrscheinlicher und desto umfassender erfolgt die<br />
selektive Zuwendung zu einer Nachricht mit diesem Thema. Weiterhin gelten diese<br />
Nützlichkeitsdimensionen gemäß dem neu formulierten „Informational Utility“-Ansatz<br />
sowohl für positive als auch für negative Nachrichten zu Chancen bzw. Gefahren.<br />
Im Gegensatz zu anderen Modellen zur Erklärung von selektiver Informationsnutzung<br />
greift der Informational-Utility-Ansatz nicht auf das Konstrukt „Interesse“<br />
zurück, weil es zwar schillernd, aber auch polyvalent und äußerst uneindeutig ist. Der<br />
Begriff „Interesse“ wird in verschiedensten Kontexten verwendet, ohne ihn jedoch inhaltlich<br />
zu definieren. Es finden sich praktisch ausschließlich operationale Definitionen,<br />
indem in Befragungen wortwörtlich der Grad des „Interesses“ durch Selbstauskunft erhoben<br />
wird (s. o.). Im Informational-Utility-Ansatz wird stattdessen eine Beziehung<br />
zwischen der Nützlichkeit — konkretisiert durch Differenzierung in Subdimensionen<br />
— von Inhalten und der selektiven Zuwendung zu diesen Inhalten postuliert.<br />
Darin unterscheidet sich der Informational-Utility-Ansatz von Konzeptualisierungen<br />
aus dem Bereich des Uses-and-Gratifications-Ansatzes. Levy und Windahl (1985)<br />
verwendeten zwar die beiden Begriffe Selektivität und Nützlichkeit („selectivity“ und<br />
„utility“) und bezogen sich bei letzterem sogar explizit auf die Publikation von Atkin<br />
aus dem Jahr 1973. Sie verstanden darunter zwei verschiedene Arten von Publikumsaktivitäten,<br />
die vor, während oder nach der <strong>Medien</strong>nutzung zu Gratifikationen führen<br />
können. Aus ihrer Typologie von Publikumsaktivitäten lassen sich jedoch keine unmittelbaren<br />
Zusammenhänge zwischen diesen Konzepten ableiten. Allerdings sahen Levy<br />
und Windahl Aufgaben von zukünftiger Forschung darin, die Zusammenhänge auf<br />
theoretischer und empirischer Basis zu formulieren. Gewissermaßen kommt die Weiterentwicklung<br />
des Informational-Utility-Ansatzes dieser Forderung nach.<br />
Darüber hinaus wird nach Individuen differenziert, da mit Likelihood auf die persönliche<br />
Wahrscheinlichkeit der Betroffenheit eingegangen wird. Auch die Dimension<br />
Immediacy kann für verschiedene Individuen unterschiedlich ausfallen, weil ein Ereignis<br />
oder eine Entwicklung relevant werden kann je nach individueller Lebensphase und<br />
-planung (z. B. Zeitpunkt des persönlichen Berufseinstiegs vor dem Hintergrund der<br />
Arbeitsmarktentwicklung oder geplanter Urlaub vor dem Hintergrund des Themas<br />
Flugsicherheit).<br />
In diesem Punkt der Differenzierung nach Individuen unterscheidet sich der Informational-Utility-Ansatz<br />
von der Übertragung von Nachrichtenfaktoren auf das Publikum<br />
(s. o.). Nichtsdestotrotz sollen die beiden Ansätze im Folgenden zur Verdeutlichung<br />
vergleichend diskutiert werden (bezugnehmend auf Eilders, 1997, und Eilders &<br />
Wirth, 1999). Die für die Rezeption untersuchten Nachrichtenfaktoren enthalten u. a.<br />
„Reichweite“, die sich auf die allgemeine Betroffenenzahl bezieht, aber nicht auf individuelle<br />
Betroffenheitswahrscheinlichkeit. Der klassische Nachrichtenwert „Nähe“ kann<br />
sich auf individuelle Betroffenheitswahrscheinlichkeit auswirken (z. B. „Grippevirus<br />
grassiert in Norddeutschland“), diese kann aber auch aus Zugehörigkeit zu einer Personengruppe<br />
resultieren (z. B. „Grippevirus besonders gefährlich für Senioren“). Dagegen<br />
364
erscheinen die Nachrichtenwerte „Schaden“ und „Nutzen“ geradezu deckungsgleich<br />
mit der Informational-Utility-Dimension Magnitude in ihrer negativen und positiven<br />
Ausprägung. Weitere für die Rezeption untersuchte Nachrichtenfaktoren wie Faktizität,<br />
Personalisierung oder Etablierung können nicht oder nur bedingt mit den Informational-Utility-Dimensionen<br />
in Verbindung gebracht werden. Insgesamt versammeln<br />
sich unter den Nachrichtenwerten verschiedene allgemein aufmerksamkeitsrelevante<br />
Aspekte, die aber mit den spezifischeren Nützlichkeitsdimensionen kaum überlappen.<br />
1.4 Hypothesen<br />
Zwei Studien mit studentischen Stichproben in den USA bestätigten den Einfluss aller<br />
drei Faktoren auf die Zuwendung (Knobloch et al., in Vorb.), beschränkten sich aber auf<br />
die Untersuchung negativer Nachrichten. Allerdings bezieht sich die neu formulierte Informational-Utility-Theorie<br />
sowohl auf Gefahren als auch auf Chancen bzw. Gelegenheiten.<br />
Mit der vorliegenden Studie wird die Theorie erstmals im deutschen Sprachraum<br />
und erstmals auch für positive Nachrichten anhand folgender Hypothesen geprüft.<br />
H1: Je umfangreicher die negativen Folgen eines in einer Schlagzeile genannten Ereignisses<br />
wahrgenommen werden, desto länger nutzen Personen die zugehörige Nachricht.<br />
H2: Je wahrscheinlicher die persönliche negative Betroffenheit durch ein in einer Schlagzeile<br />
genanntes Ereignis wahrgenommen wird, desto länger nutzen Personen die<br />
zugehörige Nachricht.<br />
H3: Je kurzfristiger negative Folgen durch ein in einer Schlagzeile genanntes Ereignis erwartet<br />
werden, desto länger nutzen Personen die zugehörige Nachricht.<br />
H4: Je umfangreicher die positiven Folgen eines in einer Schlagzeile genannten Ereignisses<br />
wahrgenommen werden, desto länger nutzen Personen die zugehörige Nachricht.<br />
H5: Je wahrscheinlicher die persönliche positive Betroffenheit durch ein in einer Schlagzeile<br />
genanntes Ereignis wahrgenommen wird, desto länger nutzen Personen die<br />
zugehörige Nachricht.<br />
H6: Je kurzfristiger positive Folgen durch ein in einer Schlagzeile genanntes Ereignis erwartet<br />
werden, desto länger nutzen Personen die zugehörige Nachricht.<br />
2. Methode<br />
Knobloch / Patzig / Hastall · „Informational Utility“<br />
2.1 Überblick<br />
In zwei Feldexperimenten wurden 137 Schüler gebeten, fiktive Online-Schülerzeitungen<br />
anzusehen. In einem computergestützten (Offline-)Experiment wurden in der Zeitung<br />
ausschließlich positive Berichte dargeboten, in einem zweiten, web-basierten Experiment<br />
wurden negative Artikel2 thematisiert. Die Schülerzeitungen enthielten jeweils<br />
drei in Bezug auf die Informational-Utility-Dimensionen variierte Artikel und drei konstant<br />
bleibende Berichte. Für jede der drei Dimension wurden die variierten Artikel entweder<br />
in hoher oder niedriger Intensität dargeboten, so dass beide Feldexperimente ein<br />
2x3-Design realisierten. Durch eine Beschränkung der Lesezeit auf drei Minuten wurde<br />
2 Die Studie wurde im Rahmen eines Seminars am Institut für <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> der<br />
TU Dresden durchgeführt.<br />
365
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
eine Selektionssituation hergestellt. Die Zuwendungszeiten für die einzelnen Artikel<br />
wurden per Software aufgezeichnet. Anschließend füllten die Probanden am Bildschirm<br />
einen Fragebogen aus.<br />
2.2 Untersuchungsteilnehmer<br />
Das Experiment zu positiven Nachrichten wurde an einem sächsischen Gymnasium mit<br />
40 Schülerinnen und 39 Schülern im Alter von 16 bis 18 Jahren durchgeführt. Die experimentellen<br />
Bedingungen wurden manuell in der Multimedia-Anwendung an den Computerplätzen,<br />
die den Teilnehmern zufällig zugewiesen wurden, voreingestellt. Die experimentellen<br />
Gruppen umfassten jeweils elf bis 14 Personen.<br />
Am Experiment zu negativen Nachrichten nahmen 22 Schüler und 36 Schülerinnen<br />
im Alter von 17 bis 19 Jahren eines Gymnasiums in Brandenburg teil. Die Zuweisung<br />
zu den experimentellen Bedingungen erfolgte sequenziell durch die WWW-Anwendung<br />
(beim ersten Serverzugriff die erste Bedingung, beim zweiten Serverzugriff die zweite<br />
etc.). Alle experimentellen Gruppen umfassten neun bis zehn Personen.<br />
2.3 Ablauf der Experimente<br />
Das computergestützte Experiment zu positiven Nachrichten am Gymnasium in Dresden<br />
wurde im Rahmen von Informatik-Kursen zu Beginn der Schulstunde im Computerraum<br />
mit zwölf Plätzen durchgeführt. Das web-basierte Experiment zu negativen<br />
Nachrichten wurde im Informatikraum der Brandenburger Schule, ausgestattet mit<br />
15 Computern, durchgeführt. Die Versuchspersonen wurden in Gruppen von sechs bis<br />
13 Schülern aus verschiedenen Kursen zu dem Experiment gebeten. Die Schüler wurden<br />
per Bildschirm wie folgt instruiert: „Im Rahmen eines Seminars an der TU Dresden haben<br />
wir einen Entwurf für eine neue Jugendzeitung angefertigt, und wir möchten Sie bitten,<br />
uns Ihre Meinung und Ihre Einschätzung dazu mitzuteilen. […] Zunächst bekommen<br />
Sie von uns eine Auswahl aus verschiedenen Artikeln, die Sie sich bitte ansehen.<br />
Die vorgesehene Zeit reicht nicht für alle Artikel. Lesen Sie deshalb einfach das, was Sie<br />
am meisten interessiert. Nachdem die Zeit abgelaufen ist, werden wir kurz mit Ihnen<br />
darüber reden.“<br />
2.4 Stimulus-Material<br />
Beide fiktiven Online-Schülerzeitungen wurden in einem Internet-Browserfenster gezeigt.<br />
Auf der Startseite waren die Überschriften sowie der Textanfang von sechs Artikeln<br />
zu sehen. Durch Hyperlinks konnten die Versuchspersonen zu den Artikeln gelangen,<br />
um sie zu lesen. Sie konnten jederzeit auf die Titelseite zurückkehren, um einen<br />
anderen Artikel weiterzulesen. Im Hintergrund wurden die Zeiten aufgezeichnet, die<br />
die Versuchspersonen für die verschiedenen Artikel verwendeten. Nach Ablauf der auf<br />
drei Minuten beschränkten Lesezeit beantworteten die Teilnehmer einen computergestützten<br />
Fragebogen.<br />
Das experimentelle Material für die Untersuchung von positiven und negativen Nachrichten<br />
unterschied sich im Layout und in der technischen Umsetzung. Die positiven<br />
Artikel wurden im fiktiven Schülermagazin „Visor“ dargeboten, das auf gelb-blauem<br />
Hintergrund mit schwarzer Verdana-Schrift und blauen Hyperlinks umgesetzt wurde<br />
(vgl. Abb. 1). Die negativen Berichte wurden in einer Schülerzeitung mit dem Namen<br />
„Strebergarten“ mit weißem Hintergrund, schwarzer Times-Schrift und rot markierten<br />
366
Knobloch / Patzig / Hastall · „Informational Utility“<br />
Abbildung 1:Beispiel für eine Bildschirmseite, Untersuchung zu positiven Nachrichten<br />
(Titelseite, Magnitude in hoher Ausprägung)<br />
Abbildung 2:Beispiel für eine Bildschirmseite, Untersuchung zu negativen Nachrichten<br />
(Titelseite, Magnitude in hoher Ausprägung)<br />
367
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Hyperlinks präsentiert (vgl. Abb. 2). Beim „Strebergarten“ handelte es sich um eine<br />
WWW-Oberfläche 3 , während „Visor“ mit einem Multimedia-Tool programmiert wurde<br />
und auch offline nutzbar war.<br />
2.5 Unabhängige Variablen<br />
Die drei Dimensionen von Informational Utility hatten jeweils zwei Ausprägungen<br />
(hoch/niedrig). Hierzu wurden von Personen mit journalistischer Expertise drei Zeitungsartikel<br />
erarbeitet, die entsprechend der Informational-Utility-Dimensionen und<br />
deren Intensität variiert wurden. Die Themen der Artikel entsprachen der Altersgruppe<br />
der Versuchspersonen. Zur experimentellen Manipulation wurden die Überschriften<br />
variiert (vgl. Tabelle 1) und, soweit erforderlich, Details in den Artikeltexten angepasst.<br />
Zur Herstellung einer Selektionssituation wurden zusätzlich zu den experimentell variierten<br />
Berichten drei weitere, nicht manipulierte Artikel hinzugefügt. Die Zeitvorgabe<br />
von drei Minuten für die Lesedauer wurde so gewählt, dass nicht alle Artikel in dieser<br />
Zeit gelesen werden konnten und deshalb die Versuchspersonen zwischen den angebotenen<br />
<strong>Medien</strong>inhalten selektieren mussten. Damit konnte im Experiment eine angenommene<br />
stärkere Zuwendung zu dem veränderten Material untersucht werden.<br />
Alle Artikel waren so verfasst, dass sie die gleiche Länge hatten und im äußeren Aufbau,<br />
z. B. Stellung und Größe der Überschriften, gleich waren. Die positiven Artikel<br />
umfassten jeweils etwa 180 Wörter, die negativen Berichte waren mit jeweils etwa 150<br />
Wörtern etwas kürzer. Zur Präsentation des Stimulusmaterials wurde eine Schülerzeitungsseite<br />
entworfen, auf der insgesamt sechs Artikel angeordnet waren. Diese Zeitungsseite<br />
setzte sich aus drei jeweils gleich bleibenden und je einem manipulierten Text<br />
pro Thematik zusammen. Bei den variierten Artikeln wurde immer die gleiche Dimension<br />
mit der derselben Ausprägung auf einer Zeitungsseite angeordnet (z. B. nur „Magnitude<br />
– hohe Ausprägung“). Bei der Anordnung wurde durchgängig das gleiche Platzierungsschema<br />
beibehalten. Somit ergaben sich für die Präsentation der Stimuli sechs<br />
verschiedene Zeitungsseiten für die positiven Nachrichten und weitere sechs für die negativen<br />
Berichte, die sich in den Dimensionen und ihren Ausprägungen unterschieden.<br />
2.6 Abhängige Variablen<br />
Bei beiden Feldexperimenten war die per Software gemessene Zuwendungszeit zu den<br />
experimentell variierten Artikeln die zentrale abhängige Variable.<br />
Nach dem Experiment zu positiven Nachrichten bewerteten die Teilnehmer die experimentell<br />
variierten Artikel und einen konstanten Artikel daraufhin, wie „wahrscheinlich“<br />
sie vom in der Überschrift genannten Ereignis betroffen werden, wie „bald“<br />
das Ereignis eintritt, ob es „positive“ bzw. „negative Folgen“ hat und wie „nützlich“ der<br />
Bericht und wie „wichtig“ das Thema des Artikels war. Für jeden bewerteten Bericht<br />
wurden die jeweiligen Überschriften angezeigt. Im Experiment zu negativen Artikeln<br />
stuften die Teilnehmer ein, wie „informativ“, „glaubwürdig“, „wichtig für die Öffentlichkeit“,<br />
„nützlich“ sowie wie „wichtig“ sie die einzelnen Artikel fanden.<br />
3 Das Web-Experiment wurde technisch durch die Unterstützung von Michael Zier ermöglicht.<br />
368
Knobloch / Patzig / Hastall · „Informational Utility“<br />
Tabelle 1: Experimentelle Variation der Artikelüberschriften für die Informational-<br />
Utility-Dimensionen „Magnitude“, „Likelihood“ und „Immediacy“ sowie<br />
deren Intensität<br />
Dimension Ausprägung<br />
Niedrig Hoch<br />
Negative Artikel<br />
Magnitude<br />
Likelihood<br />
Immediacy<br />
Positive Artikel<br />
Magnitude<br />
Likelihood<br />
Immediacy<br />
• Schüler-Demos: Teilnehmern droht<br />
Brief an die Eltern<br />
• Grippewelle sorgt für Kopfschmerzen<br />
und Husten<br />
• Dreiste Raubüberfälle auf Passanten<br />
• Schüler-Demos: Teilnehmern drohen<br />
Sanktionen in Süddeutschland<br />
• Grippewelle: Schulen in Baden-<br />
Württemberg und Bayern müssen<br />
schließen<br />
• Raubüberfälle auf ältere Personen<br />
• Schüler-Demos: Teilnehmern drohen<br />
Sanktionen ab Schuljahr 2004<br />
• Grippewelle: Langsame Ausbreitung<br />
• Raubüberfälle auf Passanten mit<br />
steigender Tendenz<br />
• Marktplatz für Jugendreisen im Internet<br />
– weniger als 30 Angebote<br />
• SMS-Gebühren bleiben konstant<br />
• Sanierung einer Sporthalle in<br />
Dresden<br />
• Marktplatz für Jugendreisen im Internet<br />
– viele Angebote für Grundschüler<br />
• SMS-Gebühren sinken bei allen<br />
Netzbetreibern in Frankreich<br />
• Neuer Sportkomplex in Leipzig<br />
• Marktplatz für Jugendreisen im Internet<br />
– Planungen laufen noch<br />
• SMS-Gebühren sinken erst Ende<br />
nächsten Jahres<br />
• Neuer Sportkomplex wird in fünf<br />
Jahren eröffnet<br />
• Schüler-Demos: Teilnehmern droht<br />
Schulverweis<br />
• Grippewelle erzwingt Schulschließungen<br />
• Brutale Raubüberfälle auf Passanten<br />
• Schüler-Demos: Teilnehmern drohen<br />
Sanktionen in Ostdeutschland<br />
• Grippewelle: Schulen in Sachsen<br />
und Brandenburg müssen schließen<br />
• Raubüberfälle auf jugendliche Passanten<br />
• Schüler-Demos: Teilnehmern drohen<br />
Sanktionen ab nächstem Schuljahr<br />
• Grippewelle: Rasche Ausbreitung<br />
• Raubüberfälle auf Passanten<br />
sprunghaft gestiegen<br />
• Marktplatz für Jugendreisen im Internet<br />
– über 1000 Angebote<br />
• SMS-Gebühren sinken deutlich<br />
• neuer großer Sportkomplex in<br />
Dresden<br />
• Marktplatz für Jugendreisen im Internet<br />
– viele Angebote für Gymnasiasten<br />
• SMS-Gebühren sinken bei allen<br />
Netzbetreibern in Deutschland<br />
• neuer Sportkomplex in Dresden<br />
• Marktplatz für Jugendreisen im Internet<br />
– jetzt Angebote online<br />
• SMS-Gebühren sinken bereits vor<br />
Jahresende<br />
• Neuer Sportkomplex wird dieses<br />
Jahr eröffnet<br />
369
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
3. Ergebnisse<br />
3.1 Selektive Zuwendung zu positiven Nachrichten<br />
Im ersten Schritt wurden die Zuwendungszeiten zu den einzelnen experimentell variierten<br />
Artikeln als eine (aggregierte) abhängige Variable analysiert. Für das Experiment<br />
zu positiven Artikeln zeigte eine Varianzanalyse mit den Informational-Utility-Dimensionen<br />
(als eine unabhängige Variable mit drei Ausprägungen – Magnitude, Likelihood<br />
und Immediacy) und deren Intensität (als weitere unabhängige Variable mit zwei Ausprägungen<br />
– hoch vs. niedrig) ausschließlich eine signifikante Wirkung der Intensität<br />
(F(1,72) = 8.14, p = .006) auf die selektive Zuwendung. Die Zuwendungszeiten der Versuchspersonen,<br />
denen die experimentell variierten Artikel mit hoher Informational-Utility<br />
dargeboten wurden, waren länger als die der Vergleichsgruppen. Für Likelihood<br />
und Immediacy unterschieden sich die Gruppen signifikant (vgl. Tab. 2). Dass die Dimensionen<br />
von Informational Utility keinen Haupteffekt auf die Zuwendungszeit hatten,<br />
besagt, dass deren experimentelle Manipulationen zusammengenommen jeweils<br />
gleich umfangreiche Zuwendung bewirkten. Dies ist allerdings abhängig von den konkreten<br />
Formulierungen, die in den variierten Überschriften verwendet wurden. Da keinerlei<br />
Interaktionseffekte auftraten, ist auch zu schlussfolgern, dass sogar die Intensitätsabstände<br />
für alle drei Dimensionen etwa gleich ausfielen.<br />
Tabelle 2: Effekte der Informational-Utility-Dimensionen Magnitude, Likelihood und<br />
Immediacy auf die selektive Zuwendung zu negativen und positiven Online-Nachrichten<br />
(Zeit in Sekunden)<br />
Informational-Utility- Ausprägung p<br />
Dimension Niedrig Hoch<br />
Positive Artikel<br />
Magnitude 70 80 .349<br />
Likelihood 45 74 .025<br />
Immediacy 59 88 .018<br />
Negative Artikel<br />
Magnitude 65 95 .007<br />
Likelihood 93 73 .240<br />
Immediacy 30 61 .025<br />
Anmerkung: Selektive Zuwendung wurde aggregiert auf Basis von drei experimentell variierten Artikeln, die<br />
neben drei konstant gehaltenen Artikeln gelesen werden konnten. Die gesamte Lesezeit war auf 180 Sekunden<br />
beschränkt, die auf die Artikel und die Titelseite verwendet werden konnten. Angaben zum Signifikanzniveau<br />
basieren auf einseitigen t-Tests.<br />
Im zweiten Schritt wurden Zuwendungszeiten für die drei verschiedenen variierten Artikel<br />
berücksichtigt. Für jeden Probanden lagen drei Zeitwerte für drei Artikel vor, die<br />
somit in eine Varianzanalyse mit Messwiederholungen als „within-Faktor“ eingingen.<br />
Die Informational-Utility-Dimensionen sowie deren Intensität wurden dagegen wiederum<br />
als „between-Faktoren“ (also in Form eines Vergleichs verschiedener Probandengruppen)<br />
einbezogen. Diese Analyse ergab zwei signifikante Effekte: Neben dem<br />
370
Knobloch / Patzig / Hastall · „Informational Utility“<br />
bereits spezifizierten Einfluss der Intensität fielen die Zuwendungszeiten für die verschiedenen<br />
Artikel signifikant unterschiedlich aus (F(2,144) = 5.39, p = .007 mit Greenhouse-Geisser-Korrektur).<br />
Dies belegt schlicht, dass die verschiedenen Themen – aus<br />
welchen Gründen auch immer – unterschiedlich ‚interessant’ waren. Der Bericht zu<br />
SMS-Gebühren erzielte deutlich mehr Aufmerksamkeit, die sich in vergleichsweise umfangreicher<br />
Zuwendungszeit (M = 31 Sekunden) niederschlug, während die Berichte zur<br />
Internet-Seite mit Jugendreisen bzw. zur Sporthalle kürzer gelesen wurden (M = 16 bzw.<br />
22). Dass keine Interaktionen in dieser Varianzanalyse zu konstatieren waren, spricht<br />
für die Einheitlichkeit des Effektes der Intensität der Informational-Utility-Dimensionen.<br />
3.2 Bewertungen positiver Nachrichten<br />
Um zu überprüfen, ob die experimentelle Manipulation wirksam war, wurden die Bewertungen<br />
der Nachrichten analysiert. Dazu wurden die Bewertungen einzelner Artikel<br />
für einzelne Items durch Mittelwerte zusammengefasst und einer Faktorenanalyse<br />
unterzogen, die zwei Faktoren ergab. Außer der Einstufung zu negativen Konsequenzen<br />
der als positiv konzipierten Berichte luden alle Bewertungen auf dem ersten Faktor<br />
(Varianzaufklärung: 58 %), wobei „nützlich“ die höchste Ladung aufwies (.92). Diese<br />
Items wurden durch ihren Mittelwert zusammengefasst (alpha = .89); das mit diesem<br />
Faktor nicht assoziierte, verbleibende Item wurde nicht weiter berücksichtigt. Eine<br />
Varianzanalyse mit der allgemeinen Nützlichkeitsbewertung als abhängiger Variablen<br />
und den Informational-Utility-Dimensionen und deren Intensität als Faktoren ergab<br />
Haupteffekte für beide unabhängigen Variablen. Die Bewertung fiel unterschiedlich aus<br />
für die Dimensionen (F(2,72) = 8.50, p = .000) mit M = 5.5 für Magnitude, M = 3.8 für<br />
Likelihood und M = 5.1 für Immediacy. Bei hoher Intensität der Informational Utility<br />
ergab sich eine höhere Nützlichkeitsbewertung (F(1,72) = 11.1, p = .001) mit M = 5.3 versus<br />
4.1. Damit entsprachen die Wahrnehmungen der Probanden der beabsichtigten experimentellen<br />
Variation.<br />
3.3 Selektive Zuwendung zu negativen Nachrichten<br />
Das Experiment zu negativen Artikeln wurde analog zu den positiven Berichten ausgewertet.<br />
Die Varianzanalyse mit den Informational-Utility-Dimensionen sowie deren<br />
Intensität als unabhängigen Variablen und den aggregierten Zuwendungszeiten für die<br />
drei variierten Artikel als abhängiger Variable zeigte eine signifikante Wirkung der Dimension<br />
(F(2,52) = 10.17, p = .000), einen marginal signifikanten Effekt der Intensität<br />
(F(2,52) = 3.52, p = .066) sowie einen Interaktionseffekt zwischen beiden Faktoren<br />
(F(2,52) = 5.12, p = .009). Wiederum waren die Zuwendungszeiten der Versuchspersonen,<br />
denen die experimentell variierten Artikel mit hoher Informational-Utility dargeboten<br />
wurden, länger als die der Vergleichsgruppen. Für Magnitude und Immediacy unterschieden<br />
sich die Gruppen signifikant (vgl. Tab. 2). Das konkret verwendete Stimulusmaterial<br />
bewirkte aber für die drei Informational-Utility-Dimensionen unterschiedlich<br />
umfangreiche Zuwendung, da die Artikel-Versionen der Immediacy-Gruppen<br />
deutlich kürzer genutzt wurden als die anderen Versionen. Dies ist eine Folge des Wortlautes,<br />
der für die experimentelle Variation genutzt wurde. Ein Interaktionseffekt trat<br />
auf, weil der Zuwendungsunterschied zwischen den beiden Likelihood-Gruppen anders<br />
als bei den Immediacy- und den Magnitude-Gruppen entgegengesetzt zu den Hypothesen<br />
ausfiel. Dieser Unterschied ist aber nicht signifikant.<br />
371
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Eine Varianzanalyse mit Messwiederholungen mit den drei variierten Artikeln als<br />
within-Faktor und den Informational-Utility-Dimensionen sowie deren Intensität als<br />
between-Faktoren ergab neben den bereits berichteten Effekten keine weiteren signifikanten<br />
Befunde, so dass zu schließen ist, dass die verschiedenen Artikelthemen in den<br />
verschiedenen experimentellen Variationen etwa gleichermaßen beachtet wurden.<br />
3.4 Bewertungen negativer Nachrichten<br />
Wiederum wurden zur Validierung der experimentellen Manipulation zunächst die Bewertungen<br />
verschiedener Artikel anhand einzelner Items zusammengefasst und einer<br />
Faktorenanalyse unterzogen, die zwei Faktoren ergab. Der erste Faktor umfasste „informativ“<br />
und „glaubwürdig“ (Varianzaufklärung: 53 %), der zweite „wichtig für die<br />
Öffentlichkeit“ sowie „nützlich“ (22 %). Die genannten Items hatten jeweils eindeutige<br />
Ladungen auf einem Faktor (mindestens .83 ) und konnten deshalb zu zwei neuen Bewertungsvariablen<br />
zusammengefasst werden (alpha = .79 bzw. 64), wohingegen „wichtig“<br />
auf beiden Faktoren hohe Ladungen aufwies und deshalb nicht zugeordnet werden<br />
konnte. Eine Varianzanalyse mit den beiden neu kreierten Bewertungsvariablen sowie<br />
„wichtig“ als abhängigen Variablen und den Informational-Utility-Dimensionen und<br />
deren Intensität als Faktoren ergab nur einen signifikanten Haupteffekt der Intensität<br />
für „wichtig“ (F(1,51) = 4.30, p = .043) mit M = 4.6 für geringe und M = 5.2 für hohe Intensität.<br />
Somit war die experimentelle Variation auch für negative Nachrichten erfolgreich.<br />
4. Diskussion<br />
Auf der Grundlage von Atkins (1973) theoretischen Überlegungen wurde ein neuer Informational-Utility-Ansatz<br />
entwickelt (Knobloch et al., 2002) und in den USA anhand<br />
studentischer Stichproben für negative Nachrichten bereits bestätigt (Knobloch et al., in<br />
Vorb.). Bei der hier vorgelegten Studie handelt es sich um die erste deutsche Untersuchung<br />
zu diesem Ansatz, erstmals wurde auch die Rezeption positiver Berichte analysiert.<br />
Dazu wurden zum Einfluss der drei Dimensionen Magnitude, Likelihood und Immediacy<br />
für positive und negative Nachrichten insgesamt sechs Hypothesen formuliert<br />
und anhand zweier Feldexperimente mit Schülern als Teilnehmern überprüft. Die Befunde<br />
bestätigten vier der sechs Hypothesen. Im Einzelnen führten Likelihood (H5) und<br />
Immediacy (H6) in hoher Intensität bei den positiven Nachrichten zu umfangreicherer<br />
Nutzung, Magnitude (H1) und Immediacy (H3) bewirkten in hoher Intensität auch verstärkte<br />
Zuwendung zu negativen Nachrichten.<br />
Für die positiven Berichte zeigten die Analysen darüber hinaus, dass die verschiedenen<br />
Themen unterschiedlich stark beachtet wurden und somit mehr oder weniger „interessant“<br />
waren. Unsere Untersuchung kann keinen Aufschluss über Gründe hierfür<br />
geben und zielte auch nicht auf diese Explizierung. Sie zeigt vielmehr, dass die Informational-Utility-Dimensionen<br />
themenübergreifend wirken. Bei den negativen Berichten<br />
wurde keinerlei themenspezifische Aufmerksamkeit deutlich, offenbar waren die<br />
hier verwendeten Themen gleichermaßen „interessant“.<br />
Auch wenn der Informational-Utility-Ansatz damit überwiegend bestätigt wurde,<br />
stellt sich die Frage, warum in der vorliegenden Studie nicht durchgehend Einflüsse für<br />
alle Dimensionen nachgewiesen wurden. Die sehr ähnlich angelegte US-amerikanische<br />
Studie hatte dagegen für alle drei Faktoren deren Wirkung auf die selektive Zuwendung<br />
belegt. Es ist zunächst nicht davon auszugehen, dass die Gültigkeit des Informational-<br />
372
Knobloch / Patzig / Hastall · „Informational Utility“<br />
Utility-Ansatzes von kulturellen Faktoren eingeschränkt werden könnte. Vielmehr<br />
könnte ein geringfügiger Unterschied im methodischen Vorgehen dazu geführt haben,<br />
dass der Nachweis in der deutschen Studie nicht ganz so stringent ausfiel. Bei der US-<br />
Studie waren die Dimensionen jeweils in einem kurzen Artikelvorspann, der auf einer<br />
Online-Titelseite erschien, variiert worden statt in der Überschrift. Dadurch konnte die<br />
experimentelle Manipulation anhand mehr Wörter vorgenommen werden, so dass sie<br />
offenbar wirksamer ausfiel.<br />
Der Informational-Utility-Ansatz hat sich zur Prognose von selektiver Zuwendung<br />
zu Informationen in <strong>Medien</strong> bewährt und stellt somit eine Ergänzung der Selektionsforschung<br />
dar. Für die empirische Überprüfung konnte die tatsächliche Auswahl von<br />
<strong>Medien</strong>angeboten als Verhaltungsbeobachtung non-reaktiv erfasst werden, ohne dass<br />
durch die Messung das Rezeptionsverhalten verzerrt wurde. Somit entfielen Validitätsprobleme<br />
durch soziale Erwünschtheit bzw. mangelndes Erinnerungsvermögen. Der<br />
theoretische Ansatz und das methodische Vorgehen sollten in zukünftigen Studien weiter<br />
verfolgt und möglicherweise durch weitere Subdimensionen ergänzt werden. Allerdings<br />
dürfte der Nachweis der Bedeutsamkeit von Nützlichkeit umso schwieriger werden,<br />
je heterogener die Stichprobe ist, da diese Heterogenität eben unterschiedlichste<br />
Rezipientensituationen umfasst. Solche unterschiedlichen Situationen begründen, dass<br />
die wiederum jeweils unterschiedlichen Informationen nützlich sind. Konkret zu bearbeitende<br />
Fragen betreffen die Kulturunabhängigkeit des Informational-Utility-Ansatzes<br />
sowie eine weitere Prüfung seiner Geltung für Zuwendung zu positiven Nachrichten<br />
über Chancen und Gelegenheiten.<br />
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Knobloch / Patzig / Hastall · „Informational Utility“<br />
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375
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Klingeltöne und Logos auf dem Handy:<br />
Wie neue <strong>Medien</strong> der Uni-Kommunikation genutzt<br />
werden *<br />
Nicola Döring<br />
Indem Handybesitzer gegenüber anderen Menschen in systematischer Weise ihr Endgerät<br />
verbergen oder zur Schau stellen und indem sie es durch die Auswahl bestimmter<br />
Klingeltöne und Logos für Außenstehende wahrnehmbar mit zusätzlicher Symbolik ausstatten,<br />
können sie dem jeweiligen Publikum etwas über ihren Status, ihre Einstellungen,<br />
ihre Interessen und Gruppenzugehörigkeiten mitteilen (Uni-Kommunikation). Der vorliegende<br />
Beitrag rekonstruiert die Nutzung von Klingeltönen und Logos auf dem Handy<br />
als uni-kommunikatives Geschehen und liefert Daten aus drei explorativen Studien:<br />
1. einer quantitativen Inhaltsanalyse von Klingelton- und Logo-Angeboten im Internet,<br />
2. einer leitfadengestützten mündlichen Befragung sowie 3. einer vollstrukturierten Online-Befragung<br />
von Handy-Nutzern. Es zeigte sich, dass die Häufigkeit, mit der neue<br />
Klingeltöne und Logos auf das Handy geladen werden, sehr stark variiert. Die Themenwahl<br />
(z. B. Klingelton mit Pop-, Rock- oder Klassik-Melodie; Logo mit Tier-, Liebes-,<br />
Sex-, TV- oder Auto-Motiv) korreliert eng mit individuellen Interessen, Geschlecht und<br />
Alter. Im sozialen Kontext werden Klingeltöne und Logos tatsächlich zum Gegenstand<br />
der Aufmerksamkeit und Eindrucksbildung und stimulieren teilweise interpersonale sowie<br />
intra- und intergruppale Anschluss-Kommunikation.<br />
Keywords: Mobilkommunikation, Uni-Kommunikation, Handy, Logos, Klingeltöne,<br />
<strong>Medien</strong>nutzung<br />
0. Einleitung<br />
Im Jahr 2002 wurden weltweit erstmals mehr Mobiltelefone als Festnetzanschlüsse registriert<br />
(International Telecommunication Union, 2002). Zudem übertrifft die Zahl der<br />
Mobiltelefone mittlerweile die der Fernsehgeräte (Katz & Aakhus, 2002b: 4). Sowohl in<br />
privaten als auch in (teil-)öffentlichen Situationen sind Handys heute allgegenwärtig.<br />
Mobiltelefone machen mit den unterschiedlichsten Klingeltönen (ringing tones/ring tones)<br />
auf eingehende Anrufe aufmerksam – und zwar nicht nur den Handybesitzer, sondern<br />
auch andere Ohrenzeugen. Man kann zwischen einigen auf dem Handy serienmäßig<br />
mitgelieferten Melodien wählen oder sich via Internet bzw. Service-Rufnummer<br />
neue Töne auf das Handy laden, sofern das jeweilige Endgerät dies zulässt. Auch Eigenkompositionen<br />
sind möglich. Dasselbe gilt für selbst gewählte Logos (operator logos),<br />
die an Stelle des voreingestellten Netzbetreiberlogos auf dem Handy-Display angezeigt<br />
werden. Wenn das Handy auf dem Tisch liegt oder zur Hand genommen wird,<br />
ist das Handylogo nicht nur für den Besitzer, sondern auch für weitere Augenzeugen<br />
* Ich danke Katja Andreä, Christine Dietmar und Carolin Kühndelt (Studiengang Angewandte<br />
<strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>, Technische Universität Ilmenau) für ihre tatkräftige Unterstützung bei der<br />
Datenerhebung und Datenauswertung.<br />
376
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
sichtbar. Zahlreiche Logo-Motive stehen zum Herunterladen zur Verfügung, ebenso<br />
existieren Editoren für Eigenkreationen. Handylogos erlauben genau wie Klingeltöne<br />
eine individualisierte Gestaltung und bessere Wiedererkennbarkeit des eigenen Endgerätes.<br />
Zudem sind sie aber auch Träger kommunikativer Botschaften. So kommentiert<br />
Joachim Höflich (2001: 4): Der Rufton des Handys – „der bis hin zu äußerst lauten und<br />
manchmal nie enden wollenden Melodien reicht, von Pop bis Klassik (was immer die<br />
Handybesitzer damit sagen wollen) – lässt Dritte nicht unberührt“.<br />
Eben jene kommunikativen Aspekte der Nutzung von Klingeltönen und Logos sollen<br />
hier untersucht werden. Denn während viele Handybesitzerinnen und -besitzer Klingeltöne<br />
und Logos als teure und sinnlose Spielereien betrachten und dementsprechend<br />
nicht nutzen, greifen andere in so großer Zahl bzw. so regelmäßig auf sie zurück, dass<br />
der kostenpflichtige Klingelton- und Logo-Vertrieb per Internet oder Service-Rufnummer<br />
sich seit 1998 als neues Geschäftsfeld etablieren konnte und mit Anzeigenkampagnen<br />
vor allem in Jugendzeitschriften stark beworben wird. Neben der SMS-Kommunikation<br />
(vgl. Höflich & Rössler, 2001; Döring, 2002) und der Mobiltelefonie sind speziell<br />
bei europäischen Jugendlichen Klingeltöne und Logos sehr populär. Gut fünf Euro<br />
gaben norwegische Handynutzer aller Altersgruppen im Jahr 2000 durchschnittlich allein<br />
für Klingeltöne aus (Strand Consult, 2001). Trotz verhältnismäßig kleiner Einzelbeträge<br />
wurde auf dem Europäischen Markt für mobilen Content (Klingeltöne, Logos,<br />
SMS-Informationsdienste, Bildmitteilungen usw.) durch die große Zahl der Nutzer bereits<br />
2001 mehr als doppelt so viel Geld umgesetzt (590 Millionen US-Dollar) wie auf<br />
dem Markt für Online-Content (252 Millionen US-Dollar, Jupiter MMXI, 2002). Die<br />
Besonderheit von Klingeltönen und Logos als mobilem Content besteht darin, dass sie<br />
nicht einfach einmalig vom Nutzer rezipiert, sondern über das mobile Endgerät permanent<br />
in soziale und (teil-)öffentliche <strong>Kommunikations</strong>prozesse integriert werden.<br />
Der vorliegende Beitrag rekonstruiert zunächst das Handy mit seinen Klingeltönen<br />
und Logos als neues Medium der Uni-Kommunikation und formuliert fünf Forschungsfragen<br />
(Kap. 1). Auf die Beschreibung der Untersuchungsmethoden (Kap. 2)<br />
folgt die Darstellung der explorativen Ergebnisse zu Nutzungshäufigkeiten, Themenwahlen<br />
und sozialen Konsequenzen (Kap. 3). Der Aufsatz endet mit einer kurzen Diskussion<br />
(Kap. 4).<br />
1. Gegenstand und Fragestellungen<br />
Das Handy ist nicht nur ein Medium der Telekommunikation, sondern lässt sich auch<br />
als Medium der Uni-Kommunikation verstehen, wobei kommunikative Aussagen theoretisch<br />
vor allem über Klingeltöne und Logos vermittelt werden können. Anhand des<br />
Konstrukts der Uni-Kommunikation werden erste Forschungsfragen entwickelt, um zu<br />
erkunden, ob und wie Klingeltöne und Logos tatsächlich als neue <strong>Medien</strong> der Uni-Kommunikation<br />
genutzt werden.<br />
1.1 Uni-Kommunikation per Handy<br />
„Uni-communication is that communication mediated by objects of clothing,<br />
adornment, and personal possessions – houses, automobiles, furniture, etc. –<br />
which people select and display to communicate to others their status, affiliation,<br />
and self-esteem. It includes, also, more explicit messages like imprinted<br />
T-shirts, jackets, and caps, as well as bumperstickers, armbands, and buttons.“<br />
(Cathcart & Gumpert, 1983: 275f.).<br />
377
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Gary Gumpert (Professor Emeritus of Communication Arts and Sciences, City University<br />
of New York) führte das Konstrukt der „Uni-Kommunikation“ erstmals 1975<br />
ein. Er wollte darauf aufmerksam machen, dass mediatisierte Kommunikation nicht nur<br />
von <strong>Medien</strong>organisationen ausgeht, sondern auch Gruppen und Individuen als Kommunikatoren<br />
aktiv werden und unterschiedliche Publika adressieren. Er ergänzte den<br />
eingeführten Begriff der „Massen-Kommunikation“ um die Wortneuschöpfungen „Mini-Kommunikation“<br />
(Gumpert, 1970) und „Uni-Kommunikation“ (Gumpert, 1975;<br />
Cathcart & Gumpert, 1983: 275f.; Gumpert & Drucker, 1999: 17). „Uni“ bezieht sich<br />
hierbei auf die Einzelperson, die Alltagsgegenstände und den eigenen Körper (z. B. Tattoo,<br />
Piercing) nutzt, um selbstbezogene Botschaften an unterschiedliche Publika zu<br />
richten (persönliche E-Mail-Mitteilung von Gary Gumpert vom 26. Juni 2002). Uni-<br />
Kommunikation ist eine Form der mediatisierten Kommunikation, die in Face-to-Face-<br />
Situationen auftritt, ohne dass die Beteiligten direkt miteinander sprechen müssen, können<br />
oder wollen. Wer sich mit einem „Atomkraft: Nein Danke“-Aufkleber auf dem<br />
Auto oder einem „Playboy“-Aufdruck auf dem T-Shirt in der Öffentlichkeit bewegt,<br />
macht damit in der jeweiligen Situation eine oder mehrere selbstbezogene Aussagen, die<br />
wiederum von denjenigen, die diese medialen Botschaften wahrnehmen, interpretiert<br />
und mit entsprechenden inneren und äußeren Reaktionen beantwortet werden – zuweilen<br />
bis hin zu Zeitungs-Kommentaren (Zykla, 2001). Durch Uni-Kommunikation kann<br />
das Individuum Aspekte der eigenen Identität für sich selbst bekräftigen und vor anderen<br />
ein bestimmtes Image aufbauen.<br />
Das körpernah getragene und in diversen öffentlichen Situationen genutzte Mobiltelefon,<br />
das im Unterschied zum Festnetztelefon als persönliches Mehrzweckmedium<br />
angeeignet wird (Höflich, 2001), dient neben der Telekommunikation verstärkt auch der<br />
Uni-Kommunikation.<br />
Als Objekt ist das Handy überwiegend affektiv positiv aufgeladen und lässt soziale<br />
Verbindung, Sicherheit, Offenheit gegenüber der Welt und Vergnügen assoziieren (Fortunati,<br />
1997). Wer per Handy häufig Freundschafts- und Liebesgrüße, lustige Sprüche<br />
und romantische Gedichte oder eben Klingeltöne und Logos austauscht, erlebt das<br />
Gerät sogar als „Geschenk-Container“ (Harper, 2002: 221f.), dessen Präsentation das<br />
Selbstwertgefühl steigert. Andererseits wird Handybesitz bei Jugendlichen manchmal<br />
auch mit Kriminalität (vor allem Drogenhandel) in Verbindung gebracht, was dann das<br />
eigene öffentliche Image gefährdet (Robbins & Turner, 2002: 90).<br />
Sadie Plant (2001) konnte mittels Feldbeobachtungen in Restaurants und Bars zeigen,<br />
dass Personen ihre Handys in systematischer Weise zur Schau stellen oder verbergen.<br />
Der Besitz eines Handys – speziell eines besonders teuren oder ausgefallenen Modells –<br />
signalisiert Beobachtern den Status, die jeweils eingenommene Rolle oder den Lebensstil<br />
des Besitzers. „Handys sind die einzigen Objekte, bei denen Männer sich streiten,<br />
wer das kleinere hat“ – dieser im World Wide Web tausendfach verbreitete Spruch verweist<br />
auf die uni-kommunikative Funktion des Handys im Bereich der Geschlechterkonstruktionen.<br />
Tatsächlich bestätigten die in englischen Bars durchgeführten Feldstudien<br />
die Mutmaßung, dass Menschen mit der Präsentation ihres Handys Geschlechtsidentitäten<br />
inszenieren:<br />
378<br />
„In the majority of pairs of men, at least one mobile was on display: in only 38<br />
per cent of observed pairs was there no mobile on display, compared to 42 per<br />
cent of male and female pairs, and 50 per cent of female pairs. In the majority<br />
of observed male pairs, both parties had their mobiles on show. Some contributors<br />
to the research suggested that this reflected a degree of competitive be-
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
haviour among men, with the presence of just one mobile indicating a subtle<br />
play of dominance and subordination in which the male who displays his mobile<br />
is also asserting his position as the pair’s main contact with the wider world.<br />
A number of males also confessed to being inhibited when their companions<br />
displayed mobiles of a higher specification or aesthetic quality than their own.<br />
Others said they had been keen to display their mobiles while they were topof-the-range<br />
or state-of-the-art, but had stopped doing so when their models<br />
fell behind.“ (Plant, 2001: 12)<br />
John Lycett und Robin Dunbar (2000) interpretierten den öffentlich beobachtbaren<br />
Umgang von Männern mit ihren Handys in einer Bar als „Balzverhalten“ und Anthony<br />
Townsend (2002: 67f.) weist auf eine deutliche Geschlechtsrollenorientierung in der<br />
Handy-Werbung hin: Für die weibliche Zielgruppe wurde das Handy bislang häufig mit<br />
Sicherheit und sozialer Vernetzung assoziiert, für die männliche mit Macht und Virilität.<br />
Um das uni-kommunikative Potenzial des Mobiltelefons und seiner Applikationen für<br />
die Konstruktion von Geschlechteridentitäten zu untersuchen, sind freilich auch die Reaktionen<br />
des Publikums auf entsprechende mediengestützte Selbstdarstellungen einzubeziehen.<br />
So kann anekdotisch das Handy mit einem konkreten Klingelton in Kombination<br />
mit dem passenden Auftreten der Handy-Besitzerin offensichtlich auch ein bestimmtes<br />
Bild von Weiblichkeit unterstreichen (s. u. 3.5).<br />
1.2 Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
Noch expliziter als Medium der Uni-Kommunikation kann das Handy immer dann<br />
fungieren, wenn es von der Nutzerin oder dem Nutzer bewusst als Symbolträger verwendet<br />
wird, wobei Klingeltöne (Ruftöne) und Betreiberlogos die gängigsten Formate<br />
sind. Sie werden Software-seitig über die SIM-Karte (Subscriber Identification Module)<br />
realisiert. Die SIM-Karte ist eine individuelle Speicherkarte, die in das Handy eingesetzt<br />
wird und es betriebsfähig macht. Mit Klingeltönen verwandte auditive Produkte sind<br />
vorformulierte Anrufbeantworter-Ansagen (Mailbox/Mobilbox-Sprüche). Mit Betreiberlogos<br />
verwandte grafische Produkte sind Anrufergruppen-Symbole (Gruppenlogos),<br />
die aktuell eingehende Anrufe bestimmter Personen bzw. Personengruppen signalisieren<br />
und somit nur temporär erscheinen. Sie sind für Außenstehende meist nicht so deutlich<br />
erkennbar wie Betreiberlogos, die im Stand-By-Modus permanent angezeigt werden.<br />
Daneben lassen sich kommunikative Botschaften auch Hardware-seitig am Handy<br />
anbringen, sei es durch Handy-Taschen oder Handy-Halter mit entsprechenden Aufschriften,<br />
durch Aufkleber, Anhänger, Lackierungen oder auswechselbare Oberschalen.<br />
Die Hardware-seitigen Varianten der Handy-Gestaltung sind weniger verbreitet als die<br />
Software-seitigen und werden hier nicht betrachtet. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass<br />
Hardware- und Software-seitiges Handy Tuning als uni-kommunikative Strategie an<br />
Bedeutung gewinnt, je weniger distinktiv Handy-Besitz oder Handy-Marke sind.<br />
Eine kleine Auswahl an serienmäßigen Klingeltönen und Logos bzw. Anrufergruppen-Symbolen<br />
wird bei vielen Handytypen heute mitgeliefert und kann vom Nutzer<br />
wahlweise aktiviert werden. Wer sich zusätzliche Klingeltöne oder Betreiberlogos auf<br />
sein Handy laden will, nutzt beispielsweise eine Website, wobei es sich etwa um die<br />
Online-Präsenzen von Netz- und Service-Providern (z. B. www.t-mobile.de), um<br />
die Homepages von klassischen Massenmedien (z. B. www.bravo.de; www.bild.de;<br />
www.mtv.de), um dezidierte Handy-Portale (z. B. www.handy.de; www.jamba.de)<br />
oder auch um spezialisierte Download-Sites handeln kann (z. B. www.handylogos.de;<br />
379
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
www.klingeltoene.de; www.klingeltoene-handylogo.de). Auf den Websites werden<br />
Klingeltöne und Betreiberlogos nach inhaltlichen Rubriken sortiert dargestellt. Der<br />
Versand der ausgewählten Klingeltöne und Betreiberlogos erfolgt per SMS in einem<br />
vom Handyhersteller abhängigen Format und wird über unterschiedliche Bezahlmodelle<br />
abgewickelt:<br />
• Bei einer Internet-Bestellung werden Klingeltöne und Logos auf einer Website ausgesucht.<br />
Dann ist über eine kostenpflichtige Service-Rufnummer eine einmal gültige<br />
PIN (Personal Identification Number) bzw. ein Jeton abzurufen (6-stellige Ziffer)<br />
und zusammen mit der Telefonnummer des Zielhandys in das Online-Bestellformular<br />
einzutragen.<br />
• Bei einer Telefon-Bestellung ist wiederum eine Service-Rufnummer (0190er Nummer)<br />
anzurufen, wobei Handynummer sowie Bestellnummer für den ausgewählten<br />
Klingelton bzw. das ausgewählte Logo telefonisch durchgegeben werden. Die Auswahl<br />
der Klingeltöne und Logos erfolgt dabei anhand von Anzeigen in Printmedien<br />
(typischerweise in Jugendzeitschriften wie „Bravo“ oder „Sugar“ oder in Programmzeitschriften<br />
wie „TV Movie“), denen Bestellnummern und Service-Rufnummern zu<br />
entnehmen sind.<br />
• Bei der Bestellung mittels Mobiltelefon gibt es zwei Varianten: zum einen die SMS-<br />
Bestellung, bei der die Bestellnummer des Klingeltons bzw. Logos per SMS an eine<br />
bestimmte Telefonnummer geschickt wird, und zum anderen die WAP-Bestellung<br />
(WAP: Wireless Application Protocol), bei der auf ein mobiles Internet-Portal zugegriffen<br />
wird (z. B. wap.jamba.de).<br />
Die Bestell-Kosten pro Klingelton bzw. Logo variieren je nach Anbieter, Minutenpreis<br />
der 0190er-Rufnummer (z. B. 1,86 Euro/Min.) und Dauer des Bestellvorgangs (z. B. 45<br />
Sekunden), wobei ein Download-Preis von ca. 1,5 Euro pro Klingelton oder Logo typisch<br />
ist. Einige Websites bieten in begrenztem Umfang kostenlose Downloads an (z. B.<br />
www.nur-gratis-ringtones.de; www.klingeltonwelt.com). Es besteht die Möglichkeit,<br />
bereits heruntergeladene Klingeltöne und Logos per SMS direkt mit anderen Handy-<br />
Nutzern auszutauschen, wobei dann SMS-Gebühren anfallen. Zudem erlauben es entsprechende<br />
Editoren (z. B. Logo-Manager, Logo-Composer, Ring-Master), die mit dem<br />
Handy auf einem Datenträger ausgeliefert werden oder per Internet zu beziehen sind,<br />
Klingeltöne und Logos am Computer selbst zu erstellen und per Datenkabel oder Infrarot-Schnittstelle<br />
auf das eigene Handy zu übertragen. Manche Handytypen enthalten<br />
auch bereits einen integrierten Klingelton-Composer. Schließlich lassen sich vorhandene<br />
Audio- und Grafikdateien (z. B. im WAV-, MIDI- oder BMP-Format) als Klingeltöne<br />
und Logos nutzen. Die ersten Klingelton- und Logo-fähigen Handys stammten<br />
vom Marktführer Nokia, entsprechend verbreitet sind die Nokia-Formate RTTTL<br />
(Ringing Tone Text Transfer Language) und NOL (Nokia Operator Logo); es existieren<br />
jedoch auch andere Formate sowie Konvertierungstools.<br />
Anbieter beziehen Klingeltöne und Logos von Mobile-Content-Lieferanten und/<br />
oder produzieren ihren Content selbst. Phat Tonez (www.tonez.co.uk), Wireless Entertainment<br />
Services Finland Ltd. (www.wirelessfun.com) und DAC-Planet GmbH<br />
(www.dac-planet.de) – alle im Jahr 1999 gegründet – sind Beispiele für international tätige<br />
Mobile-Content-Lieferanten mit Schwerpunkt Klingeltöne und Logos. Ihre Produktion<br />
von Klingeltönen orientiert sich unter anderem an nationalen Pop-Charts und<br />
beinhaltet auch die Kooperation mit einzelnen Künstlern (z. B. Madonna). Die Qualität<br />
der Klingeltöne bemisst sich an dem gewählten Melodieausschnitt sowie an der Sorgfalt<br />
der Nachkomposition. Für Musiktitel, die in Form von Klingeltönen auf Handys weitergegeben<br />
werden, sind 15 Prozent vom Endkundenpreis als Vergütung an die Musik-<br />
380
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
rechte-Verwertungsgesellschaft GEMA zu zahlen (GEMA, 2001). Für den Entwurf von<br />
Logos werden Grafiker beschäftigt, wobei der Rückgriff auf bekannte Cartoon-Figuren<br />
wiederum urheber- und lizenzrechtlich abgesichert werden muss. In den aktuellen Mobilfunknetzen<br />
der 2. Generation (GSM: Global System for Mobile Communications)<br />
sind die mit herkömmlichen Handys genutzten Klingeltöne typischerweise monophon<br />
und die Logos monochrom. Neue Handymodelle ermöglichen jedoch polyphone Klingeltöne<br />
und farbige sowie animierte Betreiberlogos bzw. Bildschirmschoner.<br />
1.3 Forschungsfragen<br />
Angesichts der Popularisierung und ökonomischen Bedeutung von Klingeltönen und<br />
Logos ist es von Interesse, die sozialen und kommunikativen Bedeutungen dieser neuen<br />
<strong>Medien</strong> zu untersuchen. Klingeltöne und Logos auf dem Handy lassen sich insofern<br />
als neue <strong>Medien</strong> charakterisieren als sie a) Träger von Symbolen sind, b) auf einer bestimmten<br />
Übertragungstechnik basieren (Mobilfunk), c) ihre Produktion und Distribution<br />
in spezifischer Weise durch <strong>Medien</strong>unternehmen organisiert ist und sie d) gesellschaftlicher<br />
Aneignung und Sinngebung unterliegen, etwa durch kollektive Nutzungspraxen<br />
und öffentliche Diskurse. Die ersten bislang vorliegenden sozial<strong>wissenschaft</strong>lichen<br />
Sammelbände zur Handy-Kommunikation (Brown, Green & Harper, 2001; Katz<br />
& Aakhus, 2002a) befassen sich jedoch nicht näher mit der Klingelton- und Logo-Nutzung<br />
und einschlägige Zeitschriftenbeiträge fehlen bislang ebenfalls, weshalb die vorliegende<br />
Arbeit in Anlehnung an das Konstrukt der Uni-Kommunikation zunächst fünf<br />
grundlegende Forschungsfragen angeht:<br />
• Wie häufig und mit welchen Methoden werden neue Klingeltöne und Logos auf das<br />
eigene Handy geladen (quantitativer Aspekt)?<br />
• Wodurch wird die Häufigkeit von Klingelton- und Logo-Downloads determiniert?<br />
• Welche Themen stehen bei Klingelton- und Logo-Downloads zur Verfügung und<br />
werden bevorzugt gewählt (qualitativer Aspekt)?<br />
• Wodurch wird die Themenwahl bei Klingelton- und Logo-Downloads determiniert?<br />
• In welchen sozialen Situationen werden Klingeltöne und Logos thematisch und wie<br />
reagieren Ohren- und Augenzeugen?<br />
Das Konstrukt der Uni-Kommunikation hat bislang keine große Verbreitung erfahren,<br />
so dass weder eine elaborierte Theorie noch empirische Untersuchungsinstrumente zur<br />
Verfügung stehen. Dennoch liefert es hilfreiche Anregungen dazu, welche Determinanten<br />
und Konsequenzen bei der Klingelton- und Logo-Nutzung eine Rolle spielen könnten:<br />
So wird die Bedeutung der Identitätskonstruktion und Selbstdarstellung betont,<br />
woraus sich ergibt, dass zwischen den Selbstdarstellungs-Motiven des Individuums, seinen<br />
Interessen und Gruppenzugehörigkeiten (z. B. Altersgruppen, Geschlechtsgruppen)<br />
einerseits und der Klingelton- und Logo-Nutzung andererseits systematische Zusammenhänge<br />
bestehen müssten. Beim Vorliegen entsprechender Korrelationen wären<br />
Klingeltöne und Logos dann tatsächlich indikativ für die Merkmale der Zielperson. Uni-<br />
Kommunikation und Selbstdarstellung implizieren Publikumsadressierung, wobei einerseits<br />
ein selektiertes Publikum gezielt mit einem Klingelton oder Logo konfrontiert<br />
werden kann (gezielte Selbstdarstellung), andererseits aber auch anonyme Publika (z. B.<br />
Passanten) ungezielt zu Ohren- oder Augenzeugen werden können (ungezielte Selbstdarstellung).<br />
Uni-Kommunikation per Klingelton oder Logo funktioniert nur dann, wenn Außenstehende<br />
diese <strong>Medien</strong> überhaupt wahrnehmen und entsprechend reagieren – wobei<br />
sowohl innere (interpersonale Eindrucksbildung) als auch manchmal äußere (interperso-<br />
381
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
nale Kommunikation) Reaktionen zu erwarten sind. Folgt auf die öffentliche Präsentation<br />
von Klingelton und/oder Logo tatsächlich eine interpersonale Anschluss-Kommunikation,<br />
so müsste diese häufig als intra- oder intergruppale Kommunikation strukturiert<br />
sein: Indem nämlich Klingeltöne und Logos standardisierte Symbole der Populär-Kultur<br />
verwenden und Interessen oder Gruppenzugehörigkeiten spiegeln, legen<br />
sie es Personen nahe, sich nicht als singuläre Individuen zu erkennen und anzusprechen,<br />
sondern in erster Linie als Mitglieder der selben sozialen Gruppe (intragruppale Kommunikation;<br />
z. B. zwischen Fans derselben Musikrichtung, die einander anhand eines<br />
Handy-Klingeltons identifizieren) oder aber als Mitglieder einer Outgroup (intergruppale<br />
Kommunikation; z. B. zwischen Fans unterschiedlicher Musikrichtungen, die einander<br />
anhand eines Handy-Klingeltons identifizieren).<br />
Da Klingeltöne und Logos als digitale <strong>Medien</strong> reproduzierbar sind, kann das Teilen<br />
einer Symbolwelt noch mit Interaktionen des Tauschens oder Schenkens gekoppelt<br />
werden und somit soziale Beziehungen stärken oder auch den eigenen sozialen Status<br />
bekräftigen, weil Anzahl und Art der Klingeltöne und Logos, über die eine Person als<br />
Ressourcen verfügt, sozialem Vergleich unterliegen.<br />
Etablierte Forschungsfelder wie Massenkommunikation, politische Kommunikation<br />
oder Öffentlichkeitsarbeit anzuführen, um die vermeintliche Randständigkeit von Uni-<br />
Kommunikation hervorzuheben, ist nicht sinnvoll, da Uni-Kommunikation typischerweise<br />
Botschaften aus den genannten Bereichen aufgreift, umwandelt und rekontextualisiert,<br />
wobei gerade der Aspekt der Gruppenzugehörigkeit von Bedeutung ist:<br />
„The bumper sticker ‘Jesus Saves’, makes use of an automobile, which is both<br />
a means of transportation and a symbol, to carry an additional and more explicit<br />
message to fellow drivers. Such messages ordinarily do not originate with<br />
the person displaying them. Rather, they are mass produced and distributed by<br />
groups who are campaigning for certain causes. The persons displaying these<br />
messages become part of the campaign as well as part of the transmission system.<br />
This makes uni-communication different from other forms of interpersonal<br />
interaction. It communicates affiliation with a group or suggests a social<br />
role rather than making an individual statement. [...] Uni-communication<br />
discloses how the displayer views her or himself in affiliation with others rather<br />
than in relationship to an individual receiver.“ (Cathcart & Gumpert, 1983:<br />
276f.).<br />
Das Konstrukt der Uni-Kommunikation weist also enge Verbindungen zu den sozialpsychologischen<br />
Konstrukten Selbstdarstellung (Leary, 1996), Eindrucksbildung (z. B.<br />
Jones, 1990, Kenny, 1994) sowie soziale Identifikation und intra- bzw. intergruppale<br />
Kommunikation (Tajfel, 1982; Tajfel & Turner, 1979) auf, deren theoretische Modellierungen<br />
in zukünftigen Studien für die Elaboration eines uni-kommunikativen Modells<br />
fruchtbar gemacht werden könnten.<br />
2. Methoden<br />
Zur explorativen Beantwortung der fünf Forschungsfragen wurden drei empirische Studien<br />
durchgeführt: Eine Inhaltsanalyse von n = 10 Websites mit Klingelton- und Logo-<br />
Angeboten, eine leitfadengestützte mündliche Befragung von n = 30 Handy-Nutzern<br />
sowie eine vollstrukturierte Online-Befragung von n = 808 Handy-Nutzern.<br />
382
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
2.1 Inhaltsanalyse<br />
Um die zur Verfügung stehenden Klingelton- und Logo-Angebote zu beschreiben wurden<br />
exemplarisch n = 10 deutschsprachige Websites mit entsprechendem Download-<br />
Bereich einer Inhaltsanalyse unterzogen. Die Anzahl der pro Website angebotenen einzelnen<br />
Klingeltöne und Logos belief sich jeweils auf mehrere Hundert, die auf durchschnittlich<br />
17 Klingelton- und 34 Logo-Rubriken verteilt waren (siehe Tab. 1). Rubriken,<br />
unter denen die Anbieter jeweils thematisch ähnliche Klingeltöne und Logos<br />
gebündelt anbieten, lauten beispielsweise „Klassik“, „Pop“, „HipHop“, „Türkisches“,<br />
„Film & Fernsehen“ (Klingeltöne) oder „Comics & Cartoons“, „Sexy“, „Auto & Verkehr“,<br />
„Sport & Spiele“, „Biene Maja“ (Logos).<br />
Tabelle 1: Klingelton- und Logo-Angebote auf 10 deutschsprachigen Websites<br />
Websites mit Unternehmen Reichweiten Klingelton- Logo-<br />
Klingelton- und der Websites Rubriken Rubriken<br />
Logo-Angeboten Stand: 04/05.2002<br />
bild.t-online.de Bild.T-online.de AG 10.984.821 Visits (1) 26 26<br />
(powered by jamba.de) & Co. KG<br />
bravo.de Heinrich Bauer Zeit- 1.571.739 Visits (1) 18 32<br />
(powered by handy.de) schriften Verlag KG<br />
fun2handy.de INA Germany AG keine E-Mail-Antwort 04 35<br />
handy.de Handy.de Vertriebs 1.043.804 Visits (1) 18 40<br />
GmbH 2,8 Mio Kunden (2)<br />
handy-fantasy.de Logonaut Internet<br />
Services GmbH<br />
& Co KG<br />
10.000 Visits (3) 17 23<br />
handystoff.de pmm GmbH keine Auskunft des<br />
Anbieters<br />
19 83<br />
jamba.de Jamba! AG 8.000.000 Views (3)<br />
1,8 Mio Kunden (2)<br />
26 26<br />
mobilemania.de Hot-Wire-Telekom.de 180.000 Visits (3)<br />
& Human-Call.de<br />
17 24<br />
mtv.de MTV Networks 1.480.983 Visits (1) 12 32<br />
(powered by handy.de) & Co. OHG<br />
sms.de [netzquadrat] GmbH keine E-Mail-Antwort<br />
0,5 Mio Kunden (2)<br />
11 22<br />
Gesamt (Mittelwert) 16,8 34,3<br />
(1) Visits laut IVW-Messung April 2002 www.ivw.de (2) registrierte Kunden laut Selbstauskunft<br />
des Anbieters auf der Website (3) Visits laut Selbstauskunft des Anbieters per E-Mail<br />
Die Inhaltsanalyse anhand von zwei induktiv gewonnenen Kategoriensystemen bezog<br />
sich auf Anzahl und Art der inhaltlichen Rubriken für Klingeltöne und Betreiberlogos<br />
(siehe Kap. 3.3).<br />
383
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
2.2 Leitfaden-Interviews<br />
Mit n = 30 Personen (15 weiblich, 15 männlich) im Alter von 13 bis 28 Jahren wurden<br />
Leitfaden-Interviews zur Nutzung von Klingeltönen und Handylogos durchgeführt.<br />
Die Befragungspersonen wurden teilweise an öffentlichen Orten (Fußgängerzone,<br />
Schnellrestaurant) ohne vorheriges Screening willkürlich rekrutiert und befragt, teilweise<br />
erfolgten auch Befragungen von Studierenden und ihren Bekannten. Gemäß Interview-Leitfaden<br />
wurde zunächst allgemein nach der Handy-Nutzung gefragt, dann<br />
speziell die Quantität und Qualität von Klingelton- und Logo-Downloads angesprochen,<br />
wobei insbesondere Gründe für die Auswahl bestimmter Klingelton-Melodien<br />
oder Logo-Motive sowie besondere Episoden oder Umstände dieser Form der Uni-<br />
Kommunikation im sozialen Kontext zur Sprache kommen sollten. Nutzten die Befragten<br />
selbst keine Klingeltöne und Logos, so wurde dennoch nach Beobachtungen und<br />
Reaktionen auf entsprechende Uni-Kommunikation von anderen gefragt. Die Befragten<br />
zeigten sich dem Forschungsthema gegenüber aufgeschlossen und auskunftsbereit.<br />
Die Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet und für jedes Interview wurde ein<br />
Protokoll mit Nutzungsdaten und einschlägigen Zitaten angefertigt (siehe Kap. 3.5).<br />
2.3 Online-Befragung<br />
Ein standardisierter Online-Fragebogen zur Nutzung von Klingeltönen und Logos<br />
wurde entwickelt, an 40 Probanden vorgetestet und revidiert. In die Item-Konstruktion<br />
gingen Ergebnisse der Inhaltsanalyse und der Leitfaden-Interviews ein. Der Fragebogen<br />
bestand aus fünf thematischen Blöcken, wobei viele Variabeln durch Einzelfragen abgedeckt<br />
wurden, teilweise aber auch selbst konstruierte Kurzskalen zum Einsatz kamen<br />
(siehe Anhang):<br />
1. Häufigkeiten der Klingelton- und Logo-Downloads und verwendete Download-<br />
Methoden (z. B. „Wie oft haben Sie in den letzten zwei Monaten einen neuen Klingelton/ein<br />
neues Logo auf Ihr Handy geladen?“)<br />
2. Determinanten der Download-Häufigkeit: Nutzungshäufigkeit der verwandten <strong>Medien</strong><br />
SMS und Bildmitteilung; Motivation zur Handy-Gestaltung; Geschlecht; Alter;<br />
Individualität im Sinne der Kultivierung eines eigenen Stils; Uniformität im Sinne einer<br />
Orientierung an aktuellen Trends; Klingelton- und Logo-Nutzung im sozialen<br />
Umfeld<br />
3. Themenwahlen bei Klingelton- und Logo-Downloads (z. B. „Aus welchen der folgenden<br />
Rubriken haben Sie bereits Logos auf Ihr Handy geladen?“)<br />
4. Determinanten der Themenwahl (verschiedene Interessen, Geschlecht, Alter)<br />
5. Sozialstatistik<br />
Die Endfassung des Fragebogens enthielt 30 Items und beanspruchte etwa 10 bis 15 Minuten<br />
Bearbeitungszeit, was für einen Online-Fragebogen relativ lang ist. Der Online-<br />
Fragebogen wurde von Dezember 2001 bis Januar 2002 im WWW veröffentlicht und<br />
durch Verlinkung von sieben Handy-Portalen sowie durch Postings in 25 Handy-Foren<br />
beworben. Zielgruppe des Fragebogens waren Personen, die sowohl an der Onlineals<br />
auch an der Mobilkommunikation teilnehmen und Klingeltöne und/oder Handylogos<br />
nutzen. Die Antworten wurden über ein Web-Formular eingelesen und die Daten<br />
mit dem Statistikprogramm SPSS ausgewertet. Der Datensatz enthielt kaum fehlende<br />
Werte und auch das überwiegend positive Feedback im Kommentarfeld des Fragebogens<br />
deutet darauf hin, dass der Fragebogen bei den freiwilligen Teilnehmern auf gute<br />
Akzeptanz stieß.<br />
384
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
Die auf diesem Wege gewonnene Selbstselektions-Stichprobe bestand aus N = 808<br />
Personen (40% weiblich, 60% männlich) im Alter von 11 bis 55 Jahren. 38% der Befragten<br />
waren im Alter von 11 bis 18 Jahren, 46% im Alter von 19 bis 28 Jahren und 16%<br />
im Alter von 29 bis 55 Jahren. Dementsprechend waren die finanziellen Mittel der Befragten<br />
eher gering: Zwei Drittel verfügten über weniger als 500 Euro pro Monat. Etwa<br />
die Hälfte der Befragten lebte in Städten bzw. Orten mit weniger als 20.000 Einwohnern,<br />
die andere Hälfte in größeren Städten. Die meisten Befragten besaßen ein Handy<br />
des Herstellers Nokia (75%), dessen Endgeräte besonders vielfältige Möglichkeiten der<br />
Klingelton- und Logo-Nutzung zulassen. Diverse Download-Angebote sind auch nur<br />
auf Nokia-Handys zugeschnitten. Am zweithäufigsten vertreten waren Siemens-Handys<br />
(14%). Zwei Drittel der Befragten besaßen ihr Handy seit mehr als zwei Jahren. Die<br />
Befragten gaben monatlich im Durchschnitt 38,90 Euro (Standardabweichung s = 48,88)<br />
für ihre Handynutzung aus.<br />
3. Ergebnisse<br />
Aufgrund der willkürlichen Stichprobenziehungen haben die Ergebnisse der Mehrmethoden-Studie<br />
explorativen Charakter, das heißt, sie beanspruchen keine Repräsentativität<br />
für bundesdeutsche Handy-Nutzung. Sie liefern aber erste Anhaltspunkte zu den<br />
fünf Forschungsfragen nach Download-Häufigkeiten und Determinanten von Download-Häufigkeiten,<br />
nach Themen-Wahlen und Determinanten von Themen-Wahlen sowie<br />
nach sozialen Konsequenzen der Klingelton- und Logo-Nutzung in mehr oder minder<br />
öffentlichen Situationen.<br />
3.1 Häufigkeit von Klingelton- und Logo-Downloads<br />
Wie häufig werden neue Klingeltöne und Logos auf das eigene Handy heruntergeladen?<br />
Durchschnittlich 1,75 Mal pro Monat (s = 2,17) luden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
der Online-Fragebogen-Studie einen neuen Klingelton und 1,71 Mal pro Monat<br />
(s = 2,11) ein neues Logo auf ihr Handy. Die Verteilungen der Download-Häufigkeiten<br />
von Klingeltönen und Logos unterschieden sich dabei nicht voneinander. Personen,<br />
die sich Klingeltöne herunterluden, nutzten in der Regel auch Logos (r = .46,<br />
p
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Tabelle 2: Fünf Nutzergruppen im nicht-repräsentativen Online-Sample gemäß Häufigkeit<br />
von neuen Klingelton- und Logo-Downloads (N = 808)<br />
Download-Häufigkeit Klingeltöne Logos<br />
1. Tages-Nutzer 9% 9%<br />
2. Wochen-Nutzer 26% 25%<br />
3. Monats-Nutzer 29% 34%<br />
4. Jahres-Nutzer 14% 15%<br />
5. Nicht-Nutzer 22% 17%<br />
100% 100%<br />
Tabelle 3: Häufigkeit (1: nie bis 4: oft) der Nutzung unterschiedlicher Download-Methoden<br />
im nicht-repräsentativen Online-Sample (arithmetische Mittelwerte,<br />
Standardabweichungen)<br />
Download-Methoden Klingeltöne Logos<br />
Websites 2,98 (1,01) 3,11 (0,97)<br />
mitgeliefert auf dem Handy 2,47 (1,02) 2,41 (1,05)<br />
Freunde 2,07 (1,01) 2,04 (0,95)<br />
Editoren 1,87 (1,07) 1,97 (1,10)<br />
Service-Rufnummern 1,33 (0,72) 1,34 (0,71)<br />
N=629 N = 676<br />
Ein quantitatives Maß für die Nutzungsintensität waren schließlich noch die monatlichen<br />
Kosten für Klingeltöne und Logos (siehe Tab. 4).<br />
Tabelle 4: Logo und Klingelton-Nutzung und deren durchschnittliche monatliche Kosten<br />
in Euro (M, s) im nicht-repräsentativen Online-Sample (N = 808)<br />
Logo-Nutzung Keine Logo-Nutzung<br />
Klingelton-Nutzung 72% (583) 6% (46)<br />
2,41 (4,74) 1,13 (3,85)<br />
Keine Klingelton-Nutzung 11% (93) 11% (86)<br />
0,55 (1,65) 0,00 (0,00)<br />
Mit dem Online-Fragebogen zur Nutzung von Handy-Logos und Klingeltönen wurden<br />
durch Selbstselektion verstärkt Handybesitzerinnen und -besitzer rekrutiert, die<br />
besonderes Interesse an den fraglichen <strong>Medien</strong>produkten hatten und diese überdurchschnittlich<br />
stark nutzten. So war die Gruppe der „Tages-Nutzer“ mit jeweils 70 Personen<br />
verhältnismäßig stark repräsentiert, allerdings befanden sich am anderen Ende des<br />
Spektrums auch Nicht-Nutzer im Sample. Auffallend ist die enorme Varianz der Download-Häufigkeiten<br />
bei den Nutzern: Personen, die einmalig einen Klingelton und ein<br />
Logo herunterladen und diese dann monate- oder jahrelang unverändert lassen, stehen<br />
Vielnutzern gegenüber, die regelmäßig nach einigen Tagen ihre Klingeltöne und Logos<br />
wechseln. Neben dieser interpersonalen Varianz sind jedoch noch intraindividuelle Veränderungen<br />
in der Download-Häufigkeit zu beachten, etwa wenn eine anfängliche Ex-<br />
386
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
perimentierphase nachlässt oder umgekehrt, wenn sich erst nach einer Weile regelmäßige<br />
Nutzungsmuster etablieren.<br />
Da sozial<strong>wissenschaft</strong>liche Studien zur Klingelton- und Logo-Nutzung bislang fehlen,<br />
stehen Vergleichsdaten nur aus der Marktforschung zur Verfügung. Mit monatlichen<br />
Ausgaben von durchschnittlich 2,14 Euro (s = 4,46) für Klingeltöne und Logos erwiesen<br />
sich die hier befragten Handynutzer mit Internetzugang als besonders aktive<br />
Konsumenten auf dem Klingelton- und Logo-Markt, denn für norwegische Handy-<br />
Nutzer wurden die monatlichen Pro-Kopf-Ausgaben auf 0,45 Euro (5,43 Euro pro Jahr)<br />
beziffert (Strand Consult, 2001; vgl. Einleitung).<br />
3.2 Determinanten der Häufigkeit von Klingelton- und Logo-Downloads<br />
Häufige Klingelton- und Logo-Downloads sollten auf der Ebene des Umgangs mit der<br />
Technik mit einer verstärkten Nutzung ähnlicher <strong>Medien</strong> (SMS, Bildmitteilungen) sowie<br />
mit einer Motivation zur Handy-Gestaltung einhergehen. Letztere beinhaltet das<br />
von Joachim Höflich und Patrick Rössler (2001) bereits im Zusammenhang mit SMS-<br />
Nutzung identifizierte Motiv, „die technischen Möglichkeiten des Geräts auszuprobieren“<br />
(zur Operationalisierung siehe Anhang). Tatsächlich zeigten sich entsprechende<br />
positive Zusammenhänge (siehe Tab. 5), die hier als Determinanten plausibilisiert werden,<br />
wobei Kausalitätsnachweise weiteren Studien vorbehalten sind.<br />
Auf Seiten des Individuums zeigte sich kein Alterseffekt. Ein Geschlechtseffekt wurde<br />
in der Weise deutlich, dass sich unter den Vielnutzern (bzw. Tagesnutzern, siehe oben<br />
Tab. 2) etwa doppelt so viele Jungen und Männer wie Mädchen und Frauen befanden.<br />
Andererseits zeigte eine Umfrage von N = 2.979 norwegischen Schülern, dass 50% der<br />
Mädchen und 43% der Jungen Klingeltöne „sehr wichtig“ fanden (Skog, 2002), so dass<br />
Geschlechtseffekten noch genauer nachzugehen wäre. Selbststilisierungen im Sinne von<br />
Individualität („Ich habe meinen eigenen Stil.“; siehe Anhang) sowie von Uniformität<br />
(„Wenn etwas gerade im Trend ist, mache ich gerne mit.“; siehe Anhang) korrelierten<br />
positiv mit Klingelton- und Logo-Downloads, wobei sich Logo-Downloads durch diese<br />
Variablen besser vorhersagen ließen. Individualität und Uniformität im hier definierten<br />
Sinne stehen insofern nicht in Widerspruch zueinander, als man sich mit häufig<br />
wechselnden Klingeltönen und Logos zwar von anderen Nutzern abhebt, gleichzeitig<br />
die Distinktionssymbole aber aus dem allgemein zugänglichen Pool populärkultureller<br />
Symbole stammen (sofern nicht Eigenproduktionen vorgenommen werden).<br />
Technikaneignung unterliegt gerade bei Netzmedien starker sozialer Normierung<br />
(vgl. Fulk, Schmitz & Steinfield, 1990). Und tatsächlich erwiesen sich Nutzungsintensität<br />
und Nutzungsnormen im sozialen Umfeld („Viele meiner Freunde nutzen sehr<br />
häufig Klingeltöne oder Logos.“; „Meine Freunde finden Klingeltöne und Logos gut.“,<br />
siehe Anhang) als der beste Prädiktor für die individuellen Download-Häufigkeiten –<br />
sowohl im Sinne der bivariaten Korrelationen als auch der Beta-Gewichte im Kontext<br />
der multiplen Regression.<br />
Trotz der verwendeten Kurzskalen und ihrer teilweise suboptimalen internen Konsistenzen<br />
(siehe Anhang) konnten durch die multiple Regression substanzielle Varianzanteile<br />
aufgeklärt werden (19% bei den Klingeltönen, 16% bei den Logos), die sich<br />
durch eine verbesserte Operationalisierung vermutlich noch steigern ließen. Wer einen<br />
individuellen Stil oder eine allgemeine Trendorientierung kultiviert, lädt etwas häufiger<br />
Klingeltöne und vor allem Logos auf das eigene Handy, was ein Indiz für deren unikommunikative<br />
Aneignung ist. Ein Reiz von Klingeltönen und Logos scheint in der<br />
Handy-Gestaltung zu liegen, hier wäre der Frage nachzugehen, inwiefern damit eine<br />
387
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
uni-kommunikative Selbstbestätigung und Imagepflege hinsichtlich der eigenen Technikkompetenz<br />
verbunden ist. Die Nutzungsintensität von Klingeltönen und Logos als<br />
digitalen (und damit kopierbaren und selbst distribuierbaren) Netzmedien korreliert<br />
eng – und vermutlich enger als bei vielen anderen <strong>Medien</strong> der Uni-Kommunikation wie<br />
z. B. bedruckten T-Shirts – mit der Nutzungsintensität im sozialen Umfeld.<br />
Tabelle 5: Determinanten der Häufigkeit von Klingelton- und Logo-Downloads<br />
(r: bivariate Korrelationen; b: nur signifikante beta-Koeffizienten in der<br />
multiplen Regression R; *: p < .05)<br />
Prädiktoren r b r b<br />
Klingelton- Klingelton- Logo- Logo-<br />
Downloads Downloads Downloads Downloads<br />
Technik<br />
1. SMS .08 .13*<br />
2. Bildmitteilungen .29* .16* .24* .15*<br />
3. Skala Handy-Gestaltung .28* .16* .24* .13*<br />
Individuum<br />
4. Geschlecht (1:w, 2:m) .07 .11* .13* .19*<br />
5. Alter -.05 .01<br />
6. Skala Individualität .04 .11*<br />
7. Skala Uniformität .16* .10*<br />
Soziales Umfeld<br />
8. Skala Klingelton-<br />
bzw. Logo-Nutzung .37* .25* .32* .22*<br />
N=600 R = .44, N = 640 R = .41,<br />
p < .001 p < .001<br />
R 2<br />
korr = 19% R 2<br />
korr = 16%<br />
Die Interview-Studie zeigte, dass Nicht-Nutzer vor allem drei Gründe für ihre Klingelton-<br />
und Logo-Abstinenz nannten: 1. Ihr Handytyp erlaubte keine zusätzlichen Klingeltöne<br />
oder Logos, 2. entsprechende Angebote wurden als zu teuer eingestuft oder 3.<br />
nicht für sinnvoll befunden („Das interessiert mich einfach nicht. Hauptsache, das Handy<br />
klingelt“; „Hat nichts mit dem Preis zu tun, das Handy ist kein Spielzeug für mich“).<br />
3.3 Themenwahl bei Klingelton- und Logo-Downloads<br />
Welche Themen stehen für Klingelton- und Logo-Downloads zur Verfügung und werden<br />
bevorzugt gewählt? Bei den Klingeltönen und Logos, die auf das Handy geladen<br />
werden, handelt es sich entweder um vorproduzierten mobilen Content oder um Eigenproduktionen.<br />
Das Angebot an vorproduziertem Content ist entsprechenden Download-Sites<br />
im WWW oder auch Zeitschriften-Anzeigen zu entnehmen. Unter dem<br />
Aspekt der Uni-Kommunikation interessiert vor allem, welche selbstbezogenen Aussagen<br />
durch die Wahl von Klingeltönen und Logos getroffen werden können.<br />
Eine Annäherung an das Aussagen-Potenzial der Klingeltöne und Logos erfolgte<br />
durch eine Inhaltsanalyse der Klingelton- und Logo-Rubriken auf 10 ausgewählten<br />
Websites. Das Kategoriensystem wurde – mangels einer theoretisch ableitbaren, trenn-<br />
388
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
scharfen und erschöpfenden Taxonomie von identitätsrelevanten Themen – sowohl für<br />
Klingeltöne als auch für Logos induktiv gewonnen (siehe Tab. 6 und Tab. 7). Hierzu<br />
wurden die vorgefundenen Rubriken in der Weise gebündelt und etikettiert, dass ihre<br />
Aussagekraft für individuelle Präferenzen oder Gruppenzugehörigkeiten deutlich wird.<br />
Klingelton-Rubriken wie „Pop“, „Rock“, „Klassik“ oder „Charts“ lassen etwa Rückschlüsse<br />
auf den Musikgeschmack einer Person zu. So berichteten Jugendliche in den<br />
Leitfaden-Interviews, sie würden sich gezielt ihr „Lieblingslied“ als Klingelton herunterladen<br />
oder ihren jeweiligen Favoriten aus der aktuellen Hitparade. Manche monierten<br />
auch, dass Klingelton-Anbieter den von ihnen bevorzugten Musikstil (z. B. „Techno“)<br />
in ihrem Angebot nicht genügend berücksichtigen. Die uni-kommunikative Bedeutung<br />
von Klingeltönen, die bestimmte Musikstile oder auch einzelne Interpreten repräsentieren,<br />
besteht prinzipiell darin, dass eine Person ihre Musikorientierung durch<br />
die Wahl des Klingeltons unterstreichen und dem Umfeld unausgesprochen mitteilen<br />
kann, so dass Anhänger derselben Stilrichtung einander ebenso erkennen (intragruppale<br />
Kommunikation), wie Fans unterschiedlicher Musikstile sich voneinander abheben<br />
(intergruppale Kommunikation).<br />
Die Zuordnung der auf den Websites vorgefundenen Rubriken zu den thematischen<br />
Kategorien der Inhaltsanalyse erfolgte durch zwei unabhängige Kodierer, wobei über<br />
alle 168 Klingelton-Rubriken hinweg eine sehr gute Inter-Coder-Reliabilität zu beobachten<br />
war (ICR = .98, Cohens Kappa).<br />
Die Auswertung zeigte, dass bei den Klingeltönen der Schwerpunkt tatsächlich auf<br />
Musikstilen liegt, die sehr ausdifferenziert darstellbar sind: 61% der Klingelton-Rubriken<br />
der n = 10 betrachteten Websites beinhalteten Musikstile. Sie fehlten auf keiner einzigen<br />
der 10 Websites und umfassten Klassik und Country ebenso wie Volksmusik,<br />
Neue Deutsche Welle, Pop, Rock, HipHop oder die aktuellen Charts.<br />
Mit vielfältigen Konnotationen versehen sind Erkennungsmelodien von Fernseh-Serien<br />
sowie Filmmusiken: Von „Dallas“ über die „Sendung mit der Maus“ bis zu „Miss<br />
Marple“, „Ally McBeal“, „Star Trek“, „James Bond“ oder „Indiana Jones“ reicht das<br />
Spektrum, wobei trotz monophonischer Realisation (vgl. Kap. 1.2) teilweise eine verblüffend<br />
leichte Wiedererkennbarkeit der Melodien gegeben ist, die interessanterweise<br />
häufig gerade durch eine Veränderung der Original-Melodie z. B. hinsichtlich Tonart,<br />
Tonumfang, Notenlänge erreicht wird.<br />
Während Klingeltöne aus den Rubriken „Musik“ und „Film/TV“ vor allem Rückschlüsse<br />
auf den Geschmack des Nutzers zulassen und Fangemeinschaften als soziale<br />
Bezugsgruppen salient machen, lassen Rubriken wie „Nationalhymnen“ oder „Türkisches“<br />
Bezüge zur Nationalität und Rubriken wie „Kinderlieder“ oder „Oldies“ Bezüge<br />
zur Generation anklingen. Der aus dem Konstrukt der Uni-Kommunikation abgeleitete<br />
Ansatz, inhaltliche Klingelton- und Logo-Rubriken mit Selbst-Aspekten bzw.<br />
Identitäten zu verknüpfen, ist hier freilich nur als erste Annäherung zu verstehen. Doch<br />
es scheint zunächst plausibel, dass mit türkischen Klingelton-Melodien vermutlich eine<br />
entsprechende nationale Identität unterstrichen wird. Und es hat sich gezeigt, dass ältere<br />
Nutzer tatsächlich verstärkt „Oldies“ herunterladen, so dass dieser Rubrik ein Generations-Thema<br />
zugeschrieben werden kann (vgl. Kap. 3.4). Schließlich sind eine Reihe<br />
spezifischer Interessen und Vorlieben durch entsprechende Klingeltöne darstellbar:<br />
Produkt- bzw. Firmen-Werbung etwa für Coca-Cola, Haribo oder MacDonalds, Fußball-Hymnen,<br />
Sounds von Computerspielen und Jagdsignale. Weniger identitätsbezogen<br />
sind dagegen saisonale Klingeltöne (v. a. Weihnachtslieder) sowie abstrakte<br />
Handysounds, die in Klang, Form und Darbietungsart so nur mit dem Handy realisierbar<br />
sind.<br />
389
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Es ist unter ökonomischen Gesichtspunkten davon auszugehen, dass Klingelton-<br />
Themen, die von Anbietern besonders umfassend abgedeckt werden, gleichzeitig auch<br />
jene sind, die sich bei den Nutzern größerer Beliebtheit erfreuen. So produziert etwa<br />
Jamba.de jede Woche gezielt rund fünf neue Klingeltöne und zwanzig neue Logos für<br />
die laut Webstatistik am häufigsten nachgefragten Downlaod-Rubriken. Tatsächlich<br />
zeigte sich, dass die meisten befragten Klingelton-Nutzer (87%) im Online-Sample<br />
schon mindestens einmal einen Klingelton aus der Kategorie „Musik“ heruntergeladen<br />
hatten (siehe Tab. 6). Klingeltöne mit Bezügen zu Nation oder Generation wurden von<br />
einer Minderheit von gut 10% genutzt, auf Erkennungsmelodien von Fernsehserien<br />
oder Filmmusiken hatte dagegen schon fast jede/r zweite zurückgegriffen.<br />
Tabelle 6: Klingelton-Themen: Angebot und Nutzung<br />
Kategorien von Beispiele für Anteil der Anzahl der Wahl der<br />
Klingelton-Themen Klingelton-Rubriken Websites Rubriken Themen<br />
(alphabetisch) laut Anbieter (N = 10 (N = 168 (N = 629<br />
Websites) Rubriken) Klingelton-<br />
Nutzer)<br />
1. Computer Computerspiele 20% 2<br />
2. Feiertage Weihnachtslieder 30% 3<br />
3. Film/TV Film/TV 90% 11 (6%) 45%<br />
4. Fußball Fan-Hymnen,<br />
Fußball WM 2002<br />
60% 8<br />
5. Generation Oldies, Kinderlieder 70% 10 (6%) 13%<br />
6. Handysounds Handysounds,<br />
Motorola Töne<br />
80%<br />
7. Jagd Jagdsignale 10% 1<br />
8. Musik Pop, Rock, Klassik, Charts 100% 103 (61%) 87%<br />
9. Nation Türkisches, Nationalhymnen<br />
90% 13 (8%) 11%<br />
10. Produkte/Firmen Werbung, Jingles 80% 8<br />
11. Sonstiges Sonstiges 10% 1<br />
Aus Platzgründen konnten im Online-Fragebogen nicht alle thematischen Kategorien abgefragt<br />
werden, so dass Angaben zu Nutzungshäufigkeiten nur für ausgewählte Themen vorliegen.<br />
Ebenso wie die Klingelton-Rubriken wurden dann auch die Logo-Rubriken der 10<br />
Websites in der Weise thematisch gebündelt, dass auf selbstbezogene Aussagen geschlossen<br />
werden kann (Inter-Coder-Reliabilität des Kategoriensystems über alle 343<br />
Logo-Rubriken: ICR = .92). Es zeigte sich, dass Logo-Angebote qualitativ ein sehr viel<br />
breiteres Spektrum an Themen abdecken als Klingelton-Angebote: Von den elf Klingelton-Themen<br />
(siehe oben Tab. 6) waren 8 auch als Logo-Themen vertreten (2, 5, 8, 10,<br />
15, 16, 18, 23; Generation und Jagd fehlten als Themen, ebenso die akustisch abstrakten<br />
„Handysounds“, mit denen jedoch die grafisch abstrakten Logo-“Muster“ korrespondieren,<br />
siehe Tab. 7). Zusätzlich zu den Themen des Klingelton-Kategoriensystems wurden<br />
zwölf weitere Themen-Kategorien aufgenommen.<br />
390
Das breitere Themenspektrum auf Seiten der <strong>Medien</strong>angebote spiegelte sich in einem<br />
stärker aufgefächerten Nutzungsverhalten wider, wobei „Cartoons“ (53%), „Muster“<br />
(38%), „Liebe“ (35%) und „Sprüche“ (28%), die jeweils die grafische und verbale Qualität<br />
des Mediums Logo ausnutzen, besonders beliebt waren.<br />
Tabelle 7: Logo-Themen: Angebot und Nutzung<br />
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
Kategorien von Beispiele für Anteil der Anzahl der Wahl der<br />
Logo-Themen Logo-Rubriken Websites Rubriken Themen<br />
(alphabetisch) laut Anbieter (N = 10 (N = 343 (N = 676<br />
Websites) Rubriken) Logo-<br />
Nutzer)<br />
1. Auto/Motorrad Auto, Motorrad, Fahrzeuge 90% 16 09%<br />
2. Berufe Berufe, Business 70% 8<br />
3. Cartoons Cartoons, Comics,<br />
Lustiges, Fun<br />
100% 28 (8%) 53%<br />
4. Computer Computer, Technik,<br />
Handy 60% 9<br />
5. Feiertage Weihnachten, Ostern,<br />
Muttertag<br />
70% 16<br />
6. Film/TV Film/TV 80% 27 (8%) 17%<br />
7. Fußball Fan-Hymnen,<br />
Fußball WM 2002<br />
70% 8<br />
8. Liebe Liebe 100% 10 35%<br />
9. Musik Musik 90% 14 14%<br />
10. Muster Muster, Symbole,<br />
Ornamente<br />
90% 21 (6%) 38%<br />
11. Mystery/Horror Mystery, Horror, Gruseliges 90% 9 17%<br />
12. Namen Namen, Vornamen 40% 8 27%<br />
13. Nation Türkisches, Asiatisches 70% 9<br />
14. Produkte/Firmen Firmen, Marken 70% 12<br />
15. Reisen/Länder Reisen, Länder, Urlaub 80% 10 07%<br />
16. Sex Sex, Erotik, Sexy, Hotgirls 100% 13 17%<br />
17. Sport/Spiele Sport, Spiele 100% 12<br />
18. Sprüche Sprüche, Bekenntnisse 100% 19 (6%) 28%<br />
19. Sternzeichen Sternzeichen 100% 10<br />
20. Tiere/Natur Tiere, Natur, Pflanzen 100% 15 27%<br />
21. Sonstiges Sonstiges, Top Download,<br />
Weltraum, Freibeuter/Piraten,<br />
Esoterik, Drugs<br />
100% 69<br />
Aus Platzgründen konnten im Online-Fragebogen nicht alle thematischen Kategorien abgefragt<br />
werden, so dass Angaben zu Nutzungshäufigkeiten nur für ausgewählte Themen vorliegen.<br />
391
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Durch die enge Verknüpfung mit dem Musikmarkt spielen bei den Klingelton-Angeboten<br />
urheber- und lizenzrechtliche Fragen eine größere Rolle als bei den Logo-Angeboten,<br />
wo sie primär in der Rubrik „Cartoons“ oder „Produkte/Firmen“ virulent werden.<br />
Der Anbieter Handy-Fantasy.de hatte zum Untersuchungszeitpunkt etwa sein<br />
Klingelton-Angebot vorläufig eingestellt:<br />
„Liebe Kunden von HANDY-FANTASY,<br />
da zur Zeit fast alle Musikverlage sowie diverse Einzelinterpreten alle Anbieter<br />
von Klingeltönen abmahnen und teils horrende Summen fordern, können wir leider<br />
innerhalb der nächsten Wochen keine Klingeltöne mehr von unserer Homepage<br />
direkt versenden, solange bis die Rechtslage eindeutig geklärt ist. Traurig ist<br />
insbesondere, dass wir hohe GEMA-Gebühren gezahlt haben, wovon die Konzerne<br />
und Interpreten zwar auch profitiert haben, uns aber jetzt trotzdem abmahnen.<br />
Anstatt sich zu freuen, dass Ihr mit Euren Klingeltönen für Eure Idole<br />
gratis Werbung macht, wird uns verboten, diese Melodien für Euch bereitzustellen.<br />
Kaum verständlich, oder?“ (www.handyfantasy.de; 28. Mai 2002)<br />
Während es bei der Produktion von Klingeltönen um das Nachkomponieren bekannter<br />
Melodien geht und Neukompositionen kaum gefragt sind, können im Bereich der Logos<br />
originelle Neukreationen wirkungsvoll sein. Somit beschäftigen die Logo-Anbieter<br />
teilweise eigene Designer, die fortlaufend neue Motive entwerfen. Manchmal wird auch<br />
den Nutzern die Möglichkeit geboten, ihre Eigenkreationen auf dem Server zur Verfügung<br />
zu stellen. Bei Handy.de werden die User-Logos nach dem selben Rubriken-Schema<br />
eingeteilt wie die vom Anbieter produzierten Logos.<br />
Dass bei den Handylogos ein individualisierendes Moment stärker zum Tragen<br />
kommt, zeigt sich nicht nur in der verglichen mit Klingeltönen größeren Vielfalt der<br />
Themen, sondern auch darin, dass Logos tatsächlich etwas häufiger als Klingeltöne mit<br />
Editoren selbst erstellt werden (siehe oben Tab. 3) und dass die Logo-Nutzung auch<br />
überzufällig mit der Individualitäts-Skala korreliert (siehe oben Tab. 5). So berichtete ein<br />
23-jähriger Auszubildender aus der Computerbranche im Interview, er würde niemals<br />
auf vorgefertigte Logo-Motive zurückgreifen, sondern immer mit Editoren arbeiten,<br />
schließlich „geht’s ja um das Individuelle“. Wer per Editor kein eigenes Design entwerfen<br />
kann oder will, mag als individuelle Lösung immer noch eigene Fotovorlagen in Logos<br />
umwandeln lassen.<br />
3.4 Determinanten der Themenwahl von Klingelton- und Logo-Downloads<br />
Das Konstrukt der Uni-Kommunikation besagt, dass Menschen Klingeltöne und Logos<br />
in der Weise auswählen, dass darin ihre Interessen und Gruppenzugehörigkeiten zum<br />
Ausdruck kommen. Dementsprechend müsste sich etwa die Identifikation mit einem<br />
bestimmten Musikstil (z. B. „Pop“ oder „Rock“) auch in einer überzufällig häufigeren<br />
Wahl von Klingeltönen aus dieser Rubrik niederschlagen. Die stärkere Affinität von<br />
Jungen und Männern zu „Film/TV“ müsste sich im Vergleich zu Frauen in einer häufigeren<br />
Nutzung diesbezüglicher Klingeltöne (und Logos) ebenso niederschlagen wie ältere<br />
Menschen häufiger als Jüngere Oldies als Klingeltöne wählen sollten.<br />
Bei der thematischen Klingelton-Wahl war der Effekt des Musikgeschmacks durchweg<br />
sehr deutlich: Diejenigen, die besonderes Interesse an Musik aus den Charts angaben,<br />
hatten mit überwältigender Mehrheit bereits mindestens einmal einen Klingelton aus<br />
dieser Rubrik gewählt (85%), während von den Klingelton-Nutzern ohne ausdrückli-<br />
392
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
ches Interesse an den Charts nur 31% einen Klingelton aus dieser Rubrik genutzt hatten.<br />
Thomas, Fan der schwedischen Band „Millencolin“, berichtete im Interview, dass<br />
er bevorzugt T-Shirts mit Motiven und Tourdaten seiner Lieblingsband trägt und sich<br />
für sein neues Handy auch gleich das Millencolin-Logo von der Band-Homepage heruntergeladen<br />
hat. Er nutzt also ergänzend verschiedene <strong>Medien</strong> der Uni-Kommunikation,<br />
die von der Band bereitgestellt werden. Geschlechtseffekte zeigten sich nicht nur in<br />
der Rubrik „Film/TV“, sondern auch bei einzelnen Musikrichtungen. Der systematische<br />
Alterseffekt, der für das Thema „Generation“ (Rubrik „Oldies“) und für die<br />
Rubrik „Klassik“ nachweisbar war, zeigte sich komplementär für „HipHop“ – einem<br />
Musikstil, der offensichtlich Jugendkultur repräsentiert.<br />
Um die selbstdarstellerische bzw. identitätsbezogene Bedeutung von Klingeltönen<br />
genauer zu untersuchen, wären weitere qualitative Befragungen sinnvoll, die individuelle<br />
Interpretationen des <strong>Medien</strong>angebots enthüllen. So werden einzelne Musikstücke<br />
teilweise nicht ausgewählt, weil sie einen bevorzugten Musikstil repräsentieren, sondern<br />
weil sie den Nutzer an eine bestimmte Situation erinnern oder weil der Liedtext sie anspricht.<br />
Der 25-jährige Danny berichtete im Interview, er hätte sich „Der kleine Trompeter“<br />
als Klingelton auf sein Handy geladen – weniger, weil er Arbeiterkampflieder<br />
mag, sondern eher, weil er selbst Gitarre und Trompete spielt. Ein Student aus den alten<br />
Bundesländern berichtete, er verwende die Nationalhymne der DDR als Klingelton,<br />
„weil ich in Ilmenau studiere und es einfach eine ausgeglichen komponierte Melodie ist“.<br />
Bei der Wahl der Handylogos, die inhaltlich ein viel weiteres Spektrum an Selbst-<br />
Aspekten adressieren können, zeigte sich erwartungskonform ein sehr deutlicher Einfluss<br />
aller thematisch korrespondierenden Interessen bzw. Hobbys (siehe Tab. 9). Stereotypkonforme<br />
Geschlechtseffekte traten prägnant zu Tage, etwa in der Weise, dass das<br />
Thema „Auto/Motorrad“ kaum von weiblichen (3%), dagegen nennenswert von männlichen<br />
(14%) Personen in der Stichprobe gewählt wurde. Weibliche Personen wählten<br />
doppelt so oft Liebes-Motive wie männliche, umgekehrt wählten männliche Personen<br />
doppelt so oft Sex-Motive wie weibliche. Dennoch standen Liebes-Motive mit 24%<br />
auch bei Jungen relativ hoch im Kurs und wurden Sex-Motive von den befragten<br />
Mädchen (10%) nicht durchgängig verschmäht. Alters- bzw. Generationseffekte zeigten<br />
sich bei diversen Themen, wobei die Attraktivität der jeweiligen Themen typischerweise<br />
mit dem Alter abnahm, bestenfalls gleich blieb. Lediglich bei dem Thema „Reisen/Länder“<br />
war ein Anstieg der Themenwahl mit dem Alter zu beobachten, was darauf<br />
hindeutet, dass die angebotenen Logo-Themen vor allem auf die jüngere Generation<br />
zugeschnitten sind.<br />
Die in der Online-Befragung nachgewiesene enge Verbindung zwischen Themenwahlen<br />
einerseits und Interessen, Geschlechtszugehörigkeit und Altersgruppe andererseits<br />
belegt das uni-kommunikative Potenzial von Klingeltönen und Logos, das auch die<br />
Interview-Partner bestätigten: So berichtete ein 23-jähriger Angestellter, er habe sich als<br />
Logo ein „Schwert“ heruntergeladen, das sei „schlicht und geradlinig“ und war das einzige<br />
Logo, das ihm gefallen habe und seine Persönlichkeit widerspiegele. Seine Motivwahl<br />
korrespondiert mit der Beobachtung einer Schülerin, die im Interview meinte,<br />
„Jungs haben brutale Logos, Messer und so“, während bei Mädchen eher „Teddys und<br />
Herzen“ auf dem Handydisplay zu sehen seien. Ein 22-jähriger Student, dessen Hobby<br />
Fantasy-Rollenspiele sind, wählte deswegen ein keltisches Symbol als Handy-Logo. Ein<br />
13-jähriger Realschüler meinte, dass er Klingeltöne nach „Lust und Laune“ auswählt,<br />
Logos dagegen „nach seiner Meinung, zum Beispiel ‚Nazis raus‘“.<br />
In den Interviews gab es auch Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Themenwahl<br />
und Download-Häufigkeit. Nutzer, die ihre Klingeltöne und Logos häufiger – etwa bin-<br />
393
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Tabelle 8: Themen-Wahl bei Klingeltönen in Abhängigkeit von Interesse, Geschlecht und Alter (prozentuale Anteile von N = 629 Klingelton-Nutzer/innen;<br />
Chi-Quadrat-Tests, *: p < .05; Lesebeispiel 1. Zeile: 50% der Befragten mit ausdrücklichem Film/TV-<br />
Interesse haben schon einen Film/TV-Klingelton genutzt, dagegen nur 35% der Befragten ohne entsprechendes Interesse)<br />
394<br />
Kategorien von N = 629 Interesse Interesse Geschlecht Geschlecht Alter Alter Alter<br />
Klingelton- nein ja weiblich männlich 11-18 J. 19-28 J. 29-55 J.<br />
Themen N > 256 N > 73 N = 238 N = 391 N = 251 N = 276 N = 102<br />
(alphabetisch)<br />
1. Film/TV 45% 35 50 * 34 54 * 44 50 39<br />
2. Generation 13% 12 17 07 13 26 *<br />
3. Musik<br />
– Charts 63% 31 85 * 72 55 * 75 56 56 *<br />
– Hip Hop 22% 4 67 * 23 22 41 18 03 *<br />
– Klassik 15% 07 63 * 16 13 08 18 20 *<br />
– Party-Hits 24% 12 51 * 20 26 28 19 23<br />
– Pop 35% 10 55 * 44 28 * 41 24 40 *<br />
– Rock 27% 07 58 * 21 31 * 29 21 29<br />
4. Nation 11% 06 14 * 13 08 10
Tabelle 9: Themen-Wahl bei Logos in Abhängigkeit von Interesse, Geschlecht und Alter (prozentuale Anteile von N = 676 Logo-<br />
Nutzer/innen; Chi-Quadrat-Tests, *: p 502 N > 57 N = 269 N = 407 N = 283 N = 293 N = 100<br />
1. Auto/Motorrad 09% 03 25 * 03 14 * 09 06 12<br />
2. Cartoons 53% 57 48 * 55 52 51<br />
3. Film/TV 17% 08 22 * 09 24 * 22 15 2 *<br />
4. Liebe 35% 48 24 * 43 34 26 *<br />
5. Musik 14% 02 19 * 11 17 * 23 11 05 *<br />
6. Muster 38% 36 40 40 45 29 *<br />
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
7. Mystery/Horror 17% 12 23 * 26 14 09 *<br />
8. Namen 27% 25 29 26 24 33<br />
9. Reisen/Länder 07% 04 13 * 06 07 04 05 12 *<br />
10. Sex 17% 10 23 * 23 16 11 *<br />
11. Sprüche 28% 26 30 41 24 14 *<br />
12. Tiere/Natur 27% 19 57 * 43 12 * 29 24 27<br />
395
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
nen einiger Wochen – verändern, greifen eher auf Motive zurück, die per se eine turnusmäßige<br />
Aktualisierung nahe legen (z. B. Klingeltöne aus der Rubrik „Charts“ oder Logos<br />
aus der Themenkategorie „Feiertage“). Viel-Nutzer, die bereits nach einigen Tagen<br />
ihre Klingeltöne und/oder Logos austauschen, sind innerhalb der von ihnen präferierten<br />
Themenfelder offensichtlich von originellen oder trendigen Neuerscheinungen fasziniert.<br />
Ein 28-jähriger studentischer Vielnutzer berichtete, er sei „immer auf der Suche<br />
nach witzigen Logos. Das ist eine Sammlerleidenschaft wie bei mp3“.<br />
3.5 Soziale Konsequenzen der Klingelton- und Logo-Nutzung<br />
Im Rahmen der Leitfaden-Interviews wurden insgesamt zehn ausführliche Episoden zu<br />
situationsspezifischen sozialen Konsequenzen der Klingelton- und Logo-Nutzung erzählt.<br />
Diese Situationen (ergänzt um zwei Online-Quellen) behandeln gezielte und ungezielte<br />
Selbstdarstellungen samt Reaktionen sowie intra- und intergruppale Anschluss-<br />
Kommunikation.<br />
Gezielte Selbstdarstellung<br />
Bei der gezielten Selbstdarstellung verwendet der Handybesitzer Klingeltöne und vor<br />
allem Logos bewusst, um sich gegenüber den gerade Anwesenden in Szene zu setzen:<br />
Aktiv spielt er anderen seinen Klingelton vor oder präsentiert das Display seines Handys,<br />
was Alexandra Weilenmann und Catrine Larsson (2002: 95f.) auf der Basis ihrer<br />
Feldbeobachtungen im Zusammenhang mit SMS-Kommunikation als „minimal forms<br />
of sharing“ bezeichnen, das heißt, nicht das Handy wird verliehen („physical sharing“),<br />
sondern der symbolische Inhalt wird sozial geteilt. Dieses kann beim Publikum auf positive<br />
Resonanz, auf Gleichgültigkeit oder auch auf Ablehnung stoßen, wie die folgenden<br />
fünf Episoden illustrieren:<br />
• Bei einer Party führte Hannes, ein Auszubildender, seinen Kumpels sein neuestes<br />
Logo aus der Rubrik Cartoons vor: Es zeigte neben dem Schriftzug „BSE“ eine „verrückte<br />
Kuh“. Das Logo wurde allgemein als witzig eingestuft. Sein Besitzer war eine<br />
ganze Weile Zentrum der Aufmerksamkeit und reüssierte als Unterhalter. Er zeigte<br />
sein Handy herum und verschickte das Logo spontan an einige Interessierte, die<br />
Logo-fähige Handys bei sich hatten.<br />
• Der 28-jährige Markus legte bei einem Restaurantbesuch mit Freunden sein Handy<br />
auf den Tisch, so dass die anderen sein Logo aus der Rubrik Produkte/Firmen prompt<br />
bemerkten und nachfragten. Es handelte sich um das Logo der Firma, bei der er seit<br />
Neuestem beschäftigt ist. Erfreut über das Interesse an seiner Arbeit und seiner Firma<br />
berichtete er ausführlich und war ganz in seinem Element.<br />
• Sichtlich stolz war Julia, eine Psychologiestudentin, die ihren neuesten Klingelton aus<br />
der Rubrik Film/TV („Miss Marple“) zwei Freunden ausgiebig vorspielte. Diese<br />
konnten sich jedoch wenig für den Klingelton erwärmen. Die Ironie ihrer „Ganz<br />
toll!“-Ausrufe bemerkte die enthusiastische Handybesitzerin nach Auskunft des einen<br />
Freundes jedoch nicht.<br />
• Juliane, eine 13-jährige Schülerin, nutzt ein Logo aus der Rubrik Namen („Jule“), das<br />
ihr ein Verwandter aus dem Internet besorgte. Eine Mitschülerin kommentiert: „Sie<br />
will sich eben immer abheben. Sie wird auch immer ganz zickig, wenn man mal das<br />
gleiche Büchlein oder Hausaufgabenheft hat wie sie. Aber mit dem Handy will sie<br />
sich vielmehr in der Klasse beliebt machen, sie wird nämlich nicht so besonders anerkannt.<br />
Da hat sie doch tatsächlich zu uns gesagt, wir dürfen ihr Handy mitbenut-<br />
396
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
zen. Das Logo soll auf jeden Fall immer jeder sehen, da tut sie so, als ob sie sich das<br />
Handy ansieht oder SMS schreibt oder spielt – nur damit niemand in der Klasse es<br />
übersieht.“<br />
• Eine ähnlich offensive, gezielte Selbstdarstellung wie Juliane betreibt auch die 13jährige<br />
Sandra gegenüber ihren Mitschülern, nachdem sie von ihren Eltern das allerneueste<br />
Motorola-Handy geschenkt bekommen hat, das neben herkömmlichen Betreiberlogos<br />
auch Bildschirmschoner unterstützt. Eine Mitschülerin kommentiert:<br />
„Sandra hat als Bildschirmschoner Batman, der in seinem Auto an einer Mauer vorbeifährt.<br />
Woher ich das weiß? Natürlich, weil sie es einem förmlich unter die Nase<br />
hält. Neulich wurde sie in Mathe an die Tafel gerufen und hat tatsächlich in ihrer<br />
scheinbar extra dafür vorgesehenen Gürteltasche das Handy stecken gehabt, so dass<br />
es auch um jeden Preis die ganze Klasse sieht.“ Selbst bei Jugendlichen kann die gezielte<br />
Präsentation des Handys offenbar schnell übertrieben selbstdarstellerisch wirken<br />
und auf Ablehnung stoßen. Die Kunst der Selbstdarstellung besteht schließlich<br />
darin, sie möglichst beiläufig zu bewerkstelligen.<br />
Ungezielte Selbstdarstellung<br />
Situationen, in denen Logos und vor allem Klingeltöne spontan, ohne Ausrichtung auf<br />
konkrete Adressaten und vielleicht sogar ungewollt die Aufmerksamkeit von Ohrenund<br />
Augenzeugen auf sich ziehen, werden hier im Unterschied zur oben beschriebenen<br />
gezielten Selbstdarstellung als „ungezielt“ etikettiert.<br />
• Ein Angestellter aus England berichtet, wie peinlich es ihm war, ausgerechnet zu einem<br />
wichtigen Geschäfts-Meeting zu spät zu kommen. Kaum saß er am Konferenztisch,<br />
begann auch noch sein Handy zu klingeln, das er in der Eile nicht ausgeschaltet<br />
oder lautlos gestellt hatte. Was die Situation rettete, war jedoch sein sofort als<br />
Jim’ll Fix erkennbarer Klingelton, der für allgemeine Erheiterung und sogar ausgelassenes<br />
Mitsingen sorgte. So nachzulesen in einer auf der Homepage des Klingelton-<br />
Produzenten Phat Tones (www.tonez.co.uk) publizierten Kunden-E-Mail. (Demgegenüber<br />
betonte ein älterer Informant im Interview, es wäre ihm schon unangenehm<br />
genug, wenn das Handy in der Öffentlichkeit klingelt, ein besonders auffälliger Klingelton<br />
wäre da „umso peinlicher“.)<br />
• Wie sich der Klingelton in der Öffentlichkeit als eine erfolgreiche Aufmerksamkeitsressource<br />
erweisen kann, erzählt eine Studentin: „Wir saßen zu dritt in einem<br />
Café auf dem Ku’damm und plötzlich ging ein Handy los und es erklang die Melodie<br />
von Samba de Janeiro, diesem Sommerhit von vor 2 Jahren und man erkannte das<br />
auch relativ schnell und gut. Das Handy gehörte einer jungen attraktiven dunkelhaarigen<br />
Frau, die sehr sommerlich – kurzer Rock, Top – bekleidet war. Sofort wurden<br />
ein paar junge Männer am Nachbartisch aufmerksam und grinsten sich an. Einer von<br />
denen sagte dann sowas wie: ‚Die sieht schon so aus, als hätte sie richtig Feuer im Hintern.‘<br />
Genau konnte ich das nicht verstehen, aber es war sowas in der Art. Schließlich<br />
konnte ich dann noch sehen, wie einer der Männer die Frau, nachdem sie fertig war<br />
mit telefonieren, anlächelte und sie mit ihm flirtete.“<br />
Intragruppale Kommunikation<br />
Intragruppale Kommunikation findet statt in Situationen, in denen Mitglieder derselben<br />
sozialen Gruppe einander anhand von Klingeltönen oder Logos erkennen bzw. bewusst<br />
ihren Gruppenzusammenhalt stärken.<br />
397
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
• Rolf wurde von einem Bekannten auf sein Handylogo der TV-Serie The Simpsons angesprochen.<br />
Beide kamen überein, dass die Serie ziemlich „cool“ sei und freuten sich,<br />
ineinander Gleichgesinnte gefunden zu haben. Danach folgte die Frage, ob man die<br />
letzte Folge gesehen habe und das Gespräch ging über in Nacherzählungen einzelner<br />
besonders lustiger Episoden aus der Folge vom Vorabend.<br />
• Das Irish Pub „Carnaby“ in Gotha kommuniziert seinen Kneipennamen samt Sofa-<br />
Motiv über die Leuchtreklame, die Speisekarte, eine Anstecknadel und neuerdings<br />
auch über ein Handylogo. Nicht nur der Inhaber und die Angestellten, sondern auch<br />
die ersten Stammgäste nutzen das Logo aus der Rubrik Produkte/Firmen. In dem<br />
Pub, in dem es recht familiär zugeht, ist das neue Logo oft Gesprächsthema, etwa weil<br />
weitere Gäste es sich herunterladen wollen.<br />
• Eine Engländerin berichtet, dass sie und ihre Bürokolleginnen sowohl gerne Schokolade<br />
essen, als auch wechselseitig ihre Klingeltöne beachten. Momentan nutzt sie<br />
einen Klingelton aus der Rubrik Produkte/Firmen und schlägt dem Klingelton-Produzenten<br />
Phat Tonez in einer auf dessen Website publizierten E-Mail eine Neuproduktion<br />
vor: „I am also a big chocoholic, so the Cadburys Fruit and Nut advert is<br />
currently my favourite ringtone. Can I suggest though that you try to make a ringtone<br />
of the music from the old Ferrero Rocher advert? All my friends at work would<br />
be mad with jealousy if I had this on my phone as we all love those chocolates.“<br />
• Die Mitarbeiter einer Multimedia-Firma, die gemeinsam an einem Projekt für den<br />
Automobilhersteller Audi arbeiteten, trafen zu Projektbeginn spontan die Entscheidung,<br />
sich alle ein Audi-Logo auf ihre Handys zu laden, wodurch sie ihren Zusammenhalt<br />
als Team stärkten und sich von den anderen Mitarbeitern der Firma abhoben.<br />
Intergruppale Kommunikation<br />
Intergruppale Kommunikation findet statt in Situationen, in denen Mitglieder unterschiedlicher<br />
sozialer Gruppen einander anhand von Klingeltönen und Logos erkennen<br />
und sich infolgedessen voneinander abgrenzen.<br />
• Seit kurzem zeigt das Handy der 21-jährigen Farnoush ein Logo aus der Rubrik<br />
Musik: „3p – mehr bass“ ist das Symbol des Frankfurter Musik-Labels 3P „Pelham<br />
Power Productions“. Sie mag deren Rap-Musik. Auf das Logo wird sie immer wieder<br />
angesprochen. Weil viele diese Rap-Musik nicht gut finden, sind das meistens<br />
negative Äußerungen wie „was, du hörst solche Musik?“. Das ist für Farnoush ein<br />
„kalkulierbares Risiko“, denn sie wird wegen ihres Musikgeschmacks oft „dumm<br />
angemacht“. Dass überhaupt ein entsprechendes Logo zur Verfügung steht, verdankt<br />
sie der offensiven Merchandising-Politik der Plattenfirma. Moses Pelham<br />
selbst berichtet im Interview (Seifert, 2000): „Wir haben [...] schon T-Shirts im<br />
Copy-Shop gemacht, als wir noch keine einzige Platte hatten. Und heute sind wir<br />
die einzigen deutschen Rapper, die es schaffen ein T-Shirt mit so einem abstrakten<br />
Logo wie „3p-mehr bass“ vorne drauf zu verkaufen.“<br />
4. Diskussion<br />
Handy-Klingeltöne und Handy-Logos sind der bislang ökonomisch wichtigste mobile<br />
Content. Dabei geht es zum einen um den direkten Vertrieb dieser digitalen Produkte,<br />
zum anderen aber auch um neue crossmediale Marketing-Strategien etwa in der Musikoder<br />
Comicbranche. Indem Handy-Nutzerinnen und -Nutzer ihre Endgeräte mit Klin-<br />
398
geltönen und Logos ausstatten, in denen sich ihre Interessen, Geschlechts- und Altersrollen<br />
oder andere Gruppenzugehörigkeiten widerspiegeln, eignen sie sich ihr Endgerät<br />
gestalterisch an, bekräftigen sie ihre Identität, pflegen sie soziale Beziehungen und strukturieren<br />
interpersonale Kommunikation als intra- oder intergruppale Begegnung mit<br />
entsprechender Anschluss-Kommunikation. Gleichzeitig sorgen sie auch dafür, dass<br />
Symbole der glokalisierten Populärkultur jenseits der Massenmedien-Rezeption in die<br />
Lebenswelten integriert werden: Da erklingt dann der Sound von „Dallas“ auf dem<br />
Schulhof oder sieht man das BWM-Logo auf dem Handy des Fahrgastes im Bus.<br />
Eine kommunikations<strong>wissenschaft</strong>liche Zuwendung zu dem hier in seinen vielfältigen<br />
Fassetten vorgestellten neuen Gegenstandsgebiet der Klingeltöne und Logos scheint lohnenswert,<br />
wobei sich das Konstrukt der Uni-Kommunikation als fruchtbar erwiesen hat.<br />
Zwar mögen Klingeltöne und Logos auf Seiten der Nutzer teilweise ohne kommunikative<br />
Absicht verwendet und/oder von Außenstehenden als Botschaften ignoriert werden.<br />
Doch die vorliegende Pilotstudie belegt, dass viele Nutzer Klingeltöne und Logos<br />
offensichtlich in Übereinstimmung mit identitätsbezogenen Kategorien auswählen, dass<br />
sie sie gezielt anderen Menschen zeigen und dass Ohren- und Augenzeugen wiederum<br />
diese Botschaften beachten und auf sie reagieren. Insgesamt ist das bislang wenig rezipierte<br />
Konstrukt der Uni-Kommunikation elaborierungsbedürftig, sowohl was die<br />
theoretischen Bezüge zu verwandten Konstrukten betrifft (z. B. Selbstdarstellung, soziale<br />
Identifikation) als auch seine Operationalisierung.<br />
Auch wäre der bereits 1975 von Gary Gumpert geäußerten These nachzugehen, dass<br />
Uni-Kommunikation zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dies scheint plausibel, wenn<br />
man in Rechnung stellt, dass durch Urbanisierung, Globalisierung und wachsende Mobilität<br />
Individuen häufiger vor anonymen Publika auftreten und beobachtbare Zeichen<br />
der sozialen Zugehörigkeit eine willkommene soziale Orientierungshilfe bieten dürften.<br />
Auch die Online-Kommunikation, bei der sich Individuen mit persönlichen Homepages<br />
an unterschiedliche (oft anonyme) Publika wenden und dabei zum Teil auf vorproduzierten<br />
Content zurückgreifen (Döring, 2001), ist im Zusammenhang mit Uni-<br />
Kommunikation zu sehen. Der Trend zur maßgeschneiderten Massenfertigung von Gebrauchsgegenständen<br />
(mass customization) und zu selbst gestaltbaren technischen Geräten,<br />
die körpernah getragen werden und den Charakter von Accessoires annehmen,<br />
vermehrt die Möglichkeiten zur Uni-Kommunikation. Vielversprechend scheint dabei<br />
nicht zuletzt eine genauere thematische Analyse und Kontrastierung von Objekten und<br />
Symbolen, die zur Uni-Kommunikation zur Verfügung stehen, und von Selbst-Aspekten,<br />
deren öffentliche Präsentation für Menschen relevant ist.<br />
Anhang<br />
Im Online-Fragebogen wurden vier Kurzskalen verwendet, um Determinanten der<br />
Häufigkeit von Klingelton- und Logo-Downloads zu operationalisieren. Die Skalen<br />
wurden über Summenscores ausgewertet, wobei alle selbstbeschreibenden Aussagen auf<br />
einer vierstufigen Ratingskala (stimmt gar nicht – wenig – ziemlich – völlig) zu beantworten<br />
waren. Die forschungsökonomisch notwendige Skalenkürze schlägt sich in teilweise<br />
geringen internen Konsistenzwerten (Cronbachs Alpha) nieder.<br />
Technik: Skala Handy-Gestaltung<br />
Klingelton α = .69; Logo α = .64<br />
Ein Klingelton [Logo] ist für mich wichtig, weil...<br />
Döring · Klingeltöne und Logos auf dem Handy<br />
399
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
1. ... ich mein Handy damit selbst gestalten kann.<br />
2. ... ich Spaß daran habe, etwas Neues mit meinem Handy auszuprobieren.<br />
3. ... es praktisch zur Erkennung meines Handys ist.<br />
4. ... es sich schön anhört [es schön aussieht].<br />
5. ... es eine nette Spielerei ist.<br />
6. ... ich finde, dass es eine nützlich technische Option des Handys ist.<br />
Individuum: Skala Individualität<br />
α = .50<br />
1. Ich lege großen Wert darauf, mich von der Masse abzuheben (z. B. durch Mode, Musik,<br />
Handy).<br />
2. Ich habe meinen eigenen Stil (z. B. bei Mode, Musik, Handy).<br />
Individuum: Skala Uniformität<br />
α = .52<br />
1. Wenn etwas gerade im Trend ist, mache ich gerne mit (z. B. bei Mode, Musik, Handy).<br />
2. Ich habe in vielen Bereichen den gleichen Geschmack wie meine Freunde (z. B. bei<br />
Mode, Musik, Handy).<br />
Soziales Umfeld: Skala Klingelton- und Logo-Nutzung<br />
α = .83<br />
1. Viele meiner Freunde nutzen sehr häufig Klingeltöne oder Logos.<br />
2. Klingeltöne und Logos sind häufig Gesprächsthema in meinem Freundeskreis.<br />
3. Ich tausche oft Klingeltöne und Logos mit meinen Freunden.<br />
4. Meine Freunde finden Klingeltöne und Logos gut.<br />
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26.6.2001. http://www.taz.de/pt/2001/06/26/a0122.nf/text [6.6.2002]<br />
401
Reihe „Klassiker der <strong>Kommunikations</strong>- und <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong><br />
heute“<br />
Mit der Entwicklung der <strong>Medien</strong> und ihrer sozialen, kulturellen und persönlichen Bedeutung<br />
verändern sich auch die Fragestellungen und Forschungsfelder der <strong>Medien</strong>- und<br />
<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>. Es stellt sich somit auch die Frage nach der Gültigkeit und<br />
Brauchbarkeit ihrer Paradigmen und danach, was denn zu ihren gesicherten Beständen<br />
gehört. Adorno und Benjamin, Lippmann und McLuhan – was haben sie und andere<br />
„Klassiker“ der <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> heute noch zu sagen? Mit<br />
diesen Fragen beschäftigt sich in unregelmäßigen Abständen die Reihe „Klassiker der<br />
<strong>Kommunikations</strong>- und <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong> heute“, die von Gastherausgeber Friedrich<br />
Krotz betreut wird. Wenn diese Beiträge dafür hilfreich sind, dass sich die <strong>Medien</strong>- und<br />
<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> mit ihren Grundlagen erneut und auf kritische Weise befasst,<br />
so hat die Reihe ihren Zweck erfüllt. Abweichende Meinungen und begründete<br />
Stellungnahmen sind ebenso erwünscht wie Vorschläge dazu, welche AutorInnen denn<br />
heute überhaupt als „Klassiker“ angesehen werden können.<br />
Theodor W. Adorno:<br />
<strong>Medien</strong>kritik als Gesellschaftskritik<br />
Thomas Gebur<br />
LITERATUR<br />
Theodor W. Adorno hat keine <strong>Medien</strong>theorie im engeren Sinne entwickelt. In seinem<br />
umfangreichen Werk sind vielfältige kritische <strong>Medien</strong>analysen eingebettet in eine Theorie<br />
der Kulturindustrie, die eine zentrale Rolle in seiner Gesellschaftstheorie einnimmt.<br />
Im vorliegenden Aufsatz wird zunächst der Entstehungskontext von Adornos Denken<br />
skizziert, um seine spezifische kapitalismuskritische Perspektive auf den <strong>Medien</strong>verbund<br />
zu erhellen. Nach der Darstellung der gesellschaftlichen Funktion der Kulturindustrie im<br />
Spätkapitalismus werden die relevanten Einzelmomente erläutert: die spezifische Beschaffenheit<br />
kulturindustrieller Produkte einerseits und die Rolle des Publikums andererseits.<br />
Die Analyse der Wechselwirkung zwischen den Rezipienten und dem Angebot<br />
an Massenkommunikationsgütern soll die Kulturindustrie als einheitliches gesellschaftliches<br />
Integrationssystem erweisen, das in Adornos Interpretation in seiner Bedeutung<br />
über einen Komplex der <strong>Medien</strong>sozialisation hinausweist. Anmerkungen zu Adornos eigentümlicher<br />
Methodik, zu seiner Argumentationsweise und seinem Stil beleuchten in<br />
der Auseinandersetzung mit der gegen ihn vorgebrachten Kritik die Aktualität der Intention,<br />
Reichweite und Grenzen seines Ansatzes. Abschließend finden Adornos medienpädagogische<br />
Eingriffe und seine konzeptionellen Überlegungen zu einer kritischen<br />
Rezeptionsforschung Erwähnung.<br />
Keywords: Theodor W. Adorno, Kulturindustrie, Kapitalismuskritik, Gesellschaftstheorie,<br />
Kritische Theorie, <strong>Medien</strong>kapitalismus<br />
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Gebur · Theodor W. Adorno<br />
Das Zentrum einer kritischen <strong>Medien</strong>theorie bilden nicht die <strong>Medien</strong>.<br />
(Oskar Negt)<br />
1. Einleitung: <strong>Medien</strong>theorie als Element kritischer Gesellschaftstheorie<br />
Die Kulturindustrie blüht. Das „Kauderwelsch schrankenloser Kommunikation“<br />
(Adorno 1942b: 307) in unzähligen Talk-, Game- und Quizshows, „big brother“, infotainment,<br />
die Massenhysterie um den Tod einer Prinzessin – dies sind nur einige Stichworte<br />
für die auffälligsten Auswüchse der Kulturindustrie. Um diese als Gegenstand der<br />
Wissenschaften ist es still geworden. Die Sozial<strong>wissenschaft</strong>en nehmen in kritischer Absicht<br />
kaum Notiz von kulturindustriellen Phänomenen. Dies verblüfft angesichts der<br />
Tatsache, dass eine Reihe ausgearbeiteter Analyse- und Deutungsmodelle insbesondere<br />
aus der Feder von Theodor W. Adorno vorliegt. Eine originäre <strong>Medien</strong>theorie hat er indes<br />
nicht vorgelegt. Seine <strong>Medien</strong>analysen stehen im größeren Zusammenhang der<br />
Theorie der Kulturindustrie, die ihrerseits in den Kontext seiner Gesellschaftstheorie zu<br />
stellen ist. Seine spezifische Perspektive auf die Massenmedien folgt der zentralen Fragestellung,<br />
die in die Gründungsakte Kritischer Theorie eingeschrieben ist: Inwiefern<br />
trägt das System der Kulturindustrie, worin der <strong>Medien</strong>verbund einen prominenten<br />
Platz einnimmt, als „sozialer Kitt“ (E. Fromm) dazu bei, dass die tragenden Widersprüche<br />
einer antagonistischen Gesellschaft nahezu ungebrochen fortbestehen? <strong>Medien</strong><br />
werden begriffen als Vermittlungsagenturen gesellschaftlicher Tendenzen – nicht nur<br />
technisch und funktional, sondern ihrerseits als interessierte Sozialisationsagenten, insofern<br />
sie eingebunden sind in die Logik der Waren- und Mehrwertproduktion. Kritische<br />
<strong>Kommunikations</strong>forschung hat daher „wesentlich jene Ideen, Initiativen, Verhaltensweisen<br />
zum Gegenstand, die entweder gar nicht oder in völlig verstellter Form in<br />
die <strong>Medien</strong> eindringen.“ (Negt 1973: IV) Dazu rechnen die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse,<br />
die Subjektivitäts- und Herrschaftsformen. Adornos Kritik der Massenmedien<br />
ist eingebettet in die grundsätzliche Kritik an der historischen Entwicklungstendenz<br />
der kapitalistischen Gesellschaft.<br />
Die Theorie der Kulturindustrie sollte von Anfang an eine ausschließlich medienzentrierte<br />
Perspektive überwinden und das „Nebeneinander von Kritikperspektiven, die jeweils<br />
nur einen Aspekt des Insgesamt von <strong>Medien</strong>produktion, <strong>Medien</strong>rezeption und<br />
<strong>Medien</strong>organisation behandeln“ (Müller-Doohm 2000: 73), in einen Ansatz überführen,<br />
dem das Wechselverhältnis von Medium, Inhalt und Rezeption unter Einschluss aller<br />
gesellschaftlichen Momente als konstitutiv gilt. Produktions- und Distributionsformen,<br />
die Produktgestalt, die Reichweite der prinzipiell möglichen Rezeptionsformen, das<br />
Konsumentenbewusstsein sowie die gesellschaftliche Wirkungsweise dieses Gesamtkomplexes<br />
sind daher zugleich zu thematisieren. Für Adornos Analyse der Kulturindustrie<br />
stellt der fetischismuskritische Verdinglichungsansatz im Anschluss an die<br />
Marx’sche „Kritik der politischen Ökonomie“ den verbindlichen Orientierungspunkt<br />
dar. Seine <strong>Medien</strong>kritik ist als gesellschaftstheoretisches Element zu lesen, das seinen<br />
theoretischen Rechtsgrund in erster Linie den Kategorien des Tausches, der Verdinglichung<br />
und der Fetischisierung verdankt, die allein im Zusammenhang einer Kritik der<br />
kapitalistischen Vergesellschaftung ihr Potenzial entfalten, worin die Aktualität der<br />
Theorie der Kulturindustrie begründet liegt; denn die Kulturindustrie ist „aus der Verwertungstendenz<br />
des Kapitals hervor[gegangen]. Sie hat sich unter dem Marktgesetz<br />
entwickelt, dem Zwang, ihren Konsumenten sich anzupassen, ist dann aber umgeschlagen<br />
zu der Instanz, welche Bewußtsein in seinen bestehenden Formen, dem geistigen<br />
status quo, fixiert und verstärkt.“ (Adorno 1965: 17f.)<br />
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2. Zum Entstehungskontext von Adornos Ansatz<br />
Die Arbeiten des Instituts für Sozialforschung seit den 30er Jahren sind allein vor dem<br />
Hintergrund ihres politischen und theoretischen Entstehungskontextes zu begreifen.<br />
Folgende gesellschaftspolitischen und sozialstrukturellen Entwicklungen sind zu nennen,<br />
die zu einer konzeptionellen Neuausrichtung der Gesellschaftstheorie in Richtung<br />
auf eine „Theorie des historischen Verlaufs der gegenwärtigen Epoche“ (Horkheimer<br />
1932: 38) führten: 1. Die sozialen und politischen Entwicklungen in der Sowjetunion,<br />
ihre Stalinisierung und die Rolle der Kommunistischen Parteien in Europa. 2. Das Scheitern<br />
der Revolution in Deutschland und die Entwicklung der Sozialdemokratie. 3. Die<br />
Spaltung der Arbeiterbewegung und ihre Niederlage im Kampf gegen den Faschismus.<br />
4. Die Errichtung autoritärer Gesellschaftssysteme in Europa mit einer erstaunlichen<br />
Loyalität seitens der Bevölkerungen. 5. Die Ausbreitung neuer Massenmedien und deren<br />
Instrumentalisierung durch autoritäre Staaten und kommerzielle Industrien. 6. Hinzu<br />
kommt in theoretischer Hinsicht die Krise marxistischen Denkens. Auf diese Lage<br />
reagierte der Horkheimer-Kreis. Erklärungsbedürftig war der Widerspruch zwischen<br />
dem mit der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre evidenten Anwachsen gesellschaftlicher<br />
Antagonismen und der konformistischen Verarbeitung gesellschaftlicher<br />
Realität seitens der Subjekte. 1 Eine interdisziplinär angelegte, materialistische Sozial<strong>wissenschaft</strong><br />
sollte beitragen zur Beantwortung der „Frage nach dem Zusammenhang<br />
zwischen dem wirtschaftlichen Leben der Gesellschaft, der psychischen Entwicklung<br />
der Individuen und den Veränderungen auf den Kulturgebieten im engeren Sinn,<br />
zu denen nicht nur die sogenannten geistigen Gehalte der Wissenschaft, Kunst und Religion<br />
gehören, sondern auch Recht, Sitte, Mode, öffentliche Meinung, Sport, Vergnügungsweisen,<br />
Lebensstil usf.“ (Horkheimer 1931: 32) Am Institut sollte eine Vermittlungstheorie,<br />
die zugleich eine Theorie der Alltags- und Populärkultur ist, entwickelt<br />
werden, um aufzuzeigen, wie sich gesellschaftliche Verhältnisse in kulturellen Phänomenen<br />
ausdrücken und wie sich jene Verhältnisse mittels dieser Phänomene reproduzieren.<br />
Es ist das Konzept der Verknüpfung von ökonomischer Basis der Gesellschaft,<br />
libidinöser Struktur der Individuen und kulturellen Faktoren, das die Kritische<br />
Theorie als einzigartig unter materialistischen Gesellschaftstheorien hervorhebt; damit<br />
wurde entgegen eines mechanistischen Basis-Überbau-Schemas die Kultursphäre in den<br />
Rang einer materiellen Gewalt gehoben: „Zeigt die dialektische Theorie an der Kultur<br />
als bloßem Epiphänomen sich desinteressiert, so trägt sie dazu bei, daß das kulturelle<br />
Unwesen fortwuchert, und wirkt mit an der Reproduktion des Schlechten.“ (Adorno<br />
1949: 22) Der den Untersuchungen des Instituts zugrundegelegte Kulturbegriff wurde<br />
gemäß der zentralen Fragestellung nach dem repressiven Charakter der Gesellschaft<br />
ausgedeutet. Die Konzentration auf die Stillstellung und Absorption politischer Widerstandspotenziale<br />
führte zu einer Theorieausrichtung, in der nahezu jeder Versuch einer<br />
Rekonstruktion der Bedingungen der Möglichkeit von Emanzipation ausgespart blieb:<br />
„Nicht das Gute, sondern das Schlechte ist Gegenstand der Theorie. Sie setzt die Reproduktion<br />
des Lebens in den je bestimmten Formen schon voraus. Ihr Element ist die<br />
1 „Horkheimer und sein Kreis hatten ja, anders als die orthodoxen Marxisten, ihre ganze Energie<br />
darauf verwandt, die Stabilität, die gesellschaftlichen Integrationsleistungen des entwickelten<br />
Kapitalismus zu erklären – nicht die Krisen, sondern das Ausbleiben von Krisen mit revolutionärem<br />
Ausgang.“ (Habermas 1985: 59)<br />
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Gebur · Theodor W. Adorno<br />
Freiheit, ihr Thema die Unterdrückung.“ (Adorno/Horkheimer 1969, zitiert als DDA:<br />
249)<br />
Adorno hat sich in vielfältigen Arbeitszusammenhängen empirische wie theoretische<br />
Sachkenntnis erworben und dabei seine Thesen in direkter Auseinandersetzung mit den<br />
Materialien entwickelt. In diesem Zusammenhang sind u. a. sein Kompositionsstudium,<br />
seine Tätigkeit als Musikkritiker (Opern-, Konzert- und Aufführungskritiken) zu nennen<br />
sowie seine <strong>wissenschaft</strong>lichen Untersuchungen im Bereich der Musiksoziologie<br />
und -philosophie, wozu auch Kompositions- und Schlageranalysen rechnen. Er profitierte<br />
von den empirischen Studien am Institut für Sozialforschung sowie von der Propaganda-<br />
und Vorurteilsforschung. Einen wichtigen Abschnitt markiert seine Zeit als<br />
Leiter der Musikabteilung im „Princeton Radio Research Project“ unter P. Lazarsfeld.<br />
Zu erwähnen sind ferner seine Zusammenarbeit mit Hanns Eisler über Filmmusik, seine<br />
zahlreichen Verbindungen zu emigrierten europäischen Künstlern, die sich im Exil<br />
in Hollywood verdingen mussten, sowie seine Studien als <strong>wissenschaft</strong>licher Leiter der<br />
Hacker Foundation 1952/53 über die Astrologiespalten einer Zeitung und den Inhalt<br />
von Fernsehserien; in diesen Bereich gehören auch seine ästhetischen und literarischen<br />
Studien sowie zahlreiche Vorträge und Rundfunkbeiträge zur musikalischen Praxis im<br />
Nachkriegsdeutschland.<br />
3. Kulturindustrie als System gesellschaftlicher Integration<br />
Der Terminus Kulturindustrie bezeichnet in materieller Hinsicht den Ort der Verschränkung<br />
zweier Bereiche der gesellschaftlichen Reproduktion, der Produktion und<br />
Distribution bestimmter Güter sowie der Sphäre ihrer Konsumtion. Stefan Müller-<br />
Doohm hat dies auf folgende, prägnante Formel gebracht: „Als Kulturindustrie bezeichnet<br />
Adorno das globale und zugleich ausdifferenzierte Netzwerk der Kulturvermittlung<br />
in der gegenwärtigen Gesellschaft. Dazu gehören die auf den Status von Gütern<br />
heruntergebrachte Kultur selber, die Kulturgüter, die als Rohstoff von Produktionsapparaten<br />
vernutzt werden, die Verteilungsagenturen der Kulturwaren, der<br />
Kulturmarkt und der Kulturkonsum. Zum System der Kulturindustrie zählen sowohl<br />
die <strong>Medien</strong> der Massenkommunikation, Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk, Schallplatte,<br />
Film und Fernsehen als auch solche Institutionen der Kulturverbreitung wie das<br />
Theater, die Museen, Festivals, der Buchmarkt, aber auch die diversen Sparten des Sports<br />
und andere Einrichtungen des Hobby- und Unterhaltungswesens.“ (Müller-Doohm<br />
1996: 199f.) Im Hinblick auf die soziale Synthesis bezeichnet Kulturindustrie ferner eine<br />
gesellschaftliche Vermittlungsinstanz der dialektisch aufeinander bezogenen Bereiche<br />
von Arbeit und Freizeit mit den dazugehörigen Facetten der Bedürfnisgenese, der Rezeptionsgewohnheiten,<br />
des Standes der technischen Produktivkräfte, der gesellschaftlichen<br />
Ideologie und der Produktionsverhältnisse. 2 Kulturindustrie ist nach Adorno eine<br />
kapitalistische Erscheinung: „Nicht umsonst stammt das System der Kulturindustrie aus<br />
den liberaleren Industrieländern, wie denn alle ihre charakteristischen <strong>Medien</strong>, zumal<br />
2 Leo Löwenthal prägte für diesen Zusammenhang die „Kurzdefinition“ der Kulturindustrie als<br />
„umgekehrte Psychoanalyse“: „Gemeint waren damit jene Techniken, die darauf abzielen,<br />
Menschen im Zustand psychischer Abhängigkeit zu halten, neurotisches und sogar psychotisches<br />
Verhalten so zu fördern und zu festigen, daß es schließlich in der totalen Abhängigkeit<br />
von einem ‚Führer‘ oder von Institutionen oder Produkten kulminiert.“ (Löwenthal 1984: 61)<br />
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Kino, Radio, Jazz und Magazin, dort triumphieren. Ihr Fortschritt freilich entsprang<br />
den allgemeinen Gesetzen des Kapitals.“ (DDA: 157) Ihre Entwicklung hängt von gesellschaftsstrukturellen<br />
Bedingungen ab, die erst mit der fordistischen Gestalt des Spätkapitalismus<br />
gegeben waren: „Die Proletarier haben mehr zu verlieren als ihre Ketten.<br />
[...] Kürzere Arbeitszeit, bessere Nahrung, Wohnung und Kleidung, Schutz der Familienangehörigen<br />
und des eigenen Alters, durchschnittlich höhere Lebensdauer sind mit<br />
der Entwicklung der technischen Produktivkräfte den Arbeitern zugefallen.“ (Adorno<br />
1942a: 384) Die Kulturindustrie als entfaltete, wirkungsmächtige Gestalt ist jüngeren<br />
Datums als der Kapitalismus: „Amusement, alle Elemente der Kulturindustrie, hat es<br />
längst vor dieser gegeben. Jetzt werden sie von oben ergriffen und auf die Höhe der Zeit<br />
gebracht.“ (DDA: 160) An der Transposition der Kunst in die Konsumsphäre lässt sich<br />
ein Umschlag in den Konsumgewohnheiten und im Bedeutungsgehalt von Kulturwaren<br />
ablesen: „War das Amusementbedürfnis weithin von der Industrie hervorgebracht, [...]<br />
so ist dem Amusement immer schon das geschäftlich Angedrehte anzumerken, der sales<br />
talk, die Stimme des Marktschreiers vom Jahrmarkt. Die ursprüngliche Affinität aber<br />
von Geschäft und Amusement zeigt sich in dessen eigenem Sinn: der Apologie der<br />
Gesellschaft. Vergnügtsein heißt Einverstandensein.“ (ebd.: 170) In diesem Sinne ist<br />
Kulturindustrie „Mittel von Beherrschung und Integration“ (Adorno 1969b: 653). Der<br />
neuen Qualität wurde terminologisch Rechnung getragen, wie Adorno rückblickend in<br />
seinem Radiovortrag Résumé über Kulturindustrie festhielt: „In unseren Entwürfen [zur<br />
‚Dialektik der Aufklärung‘; d. Verf.] war von Massenkultur die Rede. Wir ersetzten den<br />
Ausdruck durch ‚Kulturindustrie‘, um von vornherein die Deutung auszuschalten, die<br />
den Anwälten der Sache genehm ist: daß es sich um etwas wie spontan aus den Massen<br />
selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst. Von<br />
einer solchen unterscheidet Kulturindustrie sich aufs äußerste. Sie fügt Altgewohntes zu<br />
einer neuen Qualität zusammen. In all ihren Sparten werden Produkte mehr oder minder<br />
planvoll hergestellt, die auf den Konsum durch Massen zugeschnitten sind und in<br />
weitem Maß diesen Konsum von sich aus bestimmen.“ (Adorno 1963a: 337)<br />
„Kulturindustrie“ visiert damit einen historischen Gestaltwandel des Kapitalismus im<br />
Hinblick auf die Sozialintegration. „Kritik an der Kulturindustrie“, erläutert Detlev<br />
Claussen, „bedeutete bei Horkheimer, Adorno, Löwenthal und Marcuse kritische Analyse<br />
des Warencharakters der Kultur, nicht die Verdammung des Kommerzes. Mit<br />
Kulturindustrie bezeichnen die Autoren den gesamten kulturindustriellen Produktionsund<br />
Distributionszusammenhang und liefern keine kulturkonservative Legitimation<br />
von Kunst gegenüber Massenkultur.“ Vielmehr wird „eine Gesellschaft im Übergang<br />
analysiert. Die Kulturindustrie nimmt einen zentralen Stellenwert bei dieser Transformation<br />
ein, weil die Formung des subjektiven Bewußtseins eine wesentliche Voraussetzung<br />
der neuen, der nachbürgerlichen Gesellschaft ist.“ (Claussen 1990: 139) Deren<br />
Etablierung lässt sich am inneren Widerspruch der Kultur festmachen, der für Adorno<br />
darin bestand, „daß sie ihr Versprechen von Humanität auf der Basis einer inhumanen,<br />
repressiven Gesellschaftsformation gibt – und schließlich selbst dementiert, wenn sie<br />
sich, als Kulturindustrie, ganz den Regeln der Warenproduktion unterwirft.“ (Schweppenhäuser<br />
1996: 12) In diesem Dementi steckt der Übergang zur „affirmativen Kultur“<br />
(H. Marcuse), die jenen Widerspruch kassiert. Deshalb versuchte Adorno, an der Kunst<br />
einen Maßstab (kultur)immanenter Kritik gegenüber der Kulturindustrie auszuweisen.<br />
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Gebur · Theodor W. Adorno<br />
4. Die Produkte der Kulturindustrie<br />
Bei der Spezifizierung kulturindustrieller Produkte bezieht sich Adorno hauptsächlich<br />
auf zwei Momente: einerseits auf die Warenanalyse von Marx, auf die Unterscheidung<br />
von Gebrauchswert und Tauschwert sowie die Analyse des Fetischcharakters der Ware;<br />
andererseits auf eine kontrastierende Gegenüberstellung von Kulturwaren und authentischen<br />
Kunstwerken. Auf dieser Grundlage unterzieht Adorno die Produkte der Kulturindustrie<br />
der Kritik. Im bürgerlich-liberalen Zeitalter standen laut Adorno Kultur<br />
und Kunst noch ein für Emanzipation und Versprechen auf Glück. Den künstlerischen<br />
Gebilden eignete ein widerständig-utopischer Impuls. Dank ihrer relativen Autonomie<br />
vom Markt konnten sie ihre kritischen Potenziale entfalten, die gesellschaftliche Realität<br />
transzendieren. Der Wahrheitsgehalt der Kunst lebt von der Kraft zur Negativität, indem<br />
der Wirklichkeit die eigene Möglichkeit des Andersseins gespiegelt wird. Das authentische<br />
Kunstwerk ist geprägt von seiner unverwechselbaren Kompositionsstruktur:<br />
„Autonome Kunstwerke richten sich nach ihrer immanenten Gesetzlichkeit, nach dem,<br />
was sie als sinnvoll und stimmig organisiert.“ (Adorno 1967: 370) Diese Qualität kommt<br />
ihnen selbst zu, ist ihnen inhäriert. 3 Im Spätkapitalismus verändert sich mit der Etablierung<br />
des kulturindustriellen Sektors der Gehalt von Kultur. Die bürgerliche Kultur zerfällt<br />
in den gigantischen Bereich kulturindustrieller Produkte und in den im Verschwinden<br />
begriffenen Rest avancierter Kunstwerke, die einzig als sperrige, schwer zugängliche<br />
Avantgarde-Kunst den Nivellierungstendenzen zu widerstehen vermögen.<br />
Die kulturindustriellen Massenprodukte treten als demokratisierte Erben an die Stelle<br />
echter Kunstwerke. Im Gegensatz zu diesen tragen die Produkte des Kulturkonsums<br />
vorab Warencharakter; sie werden als Tauschwerte für den Markt produziert. Ihr Sinn<br />
besteht in Verkauf, Absatz und Massenerfolg, letztlich Profit: „Neu an der Kulturindustrie<br />
ist der unmittelbare und unverhüllte Primat der ihrerseits in ihren typischsten Produkten<br />
genau durchgerechneten Wirkung.“ (Adorno 1963a: 338) Deren Herstellung erfolgt<br />
technisch effizient und planvoll nach standardisierten Produktionsschemata. Es<br />
sind daher die technischen Produktionsbedingungen, die sie zwecks optimaler Kapitalverwertung<br />
zu nach einheitlichen Mustern geformten und normierten Konsumgütern<br />
machen: „Die Kulturwaren der Industrie richten sich [...] nach dem Prinzip ihrer Verwertung,<br />
nicht nach dem eigenen Gehalt und seiner stimmigen Gestaltung. Die gesamte<br />
Praxis der Kulturindustrie überträgt das Profitmotiv blank auf die geistigen Gebilde.“<br />
(ebd.) Adorno gibt daher zu bedenken, dass nicht die Technik als solche den Gehalt der<br />
Waren bestimmt: „Von Interessenten wird die Kulturindustrie gern technologisch erklärt.<br />
Die Teilnahme der Millionen an ihr erzwinge Reproduktionsverfahren, die es wiederum<br />
unabwendbar machten, daß an zahllosen Stellen gleiche Bedürfnisse mit Standardgütern<br />
beliefert werden. [...] Die Standards seien ursprünglich aus den Bedürfnissen<br />
3 Adornos Spezifizierung autonomer Kunstwerke ist als idealtypisch anzusehen. Er verwies stets<br />
auf deren Einbettung in gesellschaftliche Verhältnisse – „Die Autonomie der Kunstwerke, die<br />
freilich kaum je ganz rein herrschte und stets von Wirkungszusammenhängen durchsetzt war,<br />
wird von der Kulturindustrie tendenziell beseitigt, mit oder ohne den bewußten Willen der Verfügenden.“<br />
(Adorno 1963a: 338) – sowie auf ihre gesellschaftlichen Wundmale – „Die Reinheit<br />
der bürgerlichen Kunst [...] war von Anbeginn mit dem Ausschluß der Unterklasse erkauft“<br />
(DDA: 160), „denn die Allgemeinheit der Kunst trug immer Klassencharakter und war insofern<br />
partikular.“ (Adorno 1970: 306)<br />
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der Konsumenten hervorgegangen: daher würden sie so widerstandslos akzeptiert. In<br />
der Tat ist es der Zirkel aus Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die<br />
Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt.“ (DDA: 145)<br />
Die kulturindustriellen Produkte sind auf ihre Wirkung auf dem Markt berechnet.<br />
Adorno spricht von der Präponderanz des Tauschwertes über den Gebrauchswert. Die<br />
Anpassung an Produktionslogik und Konsumentennachfrage bedroht die Kunst, die<br />
sich als reine Ware, als glattes Konsumgut aufgibt. Das kapitalistische Wertgesetz führt<br />
zur „Entkunstung der Kunst“ (Adorno 1970: 32): „Die gesellschaftliche und wirtschaftliche<br />
Gesamttendenz zerfrißt die materielle Basis der traditionellen Kultur liberalen<br />
oder individualistischen Stils.“ (Adorno 1960a: 134). Die kulturindustriellen Produkte<br />
zeichnen sich durch Oberflächlichkeit, schnelle Vergänglichkeit, Trivialität, Standardisierung<br />
und Verdoppelung der Realität aus. „Nur dem Namen nach ist der Begriff<br />
der Technik in der Kulturindustrie derselbe wie in den Kunstwerken. Der bezieht sich<br />
auf die Organisation der Sache in sich, ihre innere Logik. Die kulturindustrielle Technik<br />
dagegen, vorweg eine der Verbreitung und mechanischen Reproduktion, bleibt ihrer<br />
Sache darum immer zugleich äußerlich.“ (Adorno 1963a: 340) Auch Kunstwerke waren<br />
den Gesetzen des Marktes ausgesetzt und trugen insofern Warencharakter. Unter<br />
den Bedingungen universeller, kapitalistischer Warenproduktion vollzieht sich jedoch<br />
ein qualitativer Umschlag: „Geistige Gebilde kulturindustriellen Stils sind nicht länger<br />
auch Waren, sie sind es durch und durch.“ (Adorno 1963a: 338) Daher gilt für sie im Unterschied<br />
zu Kunstwerken: „Der einzige Maßstab der Prozedur ist die Forderung, die<br />
Konsumenten möglichst wirksam zu erreichen.“ (Adorno 1947: 12) Dies lässt sich mit<br />
der Bedeutungszunahme der Reklame am Funktionswandel und der damit einhergehenden<br />
Gestaltungsveränderung der Massenmedien aufweisen. Der Idee nach Informationsträger,<br />
verwandeln sich <strong>Medien</strong> zunehmend in Objekte der Werbewirtschaft. Dies<br />
gebietet die Herstellung eines „werbefreundlichen“ Umfelds: „Wenn also die <strong>Medien</strong><br />
vom Insertionsgeschäft profitieren wollen, müssen sie auch und gerade in dem Teil ihres<br />
Angebots, der nicht auf direkte Werbung abgestellt ist, bestrebt sein, Konformität<br />
und Akklamationsbereitschaft, und das heißt: Konsumentenverhalten zu produzieren.“<br />
(Heinze 1990: 164) Auch für das Fernsehen mit seinen standardisierten Unterhaltungssendungen,<br />
Krimis, Sitcoms, Seifenopern, Talkshows und Quiz-Spielen gilt, dass deren<br />
Machart einem außerhalb ihrer selbst liegenden Zweck folgt. Die Kommerzsender<br />
verdanken „ihr Bestehen einzig der Fähigkeit, Publikum anzuziehen, mithin dem Maß<br />
ihrer Attraktivität für die potentiellen Verbraucher von Waren und Dienstleistungen,<br />
deren Werbung (eine Industrie für sich) einen zentralen Bestandteil der Finanzierung<br />
dieser Sender ausmacht. Die ‚Niedrigkeit‘ dieser TV-Produktionen ist also strukturell in<br />
der (wesentlich kommerziellen) Logik, die der Sphäre ihrer Vermarktung und Verbreitung<br />
zugrunde liegt, verankert.“ (Zuckermann 2000: 101)<br />
5. Das Publikum der Kulturindustrie<br />
Beschaffenheit und Gehalt kulturindustrieller Produkte müssen Bezug nehmen auf die<br />
Verfasstheit des nachfragenden Publikums und dessen Bedürfnisse, Neigungen und Präferenzen.<br />
Auf der Seite des Subjekts erweisen sich Amusement, Zerstreuung und Unterhaltung<br />
als die Momente, wodurch Kulturindustrie die Konsumenten erreicht. Adorno<br />
betont die Legitimität dieser Konsumenteninteressen im Gegensatz zur Form ihrer<br />
Befriedigung, unterzieht aber deren scheinbare Harmlosigkeit einer schonungslosen<br />
Kritik, indem er deren gesellschaftliche Konstitution aufdeckt. Es ist ihm um die soziale<br />
Funktion des Amusements zu tun. Da kulturelle Aneignungspraxen bzw. der Kon-<br />
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Gebur · Theodor W. Adorno<br />
sum kulturindustrieller Produkte überwiegend in den Bereich arbeitsfreier Zeit fallen,<br />
verweist Adorno auf die Dialektik von Arbeit und Freizeit: „Freizeit ist an ihren Gegensatz<br />
gekettet. Dieser Gegensatz [...] prägt ihr selbst wesentliche Züge ein.“ (Adorno<br />
1969b: 645) Die von Arbeit freie Zeit dient der Erholung, der Reproduktion der Arbeitskraft.<br />
Die Bedingungen der Arbeit schlagen sich im Freizeitverhalten nieder. Auch<br />
dabei bleibt der Mensch potenziell die Ware Arbeitskraft. Darauf zielt Kulturindustrie<br />
als Amüsierbetrieb ab. „Amusement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus.<br />
Es wird von dem gesucht, der dem mechanisierten Arbeitsprozeß ausweichen<br />
will, um ihm von neuem gewachsen zu sein.“ (DDA: 162) Um zu verdeutlichen, dass das<br />
Bedürfnis nach Zerstreuung ein mit dem Arbeitsprozess vermitteltes ist, unterscheidet<br />
Adorno zwischen „reine[m] Amusement, entspannte[m] sich Überlassen an bunte Assoziation<br />
und glücklichen Unsinn“ und dem „gängigen Amusement“ (ebd.: 168), das jenes<br />
ersetzt. Die partiell fremdbestimmte Bedürfnisstruktur hat Auswirkungen auf das<br />
konsumtive Rezeptionsverhalten: „Dem Arbeitsvorgang in Fabrik und Büro ist auszuweichen<br />
nur in der Angleichung an ihn in der Muße. Daran krankt unmittelbar alles<br />
Amusement. Das Vergnügen erstarrt zur Langeweile, weil es, um Vergnügen zu bleiben,<br />
nicht wieder Anstrengung kosten soll und daher streng in den ausgefahrenen Assoziationsgleisen<br />
sich bewegt. Der Zuschauer soll keiner eigenen Gedanken bedürfen: das Produkt<br />
zeichnet jede Reaktion vor: nicht durch seinen sachlichen Zusammenhang – dieser<br />
zerfällt, sobald er Denken beansprucht – sondern durch Signale.“ (ebd.: 162) Der eingespielte<br />
Lacher im Fernsehen stellt sicher, dass der Gag erkannt wird. Während das<br />
Kunstwerk eindringende Hingabe und intellektuelle Auseinandersetzung voraussetzt,<br />
sind die Produkte der Kulturindustrie vorab zugeschnitten auf die in der Arbeit verkümmerte<br />
Vorstellungskraft. Kunstwerke jedoch erheischen Erkenntniskriterien, nicht<br />
Geschmackskriterien: „Ein geistiges Gebilde erfahren heißt nicht es genießen, sondern<br />
es begreifen, und das heißt notwendig, es kritisch auffassen.“ (Adorno 1945: 356) Im<br />
strukturellen Zwang zu Zerstreuung und Erholung sieht Adorno „die ‚Massenbasis‘ der<br />
Massenkultur. Auf ihr erhebt sich die mächtige Vergnügungsindustrie, die immer neue<br />
Bedürfnisse produziert, befriedigt und reproduziert.“ (Adorno 1947: 11)<br />
Nach Adorno erklärt sich die Wirkungsmacht der Kulturindustrie dadurch, „daß die<br />
Gewalt der Kulturindustrie in ihrer Einheit mit dem erzeugten Bedürfnis liegt, nicht im<br />
einfachen Gegensatz zu ihm.“ (DDA: 162) Entgegen zahlreicher Formulierungen, die<br />
den Gedanken nahe legen, die Konsumenten seien passive und wehrlose Opfer, ist mit<br />
Adorno darauf hinzuweisen, dass die Rezipienten an ihrer eigenen Subordination performativ<br />
beteiligt sind. In seiner Einleitung in die Musiksoziologie wandte sich Adorno<br />
in der für ihn in der Nachkriegszeit typischen, vorsichtigeren Diktion gegen die Annahme,<br />
„die Hörer würden vergewaltigt und wären an sich, gleichwie in einem glücklichen<br />
musikalischen Naturstand, auch fürs andere ohne weiteres aufgeschlossen, wenn<br />
es das System nur an sie heranließe.“ Vielmehr galten ihm „die oktroyierten Standards“<br />
als solche, „welche im Bewußtsein der Hörer selbst sich ausgeformt haben oder wenigstens<br />
ihnen zur zweiten Natur wurden: der Hinweis der Manipulatoren auf die Manipulierten<br />
ist empirisch unwiderleglich. Das Unheil liegt nicht in einer ursprünglichen Erzeugung<br />
falschen Bewußtseins, sondern in seiner Fixierung.“ (Adorno 1968a: 401) Wo<br />
Adorno stärker auf Rezeptionsformen reflektiert, legt er zugleich Nachdruck auf den<br />
Gratifikationsaspekt der Kulturindustrie; der Konsument „wird zu dem angehalten,<br />
wohin er von selbst neigt, nämlich nicht das Gebilde als ein An Sich zu erfahren, dem er<br />
Aufmerksamkeit, Konzentration, Anstrengung und Verständnis schuldet, sondern als<br />
eine Gefälligkeit, die ihm erwiesen wird und die er danach einschätzen darf, daß sie ihm<br />
auch gefällig genug ist.“ (Adorno 1953a: 509)<br />
409
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Ein weiteres Moment der Adäquanz von Rezipientenbewusstsein und populärkulturellen<br />
Inhalten liegt nach Adorno in der sozialen Ohnmacht des Individuums: „Jene<br />
Schwäche des Ich, die es am Wollen verhindert, ist keine bloß psychologische Tatsache,<br />
liegt nicht einfach in den Individuen und ist nicht in ihnen zu korrigieren. Sie wird von<br />
der gesellschaftlichen Gesamtverfassung hervorgebracht und vervielfacht.“ (Adorno<br />
1963b: 343) Er führt den äußeren und inneren Konsumzwang auf den von Anna Freud<br />
als Identifikation mit dem Aggressor bezeichneten Abwehrmechanismus zurück: „Ichschwäche<br />
heute ist höchst realitätsgerecht: daher ihre bestürzende Gewalt.“ (ebd.) Die<br />
psychische Struktur ist die libidinös geronnene Reaktion auf die Übermacht der gesellschaftlichen<br />
Wirklichkeit. Vor diesem Hintergrund werden nach Adorno die Bedürfnisse<br />
von der Kulturindustrie nur in zweiter Instanz geschaffen oder präformiert: „Eher<br />
werden die Menschen ans Unvermeidliche fixiert als verändert. Vermutlich macht das<br />
Fernsehen sie nochmals zu dem, was sie ohnehin sind, nur noch mehr so, als sie es ohnehin<br />
sind.“ (Adorno 1953a: 508) Kulturindustrie greift auf gesellschaftlich ausgeformte<br />
Bedürfnisse zurück und exploitiert die Ich-Schwäche. Damit ist die Argumentationslogik<br />
bestimmt, wonach Adornos Theorie der Kulturindustrie als kommunikations<strong>wissenschaft</strong>liche<br />
Verstärkertheorie aufzufassen ist.<br />
6. Die Wechselwirkung zwischen der Kulturindustrie und ihren Konsumenten<br />
Manipulation ist Adorno zufolge das wesentliche Merkmal der Wirkungen des kulturindustriellen<br />
Apparates. Es handelt sich dabei in erster Linie nicht um gezielte Manipulationsabsichten,<br />
sondern um Effekte der gesellschaftlichen Struktur. Der Begriff der<br />
Herrschaft, auf den Adorno rekurriert, ist nicht personal gemünzt; er betont hinsichtlich<br />
der Wirkung des Fernsehens, dass „Verdummung, psychologische Verkrüppelung<br />
und ideologische Umnebelung“ gerade nicht „Sache des bösen Willens, vielleicht nicht<br />
einmal der Inkompetenz der Beteiligten“ geschuldet sind, „sondern vom objektiven Ungeist<br />
erzwungen“. (Adorno 1953b: 531) Vielmehr verbirgt sich Herrschaft in den gesellschaftlichen<br />
Verhältnissen als apersonale Reproduktionsstruktur: 4 „Die Ohnmacht<br />
der Arbeiter ist nicht bloß eine Finte der Herrschenden, sondern die logische Konsequenz<br />
der Industriegesellschaft.“ (DDA: 60) Der manipulative Effekt der Kulturindustrie<br />
ergibt sich aus zwei Momenten: Zum einen reduziert die umfassende Reichweite,<br />
die Totalität der Kulturindustrie das Individuum tendenziell auf ein Dasein als Konsument,<br />
da das Leben zur „Sphäre des Privaten und dann bloß noch des Konsums geworden<br />
[ist], die als Anhang des materiellen Produktionsprozesses, ohne Autonomie und<br />
ohne eigene Substanz, mitgeschleift wird.“ (Adorno 1951: 13) Zum anderen ist der triviale<br />
und oberflächliche Gehalt der Popularkultur Beweis dafür, dass die Konsumenten<br />
mit Nichtigkeiten abgespeist werden. Worin sich Produkte und Konsumenten entgegenkommen,<br />
ist die Unverbindlichkeit und Scheinhaftigkeit der Unterhaltungsobjekte:<br />
„Auch darin stimmen Hörer und Produkte zusammen: die Struktur, der sie nicht folgen<br />
können, wird ihnen gar nicht erst angeboten.“ (Adorno 1938: 37) Zugleich bewirkt<br />
schnelles Vergessen des banalen wie trivialen Inhalts, der der Dekonzentration Vorschub<br />
leistet, dass die in Form und Inhalt im Wesentlichen sich gleich bleibenden Produkte<br />
geradezu suchtartig konsumiert werden.<br />
4 Vgl. dazu Marx 1956 ff.: 822f.<br />
410
Gebur · Theodor W. Adorno<br />
Die vom Unterhaltungsapparat in Regie genommene Konsumentenkultur ist das warenförmige<br />
Produkt einer Branche; sie ist nicht den Lebensverhältnissen der Menschen<br />
als deren Originäres entsprungen, wie einige Varianten der Cultural Studies 5 unkritisch<br />
voraussetzen, wenn von ihnen „Konsum als Konstitutionsmerkmal kultureller Identität<br />
entdeckt“ (Winter 2000: 33) wird. Vielmehr handelt es sich um eine Form der Manipulation<br />
als Enteignung eigenständiger, kultureller Ausdrucksweisen, hinter der kein herrschaftlicher<br />
Beschluss steht, sondern die Logik der kapitalistischen Gesellschaft mit ihrer<br />
Tendenz, alles in Ware zu verwandeln. Daher „sind die Massen nicht das Primäre,<br />
sondern ein Sekundäres, Einkalkuliertes; Anhängsel der Maschinerie. Der Kunde ist<br />
nicht, wie die Kulturindustrie glauben machen möchte, König, nicht ihr Subjekt, sondern<br />
ihr Objekt.“ (Adorno 1963a: 337) Der Betrugsaspekt der Kulturindustrie zeigt sich<br />
nicht am einzelnen Produkt, sondern im „Angebot des immer Gleichen“ (Adorno 1938:<br />
39) als dem „Ausschluß des Neuen“ (DDA: 159). Die objektive Vielfalt der Waren erweist<br />
sich nur vordergründig als Dienst am Kunden. Adorno sieht darin vielmehr einen<br />
Schein von Konkurrenz und Auswahlmöglichkeit, da die Diversifizierung des Angebots<br />
nur dem genaueren Zugriff auf Nachfragepotenzial dient: „Emphatische Differenzierung<br />
wie die von A- und B-Filmen oder von Geschichten in Magazinen verschiedener<br />
Preislagen gehen nicht sowohl aus der Sache hervor, als daß sie der Klassifikation, Organisation<br />
und Erfassung der Konsumenten dienen.“ (DDA: 147) Die Freizeitangebote<br />
sind nach Standards vorab berechnet. „Für alle ist etwas vorgesehen, damit keiner ausweichen<br />
kann. [...] Jeder soll sich gleichsam spontan seinem vorweg durch Indizien bestimmten<br />
‚level‘ gemäß verhalten und nach der Kategorie des Massenprodukts greifen,<br />
die für seinen Typ fabriziert ist.“ (ebd.) Die Produktvielfalt täuscht darüber hinweg, dass<br />
die Totalität der Kulturindustrie in der „Reproduktion des Immergleichen“ (ebd.: 159)<br />
besteht, im Prinzip der Wiederholung. Die Konsumgüter präsentieren sich zwar stets als<br />
Neues, Überraschendes, doch ihre Strickmuster bleiben die gleichen. Die Produkte<br />
müssen sich in vertrauten Formen bewegen, um das Publikum nicht zu überfordern.<br />
„Nicht nur werden die Typen von Schlagern, Stars, Seifenopern zyklisch als starre Invarianten<br />
durchgehalten [...] als fertige Clichés [...]. Durchweg ist dem Film sogleich anzusehen,<br />
wie er ausgeht, wer belohnt, bestraft, vergessen wird, und vollends in der leichten<br />
Musik kann das präparierte Ohr nach den ersten Takten des Schlagers die Fortsetzung<br />
raten und fühlt sich glücklich, wenn es wirklich so eintrifft. An der durchschnittlichen<br />
Wortzahl der Short Story ist nicht zu rütteln. Selbst gags, Effekte und Witze sind<br />
kalkuliert wie ihr Gerüst.“ (ebd.: 149f)<br />
Verkümmerung der Kreativität und Erfahrungsverlust visiert Adorno als Effekte am<br />
Subjekt. Die Kategorie der Erfahrung selbst steht zur Disposition: <strong>Medien</strong>vermittelte<br />
Geschehnisse treten zunehmend an die Stelle des eigenen Erfahrungsfundus. „Die ganze<br />
Welt wird durch das Filter der Kulturindustrie geleitet.“ (ebd.: 150) Der immense Fernsehkonsum<br />
dient nicht nur dazu, „sinnleere Freizeit totzuschlagen“ (Adorno 1953a:<br />
513), er ist auch Indiz für die Ersatzfunktion der <strong>Medien</strong>, eine Unmittelbarkeit zwischenmenschlicher<br />
Beziehungen zu simulieren. In der Frühphase des Fernsehens in<br />
Deutschland merkte Adorno zur Wirkung jenes Mediums an: „Jene fatale ‚Nähe‘ des<br />
Fernsehens [...] befriedigt nicht nur eine Begierde, vor der nichts Geistiges bestehen darf,<br />
wenn es sich nicht in Besitz verwandelt, sondern vernebelt obendrein die reale Ent-<br />
5 Vgl. dazu kritisch: Gitlin 1999.<br />
411
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fremdung zwischen den Menschen und zwischen Menschen und Dingen. Sie wird zum<br />
Ersatz einer gesellschaftlichen Unmittelbarkeit, die den Menschen versagt ist. Sie verwechseln<br />
das ganz und gar Vermittelte, illusionär Geplante mit der Verbundenheit, nach<br />
der sie darben. Das verstärkt die Rückbildung: die Situation verdummt, auch wenn der<br />
Inhalt des Angeschauten nicht dümmer ist, als womit die Zwangskonsumenten sonst gefüttert<br />
werden.“ (ebd.: 511f) Adorno ist davon überzeugt, dass das Fernsehen „innerhalb<br />
der Psyche der Menschen unbewußt die Rolle eines Art Regulators der triebhaften<br />
Wünsche und Bedürfnisse übernommen hat. Diese vorderhand verblüffende These gewinnt<br />
Plausibilität, wenn man sich vergegenwärtigt, daß zunehmend Fernsehbilder produziert<br />
werden, die in sehr direkter und unmittelbarer Weise auf intrapsychische Erlebnisdimensionen,<br />
unbefriedigte Triebregungen der Rezipienten berechnet sind. [...] Innerhalb<br />
der <strong>Kommunikations</strong>forschung hat sich für diese Funktion der Massenmedien<br />
später der Begriff der ‚parasozialen Interaktion‘ eingebürgert: <strong>Medien</strong>produzenten und<br />
<strong>Medien</strong>rezipienten tun so, als ob zwischen ihnen eine ‚face-to-face‘-Kommunikation<br />
besteht, mit der empirisch nachgewiesenen Konsequenz, daß die fiktionale Fernsehsituation<br />
am Ende als realer wahrgenommen wird als die Realität selbst.“ (Müller-Doohm<br />
1996: 213) Simulation, Verdoppelung der Realität und Wiederholung machen nach<br />
Adorno die Signatur der Wirklichkeitskonstruktionen der Massenmedien aus: „Immerwährend<br />
betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend<br />
verspricht.“ (DDA: 165) Die Flucht vor der schlechten Realität endet in derselben, und<br />
genau darin liegt Adorno zufolge das Skandalon: „Escape wie elopement sind von vornherein<br />
dazu bestimmt, zum Ausgangspunkt zurückzuführen. Das Vergnügen befördert<br />
die Resignation, die sich in ihm vergessen will.“ (ebd.: 167) Das Bedürfnis, vom Alltag<br />
abzuschalten, gilt Adorno durchaus als legitim, nicht aber die Produkte zu seiner Befriedigung:<br />
„Nicht darum sind die escape-Filme so abscheulich, weil sie der ausgelaugten<br />
Existenz den Rücken kehren, sondern weil sie es nicht energisch genug tun, weil sie<br />
gerade so ausgelaugt sind, wie die Befriedigungen, die sie vortäuschen, zusammenfallen<br />
mit der Schmach der Realität, der Versagung.“ (Adorno 1951: 230)<br />
Adorno erblickte in den herrschaftsstabilisierenden Integrationsleistungen der Kulturindustrie<br />
ihr wesentliches Charakteristikum. Der von ihm beschworene Verblendungszusammenhang<br />
ergibt sich nicht allein aus der Form der Befriedigung des Amüsementbedürfnisses,<br />
sondern ebenso aus der Art, wie die soziale Wirklichkeit in den<br />
Massenmedien verhandelt wird. Er spricht in dieser Hinsicht von „Pseudorealismus“<br />
(Adorno 1953b: 522); die Massenmedien präsentieren Figuren als „Modelle, denen kaum<br />
je ein Lebendiger gleicht“. (Adorno 1951: 51) Bei aller Diversifizierung des Angebots<br />
„bleibt das Brot, mit dem Kulturindustrie die Menschen speist, der Stein der Stereotypie.“<br />
(DDA: 175) Dadurch wird der Schein der „Unabänderlichkeit der Verhältnisse erhärtet“<br />
(ebd.). Pseudoindividualismus, Star- und Persönlichkeitskult, „infantile Personalisierung<br />
der Politik“. (Adorno 1953b: 523) in den <strong>Medien</strong> tragen dazu bei, indem sie<br />
sich fixieren auf die „Matadore der Kulturindustrie, von denen zu reden wiederum eine<br />
Hauptbeschäftigung der Kulturindustrie ausmacht“ (Adorno 1969b: 646). Dies steht<br />
quer zur Komplexität gesellschaftlicher Strukturen. Das Problematische der Personalisierung<br />
liegt jedoch nicht einfach nur darin, dass sie objektivitätsverzerrend und darum<br />
sachlich falsch und unangemessen ist; sie birgt vielmehr ein Gefahrenpotenzial in sich,<br />
insofern sie bestimmte Muster der Realitätsverarbeitung aktualisieren kann, die Vorurteilsstrukturen<br />
Vorschub leisten und bedienen. Durch die oberflächliche Darstellung<br />
werden Probleme derart „verbogen, daß es sich so darstellt, als ob für alle diese Fragen<br />
Heilmittel parat wären, als ob die gute Großmutter oder der gütige Onkel nur aus der<br />
nächsten Tür herauszutreten brauchte, um eine zerfallene Ehe wieder in Ordnung zu<br />
412
Gebur · Theodor W. Adorno<br />
bringen. Hier haben wir sie: die grauenhafte Welt der Leitbilder eines ‚heilen Lebens‘,<br />
die erst den Menschen eine falsche Vorstellung geben von dem, was richtiges Leben ist,<br />
und die ihnen außerdem die Vorstellung geben, daß Widersprüche, die bis in das Urgestein<br />
unserer Gesellschaft hineinreichen, durch Beziehungen von Mensch zu Mensch<br />
und dadurch, daß alles nur auf den Menschen ankomme, zu heilen und zu lösen wären.“<br />
(Adorno 1963c: 59) Im Universum der Massenmedien, „das von der Furcht beherrscht<br />
ist, zu langweilen, und von der Bemühung, um jeden Preis unterhaltsam zu sein“, hebt<br />
auch Pierre Bourdieu in seiner Studie zum Fernsehen hervor, „muß die Politik als undankbares<br />
Thema erscheinen, das man zu den Hauptsendezeiten nach Möglichkeit meidet<br />
– ein wenig aufregendes, ja deprimierendes und schwer zu vermittelndes Schauspiel,<br />
das doch interessant gemacht werden soll. Daher die [...] Tendenz, den Kommentator<br />
und den recherchierenden Reporter durch den Spaßmacher zu ersetzen, Information,<br />
Analyse, vertiefte Diskussion, Expertenrunde, Reportage durch reine Unterhaltung,<br />
und insbesondere durch das bedeutungslose Geschwätz der Talkshows mit ihren immer<br />
wiederkehrenden und untereinander austauschbaren Teilnehmern.“ (Bourdieu 1998:<br />
131) Die massenmediale Wirklichkeitskonstruktion erstreckt sich längst nicht mehr nur<br />
auf die Form der Vermittlung derart, dass Ereignisse so inszeniert und konzipiert werden,<br />
dass sie sendegerecht in ein <strong>Medien</strong>format passen. Das <strong>Medien</strong>system wurde vielmehr<br />
„ein Instrument zur Schaffung von Wirklichkeit; aus dem Be-schreiben der sozialen<br />
Welt durch das Fernsehen wird ein Vor-schreiben. Das Fernsehen entscheidet zunehmend<br />
darüber, wer und was sozial und politisch existiert.“ (ebd.: 28)<br />
Die oberflächliche Darstellung von Inhalten und der verdinglichte Umgang mit ihnen<br />
korrespondieren nach Adorno im fortschreitenden Verfall der Bildung zur „universalen<br />
Halbbildung“ als der „Verwandlung aller geistigen Gehalte in Konsumgüter. Weder sind<br />
diese mehr verbindlich, noch auch nur eigentlich verstanden. Statt dessen informiert man<br />
sich über sie, um an der Kultur teilzuhaben.“ (Adorno 1960b: 575) Seinem Sinn nach<br />
Mittel der Erkenntnis, verkommt Bildung unter kulturindustriellen Bedingungen zu „akkumuliertem<br />
Bildungsmüll“ (Adorno 1963d: 182), zum Zierrat, von dem man sich Distinktionsgewinne<br />
verspricht: „Der auf Kulturgüter heruntergekommene Geist erheischt,<br />
daß diese selber essentiell nicht erfahren werden, sondern daß der Konsument<br />
mit ihnen Bescheid weiß, um sich als kultiviert zu legitimieren. Noch die feierliche Übertragung<br />
der Neunten Symphonie, groß aufgezogen, kommentiert und womöglich sich<br />
selber als historisches Ereignis deklarierend, bezweckt mehr, den Zuhörer über den Vorgang<br />
zu unterrichten, dem er beiwohnt, und über die Mächte, die ihn inszenieren, als ihn<br />
zur Teilnahme an der Sache selber zu bewegen. [...] Informiert wird über die Massenkultur<br />
selbst.“ (Adorno 1942b: 320) Adorno prognostizierte die jüngste Tendenz in<br />
Game- und Quizshows bereits Anfang der 40er Jahre: „Je mehr die Teilhabe an der Massenkultur<br />
in der informierten Verfügung über Kulturfakten sich erschöpft, um so mehr<br />
nähert der Betrieb dem Kontest, der Eignungs- und Leistungsprüfung sich an.“ (ebd.:<br />
324) 6<br />
6 Peter Moritz hält dazu fest: „Der Warencharakter der Präsentation tritt kraß hervor, die Bedeutung<br />
der sogenannten Allgemeinbildung schwindet zugunsten von Show, Glamour und Action,<br />
ohne daß sich am Grundprinzip der Vermittlung von Substanzlosigkeit irgend etwas änderte.<br />
[...] Das verlangte Kreuzworträtselwissen spiegelt nach Form, Funktion und Inhalt jenes<br />
unverbindliche Halbwissen, das sich gegenüber gewachsenen Beziehungen und Zusammenhängen<br />
als renitent erweist und sich selbst als Zweck erschöpft. Der Anspruch auf Bildung ist<br />
ihm so fremd wie die Fragen und Kandidaten fungibel sind.“ (Moritz 1998: 106f)<br />
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Adorno gilt die Kulturindustrie insgesamt als „anti-aufklärerisch“: „Sie verhindert die<br />
Bildung autonomer, selbständiger, bewußt urteilender und sich entscheidender Individuen.<br />
[...] Werden die Massen, zu Unrecht, von oben her als Massen geschmäht, so ist es<br />
nicht zum letzten die Kulturindustrie, die sie zu den Massen macht, die sie dann verachtet,<br />
und sie an der Emanzipation verhindert, zu der die Menschen selbst so reif wären,<br />
wie die produktiven Kräfte des Zeitalters sie erlaubten.“ (Adorno 1963a: 345)<br />
7. Zur Kritik an Adornos Theorie der Kulturindustrie – Einwände und Erwiderungen<br />
Es steht außer Frage, dass Adornos Theorie der Kulturindustrie, wie sie hier in ihrer historischen<br />
Gestalt dargelegt wurde, aktualisiert und auf den zeitgenössischen Begriff gebracht<br />
werden muss, denn gewiss referiert Adorno auf seine Zeitumstände. Dass der Ansatz<br />
theoretisch und empirisch „fortzusetzen“ (DDA: 196) ist – wie es am Ende des fragmentarischen<br />
Kapitels über Kulturindustrie in der ersten Fassung der Dialektik der Aufklärung<br />
von 1944 noch hieß –, versteht sich von selbst, will er nicht Gefahr laufen, der<br />
gesellschaftlichen Entwicklung dogmatisch gegenüberzutreten. Die Autoren der Dialektik<br />
der Aufklärung betonten in der Neuausgabe von 1969 selbst den historischen<br />
Charakter ihrer „Theorie, welche der Wahrheit einen Zeitkern zuspricht, anstatt sie als<br />
Unveränderliches der geschichtlichen Bewegung entgegenzusetzen.“ (DDA: 13) Die<br />
strukturellen Veränderungen und Ausdifferenzierungen des kulturindustriellen Apparates<br />
zwingen zur Arbeit an Mängeln und Einseitigkeiten seitens Adornos in thematischer<br />
wie methodischer Hinsicht, damit sich Theorie in kritischer Absicht auf der Höhe<br />
ihres Gegenstandes bewegt.<br />
Es gibt wesentlich fünf Motive der Kritik, die in der <strong>wissenschaft</strong>lichen Literatur gegen<br />
Adornos Kulturindustrietheorie vorgebracht werden:<br />
1. Häufig begegnet man dem Einwand, Adornos <strong>Medien</strong>wirkungsbefunde seien veraltet<br />
und überholt, weil sich die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend geändert<br />
hätten.<br />
2. Die rigide Dichotomie zwischen authentischen Kunstwerken und den Produkten der<br />
Kulturindustrie wird beanstandet, weil diese Gegenüberstellung nicht zulasse, den<br />
Bereich zwischen den extremen Polen hinreichend zu erfassen. Adorno besitze weder<br />
eine Begrifflichkeit noch einen Qualitätsmaßstab für die Kulturgüter, die in ihrer<br />
Mittelstellung eine aufklärerische Wirkung zu entfalten vermögen. 7 In Musik, Film,<br />
Fernsehen und Rundfunk habe sich „ein aufklärungsorientierter, künstlerisch ambitionierter<br />
Bereich“ etabliert, der dem massenmedialen Sektor einen zumindest „ambivalenten<br />
Charakter“ verleihe, so dass nicht mehr von „umstandsloser Standardisierung<br />
und Manipulation“ gesprochen werden könne. (Erd 1989: 227f.) Die „Phänomene<br />
aufklärerischer Massenkultur“ (Große-Kracht 1991: 26) könnten dazu beitragen,<br />
den Massen einen Zugang zu Kunst, Kultur, Bildung und Wissen zu eröffnen.<br />
3. Adorno habe ferner „die relative Autonomie des Bewußtseins, die Fähigkeit zur Weigerung,<br />
Kritik und transformierenden Praxis“ unterschätzt, weswegen er relevante<br />
gesellschaftliche Auseinandersetzungen, „die bestehenden Kämpfe gegen den fortgeschrittenen<br />
Kapitalismus“ (Kellner 1982: 508) nicht erklären könne.<br />
7 Vgl. Kellner 1982: 508f, Große-Kracht 1991: 26f sowie Kausch 1988: 81.<br />
414
Gebur · Theodor W. Adorno<br />
4. Gängig ist die Unterstellung eines „elitär-avantgardistischen Grundzuges des Kulturindustriekonzeptes“<br />
(Große-Kracht 1991: 28) sowie einer „hochtrabend-arrogante[n]<br />
Haltung absoluter Verachtung“ (Kellner 1982: 511), die sich in der undifferenzierten<br />
Rede von perfekter Manipulation und totalem Verblendungszusammenhang<br />
zeige.<br />
5. Schließlich wird in Bezug auf Adornos methodisches Vorgehen moniert, dass er sich<br />
nahezu ausschließlich stimulusorientiert mit den Erzeugnissen der Kulturindustrie<br />
auseinander gesetzt und dabei den Rezeptionsprozess der Konsumentengruppen in<br />
ihrer jeweiligen Milieuspezifik vernachlässigt habe. 8 Schwer wiegt der Einwand, „daß<br />
unterschiedliche Individuen und soziale Gruppen auf die <strong>Medien</strong>botschaften mit unterschiedlichen<br />
Interpretationen und Reaktionen antworten.“ (Kellner 1982: 508)<br />
Seitens diverser Spielarten der Cultural Studies wird vorgebracht, dass die ideologiekritische<br />
Konzentration auf Produktgestalt und -gehalt zu kurz greife, da zwischen<br />
medialer Enkodierung und Dekodierung kein Determinationsverhältnis bestehe.<br />
Bei aller Berechtigung in der Sache bleibt zweifelhaft, ob diese Kritikpunkte tatsächlich<br />
auf Adornos Analysen zutreffen. Es gilt daher, dessen Intention genau zu beachten.<br />
Ad (1): Empirisch gerichteten Einwänden, die sich auf einzelne Aspekte beziehen,<br />
hielt Adorno prinzipielle Bedenken, v.a. der Messbarkeit, entgegen. Kulturindustrie entfaltet<br />
ihre Wirkungen als System, im <strong>Medien</strong>verbund. „Die Totalität, die alles Einzelne<br />
prägt, läßt sich an jedem Einzelnen diagnostizieren, aber aus keinem beweisen.“ (Adorno<br />
1952: 487) Die langfristigen, dynamischen Wirkungen sind den Rezipienten zum Teil<br />
unbewusst und verhindern direkte Befragungen. Inzwischen konnten alternative Gegengründungen<br />
innerhalb der Massenmedien der verschärften Durchsetzung und Geltung<br />
von Kapitalprinzipien nicht länger standhalten. Die Kapitalkonzentration auf dem<br />
<strong>Medien</strong>markt, Privatisierung, Deregulierung und Globalisierung der <strong>Medien</strong> sowie die<br />
Bedeutungszunahme der Reklame legen zwingend den Gedanken nahe, dass sich Kulturindustrie<br />
auf einer neuen Stufe der Technik unter verschärften Verwertungsbedingungen<br />
modernisiert hat. Zumal sich im digitalen Zeitalter des <strong>Medien</strong>kapitalismus das,<br />
was zu Adornos Zeit nur Tendenz war, heute als Realität vollendet: Die neuen <strong>Medien</strong><br />
führen die einzelnen Sparten zum System zusammen.<br />
Ad (2): Adorno hegte Zweifel an der massenhaften Verbreitung und Popularisierung<br />
von Kulturgütern. „Wie es in der Kunst keine Approximationswerte gibt; wie eine halbgute<br />
Aufführung eines musikalischen Werkes seinen Gehalt keineswegs zur Hälfte realisiert,<br />
sondern eine jegliche unsinnig ist außer der voll adäquaten, so steht es wohl um<br />
geistige Erfahrung insgesamt. Das Halbverstandene und Halberfahrene ist nicht die<br />
Vorstufe der Bildung, sondern ihr Todfeind.“ (Adorno 1959a: 111) Eine in Form und<br />
Inhalt unsachgemäße Vermittlung von Bildungsgütern verhindert den vorgeblichen<br />
Zweck. Hinsichtlich der Frage, ob Fernsehen das Publikum an die Werke der Kunst heranführe,<br />
bezweifelte Adorno, „daß es pädagogisch überhaupt einen Weg zum Wesentlichen<br />
dadurch gibt, daß man die Menschen zunächst aufs Unwesentliche konzentriert.<br />
Gerade diese Aufmerksamkeit, die sich an das Unwesentliche heftet, verfestigt sich, wird<br />
habituell und setzt sich dadurch der Erfahrung des Wesentlichen entgegen.“ (Adorno<br />
1968b: 567) Die Orientierung an Einschaltquoten zwingt zur Anpassung der Produkte<br />
an die Rezipientenschaft, an sachfremde Kategorien der Wirksamkeit. „Kenntnis von<br />
8 Vgl. Große-Kracht 1991: 28ff und Kausch 1988: 92-103.<br />
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Nebensachen, von biographischen Details, geschichtlichen Ereignissen und äußerlichen<br />
Assoziationen wird mit dem Gegenstand und seinem Gehalt verwechselt.“ (Adorno<br />
1963d: 164) Adorno galt das „Bestreben, Kunst Kunstfremden zu erschließen, ohne deren<br />
Bewußtsein zu verändern“, als „albern“ und „peinlich“ (ebd.: 163).<br />
Ad (3): Der Ausgangspunkt von Adornos Untersuchungen war tatsächlich einseitig<br />
ausgerichtet. Es war ihm weder darum zu tun, die Möglichkeit von Widerstand, Protest<br />
und sozialen Kämpfen aufzuweisen, noch war ihm die Frage zentral, wie mediale Aufklärung<br />
möglich sei. Ihm galt es schlicht als Skandalon, dass angesichts des objektiv<br />
Möglichen die schlechten Produkte überhaupt vorherrschen. Sich dabei zu beruhigen,<br />
dass Massenmedien auch politisch-emanzipatorische Wirkungen entfalten könnten,<br />
steht einer kritischen Wissenschaft Adorno zufolge nicht an. Dennoch ist zuzugestehen,<br />
dass Adornos Kulturindustrie- und <strong>Medien</strong>analysen fast ausschließlich auf die repressiven<br />
Momente abzielen und somit unvollständig bleiben, gegebenenfalls auch Potenziale<br />
verschenken, wenn nicht, wie es Adorno zeitweise selbst vorschwebte, „auch die positiven<br />
Aspekte der Massenkultur zur Sprache kommen“ (DDA: 22).<br />
Ad (4): Einer oberflächlichen Lektüre ist es zuzuschreiben, in Adornos Schriften Elitarismus<br />
und Arroganz auszumachen. Er ließ keinen Zweifel daran, dass das Publikum<br />
nicht verantwortlich gemacht wird für Bedingungen und Prozesse, denen es unterliegt.<br />
„Keinem Hörer ist es vorzuwerfen, wenn er, mit einem ihm Fremden in schiefer Situation<br />
konfrontiert, auf den Spuk gar nicht erst sich einläßt, sondern ihn in den Hintergrund<br />
der Wahrnehmung und des eigenen Bewußtseins relegiert.“ (Adorno 1963e: 380)<br />
Nicht der Rezipient, soweit er Objekt der Kulturindustrie ist, und seine Bedürfnisse<br />
werden kritisiert, sondern die gesellschaftliche Bestimmung des Bewusstseins dort, „wo<br />
es nur Reflex der Realität ist, die es trägt.“ (Adorno 1962a: 457) Zu seiner Hörertypologie<br />
in der Einleitung in die Musiksoziologie, die vielen als Beweis der Arroganz gilt,<br />
merkte Adorno an, „Mißdeutungen“ seines Entwurfs „mögen mit der Abwehr des Gesagten<br />
zusammenhängen“; er betonte, Absicht sei nicht, die „negativ beschriebenen<br />
Hörtypen zu schmähen. [...] Der herrschende Zustand, den die kritische Typologie visiert,<br />
ist nicht die Schuld derer, die so und nicht anders hören, und nicht einmal erst die<br />
des Systems der Kulturindustrie, das ihren geistigen Zustand befestigt, um ihn besser<br />
ausschlachten zu können, sondern gründet in gesellschaftlichen Tiefenschichten wie der<br />
Trennung geistiger und körperlicher Arbeit; der hoher und niedriger Kunst; später der<br />
sozialisierten Halbbildung; schließlich darin, daß ein richtiges Bewußtsein in einer<br />
falschen Welt nicht möglich ist und daß auch die gesellschaftlichen Reaktionsweisen auf<br />
Musik im Bann des falschen Bewußtseins stehen.“ (Adorno 1968a: 197) Doch Adornos<br />
eigentümliche Darstellungsweise, sein Stil der Übertreibung, mag zu Missverständnissen<br />
beigetragen haben. Er räumte ein: „Ich habe das Düstere übertrieben, der Maxime<br />
folgend, daß heute überhaupt nur Übertreibung das Medium von Wahrheit sein kann.“<br />
(Adorno 1959b: 567) Adornos durchaus problematische totalisierenden Formulierungen<br />
sind nicht wörtlich als „monolithische Aussagen“ (Große-Kracht 1991: 28) zu verstehen.<br />
Unter bestimmten historischen Umständen mag die ‚Veritas in extremis‘-These<br />
– „Erkenntnis ist, und keineswegs per accidens, Übertreibung.“ (Adorno 1969a: 319) –<br />
legitim sein. Ob dies heute noch zu unterstellen ist, mag bezweifelt werden. „Gemessen<br />
am Zustand jetzt und hier ist die Behauptung von der Universalität der Halbbildung undifferenziert<br />
und übertrieben.“ (Adorno 1959a: 102) Es kommt daher darauf an, sich des<br />
systematischen Gehalts von Adornos Schriften zu versichern. Er will „eine Tendenz<br />
konstruieren, die Physiognomik eines Geistes entwerfen, der auch dann die Signatur des<br />
Zeitalters bestimmt, wenn sein Geltungsbereich quantitativ und qualitativ noch so sehr<br />
einzuschränken wäre.“ (ebd.: 102) Die Übertreibung ist nur einzugestehen „im Sinne des<br />
416
Gebur · Theodor W. Adorno<br />
Wesentlichen und Typischen, das in seiner Reinheit den Grenzbegriff einer realen Tendenz<br />
angibt.“ (Schiller 1995: 217) 9<br />
Ad (5): Sichere Erkenntnisse versprach sich Adorno in erster Linie von einer werkimmanent-qualitativen<br />
Analyse: „Wie in der Ästhetik gehe ich auch in der Soziologie<br />
gerade nicht von der Wirkung, sondern von dem wirkenden Gebilde, insgesamt von der<br />
Produktionssphäre aus.“ (Adorno 1977: 813) Dem Gehalt der Produkte und Werke galt<br />
der Vorzug vor einer subjektorientierten Rezeptions- und Wirkungsforschung. Zumeist<br />
stimulusorientiert suchte Adorno, „die ‚erwarteten‘ Wirkungen, nicht die realen Einstellungsänderungen<br />
bei den Rezipienten zu erforschen“. (Kausch 1988: 62) So heißt es<br />
in seiner Studie Aberglaube aus zweiter Hand: „Die Wirkung der astrologischen Spalte<br />
auf die tatsächliche und psychische Verfassung der Leser ist nur hypothetisch zu unterstellen.“<br />
(Adorno 1962b: 151) Adorno äußerte gewichtige Bedenken dagegen, den Rezeptionsprozess<br />
und seine Wirkungen über quantitative Methoden, über direkte Befragung<br />
zu entschlüsseln. „Das verbietet das Verbalisierungsproblem ebenso wie die affektive<br />
Besetzung jener Komplexe.“ (Adorno 1968a: 176) Denn die Rezeption populärkultureller<br />
Erzeugnisse ist gesellschaftlich präformiert und korrespondiert mit<br />
unbewussten, psychischen Tiefenprozessen. „Vorbewußte oder unbewußte Wirkungen<br />
entziehen sich der unmittelbaren sprachlichen Kundgabe durch die Befragten.“ (Adorno<br />
1953a: 512) Die ‚administrative <strong>Kommunikations</strong>forschung‘ (P. Lazarsfeld), insbesondere<br />
die <strong>Medien</strong>wirkungsforschung als kommerzielle Auftrags- und Verwertungsforschung,<br />
gibt lediglich Aufschluss darüber, wie die Rezipienten sich selbst sehen, über<br />
das bereits geronnene Bewusstsein, nicht seine Konstitution. Doch zeigte sich Adorno<br />
nach 1945 offener für eine rezeptionsorientierte Forschungslogik und äußerte Zweifel<br />
an der These, wonach Kulturindustrie das Bewusstsein und Unbewusstsein völlig beherrsche<br />
und kontrolliere, „ob die Gleichung von Kulturindustrie und Konsumentenbewußtsein<br />
aufgehe.“ (Adorno 1969b: 653) Er revidierte partiell seine kruden Totalaussagen:<br />
„Man darf annehmen, daß das Bewußtsein der Konsumenten selbst gespalten ist<br />
zwischen dem vorschriftsmäßigen Spaß, den ihnen die Kulturindustrie verabreicht, und<br />
einem nicht einmal sehr verborgenen Zweifel an ihren Segnungen. Der Satz, die Welt<br />
wolle betrogen sein, ist wahrer geworden, als wohl je damit gemeint war. Nicht nur fallen<br />
die Menschen, wie man so sagt, auf den Schwindel herein, wenn er ihnen sei’s noch<br />
so flüchtige Gratifikationen gewährt; sie wollen bereits einen Betrug, den sie selbst<br />
durchschauen.“ (Adorno 1963a: 342) Es kommt auf den Gehalt von Kulturgütern weniger<br />
an als darauf, „daß überhaupt irgendetwas da sei, was das Vakuum des expropriierten<br />
Bewußtseins ausfüllt.“ (Adorno 1949: 24) Auf der Grundlage einer nicht abgeschlossenen,<br />
empirischen Studie korrigierte Adorno die These vom vollständigen Manipulationscharakter<br />
der Kulturindustrie und sprach von „Symptomen eines gedoppelten<br />
Bewußtseins“ seitens des Publikums. Es sollte die Wirkung untersucht werden, die die<br />
in den <strong>Medien</strong> inszenierte Hochzeit des deutschen Jungdiplomaten Claus von Amberg<br />
mit der niederländischen Prinzessin Beatrix auf das Publikum ausübte. Adorno stellte<br />
dabei fest, dass viele „plötzlich sich ganz realistisch verhielten und die politische und gesellschaftliche<br />
Wichtigkeit desselben Ereignisses, das sie in seiner wohlpublizierten Einmaligkeit<br />
atemlos am Fernsehschirm bestaunt hatten, kritisch einschätzten. Was also die<br />
Kulturindustrie den Menschen in ihrer Freizeit vorsetzt, das wird [...] zwar konsumiert<br />
und akzeptiert, aber mit einer Art von Vorbehalt [...]: es wird nicht ganz daran geglaubt.<br />
9 Vgl. ferner Adorno 1951: 144; Adorno 1959a: 101; Adorno 1961: 577.<br />
417
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Die Integration von Bewußtsein und Freiheit ist offenbar doch nicht ganz gelungen. Die<br />
realen Interessen der Einzelnen sind immer noch stark genug, um, in Grenzen, der totalen<br />
Erfassung zu widerstehen. Das würde zusammenstimmen mit der gesellschaftlichen<br />
Prognose, daß eine Gesellschaft, deren tragende Widersprüche ungemindert fortbestehen,<br />
auch im Bewußtsein nicht total integriert werden kann.“ Adorno sah genau<br />
darin eine „Chance von Mündigkeit“, „die schließlich einmal zu ihrem Teil helfen könnte,<br />
daß Freizeit in Freiheit umspringt.“ (Adorno 1969b: 654f)<br />
8. Adornos rezeptionstheoretische und medienpädagogische Überlegungen<br />
Derartige Korrekturen finden sich v. a. in Adornos Nachkriegsschriften. Erst in den späteren<br />
Jahren erkannte er „neben dem ästhetisch zugänglichen Stimulus-Response-Zusammenhang<br />
auch einen soziologisch zu untersuchenden Response-Stimulus-Zusammenhang“<br />
(Kausch 1988: 94) an. In den 30er Jahren zeigte sich Adorno gegenüber letzterem<br />
noch ganz ablehnend, da „der Fetischcharakter der Musik durch Identifikation<br />
der Hörer mit den Fetischen seine eigene Verdeckung“ (Adorno 1938: 36) produziert.<br />
„Die unbewußten Reaktionen der Hörer sind so dicht abgeblendet, ihre unbewußte Rechenschaft<br />
orientiert sich so ausschließlich an den herrschenden Fetischkategorien, daß<br />
jede Antwort, die man erhält, vorweg mit der Oberfläche jenes Musikbetriebs konformiert<br />
[...]. Schon wenn man einem Hörer jene primitive Frage nach Gefallen oder<br />
Mißfallen vorlegt, kommt der gesamte Mechanismus wirksam ins Spiel, von dem man<br />
meint, er könne durch die Reduktion auf diese Frage transparent gemacht und eliminiert<br />
werden.“ (ebd.: 32f) Adorno beschränkte sich zunächst auf die materiale Analyse von<br />
<strong>Medien</strong>inhalten und schloss von deren Ergebnissen auf mögliche Rezeptionsmuster. Es<br />
ist zwar zu erwarten, „daß Flachheit und Oberflächlichkeit eines Materials, das von<br />
vornherein darauf angelegt ist, im Zustand der Zerstreuung wahrgenommen zu werden,<br />
verhältnismäßig flache und oberflächliche Reaktionen erwarten läßt“ (Adorno 1969c:<br />
718), doch „der Manipulation sind Grenzen gesetzt.“ Adorno überzeugte sich daher von<br />
der Notwendigkeit der Rezeptionsforschung: „Es ist eine offene, tatsächlich nur empirisch<br />
zu beantwortende Frage, ob, wie weit, in welchen Dimensionen die in musikalischer<br />
content analysis aufgedeckten gesellschaftlichen Implikationen von den Hörern<br />
auch aufgefaßt werden, und wie sie darauf reagieren. Naiv wäre es, wollte man ohne weiteres<br />
eine Äquivalenz zwischen den gesellschaftlichen Implikationen der Reize und der<br />
‚responses‘ unterstellen. Nicht weniger naiv allerdings, beides so lange als unabhängig<br />
voneinander zu betrachten, wie ausgeführte Forschungen über die Reaktionen nicht<br />
vorliegen.“ (ebd.) Jene müssten, da die Stimuli weitgehend auf das Unbewusste abzielen,<br />
psychoanalytisch angelegt sein und dürften sich nicht nur auf Geschmack, Vorlieben,<br />
Abneigungen und Gewohnheiten beziehen; Adornos Voraussetzung blieb die<br />
ästhetische, „daß Werke ein in sich objektiv Strukturiertes und Sinnvolles sind, das der<br />
Analyse sich öffnet und das in verschiedenen Graden der Richtigkeit wahrgenommen<br />
und erfahren werden kann.“ (Adorno 1968a: 180) So hielt er an der Verbindung von subjektiver<br />
Rezeptionsforschung mit objektiv gerichteter Analyse fest, da die Inadäquanz<br />
von ästhetischem Gegenstand und Rezeption keine Frage von likes und dislikes ist.<br />
Adorno kontrastierte scharf die <strong>Medien</strong>praxis mit der ästhetischen Forderung der Werke<br />
und bezog dabei zugunsten der Rezipienten einen strikt gebrauchswertorientierten<br />
Standpunkt gegenüber den <strong>Medien</strong>. „In der bisherigen Praxis ist die Wirkung auf den<br />
Zuschauer geplant und die Sache planlos. Das Verhältnis ist umzukehren: die Sache ist<br />
ohne Blinzeln auf die Wirkung zu planen, dann widerfährt dem Publikum sein Recht.“<br />
(Adorno 1947: 132) An eine Wissenschaft, die eine derartige <strong>Medien</strong>kritik leisten und<br />
418
Gebur · Theodor W. Adorno<br />
das Recht des Publikums einklagen kann, sind keine geringen Forderungen gestellt:<br />
„Eine Musiksoziologie, in der Musik mehr bedeutet als Zigaretten oder Seife in Markterhebungen,<br />
bedarf nicht nur des Bewußtseins von der Gesellschaft und ihrer Struktur,<br />
nicht nur auch bloß der informatorischen Kenntnis musikalischer Phänomene, sondern<br />
des vollen Verständnisses von Musik selbst in allen Implikationen.“ (Adorno 1968a: 177)<br />
Deshalb kommt einer qualitativ-immanenten Inhaltsanalyse sowie der Produktionsund<br />
Distributionsanalyse weiterhin eminente Bedeutung zu – auch dann, wenn der Produktgehalt<br />
nur wenig aussagt über die Rezeption; dieser legt – bei noch so großer Fähigkeit<br />
der Dekodierung seitens einer ‚active audience‘ – doch so etwas wie einen Grenzwert,<br />
die Limitierung des Gebrauchswerts, fest. Damit lassen sich „Hypothesen zum<br />
kulturindustriellen Leistungspotential formulieren. Diese Hypothesen sind Antworten<br />
auf die Frage: Was können die Massenmedien für die Rezipienten leisten?“ (Kausch<br />
1988: 217) 10<br />
Anstrengungen muss sich auch der Rezipient gefallen lassen, und zwar schon „bei der<br />
Frage, ob das Publikum überhaupt Richtiges wollen kann. Dazu müßte es gebracht werden,<br />
durch sich selbst und gegen sich selbst zugleich.“ (Adorno 1963b: 346) Adorno hielt<br />
es prinzipiell für möglich, die Resistenzkraft des Individuums zu stärken: „Anzuknüpfen<br />
wäre an das, was man in Amerika sale’s resistance nennt, den Widerwillen dagegen,<br />
sich übers Ohr hauen zu lassen, den Dummen zu spielen. Eine Schulklasse, der man einmal<br />
vorm Apparat vorgeführt hat, was so eine en suite sich produzierende Fernsehfamilie<br />
bedeutet, würde wohl weniger anfällig.“ (ebd.) Dennoch überraschen in den<br />
Schriften Adornos der theoretische Pessimismus und der praktische Optimismus, die<br />
sich nahezu unvermittelt gegenüberstehen. Jürgen Habermas hat diese Haltung Adornos<br />
in der Formel beschrieben, dass „er inkonsequent genug [war], als öffentlicher Intellektueller<br />
anders zu sprechen und zu handeln, als man es vom Theoretiker der ‚verwalteten<br />
Welt‘ erwartet hätte.“ Er hat sich „gegenüber dem größeren Publikum geradezu<br />
volkspädagogisch verhalten.“ (Habermas 1993: 65) Diese Zwiespältigkeit zeigt sich<br />
anschaulich in Adornos Verhältnis zu den <strong>Medien</strong>. Einerseits stellte er Film, Fernsehen<br />
und Rundfunk unter Manipulations- und Verblendungsverdacht und sprach ihnen fast<br />
jeglichen Erkenntniswert ab; andererseits hielt er eine begrenzte, immanente Reform<br />
von Kulturindustrie und <strong>Medien</strong> für möglich. Dieser Reformgedanke gewann bei Adorno<br />
v. a. im Nachkriegsdeutschland an Bedeutung, kaum im amerikanischen Exil. Dies<br />
dürfte damit zusammenhängen, dass die medienpädagogischen Reformvorschläge im<br />
öffentlich-rechtlichen Rundfunk eher praktikabel sind als in den so genannten privaten<br />
<strong>Medien</strong>. Entgegen zahlreicher Formulierungen, die eine Unausweichlichkeit des „universalen<br />
Verblendungszusammenhangs“ (Adorno 1966: 397) nahe legen, machte sich<br />
Adorno keineswegs spröde gegen praktische Maßnahmen pädagogischer Art: „Not<br />
wäre mit anderem die Emanzipation von jenen Mechanismen, die einzig die blind gesellschaftlich<br />
produzierte Dummheit in jedem einzelnen bewußt nochmals reproduzie-<br />
10 Michael Kausch hat Adornos Position bündig zusammengefasst: „Das Publikum hat also kein<br />
Recht auf dasjenige, was in der Annahme produziert wird, es würde ihm gefallen, sondern es<br />
hat ein Recht darauf, über Materialgerechtes zu entscheiden. [...] Das Recht des Publikums beginnt<br />
erst bei der Rezeption, bei der Entscheidung darüber, was es sehen und hören will, nicht<br />
schon bei der Produktion. Das ‚sachgerecht‘, nicht das ‚mundgerecht‘ Produzierte führt zu echter<br />
Kommunikation, d.h. zur Kontroverse, zur Beurteilung, zum Austausch darüber, was Erfolg<br />
und was Ablehnung verdient.“ (Kausch 1988: 209)<br />
419
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
ren. Darum ist es dringlich, die heutige Ideologie, die in der Verdoppelung des Lebens<br />
durch alle Sparten der Kulturindustrie besteht, beim Namen zu nennen. Eine Impfung<br />
der Menschen gegen die ausgespitzte Idiotie, auf die jeder Film, jedes Fernsehprogramm,<br />
jede illustrierte Zeitung ausgehen, wäre selber ein Stück verändernder Praxis.“ (Adorno<br />
1953c: 455)<br />
Adornos <strong>Medien</strong>pädagogik, die Forderung nach Entwicklung von materialgerechten,<br />
medienspezifischen Produktions-, Reproduktions- und Vermittlungsformen, zielt zugleich<br />
auf das Publikum sowie auf die <strong>Medien</strong>schaffenden. In seinen Lehrschriften zur<br />
musikalischen Praxis etwa setzte sich Adorno – ausgehend von der „Kritik falschen musikalischen<br />
Bewußtseins, wie es falsches Hören zeitigt“ (Adorno 1963d: 159) – mit der<br />
Radiopraxis auseinander: „Versucht ist, aus der Einsicht in manche Nöte des gegenwärtigen<br />
Interpretierens wie der Rezeption fortzuschreiten zur Erkenntnis, wie neue Musik<br />
richtig zu hören und richtig darzustellen, wie die neuen technischen <strong>Medien</strong> richtig<br />
zu verwenden wären. Das geschieht nicht systematisch von oben her, sondern an den<br />
konkreten Schwierigkeiten, welche die Gegenstände bereiten, ähnlich vielleicht dem,<br />
was die zeitgenössische Pädagogik als exemplarisches Lernen diskutiert.“ (ebd.) In zahlreichen<br />
Rundfunksendungen sowie in Vorträgen etwa an der Frankfurter Hochschule<br />
für Musik ging es Adorno um die „sachgerechte Verwendung des wichtigsten musikalischen<br />
Massenmediums“ (ebd.: 162) mit der Intention, „die musikalische Verwendung<br />
des Radios um[zu]orientieren“. (Adorno 1963e: 381) Neben dem Aspekt der Vermittlungsformen,<br />
die in erster Linie der ästhetisch-künstlerischen Logik der Werke zu folgen<br />
haben, visierte er die programmpolitische Veränderung bzw. Erweiterung der <strong>Medien</strong>inhalte<br />
sowie die genannte ‚Impfung‘ der Rezipienten, damit den <strong>Medien</strong> nicht nur<br />
eine Unterhaltungs-, sondern in Grenzen auch eine Erziehungsfunktion eignet. Adornos<br />
Skepsis hielt sich jedoch darin durch, dass seine <strong>Medien</strong>pädagogik defensiv ausgerichtet<br />
war. „Adornos aktiver Rezipient ist der Abwehrspieler, der nicht gleich auf alles<br />
und jedes hereinfällt. Er braucht nicht zu hoffen, etwas Positives im massenkommunikativen<br />
Rezeptionsprozeß zu erfahren. Für ihn gibt es keinen Gewinn in der Massenkommunikation.<br />
Aber er kann das massenkommunikative Spiel auch nicht verlassen.<br />
Wenn er sich nur geschickt verhält, so kann er hoffen, mit halbwegs heiler Haut davonzukommen.“<br />
(Kausch 1988: 214)<br />
Vor dem Hintergrund der oben erläuterten, einschränkenden Bedenken hat diese<br />
Skepsis an Dringlichkeit nichts eingebüßt. Im <strong>Medien</strong>kapitalismus heute hat schließlich<br />
der Begriff Kulturindustrie seine – von den Autoren der Dialektik der Aufklärung beigelegte<br />
– ironische Konnotation aus den 40er Jahren verloren, als sich die Kapitalmagnate<br />
etwa in Hollywood in ihrer Größe noch sehr bescheiden ausgenommen hatten im<br />
Vergleich zu den damals „mächtigsten Sektoren der Industrie, Stahl, Petroleum, Elektrizität,<br />
Chemie“ (DDA: 147). Dass mittlerweile transnationale <strong>Medien</strong>konzerne zu den<br />
so genannten Global Players rechnen, zeigt an, unter welchen neuen Machtkonstellationen<br />
‚das massenkommunikative Spiel‘ heute vonstatten geht.<br />
Literatur<br />
Adorno, T. W., Gesammelte Schriften [=GS], herausgeg. v. R. Tiedemann, Bd.1–20, Frankf./M.,<br />
1970 – 1986.<br />
Adorno, T. W., 1938: Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens, in:<br />
GS 14, S. 14-50.<br />
Adorno, T. W., 1942a: Reflexionen zur Klassentheorie, in: GS 8, S. 373 – 391.<br />
Adorno, T. W., 1942b: Das Schema der Massenkultur, in: GS 3, S. 299 – 335.<br />
Adorno, T. W., 1945: Fragen an die intellektuelle Emigration, in: GS 20.1, S. 352 – 359.<br />
420
Gebur · Theodor W. Adorno<br />
Adorno, T. W. [zus. mit H. Eisler], 1947: Komposition für den Film, in: GS 15, S. 7 – 155.<br />
Adorno, T. W., 1949: Kulturkritik und Gesellschaft, in: GS 10.1, S. 11 – 30.<br />
Adorno, T. W., 1951: Minima Moralia, in: GS 4.<br />
Adorno, T. W., 1952: Zur gegenwärtigen Stellung der empirischen Sozialforschung in Deutschland,<br />
in: GS 8, S. 478 – 493.<br />
Adorno, T. W., 1953a: Prolog zum Fernsehen, in: GS 10.2, S. 507 – 517.<br />
Adorno, T. W., 1953b: Fernsehen als Ideologie, in: GS 10.2, S. 518 – 532.<br />
Adorno, T. W., 1953c: Individuum und Organisation, in: GS 8, S. 440 – 456.<br />
Adorno, T. W., 1959a: Theorie der Halbbildung, in: GS 8, S. 93 – 121.<br />
Adorno, T. W., 1959b: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, in: GS 10.2, S. 555 – 572.<br />
Adorno, T. W., 1960a: Kultur und Verwaltung, in: GS 8, S. 122 – 146.<br />
Adorno, T. W., 1960b: Einleitung zur „Theorie der Halbbildung“, in: GS 8, S. 574 – 577.<br />
Adorno, T. W., 1961: Meinung Wahn Gesellschaft, in: GS 10.2, S. 573 – 594.<br />
Adorno, T. W., 1962a: Eingriffe, in: GS 10.2, S. 455 – 594.<br />
Adorno, T. W., 1962b: Aberglaube aus zweiter Hand, in: GS 8, S. 147 – 176.<br />
Adorno, T. W., 1963a: Résumé über Kulturindustrie, in: GS 10.1, S. 337 – 345.<br />
Adorno, T. W., 1963b: Kann das Publikum wollen?, in: GS 20.1, S. 342 – 347.<br />
Adorno, T. W., 1963c: Fernsehen und Bildung, in: Ders., 1971: Erziehung zur Mündigkeit. Herausgeg.<br />
v. G. Kadelbach, Frankf./M., S. 50 – 69.<br />
Adorno, T. W., 1963d: Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Praxis, in: GS<br />
15, S. 157 – 401.<br />
Adorno, T. W., 1963e: Über die musikalische Verwendung des Radios, in: GS 15, S. 369 – 401.<br />
Adorno, T. W., 1965: Gesellschaft, in: GS 8, S. 8 – 19.<br />
Adorno, T. W., 1966: Negative Dialektik, in: GS 6.<br />
Adorno, T. W., 1967: Thesen zur Kunstsoziologie, in: GS 10.1, S. 367 – 374.<br />
Adorno, T. W., 1968a: Einleitung in die Musiksoziologie, in: GS 14, S. 169 – 433.<br />
Adorno, T. W., 1968b: „Musik im Fernsehen ist Brimborium“, in: GS 19, S. 559 – 569.<br />
Adorno, T. W., 1969a: Einleitung zum Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, in: GS 8,<br />
S. 280 – 353.<br />
Adorno, T. W., 1969b: Freizeit, in: GS 10.2, S. 645 – 655.<br />
Adorno, T. W., 1969c: Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, in: GS 10.2, S. 702 – 738.<br />
Adorno, T. W., 1970: Ästhetische Theorie, in: GS 7.<br />
Adorno, T. W., 1977: Schlußwort zu einer Kontroverse über Kunstsoziologie, in: GS 10.2, S. 810 –<br />
815.<br />
Adorno, T. W./Horkheimer, Max, 1969 [1944, 1947]: Dialektik der Aufklärung. Philosophische<br />
Fragmente, in: HGS 5, S. 11-290. [zitiert als DDA]<br />
Bourdieu, Pierre, 1998: Über das Fernsehen, Frankf./M.<br />
Claussen Detlev, 1990: Fortzusetzen. Die Aktualität der Kulturindustriekritik Adornos, in: Hager/Pfütze<br />
(Hg.): Das unerhört Moderne. Berliner Adorno-Tagung, Lüneburg, S. 134 – 150.<br />
Erd, Rainer, 1989: Kulturgesellschaft oder Kulturindustrie? Anmerkungen zu einer falsch formulierten<br />
Alternative, in: Erd et al. (Hg.): Kritische Theorie und Kultur, Frankf./M., S. 216 –<br />
235.<br />
Gitlin, Todd, 1999: Opium fürs Akademikervolk? Der antipolitische Populismus der „Cultural<br />
Studies“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 3/1999, 44. Jg., S. 344 – 353.<br />
Große-Kracht, Hermann-Josef, 1991: Das Prinzip des Immergleichen und die Verdoppelung der<br />
Realität. Zu Adornos Theorie der Kulturindustrie und ihrem heutigen Stellenwert. In: Communicatio<br />
Socialis, H. 1, Jg. 24, S. 12 – 41.<br />
Habermas, Jürgen, 1985: Kritische Theorie und Frankfurter Universität, in: Ders., 1987: Eine Art<br />
Schadensabwicklung, Frankf./M. S. 57 – 63.<br />
Habermas, Jürgen, 1993: Französische Blicke, französische Befürchtungen. In: Ders., 1995: Die<br />
Normalität einer Berliner Republik, Frankf./M. S. 65 – 73.<br />
Heinze, Thomas, 1990: <strong>Medien</strong>analyse. Ansätze zur Kultur- und Gesellschaftskritik, Opladen.<br />
Horkheimer, Max: Gesammelte Schriften [=HGS]. 19 Bände, A. Schmidt und G. Schmid Noerr<br />
(Hg.), Frankf./M., 1985 ff.<br />
421
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Horkheimer, Max, 1931: Die gegenwärtige Lage der Sozialphilosophie und die Aufgaben eines Instituts<br />
für Sozialforschung, in: HGS 3, S. 20 – 35.<br />
Horkheimer, Max, 1932: Vorwort, in: HGS 3, S. 36 – 39.<br />
Kausch, Michael, 1988: Kulturindustrie und Populärkultur. Kritische Theorie der Massenmedien,<br />
Frankf./M.<br />
Kellner, Douglas, 1982: Kulturindustrie und Massenmedien. Die Kritische Theorie und ihre Folgen.<br />
In: Bonß/Honneth (Hg.): Sozialforschung als Kritik, Frankf./M., S. 482 – 515.<br />
Löwenthal, Leo, 1984: Adorno und seine Kritiker, in: Ders.: Schriften Bd. 4. Judaica, Vorträge,<br />
Briefe, herausgeg. v. H. Dubiel, Frankf./M., S. 59 – 73.<br />
Marx, Karl (1956 ff.): Das Kapital, Bd. 3, in: Marx-Engels-Werke (MEW) Bd. 25, Berlin/DDR.<br />
Moritz, Peter, 1998: Prinzip Glücksrad, in: ZkT 7/1998, S. 105 – 110.<br />
Müller-Doohm, Stefan, 1996: Die Soziologie Theodor W. Adornos. Eine Einführung, Frankf./M./<br />
New York.<br />
Müller-Doohm, Stefan, 2000: Kritische <strong>Medien</strong>theorie – die Perspektive der Frankfurter Schule, in:<br />
Neumann-Braun/Müller-Doohm (Hg.): <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong>soziologie, Weinheim,<br />
München, S. 69 – 92.<br />
Negt, Oskar, 1973: Massenmedien: Herrschaftsmittel oder Instrumente der Befreiung? Aspekte der<br />
<strong>Kommunikations</strong>analyse der Frankfurter Schule, in: Prokop (Hg.): Kritische <strong>Kommunikations</strong>forschung.<br />
Aufsätze aus der Zeitschrift für Sozialforschung, München, S. I – XXVIII.<br />
Schiller, Hans-Ernst, 1995: Übertreibung. Philosophie und Gesellschaft bei Adorno, in: Schweppenhäuser<br />
(Hg.): Soziologie im Spätkapitalismus. Zur Gesellschaftstheorie Theodor W. Adornos,<br />
Darmstadt, S. 203 – 223.<br />
Schweppenhäuser, Gerhard, 1996: Theodor W. Adorno zur Einführung, Hamburg.<br />
Winter, Carsten, 2000: Kulturwandel und Globalisierung. Eine Einführung in die Diskussion, in:<br />
Winter/Robertson (Hg.): Kulturwandel und Globalisierung, Baden-Baden, S. 13 – 73.<br />
Zeitschrift für kritische Theorie [=ZkT], herausgegeben von Gerhard Schweppenhäuser, Lüneburg.<br />
Zuckermann, Moshe, 2000: Aspekte „hoher“ und „niedriger“ Kultur. Zur anachronistischen Aktualität<br />
Adornos, in: ZkT 10/2000, S. 89 – 106.<br />
422
Besprechungen<br />
Manfred Faßler<br />
Netzwerke<br />
Einführung in die Netzstrukturen, Netzkulturen<br />
und verteilte Gesellschaftlichkeit<br />
München: Wilhelm Fink, 2001. – 324 S.<br />
ISBN 3-7705-3549-9<br />
Als so genanntes „Netz der Netze“ konfrontiert<br />
uns das Internet mit Schwierigkeiten der<br />
Zuordnung, denn die neuen <strong>Medien</strong> scheinen<br />
zwischen den Polen der Kommunikation und<br />
Interaktion einerseits und materieller Technik<br />
andererseits zu liegen. Elektronische Vernetzungstechnologien<br />
ermöglichen nicht nur den<br />
Aufbau und die Stabilisierung sozialer Beziehungen<br />
unabhängig von raumzeitlichen Beschränkungen,<br />
sondern auch neue Formen der<br />
Interaktivität, der Individualisierung und Partizipation<br />
im elektronischen Raum. Inwieweit<br />
soziale Beziehungen nicht nur medienvermittelt<br />
sind, sondern mediale Netze unsere Sozialbeziehungen<br />
kulturell und territorial reorganisieren,<br />
diskutiert Manfred Faßer auf gut 300 Seiten.<br />
Für Faßler sind wir längst in die Cyber-Moderne<br />
eingetreten, in der es ein Jenseits von<br />
Netzen nicht mehr gibt und sich unsere Wahrnehmungs-<br />
und Beobachtungsverhältnisse radikal<br />
wandeln. Konnektivität und Relationalität<br />
werden zu den neuen Leittermini der Cyber-<br />
Moderne. Will medien- und kultur<strong>wissenschaft</strong>liche<br />
Theoriebildung die damit einhergehenden<br />
gesellschaftlichen Veränderungen analysieren,<br />
muss sie sich – so die These Faßlers –<br />
um eine Beobachtersprache bemühen, die das<br />
Netz gleichermaßen als technologischen und<br />
theoretischen Gegenstand formuliert und in der<br />
Lage ist, das „Dazwischen“, jenen Bereich zwischen<br />
Mensch-Computer-Interaktion, beobachtbar<br />
zu machen.<br />
In den ersten beiden Kapiteln zeichnet Faßler<br />
die medientechnologischen Voraussetzungen<br />
der langsamen aber unaufhaltsamen Karriere<br />
des Netzbegriffes nach und steckt seinen<br />
Begriffsrahmen ab. Faßler bringt Themen und<br />
Fragestellungen der Informatik, der KI-Forschung,<br />
der <strong>Kommunikations</strong>- und <strong>Medien</strong>forschung<br />
zusammen, um deutlich zu machen,<br />
dass Netze die Gesellschaft nicht bloß durchziehen,<br />
sondern mittlerweile als neuer Bedeutungs-<br />
und Referenzrahmen für Gesellschaftsanalyse<br />
fungieren.<br />
Um die Veränderungen in den sozialen Gefügen<br />
zu analysieren, greift eine Gegenüberstellung<br />
von online und offline-Realität ebenso<br />
zu kurz wie die These der Immersion, des Eintauchens<br />
in den virtuellen Raum. Die für Faßler<br />
leitende Fragestellung ist vielmehr, wie auf der<br />
Grundlage einer netztechnologischen Infrastruktur<br />
<strong>Medien</strong>kulturen erzeugt werden. In<br />
und durch Netze entstehen künstliche Realitäten<br />
und reale Virtualitäten, die neue Wahrnehmungsmuster<br />
und Realitäten provozieren. Um<br />
diese begrifflich zu erschließen, führt er den<br />
Begriff der „Mediamorphosis“ (S. 97) ein. Zum<br />
einen grenzt er sich damit von der McLuhanschen<br />
These ab, wonach die neuen <strong>Medien</strong> als<br />
Erweiterung und als Ergänzung des menschlichen<br />
Wahrnehmungsvermögens fungieren,<br />
zum anderen geht es ihm um eine Verknüpfung<br />
zwischen Netztheorie und Systemtheorie. In<br />
einer zwar kritischen aber sehr verkürzten<br />
Auseinandersetzung mit der systemtheoretischen<br />
Medium/Form-Unterscheidung und<br />
anknüpfend an konstruktivistische Überlegungen<br />
unterscheidet Faßler zwischen Formel<br />
(binäre Schaltungszustände)/Format (materielle<br />
Träger) und Form (die jeweilige Nutzung der<br />
Formate), um gleichermaßen die Materialität<br />
der <strong>Medien</strong> und die Software, die Programme<br />
etc. bei der Analyse der Gebrauchskulturen in<br />
den Blick rücken zu können. Faßler versteht<br />
Netze als „materiale, logisch-geistige, infrastrukturelle,<br />
medienkulturelle und ökonomische<br />
Grundlage“ (S. 117), die im Gebrauch bisherige<br />
Mensch-Umgebungs-Beziehungen radikal<br />
wandeln. Eine „Theorie der mediamorphen<br />
Vernetzungen“ (S. 117) stellt auf das Zusammenspiel<br />
zwischen Körperlichkeit, Geist und<br />
Technik ab.<br />
Die Netze selbst sind unspezifisch, erst in<br />
der Art und Weise ihrer Nutzung entsteht Sinn.<br />
Netze stellen Wegesystematiken bereit, erzeugen<br />
Topographien, die in medialen Gebrauchskulturen<br />
zu bislang unwahrscheinlichen <strong>Kommunikations</strong>landschaften<br />
ausgestaltet werden.<br />
Faßlers Gebrauch von Raummetaphern geschieht<br />
keineswegs zufällig. Im dritten Kapitel<br />
beschreibt Faßler am Beispiel der Infographie<br />
den Wandel in unseren Raumwahrnehmungen.<br />
Entgegen der These der Enträumlichung stellt<br />
Faßler die Ausdifferenzierung von Raumbildung<br />
und Raumwahrnehmung nicht-lokaler<br />
<strong>Medien</strong>kulturen in den Vordergrund. So wie<br />
im Raum Orte mit spezifischen Bedeutungen<br />
aufgeladen werden, differenzieren sich aufbau-<br />
423
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
end auf elektronischen Schaltungszuständen<br />
neue Wissensräume aus, deren raumzeitliche<br />
Stabilität jedoch mit der kommunikativen Nutzung<br />
steht und fällt. Server, Backbones und<br />
Schaltungsgeschwindigkeiten bestimmen in<br />
der Infographie die postgeographischen Raummaße.<br />
Faßler spricht denn auch in diesem Zusammenhang<br />
nicht von ortlosen Gesellschaften,<br />
sondern von „territoriumsfreien Gesellschaften“<br />
(S. 96), die aus Nutzungs-„Orten“<br />
bestehen. Während die moderne Gesellschaft<br />
durch formale, taylorisierte Umgebungen geprägt<br />
war, haben wir es jetzt angesichts netztechnischer<br />
Reichweiten mit verteilten, dynamischen<br />
Räumen zu tun. Sichtbar wird dies<br />
beispielsweise in der organisatorischen Realität<br />
und den dortigen kooperativen und virtuellen<br />
Arbeitsräumen. Die neuen transversalen Verknüpfungen<br />
und virtuellen Orte und Treffpunkte<br />
schaffen künstliche Räume. Diese programmierte<br />
Künstlichkeit ist in die <strong>Medien</strong>, in<br />
die Software eingeschrieben und wird durch die<br />
Nutzung, durch die jeweilige Übersetzung zu<br />
einer spezifischen Wirklichkeit. Es entstehen<br />
neue Handlungsräume, die die Wirklichkeit<br />
der Programmierer und die nutzerspezifischen<br />
Erfahrungen und Wissensbestände zu einer eigenwertigen<br />
Realität verknüpfen. In dieser Infographie<br />
haben wir es mit wahrnehmbaren,<br />
aber nicht mit sinnlich erfahrbaren Räumen zu<br />
tun. Um diese empirischen und gleichzeitig<br />
nicht-empirischen künstlichen Räume zu erfassen,<br />
müssen wir – so Faßlers These – die<br />
„Festkörper-Empirie“ (S. 46) bisheriger Gesellschaftsanalysen<br />
verlassen.<br />
Nicht zuletzt für empirische Forschungen<br />
über das Netz ist in diesem Zusammenhang<br />
Faßlers These der „medialen Gebrauchskultur<br />
der elektronischen Netzwerke“ (S. 159) und<br />
der sich daran anschließende Begriff der „Einhegung“<br />
(S. 182) im Sinne einer qualitativen<br />
Grenzziehung aufschlussreich. Als „Individual-Global-<strong>Medien</strong>“<br />
(S. 136) standardisieren die<br />
neuen <strong>Medien</strong> auf der Ebene der Betriebssysteme,<br />
stellen quasi die Infrastruktur bereit für soziale<br />
Zusatzräume. Als offene Systeme, die erst<br />
in den Gebrauchskulturen zu unterschiedlichen<br />
<strong>Medien</strong>sphären ausgeformt werden, machen<br />
Netze die Hoffnung auf stabile Grenzen<br />
zunichte, System-Umweltbeziehungen sind<br />
gleichermaßen von Varietät gekennzeichnet<br />
und von Stabilität. Die strukturelle Offenheit<br />
von Netzen stellt jede <strong>Medien</strong>realität unter<br />
Kontingenzverdacht angesichts unvorherseh-<br />
424<br />
barer Kombinationen und/oder Unterbrechungen.<br />
Virtuelle Referenzen konkurrieren<br />
mit uns vertrauten Referenzmustern. Territoriale,<br />
institutionelle und körperliche Referenzmuster<br />
verlieren durch die Netztechnologien<br />
an Orientierungsqualität, gleichzeitig entstehen<br />
neue Institutionalisierungsprobleme wie<br />
Kultivierungschancen durch das Teilhaben<br />
an medialen <strong>Kommunikations</strong>umgebungen.<br />
Ebenso wie der elektronische Raum von sozialen<br />
Systemen durchkreuzt wird, prägen virtuelle<br />
<strong>Kommunikations</strong>formen – etwa News-<br />
Groups, Mailinglisten, Chatrooms – vorhandene<br />
Sozialbeziehungen in ihrem Selbstverständnis<br />
und ihrer Organisation. Als eigenständige<br />
Bezugsrealität bilden sich netzinterne und<br />
netzexterne Anschlüsse aus. Für Faßler geht es<br />
längst nicht mehr nur um die Frage, ob elektronische<br />
<strong>Medien</strong> eingeführt werden sollen oder<br />
nicht, viel entscheidender wird die Frage der<br />
Vermittlung, also was sich in der Nutzung der<br />
<strong>Medien</strong> als ‚erhaltenswert‘ durchsetzt und was<br />
nicht. Welche Konsequenzen dies beispielsweise<br />
auf die Frage nach der <strong>Medien</strong>kompetenz<br />
hat, wird von Faßler am Ende kurz angedeutet,<br />
wenn er das Netzmodell vom Modell des Archivs<br />
unterscheidet. Während Archive eine Katalogmentalität<br />
nahe legen, findet der Nutzer<br />
im Netz keine fertigen Produkte, gefragt sind<br />
jetzt Gestaltungskompetenzen und Selektionsleistungen<br />
im Sinne eines permanenten Managements<br />
von Unterscheidungen.<br />
Insgesamt bietet Faßler einen aufschlussreichen<br />
Einblick in die <strong>Medien</strong>realität der Gesellschaft.<br />
Wie bereits in seinem 1997 erschienenen<br />
Buch „Was ist Kommunikation“ verweist<br />
Faßler auf die Notwendigkeit kultur- und<br />
medien<strong>wissenschaft</strong>licher Forschung, sich der<br />
Informatik zu öffnen, um die Verquickungen<br />
und Hybridisierungen zwischen Technik und<br />
Kultur zu erfassen. Davor, dass man mitunter<br />
in Teufels Küche kommt, bei der Frage „was“<br />
das Netz denn nun sei, ist jedoch auch Manfred<br />
Faßler nicht gefeit. Mal wird das Netz<br />
als „Folgebegriff für Gesellschaft“ begriffen,<br />
dann übernimmt es eine „Platzhalterfunktion“<br />
(S. 174), an anderer Stelle fungiert es als Leittechnologie<br />
oder als „Quasi-Institution“. Hier<br />
wäre eine systematischere und stringentere<br />
Handhabung der eigenen Unterscheidungsleistungen<br />
sicherlich hilfreich gewesen. So wird<br />
der Leser/die Leserin in den zahlreichen Unterkapiteln<br />
mit immer neuen Argumentationsschleifen<br />
konfrontiert, in denen Faßler sich zum
Teil selbst verstrickt und in ein Beobachtungsdilemma<br />
gerät, wenn es ihm zum einen um die<br />
Herausarbeitung neuer Formen der Realitätserzeugung<br />
und -wahrnehmung geht, die er jedoch<br />
gleichzeitig als bereits existierend voraussetzt.<br />
Auch die im Text hervorgehobenen Thesen liefern<br />
keinen einheitlichen Beobachtungsrahmen.<br />
Gleichwohl bietet Faßler in seiner ihm eigenen<br />
Rhetorik vielfältige Ideen auf die Frage, was<br />
nach dem Ende der Gutenberg-Galaxis kommt.<br />
Daniela Ahrens<br />
David Gauntlett (Hrsg.)<br />
Web.Studies<br />
Rewiring media studies for the digital age<br />
London: Arnold, 2001. – 250 S.<br />
ISBN 0-340-76049-4<br />
Die ständigen Veränderungen der Angebotsstruktur<br />
des Internets und der aus ihr resultierenden<br />
Cyberkultur stellen hohe Anforderungen<br />
an die Wissenschaftler ganz unterschiedlicher<br />
Fachdisziplinen. Theoriemodelle und<br />
Methoden müssen den sich schnell verändernden<br />
Gegebenheiten und Angebotsstrukturen<br />
angepasst werden. Der amerikanische Sozial<strong>wissenschaft</strong>ler<br />
David Gauntlett versucht mit<br />
„Rewiring media studies for the digital age“, alle<br />
relevanten Aspekte medien<strong>wissenschaft</strong>licher,<br />
soziologischer, kultur<strong>wissenschaft</strong>licher, wirtschafts<strong>wissenschaft</strong>licher,<br />
politologischer und<br />
kommunikations<strong>wissenschaft</strong>licher Forschung<br />
zum Internet in einem Sammelband für Lehrende<br />
und Studenten zusammen zu fassen. Zu<br />
den Beiträgen zählen auch Texte, die bislang nur<br />
in entlegenen Fachzeitschriften oder schwer<br />
auffindbaren Webpages publiziert wurden.<br />
David Silver gibt einen einleitenden Überblick<br />
über die Entwicklung von Cyberculture<br />
Studies zwischen 1990 und 2000. Dieser und jeder<br />
folgende Beitrag des Sammelbandes wird<br />
von einer Liste relevanter Netzadressen begleitet,<br />
ein gemeinsames Glossar informiert im Anhang<br />
über die Bedeutung der jeweiligen Fachausdrücke.<br />
Hilfreich für den Leser ist auch das<br />
umfangreiche Literaturverzeichnis, das einschlägige<br />
Arbeiten aus dem nordamerikanischen<br />
Raum vorstellt.<br />
Bei der Beitragsauswahl dominieren die Phänomene<br />
und Interessen des angloamerikanischen<br />
Raums. Europäische Leser können der<br />
Internetnutzung nordamerikanischer Indianer<br />
Besprechungen<br />
wahrscheinlich ebenso wenig Interesse entgegenbringen<br />
wie dem der Exilinder oder Teilproblemen<br />
der amerikanischen Lehrerevaluation.<br />
Doch in den Beiträgen finden sich auch<br />
wichtige Sachinformationen zur historischen<br />
Entwicklung des Internets als globalem Netzwerk<br />
von Computern und Teilbereichen der<br />
Angebotsfläche des World Wide Webs.<br />
Unterschiedliche Möglichkeiten und Formen<br />
individueller Selbstdarstellung via Internet<br />
(Charles Cheung, Eva Pariser) und ihre Folgen<br />
für die subjektive Identitätskonstruktion stehen<br />
im Zentrum der Beiträge über die individuelle<br />
Nutzung. Auch die Queer Studies als<br />
Teilbereich der Cultural Studies werden für die<br />
Analysen der Selbstdarstellung und Identitätskonstruktion<br />
von Homosexuellen genutzt<br />
(Chris Berry, Fran Martin). In dem Rahmen<br />
der individuellen Selbstdarstellung werden<br />
auch ästhetische Kriterien der Webseiten-Darstellung<br />
behandelt. Donald Snyder beschreibt<br />
die formalen und inhaltlichen Spezifika der Lebensdarstellung<br />
von Frauen via Webcam. Nina<br />
Wakeford stellt ihr Konzept möglicher Methoden<br />
der Webseitenanalyse vor.<br />
Kollektive Veränderungen der Wirtschaft<br />
(Teil III: Web Business) und der Politik (Teil<br />
IV: Global Web Communities, Politics and<br />
Protest) durch unterschiedliche Formen der Internetkommunikation<br />
sind Teil der Ausführungen<br />
zu Aspekten der Wirkung. Kirsten<br />
Pullen setzt sich in „I-love-Xena.com: Creating<br />
Online Fan Communities“ mit der Bedeutung<br />
des Internets für durch die Nutzung anderer<br />
<strong>Medien</strong> etablierte Fankulturen auseinander.<br />
Im Zusammenhang mit kollektiven Wirkungen<br />
werden auch Veränderungen tradierter<br />
Konzepte von Öffentlichkeit diskutiert. David<br />
Gauntlett sieht in Jürgen Habermas‘ Vorstellungen<br />
von der Öffentlichkeit als <strong>Kommunikations</strong>raum<br />
den Ausgangspunkt vieler utopischer<br />
Vorstellungen der kommunikativen<br />
Möglichkeiten und der damit einhergehenden<br />
gesellschaftlichen und individuellen Veränderungen.<br />
Die Beschreibungsmodelle des Internets<br />
bleiben an Habermas ebenso orientiert wie<br />
an der Utopie des World Wide Web-Erfinders<br />
Tim Berners-Lee von einem „common information<br />
space in which we communicate by sharing<br />
information“ (5).<br />
Neben den unterschiedlichen Konzepten<br />
von Öffentlichkeit bilden Veränderungen etablierter<br />
Kulturbereiche durch neue mediale<br />
Vermittlungsformen einen weiteren Themen-<br />
425
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
schwerpunkt des Sammelbandes. Die Motive<br />
unterschiedlicher literarischer und filmischer<br />
Darstellungen des Cyberspace sind Gegenstand<br />
von Beiträgen wie „The Web Goes To the<br />
Pictures“ (Gauntlett). Er zeigt das kritische Potenzial<br />
der Kultur hinsichtlich der Beurteilung<br />
massenmedialer Vermittlungsformen.<br />
Gerard Goggin beleuchtet die wirtschaftlichen<br />
Utopien der Ökonomisierung des Netzes<br />
kritisch und stellt sie der fehlenden Bereitschaft<br />
der Nutzer, für Netzkonsum Geld auszugeben,<br />
gegenüber. Der zentrale Aspekt kultureller<br />
Veränderungen wird durch die Beschreibung<br />
von Selbstdarstellung der Filmindustrie aber<br />
auch der <strong>Medien</strong> (beispielsweise der BBC) im<br />
Netz behandelt. Historisch aufgebaut ist auch<br />
der Beitrag von Philip M. Taylor zur Kriegsdarstellung<br />
im Internet, der über die Fernsehkriege<br />
in Korea und Vietnam, dem Live-Event<br />
des Golfkriegs in den Kosovokonflikt als Internetkrieg<br />
mündet. An einigen Stellen erscheint<br />
die Themenstruktur der einzelnen Beiträge<br />
fragwürdig. Douglas Thomas ordnet die Bewegung<br />
der Hacker dem allgemeinen Bereich der<br />
Cyberkriminalität zu und verzichtet auf eine<br />
elementare Beschäftigung mit den politischen<br />
Hintergründen.<br />
Den klassischen Abschluss von Sammelbänden<br />
über das Internet bildet auch bei Gauntlett<br />
eine Zukunftsprognose: „The Future: Faster,<br />
Smaller, More, More More“. Anstelle des<br />
World Wide Wait wird hier von einer Zeitgleichheit<br />
der Rezeptionsmöglichkeit ebenso<br />
ausgegangen wie von einer Mobilisierung der<br />
Netznutzung durch andere Empfangsgeräte als<br />
den Computer. Träume, Utopien und Prognosen<br />
verwischen sich etwa in der Beschreibung<br />
des intelligenten Hauses, das das Leben und<br />
den Konsum seiner Bewohner automatisch<br />
steuert. Die Erwähnung von Anti-Utopien, wie<br />
die des dank Homers Bier aus dem Konzept geratenen<br />
intelligenten Hauses in der amerikanischen<br />
Serie „Simpsons“, passt natürlich nicht in<br />
diese Technik-Utopie.<br />
Insgesamt liefert der vorliegende Sammelband<br />
erste Einblicke in die Vielzahl möglicher<br />
Forschungsansätze zur Analyse des Internets,<br />
seiner Angebotsstruktur und seiner Wirkung.<br />
Es bleibt jedoch manches an der Oberfläche,<br />
das durch die Lektüre weiter gehender Untersuchungen<br />
vertieft werden sollte. Als Lehrbuch<br />
für Einführungskurse ist der Band jedoch gut<br />
geeignet.<br />
Joan Kristin Bleicher<br />
426<br />
Karsten Renckstorf / Denis McQuail /<br />
Nicholas Jankowski (Hrsg.)<br />
Television News Research<br />
Recent European Approaches and Findings<br />
Berlin: Quintessenz 2001. – 406 S.<br />
(Communications Monograph; 2)<br />
ISBN 3-87652-699-x<br />
Mit dem Sammelband „Television News Research:<br />
Recent European Approaches and<br />
Findings“ haben die Bemühungen um eine<br />
europäische Identität nun auch ihren Niederschlag<br />
in der kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lichen<br />
Theoriebildung, Methodenentwicklung<br />
und Perspektivenwahl gefunden. Der von<br />
Karsten Renckstorf, Denis McQuail und<br />
Nicholas Jankowski herausgegebene Band ist<br />
aus einem Kolloquium zum aktuellen Stand der<br />
europäischen Fernsehnachrichtenforschung<br />
hervorgegangen, das im Oktober 1998 an der<br />
Universität von Nijmegen von der Zeitschrift<br />
„Communications“ organisiert worden war.<br />
Einige der insgesamt 22 Beiträge wurden bereits<br />
im einschlägigen Themenheft bzw. nachfolgenden<br />
Ausgaben der Zeitschrift veröffentlicht,<br />
wurden hier jedoch nochmals abgedruckt,<br />
um einen integrierten Überblick über<br />
die Vielfalt europäischer Forschungsaktivitäten<br />
zu gewährleisten.<br />
Der umfangreiche Band enthält theoretische<br />
und systematische wie empirische, qualitative<br />
ebenso wie quantitative Beiträge vorwiegend<br />
nord- und mitteleuropäischer sowie israelischer<br />
Herkunft. Das inhaltliche Spektrum<br />
reicht von Überblicksartikeln über Arbeiten zu<br />
nationalen Spezialfragen bis hin zu internationalen<br />
Vergleichen. Aufgrund der großen Zahl<br />
der Beiträge können hier lediglich einige wenige<br />
hervorgehoben werden, die in besonderer<br />
Weise die Bandbreite: der Forschungsfragen<br />
und Befunde markieren. Der Band gliedert sich<br />
in die fünf Bereiche: Überblicke und Ansätze,<br />
Rezeptionsstudien, Verstehen und Behalten,<br />
Inhalte und Wirkungen sowie Nachrichtenkonzeptionen.<br />
Den Abschluss bildet ein Beitrag<br />
von Denis McQuail, der Forschungsdesiderate<br />
und Zukunftsperspektiven formuliert.<br />
Einen guten Einstieg in den Forschungsbereich<br />
ermöglichen die Beiträge von Barrie Gunter<br />
und Gabi Schaap / Karsten Renckstorf /<br />
Fred Wester, die eine umfassende Zusammenschau<br />
der relevanten Studien und Befunde in<br />
Europa präsentieren. Im Bereich der Rezepti-
onsforschung ragen Olle Findahls methodologische<br />
und theoretische Überlegungen sowie<br />
die vergleichende Untersuchung von Klaus<br />
Bruhn Jensen zu „Superthemen“ in sieben Ländern<br />
als besonders lesenswert heraus. Auch die<br />
Diskussion des Zusammenhangs zwischen der<br />
Wertschätzung von Nachrichten und der Erinnerungsleistung<br />
von Ard Heuvelman / Allerd<br />
Peeters / Leen d’Haenens verdient besondere<br />
Aufmerksamkeit. Der Abschnitt zu Inhalten<br />
und Wirkungen von Fernsehnachrichten umfasst<br />
eine Reihe sehr unterschiedlicher Artikel.<br />
Die Breite des Forschungsfeldes wird hier markiert<br />
durch die von der Wissenssoziologie inspirierten<br />
Reflexionen über Vorurteile von<br />
Ruben König, die Untersuchung der Videomalaise-These<br />
durch Winfried Schulz, sowie<br />
die Arbeit von Peter Winterhoff-Spurk zur<br />
Kultivierung durch Gewaltinhalte. Unter der<br />
Überschrift „Konzeptionen von Nachrichten“<br />
werden so heterogene Beiträge subsumiert wie<br />
der historische Überblick über die Beziehung<br />
zwischen Journalismus und Fernsehen in mehreren<br />
Ländern von Jérôme Bourdon oder die<br />
Studie von Nicholas Jankowski und Martine<br />
von Selm zu den bislang kaum genutzten <strong>Kommunikations</strong>möglichkeiten<br />
durch das Internet.<br />
Die Vielfalt der inhaltlichen Ausrichtung der<br />
in diesem Sammelband vereinten Beiträge gewährleistet<br />
zwar einerseits einen umfassenden<br />
Überblick über die neuere europäische Fernsehnachrichtenforschung,<br />
bedeutet aber auch,<br />
dass der Band für eine problemorientierte Suche<br />
nach neuerer Spezialliteratur wenig hilfreich<br />
sein dürfte. Der Mangel an Fokussierung<br />
und die Abwesenheit einer inhaltlichen Klammer,<br />
die über die bloße Gemeinsamkeit des<br />
Forschungsgegenstandes „Fernsehnachrichten<br />
in Europa“ hinausgeht, erweckt den Eindruck<br />
einer gewissen Beliebigkeit. Nachdem darüber<br />
hinaus die Qualität der Beiträge erheblich variiert,<br />
gilt wie für die meisten Sammelbände der<br />
Leitsatz „weniger wäre mehr gewesen“.<br />
Lediglich in einer Hinsicht muss diese Kritik<br />
modifiziert werden. Durch die starke Präsenz<br />
der Forschungsgruppe aus dem Renckstorf-<br />
Umfeld ergibt sich eine leichte Schieflage im<br />
Bereich der zugrundegelegten Theorieperspektiven.<br />
In Ermangelung konkurrierender Ansätze<br />
erscheint die handlungstheoretische Perspektive<br />
dieses Teams als dominierendes Paradigma<br />
europäischer Fernsehnachrichtenforschung.<br />
Alternative Theorieansätze hätten das<br />
Bild europäischer Vielfalt etwas abgerundet.<br />
Besprechungen<br />
In der Einleitung sowie im abschließenden<br />
Kapitel wird die Notwendigkeit einer spezifisch<br />
europäischen Forschungsagenda hervorgehoben,<br />
die sich aus den Veränderungen der<br />
europäischen Fernsehlandschaft ergeben hat.<br />
Problematisiert werden vor allem der aus der<br />
Deregulierung resultierende Verlust des semimonopolistischen<br />
Status‘ der Fernsehnachrichten<br />
und ihrer priesterlichen Rolle im demokratischen<br />
Prozess. Die meisten Beiträge berühren<br />
jedoch die angesprochenen Probleme – etwa<br />
die Verringerung der Informationsqualität und<br />
-vielfalt, den Verlust politischer Kontrolle, die<br />
Abnahme des Nachrichten- und Informationspublikums<br />
und die Abwanderung der Zuschauer<br />
zu ausländischen Anbietern – nur sehr<br />
indirekt. Langzeituntersuchungen, in denen die<br />
Veränderungen systematisch einer – wie Denis<br />
McQuail im letzten Beitrag formuliert – an<br />
relevanten Normen ausgerichteten kontinuierlichen<br />
Beobachtung unterzogen werden, fehlen<br />
ganz.<br />
Auch ein spezifisch europäischer Zugang,<br />
wie ihn die Herausgeber in impliziter Abgrenzung<br />
von den US-amerikanischen Ansätzen<br />
und Befunden im Sammelband repräsentiert sehen,<br />
lässt sich nicht entdecken. Dieser erscheint<br />
allerdings auch nicht zwingend. Zum einen ist<br />
die Ausweitung und Kommerzialisierung des<br />
Programmangebots weder ganz neu noch ausschließlich<br />
europäisch und lässt sich in den<br />
USA und anderen Ländern Gewinn bringend<br />
beobachten, zum anderen lässt sich, wie im<br />
Übrigen in diesem Band belegt, auch mit relativ<br />
konventioneller Forschung zeigen, dass das<br />
Fernsehen sich als Instrument der Aufklärung<br />
nicht bewährt hat. Die paradigmatische Beschränkung<br />
auf „europäische“ Forschung wird<br />
außerdem spätestens dann problematisch,<br />
wenn es darum geht, den bisherigen Stand zu<br />
den unterschiedlichen Forschungsbereichen<br />
darzustellen. Glücklicherweise wird die Beschränkung<br />
auf europäische Forschungsergebnisse<br />
nicht von allen Autoren des Sammelbandes<br />
durchgehalten, so dass im Großen und<br />
Ganzen ein international informierter Überblick<br />
über den Forschungsstand zur Fernsehnachrichtenforschung<br />
entstanden ist. Als Einstieg<br />
in das Forschungsfeld ist der Band durchaus<br />
zu empfehlen. Wer Literatur zu spezielleren<br />
Fragen sucht, wird allerdings auf stärker<br />
einschlägig fokussierte Arbeiten zurückgreifen.<br />
Christiane Eilders<br />
427
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Jens Wernecken<br />
Wir und die anderen ...<br />
Nationale Stereotypen im Kontext des <strong>Medien</strong>sports<br />
Berlin: Vistas 2000. – 530 S.<br />
(Beiträge des Instituts für Sportpublizistik; 6)<br />
ISBN 3-89158-271-4<br />
In der aus seiner Dissertation am Institut für<br />
Sportpublizistik der Universität Münster hervorgegangenen<br />
Studie setzt sich Jens Wernecken<br />
das Ziel, Entstehung, Verwendung,<br />
Qualität und Funktionen nationaler Stereotypen<br />
im <strong>Medien</strong>sport zu untersuchen und Fragen<br />
wie „Was ist typisch deutsch?“ oder „Wie<br />
schätzen Deutsche im Sport sich selber (resp.<br />
ihre Landsleute), wie schätzen sie Vertreter anderer<br />
Nationen ein?“ zu klären. Er versteht seine<br />
Untersuchung als Grundlagenarbeit zur<br />
„Image-Forschung“ im Kontext der <strong>Medien</strong>.<br />
Die empirischen Untersuchungsdaten wurden<br />
1995 mittels Analyse und Interpretation<br />
der Sportberichterstattung der <strong>Medien</strong> Zeitung<br />
und Fernsehen sowie durch Publikumsbefragungen<br />
(Stadioninterview, Passantenbefragung<br />
und Telefoninterview) erhoben. Diese mehrmethodische<br />
Vorgehensweise soll ermöglichen,<br />
die Konstrukte der „Sportmedienrealität“ zu<br />
den Publikumsbildern in Bezug bringen zu<br />
können.<br />
In einem ausführlichen ersten Teil (ca. 140 S.)<br />
wird der aktuelle Forschungsstand im Hinblick<br />
auf die Dimensionen und den sozialen Stellenwert<br />
des Sports, den <strong>Medien</strong>sport, die Wirkungen<br />
der Massenmedien, die <strong>Medien</strong>bilder und<br />
Publikumsbilder gesichtet. Außerdem werden<br />
die für die Untersuchung wichtigsten Begriffe<br />
(Image, Stereotyp etc.) definiert und abgegrenzt.<br />
Erst im sechsten Kapitel werden Leitfragen<br />
und Hypothesen aufgestellt und dann<br />
im siebten das „Untersuchungsdesign“ erläutert.<br />
Das achte Kapitel enthält dann die Ergebnisse<br />
der Untersuchung, gegliedert nach Methoden.<br />
Zum Schluss folgt die Diskussion der<br />
Ergebnisse in Form einer „Hypothesendiskussion“.<br />
Die Diskussion des Themas „Sport“ verlange<br />
die Berücksichtigung von Wirtschaft, <strong>Medien</strong><br />
und sozialen Faktoren. Sportlichkeit könne<br />
als Leitbild oder Erscheinungsform der modernen<br />
Gesellschaft gesehen werden, wobei seine<br />
(soziale) Bedeutung eine erhebliche Veränderung<br />
erfahren habe. Seit den 50er Jahren sei das<br />
428<br />
Interesse am aktiven Sport stetig gewachsen.<br />
Die Art der sportlichen Tätigkeit und ihr Stellenwert<br />
habe sich in verschiedenen Bereichen<br />
ständig gewandelt: (i) die sportlichen Aktivitäten<br />
hätten sich vom organisierten Sport (Vereinssport)<br />
zu nicht organisierten Sportaktivitäten<br />
(individuelles Sporttreiben) verlagert; (ii)<br />
die Anhängerschaft des Passivsports (Besuch<br />
von Sportveranstaltungen, Konsum von <strong>Medien</strong>sport<br />
als Unterhaltung) habe in den 80er<br />
und 90er Jahren zugenommen; (iii) seit Mitte<br />
der 80er Jahre habe sich auch das Interesse von<br />
Wirtschaft und <strong>Medien</strong> vermehrt dem Sport<br />
zugewandt, was zu einer sozialen Aufwertung<br />
des Sports geführt habe.<br />
<strong>Medien</strong> haben den Sport vermarktet und instrumentalisiert:<br />
Am offensichtlichsten zeichnet<br />
sich dies an der Inszenierung des kommerzialisierten<br />
Schau- und Spitzensports ab, der<br />
heute ganz auf die Unterhaltungs- und Konsumbedürfnisse<br />
der Gesellschaft ausgerichtet<br />
ist. Es ergibt sich ein stabiles „magisches Dreieck“<br />
der Wechselwirkungen zwischen <strong>Medien</strong>,<br />
Sport und Wirtschaft.<br />
Die Sportberichterstattung im Fernsehen<br />
und in den Printmedien sind publikums- und<br />
marktabhängig und damit den Gesetzen des<br />
Marktes unterworfen: Diese bringen eine Uniformierung<br />
der Berichterstattung, die sich formal,<br />
stilistisch und inhaltlich in einer weit reichenden<br />
„intermediären Konvergenz“ niederschlägt.<br />
Für die Tageszeitungen ist ein umfangreiches,<br />
aktuelles, ereignisreiches Sportangebot<br />
Verkaufsinstrument. Die Sportberichterstattung<br />
im Vergleich zwischen verschiedenen Tageszeitungen<br />
ist weitgehend konform, maßgeblich<br />
dafür sind Selektions- und Konstruktionsfaktoren<br />
des Sportjournalismus. Für die Sportberichterstattung<br />
im Fernsehen ist ein „duales<br />
Rezeptionsverhalten“ (S. 83) zu beobachten:<br />
die privaten und die öffentlich-rechtlichen Sender<br />
haben ein entweder eher unterhaltungssuchendes<br />
bzw. ein eher informationsorientiertes<br />
Zielpublikum. Im intermediären Konkurrenzkampf<br />
hat die Sportberichterstattung im Fernsehen<br />
gegenüber der in den Zeitungen Überhand<br />
genommen. Als Gründe dafür sind u.a.<br />
Reichweitenverluste und geringe Nutzungsdauer<br />
der Tageszeitungen auszumachen.<br />
Die Funktionalisierung des Sports in den<br />
<strong>Medien</strong> bringt eine sprachliche Effekt-Orientierung<br />
mit sich: Wettbewerbsorientierte<br />
Sportberichterstattung erfordert eine marktfähige<br />
Sprache. Merkmale dieser Sprache sind:
einfache, verständliche Sätze, Bildhaftigkeit,<br />
beschränkte Lexik und ein begrenztes Repertoire<br />
von Redewendungen, Übertreibungen,<br />
rhetorischen Fragen, Klangfiguren.<br />
Für die massenkommunikative Publikumsund<br />
Wirkungsforschung steht der Transfer der<br />
„<strong>Medien</strong>realität“ zum Publikum und deren Rezeption<br />
durch das Publikum im Mittelpunkt.<br />
Die in den 70er Jahren entwickelten Ansätze<br />
des „Agenda-Settings“ und der „Kultivierungshypothese“<br />
haben die Bedeutung der Individualität<br />
der Rezipienten hervorgehoben.<br />
Ihr Wissen, ihre Aufmerksamkeit und ihr Problembewusstsein<br />
bestimmen ihren Umgang<br />
mit der durch die <strong>Medien</strong> gelieferten Information.<br />
Diese kann mitbestimmen, worüber Rezipienten<br />
denken, aber nicht was sie denken. Bei<br />
der Kultivierungshypothese stehen die langfristigen<br />
Auswirkungen der <strong>Medien</strong> im Vordergrund<br />
des Interesses. Nach dieser Hypothese<br />
entstehen die Bilder, welche die Menschen<br />
sich von etwas machen, die „Publikumsbilder“,<br />
weniger aus Primärerfahrungen des Individuums<br />
als aus <strong>Medien</strong>erfahrungen. „<strong>Medien</strong>realität“,<br />
also das durch die <strong>Medien</strong> vermittelte<br />
Bild der Realität, bezieht sich zwar grundsätzlich<br />
auf „die Welt“, entspringt aber einem „vielstufigen<br />
Interpretations-, Auswahl- und Konstruktionsprozess“<br />
(S. 104) und vermittelt dadurch<br />
eine „modifizierte Realität“, auch der<br />
„Sportmedien-Realität“.<br />
Die Bedeutungsfelder von Bild und Image<br />
überschneiden sich zwar, aber da Letzteres einem<br />
wirtschaftspsychologischen Kontext entstammt,<br />
ist es spezifischen Einschränkungen<br />
unterworfen. Stereotyp und Vorurteil unterscheiden<br />
sich darin, dass Stereotypen nicht a<br />
priori Negativ-Wertungen sind, dass Vorurteile<br />
sich prinzipiell auf „die Anderen“ beziehen<br />
und Selbstwahrnehmung ausgrenzen, und dass<br />
Stereotypen gegenüber Veränderung immun<br />
sind, während Vorurteile als eine Art „Wahrnehmungsblocker“<br />
mit Abwehrfunktion fungieren.<br />
Für das Verhältnis von Images, Kommunikation<br />
und <strong>Medien</strong> werden solche semantischen<br />
Nuancen relevant. Images werden<br />
durch <strong>Medien</strong>kommunikation mitgeprägt,<br />
transportiert und vermittelt. Die subjektiven<br />
Konstrukte und die Entstehung von Stereotypen<br />
sind eng mit ihren sprachlichen Korrelaten<br />
verbunden. Aber die Imageforschung steht im<br />
Hinblick auf die „Publikumsbilder“ des <strong>Medien</strong>sports<br />
noch am Anfang.<br />
Deshalb will der Verf. mit seiner Studie die<br />
Besprechungen<br />
„Qualitäten, Verwendungsweisen, Entstehungszusammenhänge<br />
und Funktionen der<br />
<strong>Medien</strong>- und Publikumsbilder des Sports erörtern“<br />
(S. 141), wobei die „kontextrelevanten<br />
Bezüge durch Images“ im Mittelpunkt stehen<br />
sollen. Auf der Basis von 16 forschungsleitenden<br />
Fragen formuliert er dogmatisch-provokativ<br />
13 Hypothesen, die durch die Studie verifiziert<br />
oder falsifiziert werden sollen. Dazu<br />
wählt er ein mehrmethodisches Vorgehen, das<br />
Auswertungen sowohl nach qualitativen als<br />
auch quantitativen Kriterien zulässt und Publikumsanalyse<br />
(Befragungen per Telefoninterview,<br />
von Passanten, von Stadionbesuchern)<br />
mit <strong>Medien</strong>analyse (Analyse von TV-Sportsendungen,<br />
Zeitungsartikeln) verbindet. Die wichtigsten<br />
Ergebnisse aus der <strong>Medien</strong>analyse<br />
(S. 178–278) werden hier nur stichwortartig<br />
und geordnet nach den Kriterien Form, Inhalt,<br />
(nationale) Image-Bezüge und Sprache wiedergegeben:<br />
Die Sportberichterstattung im Fernsehen ist<br />
demnach gekennzeichnet (i) formal durch einen<br />
hohen Uniformitätsgrad, einen Trend zum<br />
„Infotainment“ und die „Ereigniszentriertheit“<br />
der Aufmerksamkeit; (ii) inhaltlich durch<br />
eine senderübergreifende Konformität, Fixierung<br />
auf einen (länderspezifischen) Kanon weniger<br />
TV-Sportarten, „Schausport“, positive<br />
Personalisierungen und „Aktiven-Perspektivierung“<br />
(die Athleten stehen im Mittelpunkt);<br />
(iii) imagebezogen durch Grundmuster nationaler<br />
Stereotypisierung, ethnozentristische<br />
Ausrichtung der Berichterstattung, Personenkult<br />
um die Sportler, primäre (Flaggen, Hymnen)<br />
und sekundäre Symbole (visuelle Images,<br />
Stereotypisierungen) für Länder und Nationen;<br />
(iv) sprachlich durch anschauliche Metaphorik,<br />
effektorientierte Hyperbolik, nationale Stereotypisierung,<br />
Formatierung, Akzentuierung.<br />
Sportberichterstattung in Tageszeitungen ist<br />
demgegenüber gekennzeichnet (i) formal durch<br />
variationsarme Stilformen, Vermischung von<br />
Information, Meinung und Unterhaltung innerhalb<br />
eines Textbeitrages; (ii) inhaltlich<br />
durch Ereignis- und Verwertungsorientierung,<br />
„Aktivenpointierung“, unkritisch positive Bewertung<br />
von Sport und Sportlern, Fußball-Dominanz,<br />
Thematisierung von Randaspekten;<br />
(iii) imagebezogen durch weniger visuelle „Nationen-Images“<br />
und nationale Stereotypen als<br />
im Fernsehen; (iv) sprachlich durch mehr<br />
Chauvinismen, aber weniger Anakoluthe als im<br />
Fernsehen.<br />
429
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Die Publikumsanalyse (durch Telefon- und<br />
Passantenbefragung mittels kognitiver Wissensfragen<br />
und affektiver Meinungsfragen)<br />
dient vor allem zur Analyse von Publikumsbildern<br />
und Grundgrößen der Stereotypisierung.<br />
Sie führt zu folgenden Resultaten: (i) die Rezeption<br />
des Sportgeschehens ist untrennbar mit<br />
der emotionalen Haltung verbunden; (ii) Sport<br />
ist ein relevanter Faktor für die nationale Identifikation;<br />
(iii) positive Besetzung des „eigenen<br />
Landes“ (Attribuierung von Fairness, Erfolg,<br />
Professionalität) gegenüber negativer „der Anderen“<br />
(Aggressivität, Fanatismus); (iv) Beteiligung<br />
der „eigenen“ Sportler als Bedingung der<br />
identifikatorischen Wahrnehmung des Sports;<br />
(v) Fernseh-Sportberichterstattung ist der bedeutendste<br />
„Image-Former“ für den Sport und<br />
verstärkt die affirmative Haltung der Rezipienten<br />
ihr gegenüber; (vi) medial vermittelte<br />
Sportereignisse werden besser erinnert und als<br />
wichtiger eingestuft als andere, wobei Interesse<br />
nicht unbedingt zu mehr Wissen führt; (vii)<br />
„Agenda-Setting“-Effekte und „Mainstream“-<br />
Wirkung der Sportmedien sind klar erkennbar:<br />
Meinungen und Einstellungen zum Sport sind<br />
bei Rezipienten des <strong>Medien</strong>sports homogener<br />
als beim Rest des Publikums, Sportberichterstattung<br />
und Publikumsbilder verstärken sich<br />
wechselseitig.<br />
In der abschließenden Hypothesendiskussion<br />
(S. 436 ff.) werden die meisten der eingangs<br />
aufgestellten Hypothesen verifiziert, einige falsifiziert.<br />
Zusammenfassend kann festgehalten<br />
werden, dass Sportmedien das „Bild des Sports<br />
in unseren Köpfen“ prägen (S. 451); dass aufgrund<br />
der hochgradigen intermediären Konvergenz<br />
Tageszeitungssport kein Komplementärangebot<br />
zum TV-Sport bildet; dass „gezielte<br />
Nationalismen“ und Stereotypisierungen<br />
als Wettbewerbsinstrumente zur „publikumsattraktiven“<br />
Inszenierung medialer Sportereignisse<br />
dienen; dass „<strong>Medien</strong>bilder des Sports“<br />
national codiert sind und eine wichtige Rolle<br />
für die Rezeption des <strong>Medien</strong>sports spielen;<br />
dass zwischen „<strong>Medien</strong>- und Publikumsbildern<br />
des Sports“ klare Konvergenzen auszumachen<br />
sind, was auf die Funktion der <strong>Medien</strong><br />
als „sport-image-former“ schließen lässt; dass<br />
die „Erforschung nationaler Stereotypen im<br />
Kontext des <strong>Medien</strong>sports“ auf die Bereiche<br />
Werbung, Marketing und Sponsoring ausgedehnt<br />
werden muss.<br />
Jens Wernecken legt mit dieser empirischen<br />
Studie eine umfangreiche und genau recher-<br />
430<br />
chierte Untersuchung vor, die den Anspruch<br />
des Verf., eine Grundlagenarbeit zu der auf den<br />
Sektor der Sportmedien angewandten „Image-<br />
Forschung“ zu leisten, sicherlich erfüllt. Die<br />
Zwischenresümees erlauben trotz des Materialreichtums<br />
und der Methoden- bzw. Kategorienvielfalt<br />
(auch der gelegentlichen terminologischen<br />
Überfrachtung) eine gute Übersicht über<br />
die Ergebnisse der Untersuchung.<br />
Ernest W. B. Hess-Lüttich<br />
Friedrich Krotz<br />
Die Mediatisierung kommunikativen Handelns<br />
Der Wandel von Alltag und sozialen Beziehungen,<br />
Kultur und Gesellschaft durch die <strong>Medien</strong><br />
Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2001. – 288<br />
S.<br />
ISBN 3-531-13552-X<br />
Friedrich Krotz bringt eine gesellschaftlich bedeutsame<br />
Entwicklung auf den Begriff: Die<br />
Mediatisierung kommunikativen Handelns.<br />
Man mag sich um die Trefflichkeit des Begriffes<br />
streiten – ob es nicht besser und korrekter<br />
Medialisierung heißen müsse oder wie sich der<br />
Begriff denn nun in andere Sprachen übersetzten<br />
ließe. Genau genommen ist dies jedoch<br />
nicht von Belang. Es geht um das Konzept von<br />
Mediatisierung, das Friedrich Krotz in seinem<br />
Buch entfaltet. Es handelt sich um die überarbeitete<br />
Fassung von dessen, an der Universität<br />
Hamburg eingereichten Habilitationsschrift,<br />
die gleichsam seine langjährige kommunikations<strong>wissenschaft</strong>liche<br />
Forschung widerspiegelt.<br />
Gleichwohl fasst er diese Vorarbeiten unter<br />
dem gemeinsamen Nenner der Mediatisierung<br />
zusammen, ergänzt sie empirisch und verortet<br />
sie theoretisch in einem umfassenden Kontext.<br />
Das Buch hat drei Teile. Der erste (Mensch,<br />
Kommunikation, <strong>Medien</strong>: Der gesellschaftliche<br />
Metaprozess ‚Mediatisierung’) schafft gewissermaßen<br />
die begrifflichen und theoretischen<br />
Grundlagen. Dem folgt der empirische<br />
Teil der Arbeit (Mediatisierung empirisch: Die<br />
Veränderung öffentlicher Plätze durch die Präsenz<br />
des Fernsehens und die Folgen für das<br />
soziale und kommunikative Handeln). Schließlich<br />
werden, im letzten Kapitel (Mediatisierung<br />
als Metaprozess sozialen Wandels: Bausteine<br />
einer kommunikations<strong>wissenschaft</strong>li-
chen Theorie) theoretische Verankerungen und<br />
Ergänzungen hin zu einer Theorie der Mediatisierung<br />
vorgenommen.<br />
Mediatisierung wird analog zu Prozessen der<br />
Globalisierung und Individualisierung, als ein<br />
Metaprozess verstanden. Mediatisierung bezieht<br />
sich auf eine „situative Verschränkung<br />
unterschiedlicher <strong>Kommunikations</strong>formen“<br />
(S. 19) im Prozess einer medialen Durchdringung<br />
des Alltags. Sie drückt sich quantitativ<br />
aus, indem immer mehr und neue <strong>Medien</strong> hinzukommen.<br />
Doch sie lässt sich nicht auf ein<br />
quantitatives Moment reduzieren. Eine Ubiquität<br />
von <strong>Medien</strong> führt schließlich zu neuen<br />
<strong>Kommunikations</strong>formen. Und so wie sich alles<br />
Soziale im Individuellen manifestiert, werden<br />
davon alle Bereiche alltäglichen Handelns berührt.<br />
Mit dem Einzug neuer <strong>Medien</strong> in den<br />
Alltag ändern sich zugleich die alten <strong>Medien</strong>,<br />
indem sich ihre Anwendungsbereiche auf neue<br />
Einsatzfelder erweitern oder auf einen Teil reduzieren<br />
respektive spezialisieren.<br />
Mediale Kommunikation, als Kommunikation<br />
mit und durch <strong>Medien</strong>, ist nicht mehr auf<br />
abgegrenzte Terrains des Alltags begrenzt.<br />
Vielmehr ist <strong>Medien</strong>nutzung ein kontinuierliches<br />
Handeln in einem fortlaufenden Prozess<br />
der Verquickung von <strong>Medien</strong> und Alltag und<br />
dergestalt ein „basaler Prozess in Gesellschaft<br />
und Kultur, aber auch ein basaler Prozess im<br />
Alltag und als Bedingung für die Konstitution<br />
des Individuums und seiner Identität sowie seiner<br />
von ihm konstruierten und interpretierten<br />
Welt“ (S. 37). So gesehen erscheint Mediatisierung<br />
nicht unter einem bedrohlichen Vorzeichen<br />
des zunehmenden medialen Ausgesetztseins,<br />
womit allerdings die mit einem Prozess<br />
der Mediatisierung verbundenen (individuellen<br />
wie auch kollektiven) Bewältigungsmechanismen<br />
zurückgestellt werden. Hier sucht man<br />
nach einer Klärung und Abgrenzung gerade zu<br />
alternativen Mediatisierungsbegriffen. Doch ist<br />
eine „formalisierte Definition“ von Mediatisierung<br />
nicht angestrebt, schon weil der Prozess<br />
der Mediatisierung, so Krotz, als Prozess nicht<br />
historisch, sozial und kulturell entkontextualisiert<br />
werden dürfe. Kern des ersten Kapitels<br />
ist die Präsentation einer handlungstheoretischen<br />
Perspektive, oder, wie es später heißt, einer„handlungstheoretisch-konstruktivistischen<br />
Perspektive“ (S. 184), die vor dem Hintergrund<br />
der symbolischen Natur kommunikativen<br />
Handelns entfaltet wird. Insbesondere im<br />
Kontrast zu einem Transmissionsmodell der<br />
Besprechungen<br />
Kommunikation wird auf den Symbolischen<br />
Interaktionismus Bezug genommen, um nachgerade<br />
den äußeren Prozess der Signalübertragung<br />
durch den inneren Prozess der Bedeutungskonstitution<br />
zu ergänzen. Während unter<br />
dem Vorzeichen symbolischer Interaktion die<br />
Situativität sozialen Handelns und die Gestaltungskraft<br />
des Individuums hervorgehoben<br />
wird, liefert die Perspektive der Cultural Studies<br />
eine strukturorientierte Sichtweise auf ein<br />
sozial positioniertes Subjekt. Vor einem solchen<br />
Hintergrund lässt sich wiederum <strong>Medien</strong>kommunikation<br />
als Modifikation von (interpersonaler)<br />
Kommunikation verstehen: „Wenn<br />
man <strong>Medien</strong>kommunikation als Modifikation<br />
zwischenmenschlicher Face-to-Face-Kommunikation<br />
betrachtet, gilt grundsätzlich, dass<br />
<strong>Medien</strong>kommunikation ebenso wie Kommunikation<br />
zwischen Menschen in Situationen und<br />
Rollen der Teilnehmer geschieht, dass jedes<br />
Verstehen auf imaginativen Rollen- und Perspektivenübernahmen<br />
beruht und dass jede <strong>Medien</strong>kommunikation<br />
von einem inneren Dialog<br />
begleitet ist, wenn sie hergestellt und verstanden<br />
werden soll“ (S. 74). <strong>Medien</strong>kommunikation<br />
wird nun insbesondere als Fernsehkommunikation<br />
konkretisiert und am Modell der Rezeptionskaskade<br />
(als Verquickung von Rezeptionsakten)<br />
expliziert. Gleichwohl versperrt<br />
dies nicht den Blick auf Formen computervermittelter<br />
Kommunikation mitsamt der damit<br />
verbundenen Entstehung eines neuen medienvermittelten<br />
<strong>Kommunikations</strong>raums. Mit der<br />
medialen Entwicklung geht wiederum die Ausbildung<br />
eines durch seine <strong>Kommunikations</strong>umgebung<br />
geprägten spezifischen „<strong>Kommunikations</strong>charakters“<br />
(S. 92) bzw. eines „historisch-kulturellen<strong>Kommunikations</strong>charakters“<br />
(S. 210) einher, der ein distinktes<br />
Verhältnis zu sich und seiner Umwelt hat, das<br />
anders ist, als es im Kontext von Face-to-Face-<br />
Kommunikation der Fall wäre.<br />
Ein knappes Drittel der Arbeit widmet sich<br />
der Mediatisierung am Beispiel des Fernsehens<br />
auf öffentlichen Plätzen (S. 101–186). Es geht<br />
um eine kulturvergleichende Studie zwischen<br />
Deutschland und den USA, konkreter: zwischen<br />
Hamburg und Indianapolis. Die mediale<br />
Durchdringung des öffentlichen Raums als<br />
Ausdruck einer Mediatisierung des Alltags zu<br />
verstehen, ist sicherlich nicht falsch. So kann<br />
man auch das Fernsehen an öffentlichen Plätzen<br />
zum Gegenstand einer Untersuchung machen.<br />
Für wie bedeutsam dieses Phänomen im<br />
431
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Kontext einer umfassenden Mediatisierung<br />
einzuschätzen ist, das bliebe zu diskutieren<br />
(wenngleich gerade auf diesem Terrain ein<br />
ausgesprochenes Forschungsdefizit besteht).<br />
Wichtiger ist erst einmal die daraus abzuleitende<br />
Lektion, dass nämlich eine elaborierte situationsbezogene<br />
Theorie der <strong>Medien</strong>kommunikation<br />
zu entwickeln sei. Überdies sei das bisherige,<br />
vor allem am Paradigma des Informationstransports<br />
gesammelte Wissen über die<br />
Fernsehnutzung neu zu überdenken. Bezogen<br />
beispielsweise auf den Uses and Gratifications-<br />
Ansatz wird das Moment des zufälligen oder<br />
ungewollten Fernsehens virulent, das es für einen<br />
Anhänger dieses Ansatzes eigentlich gar<br />
nicht geben kann. Als ein zentraler Kern bleibt<br />
überdies, dass die Kommunikation auf öffentlichen<br />
Plätzen medial durchdrungen und dadurch<br />
verändert wird. Im konkreten Fall des<br />
Fernsehens auf öffentlichen Plätzen und Orten<br />
geht es um den besonderen Kontext der Rezeption<br />
unter den Bedingungen anwesender Dritter.<br />
Darüber hinaus ist dies gerade mit Blick auf<br />
das Phänomen der mobilen Kommunikation<br />
von besonderer Relevanz. Man hat es mit einer<br />
veränderten Situationsdefinition zu tun. Doch<br />
während hinsichtlich des Fernsehens, wie<br />
Krotz feststellt, die Regeln der öffentlichen<br />
Kommunikation respektiert werden, vielmehr<br />
sogar die Attraktivität des öffentlichen Ortes<br />
erhöht werden soll, wird durch die mobile<br />
Kommunikation in die bisherige kommunikative<br />
Ordnung eingegriffen. So wird das Thema<br />
der <strong>Medien</strong>nutzung an öffentlichen Plätzen /<br />
Orten gerade dann von besonderem Belang,<br />
wenn man die Vielfalt der verwendeten <strong>Medien</strong><br />
berücksichtigt – bis hin zu dem, dass man mit<br />
den neuen technischen Möglichkeiten eines<br />
UMTS-Standards sogar mit dem Handy fernsehen<br />
kann.<br />
Im letzten Teil werden gewissermaßen Bausteine<br />
einer kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lichen<br />
Theorie der Mediatisierung zusammen<br />
getragen. Insbesondere wird Mediatisierung<br />
vor dem Hintergrund einer Betrachtung langfristiger<br />
Folgen (Stichwort: Kultivierungsthese)<br />
in Verbindung mit der Ausdifferenzierung<br />
von <strong>Medien</strong>umgebungen bei zunehmender<br />
Komplexität diskutiert. Die <strong>Medien</strong>, so ein Fazit,<br />
übernehmen immer spezialisiertere Funktionen,<br />
wobei eine Ökonomisierung und Kommerzialisierung<br />
Katalysatoren für Mediatisierungsprozesse<br />
darstellen. Als Referenz wird<br />
McLuhan – und in dessen Folge Postman, Flus-<br />
432<br />
ser und Virillo – genannt, allerdings mit einer<br />
eher ernüchternden Feststellung: dass sich<br />
„ihre Texte als Anreiz für eine empirische<br />
<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> lesen (lassen;<br />
d.V.), die sich mit Mediatisierung und deren<br />
Folgen beschäftigt. Sehr viel mehr ist von einem<br />
analytischen Standpunkt aus ihren Schriften<br />
allerdings (...) nicht zu gewinnen“ (S. 239).<br />
Dem folgt eine Diskussion der von Ulrich Beck<br />
vorgestellten Individualisierungsthese und<br />
schlussendlich eine Verortung von Mediatisierung<br />
als Prozess der Zivilisation. Gerade bezogen<br />
auf das Werk von Norbert Elias kann denn<br />
auch deutlich gemacht werden, dass <strong>Medien</strong>analyse<br />
immer auch Gesellschaftsanalyse ist.<br />
Hier schließt die Arbeit und lässt, gewissermaßen<br />
als ein Stück ohne Happy End, noch Einiges<br />
offen.<br />
Die Arbeit von Friedrich Krotz steckt einen<br />
Rahmen – den Rahmen der Mediatisierung –<br />
ab, innerhalb dessen Prozesse der Durchdringung<br />
des Alltags untersucht werden können,<br />
wobei er der <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />
nachgerade den Status einer Grundlagen<strong>wissenschaft</strong><br />
zuweist, „so sie ihre Aufgaben richtig<br />
erledigt“ (S. 4). Friedrich Krotz versucht sich<br />
nicht an einer geschlossenen Theorie der Mediatisierung.<br />
Vielmehr liefert er innerhalb des<br />
gespannten Rahmens Mosaiksteinchen (Krotz<br />
spricht selbst von Bausteinen), die, mal enger<br />
zusammenliegend, ein Teilbild ergeben (insbesondere<br />
in der Verbindung von symbolischem<br />
Interaktionismus und Cultural Studies), mal etwas<br />
verstreuter nur die Konturen aufzeigen<br />
und damit die Perspektive für mögliche integrative<br />
Betrachtungsweisen eröffnen (etwa in<br />
der Bezugnahme auf McLuhan und nicht zuletzt<br />
auf Norbert Elias). Friedrich Krotz sagt<br />
selbst, dass er nicht der Entdecker der Mediatisierung<br />
sei. Man ist erinnert an das Gleichnis<br />
von Bernhard von Chartres, dass wir wie Zwerge<br />
auf den Schultern von Riesen seien, die weiter<br />
sehen können als diese Riesen selbst, das<br />
von Robert K. Merton (1980) unter dem Titel<br />
„Auf den Schultern von Riesen“ aufgearbeitet<br />
ist.<br />
Die Arbeit lässt Fragen offen, doch evoziert<br />
sich auch erst solche, sie liefert durch ihre heuristische<br />
Qualität Anknüpfungspunkte für weitere<br />
Forschung gerade über eine Mainstream-<br />
<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> (wie sie Krotz<br />
immer wieder mal zu bezeichnen pflegt) hinaus.<br />
Doch er zeichnet diese nicht als Buhmann,<br />
sondern als Reibungsfläche. Er geht über die
Massenmedien hinaus, indem er auch die Facette<br />
einer computervermittelten Kommunikation<br />
reflektiert (bis hin zu einer Kommunikation<br />
mit virtuellen Kreaturen). Und er greift, last<br />
but not least, vernachlässigte Forschungsfelder<br />
– hier: die mediale Kommunikation auf öffentlichen<br />
Plätzen – auf. Man mag einwenden, dass<br />
Mediatisierung vor allem als massenmediale<br />
Mediatisierung und weniger als „Telematisierung“<br />
verstanden wird. Doch neben Online-<br />
Chats oder Talk Shows wird gerade vor dem<br />
Hintergrund einer Kommunikation auf öffentlichen<br />
Plätzen eine sich verschiebende Schnittstelle<br />
von öffentlicher und privater Kommunikation,<br />
vom Eindringen des Privaten in das Öffentliche<br />
bis hin zu einer „Tyrannei der Intimität“<br />
(Sennett 1986) zum Thema, das<br />
insbesondere bezüglich mobiler Kommunikation<br />
von besonderer Aktualität ist und gerade<br />
für zukünftige Forschung Gewinn bringend<br />
sein kann. Das Buch stellt ein Plädoyer für eine<br />
<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> als Basis<strong>wissenschaft</strong><br />
dar, die sie allerdings nur sein kann,<br />
wenn sie sich nicht versperrt, die Facetten einer<br />
Mediatisierung zu beleuchten. Ja, das Buch fordert<br />
geradezu heraus, weiter zu denken – und<br />
vor allem fordert es heraus, weiter zu forschen.<br />
Joachim R. Höflich<br />
Literatur:<br />
Merton, Robert K.: Auf den Schultern von Riesen.<br />
Ein Leitfaden durch das Labyrinth der<br />
Gelehrsamkeit. Frankfurt/Main 1980.<br />
Sennett, Richard: Verfall und Ende des öffentlichen<br />
Lebens. Die Tyrannei der Intimität.<br />
Frankfurt/Main 1986.<br />
Michael Kunczik/Astrid Zipfel<br />
Publizistik<br />
Ein Studienhandbuch<br />
Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2001. – 549 S.<br />
ISBN 3-8252-2256-X<br />
In den letzten Jahren ist eine Reihe zum Teil<br />
recht unterschiedlich konzeptionierter Einführungen,<br />
Hand- und Lehrbücher zur Publizistik-<br />
und/oder <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />
erschienen, die ihr Publikum innerhalb recht<br />
ähnlicher Zielgruppen suchen. Für Studierende<br />
ist es sicher ein maßgebliches Selektionskriterium,<br />
wenn ein solches Buch von Lehrenden<br />
des Instituts geschrieben wird, an dem sie selbst<br />
Besprechungen<br />
studieren, weil dadurch nicht zuletzt auch<br />
Lehr- und Forschungsbereiche beschrieben<br />
sind. Darüber hinaus liefert ein Vergleich verschiedener<br />
derartiger Handbücher und Einführungen<br />
aber auch aufschlussreiche Einblicke<br />
in das, was andere anderswo zu den zentralen<br />
Gegenstandsbereichen des Fachs zusammenfassen<br />
und wie sie dabei vorgehen.<br />
Erleichtert wird dieser Vergleich, wenn die<br />
Fragen, was warum und wie behandelt wird,<br />
explizit thematisiert werden. Das macht es auch<br />
für die Autoren leichter, die Marktlücke für ihr<br />
eigenes Buch zu finden.<br />
Welche Lücke füllt das Studienhandbuch<br />
Publizistik? Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang<br />
aufdrängt, ist die nach der Begründung<br />
des Titels. „Einführung in die <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“,<br />
„Orientierung<br />
<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“, „Einführung<br />
in die Publizistik<strong>wissenschaft</strong>“ etc. – diese Titel<br />
und zahlreiche andere einschlägige Einführungen<br />
beinhalten trotz unterschiedlicher Schwerpunkte<br />
(selbstverständlich) alle den Begriff<br />
„Wissenschaft“. Zwar weisen Kunczik/Zipfel<br />
gleich auf den ersten Seiten daraufhin, dass für<br />
das Fach, um dessen Inhalte es gehen soll, an<br />
unterschiedlichen Instituten unterschiedliche<br />
Bezeichnungen gebräuchlich sind (17), die sich<br />
auch nicht selten auf unterschiedliche Schwerpunktsetzungen<br />
durchschlagen. Vor diesem<br />
Hintergrund kann man aber nur vermuten, das<br />
der Titel als Anlehnung an das Institut, an dem<br />
die beiden Autoren tätig sind – das Institut für<br />
Publizistik an der Universität Mainz – gemeint<br />
ist und sich damit an dort gewachsenen Strukturen<br />
orientiert.<br />
Gleichwohl rekurriert das Buch im Wesentlichen<br />
auf die (mehr oder weniger) zentralen<br />
Gegenstände der Publizistik- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>,<br />
welche „[…] sich in erster<br />
Linie mit dem <strong>Kommunikations</strong>prozess befasst,<br />
der sich in der Öffentlichkeit vollzieht“<br />
(17). Es soll, so wird es im Vorwort beschrieben,<br />
vielfältige Funktionen erfüllen: Es ist nicht<br />
nur als Einführung konzipiert, sondern will<br />
darüber hinaus auch den „State of the Art“ zusammenfassen<br />
und reflektieren. Damit ist es,<br />
so die Autoren weiter, nicht nur für Studienanfänger<br />
geeignet, sondern auch als Nachschlagewerk<br />
für Fortgeschrittene und als Repetitorium<br />
für Examenskandidaten. Weil das<br />
Buch „auch praxisrelevante Fragestellungen“<br />
(als Beispiel dafür gelten hier Probleme journalistischer<br />
Ethik) berücksichtigt, wendet es sich<br />
433
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
außer an Studenten der Publizistik, <strong>Kommunikations</strong>-<br />
und <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong> sowie der<br />
Journalistik (Klappentext) darüber hinaus<br />
ebenfalls an Berufspraktiker.<br />
Damit ist ein breiter Rahmen aufgespannt,<br />
der mit sechs großen Hauptkapiteln ausgefüllt<br />
werden soll. Dabei zeigen allein die Kapitelüberschriften<br />
teilweise höchst überschiedliche<br />
Reichweiten und Abstraktionsniveaus an, was<br />
durch den ungleichgewichtigen Umfang der<br />
Kapitel noch unterstrichen wird.<br />
Im ersten Teil (gut 40 Seiten) werden unter<br />
der Überschrift „Einführung und Begriffklärung“<br />
zunächst die Gegenstandsbereiche<br />
des Fachs anhand der Lasswell-Formel systematisiert.<br />
Darauf folgen die Darstellung des<br />
Verhältnisses von Theorie und Empirie und<br />
Definitionsarbeit in Bezug auf die Begriffe<br />
„Kommunikation“ und „Massenkommunikation“.<br />
Der zweite Teil „Massenmedien und Gesellschaft“<br />
(knapp 70 Seiten) führt zunächst in<br />
die „Grundzüge der Systemtheorie“ ein, die<br />
u. a. eine kritische Behandlung der funktionalstrukturellen<br />
Analyse von Niklas Luhmann<br />
enthält (81 ff.). Dazu gehören der Vorwurf der<br />
empirischen Unüberprüfbarkeit und die Kritik<br />
an der Verwendung tautologischer und nicht<br />
operationalisierbarer Begriffe (82). Die folgenden<br />
Abschnitte des zweiten Teils beschäftigen<br />
sich mit Ansätzen zum Verhältnis von „<strong>Medien</strong><br />
und Politik“, mit Politikverdrossenheit und<br />
mit „Politik und Internet“. Im letzten Abschnitt<br />
dieses zweiten Teils, „Massenmedien<br />
und sozialer Wandel“, wird schließlich das Einflusspotenzial<br />
der Massenmedien auf soziale<br />
Veränderungsprozesse sowohl grundsätzlich<br />
als auch speziell in Bezug auf Entwicklungsländer<br />
betreffende Aspekte thematisiert.<br />
Auf über einhundert Seiten beschäftigt sich<br />
Teil drei des Studienhandbuchs mit dem großen<br />
Forschungsfeld zum Journalismus. Dabei<br />
geht es zunächst um die Journalisten selbst, um<br />
ihr Berufsfeld, soziodemographische Daten,<br />
historische Entwicklungslinien und um Indikatoren<br />
journalistischer Professionalisierung.<br />
Nachfolgend werden in Anlehnung an die Systematisierung<br />
von Siegfried Weischenberg,<br />
die von Frank Esser weiterentwickelt wurde<br />
(160 f.), auf Ebene des Subjekts, der Institution,<br />
der <strong>Medien</strong>struktur und der Gesellschaft verschiedene<br />
„Einflussfaktoren im Journalismus“<br />
zusammengefasst. Dazu gehören Konzepte zu<br />
Berufsrollen und Sozialisation, ökonomische<br />
und politische Einflüsse sowie das Verhältnis<br />
434<br />
von Journalismus und Public Relations. Jenseits<br />
dieses Verhältnisses tauchen die Public<br />
Relations als eigener Forschungsgegenstand<br />
der <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> (auch an anderer<br />
Stelle) nicht auf. Den Abschluss des dritten<br />
Teils bildet ein Kapitel zur „Berufsethik des<br />
Journalismus“.<br />
Unter der Überschrift „Nachrichtenauswahl“<br />
fasst der vierte Teil der Einführung auf<br />
gut 40 Seiten die Ansätze der Gatekeeper- und<br />
News-Bias-Forschung sowie die Nachrichtenwert-Theorie<br />
und das Framing-Konzept zusammen.<br />
Vor dem Hintergrund der verschiedenen,<br />
die Nachrichtenauswahl beeinflussenden<br />
Faktoren wird im letzen Abschnitt dieses vierten<br />
Teils die Frage nach der Realitätsadäquatheit<br />
der so zustande kommenden Berichterstattung<br />
und nach journalistischer Objektivität gestellt<br />
(276 ff.). Dazu werden in Anlehnung an<br />
Ulrich Saxer vier Grundpositionen in Bezug<br />
auf Wünschbarkeit und Möglichkeit von Objektivität<br />
diskutiert.<br />
Den weitaus größten Teil des Studienhandbuchs<br />
„Publizistik“ nimmt mit der „Wirkungsforschung“<br />
der Teil fünf ein, der über 130 Seiten<br />
umfasst. Der Aufbau dieses Teils orientiert<br />
sich nach der anfänglichen Diskussion des Wirkungsbegriffs<br />
und der Darstellung der intervenierenden<br />
Variablen im Wirkungsprozess im<br />
Wesentlichen an der für diesen Bereich üblichen<br />
und zweckmäßigen Gliederung nach den<br />
verschiedenen Ansätzen und Hypothesen der<br />
Wirkungsforschung. Mit der Vorstellung der<br />
Arbeiten zur „Wirkung von Gewaltdarstellungen<br />
(409 ff.) wird zum Ende dieses fünften Teils<br />
ein Spezialgebiet der Wirkungsforschung herausgegriffen.<br />
Der Internationalen Kommunikation gilt<br />
schließlich der sechste und letzte Teil des Buches<br />
(gut 30 Seiten), der mit der Vorstellung der<br />
Diskussionen zu Kulturimperialismus und<br />
Globalisierung sowie zur Weltinformationsordung<br />
(die sich hier vor allem auf die 80er Jahre<br />
bezieht) vor dem Hintergrund der internationalen<br />
<strong>Kommunikations</strong>politik eingeleitet wird.<br />
Mit der anschließenden Vorstellung empirischer<br />
Studien zum internationalen Nachrichtenfluss<br />
werden verschiedene Befunde zusammengefasst,<br />
die sich im Wesentlichen auf die<br />
Einflüsse international agierender Nachrichtenagenturen<br />
und auf Nachrichtenfaktoren und<br />
-werte als zentrale Determinanten internationaler<br />
Berichterstattung beziehen.<br />
Die Entstehung und das Vorgehen interna-
tionaler <strong>Medien</strong>konzerne wird dann vor dem<br />
Hintergrund einer medienökonomischen Perspektive<br />
beleuchtet, welche verschiedene Formen<br />
von Konzentrationsprozessen und Fusionen<br />
zusammenstellt. Für die exemplarische<br />
Darstellung der hierbei wirkenden Faktoren<br />
wird das „Beispiel Rupert Murdoch und die<br />
News Corp.“ (438 ff.) gewählt.<br />
Der fünfte und letzte Abschnitt dieses sechsten<br />
Teils behandelt das Operieren internationaler<br />
Werbe- und PR-Agenturen. Dabei geht es<br />
vor allem um die Entwicklungsstufen in Richtung<br />
zunehmender Internationalisierung und<br />
um die Vor- und Nachteile der Holding als Organisationsform.<br />
Als Beispiel für den Werbe-,<br />
PR- und Marketingbereich wird hier die<br />
Dienstleistungsgruppe „WPP“ gewählt.<br />
In fast allen sechs Teilen des Studienhandbuchs<br />
„Publizistik“ tauchen in den Binnengliederungen<br />
die Begriffe „Multimedia“, „Neue<br />
<strong>Medien</strong>“ und „Internet“ in der einen oder anderen<br />
Kombination auf. Auf diese Art und<br />
Weise werden die Einflüsse, welche die Online-<br />
Kommunikation auf die verschiedenen Forschungsfelder<br />
genommen hat, verdeutlicht.<br />
Zwischen den Teilbereichen gibt es so gut<br />
wie keine ‚geführten’ Übergänge und auch die<br />
Gliederung innerhalb der sechs Hauptkapitel<br />
ist nicht immer einsichtig. Dies kann aber auch<br />
den Vorteil haben, dass die Abschnitte relativ<br />
unabhängig voneinander gelesen werden können.<br />
Die eingangs formulierte Kritik in Bezug auf<br />
den Titel des Buches gilt auch für den Untertitel<br />
„Studienhandbuch“. Dabei ist es nicht so<br />
maßgeblich, dass damit an vielen Universitäten<br />
ein Leitfaden für alle Fragen der Studienberatung<br />
gemeint ist. Zentraler ist, dass ein Handbuch<br />
zum Selbst- und Weiterstudium mehr<br />
„Meta-Informationen“ enthalten müsste: Umfangreiche<br />
Handbücher/Studienbücher können<br />
kaum so aktuell und speziell sein wie thematisch<br />
fokussierte Sammelbände, Reader,<br />
Lehrbücher etc. Gerade deswegen sollten sie als<br />
besondere Leistung eine nachvollziehbare Systematisierung<br />
anbieten, die dem Leser die Möglichkeit<br />
gibt, Nutzen und Grenzen des Buches<br />
besser einschätzen zu können. Dazu könnte<br />
auch eine Empfehlung zur Nutzung des Buches<br />
selbst gehören. Gerade wenn viele verschiedene<br />
Zielgruppen angesprochen werden sollen,<br />
können zum Beispiel unterschiedliche „Lesepfade“<br />
Sinn machen.<br />
Die Autoren haben nach eigenen Angaben<br />
Besprechungen<br />
viel Wert auf eine umfassende und aktuelle Literaturauswahl<br />
gelegt (Vorwort), die sich auf<br />
über 70 Seiten erstreckt. Sicher wäre sie noch<br />
besser für das Weiterstudium nutzbar, wenn<br />
die Literaturangaben auch inhaltlich auf die<br />
sechs großen Teilbereiche bezogen wären und<br />
zusätzlich Empfehlungen zu weiterführender<br />
Literatur aufgeführt wären.<br />
Wiebke Loosen<br />
Manfred Rexin (Hrsg.)<br />
Radio-Reminiszenzen<br />
Erinnerungen an RIAS Berlin<br />
Berlin: Vistas, 2002. – 474 S.<br />
(Schriftenreihe der <strong>Medien</strong>anstalt Berlin-Brandenburg;<br />
13)<br />
ISBN 3-89158-335-4<br />
Der „Rundfunk im amerikanischen Sektor“<br />
(RIAS) hat von 1946 bis 1993 die Ereignisse<br />
und die Entwicklungen in Berlin, aber auch in<br />
der SBZ bzw. DDR gespiegelt und beeinflusst.<br />
Was 1945 als „Drahtfunk im amerikanischen<br />
Sektor“ (DIAS) begann, endete nach der<br />
deutsch-deutschen Vereinigung, weil die wesentliche<br />
Aufgabe der Sendeanstalt, die Bevölkerung<br />
der DDR mit alternativen Informationen<br />
und Meinungen zu versorgen, entfallen<br />
war. Der RIAS wurde mit dem Deutschlandfunk<br />
in Köln und dem im Osten Berlins entstandenen<br />
Deutschlandsender Kultur zu einer<br />
neuen öffentlich-rechtlichen Anstalt – zum<br />
Deutschlandradio – vereint.<br />
Das von Manfred Rexin herausgegebene<br />
Buch erhebt nicht den Anspruch, eine historisch-kritische<br />
Gesamtdarstellung der Geschichte<br />
des RIAS zu sein. Der Herausgeber<br />
wollte zunächst nur die persönlichen Erinnerungen<br />
aus der RIAS-Zeit der früheren Kolleginnen<br />
und Kollegen aus der von Rexin geleiteten<br />
Hauptabteilung „Kultur und Zeitgeschichte“<br />
festhalten und in einem kleinen Buch<br />
veröffentlichen. Mit der Unterstützung der<br />
<strong>Medien</strong>anstalt Berlin-Brandenburg, die sich für<br />
das Vorhaben von Rexin interessierte, konnte<br />
das Projekt umfangreicher angelegt werden,<br />
und so ist ein Band mit 41 Berichten von ehemaligen<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des<br />
RIAS zu den unterschiedlichsten Themenbereichen<br />
und Feldern der Programmarbeit des<br />
RIAS entstanden. Manfred Rexin hat dem<br />
Buch „Eine historische Skizze“ zur Geschichte<br />
435
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
des RIAS vorangestellt und mit Dokumenten<br />
zu den Themenbereichen „1949: Sendungen für<br />
Hörer in der Sowjetzone“, „Der RIAS am 16.-<br />
17. Juni 1953“ und „Tödliche Konsequenz –<br />
Strafurteile zu RIAS-Kontakten“ ergänzt.<br />
Die Beiträge sind in drei große historische<br />
Abschnitte „Frühe Jahre“, „Mauerzeiten“ und<br />
„Späte Jahre“ gegliedert. Unter der Überschrift<br />
„Funkkulturen“ fasst Rexin Erinnerungen zur<br />
Geschichte einzelner Programmsparten zusammen.<br />
In einem weiteren Teil „Funkgestalten“<br />
werden Hans Rosenthal, der Leiter der<br />
RIAS-Unterhaltungsabteilung, Ludwig von<br />
Hammerstein, der RIAS-Intendant von 1974<br />
bis 1985, und Ruprecht Kurzrock, der Redakteur<br />
der „RIAS-Funkuniversität“ vorgestellt.<br />
Der 470 Seiten starke Textteil wird ergänzt<br />
durch ein Namensregister der im Band vorkommenden<br />
RIAS-Mitarbeiter mit entsprechenden<br />
Seitenzahlverweisen.<br />
Die Beiträge des Bandes sind sehr unterschiedlich:<br />
von sehr subjektiven, eher persönlichen<br />
Erlebnisschilderungen reichen sie bis zur<br />
kleinen Aufsätzen, die auf der Basis von Archivmaterial<br />
und Dokumenten erstellt wurden.<br />
Die Zusammenfassung der Geschichte des<br />
RIAS soll der Beitrag des Herausgebers mit<br />
dem Titel „Eine historische Skizze“ liefern,<br />
aber auch dieser Aufsatz ist keine knappe übersichtliche<br />
Zusammenfassung der Geschichte<br />
des Senders. Über weite Strecken präsentiert<br />
Rexin hier in Form von Zitaten Erinnerungstexte<br />
von früheren RIAS-Mitarbeitern, die bereits<br />
vor der Herausgabe dieses Bandes publiziert<br />
worden sind.<br />
Die Fülle des von Manfred Rexin präsentierten,<br />
notwendigerweise subjektiv geprägten Erinnerungsmaterials<br />
ist beeindruckend. Schon<br />
wegen des Materialreichtums ist das Buch eine<br />
einschlägige Quellensammlung mit Zeitzeugenberichten<br />
zur Geschichte des Rundfunks im<br />
Nachkriegsdeutschland. Bedingt durch die<br />
Vorgehensweise des Herausgebers bleiben aber<br />
einzelne Kapitel der Programmgeschichte und<br />
der Organisationsentwicklung des RIAS blass<br />
oder unerwähnt. Einige der wesentlichen<br />
RIAS-Mitarbeiter konnten die erbetenen<br />
Beiträge nicht liefern oder wollten diese nicht<br />
liefern, weil sie enttäuscht „über Form und<br />
Umstände ihres Ausscheidens aus der beruflichen<br />
Arbeit“ beim RIAS waren. (S. 470).<br />
Rexin hat diesen Mangel offensichtlich erkannt,<br />
und so enthält der Band einige Zeitzeugeninterviews,<br />
die der Herausgeber und die<br />
436<br />
Rundfunkhistorikerin Petra Galle geführt haben.<br />
Warum aber im Abschnitt „Funkgestalten“<br />
nur drei Personen und warum gerade diese<br />
portraitiert werden, bleibt unklar. Ein wesentlicher<br />
Themenbereich, nämlich die Arbeit<br />
und der Einfluss der amerikanischen Kontrollgremien<br />
des Senders, wird nicht oder nur in<br />
Randbemerkungen behandelt. Welche Auswirkungen<br />
hatte zum Beispiel die McCarthy-<br />
Ära auf den RIAS? Rexin geht auf diese Frage<br />
in seiner historischen Skizze nur beiläufig ein<br />
(S. 27).<br />
Im Jahre 1947 begann die „Operation Back-<br />
Talk“, die gezielte Ausstrahlung von „Sendungen<br />
für Mitteldeutschland“ (S. 26), mit dem<br />
Ziel, der zunehmend agressiveren Propaganda<br />
der Ostsender gegen die Amerikaner und die<br />
anderen westlichen Mächte entgegen zu wirken.<br />
Ob dabei auch konspirative Mittel und<br />
verdeckte Botschaften benutzt wurden, wird<br />
nicht geklärt. Rexin zitiert in diesem Zusammenhang<br />
den langjährigen Mitarbeiter des<br />
RIAS Egon Bahr: „Es konnte nicht in Frage<br />
kommen, den Sender zu verschlüsselten Botschaften<br />
in die Zone zu missbrauchen. Auch<br />
deutsche Ansinnen dieser Art waren abzuweisen.<br />
Die Hörer sollten vertrauen können;<br />
nichts, was wir sendeten, sollte eine zweite verborgene<br />
Bedeutung haben. Wetterberichte eignen<br />
sich dafür. Schütz (Programmdirektor des<br />
RIAS/Anm. von Rüden) sorgte durch unregelmäßige<br />
Textumstellungen dafür, dass hier kein<br />
Missbrauch hinter dem Rücken der deutschen<br />
Leitung möglich wurde“. (S. 27). Welche<br />
Gründe, Fakten oder Vermutungen zu dieser<br />
Maßnahme führten, bleibt unerörtert. Rexin<br />
verweist gleich im Anschluss an diesen Text<br />
von Egon Bahr auf die ebenfalls von Bahr stammende<br />
Feststellung, dass die im RIAS tätigen<br />
amerikanischen Kontrolloffiziere „tolerant<br />
und liberal waren“ (S. 27).<br />
Gerade durch die breit angelegte Dokumentation<br />
von Zeitzeugenberichten wird das Fehlen<br />
einer historisch-kritischen Darstellung der<br />
RIAS-Geschichte besonders deutlich. Auch die<br />
Veröffentlichung aus dem Jahre 1994 von Herbert<br />
Kundler: „RIAS Berlin. Eine Radiostation<br />
in einer geteilten Stadt“ ist bei allen Verdiensten<br />
dieser Publikation noch keine einschlägige Gesamtdarstellung<br />
der Geschichte des Senders.<br />
Bis diese Lücke durch die rundfunkhistorische<br />
Forschung geschlossen wird, ist neben dem von<br />
Manfred Rexin herausgegebenen Buch und der<br />
Veröffentlichung von Herbert Kundler auch
die Veröffentlichung von Petra Galle und Axel<br />
Schuster: „Archiv und Sammelgut des RIAS<br />
Berlin – Ein Findbuch zum Bestand im deutschen<br />
Rundfunkarchiv. Potsdam 2000“ hinzuweisen.<br />
Dieser Band enthält auf knapp 23 Seiten<br />
einen präzisen historischen Überblick über<br />
die RIAS-Geschichte.<br />
Peter von Rüden<br />
Pippa Norris<br />
A Virtuous Circle<br />
Political Communications in Postindustrial<br />
Societies<br />
Cambridge: Cambridge Univ. Press, 2000. –<br />
352 S.<br />
ISBN 0-521-79015-8<br />
Titel und Untertitel des Buches zeugen von<br />
einem ambitionierten Programm. „Political<br />
Communications in Postindustrial Societies“:<br />
kein Ausschnitt, keine Fallstudie, keine Momentaufnahme<br />
– eine Gesamtsicht der politischen<br />
Kommunikation soll gegeben werden.<br />
Und mit „Virtuous Circle“ – einem Regelkreis<br />
aus sich wechselseitig verstärkenden Prozessen<br />
– hat Pippa Norris (Harvard University) eine<br />
Metapher gewählt, die zu einem Kürzel mit<br />
ähnlicher Nachhaltigkeit werden soll, wie es<br />
„Two Step Flow“, „Agenda Setting“ oder „Video<br />
Malaise“ beschieden war.<br />
Die Video-Malaise-Theorie mit ihren vielen<br />
Facetten – von den Langs über Robinson bis zu<br />
Patterson und Putnam – hat die Forschung zur<br />
politischen Kommunikation in den letzten 10<br />
Jahren geprägt. Die <strong>Medien</strong> seien für das Anwachsen<br />
von Apathie, Misstrauen und Zynismus<br />
verantwortlich; insbesondere das Fernsehen<br />
untergrabe die Grundfesten der Gesellschaft.<br />
Auch außerhalb der Fachgrenzen ist<br />
diese Sichtweise weit verbreitet, wie die Popularität<br />
der Thesen von Neil Postman oder das<br />
Lamento über amerikanisierte Wahlkämpfe<br />
und über den Negativismus des Fernsehens zeigen.<br />
In Europa kann dabei nahtlos an die philosophische<br />
Tradition der Kritischen Theorie<br />
angeknüpft werden. Der „Strukturwandel der<br />
Öffentlichkeit“ ist die Folie, auf der die Verfallstheorien<br />
gedeihen, denen zufolge wir uns<br />
immer weiter vom goldenen Zeitalter der entfalteten<br />
Öffentlichkeit entfernen. Norris wendet<br />
sich aus theoretischen und methodischen<br />
Besprechungen<br />
Gründen mit Vehemenz gegen diese „conventional<br />
wisdom“ – nicht immer mit der nötigen<br />
Differenzierung.<br />
Grundlage ihrer Argumentation bilden die<br />
strukturellen Veränderungen in der politischen<br />
Kommunikation unter dem Kommunikatorenaspekt<br />
– im <strong>Medien</strong>system und in den <strong>Kommunikations</strong>strategien<br />
der Parteien. Norris gelingt<br />
hier ein konziser Überblick mit aufschlussreichen<br />
intermedialen und internationalen<br />
Vergleichen; besonders gut gelungen ist ihre<br />
Typologie von Wahlkampagnen.<br />
Aber der Hauptteil ihrer Argumentation<br />
setzt auf der Rezipientenseite an – sie entfaltet<br />
eine Wirkungstheorie. Ihre Hypothese: Je<br />
mehr die Bürger ihre Aufmerksamkeit den<br />
politischen <strong>Medien</strong>informationen zuwenden,<br />
desto stärker werden politisches Wissen, Vertrauen<br />
in das politische System und bürgerliches<br />
Engagement – und umgekehrt: Wissen,<br />
Vertrauen und Engagement wirken wiederum<br />
verstärkend auf die <strong>Medien</strong>zuwendung. Sie<br />
modelliert ein Wechselspiel aus Nutzung politischer<br />
<strong>Medien</strong>inhalte und Ausbildung politischer<br />
Tugenden („virtues“).<br />
Sie prüft dies im Einzelnen für politisches<br />
Wissen (z. B. zu Positionen konkurrierender<br />
Parteien), politische Einstellungen (z. B. Haltung<br />
zur Einführung des Euro und generelle<br />
Unterstützung des europäischen Gedankens)<br />
und politisches Handeln (z. B. Wahlbeteiligung).<br />
Dabei stützt sie sich jeweils auf Sekundäranalysen<br />
europaweiter und US-amerikanischer<br />
Umfragen.<br />
So prüft sie zunächst einmal, in welchem<br />
Maße die Zuwendung zu Nachrichten das politische<br />
Wissen erklärt – kontrolliert durch sozio-demographische<br />
Variablen und Einstellungsvariablen<br />
(politisches Interesse).<br />
Es ergibt sich (S. 216f): Auch bei Kontrolle<br />
anderer Variablen kann ein Teil der Unterschiede<br />
im politischen Wissen (zu Sachproblemen<br />
und zu Positionen von Parteien) durch<br />
Unterschiede in der Zuwendung zu aktueller<br />
Berichterstattung (Nachrichtennutzung) erklärt<br />
werden. Ihr Fazit: „The more one knows,<br />
the more one can learn“ (S. 223); damit schließt<br />
sie an die Wissensklufthypothese an.<br />
Nächster Prüfstein: Gibt es einen Zusammenhang<br />
von Zuwendung zu <strong>Medien</strong> und politischen<br />
Einstellungen ? Ausgangspunkt ist die<br />
Erosion des Vertrauens in die politischen Akteure,<br />
in den politischen Prozess und in das politische<br />
System insgesamt. Dabei wird zwischen<br />
437
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
spezifischer und genereller Unterstützung unterschieden.<br />
Die spezifische Unterstützung bezieht sich<br />
auf einzelne Politiker, Programme und Entscheidungen.<br />
In ihrer Auswertung der Daten<br />
zeigt sich ein deutliches Muster: Bei negativer<br />
Berichterstattung verringert sich die spezifische<br />
Unterstützung. Unter bestimmten Bedingungen<br />
beeinflusst die Berichterstattung die<br />
Beurteilung der Leistungen von Regierungen<br />
(Beispiel Euro). Unterstützt wird dies durch<br />
eine Analyse von Aggregatdaten aus Inhaltsanalysen<br />
und Befragungen im Zeitablauf. Sie<br />
findet eine Korrelation zwischen einer konsistent<br />
und anhaltend negativen Berichterstattung<br />
zum Euro und einer verringerten Unterstützung<br />
für Währungsunion speziell und für<br />
Europa generell in der öffentlichen Meinung<br />
der EU-Länder – eine Bestätigung von an anderen<br />
Stellen gefundenen Zusammenhängen<br />
und eine Stützung der Media-Malaise-Position.<br />
Weiter gehend ist die Behauptung, die Zuwendung<br />
zu aktuellen <strong>Medien</strong> führe zum Entzug<br />
von genereller Unterstützung des politischen<br />
Systems. Hier findet sie aber statt einer<br />
Bestätigung eine gegenläufige Bewegung. Die<br />
<strong>Medien</strong>zuwendung mindert nicht die Unterstützung<br />
der politischen Prinzipien der Europäischen<br />
Gemeinschaft (Freiheit, Gleichheit,<br />
Demokratie), sondern der Grad an <strong>Medien</strong>zuwendung<br />
hat keinen Einfluss auf die Unterstützung<br />
oder erhöht sie sogar geringfügig. Das<br />
gleiche Bild bietet sich bei den Indikatoren Vertrauen<br />
zu anderen Nationen, Vertrauen in die<br />
europäischen Organisationen und Bewertung<br />
der generellen politischen Leistung des EU-<br />
Systems: Je mehr die europäischen Bürger aktuelle<br />
<strong>Medien</strong> nutzen, desto größer ist ihre generelle<br />
Unterstützung von Europa – auch bei<br />
Kontrolle anderer Faktoren. Oder negativ formuliert:<br />
Je weniger sie sich den Nachrichten<br />
zuwandten, desto geringer fällt das Vertrauen<br />
in die Europäische Union aus (S. 250).<br />
Aber auch die umgekehrte Kausalinterpretation<br />
ist denkbar: Politische Unterstützung<br />
führt zu Nachrichtenzuwendung. Dies wird<br />
durch Auswertung einer britischen Panelstudie<br />
geprüft. Die Daten geben kein einheitliches<br />
Bild – belastbare Aussagen über die Richtung<br />
der Kausalität zwischen Vertrauen und <strong>Medien</strong>gebrauch<br />
sind nicht zu treffen. Sie schließt<br />
daraus eine wechselseitige Verstärkung der<br />
Faktoren im Verlauf des Wahlkampfes: Je mehr<br />
sich einer den <strong>Medien</strong> zuwendet, desto mehr<br />
438<br />
Vertrauen entwickelt er; und je mehr Vertrauen<br />
er entwickelt, desto größer fällt die Zuwendung<br />
zu den <strong>Medien</strong> aus. Oder in negativer<br />
Formulierung: je weniger Zuwendung zur Berichterstattung,<br />
desto weniger Vertrauen, desto<br />
weniger Zuwendung usw. Positive wie negative<br />
Variante des Ergebnisses stützen nicht die<br />
Media-Malaise-Theorie.<br />
Schließlich: In welchem Verhältnis stehen<br />
politisches Handeln und <strong>Medien</strong>zuwendung?<br />
Norris prüft den Einfluss von politischer Kommunikation<br />
auf das Handeln anhand der Wahlbeteiligung<br />
zum Europäischen Parlament in 15<br />
europäischen Staaten zu verschiedenen Zeitpunkten;<br />
sie findet – auch bei Kontrolle anderer<br />
Variablen – keine Bestätigung dafür, dass<br />
vermehrte Zuwendung mit verringerter Wahrscheinlichkeit<br />
der Wahlbeteiligung einherginge<br />
(S. 263), sondern sieht das Gegenteil bestätigt:<br />
Vermehrte Zuwendung korreliert mit erhöhter<br />
Teilnahmebereitschaft. Dabei macht sie deutlich,<br />
dass zwischen genereller Fernsehnutzung<br />
und der Nutzung aktueller Fernsehformate unterschieden<br />
werden muss (S. 290). Denn es besteht<br />
ein Zusammenhang zwischen hoher Fernsehnutzung<br />
und niedrigem Engagement, aber<br />
es ist keiner nachzuweisen zwischen der Nutzung<br />
journalistischer Inhalte und den Einstellungen<br />
bzw. dem Handeln (S. 305f).<br />
Aussagen zu den mobilisierenden Wirkungen<br />
der Netzkommunikation trifft sie mit Vorsicht.<br />
Sie vermutet, dass die organisierte netzgestützte<br />
politische Kommunikation (in Netzwerken<br />
von Aktivisten und in Organisationen)<br />
relevanter sein wird als die partizipativen Effekte<br />
im Hinblick auf bisher nicht politisch inkludierte<br />
Bürger.<br />
Stark verkürzt ergeben ihre Analysen folgendes<br />
Bild: In der Video-Malaise-Theorie<br />
wird eine negative Korrelation angenommen.<br />
Ausgeprägte Zuwendung zur Berichterstattung<br />
gehe mit geringem Vertrauen in die Politik<br />
und geringer Bereitschaft zum bürgerlichen<br />
Engagement einher. Dies hatten die Vertreter<br />
als einen <strong>Medien</strong>effekt interpretiert. Norris<br />
kann dies weder für Europa noch für die USA<br />
bestätigen. Sie findet vielmehr einen positiven<br />
Zusammenhang zwischen der Nutzung aktueller<br />
<strong>Medien</strong> und dem politischen Wissen, dem<br />
Vertrauen in das politische System und dem<br />
politischen Engagement. Diejenigen, die sich<br />
mehr den aktuellen <strong>Medien</strong> zuwenden, wissen<br />
mehr, haben mehr Vertrauen und sind aktiver.<br />
Die Daten sagen wenig dazu, wer wen in dem
„komplexen Tango“ (S. 207) führt. Aber ihrer<br />
Auffassung nach können die statistischen Zusammenhänge<br />
nicht als einseitige Kausalrelation,<br />
sondern am schlüssigsten als eine wechselseitige<br />
Verstärkung von Zuwendung und Veränderung<br />
gedeutet werden, als Interdependenz<br />
– bei der die Faktoren in einer Wechselwirkung<br />
verknüpft sind und sich auf diese Weise eine<br />
spiralförmige Dynamik ergibt: Je stärker sich<br />
jemand politisch engagiert, je mehr jemand<br />
weiß und vertraut, desto mehr wendet er sich<br />
der Berichterstattung zu. Und desto mehr festigen<br />
sich wiederum seine Einstellungen, sein<br />
Wissen, seine Handlungsweisen.<br />
Das logische Gegenstück zu dieser Aufwärtsspirale<br />
ist die Abwärtsspirale: Je geringer<br />
die Zuwendung, desto geringer Wissen, Vertrauen<br />
und Engagement. Und auch hier wäre die<br />
wechselseitige Verstärkung eine plausible Interpretation.<br />
Das wird von Norris nur gestreift<br />
(S. 317, 250). Sie konzentriert sich vielmehr auf<br />
den Wissenszuwachs, die Aktivierung, die Vertrauensbildung<br />
– die tugendhafte Seite der Medaille,<br />
den „virtuous circle“. Aber erst aus der<br />
Abwärtsspirale erklären sich die Befunde, dass<br />
politisches Engagement und allgemeine Fernsehnutzung<br />
sehr wohl negativ korrelieren (S.<br />
317). Dieses Zugleich von Abwärts- und Aufwärtsspirale<br />
ist nicht nur für die Beurteilung des<br />
„digital divide“ von Bedeutung.<br />
Ihr Spiralmodell ruht auf einem empirischen<br />
Fundament, bei dem die Last auf die Fläche<br />
verteilt wird: Sie findet zwar in ihren einzelnen<br />
Analysen immer nur schwache Zusammenhänge,<br />
aber dies zu verschiedenen Zeitpunkten aus<br />
einem langen Zeitraum und mit verschiedenen<br />
Datensätzen aus verschiedenen politischen<br />
Kontexten mit unterschiedlichen Variablen<br />
und Erhebungsmethoden. Man kann dies<br />
eklektisch oder gar postmodern nennen, aber<br />
diese Vorgehensweise erlaubt ihr, sich auf „kumulative<br />
Evidenz“ zu berufen. Zwar überzeugt<br />
keine der vielen multivariaten Analysen für sich<br />
genommen – dafür sind es jeweils zu viele Variablen<br />
mit insgesamt nur gering erklärter Varianz;<br />
aber ihre Position wird durch die Auswertungen<br />
insgesamt stimmig und überzeugend.<br />
Ihre theoretische Figur setzt sich also aus vier<br />
Elementen zusammen: 1. die Feststellung von<br />
statistisch positiven Korrelationen zwischen<br />
Zuwendung zu politischen <strong>Medien</strong>inhalten und<br />
politischem Wissen, Interesse und Engagement;<br />
2. die Annahme einer wechselseitigen Kausalbeziehung<br />
dieser Variablen; 3. die Annahme ei-<br />
Besprechungen<br />
ner Dynamisierung dieser Beziehung aufgrund<br />
der wechselseitigen Verstärkung; 4. die Bewertung<br />
dieses Prozesses als politisch positiv.<br />
Dies fasst sie insgesamt in die Metapher des<br />
„virtuous circle“. Dies ist ein in doppelter Hinsicht<br />
positiv konnotierter Terminus: ein Regelkreis<br />
mit positiver Rückkopplung – ein sich<br />
aufschaukelnder Prozess – wird positiv bewertet.<br />
„Virtuous Circle“ ist ein 1953 von Edith<br />
Simon geprägter Gegenbegriff zu „vicious<br />
circle“ (circulus vitiosus). Beide haben die<br />
gleiche logische Struktur, aber im Teufelskreis<br />
verstärken sich die vices (Laster), im „Engelskreis“<br />
die virtues (Tugenden). Norris nimmt eigenartigerweise<br />
keinerlei Bezug auf die Schweigespirale<br />
– was zumindest im Hinblick auf die<br />
Metapher nahe gelegen hätte.<br />
Man fragt sich – wenn man in kybernetischen<br />
Regelkreisen denkt – wo das hinführen<br />
soll, die von ihr so gepriesene positive Verstärkung.<br />
Wo bleibt die negative Rückkopplung,<br />
die Stabilisierung durch Gegenkopplung? Sie<br />
könnte die Gestalt von Deckeneffekten bei den<br />
Engagierten oder die von Bodeneffekten bei<br />
den Desinteressierten annehmen. Auch ein<br />
Einschwingen des Zusammenhangs im Zeitablauf<br />
ist denkbar, etwa bedingt durch in großen<br />
Abständen einsetzende Partizipationsschübe<br />
(die „68er“ oder die „89er“) oder bedingt durch<br />
den kurzfristigen Rhythmus von Wahlen.<br />
Norris stellt diese Frage in ihrem Buch nicht<br />
explizit, aber sie hat einen Hinweis darauf an<br />
der unauffälligsten Stelle versteckt: Auf dem<br />
Umschlag des Buches prangt Pieter Bruegels<br />
„Turmbau von Babel“. Eine Spirale schraubt<br />
sich in den Himmel, deren Ende die Akteure<br />
auf dem Bild nicht kennen – Mahnung an die<br />
zeitgenössischen Betrachter in den aufstrebenden<br />
Niederlanden, zu bedenken, wohin spiralförmige<br />
Prozesse führen.<br />
Gerhard Vowe<br />
Klaus Neumann-Braun / Stefan Müller-<br />
Doohm (Hrsg.)<br />
<strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong>soziologie<br />
Eine Einführung in zentrale Begriffe und<br />
Theorien<br />
München: Juventa, 2000. – 222 S.<br />
ISBN 3-7799-1461-1<br />
In der letzten Zeit sind, dem angloamerikanischen<br />
Vorbild folgend, eine Reihe von deutsch-<br />
439
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
sprachigen Einführungen in die <strong>Medien</strong>- und<br />
<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> erschienen, weitere<br />
Bände sind in Vorbereitung. Getragen von<br />
der Hoffnung der Lektoren und Autoren, Studierende<br />
könnten im Zeitalter von Xerographie<br />
und Internet doch noch vermehrt zum Kauf<br />
von Büchern bewegt werden, versuchen sie –<br />
mehr oder minder gelungen – eine erste Orientierung<br />
in den jeweiligen Wissensbeständen,<br />
eine Vermittlung von Begrifflichkeiten, Theorien<br />
und Methoden zu leisten sowie einen relevanten<br />
Bezug zur <strong>Medien</strong>praxis herzustellen.<br />
Der Schwerpunkt des von Klaus Neumann-<br />
Braun und Stefan Müller-Doohm herausgegebenen<br />
Bandes liegt auf soziologischen Zugängen<br />
zu zentralen medientheoretischen Fragestellungen<br />
und Problemen, deren Vielfalt in<br />
der deutschen Diskussion eindrucksvoll demonstriert<br />
wird. Didaktisch geschickt organisiert,<br />
beginnt und endet das Buch mit einem<br />
Fallbeispiel aus der Radiounterhaltung, auf<br />
das in den von verschiedenen Autoren geschriebenen<br />
Kapiteln immer wieder Bezug genommen<br />
wird, so dass eine facettenreiche und<br />
umfassende Analyse entsteht. Neben zentralen<br />
Grundbegriffen der Kommunikation (wie z. B.<br />
„‚Face-to-Face‘-Kommunikation“ oder „Öffentlichkeit“)<br />
werden – so die Herausgeber<br />
(S. 5) – die derzeit wichtigsten soziologisch<br />
ausgerichteten <strong>Medien</strong>theorien (Systemtheorie,<br />
Frankfurter Schule, Cultural Studies, poststrukturalistische<br />
<strong>Medien</strong>forschung, handlungstheoretisch<br />
orientierte Publikumsforschung)<br />
diskutiert. Die theoretisch unterschiedlich<br />
orientierten Autoren garantieren<br />
eine Pluralität von Zugängen, die durch prägnante<br />
Ausschnitte aus Originaltexten wichtiger<br />
Theoretiker (z. B. Brecht, Habermas, Adorno,<br />
Baudrillard) ergänzt wird.<br />
Der umsichtig geplante und aufbereitete<br />
Band, der allerdings eher eine Einführung in die<br />
<strong>Medien</strong>soziologie als in die <strong>Kommunikations</strong>soziologie<br />
ist, ist meiner Ansicht nach gelungen<br />
und gut in der Lehre einsetzbar. Die Autoren<br />
geben sich große Mühe, sich klar, strukturiert<br />
und deutlich auszudrücken. Auch schwierige<br />
Zusammenhänge werden mit Beispielen anschaulich<br />
dargestellt, so z. B. von Ulrich Wenzel<br />
die poststrukturalistische <strong>Medien</strong>forschung,<br />
von Josef Wehner der Beitrag der Systemtheorie<br />
zum Verständnis elektronischer<br />
<strong>Medien</strong> oder von Friedrich Krotz der Ansatz<br />
der Cultural Studies. Hier erweist es sich von<br />
Vorteil, dass jeder seine favorisierte Theorie<br />
440<br />
oder sein Spezialthema darstellt. So referiert<br />
z. B. Klaus Neumann-Braun abschließend<br />
kompakt und mit vielen Beispielen die handlungstheoretisch<br />
orientierte Rezeptionsforschung.<br />
Dieses nahe liegende Vorgehen hat aber auch<br />
Nachteile, da eine kritische Diskussion und<br />
weiterführende Nachbetrachtung des Dargestellten<br />
in den einzelnen Kapiteln weitgehend<br />
unterbleibt. Zum Beispiel diskutiert Stefan<br />
Müller-Doohm sehr prägnant und übersichtlich<br />
die kritische <strong>Medien</strong>theorie der Frankfurter<br />
Schule, die auch von Vertretern dieses Ansatzes<br />
(z. B. Martin Jay, Douglas Kellner) geäußerte<br />
Kritik an der Theorie der Kulturindustrie<br />
kommt in seiner Darstellung aber nicht<br />
vor. Dadurch wird eine reflexive und kritische<br />
Auseinandersetzung von Studierenden mit diesem<br />
Ansatz nicht gerade erleichtert. Müller-<br />
Doohm referiert auch Adornos aus heutiger<br />
Sicht sehr problematische Analyse des Jazz als<br />
Zeichen für „Kulturzerfall“ in affirmativer<br />
Weise (S. 77). Es ist zu befürchten, dass Adornos<br />
Leserschaft unter Studierenden dadurch<br />
nicht zunimmt.<br />
Um diese Engführungen der Analyse und<br />
Darstellung zu vermeiden, wäre es sinnvoll gewesen,<br />
wenn die Autoren sich z. B. gegenseitig<br />
kommentiert hätten, so dass eine engere Vernetzung<br />
der einzelnen Beiträge ermöglicht<br />
worden wäre. Ein Anfänger in der Diskussion<br />
wird den jeweiligen Darstellungen folgen müssen,<br />
ohne die Instrumente in die Hand zu bekommen,<br />
mit denen er sie kritisch hinterfragen<br />
und weiterdenken kann. Auch Josef Wehner<br />
bemüht sich in seinem ansonsten sehr zu empfehlenden<br />
Kapitel etwas forciert, die unbedeutende<br />
und schwierige Rolle von ideologiekritischen<br />
<strong>Medien</strong>- und Gesellschaftsanalysen aus<br />
Sicht der Luhmannschen Systemtheorie zu vermitteln,<br />
ohne dessen durch Gehlen und Schelsky<br />
geschulte Position in dieser Hinsicht kritisch<br />
zu hinterfragen, was für ein Einführungsbuch<br />
wichtig wäre. Nicht alle Studierenden<br />
werden sich Luhmanns neu-europäischem<br />
Quietismus anschließen wollen.<br />
Inhaltlich hat das Buch – wie jede Einführung<br />
– notwendigerweise Lücken, die sicherlich<br />
auch durch ein vom Verlag vorgegebenes<br />
Seitenlimit bedingt sind. So fehlen z. B. eine<br />
Analyse der wissenssoziologischen und konversationsanalytischen<br />
Beiträge zur <strong>Medien</strong>soziologie,<br />
eine ausführlichere Untersuchung<br />
psychoanalytischer Ansätze (Zizek) sowie eine
Betrachtung kritischer Ansätze jenseits der<br />
Frankfurter Schule. Beiträge zu Raymond Williams‘<br />
Fernsehanalysen, die für die angloamerikanische<br />
Forschung sehr wichtig waren, zu<br />
Norman Denzins filmsoziologischen Arbeiten<br />
und zur feministischen <strong>Medien</strong>forschung (z. B.<br />
Donna Haraway) hätten den Band sicherlich<br />
fruchtbar ergänzt. Auch die neuen Informations-<br />
und <strong>Kommunikations</strong>technologien werden<br />
nur am Rande zum Thema. Eine Diskussion<br />
der Analysen von Mark Poster, N. Katherine<br />
Hayles oder Manuel Castells wäre hilfreich<br />
gewesen. Dies sollen aber nur Hinweise sein.<br />
Keine Einführung kann vollständig sein, zumal<br />
das Hauptinteresse der Autoren der deutschsprachigen<br />
Forschung gilt. Insgesamt gesehen<br />
sind die Bemühungen der Gruppe um Stefan<br />
Müller-Doohm und Klaus Neumann-Braun,<br />
die Vielstimmigkeit soziologischer <strong>Medien</strong>forschung<br />
zu demonstrieren, sehr zu loben. Das<br />
Buch sei allen empfohlen, denen eine soziologische<br />
Analyse der <strong>Medien</strong>gesellschaft wichtig<br />
ist.<br />
Rainer Winter<br />
Felix Weil<br />
Die <strong>Medien</strong> und die Ethik<br />
Grundzüge einer brauchbaren <strong>Medien</strong>ethik<br />
Freiburg: Alber, 2001. – 258 S.<br />
(Alber-Reihe Thesen; 20)<br />
3-495-48025-0<br />
Zugl.: Münchener Dissertation 1999<br />
Das Feld der <strong>Medien</strong>ethik erfreut sich wachsender<br />
Aufmerksamkeit, die sich in einer zunehmenden<br />
Zahl von Büchern mit Grundlagencharakter<br />
niederschlägt. Die Dissertation<br />
des nun in einer Stuttgarter E-Commerce-<br />
Plattform Geschäftsführenden Gesellschafters<br />
gehört zu denjenigen Publikationen, die sich<br />
weniger damit beschäftigen, von anderen vorgelegte<br />
Grundlagen weiterzuentwickeln; vielmehr<br />
wird ein neuer Zugang zu <strong>Medien</strong>phänomenen<br />
in ethischer Absicht gesucht. Dabei<br />
handelt es sich – wie der Untertitel sagt – um<br />
Grundzüge einer <strong>Medien</strong>ethik, das heißt: Fälle<br />
stehen nicht im Vordergrund, sondern dienen<br />
lediglich zum Beleg dafür, dass es sich bei der<br />
vorgelegten Konzeption um eine „brauchbare“<br />
Ethik handelt.<br />
Diese wird in vier Kapiteln entwickelt. Im<br />
Besprechungen<br />
1. Kapitel geht es um „Die <strong>Medien</strong> als Bereich<br />
der philosophischen Ethik“. Hier wird die Frage<br />
erörtert, ob es sich in speziellen oder angewandten<br />
Ethiken – gleich welche davon man<br />
betrachtet – um Anwendungen oder Applikationen<br />
von Prinzipien einer „allgemeinen“<br />
Ethik handelt. Gestützt auf eine Analyse des<br />
Schachspiels lehnt der Autor dies ab. <strong>Medien</strong>ethik,<br />
will sie brauchbar sein, muss sich dadurch<br />
als solche erweisen, dass sie in der konkreten<br />
Situation, die zu regeln ist, plausible<br />
Normen entwickelt, sittliches Wissen und<br />
Empfinden selbstverständlich vorausgesetzt.<br />
Als Kronzeugen für sein Konzept ruft er den<br />
späten Wittgenstein auf. Der Philosoph ist auch<br />
der am häufigsten zitierte Autor in diesem<br />
Buch. <strong>Medien</strong>ethik ist demzufolge eine Ethik<br />
für den Bereich „<strong>Medien</strong>“, deren Prinzipien<br />
sich im konkreten Gebrauch der <strong>Medien</strong> ergeben.<br />
Die so entstehende <strong>Medien</strong>ethik wird sich<br />
einerseits auf den Stand der Forschung in der<br />
<strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />
sowie auf Erfahrungen von <strong>Medien</strong>praktikern<br />
stützen. Andererseits wird sie gezielt versuchen,<br />
sie „brauchbar“ für ihre Theoriebildung<br />
zu rekonstruieren.<br />
Damit kommen also die <strong>Medien</strong> in den Blick:<br />
Über sie schreibt er im 2. Kapitel unter der<br />
Überschrift „Von der Möglichkeit und dem<br />
Zwang, präsent zu sein“. Er kennzeichnet die<br />
<strong>Medien</strong> als einen diversifizierten Kultursachbereich<br />
und näherhin als Raum, der Möglichkeiten<br />
der Präsenz eröffnet und gleichzeitig dazu<br />
zwingt, in diesen Raum einzutreten, will man<br />
präsent sein. Diese Präsenz durch <strong>Medien</strong>gebrauch<br />
ist ein anthropologisches Grunddatum.<br />
Dass dieser Raum, den die <strong>Medien</strong> darstellen,<br />
der Regulation bedarf, steht für Weil außer Frage.<br />
Besonderes Kennzeichen der aktuellen Entwicklung<br />
ist die <strong>Medien</strong>-Konvergenz im Zeichen<br />
des Internets.<br />
Im folgenden 3. Kapitel geht es dann unter<br />
der Überschrift „Mediale Kommunikation beruht<br />
auf Signalübertragung, aber erschöpft sich<br />
nicht darin“ um die Spielregeln, die diese medial<br />
geprägte Welt beherrschen. Hauptsächlich<br />
dreht es sich dabei um die Bewertung verschiedener<br />
Typen von <strong>Medien</strong>ethik. Als „medienethisch<br />
defizitär“ kritisiert er eine „Zweckbeliebige<br />
Enthaltungs-‚Ethik‘“, zu der Luhmanns<br />
<strong>Kommunikations</strong>theorie führe. Eine „zweckkritische<br />
Negations- und Emanzipationsethik“<br />
nennt er Adorno-Horkheimers <strong>Medien</strong>kritik.<br />
Auch eine „zweckautoritäre Schutz- und Kon-<br />
441
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
trollethik“ reicht ihm nicht aus.<br />
Im 4. Kapitel skizziert er schließlich den<br />
„Übergang von den defizitären Ethikformen<br />
auf der Basis eines reduzierten <strong>Kommunikations</strong>begriffes<br />
zur Gebrauchsethik des <strong>Medien</strong>bereiches“.<br />
Als oberste Maxime stellt er die<br />
prinzipielle Offenheit und Zugänglichkeit des<br />
Raumes der Kommunikation als oberstes Prinzip<br />
der <strong>Medien</strong>ethik heraus: „Der Raum der<br />
Kommunikation hat prinzipiell offen zu stehen<br />
für die angemessene Verwirklichung von Präsenz<br />
(sei es veröffentlichender, sei es rezipierender<br />
Art)“ (S. 160). Er wendet sich damit gegen<br />
jede Form faktischer oder bewusster Diskriminierung<br />
beim Zugang zu den <strong>Medien</strong>. Er<br />
kommt dann unvermittelt auf die Problematik<br />
von Scham im Zusammenhang mit medial präsentierter<br />
Sexualität zu sprechen, um zu zeigen,<br />
in welchen konkreten Zusammenhängen und<br />
in welcher Form und für welche Rezipienten es<br />
angemessen ist, Sexualität zu zeigen. Das Prinzip<br />
der Kontextualität ist ihm außerordentlich<br />
wichtig. Sensitivität für Kontexte ist demnach<br />
wichtiger als autoritäre Kontrolle bzw. Beschränkung<br />
von <strong>Medien</strong>. Am Ende dieses Kapitels<br />
verteidigt der Autor sein Konzept gegen<br />
mögliche Einwände, etwa den, dass der einzelne<br />
<strong>Medien</strong>nutzer dadurch überfordert werde,<br />
oder den, dass seine Konzeption an den <strong>Medien</strong>realitäten<br />
vorbeigeht.<br />
Seine Devise: „Klarheit, nicht Wahrheit. Gewissheit,<br />
nicht Wissen. Optimierung, nicht Totalität“.<br />
Wer nicht das ganze Buch studieren<br />
will, wird wenigstens die das Werk als 5. Kapitel<br />
beschließende Kurzzusammenfassung der<br />
Weil’schen Ethik in 7 Geboten lesen.<br />
Zweifellos hat sich der Autor mit vielen<br />
Aspekten der <strong>Medien</strong>diskussion recht originell<br />
beschäftigt. Im Unterschied zu theoriebeladenen<br />
Zugängen in manchen neueren Beiträgen<br />
442<br />
zur <strong>Medien</strong>ethik ist die kontextbezogene Argumentation<br />
und auch sein Insistieren darauf<br />
produktiv. Kritische Anmerkungen: Ein allgemeiner,<br />
durchgängiger Einwand richtet sich gegen<br />
den Sprachgebrauch des Verfassers: allzu<br />
unbeholfen und unkonventionell kommt er daher,<br />
assoziiert zuweilen ungebremst, baut Satzungetüme.<br />
Sperrig ist auch die häufige Erweiterung<br />
von Originalzitaten durch eigene Kommentare.<br />
Er verstärkt so den Charakter des Buches<br />
als einer Außenseiter-Publikation und<br />
positioniert sich so gerade nicht „im Kontext“;<br />
ein Sachverhalt, der ihm sonst so wichtig ist.<br />
Ein Widerspruch im Konzeptionellen liegt sodann<br />
in dem ungeklärten Verhältnis zwischen<br />
den Handlungsimperativen in konkreten Situationen<br />
einerseits und Regeln, Prinzipien und<br />
Normen andererseits. Will man nicht eine reine<br />
Situationsethik vertreten (und Weil outet sich<br />
nicht als Verfechter der Situationsethik), dann<br />
muss man auch die Bedeutung von allgemeineren<br />
Normen für Situationen akzeptieren. Dann<br />
aber ist eine Gestalt traditioneller Moralphilosophie<br />
nicht weit, die eine „Anwendung“ von<br />
Normen auf konkrete Situationen und Fälle<br />
ohne genaue Prüfung und Beschreibung dieser<br />
Situation bzw. der Fälle und die Umstände des<br />
Handelns in diesen Situationen und Fällen<br />
nicht zuließ. Gern hätte man auch etwas mehr<br />
über die unternehmerischen Prinzipien von<br />
<strong>Medien</strong>unternehmen gelesen – moderne <strong>Medien</strong>ethik<br />
ist ohne eine ausgearbeitete Position<br />
dazu nicht denkbar. Den Einwand gegen seine<br />
Konzeption, den er selbst formuliert, nämlich<br />
dass sie das Individuum überfordere, räumt er<br />
nicht wirklich aus. Obschon teils in Einzelpassagen<br />
interessant und mit originellen Beispielen,<br />
wird das Konzept in Fachkreisen, für die es<br />
bestimmt ist, kaum größere Resonanz finden.<br />
Wolfgang Wunden
Zeitschriftenlese<br />
AfP<br />
Jg 33 (2002) Nr 1<br />
Seiler, Wolfgang: Pressekonzentration und<br />
publizistische Vielfalt nach zehn Jahren deutscher<br />
Einheit. – S. 1 – 12<br />
Smid, Jörg F.: Der Journalist als Insider aufgrund<br />
öffentlich zugänglicher Informationen?<br />
– S. 13 – 17<br />
Münch, Henning: Der Schutz der Privatsphäre<br />
in der Spruchpraxis des Deutschen Presserats:<br />
eine Analyse der Arbeit der freiwilligen Presseselbstkontrolle.<br />
– S. 18 – 21<br />
Comm/Ent<br />
Jg 23 (2001) Nr 2<br />
Brennan, Lorin: Financing intellectual property<br />
under federal law: a national imperative.<br />
– S. 195 – 312<br />
Brennan, Lorin: Financing intellectual property<br />
under revised article 9: national and international<br />
conflicts. – S. 313 – 456<br />
Hollingsworth, Joel S.: Stop me if I’ve heard<br />
this already: the temporal remoteness aspect of<br />
the subconscious copying doctrine. – S. 457 –<br />
476<br />
McGinity Bonini, Chelsea: Claim construction<br />
must be reexamined – as a matter of fact, Pitney<br />
Bowes undermines Markman. – S. 477 – 503<br />
Communicatio Socialis<br />
Jg 34 (2001) Nr 4<br />
Pörksen, Bernhard: Die Wirklichkeit der Neonazis:<br />
extremistische Kommunikation in der<br />
demokratischen Gesellschaft. – S. 385 – 420<br />
Eilers, Franz-Josef: Missionarische Kommunikation<br />
ins Dritte Jahrtausend: theologische Anmerkungen<br />
für eine Grundlegung. – S. 421 –<br />
437<br />
Westerbarkey, Joachim: Propaganda, Public<br />
Relations, Reklame: ein typologischer Entwurf.<br />
– S. 438 – 447<br />
Hoffmann, Anne: Islam in den <strong>Medien</strong>: der publizistische<br />
Konflikt um die Friedenspreisverleihung<br />
an Annemarie Schimmel. – S. 448 – 465<br />
Communication Research<br />
Jg 29 (2002) Nr 1<br />
Hawkins, Robert P. u.a.: What holds attention<br />
to television?: strategic inertia of looks at content<br />
boundaries. – S. 3 – 30<br />
Beentjes, Johannes W. J.; Oordt, Marianne van;<br />
Voort, Tom H. A. van der: How television<br />
commentary affects children’s judgements on<br />
soccer fouls. – S. 31 – 45<br />
Scheufele, Dietram: Examining differential<br />
gains from mass media and their implications<br />
for participatory behavior. – S. 46 – 65<br />
Flanagin, Andrew J.; Tiyaamornwong, Vanessa;<br />
O’Connor, Joan: Computer-mediated<br />
group work: the interaction of members sex<br />
and anonymity. – S. 66 – 93<br />
Communication Theory<br />
Jg 12 (2002) Nr 1<br />
Kalbfleisch, Pamela J.: An introduction: communication-based<br />
theory development: building<br />
theories for communication research. – S. 5<br />
– 7<br />
Albada, Kelly Fudge; Knapp, Mark L.; Theune,<br />
Katheryn E.: Interaction appearance theory:<br />
changing perceptions of physical attractiveness<br />
through social interaction. – S. 8 – 40<br />
Duck, Steve: Hypertext in the key of G: three<br />
types of „history“ as influences on conversational<br />
structure and flow. – S. 41 – 62<br />
Kalbfleisch, Pamela J.: Communicating in mentoring<br />
relationships: a theory for enactment. –<br />
S. 63 – 69<br />
Koerner, Ascan F.; Fitzpatrick, Mary Anne:<br />
Toward a theory of family communication. –<br />
S. 70 – 91<br />
Acitelli, Linda K.: Relationship awareness:<br />
crossing the bridge between cognition and<br />
communication. – S. 92 – 112<br />
Communications<br />
Jg 26 (2001) Nr 4<br />
Renckstorf, Karsten; McQuail, Denis; Rosenbaum,<br />
Judith E.: Action theoretical approaches<br />
in European communication research: some introductory<br />
remarks. – S. 333 – 336<br />
McQuail, Denis: With more hindsight: conceptual<br />
problems and some ways forward for media<br />
use research. – S. 337 – 350<br />
443
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Rompaey, Veerle van; Roe, Keith: The home as<br />
a Multimedia environment: families’ conception<br />
of space and the introduction of Information<br />
and Communication technologies in the<br />
home. – S. 351 – 370<br />
Vandebosch, Heidi: Media use as an adaption<br />
or coping tool in prison. – S. 371 – 388<br />
Renckstorf, Karsten; Wester, Fred: The „media<br />
use as social action“ approach: theory, methodology,<br />
and research evidence so far. – S. 389 –<br />
420<br />
Konig, Ruben; Renckstorf, Karsten; Wester,<br />
Fred: Patterns in television news use. – S. 421 –<br />
442<br />
Schaap, Gabi: Using protocol analysis in television<br />
news research: proposal and first tests. –<br />
S. 443 – 464<br />
Rosenbaum, Judith E.; Beentjes, Johannes W.<br />
J.: Beyond the couch potato: reconceptualizing<br />
media literacy. – S. 465 – 482<br />
Hermans, Liesbeth: Occupational activities of<br />
Dutch journalists in a television newsroom. –<br />
S. 483 – 498<br />
Charlton, Michael: „Para-social interaction“:<br />
social interaction as a matter of fact?. – S. 499 –<br />
508<br />
Computer und Recht<br />
Jg 18 (2002) Nr 2<br />
Westerholt, Margot von; Berger, Konrad: Der<br />
Application Service Provider und das neue<br />
Schuldrecht: vertragsrechtliche Fragen zu seiner<br />
Stellung zwischen Lieferanten und Kunden.<br />
– S. 81 – 87<br />
Piepenbrock, Hermann-Josef; Schuster, Fabian:<br />
GWB und TKG: Gegeneinander, Nebeneinander<br />
oder Miteinander?: zum Verhältnis<br />
zwischen sektorspezifischen und allgemeinen<br />
Kartellrecht. – S. 98 – 106<br />
Der Beitrag behandelt das Verhältnis des sektorspezifischen<br />
Kartellrechts des TKG zu dem allgemeinen<br />
Kartellrecht des GWB. Vertieft behandelt werden dabei<br />
Umfang und Bedeutung der Abgrenzungsnorm<br />
des § 2 Abs. 3 TKG sowie die Verzahnung von § 33<br />
TKG und § 19 GWB und damit die Übernahme der<br />
Essential-Facilities-Doktrin in das allgemeine Kartellrecht.<br />
Neben der Frage, welche Regelungen materiellrechtlich<br />
anwendbar sind, gehen die Verfasser der Frage<br />
nach, welche Behörde – RegTP oder BKartA – und<br />
welche Gerichte – Verwaltungs- oder Zivilkartellgerichte<br />
– für kartellrechtliche Streitigkeiten im Telekommunikationsbereich<br />
zuständig sind.<br />
444<br />
Windthorst, Kay: Von der Informationsvorsorge<br />
des Staates zur staatlichen Gewährleistung<br />
eines informellen Universaldienstes. –<br />
S. 118 – 126<br />
Ein Grundproblem der Informationsgesellschaft ist<br />
es, jedem einen ausreichenden Zugang zu elektronisch<br />
übermittelten Informationen zu sichern. Der Beitrag<br />
stellt die Konzepte und Tragweite verschiedener ordnungspolitischer<br />
Vorstellungen – Informationsvorsorge,<br />
Grundversorgung und Universaldienstgewährleistung<br />
– und zeigt deren Strukturprobleme auf. Der<br />
Verfasser kommt zu dem Ergebnis, diese Modelle Gemeinwohlbelange<br />
nach abweichenden Grundsätzen<br />
zu sichern versuchen, dass sie dabei aber durch ähnliche<br />
technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche<br />
Bedingungen beeinflusst werden und dadurch in ihrer<br />
Struktur gemeinsame Merkmale aufweisen.<br />
Enzmann, Matthias; Roßnagel, Alexander:<br />
Realisierter Datenschutz für den Einkauf im<br />
Internet: das Projekt DASIT. – S. 141 – 150<br />
Scheffler, Hauke: Einsatz einer Pay-TV Piraten-SmartCard:<br />
strafrechtliche Würdigung. –<br />
S. 151 – 155<br />
Ulbricht, Johannes; Meuss, Holger: Juristische<br />
Aspekte von extended links und smart tags. –<br />
S. 162 – 168<br />
Die vom W3C entwickelte Technologie der Extended<br />
Links, die nun von Microsoft adaptiert und zu sog.<br />
Smart Tags ausgebaut wurde, hat nach Ansicht der<br />
Verfasser großes Zukunftspotential. Während normale<br />
Hyperlinks eher die Funktion einer Fußnote erfüllen,<br />
sind Smart Tags mit dem Kommentar eines Dritten<br />
vergleichbar, der verschiedene Textstellen miteinander<br />
verbindet bzw. miteinander in Bezug setzt,<br />
ohne dass der Autor dies billigen oder wissen könnte.<br />
Der Beitrag untersucht rechtliche Aspekte für den<br />
Fall, dass Microsoft Smart Tags in die Windows- oder<br />
Office-Distributionen integriert. Potentielle Konflikte<br />
treten danach in Form von Knappheits- und Zuordnungs-<br />
und Integritätsproblemen, aber auch im<br />
Bereich von Wettbewerbs- und Kartellrecht, im Urheber-<br />
und Datenschutzrecht und nicht zuletzt im<br />
Hinblick auf das werberechtliche Trennungsgebot<br />
nach § 9 Abs. 1 MDStV auf.<br />
Jg 18 (2002) Nr 3<br />
Jaeger, Till; Koglin, Olaf: Der rechtliche Schutz<br />
von Fonts. – S. 169-174<br />
Ladeur, Karl-Heinz: Frequenzverwaltung und<br />
Planungsrecht: zugleich ein Beitrag zum Verhältnis<br />
von TKG und allgemeinem Verwaltungsrecht.<br />
– S. 181-191<br />
Das Telekommunikationsrecht wirft eine Reihe verfahrensrechtlicher<br />
Fragen auf, die auch für das allgemeine<br />
Verwaltungsrecht von Bedeutung sind. Der<br />
Beitrag beschreibt die Orientierung des Gesetzgebers<br />
bei der Ausgestaltung der Frequenzplanung an dem<br />
allgemeinen Planungsrecht und untersucht Spannungen<br />
und Konflikte zwischen Bau- und Frequenzplanung.<br />
Der Verfasser kritisiert dabei – insbesondere
vor dem Hintergrund der Digitalisierung von Funksignalen<br />
–, dass das planerische Moment der Frequenzverwaltung<br />
zu wenig eigenständige Elemente<br />
gegenüber dem Modell der raumbezogenen Infrastrukturplanungen<br />
entwickelt hat, wodurch dem Verfahren<br />
der Planung eine umso größere Rolle zukomme.<br />
Der Beitrag untersucht dann die Interessen der<br />
Rundfunkveranstalter sowie Beteiligungsrechte im<br />
Frequenzplanungsverfahren. Abschließend werden<br />
Probleme des Rechtsschutzes gegen Planungs- und<br />
Frequenzzuweisungsentscheidungen dargestellt.<br />
Mai, Gerald: Wertpapierhandel im Internet: besondere<br />
Rechte und Pflichten der Vertragsparteien<br />
im Rahmen von Internet-Brokerage. –<br />
S. 200 – 207<br />
Ulmer, Detlef: Online-Vertragsschluss: ein<br />
Verfahren wird populär?. – S. 208 – 212<br />
Rehmann, Franz-Josef; Bahr, Martin: Klingeltöne<br />
für Handys: eine neue Nutzungsart?. –<br />
S. 229 – 233<br />
Computer und Recht international<br />
Jg 3 (2002) Nr 1<br />
Band, Jonathan; Kennedy, Charles: The USA-<br />
Patriot Act: a concise analysis of the legislative<br />
reaction in the US to September 11th 2001. –<br />
S. 1 – 6<br />
Strowel, Alain: Exhaustion: new interpretation<br />
for software distribution?: a European notion<br />
of consent could determine the exhaustion of a<br />
copyright holder’s distribution right. – S. 7 – 9<br />
Convergence<br />
Jg 7 (2001) Nr 4<br />
Kyrish, Sandy: Lessons from a „Preditive History“:<br />
what videotext told us about the World<br />
Wide Web. – S. 10 – 29<br />
Lauria, Rita: In Love with our technology: virtual<br />
reality: a brief intellectual history of the<br />
idea of virtuality and the emergence of a media<br />
environment. – S. 30 – 51<br />
Aikat, Debashis: Pioneers of the early digital<br />
era: innovative ideas that shaped computing in<br />
1833-1945. – S. 52 – 81<br />
Kavoori, Anandam P.; Chadha, Kalyani: Net<br />
tarot in New Delhi: reading the future of the<br />
Internet in advertising. – S. 82 – 95<br />
Rogers, Everett M.: The digital divide. – S. 96 –<br />
113<br />
Zeitschriftenlese<br />
European Journal of Communication<br />
Jg 17 (2002) Nr 1<br />
Zoonen, Liesbet van: Gendering the Internet:<br />
claims, controversies and cultures. – S. 5 – 24<br />
„In this article the mutual shaping of the Internet and<br />
gender is analysed. ... Drawing from cultural and technology<br />
studies, we assume that the gendered meanings<br />
of the Internet arise particularly at the moment of domestication.<br />
In-depth interviews with young couples<br />
are used to illustrate how the social, symbolic and individual<br />
dimensions of gender interact with everyday<br />
uses and interpretations of the Internet, showing four<br />
types of articulations constituting traditional, deliberative,<br />
reversed and individualized use cultures.<br />
Whereas male usage primarily explains these types,<br />
the interviews show that this does not automatically<br />
result in the construction of a masculine domain in the<br />
household. It opens up space for shared and feminine<br />
appropriations as well.“<br />
Eilders, Christiane: Conflict and consonance in<br />
media opinion: political positions of five German<br />
quality newspapers. – S. 25 – 64<br />
„This article examines the degree of conflict and consonance<br />
in the editorials of five German quality newspapers<br />
between 1994 and 1998. The degree of correspondence<br />
in the media system is discussed against the<br />
background of Germany’s pluralistic media structure<br />
on the one hand and concepts of public opinion on the<br />
other hand. Rather than investigating the differential<br />
issue selection among the newspapers, the analysis<br />
compares the opinions on issues correspondingly addressed<br />
by several newspapers. It focuses on the<br />
newspapers’ positions regarding fundamental political<br />
conflicts and identifies spheres of consensus and conflict<br />
in the media system. Although the newspapers<br />
represent distinctly different political orientations,<br />
each of them also showed issue-specific deviations<br />
from its general preference for left or right policy alternatives.<br />
Results indicate considerable degrees of<br />
consonance regarding external relations issues and education<br />
policy. Conflict evolved around law and order<br />
and migration issues.“<br />
Bonfadelli, Heinz: The Internet and knowledge<br />
gaps: a theoretical and empirical investigation.<br />
– S. 65 – 84<br />
„... This article explores the theoretical potential of the<br />
knowledge gap perspective for Internet research and<br />
presents data based on two recent Internet surveys,<br />
which demonstrate a double digital divide. Access to<br />
the Internet in Switzerland is still dominated by welleducated,<br />
affluent, young males and between 1997 and<br />
2000 the gap between those who do and those who do<br />
not have access widened not narrowed. Furthermore,<br />
there are gaps in the use of the Internet too. More educated<br />
people use the Internet more actively and their<br />
use is more information oriented, whereas the less educated<br />
seem to be interested particularly in the entertainment<br />
functions of the Internet.“<br />
Snoeijer, Roland; Vreese, Claes H. de; Semetko,<br />
Holli A.: The effects of live television reporting<br />
on recall and appreciation of political news. –<br />
S. 85 – 102<br />
445
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
„This study investigates the effects of live and non-live<br />
reporting on recall and appreciation of political television<br />
news. A sample of 161 randomly selected adults<br />
participated in an experiment testing the effects of format<br />
difference (a live cross-talk between reporters vs.<br />
a canned field report). Using an authentic experimental<br />
news bulletin produced in cooperation with the national<br />
Dutch public broadcaster, NOS, the findings<br />
did not support the hypothesis that the live cross-talk<br />
format enhances recall or appreciation. In fact, the results<br />
showed that the non-live field report format resulted<br />
in greater recall. These findings challenge the<br />
common newsroom assumption about the attractiveness<br />
of live reporting and have practical policy implications<br />
for both news practitioners and actors in the<br />
political arena.“<br />
Mühlenfeld, Hans-Ulrich: Mass Communication<br />
as participation: Web-radio in Germany:<br />
legal hazards and its contribution to an alternative<br />
way of mass communication. – S. 103 – 113<br />
Federal Communications Law Journal<br />
Jg 54 (2001) Nr 1<br />
Sidak, Gregory: Acquisitions by partially privatized<br />
firms: the case of Deutsche Telecom<br />
and VoiceStream. – S. 1 – 30<br />
Pritchard, David: A tale of three cities: „diverse<br />
and antagonistic“ information in situations<br />
of local newspaper/broadcast cross-ownership.<br />
– S. 31 – 52<br />
Human Communication Research<br />
Jg 28 (2002) Nr 1<br />
Taylor, Paul J.: A cylindrical model of communication<br />
behavior in crisis negotiations. – S. 7 –<br />
48<br />
Caughlin, John P.: The demand/withdraw pattern<br />
of communication as a predictor of marital<br />
satisfaction over time: unresolved issues and<br />
future directions. – S. 49 – 85<br />
Nichols Saphir, Melissa; Chaffee, Steven H.:<br />
Adolescents’ contributions to family communication<br />
patterns. – S. 86 – 108<br />
Shapiro, Michael A.; Fox, Julia R.: The role of<br />
typical and atypical events in story memory. –<br />
S. 109 – 135<br />
Journal of Media Economics<br />
Jg 15 (2002) Nr 1<br />
Bridges, Janet A.; Litman, Barry R.; Bridges,<br />
Lamar W.: Rosse’s Model revisited: moving to<br />
concentric circles to explain newspaper competition.<br />
– S. 3 – 20<br />
446<br />
Lacy, Stephen; Coulson, David C.; Cho, Hiromi:<br />
Competition for readers among U.S. metropolitan<br />
daily, nonmetropolitan daily, and<br />
weekly newspapers. – S. 21 – 40<br />
Chen, Ping-Hung: Who owns cable television?:<br />
media ownership concentration in Taiwan.<br />
– S. 41 – 56<br />
Journalism & Mass Communication<br />
Quarterly<br />
Jg 78 (2001) Nr 3<br />
Harry, Joseph C.: Covering conflict: a structural-pluralist<br />
analysis of how a small-town<br />
and a big-city newspaper reported an environmental<br />
controversy. – S. 419 – 436<br />
Fico, Frederick; Freedman, Eric: Setting the<br />
news story agenda: candidates and communicators<br />
in news coverage of a Governor’s race. –<br />
S. 437 – 449<br />
Lacy, Stephen; Coulson, David C.; Cho, Hiromi:<br />
The impact of competition on weekly<br />
newspaper advertising rates. – S. 450 – 465<br />
Beam, Randal A.: Does it pay to be a marketoriented<br />
daily newspaper?. – S. 466 – 483<br />
Marton, Krisztina; Stephens, Lowndes F.: The<br />
New York Times’ conformity to AAPOR<br />
standards of disclosure for the reporting of<br />
public opinion polls. – S. 484 – 502<br />
Mizuno, Takeya: The creation of the „free“<br />
press in Japanese-American camps: the war relocation<br />
authority’s planning and making of the<br />
camp newspaper policy. – S. 503 – 518<br />
Adams, Edward E.; Baldasty, Gerald J.: Syndicated<br />
service dependence and a lack of commitment<br />
to localism: scripps newspapers and market<br />
subordination. – S. 519 – 532<br />
Tewksbury, David; Weaver, Andrew J.; Maddex,<br />
Brett D.: Accidentally informed: incidental<br />
news exposure on the world wide web. –<br />
S. 533 – 554<br />
Lin, Carolyn A.; Jeffres, Leo W.: Comparing<br />
distinctions and similarities across websites of<br />
newspapers, radio stations, and television stations.<br />
– S. 555 – 574<br />
Kommunikation & Recht<br />
Jg 5 (2002) Nr 1<br />
Heinze, Meinhard: Arbeits- und verfassungsrechtliche<br />
Aspekte des Gesetzentwurfs zur Reform<br />
des Urhebervertragsrechts. – S. 1 – 7
Lüdemann, Volker; Adams, Nils: Die elektronische<br />
Signatur in der Rechtspraxis. – S. 8 – 12<br />
Hüttche, Tobias: Auf welcher (Bilanz-)Seite<br />
steht die Website?. – S. 13 – 16<br />
Wissmann, Martin; Gravenitz, Albrecht von:<br />
Mobilfunkmasten: ein neues Geschäft im Lichte<br />
des Telekommunikationsrechts. – S. 17 – 26<br />
Das Geschäft mit Mobilfunkmasten ist auch in<br />
Deutschland auf dem Vormarsch. Das Angebot im<br />
Mastengeschäft ist dabei umfangreich und reicht von<br />
der Vermietung von Grundstücken mit unbestückten<br />
Masten über Wartungsangebote bis hin zum Betrieb<br />
ganzer Netzteile. Die Anbieter dringen damit in einen<br />
Bereich vor, der ursprünglich nur für die Mobilfunknetzbetreiber<br />
vorgesehen war. Der Beitrag beschreibt<br />
zunächst das Mastengeschäft und die entsprechenden<br />
Geschäftsmodelle und untersucht das Geschäftsfeld<br />
dann vor dem Hintergrund telekommunikationsrechtlicher<br />
Vorgaben, insbesondere den Lizenzvorschriften<br />
und den aus den Netzzugangsbestimmungen<br />
des TKG erwachsenden Zugangsansprüchen gem. §<br />
33 TKG.<br />
Stögmüller, Thomas: Glücksspiele, Lotterien<br />
und Sportwetten im Internet. – S. 27 – 32<br />
Sidler, Oliver: Die Fernmeldegesetzgebung in<br />
der Schweiz: ein Überblick. – S. 33 – 39<br />
Jg 5 (2002) Nr 2<br />
Remmert, Andreas; Viefhues, Wolfram: Gesetz<br />
über elektronische Register und Justizkosten<br />
für Telekommunikation (ERJuKoG): ein<br />
Überblick. – S. 57 – 59<br />
Geis, Ivo: Die neue Signaturverordnung: das<br />
Sicherheitssystem für die elektronische Kommunikation.<br />
– S. 59 – 62<br />
Trafkowski, Armin: <strong>Medien</strong>kartellrecht: die<br />
Notwendigkeit der Harmonisierung zweier<br />
Rechtsgebiete. – S. 62 – 66<br />
„Die Bundesländer haben eine ,Reform der <strong>Medien</strong>ordnung’<br />
ins Auge gefasst. Sie soll durch den Sechsten<br />
Rundfunkänderungsstaatsvertrag verwirklich werden.<br />
Unter anderem steht dabei das Rundfunkkonzentrationsrecht<br />
auf dem Prüfstand. Anlässlich der<br />
Reform bietet es sich an, das Verhältnis des Rundfunkrechts<br />
als einer Art Sonderkartellrecht zum Bundeskartellrecht<br />
noch einmal zu beleuchten und nach<br />
Wegen zu suchen, durch welche die vielfältigen Konflikte<br />
zwischen beiden Regelungssystemen abgemildert<br />
werden können.“<br />
Storr, Stefan: Die Versteigerung von Telekommunikationslizenzen:<br />
sachgerechtes Verteilungsverfahren<br />
oder neue Einnahmequelle für<br />
den Staat?. – S. 67 – 74<br />
Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Rechtmäßigkeit<br />
des UMTS-Versteigerungsverfahrens geht<br />
Zeitschriftenlese<br />
der Beitrag der Frage nach, inwieweit das Lizenzvergabeverfahren<br />
in Form der Versteigerung ein sachgerechtes,<br />
geeignetes und zumutbares Verteilungsverfahren<br />
für in der Zahl beschränkte Telekommunikationslizenzen<br />
ist. Diskutiert werden dabei auch<br />
Gesichtspunkte, die das Entschließungs- und Auswahlermessen<br />
der Regulierungsbehörde bei der Auswahl<br />
des Vergabeverfahrens beschränken können, wie<br />
etwa unterschiedliche Marktzugangsbedingungen der<br />
Wettbewerber. Am Ende untersucht der Verfasser<br />
noch überblicksartig eine mögliche Beteiligung der<br />
Bundesländer an einem Versteigerungserlös.<br />
Müller-Terpitz, Ralf: Verwaltungsrechtliche<br />
Aspekte des Vergabeverfahrens nach § 11 TKG.<br />
– S. 75 – 82<br />
„Die UMTS-Versteigerung vom August 2000 hat<br />
nicht nur eine enorme Geldmenge in die chronisch<br />
leeren Kassen des Bundesfinanzministers gespült,<br />
sondern Juristen auch eine Fülle von Rechtsfragen<br />
hinsichtlich der Versteigerung öffentlicher Güter aufgegeben,<br />
über die seitdem trefflich gestritten wird. Im<br />
Mittelpunkt der Diskussion steht dabei die prinzipielle<br />
Zulässigkeit eines solchen Versteigerungsverfahrens,<br />
die im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG, das Finanzverfassungs-<br />
(Art. 105 ff. GG), Gemeinschaftsund<br />
Aktienrecht problematisiert wird. Nicht weniger<br />
von Interesse sind die bislang eher am Rande beleuchteten<br />
verwaltungsrechtlichen Aspekte, die sich im Zusammenhang<br />
mit einer Lizenzvergabe nach § 11 TKG<br />
stellen. Der Beitrag kommt insoweit zu dem Ergebnis,<br />
dass es sich bei der Auktion (§ 11 Abs. 4 TKG) bzw.<br />
der Ausschreibung (§ 11 Abs. 6 TKG) um gestufte<br />
Verwaltungsverfahren handelt, bei denen die jeweils<br />
erreichte Verfahrensstufe durch einen selbständig anfechtbaren<br />
Verwaltungsakt beschlossen wird. Er endet<br />
mit Überlegungen zur ,Rückabwicklung‘ des Vergabeverfahrens<br />
für den Fall einer erfolgreichen verwaltungsgerichtlichen<br />
Klage.“<br />
Spindler, Gerald: Haftung des Internet-Auktionsveranstalters<br />
für markenrechtsverletzende<br />
Inhalte Dritter. – S. 83 – 85<br />
Jg 5 (2002) Nr 3<br />
Kotthoft, Jost: Softwareerstellungs-Verträge<br />
nach der Schuldrechtsmodernisierung. – S. 105<br />
– 110<br />
Ladeur, Karl-Heinz: Europäisches Telekommunikationsrecht<br />
im Jahre 2001. – S. 110 – 120<br />
„Der Beitrag gibt einen Überblick über die Entwicklung<br />
des EG-Telekommunikationsrechts, insbesondere<br />
die Diskussion über das neue ,Telekommunikationspaket‘,<br />
das die bisherigen Rechtsakte ersetzen soll.<br />
Es wird auch das Telekommunikationsrecht in<br />
Deutschland wesentlich verändern: Dies gilt vor allem<br />
für das Verfahren und die stärkere Annäherung an das<br />
Wettbewerbsrecht. Daneben wird über neuere Entscheidungen<br />
der europäischen Gerichte und der Kommission<br />
berichtet, die für die Telekommunikation von<br />
Bedeutung sein können.“<br />
Koch, Alexander: Zur Einordnung von Internet-Suchmaschinen<br />
nach dem EGG. – S. 120 –<br />
127<br />
447
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
In dem Beitrag beschreibt der Verfasser zunächst die<br />
verschiedenen Erscheinungsformen von Suchmaschinen<br />
und versucht dann, die einzelnen Angebote in das<br />
Telekommunikations- und Multimediarecht einzuordnen.<br />
Daraufhin werden Anwendbarkeit und praktische<br />
Auswirkungen des neuen TDG-Haftungsrechts<br />
nach der Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie<br />
insbesondere vor dem Hintergrund des Verlinkens<br />
rechtswidriger Inhalte untersucht. Der Verfasser<br />
kommt zu dem Ergebnis, dass Suchmaschinen zwar<br />
gesetzlich erfassbar sind, aber nicht unmittelbar unter<br />
eine der Haftungsprivilegierungen des TDG fallen<br />
und plädiert insoweit für eine analoge Anwendung<br />
von § 10 TDG.<br />
Roth, Gregor; Groß, Marco: Pflichtangaben<br />
auf Geschäftsbrief und Bestellschein im Internet.<br />
– S. 127 – 135<br />
Schmittmann, Jens M.: Kosten beim Empfänger<br />
unerwünschter e-mail-Werbung. – S. 135 –<br />
138<br />
Dietrich, Christian: Der Zugang einer per E-<br />
Mail übermittelten Willenserklärung. – S. 138 –<br />
142<br />
Media, Culture & Society<br />
Jg 24 (2002) Nr 1<br />
Splichal, Slavko: The principle of publicity, public<br />
use of reason and social control. – S. 5 – 26<br />
Zhong, Yong: Debating with muzzled mouths:<br />
a case analysis of how control works in a Chinese<br />
television debate used for educating<br />
youths. – S. 27 – 48<br />
Pan, Xiaping: Consensus behind disputes: a<br />
critical discourse analysis of the media coverage<br />
of the right-of-abode issue in postcolonial<br />
Hong Kong. – S. 49 – 68<br />
Avraham, Eli: Social-political environment,<br />
journalism practice and coverage of minorities:<br />
the case of the marginal cities in Israel. – S. 69 –<br />
86<br />
Bennett, Andy: Music, media and urban mythscapes:<br />
a study of the „Canterbury Sound“. – S.<br />
87 – 100<br />
Healey, Tim; Ross, Karen: Growing old invisibly:<br />
older viewers talk television. – S. 105 – 120<br />
He, Zhue; Zhu, Jian-hua: The ecology of online<br />
newspapers: the case of China. – S. 121 – 138<br />
Jg 24 (2002) Nr 2<br />
Srinivas, Lakshmi: The active audience: spectatorship,<br />
social relations and the experience of<br />
cinema in India. – S. 155 – 174<br />
448<br />
Hallin, Daniel C.; Papathanassopoulos,<br />
Stylianos: Political clientelism and the media:<br />
Southern Europe and Latin America in comparative<br />
perspective. – S. 175 – 196<br />
Clayman, Steven E.: Tribune of the people:<br />
maintaining the legitimacy of aggressive journalism.<br />
– S. 197 – 216<br />
Kim, Pyungho; Sawhney, Harmeet: A machine-like<br />
new medium: theoretical examination<br />
of interactive TV. – S. 217 – 234<br />
Hope, Wayne: Whose all blacks?. – S. 235 – 254<br />
Abramson, Bram Dov: Country music and cultural<br />
industry: mediating structures in transnational<br />
media flow. – S. 255 – 274<br />
Media Perspektiven<br />
(2001) Nr 12<br />
Vogel, Andreas: Onlinestrategien der Pressewirtschaft:<br />
Bestandsaufnahme des Onlineengagements<br />
der großen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage.<br />
– S. 590 – 601<br />
Schütz, Walter J.: Deutsche Tagespresse 2001:<br />
Trotz Bewegung im Markt keine wesentliche<br />
Erweiterung des publizistischen Angebots. –<br />
S. 602 – 632<br />
Schütz, Walter J.: Redaktionelle und verlegerische<br />
Struktur der deutschen Tagespresse:<br />
Übersicht über den Stand 2001. – S. 633 – 642<br />
(2002) Nr 1<br />
Müller, Dirk K.: Nutzungsmessung des Radios:<br />
Uhr oder Ohr?: erfüllen Radiometersysteme<br />
die Anforderungen an die Erhebung der<br />
Hörfunknutzung?. – S. 2 – 8<br />
Feierabend, Sabine; Klingler, Walter: <strong>Medien</strong>und<br />
Themeninteressen Jugendlicher: Ergebnisse<br />
der JIM-Studie 2001 zum <strong>Medien</strong>umgang<br />
Zwölf- bis 19-Jähriger. – S. 9 – 21<br />
Oehmichen, Ekkehardt: Offliner 2001: Internetverweigerer<br />
und potenzielle Nutzer: ein<br />
Abschätzungsversuch der mittelfristigen Onlineverbreitung.<br />
– S. 22 – 33<br />
Woldt, Runar: Konturen des digitalen Kabelmarkts:<br />
sind Vielfalt und offener Zugang gewährleistet?.<br />
– S. 34 – 49
(2002) Nr 2<br />
Frey-Vor, Gerlinde; Gerhard, Heinz; Mende,<br />
Annette: Daten der <strong>Medien</strong>nutzung in Ostund<br />
Westdeutschland: Ergebnisse von 1992 bis<br />
2001 im Vergleich. – S. 54 – 69<br />
Frey-Vor, Gerlinde; Gerhard, Heinz; Mohr,<br />
Inge: Mehr Unterschiede als Annäherung: Informationsnutzung<br />
von Ost- und Westdeutschen:<br />
Einstellungen und Erwartungen. – S. 70<br />
– 76<br />
Krüger, Udo Michael: Politikvermittlung im<br />
Fernsehen: ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und Pro-<br />
Sieben im Vergleich. – S. 77 – 87<br />
Eckhardt, Josef; Mohr, Inge; Windgasse, Thomas:<br />
<strong>Medien</strong>nutzung bei Kindern: Radio im<br />
Abseits?: Ergebnisse einer Repräsentativbefragung<br />
in Berlin/Brandenburg und Nordrhein-<br />
Westfalen. – S. 88 – 104<br />
medien + erziehung<br />
Jg 46 (2002) Nr 2<br />
Körner, Sven: Den Body checken: Versuch<br />
über den Körper in <strong>Medien</strong>, Sport und Bio<strong>wissenschaft</strong>en.<br />
– S. 78 – 82<br />
Bieber, Christoph: Der Körper als Kapitalanlage:<br />
Politiker in alten und neuen <strong>Medien</strong>. – S. 83<br />
– 88<br />
Hahn, Kornelia: Körperrepräsentation in der<br />
<strong>Medien</strong>gesellschaft. – S. 89 – 94<br />
Weyland, Beate: Eine noch junge Disziplin:<br />
<strong>Medien</strong>pädagogik in Italien. – S. 111 – 117<br />
Hüther, Jürgen: Wegbereiter der <strong>Medien</strong>pädagogik<br />
(4): Martin Keilhacker (1894 – 1989).<br />
– S. 118-121<br />
<strong>Medien</strong> praktisch<br />
Jg 26 (2002) Nr 1<br />
Kübler, Hans-Dieter: 50plus – aber kaum älter:<br />
„Senioren“ und <strong>Medien</strong>. – S. 4 – 8<br />
Der Beitrag befasst sich mit der Rolle der über Fünfzigjährigen<br />
als Zielgruppe und Marktsegment, ihrer<br />
Darstellung in den <strong>Medien</strong> sowie ihrer <strong>Medien</strong>nutzung.<br />
Trotz ihres hohen Kaufkraftpotenzials und der<br />
vergleichsweise intensiven <strong>Medien</strong>nutzung wird den<br />
Senioren in den <strong>Medien</strong> vergleichsweise wenig Bedeutung<br />
geschenkt und ein sehr stereotypes Bild der Altersgruppe<br />
gezeichnet.<br />
Gast, Wolfgang: Die Ausgegrenzten: <strong>Medien</strong>und<br />
Werbeangebote und die 50+-Generation. –<br />
S. 9 – 13<br />
Zeitschriftenlese<br />
Stadelhofer, Carmen: www.senioren: Interneterschließung<br />
– auch für ältere Erwachsene!. –<br />
S. 14 – 18<br />
Das Internet bietet auch oder insbesondere für ältere<br />
Menschen vielfältige Möglichkeiten. Häufig fehlt es<br />
jedoch an Zugangsmöglichkeiten und medienpädagogischen<br />
Konzepten, um das Medium dieser Zielgruppe<br />
näher zu bringen. Die Autorin stellt in ihrem Beitrag<br />
verschiedene erfolgreiche Projekte vor (z.B. Senior-Info-Mobil,<br />
Senior-Internet-Cafés), weist aber<br />
auch auf Probleme und Bedarfe hin und zeigt konkrete<br />
Handlungsoptionen auf. Hierzu zählen u.a. der<br />
Aufbau von Kompetenz-Netzwerken, Maßnahmen<br />
zur Qualifizierung und Weiterbildung und der Aufund<br />
Ausbau von „regionalen Servicepoints“, an denen<br />
sich Seniorinnen und Senioren beim Einstieg ins Internet<br />
gegenseitig unterstützen.<br />
Stadelhofer, Carmen; Carls, Christian: Virtuelle<br />
Selbstlerngruppen: neue Anforderungen in<br />
der allgemeinen Weiterbildung für Ältere. –<br />
S. 19 – 22<br />
Die Autoren skizzieren verschiedene Projekte zum<br />
Selbstlernen, die vom Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche<br />
Weiterbildung der Universität Ulm<br />
(ZAWiW) in Kooperation mit älteren Menschen initiiert<br />
und durchgeführt wurden. Die sich daraus entwickelten<br />
Anschlussprojekte wie z.B. das „Virtuelle<br />
Lernnetzwerk für ältere Erwachsene (ViLE)“ machen<br />
deutlich, dass in diesem Bereich eine große Nachfrage<br />
seitens der Seniorinnen und Senioren besteht.<br />
Flueren, Hanns J.; Klein, Marion; Redetzki-<br />
Rodermann, Heidrun: Das Altersbild der deutschen<br />
Daily Soaps: Ergebnisse einer quantitativ-qualitativen<br />
Untersuchung. – S. 23 – 27<br />
Barthelmes, Jürgen: „Im Meer der Bilder tauche<br />
ich immer wieder auf“: was suchen die Jugendlichen<br />
in den <strong>Medien</strong>?: Ergebnisse einer<br />
Längsschnittstudie. – S. 28 – 33<br />
Vor dem Hintergrund einer Längsschnittstudie zu<br />
den „<strong>Medien</strong>erfahrungen von Jugendlichen“ beschäftigt<br />
sich der Autor u.a. mit der Frage, was Jugendliche<br />
in den <strong>Medien</strong> suchen. Die Ergebnisse der Studie zeigen,<br />
dass die Suche nach Sicherheit, Schutz und Stabilität<br />
nicht nur in der Adoleszenz, sondern auch in der<br />
<strong>Medien</strong>nutzung der Heranwachsenden eine bedeutende<br />
Rolle spielt: „Zur Bewältigung des heutigen Alltags<br />
gehört für Jugendliche auch dazu, Vertrautheit<br />
und Sicherheit im Umgang mit <strong>Medien</strong> zu erreichen.<br />
In der Auswahl ihrer Lieblingsfilme zeigt sich deutlich<br />
als Leitmotiv das Bedürfnis und die Suche nach Sicherheit,<br />
Verlässlichkeit und Geborgenheit.“ (S. 30)<br />
Sander, Ekkehard: Das neue Generationsverhältnis:<br />
wie <strong>Medien</strong>kompetenz in der Familie<br />
entsteht. – S. 33 – 37<br />
Ebenfalls mit Bezug auf die Längsschnittstudie „<strong>Medien</strong>erfahrung<br />
von Jugendlichen“ verweist der Autor<br />
auf die zentrale Bedeutung der Familie im Rahmen der<br />
<strong>Medien</strong>nutzung von Heranwachsenden. Auf der Basis<br />
einer Befragung von 22 Familien mit 13-/14-jährigen<br />
Kindern untersuchte der Autor die Frage, „ob in kul-<br />
449
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
turellen Gemeinsamkeiten von Eltern und ihren heranwachsenden<br />
Kindern ein neues Generationsverhältnis<br />
zum Ausdruck kommt.“ (S. 34). In den Gesprächen<br />
mit den Eltern wurde deutlich, dass <strong>Medien</strong>erlebnisse<br />
eine nachhaltige Bedeutung haben und eine<br />
Verständigungsgrundlage für die <strong>Medien</strong>nutzung und<br />
Geschmacksvorlieben von Kindern und Jugendlichen<br />
bieten.<br />
Vogelgesang, Waldemar: „Wir müssen surfen<br />
lernen“: ein Beitrag zur ungleichen Internetnutzung<br />
von Stadt- und Landjugendlichen. –<br />
S. 38 – 43<br />
Wenngleich bei der Internetnutzung eine Verringerung<br />
der geschlechtsspezifischen Unterschiede festzustellen<br />
ist, bestätigen die Ergebnisse den alters- und<br />
bildungsbedingten „digital divide“ und verweisen zugleich<br />
auf deutlich Unterschiede beim Surfen: Die<br />
Jüngeren respektive diejenigen mit niedrigerem Bildungsniveau<br />
surfen vor allem aus Spaß und laden sich<br />
vorzugsweise Dateien aus dem Netz, während die<br />
Älteren bzw. die Höhergebildeten das Internet<br />
primär als Informations- und <strong>Kommunikations</strong>medium<br />
nutzen. Daneben zeigen sich auch regionale<br />
Unterschiede: „Mädchen, jüngere und vor allem auf<br />
dem Land lebende Jugendliche mit einer niedrigeren<br />
Bildung haben einen deutlichen Nachholbedarf.“<br />
(S. 41) Der Autor plädiert in diesem Zusammenhang<br />
für die Förderung von <strong>Medien</strong>kompetenz durch<br />
subjektorientierte Formen aktiver <strong>Medien</strong>arbeit, „ansonsten<br />
ist zu befürchten, dass neue soziale Verwerfungen,<br />
entstehen bzw. vorhandene vertieft werden.“<br />
(S. 42)<br />
Grunder, Hans-Ulrich: Mädchen und <strong>Medien</strong>:<br />
geschlechtsspezifisch innovative Schulprojekte<br />
im Bereich der Neuen <strong>Medien</strong>. – S. 44 – 47<br />
Der Autor resümiert die Evaluationsergebnisse verschiedener<br />
<strong>Medien</strong>projekte zur geschlechtsspezifischen<br />
Nutzung Neuer <strong>Medien</strong>, die in Baden-Württemberg<br />
durchgeführt wurden. Im Mittelpunkt steht<br />
die Frage nach motivierenden Unterrichtsmaßnahmen<br />
und die Realisierungsmöglichkeiten medienpädagogischer<br />
Konzepte. Befragt wurden die Beteiligten<br />
von 10 erfolgreich durchgeführten Projekten. Obwohl<br />
gleich vorweg betont wird, dass die Studie eindeutig<br />
die Nutzung von medienpädagogischen<br />
Projekten für Mädchen belege, zeigt der Beitrag, dass<br />
nicht nur monoedukativ angelegte, sondern auch koedukative<br />
Projekte gewinnbringend sein können. Entscheidend<br />
scheint vor allem die Sensibilität aller Beteiligten<br />
für die Thematik. Fortbildungsangebote und<br />
andere Formen der Unterstützung sind in diesem Zusammenhang<br />
von zentraler Bedeutung.<br />
Gerhard, Cordula; Pohlmann, Horst: Projekt<br />
Jumek: Vermittlung multimedialer Kompetenzen<br />
bei sozial benachteiligten Jugendlichen. –<br />
S. 47 – 49<br />
Hinter der Abkürzung „Jumek“ verbirgt sich das Projekt<br />
Jugend<strong>Medien</strong>Kompetenz des „Computerprojekts<br />
Köln“, in dessen Rahmen insbesondere benachteiligte<br />
Jugendliche im Bereich Multimedia gefördert<br />
werden sollen. Ziel ist es, durch die Zugangseröffnung<br />
zu medialen Bildungsangeboten zum einen das Selbstwertgefühl<br />
und zum anderen die Partizipationsmög-<br />
450<br />
lichkeiten, Berufs- und Lebensperspektiven von Heranwachsenden<br />
zu verbessern.<br />
Bickelhaupt, Thomas; Buschmann, Gerd: Die<br />
Erschaffung Adams in der Werbung: Michelangelos<br />
Deckenfresko der Sixtina in einem<br />
Massenmedium, Teil 1. – S. 57 – 61<br />
Mikos, Lothar: Eleven-Nine, das Fernsehen<br />
und die Folgen: Anmerkungen zur Katastrophen-<br />
und Kriegsberichterstattung. – S. 61 – 63<br />
Heidtmann, Horst: „Am coolsten sind Spiele<br />
so mit 3-D“: Multimedia im <strong>Medien</strong>alltag von<br />
Kindern und Jugendlichen. – S. 63 – 66<br />
Multimedia und Recht<br />
Jg 5 (2002) Nr 2<br />
Roßnagel, Alexander: Weltweites Internet –<br />
globale Rechtsordnung?. – S. 67 – 70<br />
„Im Internet findet ein Geschäfts- und Rechtsverkehr<br />
ohne Grenzen statt. Weit über einhundert Staaten mit<br />
jeweils eigenen Rechtsordnungen sind an das Internet<br />
angeschlossen. Daher drängt sich die Frage auf, ob ein<br />
weltweiter Geschäfts- und Rechtsverkehr mit so vielen<br />
Rechtsordnungen auskommen kann oder ob das<br />
Internet eine globale Rechtsordnung benötigt. Diese<br />
Frage soll im Folgenden zu beantworten versucht<br />
werden, indem sie in die in ihr enthaltenen Teilfragen<br />
aufgespaltet wird. Zunächst wird untersucht, ob überhaupt<br />
Regelungen im Internet benötigt werden, und<br />
hier anschließend, ob dafür eine spezifische Ordnung<br />
erforderlich ist. Weiter ist zu fragen, ob diese Ordnung<br />
als Rechtsordnung von demokratisch gewählten<br />
Gesetzgebern aufgestellt werden muss oder ob sie<br />
nicht ebenso oder gar besser in Form von Selbstregulierung<br />
oder durch Techniklösungen gefunden werden<br />
sollte. Schließlich wird die Frage beantwortet, ob<br />
eine globale Rechtsordnung benötigt wird und wie<br />
diese erreicht werden könnte.“<br />
Fischer, Martin; Galster, Rüdiger: Auswirkungen<br />
der Schuldrechtsmodernisierung auf Telekommunikationsverträge.<br />
– S. 71 – 74<br />
Sedlmeier, Tobias; Kolk, Daniel: ASP: eine vertragstypologische<br />
Einordnung. – S. 75 – 80<br />
Czychowski, Christian; Bröcker, Klaus Tim:<br />
ASP: ein Auslaufmodell für das Urheberrecht?.<br />
– S. 81 – 83<br />
Mietzel, Jan Gerd; Hero, Marco: Sittenwidriger<br />
Domainhandel: gibt es die „Hinterhaltsdomain“?.<br />
– S. 84 – 88<br />
Jg 5 (2002) Nr 3<br />
Metzger, Axel; Kreutzer, Till: Richtlinie zum<br />
Urheberrecht in der „Informationsgesellschaft“:<br />
Privatkopie trotz technischer Schutzmaßnahmen?.<br />
– S. 139 – 141
Eichmann, Daniel; Sörup, Thorsten: Das Telefongewinnspiel:<br />
zwischen Strafbarkeit und<br />
Wettbewerbsverstoß. – S. 142 – 147<br />
Bremer, Karsten: Radikal-politische Inhalte<br />
im Internet: ist ein Umdenken erforderlich?. –<br />
S. 147 – 152<br />
Der Beitrag gibt einen Überblick über bisherige und<br />
aktuelle Ansätze und Vorschläge zur Eindämmung<br />
strafbarer und radikaler politischer Inhalte und deren<br />
Erfolge bzw. Defizite. Erörtert wird auch, inwieweit<br />
eine Selbstkontrolle der Nutzer zur Eingrenzung der<br />
Verbreitung solcher Veröffentlichungen beitragen<br />
kann. Vor dem Hintergrund praktischer und rechtlicher<br />
Hindernisse bei der Durchsetzung bisheriger<br />
Ansätze schlägt der Verfasser eine Erweiterung des<br />
aktiven Personalitätsprinzips vor, wodurch deutsche<br />
Täter haftbar gemacht werden, die bislang aus dem<br />
Ausland agieren, wo sie vor den deutschen und den jeweiligen<br />
nationalen Strafverfolgungsbehördensicher<br />
sind.<br />
Hellmich, Stefanie: Location based services:<br />
datenschutzrechtliche Anforderungen. – S. 152<br />
– 158<br />
„Der Beitrag beschäftigt sich mit den datenschutzrechtlichen<br />
Anforderungen an die Erbringung von<br />
,Location Based Services’, sog. standortbasierte<br />
Dienste. Auf Grund des Zusammenwirkens verschiedener<br />
Anbieter bei der Bereitstellung dieser Dienste<br />
und des gesetzlich nicht näher geregelten Umgangs<br />
mit Standortdaten bestehen hinsichtlich der datenschutzrechtlichen<br />
Pflichten der Anbieter zahlreiche<br />
Unklarheiten. Die Richtlinie des Europäischen Parlamentes<br />
und des Rates über die Verarbeitung personenbezogener<br />
Daten und den Schutz der Privatsphäre<br />
in der elektronischen Kommunikation in der Fassung<br />
des Entwurfs der Kommission v. 12.7.2000 und der<br />
vom Rat abgeänderten Fassung v.13.11.2001 führt<br />
weit reichende Vorgaben für Anbieter ein und stellt<br />
insbesondere die bisherige Unterscheidung im deutschen<br />
Recht zwischen Anbietern von Telediensten<br />
und Anbietern von Telekommunikations(TK)-Diensten<br />
in Frage.“<br />
Multimedia und Recht, Beilage<br />
Jg 5 (2002) Nr 3<br />
Schuster, Fabian; Müller, Ulf; Drewes, Stefan:<br />
Entwicklung des Internet- und Multimediarechts<br />
von April bis Dezember 2001. – S. 1 – 44<br />
Der nach einzelnen Schwerpunktthemen gegliederte<br />
Beitrag vermittelt eine Übersicht über die in den letzten<br />
Monaten ergangenen rechts<strong>wissenschaft</strong>lichen<br />
Diskussionen und gerichtlichen wie politischen Entscheidungen<br />
in den Bereichen Telekommunikation,<br />
E-Commerce, Haftungsfragen im Internet, Domainstreitigkeiten,<br />
Urheberrecht und Datenschutz. Am<br />
Ende der einzelnen Schwerpunkte weisen die Verfasser<br />
auf die zum Thema gehörenden Entscheidungen<br />
und rechts<strong>wissenschaft</strong>lichen Beiträge hin.<br />
New media & society<br />
Jg 4 (2002) Nr 1<br />
Papacharissi, Zizi: The virtual sphere: the In-<br />
Zeitschriftenlese<br />
ternet as a public sphere. – S. 9 – 28<br />
„(...) Das Internet und verwandte Technologien haben<br />
einen neuen öffentlichen Raum für die politische Auseinandersetzung<br />
geschaffen; ob sich dieser Raum zu<br />
einer Öffentlichkeit entwickelt, hängt nach Auffassung<br />
der Verfasserin nicht von der Technologie ab.“<br />
Martinson, Anna M.; Walker Vaughan, Misha;<br />
Schwartz, Nancy: Women’s experiences of<br />
leisure: implications for design. – S. 29 – 50<br />
Vrooman, Steven S.: The art of invective: performing<br />
identity in cyberspace. – S. 51 – 70<br />
Der Verfasser untersucht das Phänomen des „Flaming“<br />
im Bereich der computervermittelten Kommunikation.<br />
Aus einer rhetorischen Perspektive ordnet er<br />
es in die Geschichte der Beschimpfungen in Kunst und<br />
Gesellschaft ein. Er wendet sich gegen die technikdeterministische<br />
Auffassung, Flaming gehe kausal auf<br />
Charakteristika der computervermittelten Kommunikation<br />
zurück. Angesichts der strategischen Orientierung<br />
verschiedener Arten von Beschimpfungen plädiert<br />
er dafür, in diesen den Ausdruck sozialer und individueller<br />
Identitätsbildung zu sehen.<br />
Spitzberg, Brian H.; Hoobler, Gregory: Cyberstalking<br />
and the technologies of interpersonal<br />
terrorism. – S. 71 – 92<br />
Winseck, Dwayne: Illusions of perfect information<br />
and fantasies of control in the information<br />
society. – S. 93 – 122<br />
Political Communication<br />
Jg 19 (2002) Nr 1<br />
Goldstein, Ken; Freedman, Paul: Lessons<br />
learned: campaign advertising in the 2000 elections.<br />
– S. 5 – 28<br />
Valentino, Nicholas A.; Traugott, Michael W.;<br />
Hutchings, Vincent L.: Group cues and ideological<br />
constraint: a replication of political advertising<br />
effects studies in the lab and in the<br />
field. – S. 29 – 48<br />
Althaus, Scott L.; Nardulli, Peter F.: Candidate<br />
appearances in presidential elections, 1972 –<br />
2000. – S. 49 – 72<br />
Cappella, Joseph N.; Price, Vincent; Nir,<br />
Lilach: Argument repertoire as a reliable and<br />
valid measure of opinion quality: electronic<br />
dialogue during campaign 2000. – S. 73 – 94<br />
Price, Vincent; Cappella, Joseph N.; Nir,<br />
Lilach: Does disagreement contribute to more<br />
deliberative opinion?. – S. 95 – 112<br />
Hall Jamieson, Kathleen; Waldmann, Paul: The<br />
morning after: the effect of the network call for<br />
Bush. – S. 113 – 118<br />
451
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Public Opinion Quarterly<br />
Jg 65 (2001) Nr 4<br />
Bishop, George; Smith, Andrew: Response-order<br />
effects and the early Gallup split-ballots. –<br />
S. 479 – 505<br />
Canache, Damarys; Mondak, Jeffery J.; Seligson,<br />
Mitchell A.: Meaning and measurement<br />
in cross-national research on satisfaction with<br />
democracy. – S. 506 – 528<br />
Epstein, Joan Faith; Ripley Parker, Peggy;<br />
Kroutil, Larry A.: Mode effects in self-reported<br />
mental health data. – S. 529 – 549<br />
TelevIZIon<br />
Jg 14 (2001) Nr 2<br />
Kübler, Hans-Dieter: Vom Fernsehkindergarten<br />
zum multimedialen Kinderportal. – S. 4 – 17<br />
„Die Wünsche der Kinder an ihr bevorzugtes Medium<br />
Fernsehen sind von Beginn an bis heute eher gleich geblieben.<br />
Sie wollen Spaß haben, unterhalten werden<br />
und hin und wieder auch etwas lernen. Ein kaum noch<br />
zu überblickender „<strong>Medien</strong>betrieb“ – zuständig für<br />
das Kinderfernsehen – hat sich hieran abgearbeitet.“<br />
Liedemann, Dieter: Kinderfernsehen zwischen<br />
Fantasie und Pädagogik: Notizen zum Kinderfernsehen<br />
in der DDR. – S. 18 – 22<br />
Erlinger, Hans Dieter: Notizen zum goldenen<br />
Zeitalter des Angebotsfernsehens für Kinder. –<br />
S. 23 – 26<br />
Löhr, Paul: Gut geträumt ist halb gewonnen:<br />
die Träume der Kinderfernseh-Schaffenden. –<br />
S. 27 – 30<br />
„Das Kinderfernsehen in Deutschland wurde bei seinem<br />
Start von Idealisten gestaltet, die daran gingen,<br />
die Wirkmächtigkeit dieses Mediums inhaltlich, ästhetisch<br />
und dramatisch zu nutzen, um Kinder zu fördern.“<br />
Mikos, Lothar: Fantasiewelten und Fantasiegeschichten:<br />
Ästhetik des Kinderfernsehens und<br />
die Erinnerungen junger Erwachsener. – S. 31 –<br />
37<br />
„Kinder entnehmen dem Fernsehen symbolisches<br />
Material, um ihre Fantasien ästhetisch zu gestalten.<br />
Die Programme des Kinderfernsehens gehen zu wenig<br />
auf diese Bedürfnisse ein.“<br />
Müller, Susanne: Als Maja mit Timm Thaler in<br />
der Kiste rappelte: Kinderprogrammredakteure<br />
sind keine Träumer. – S. 38 – 41<br />
Müntefering, Gert K.: Die Träume der ARD<br />
zum Kinderfernsehen: eine notwendigerweise<br />
wache Betrachtung. – S. 42 – 43<br />
452<br />
Albers, Margret: Hauptsache bunt?: ein kurzer<br />
Überblick über die Entwicklung des Kinderfernsehens<br />
privater TV-Sender. – S. 44 – 46<br />
TMR<br />
Jg 54 (2002) Nr 1<br />
Tschoepe, Sven: Jurisdictional and choice-oflaw-aspects<br />
of mobile commerce and mobile<br />
services, Part II. – S. 5 – 13<br />
Kugelmann, Dieter: Völkerrechtliche Mindeststandards<br />
für die Strafverfolgung im Cyberspace:<br />
die Cyber-Crime Konvention des Europarates.<br />
– S. 14 – 23<br />
Heisz, Janina: Rough justice: zur Uniform Dispute<br />
Resolution Policy der ICANN. – S. 24 –<br />
33<br />
Tolley’s Communications Law<br />
Jg 7 (2002) Nr 1<br />
Osborne, Dawn; Palmer, Steve: To register or<br />
not to register, that is the question?: domain<br />
name registration strategy. – S. 3 – 8<br />
Davies, Clive: Software licensing in the 21stcentury.<br />
– S. 8 – 13<br />
Johnson, Karen: The legality of prize competitions:<br />
could it be you?. – S. 13 – 15<br />
Trends in Communication<br />
Jg 31 (2001) Nr 8<br />
Scarbrough, Harry; Swan, Jacky: Knowledge<br />
communities and innovation. – S. 7 – 20<br />
Sole, Deborah; Huysman, Marleen: Knowledge,<br />
practice and the role of location: a community<br />
of practice perspective. – S. 21 – 36<br />
Hippel, Eric von: Innovation by User Communities.<br />
– S. 37 – 44<br />
Broendsted, Jens; Elkjaer, Bente: Learning with<br />
ICT in communities of practice. – S. 45 – 63<br />
Asensio, Mireia; Hodgson, Vivien: Virtual<br />
communities in education: culture or cultural<br />
artifact?. – S. 65 – 76<br />
Huysman, Marleen; Baalen, Peter van: Knowledge<br />
sharing, communities, and social capital:<br />
a relational base of knowledge management. –<br />
S. 77 – 90
Zeitschrift für <strong>Medien</strong>psychologie<br />
Jg 14 (2002) Nr 1<br />
Schiffer, Kathrin; Ennemoser, Marco; Schneider,<br />
Wolfgang: Die Beziehung zwischen dem<br />
Fernsehkonsum und der Entwicklung von<br />
Sprach- und Lesekompetenzen im Grundschulalter<br />
in Abhängigkeit von der Intelligenz.<br />
– S. 2 – 13<br />
Knobloch, Silvia; Zillmann, Dolf; Gibson,<br />
Rhonda: Effects of salient news items on information<br />
acquisition and issue perception. – S. 14<br />
– 22<br />
Dumont, Kitty; Neumann, Jörg; Frindte,<br />
Wolfgang: Determinanten der E-Mail-Nutzung<br />
bei Wissenschaftlern. – S. 23 – 33<br />
Krämer, Nicole C.: <strong>Medien</strong>psychologische<br />
Methoden: können virtuelle Helfer uns wirklich<br />
helfen?: Verfahren zur Evaluation von anthropomorphenMensch-Technik-Schnittstellen.<br />
– S. 34 – 37<br />
ZUM<br />
Jg 46 (2002) Nr 2<br />
Schwarze, Jürgen: Grenzen der Harmonisierungskompetenz<br />
der EG im Presserecht: zugleich<br />
eine Anmerkung zum zweiten Vorschlag<br />
der Kommission über eine Tabakwerbe-Richtlinie<br />
vom 30. Mai 2001. – S. 89-96<br />
Der Autor setzt sich mit der Frage auseinander, inwieweit<br />
die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene<br />
Tabakwerbe-Richtlinie von den Kompetenzen<br />
der Europäischen Gemeinschaft gedeckt ist.<br />
Hierzu werden zunächst die relevanten Passagen aus<br />
dem Urteil des EuGH zum Tabakwerbeverbot dargestellt,<br />
und im Anschluss wird die Reichweite der<br />
Kompetenz der Gemeinschaft zu presserechtlichen<br />
Regelungen unter Einbeziehung auch der vom Gerichtshof<br />
nicht berücksichtigten Gesichtspunkte untersucht.<br />
Der Beitrag geht dabei insbesondere auf die<br />
Frage ein, ob sich aus der Tatsache, dass der Pressemarkt<br />
nur in geringem Maße grenzüberschreitenden<br />
Charakter aufweist, Einschränkungen für die Regelungskompetenz<br />
der Gemeinschaft ergeben. Das Ergebnis<br />
der Untersuchung lautet, dass die Kommission<br />
mit ihrem Richtlinienvorschlag vom 30.5.2001 über<br />
ein gemeinschaftsweites Verbot der Tabakwerbung<br />
die Grenzen der Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft<br />
überschritten habe.<br />
Görlitz, Niklas: Tabakwerbung und Europa:<br />
im zweiten Anlauf endlich am Ziel?: der Vorschlag<br />
der Kommission für eine Richtlinie über<br />
Werbung und Sponsoring zu Gunsten von Tabakerzeugnissen<br />
und dessen Vereinbarkeit mit<br />
primären Gemeinschaftsrecht. – S. 97 – 105<br />
Gersdorf, Hubertus: <strong>Medien</strong>rechtliche Anfor-<br />
Zeitschriftenlese<br />
derungen an die Veranstaltung privater Vollprogramme<br />
unter besonderer Berücksichtigung<br />
des Merkmals der Information. – S. 106 –<br />
113<br />
Dem Beitrag liegt ein Rechtsgutachten zu Grunde, das<br />
der Verfasser im Auftrag des Verbandes Privater<br />
Rundfunk und Telekommunikation e.V. (VPRT) erstellt<br />
hat. Hintergrund der Untersuchung ist der von<br />
Verantwortlichen der Rundfunkaufsicht und von<br />
sonstigen Kreisen erhobene Vorwurf, (einzelne) private<br />
Rundfunkveranstalter erfüllten kaum noch ihre<br />
Verpflichtung als Vollprogrammveranstalter (etwa<br />
wegen eines schwindenden „Politikanteils“). Bei einem<br />
Vollprogramm handelt es sich laut Rundfunkstaatsvertrag<br />
um ein Rundfunkprogramm mit vielfältigen<br />
Inhalten, in welchem Information, Bildung, Beratung<br />
und Unterhaltung einen wesentlichen Teil des<br />
Gesamtprogramms bilden. Der Autor kommt unter<br />
anderem zu dem Ergebnis, dass eine Gleichsetzung<br />
des Begriffs der Information mit der Berichterstattung<br />
über Politik im Rundfunkstaatsvertrag keine Stütze<br />
finde. Der einfachgesetzliche Informationsbegriff sei<br />
inhaltsneutral und betreffe die Berichterstattung über<br />
alle Lebensbereiche. Die Elemente „Information, Bildung,<br />
Beratung und Unterhaltung“ bezögen sich allein<br />
auf die Art und Weise der Vermittlung von Inhalten;<br />
sie seien reine Darstellungsformen. Die von dem<br />
Gesetzgeber gewählten Begriffsbestimmungen seien<br />
daher ungeeignet, die intendierte Abgrenzung zwischen<br />
Voll- und Spartenprogrammen vorzunehmen.<br />
Freys, Alexander: Zur Zulässigkeit von beschreibenden<br />
Domains im Internet: Anmerkung<br />
zum Urteil des BGH „Mitwohnzentrale.de“.<br />
– S. 114 – 118<br />
Reinwald, Gerhard: Jugendmedienschutz im<br />
Telekommunikationsbereich in Bundeskompetenz?:<br />
verfassungsrechtliche Überlegungen<br />
im Umfeld des Art. 74 Abs. 1Nr. 7 GG. – S. 119<br />
– 125<br />
Der Verfasser ist Fachreferent im Bereich Recht der<br />
Bayerischen Landeszentrale für neue <strong>Medien</strong> in München.<br />
Anlässlich der geplanten neuen Jugendschutzregelungen<br />
auf der Ebene des Bundes und der Ebene der<br />
Länder (dort in Form des Jugendmedienschutzstaatsvertrags)<br />
geht der Verfasser der Frage der Regelungskompetenzen<br />
in diesem Bereich nach. Er untersucht,<br />
inwieweit sich eine Kompetenz des Bundes aus Art. 74<br />
Abs. 1 Nr. 7 GG („öffentliche Fürsorge“) herleiten<br />
lässt. Das Ergebnis lautet, dass dem Bund „zumindest<br />
keine Kompetenz im Bereich der elektronischen <strong>Medien</strong>“<br />
zugesprochen werden könne.<br />
Hopf, Kristina: Zwischen Intendantenbefugnis<br />
und Zensurverbot: Jugendschutz in privaten<br />
Rundfunkangeboten in Bayern: Tagungsbericht<br />
zum 4. BLM-Symposion <strong>Medien</strong>recht<br />
2001. – S. 126 – 130<br />
Jg 46 (2002) Nr 3<br />
Rehbinder, Manfred; Schmaus, Stefan: Rechtsfragen<br />
beim E-Book-Verlagsvertrag: zugleich<br />
453
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
ein Beitrag zum einhundertsten Jahrestag des<br />
Inkrafttretens des Gesetzes über das Verlagsrecht<br />
am 1. Januar 2002. – S. 167 – 170<br />
Becker, Bernhard von: Vertrieb von Verlagserzeugnissen.<br />
– S. 171 – 181<br />
Schaefer, Klaus; Kreile, Johannes; Gerlach,<br />
Sascha: Nationale Filmförderung: Einfluss und<br />
Grenzen des europäischen Rechts. – S. 182 –<br />
193<br />
454<br />
Pfennig, Gerhard: Die Harmonisierung des<br />
Folgerechts in der EU. – S. 194 – 201<br />
Müller, Tobias: Konkurrenz von Einwilligungsberechtigten<br />
in der Neufassung des § 22<br />
KUG: zugleich Besprechung von OLG München<br />
ZUM 2001, 708. – S. 202 – 204<br />
Kläver, Magdalene: Vermögensrechtliche Aspekte<br />
des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts.<br />
– S. 205 – 209
Literaturverzeichnis<br />
11 Bibliographien. Lexika<br />
12 Jahrbücher. Geschäftsberichte<br />
21 <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> und -forschung<br />
22 Journalismus. <strong>Medien</strong>berufe<br />
23 Publizistische Persönlichkeiten<br />
24 <strong>Medien</strong>institute<br />
31 Kommunikation<br />
32 <strong>Kommunikations</strong>politik<br />
33 Lokalkommunikation. Bundesländer<br />
41 Massenkommunikation Politik<br />
42 Massenkommunikation Gesellschaft<br />
43 Massenkommunikation Kultur<br />
11 Bibliographien. Lexika<br />
Hörfunk und Fernsehen: Aufsatznachweis aus<br />
Zeitschriften und Sammelwerken; Jahresband<br />
2001. – Köln: WDR, 2002. – 369 S.<br />
21 <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> und<br />
-forschung<br />
Einführung in die <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>: Konzeptionen,<br />
Theorien, Methoden, Anwendungen/Rusch,<br />
Gebhard (Hrsg.). – Wiesbaden:<br />
Westdeutscher, 2002. – 393 S.<br />
Einführung in die Publizistik<strong>wissenschaft</strong>/Jarren,<br />
Otfried; Bonfadelli, Heinz (Hrsg.). – Wien:<br />
Haupt, 2001. – 538 S.<br />
How to publish your communication research:<br />
an insider’s guide/Alexander, Alison; Potter,<br />
James (Hrsg). – London: Sage, 2001. –<br />
161 S.<br />
22 Journalismus. <strong>Medien</strong>berufe<br />
Ehmig, Simone Christine: Generationswechsel<br />
im deutschen Journalismus: zum Einfluß historischer<br />
Ereignisse auf das journalistische<br />
Selbstverständnis. – Freiburg: Alber, 2000. –<br />
388 S. (Alber-Reihe Kommunikation; 26)<br />
Foerstel, Herbert N.: From Watergate to Monicagate:<br />
ten controversies in modern journalism<br />
and media. – Westport: Greenwood Pr.,<br />
2001. – 279 S.<br />
Jogschies, Rainer: Emotainment – Journalismus<br />
am Scheideweg: der Fall Sebnitz und seine<br />
Folgen. – Münster: Lit, 2001. – 182 S. (Journalismus:<br />
Theorie und Praxis; 1)<br />
51 Telekommunikation. Informationsgesellschaft<br />
52 Neue Technologien. Multimedia<br />
61 Internationale Kommunikation<br />
62 Europa Kommunikation<br />
71 Massenmedien, allgemein<br />
72 <strong>Medien</strong> Bildung<br />
73 <strong>Medien</strong> Ökonomie<br />
74 <strong>Medien</strong> Recht<br />
75 Rundfunk<br />
76 Werbung<br />
81 Publikum. <strong>Medien</strong>nutzung<br />
82 Rezeptionsforschung<br />
83 Kinder Jugendliche <strong>Medien</strong><br />
91 Literatur zu einzelnen Ländern<br />
Journalistenausbildung für eine veränderte <strong>Medien</strong>welt:<br />
Diagnosen, Institutionen, Projekte/<br />
Altmeppen, Klaus-Dieter; Hömberg, Walter<br />
(Hrsg.). – Wiesbaden: Westdt. Verl., 2002. –<br />
190 S.<br />
Die Kultur der <strong>Medien</strong>: Untersuchungen zum<br />
Rollen- und Funktionswandel des Kulturjournalismus<br />
in der <strong>Medien</strong>gesellschaft/ Haller,<br />
Michael (Hrsg.). – Münster: LIT Verl., 2002. –<br />
234 S. (<strong>Medien</strong>: Forschung und Wissenschaft; 1)<br />
Leschke, Rainer: Einführung in die <strong>Medien</strong>ethik.<br />
– München: Fink, 2001. – 385 S. (UTB für<br />
Wissenschaft; 2250)<br />
Markel, Mike: Ethics in technical communication:<br />
a critique and synthesis. – Westport: Ablex<br />
Publ., 2001. – 262 S.<br />
<strong>Medien</strong>ethik zwischen Theorie und Praxis:<br />
Normen für die <strong>Kommunikations</strong>gesellschaft/<br />
Schicha, Christian; Brosda, Carsten (Hrsg.). –<br />
Münster: Lit Verl., 2000. – 223 S. (ikö-Publikationen;<br />
2)<br />
<strong>Medien</strong>sprache – <strong>Medien</strong>kritik/ Breuer, Ulrich;<br />
Korhonen, Jarmo (Hrsg.). – Frankfurt: Lang,<br />
2001. – 386 S. (Finnische Beiträge zur Germanistik;<br />
4)<br />
Wortverbunden – zeitbedingt: Perspektiven<br />
der Zeitschriftenforschung/Hackl, Wolfgang;<br />
Krolop, Kurt (Hrsg.). – Innsbruck: Studien-<br />
Verl., 2001. – 344 S<br />
24 <strong>Medien</strong>institute. Bibliotheken. Datenbanken<br />
Vernetzungen: Archivdienstleistungen in Presse,<br />
Rundfunk und Online-<strong>Medien</strong>/ Englert,<br />
Marianne; Lange, Eckhard Schmitt, Heiner<br />
455
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
(Hrsg.). – Hamburg: Lit, 2001. – 302 S. (Beiträge<br />
zur <strong>Medien</strong>dokumentation; 5)<br />
31 Kommunikation<br />
Bildschirm – <strong>Medien</strong> – Theorien/Gendolla, Peter;<br />
Ludes, Peter; Roloff, Volker (Hrsg.). –<br />
München: Fink, 2001. – 183 S.<br />
Faßler, Manfred: Netzwerke: Einführung in<br />
die Netzstrukturen, Netzkulturen und verteilte<br />
Gesellschaftlichkeit. – München: Fink, 2001.<br />
– 324 S.<br />
Kommunikation im Gespräch: Festschrift für<br />
Franz R. Stuke/ Kruck, Peter (Hrsg.). – Münster:<br />
Daedalus-Verl., 2002. – 253 S. (Kommunikation<br />
im Gespräch; 4)<br />
33 Lokalkommunikation. Bundesländer<br />
Burkhardt, Wolfgang: Ein Medium setzt sich<br />
durch – Das lokale Fernsehen in Thüringen:<br />
Reichweite und Akzeptanz. – München:<br />
KoPäd Verl., 2002. – 132 S. (TLM-Schriftenreihe;<br />
14)<br />
Wichert, Lothar: Radioprofile in Berlin-Brandenburg:<br />
die privaten und zwei öffentlichrechtliche<br />
Programme im Vergleich. – Berlin:<br />
Vistas, 2002. – 121 S. (Schriftenreihe der<br />
MABB; 14)<br />
41 Massenkommunikation Politik<br />
Bellers, Jürgen: Politische Ökonomie der <strong>Medien</strong>.<br />
– Münster: Lit, 2002. – 119 S. (Einführungen<br />
Politik; 3)<br />
Eilders, Christiane: Conflict and Consonance<br />
in Media Opinion: Political Positions of five<br />
German Quality Newspapers. – Berlin: Wissenschaftszentrum<br />
für Sozialforschung, 2001. –<br />
34 S. (WZB Discussion Paper; P 01-702)<br />
Kriesi, Hanspeter: Die Rolle der Öffentlichkeit<br />
im politischen Entscheidungsprozess. – Berlin:<br />
Wissenschaftszentrum für Sozialforschung,<br />
2001. – 62 S. (WZB Discussion Paper; P 01-701)<br />
Public information campaigns and opinion research:<br />
a handbook for the Student & Practitioner/<br />
Klingemann, Hans-Dieter; Römmele,<br />
Andrea (Hrsg.). – London: Sage, 2002. – 193 S.<br />
42 Massenkommunikation Gesellschaft<br />
Downing, John D. H.: Radical media: rebellious<br />
communication and social movements. –<br />
London: Sage, 2001. – 426 S.<br />
456<br />
43 Massenkommunikation Kultur<br />
Bock, Wolfgang: Bild – Schrift – Cyberspace:<br />
Grundkurs <strong>Medien</strong>wissen. – Bielefeld: Aisthesis<br />
Verl., 2002. – 262 S.<br />
Frey, Siegfried: Die Macht des Bildes: der Einfluß<br />
der nonverbalen Kommunikation auf Kultur<br />
und Politik. – Bern: Huber, 1999. – 173 S.<br />
Kommunikation visuell: das Bild als Forschungsgegenstand<br />
– Grundlagen und Perspektiven/Knieper,<br />
Thomas; Müller, Marion<br />
G. (Hrsg.). – Köln: Halem, 2001. – 283 S.<br />
Prix Europa: Yearbook 2001. – Berlin: Prix Europa,<br />
2001. – 195 S.<br />
Straßner, Erich: Text-Bild-Kommunikation,<br />
Bild-Text-Kommunikation. – Tübingen: Niemeyer,<br />
2002. – 106 S. (Grundlagen der <strong>Medien</strong>kommunikation;<br />
13)<br />
Wohlfromm, Anja: Museum als Medium –<br />
Neue <strong>Medien</strong> in Museen: Überlegungen zu<br />
Strategien kultureller Repräsentation und ihre<br />
Beeinflussung durch digitale <strong>Medien</strong>. – Köln:<br />
Halem, 2002. – 139 S. (Forum neue <strong>Medien</strong>; 2)<br />
51 Telekommunikation. Informationsgesellschaft<br />
Convergence of telecommunications and<br />
broadcasting in Japan, United Kingdom and<br />
Germany: technological change, public policy<br />
and market structure/Nakamura, Kiyoshi; Agata,<br />
Koichiro (Hrsg.). – Richmond: Curzon Pr.,<br />
2001. – 159 S.<br />
Holznagel, Bernd; Grünwald, Andreas; Hanßmann,<br />
Anika: Elektronische Demokratie: Bürgerbeteiligung<br />
per Internet zwischen Wissenschaft<br />
und Praxis. – München: Beck, 2001. – 220<br />
S. (Information und Recht; 24)<br />
Schneider, Volker: Die Transformation der Telekommunikation:<br />
vom Staatsmonopol zum<br />
globalen Markt (1800-2000). – Frankfurt a.<br />
Main: Campus Verl., 2001. – 344 S.<br />
Stumpf, Ulrich: Prospects for Improving Competition<br />
in Mobile Roaming. – Bad Honnef:<br />
WIK, 2002. – 28 S. (Diskussionsbeiträge; 232)<br />
52 neue Technologien. Multimedia<br />
Brandl, Annette: Webangebote und ihre Klassifikation:<br />
Typische Merkmale aus Expertenund<br />
Rezipientenperspektive. – München: R.<br />
Fischer, 2002. – 176 S. (Angewandte <strong>Medien</strong>forschung;<br />
21)
Chat-Kommunikation: Sprache, Interaktion,<br />
Sozialität & Identität in synchroner computervermittelter<br />
Kommunikation: Perspektiven auf<br />
ein interdisziplinäres Forschungsfeld/Beisswenger,<br />
Michael (Hrsg.). – Stuttgart: ibidem-<br />
Verl., 2002. – 552 S.<br />
Lee, Hwa-Haeng: Deutsche TV-Anbieter im<br />
Internet: eine empirisch-analytische Untersuchung<br />
der Online-Aktivitäten von RTL und<br />
ZDF. – Hagen: ISL-Verl., 2001. – 373 S. (Bochumer<br />
Studien zur Publizistik- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>;<br />
97)<br />
Wer regiert das Internet?: ICANN als Fallbeispiel<br />
für Global Internet Governance/Hamm,<br />
Ingrid; Machill, Marcel (Hrsg.). – Gütersloh:<br />
Verl. Bertelsmann-Stiftung, 2001. – 498 S.<br />
71 Massenmedien, allgemein<br />
Grütter, Rolf: Knowledge media and healthcare:<br />
opportunities and challenges. – London:<br />
Idea Group Publ., 2001. – 283 S.<br />
Guttman, Nurit: Public health communication<br />
interventions: Values and ethical dilemmas. –<br />
London: Sage, 2000. – 286 S.<br />
Mass media in 2025: industries, organizations,<br />
people and nations/Thomas, Erwin K.; Carpenter,<br />
Brown H.( Hrsg.). – Westport: Greenwood<br />
Pr., 2001. – 202 S.<br />
Nawawy, Mohammed El-: The Israeli-Egyptian<br />
peace process in the reporting of western<br />
journalists. – London: Ablex Publ., 2001. – 214<br />
S.<br />
Poenicke, Anke: Afrika in deutschen <strong>Medien</strong><br />
und Schulbüchern. – St. Augustin: Konrad-<br />
Adenauer-Stiftung, 2001. – 59 S.<br />
Pütz, Susanne: Theaterereignis – Fernsehereignis:<br />
die Theaterberichterstattung im bundesdeutschen<br />
Fernsehen von 1952 bis 1995. –<br />
Frankfurt am Main: Lang, 2001. – 328 S. (<strong>Medien</strong><br />
und Fiktionen; 1)<br />
Roßmann, Constanze: Die heile Welt des Fernsehens:<br />
eine Studie zur Kultivierung durch<br />
Krankenhausserien. – München: R. Fischer,<br />
2002. – 179 S. (Angewandte <strong>Medien</strong>forschung;<br />
22)<br />
Thiele, Martina: Publizistische Kontroversen<br />
über den Holocaust im Film. – Münster: LIT<br />
Verl., 2002. – 570 S. (<strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>;<br />
1)<br />
Literaturverzeichnis<br />
72 <strong>Medien</strong> Bildung<br />
Bounin, Ingrid: Faszination digitales Radio:<br />
Beispiele multimedialer Radioproduktion im<br />
Unterricht; für alle Klassenstufen und Schularten/Ministerium<br />
für Kultus, Jugend und Sport<br />
Baden-Württemberg (Hrsg.). – Donauwörth:<br />
Auer, 2000. – 59 S.<br />
Bruner, Claudia Franziska; Winklhofer, Ursula;<br />
Zinser, Claudia: Partizipation – ein Kinderspiel?:<br />
Beteiligungsmodelle in Kindertagesstätten,<br />
Schulen, Kommunen und Verbänden. –<br />
Berlin: Dt. Jugendinstitut, 2001. – 102 S.<br />
Kobbeloer, Michael: Internetnutzung von Erzieherinnen:<br />
Darstellung und Auswertung einer<br />
Studie zur <strong>Medien</strong>kompetenz. – Berlin:<br />
Cornelsen, 2002. – 126 S.<br />
Treumann, Klaus Peter; Baacke, Dieter;<br />
Haacke, Kirsten: <strong>Medien</strong>kompetenz im digitalen<br />
Zeitalter: wie die neuen <strong>Medien</strong> das Leben<br />
und Lernen Erwachsener verändert. – Opladen:<br />
Leske + Budrich, 2002. – 480 S. (Schriftenreihe<br />
<strong>Medien</strong>forschung der LfR; 39)<br />
73 <strong>Medien</strong> Ökonomie<br />
Beschäftigte und wirtschaftliche Lage des<br />
Rundfunks in Deutschland 1999/2000: Studie<br />
des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />
in Kooperation mit dem Hans-Bredow-Institut<br />
und der AG <strong>Kommunikations</strong>forschung<br />
München. – Berlin: Vistas, 2002. –<br />
268 S. (Schriftenreihe der Landesmedienanstalten;<br />
24)<br />
Doyle, Gillian: Understanding media economics.<br />
– London: Sage, 2002. – 184 S.<br />
Print contra Online?: Verlage im Internetzeitalter/<br />
Altobelli, Claudia Fantapié (Hrsg.). –<br />
München: R. Fischer, 2002. – 200 S. (Hamburger<br />
Forum <strong>Medien</strong>ökonomie; 4)<br />
Schlegel, Maike: Marketing-Instrumente für<br />
Online-Zeitungen: Gestaltungsoptionen und -<br />
praxis am Beispiel des Online-Engagements<br />
überregionaler Tageszeitungen. – München: R.<br />
Fischer, 2002. – 308 S (Reihe <strong>Medien</strong>-Skripten;<br />
38)<br />
Wirtz, Bernd W.: <strong>Medien</strong>- und Internetmanagement.<br />
– Wiesbaden: Gabler, 2001. – 571 S.<br />
74 <strong>Medien</strong> Recht<br />
Albrecht, Hans-Jörg; Hotter, Imke: Rundfunk<br />
und Pornographieverbot: eine (auch rechtsver-<br />
457
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
gleichende) Untersuchung zur Reichweite des<br />
Pornographieverbots im Rundfunk im weiteren<br />
Sinne. – München: R. Fischer, 2002. – 181 S.<br />
(BLM-Schriftenreihe; 68)<br />
Ausgewählte Rechtsgrundlagen des Presseund<br />
Rundfunkrechts/Holznagel, Bernd; Vollmeier,<br />
Ines (Hrsg.). – Münster: Lit, 2001. – 225<br />
S. (Arbeitsberichte zum Informations-, Telekommunikations-<br />
und <strong>Medien</strong>recht; 9)<br />
Bernard, Claudia: Rundfunk als Rechtsbegriff:<br />
Bedeutung, Inhalt und Funktion des Rundfunkbegriffs<br />
unter besonderer Berücksichtigung<br />
der Multimediadienste. – Herbolzheim:<br />
Centaurus, 2001. – 268 S. (Aktuelle Beiträge<br />
zum Öffentlichen Recht; 6)<br />
Cannivé, Klaus: Infrastrukturgewährleistungen<br />
in der Telekommunikation zwischen Staat<br />
und Markt: eine verfassungsrechtliche Analyse<br />
des Universaldienstkonzepts im TKG. – Berlin:<br />
Duncker & Humblot, 2001. – 307 S. (Schriften<br />
zu <strong>Kommunikations</strong>fragen; 29)<br />
Ewers, Martin: Zusammenschaltung von Telekommunikationsnetzen:<br />
Entgeltbestimmunug<br />
und Kostenrechnung. – Baden-Baden: Nomos,<br />
2002. – 403 S. (Law and economics of internetional<br />
telecommunications; 47)<br />
Hoffmann-Riem, Wolfgang: <strong>Kommunikations</strong>freiheiten:<br />
Kommentierung zu Art. 5 Abs.<br />
1 und 2 sowie Art. 8 GG. – Baden-Baden: Nomos,<br />
2002. – 315 S.<br />
Internetrundfunk und Breitbanddienste im Internet:<br />
Regulierung. – Berlin: Vistas, 2002. – 51<br />
S. (LfR-Dokumentation; 19)<br />
Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts<br />
zu den <strong>Kommunikations</strong>freiheiten (Art.<br />
5 Abs. 1 und 2 sowie Art. 8 GG): Sammlung<br />
von Entscheidungen 1996-2001. – Baden-Baden:<br />
Nomos, 2002. – 220 S.<br />
Klein, Christina: Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes<br />
in der Europäischen<br />
Union: unter besonderer Berücksichtigung der<br />
Universaldienstgewährleistung in Frankreich<br />
und Deutschland. – Hamburg: Kovac, 2000. –<br />
409 S. (Schriftenreihe Studie zur Rechts<strong>wissenschaft</strong>;<br />
76)<br />
Özkan, Hüseyin: Rundfunkfreiheit in<br />
Deutschland und in der Türkei unter<br />
Berücksichtigung der Staatsferne des Rundfunks.<br />
– Frankfurt: Lang, 2002. – 461 S. (Studien<br />
zum internationalen, europäischen und öffentlichen<br />
Recht; 11)<br />
458<br />
Preuße, Thomas: Informationsdelikte im Internet.<br />
– Hamburg: Kovac, 2001. – 237 S. (Recht<br />
der neuen <strong>Medien</strong>; 2)<br />
Reinke, Peter F.: Der Zweck des Telekommunikationsgesetzes:<br />
eine öffentlich-rechtliche<br />
Untersuchung des § 1 TKG. – Frankfurt: Lang,<br />
2001. – 170 S.<br />
Roider, Claudia: Perspektiven einer europäischen<br />
Rundfunkordnung: eine Untersuchung<br />
der gemeinschaftsrechtlichen Direktiven unter<br />
besonderer Berücksichtigung des Pluralismusgebots.<br />
– Berlin: Duncker & Humblot,<br />
2001. – 327 S. (Schriften zum Europäischen<br />
Recht; 81)<br />
Schulz, Wolfgang; Held, Thorsten; Kops, Manfred:<br />
Perspektiven der Gewährleistung freier<br />
öffentlicher Kommunikation: ein interdisziplinärer<br />
Versuch unter Berücksichtigung der<br />
gesellschaftlichen Bedeutsamkeit und Marktfähigkeit<br />
neuer <strong>Kommunikations</strong>dienste. – Baden-Baden:<br />
Nomos, 2002. – 314 S. (Regulierung<br />
und Recht der Kommunikation; 1)<br />
UMTS-Lizenzvergabe: Rechtsfragen der staatlichen<br />
Versteigerung knapper Ressourcen/ Piepenbrock,<br />
H. J.; Schuster, Fabian (Hrsg.). – Baden-Baden:<br />
Nomos, 2001. – 508 S.<br />
Wagner, Christoph; Grünwald, Andreas:<br />
Rechtsfragen auf dem Weg zu DVB-T: Planungssicherheit<br />
beim Übergang zur digitalen<br />
Rundfunkübertragung. – Berlin: Vistas, 2002. –<br />
111 S. (Schriftenreihe der MABB; 12)<br />
Wolff, Stephan: Der Kontrahierungszwang im<br />
deutschen Telekommunikationsrecht. – Hamburg:<br />
Kovac, 2002. – 283 S. (Studienreihe wirtschaftliche<br />
Forschungsergebnisse; 24)<br />
75 Rundfunk<br />
Daily Talkshows: Untersuchungen zu einem<br />
umstrittenen TV-Format/Gerhards, Claudia;<br />
Möhrmann, Renate (Hrsg.). – Frankfurt: Lang,<br />
2002. – 180 S. (Studien zum Theater, Film und<br />
Fernsehen; 40)<br />
Geisler, Rainer M.: Controlling deutscher TV-<br />
Sender: Fernsehwirtschaftliche Grundlagen –<br />
Stand der Praxis – Weiterentwicklung. – Wiesbaden:<br />
DUV, 2001. – 311 S.<br />
Herbst, Maral: Demokratie und Maulkorb: der<br />
deutsche Rundfunk in Berlin zwischen Staatsgründung<br />
und Mauerbau. – Berlin: Vistas,<br />
2001. – 317 S.
Hörfunk der Zukunft: Technik, Entwicklung,<br />
Marktchancen/Gongolsky, Mario (Hrsg.). –<br />
Bonn: Mediaclinic, 2001. – 147 S.<br />
Ladler, Karl: Hörspielforschung: Schnittpunkt<br />
zwischen Literatur, <strong>Medien</strong> und Ästhetik. –<br />
Wiesbaden: DUV, 2001. – 221 S.<br />
Petri, Stephanie: Fanclubs zu ARD-Serien: ein<br />
Beitrag über mediale Kommunikation. –<br />
Frankfurt: Lang, 2002. – 249 S.<br />
Radio-Reminiszenzen: Erinnerung an RIAS<br />
Berlin/Rexin, Manfred (Hrsg.). – Berlin: Vistas,<br />
2002. – 474 S. (Schriftenreihe der MABB; 13)<br />
76 Werbung<br />
Markenmanagement: Grundfragen der identitätsorientierten<br />
Markenführung; mit Best<br />
Practice-Fallstudien/Meffert, Heribert; Burmann,<br />
Christoph; Koers, Martin (Hrsg.). –<br />
Wiesbaden: Gabler, 2002. – 680 S.<br />
Werberecht TV und Internet: Praxisorientierter<br />
Leitfaden für die werbende Industrie/<br />
SevenOne Media GmbH (Hrsg.). – München:<br />
SevenOne Media GmbH, 2001. – 269 S.<br />
81 Publikum. <strong>Medien</strong>nutzung<br />
Massenkommunikation 2000: Images und<br />
Funktionen der Massenmedien im Vergleich. –<br />
Frankfurt am Main: Media Perspektiven, 2001.<br />
– 22 S.<br />
Meyen, Michael: Hauptsache Unterhaltung:<br />
<strong>Medien</strong>nutzung und <strong>Medien</strong>bewertung in<br />
Deutschland in den 50er Jahren. – Münster: Lit,<br />
2001. – 328 S. (<strong>Kommunikations</strong>geschichte; 14)<br />
Trepte, Sabine: Der private Fernsehauftritt als<br />
Selbstverwirklichung: die Option des Auftritts<br />
als Rezeptionsphänomen und zur Konstruktion<br />
des Selbst. – München: R. Fischer, 2002. –<br />
239 S. (Reihe <strong>Medien</strong>-Skripten; 39)<br />
82 Rezeptionsforschung<br />
Schwender, Clemens: <strong>Medien</strong> und Emotionen:<br />
Evolutionspsychologische Bausteine einer <strong>Medien</strong>theorie.<br />
– Wiesbaden: DUV, 2001. – 342 S.<br />
Aufmerksamkeit, <strong>Medien</strong> und Ökonomie/<br />
Bleicher, Joan K.; Hickethier, Knut (Hrsg.). –<br />
Münster: Lit, 2002. – 226 S. (Beiträge zur <strong>Medien</strong>ästhetik<br />
und <strong>Medien</strong>geschichte; 13)<br />
Empirische Perspektiven der Rezeptionsforschung/<br />
Rößler, Patrick; Kubisch, Susanne;<br />
Gehrau, Volker (Hrsg.). – München: R. Fi-<br />
Literaturverzeichnis<br />
scher, 2002. – 211 S. (Angewandte <strong>Medien</strong>forschung;<br />
23)<br />
Miller, Toby; McHour, Alec: Popular culture<br />
and everyday life. – London: Sage, 1998. – 224<br />
S.<br />
83 Kinder Jugendliche <strong>Medien</strong><br />
50 Jahre Kinderfernsehen in Deutschland: eine<br />
Festschrift für Mensch Träume Programme/<br />
Löhr, Paul (Hrsg.). – München: Internationales<br />
Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen<br />
(IZI), 2001. – 106 S.<br />
Alles Seifenblasen?: die Bedeutung von Daily<br />
Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen/Götz,<br />
Maya (Hrsg.). – München: KoPäd<br />
Verl., 2001. – 395 S.<br />
Fix, Tina Georgia: Generation @ im Chat: Hintergrund<br />
und explorative Motivstudie zur jugendlichen<br />
Netzkommunikation. – München:<br />
KoPäd Verl., 2001. – 153 S.<br />
Kähler, Daniel: Die Mediatisierung der Jugend:<br />
der kreative Umgang Jugendlicher mit <strong>Medien</strong>.<br />
– Aachen: Shaker, 2001. – 352 S.<br />
Livingstone, Sonia M.: Young people and new<br />
media: childhood and the changing media environment.<br />
– London: Sage, 2002. – 277 S.<br />
Realität maßgeschneidert – schöne, neue Welt<br />
für die Jugend?: Real-Life-Formate – Fernsehen<br />
der Zukunft oder eine Eintagsfliege?/<br />
Grimm, Petra (Hrsg.). – Berlin: Vistas, 2002. –<br />
79 S. (Schriftenreihe der NLM; 13)<br />
91 Literatur zu einzelnen Ländern<br />
Blaney, Joseph R.; Benoit, William L.: The<br />
Clinton scandals and the politics of image restoration.<br />
– Westport: Praeger Publ., 2001. –<br />
164 S.<br />
Culture and technology in the new Europe:<br />
civic discourse in transformation in post-communist<br />
nations/Lengel, Laura (Hrsg.). – Stamford:<br />
Ablex Publ., 2001. – 404 S.<br />
Cyberpath to development in Asia: issues and<br />
challenges/Rao, Sandhya; Klopfenstein, Bruce<br />
C. (Hrsg.). – London: Praeger Publ., 2001. –<br />
199 S.<br />
Hayden, Joseph: Covering Clinton: the President<br />
and the Press in the 1990s. – London:<br />
Preager Publ., 2001. – 149 S.<br />
Hillard, Robert L.: Media, education, and<br />
America’s counter-culture revolution: lost and<br />
459
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
found opportunities for media impact on education,<br />
gender, race, and the arts. – Westport:<br />
Ablex Publ., 2001. – 191 S.<br />
Huff, W. A. Kelly: Regulating the future: broadcasting<br />
technology and governmental control.<br />
– Westport: Praeger Publ., 2001. – 233 S.<br />
Kieserling, Hans: Das Fernsehrecht Spaniens. –<br />
Frankfurt/M: Lang, 2002. – 588 S.<br />
460<br />
Nesemann, Katrin: <strong>Medien</strong>politik im Libanon:<br />
Regulationstendenzen nach dem Bürgerkrieg. –<br />
Hamburg: Dt. Orient-Institut, 2001. – 141 S.<br />
(Hamburger Beiträge: <strong>Medien</strong> und politische<br />
Kommunikation – Naher Osten und islamische<br />
Welt; 4)<br />
Scheuer, Jeffrey: The sound bite society: how<br />
television helps the right and hurts the left. –<br />
New York: Routledge, 2001. – 230 S.
CHRONIK<br />
Chronik der <strong>Medien</strong>entwicklung in Deutschland 2001<br />
Hermann-Dieter Schröder<br />
1. <strong>Medien</strong>regulierung (<strong>Medien</strong>politik / <strong>Medien</strong>recht)<br />
2. <strong>Medien</strong>unternehmen<br />
3. <strong>Medien</strong>angebote<br />
3.1 Presse<br />
3.2 Rundfunk<br />
3.3 Online-<strong>Medien</strong><br />
4. Werbung<br />
5. <strong>Medien</strong>nutzung<br />
1. <strong>Medien</strong>regulierung (<strong>Medien</strong>politik / <strong>Medien</strong>recht)<br />
Am 1. Januar tritt der novellierte Rundfunkstaatsvertrag1 in Kraft. Damit werden die<br />
Grundgebühr auf 5,32 Euro und die Fernsehgebühr auf 11,83 Euro monatlich erhöht.<br />
Computer mit Online-Anschluss sind bis Ende 2004 von der Rundfunkgebührenpflicht<br />
ausgenommen. Werbung ist auf den Teletext-Seiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten<br />
nicht mehr zugelassen. Auch das Gegendarstellungsrecht für das erste<br />
Fernsehprogramm ist neu geregelt: Es ist bei der Rundfunkanstalt durchzusetzen, die<br />
den betreffenden Beitrag zu verantworten hat.<br />
Ebenfalls am 24. Januar verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über die<br />
Verfassungsbeschwerden von n-tv gegen das seit 1964 bestehende Verbot von Fernsehaufnahmen<br />
in Gerichtsverhandlungen. Mit einer Mehrheit von 5 : 3 Stimmen wird die<br />
Beschwerde als nicht begründet zurückgewiesen. 2<br />
Am 24. Januar entscheidet das Verwaltungsgericht Hannover, dass der Beamtenbund<br />
in der Versammlung der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) nicht vertreten<br />
sein kann, wenn er nicht gemäß Landesmediengesetz für mindestens jede zweite<br />
Amtszeit eine Frau entsendet. Der Beamtenbund hatte geltend gemacht, dass er keine<br />
Frau habe entsenden können, weil keine der dafür vorgeschlagenen Frauen aus dem Vorstand<br />
oder den Fachverbänden bereit gewesen sei, das Mandat zu übernehmen. Das Gericht<br />
hält dem entgegen, dass es nicht darum ginge, Verbandsinteressen zu vertreten,<br />
sondern die gesellschaftliche Vielfalt zu repräsentieren. Deshalb sei die Suche nach einer<br />
Vertreterin nicht auf die Leitungsebene des Verbandes zu beschränken.<br />
Am 1. Februar wird der Streit zwischen der RTL Group und dem Leipziger Kabelnetzbetreiber<br />
Primacom beigelegt. Primacom hatte im Vorjahr begonnen, Programme<br />
wie ProSieben, RTL II und Vox nur noch gegen zusätzliches Entgelt in Digitalpaketen<br />
an Leipziger Haushalte zu verbreiten. Das Leipziger Landgericht hatte dieses Modell<br />
aus urheber- und vertragsrechtlichen Gründen bereits im Vorjahr untersagt. Gegenüber<br />
der RTL Group sichert Primacom nun zu, zunächst bis zum 31. März 2002 die Fernsehprogramme<br />
RTL, RTL II, Super RTL und Vox analog und im Basispaket primaTV<br />
auch digital zu verbreiten. Auch die Dienste von RTL New Media sollen digital verbreitet<br />
werden.<br />
1 Abgedruckt in Funkkorrespondenz 1/2001.<br />
2 Abgedruckt in epd medien 7/2002.<br />
461
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Am 26. Februar weist der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation<br />
(VPRT) die Forderung der Gemeinsamen Stelle Jugendschutz und Programm der Landesmedienanstalten<br />
zurück, für so genannte Reality Soaps (auch Psychoformate genannt)<br />
freiwillige Verhaltensgrundsätze aufzustellen. Auch die von Politikern geforderte<br />
Einrichtung einer Kommission zur Ethik der Programmveranstalter sei nur dazu angetan,<br />
Verantwortlichkeiten zu verwischen. Unterdessen nimmt das Interesse der<br />
Zuschauer an solchen Sendungen deutlich ab; die meisten werden im Laufe des Jahres<br />
aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt.<br />
Am 1. März entscheidet der Bundesgerichtshof nach einem zehn Jahre andauernden<br />
Rechtsstreit, dass die ARD wegen ihrer Sendung „Tagesschau“ nicht verlangen kann,<br />
dass ähnliche Sendungstitel wie „Tagesreport“ (Sat.1) oder „Tagesbild“ (ProSieben) unterlassen<br />
werden.<br />
Am 6. März entscheidet der Bundesgerichtshof, dass Kabelnetzbetreiber bei Preiserhöhungen<br />
nicht auf die Zustimmung von Wohnungsunternehmen angewiesen sind.<br />
Eine entsprechende Vertragsklausel ist nichtig.<br />
Am 23. März weist der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof einen Eilantrag<br />
ab, mit dem die NPD durchsetzen wollte, dass der SWR einen von ihr produzierten<br />
fremdenfeindlichen Wahlwerbespot senden muss.<br />
Am 19. Juni entscheidet der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts, dass Redaktionsstatute<br />
als Bestandteil von Arbeitsverträgen zulässig sind. 3 Beim Mannheimer Morgen war<br />
1969 ein Redaktionsstatut eingeführt worden, das in der seit 1975 geltenden Fassung<br />
dem Redaktionsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Besetzung der Chefredaktion gab.<br />
1996 hatte der Verlag das Statut gekündigt mit der Begründung, die Vereinbarung führe<br />
zu einer Einschränkung der verlegerischen Entscheidungs- und Pressefreiheit und<br />
verstoße gegen den im Betriebsverfassungsgesetz festgelegten Tendenzschutz. Das Gericht<br />
kommt zu dem Urteil, dass das Redaktionsstatut fortbesteht und nur mit Mitteln<br />
des Arbeitsvertragsrechts beendet werden kann.<br />
Am 22. Juli beschließt die Sächsische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue<br />
<strong>Medien</strong> (SLM) eine Beanstandung auf der Grundlage der EU-Fernsehrichtlinie wegen<br />
pornografischer Inhalte des englischen Adult Channel. Das Programm wird in Leipzig<br />
vom Kabelnetzbetreiber Primacom mit einer digitalen Vorsperre verbreitet. Die Gemeinsame<br />
Stelle Jugendschutz und Programm der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten<br />
hat den Pornografieverdacht der SLM bestätigt. Da das Programm in England<br />
von der ITC zugelassen ist, wird zunächst bei der EU-Kommission angefragt, ob<br />
die von der SLM geplanten Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.<br />
Am 19. September unterzeichnen die Repräsentanten von ARD, ZDF, RTL, der<br />
Kirch-Gruppe und der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) eine<br />
gemeinsame Erklärung der deutschen Programmveranstalter und der Landesmedienanstalten<br />
zur zügigen Einführung der Multimedia Home Platform (MHP) 4 und verpflichten<br />
sich zur Einführung der MHP als Standard für interaktives Fernsehen. Danach sollen<br />
alle neuen interaktiven Mehrwertfunktionen auf dem MHP-Standard entwickelt<br />
werden, bis zum 1.7.2002 erste Dienste im MHP-Standard angeboten werden und alle<br />
bestehenden Dienste in absehbarer Zeit auf MHP überführt werden. Auf diese Weise<br />
soll auch für die neuen Kabelnetzbetreiber eine verbindliche Vorgabe erreicht werden.<br />
3 Aktenzeichen 1 AZR 463/00.<br />
4 Abgedruckt in epd medien 76/2001.<br />
462
Schröder · Chronik 2001<br />
Am 5. November veröffentlicht die EU-Kommission eine Mitteilung über die Anwendung<br />
der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.<br />
5 Die Kommission hält daran fest, dass sie für die Kontrolle staatlicher Beihilfen<br />
auch im Rundfunkbereich zuständig ist. Ein im Juni vorgelegter Entwurf hatte gefordert,<br />
der öffentliche Versorgungsauftrag solle gesetzlich eindeutig definiert werden.<br />
ARD, ZDF und der Bundesrat hatten eingewandt, die EU sei nicht befugt, Auftrag und<br />
Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gemeinschaftsrechtlich zu definieren.<br />
Nunmehr ist nach Einschätzung deutscher <strong>Medien</strong>politiker hinreichend klargestellt,<br />
dass das in Deutschland praktizierte Verfahren der Gebührenfinanzierung nicht<br />
gegen die Regeln der EU verstößt.<br />
Mit Urteil vom 6. Dezember untersagt der Bundesgerichtshof erneut eine Anzeige der<br />
Textilfirma Benetton. Sie genießt nicht den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit, weil<br />
sie die Menschenwürde Aids-Kranker verletzt und damit gegen Artikel 1 des Grundgesetzes<br />
verstößt. Eine frühere Entscheidung in dieser Sache war im Vorjahr vom Bundesverfassungsgericht<br />
unter Hinweis auf die Pressefreiheit aufgehoben und zur erneuten<br />
Prüfung an den BGH zurück verwiesen worden.<br />
Am 12. Dezember beschließt das Europäische Parlament über den offenen MHP-<br />
Standard: Er wird nicht vorgeschrieben, es soll jedoch die „Interoperabilität“ von interaktiven<br />
Digital-Fernsehdiensten und entsprechenden Geräten gefördert werden.<br />
2. <strong>Medien</strong>unternehmen<br />
Die Kirch-Gruppe verkauft mit Wirkung vom 1. Januar den im Austausch gegen eine<br />
Beteiligung an KirchMedia von Rupert Murdoch erworbenen Fernsehveranstalter TM3<br />
an die Euvia Media AG & Co. KG, eine Tochtergesellschaft der H.O.T. Networks. Ziel<br />
ist ein 24-stündiges Live-Programm mit Zuschauerbeteiligung per Call-in, bei dem Erlöse<br />
nicht nur aus Werbung, sondern auch aus Transaktionen wie z. B. der gebührenpflichtigen<br />
Teilnahme an Gewinnspielen oder Votings erzielt werden sollen. Im Mai erwirbt<br />
die ProSiebenSat.1 Media AG 48,4 Prozent der Euvia Media AG.<br />
Am 11. Januar gibt die RTL Group bekannt, dass sie ihren verbliebenen 5-Prozent-<br />
Anteil an Premiere zu einem Preis von 124 Mio. Euro an KirchPayTV verkauft hat. Sie<br />
übt damit eine Option aus, die bereits im März 1999 zwischen Kirch und CLT-UFA,<br />
der Vorgängerin der RTL Group, vereinbart worden war.<br />
Die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) teilt am 31. Januar mit, dass zwischen Ende 1998<br />
und Ende 2000 die Gebühreneinnahmen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten<br />
450 Mio. DM höher ausgefallen sind als erwartet. Die Steigerung wird auf ihre Werbekampagne<br />
und die vermehrten Anmeldungen von Empfangsgeräten zurückgeführt.<br />
Nach Schätzung der GEZ sind mehr als 95 Prozent der Haushalte in Deutschland bei<br />
ihr angemeldet. Davon sind 7,7 Prozent von der Gebührenpflicht befreit.<br />
Am 5. Februar teilt die Bertelsmann AG mit, dass sie von der Investmentgesellschaft<br />
Group Bruxelles Lambert (GBL) den 30-Prozent-Anteil an der RTL Group (Umsatz<br />
2000 ca. 8 Mrd. DM) erwirbt. Im Gegenzug erhält die GBL einen Anteil von 25,1 Prozent<br />
an dem fast viermal so großen Bertelsmann-Konzern (Umsatz 2000 ohne RTL<br />
Group ca. 30 Mrd. DM). Dieser Anteil darf nach einigen Jahren an die Börse gebracht<br />
oder an Einzelinteressenten verkauft werden, allerdings mit Vorkaufsrecht der Bertels-<br />
5 Abgedruckt in epd medien 89/2001.<br />
463
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
mann AG. Damit wird die Bertelsmann-Stiftung 57,6 Prozent der Kapitalanteile an der<br />
Bertelsmann AG halten, 17,3 Prozent die Familie Mohn und 25,1 Prozent die GBL. Der<br />
Erwerb wird am 11. Mai von der Europäischen Kommission genehmigt.<br />
Am 15. März übernimmt die Kirch-Gruppe gemeinsam mit EM.TV die Mehrheit an<br />
SLEC, der Betreibergesellschaft der Formel 1-Autorennen. Vor diesem Hintergrund<br />
vereinbaren am 18. Mai fünf europäische Autohersteller, die an den Rennen mitwirken,<br />
die Gründung einer alternativen Betreibergesellschaft für Autorennen. Sie wollen sicherstellen,<br />
dass solche Rennen nicht nur im Pay-TV, sondern weiterhin im frei empfangbaren<br />
Fernsehen gezeigt werden.<br />
Am 1. Mai erklären die Musik-Konzerne BMG und EMI, die zu den fünf größten der<br />
Branche gehören, dass sie ihr Fusionsvorhaben aufgeben. Die EU-Kommission hatte<br />
eine ablehnende Haltung gezeigt. Für den Fall einer Genehmigung wurden deshalb einschneidende<br />
Auflagen der Kartellbehörde erwartet.<br />
Am 11. Mai beschließt der Verwaltungsrat des SWR eine Umstrukturierung der Fernsehproduktion.<br />
Ein Großteil der szenischen Produktionen des SWR soll künftig nicht<br />
mehr als Eigenproduktion, sondern über die Maran Film GmbH, ein gemeinsames Unternehmen<br />
des SWR und der Bavaria Film GmbH, abgewickelt werden. Im Vorfeld hatte<br />
der Bundesverband deutscher Fernsehproduzenten auf eine Protokollnotiz zum<br />
Rundfunkgebührenstaatsvertrag hingewiesen, nach der ein wesentlicher Teil der Gebührenerhöhung<br />
für die Herstellung neuer Werke durch freie Film- und Fernsehproduzenten<br />
verwendet werden soll. Die Auslagerung dürfe nicht dazu dienen, dass der<br />
SWR auf dem Umweg über Tochterunternehmen Fördermittel erhalte, die für die freie<br />
Produktionswirtschaft vorgesehen sind.<br />
Am 2. Juli stellt Kabel New Media Insolvenzantrag. Das Hamburger Unternehmen<br />
war im Jahre 2000 noch die größte Internet-Agentur Deutschlands mit rund 1.000 Mitarbeitern<br />
und 136,5 Mio. DM Umsatz.<br />
Am 4. September gibt die Deutsche Telekom den vollständigen Verkauf der Kabel-<br />
Tochter KeTeKS mit den noch verbliebenen sechs regionalen Kabelgesellschaften an<br />
Liberty bekannt. Insgesamt sind in diesen Regionen gut 10 Mio. Haushalte angeschlossen,<br />
weitere 5 Mio. sind anschließbar. Der Kaufpreis beträgt 5,5 Mrd. Euro, davon<br />
3 Mrd. in bar, 2,5 Mrd. in Aktien und 1 Mrd. als zehnjährige Schuldverschreibung. Der<br />
Vertrag steht unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch das Bundeskartellamt. Die<br />
DLM weist darauf hin, dass hier nicht nur kartellrechtliche, sondern auch medienrechtliche<br />
Fragen zu prüfen sind.<br />
Am 7. September teilt die Kirch-Gruppe mit, dass KirchMedia und ProSiebenSat.1<br />
AG zu einem Unternehmen verschmolzen werden sollen. Der Zusammenschluss soll bis<br />
Juni 2002 vollzogen werden. Er steht noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der<br />
Aufsichtsgremien der beiden Unternehmen. Infolge der Fusionsgerüchte ist die Aktie<br />
der ProSiebenSat.1 AG am 6. September um 20 Prozent eingebrochen.<br />
Unmittelbar nach den Terror-Anschlägen auf New York und Washington am 11. September<br />
ergänzt der Axel-Springer-Verlag seine Unternehmensgrundsätze um die „Unterstützung<br />
des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen<br />
Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika“.<br />
Auf den Münchener <strong>Medien</strong>tagen erklärt Miranda Curtis, die Präsidentin von Liberty<br />
Media International, am 19. Oktober, dass Liberty nicht die Absicht habe, Set-Top-<br />
Boxen nach dem neuen MHP-Standard einzusetzen. Gleiches verlautet auch von Vertretern<br />
der Kabelnetzbetreiber iesy (vormals eKabel Hessen) und ish (vormals Kabel<br />
NRW). Liberty will stattdessen den Kabelkunden eine Dekoder-Box kostenlos zur Verfügung<br />
stellen. Auch der von der Politik gewünschte rasche Ausbau der Kapazitäten auf<br />
464
862 MHz, wie er von Callahan in Bayern und Baden-Württemberg betrieben wird, sei<br />
nicht finanzierbar.<br />
Am 13. November gibt die Deutsche Bank bekannt, dass sie einen Teil ihres Kabelunternehmens<br />
Tele Columbus an Liberty verkauft. Insgesamt hätte Liberty damit den<br />
Direktzugang zu 4,5 Mio. der gegenwärtig 10,1 Mio. Kabelhaushalte in diesen Ländern.<br />
Im Gegenzug wird eine Beteiligung der Bank an der Liberty Kabel Deutschland GmbH<br />
beschlossen. Beide Vereinbarungen stehen unter dem Vorbehalt der Genehmigung<br />
durch das Kartellamt. Noch im November meldet Liberty Media beim Kartellamt auch<br />
die Absicht einer Beteiligung bei BSkyB Germany an, das 22 Prozent der Anteile an Premiere<br />
hält.<br />
3. <strong>Medien</strong>angebote<br />
Schröder · Chronik 2001<br />
3.1 Presse<br />
Am 20. Januar erscheint in Freiburg eine neue Tageszeitung des Verlegers Michael Zäh<br />
mit dem Titel zus. Wegen unzureichender Abonnentenzahlen und Anzeigenerlöse wird<br />
das Blatt nach drei Monaten wieder eingestellt.<br />
Mitte des Jahres wird die Zeitschrift e-Business, ein Ableger der Wirtschaftswoche,<br />
wegen des zurückgehenden Anzeigengeschäfts eingestellt. Die Zeitschrift Net-Business<br />
der Verlagsgruppe Milchstraße, im Frühjahr zunächst von wöchentlichem auf vierzehntägliches<br />
Erscheinen umgestellt, wird im August eingestellt. Damit hat die Krise der<br />
IT-Branche auch einschlägig spezialisierte Zeitschriften erfasst.<br />
Am 11. Juli wird die Kölner Gratiszeitung 20 minuten Köln der 20 min Holding AG<br />
des norwegischen <strong>Medien</strong>konzerns Schibsted AS eingestellt, weil sich die Werbeeinnahmen<br />
nicht erwartungsgemäß entwickeln. Wenige Tage später werden die als Abwehrmaßnahme<br />
gegen den Marktzutritt konzipierten Gratiszeitungen Extra Köln des<br />
Axel-Springer-Verlages und Kölner Morgen der Zeitungsgruppe DuMont Schauberg<br />
ebenfalls eingestellt. Am 11. Mai hatte das Oberlandesgericht Köln eine Klage gegen die<br />
Gratiszeitung abgewiesen. Eine relevante Störung des Zeitungswettbewerbs könne derzeit<br />
nicht angenommen werden.<br />
Am 12. September bringt der Axel-Springer-Verlag eine neue Kaufzeitung Extra für<br />
eine Zielgruppe im Alter von 14 bis 30 Jahren auf den Markt. Das Blatt wird im Rhein-<br />
Neckar-Raum getestet und am 10. Oktober wieder eingestellt, weil der nötige Absatz<br />
nicht erreicht wurde.<br />
Am 30. September beginnt für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung der bundesweite<br />
Vertrieb mit einer Auflage von 600.000 Exemplaren. Der Verkauf erfolgt über<br />
Kioske, Tankstellen und Bäckereien sowie über die eigenen Vertriebsagenturen. 200.000<br />
der 280.000 Abonnenten der FAZ erhalten das Blatt für vier Wochen kostenlos zur Ansicht.<br />
3.2 Rundfunk<br />
Zum Jahresanfang geht ARD Digital in den Regelbetrieb über. Das per Kabel und Satellit<br />
verbreitete Bouquet umfasst 18 Fernseh- und 22 Hörfunkprogramme. Drei der<br />
Fernsehprogramme werden ausschließlich digital übertragen: Eins-Extra bringt stündliche<br />
Nachrichten und weitere Informationsangebote, EinsMuXx sendet das erste Programm<br />
zeitversetzt und EinsFestival zeigt Filme und Serien.<br />
Mit dem 1. Januar übernimmt der Hessische Rundfunk zusätzlich zu den bisherigen<br />
465
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
vier Hörfunkprogrammen vier weitere Programme in den Regelbetrieb: Das Jugendradio<br />
hr XXL, das Wirtschaftsradio hr skyline, die Klassikwelle sowie das Nachrichtenradio<br />
hr chronos. Sie waren zunächst als digitale Zusatzprogramme gestartet. Inzwischen<br />
werden sie terrestrisch per Mittelwelle oder UKW ausgestrahlt oder per live streaming<br />
im Internet verbreitet. Die terrestrische digitale Verbreitung nach dem DAB-Standard<br />
wird eingestellt.<br />
Am 16. Januar erteilt die <strong>Medien</strong>anstalt Berlin-Brandenburg dem von Spiegel-TV und<br />
dctp geplanten Metropolenfernsehen eine Zulassung für die Kabelverbreitung. Zugleich<br />
wird die Kabelbelegung so geändert, dass das Programm von 15 bis 7 Uhr auf einem analogen<br />
Kanal verbreitet werden kann. Unter dem Namen XXP geht es am 7. Mai auf Sendung.<br />
Besonderes Kennzeichen ist eine vertikal gegliederte Programmstruktur mit Themenschwerpunkten,<br />
die von Woche zu Woche wechseln.<br />
Am 1. März startet RTL Shop, nach H.O.T. und QVC der dritte deutsche Teleshopping-Kanal.<br />
Beteiligt sind RTL Television (55%), deren Tochter RTL Newmedia (25%)<br />
und die französische Sendergruppe M6 (20%). Das Programm wird über Astra 1A verbreitet<br />
und erreicht damit etwa ein Drittel der Fernsehhaushalte. Zusätzlich werden<br />
morgens Programmfenster bei RTL, RTL2, Vox und Onyx genutzt. Auch H.O.T. startet<br />
im März Teleshopping-Fenster im Nachtprogramm und im Morgenprogramm bei<br />
Sat.1 und Kabel 1.<br />
Am 3. Mai einigt sich eine Arbeitsgruppe von Deutscher Welle, ARD und ZDF auf<br />
ein Konzept für einen gemeinsamen deutschsprachigen Auslandskanal, der neben das<br />
dreisprachige Auslandsfernsehen der Deutschen Welle treten soll. Das Programm mit<br />
dem Namen German TV soll zunächst in den USA verbreitet werden und in einer Programmschleife<br />
von acht Stunden pro Tag Sendungen von ARD, ZDF und Deutscher<br />
Welle enthalten. Die Kosten sollen in den USA durch Pay-TV erbracht und im Übrigen<br />
vom Bund getragen werden. In der weiteren Diskussion wird aus dem Bundesrechnungshof<br />
die Befürchtung laut, dass die vorgesehene Anschubfinanzierung von 60 Mio.<br />
DM und ein jährlicher Bundeszuschuss von 5,5 Mio. DM nicht ausreichen werden. Der<br />
Haushaltsausschuss des Bundestages bewilligt am 15. November eine Anschubfinanzierung<br />
von 40 Mio. DM. Der Intendant der Deutschen Welle erklärt daraufhin, ohne<br />
eine Zusage über die notwendigen 60 Mio. DM könne er das Projekt nicht beginnen.<br />
Mit dem Beginn der neuen Bundesligasaison am 28. Juli verlegt Sat.1 seine Fußball-<br />
Sendung ran samstags von 18.30 Uhr auf 20.15 Uhr, offenbar aus Rücksicht auf die Verwertung<br />
im Pay-TV. Dies führt zum Streit zwischen der ARD und der Kirch-Gruppe<br />
über die Kurzberichte, die in der Tagesschau ab 20.00 Uhr gezeigt werden dürfen. Wegen<br />
erheblicher Einbußen bei den Marktanteilen von Sat.1 wird die Sendung jedoch ab<br />
dem 8. September wieder auf 19 Uhr vorgezogen. Damit wird auch der Konflikt über<br />
die Kurzberichte gegenstandslos.<br />
Am 1. September startet ein privater Kanal mit dem Namen ChannelD als deutschsprachiges<br />
Pay-TV für Nordamerika, die Karibik und weite Teile Südamerikas. Das Unternehmen<br />
hat seinen Sitz in Bremerhaven und eine Zulassung der Bremischen Landesmedienanstalt.<br />
Sie ist zwar nicht erforderlich, kann aber für die Kabelverbreitung in den<br />
USA nützlich sein. Die Programmrechte werden von öffentlich-rechtlichen und privaten<br />
Veranstaltern erworben.<br />
Die Berichterstattung über die Terror-Anschläge in New York und Washington am<br />
11. September ab 14.48 Uhr MESZ dominiert ab dem späten Nachmittag die deutschen<br />
Fernsehprogramme. Dauersendungen zum aktuellen Geschehen werden auf die verschiedenen<br />
Programme der Senderketten durchgeschaltet. Vor diesem Hintergrund<br />
wird die Ausstrahlung von Fernsehwerbung drastisch verringert, die Bruttowerbeum-<br />
466
Schröder · Chronik 2001<br />
sätze erreichen an diesem Tag mit 5,4 Mio. Euro nur ein Viertel der Werte in den Tagen<br />
zuvor. Auch im weiteren Verlauf gibt es Änderungen in der Programmgestaltung. Comedy-Sendungen,<br />
Shows sowie Action- und Katastrophenfilme werden aus dem Programm<br />
gestrichen.<br />
Am 1. Oktober nimmt das landesweite private Fernsehprogramm tv.nrw in Nordrhein-Westfalen<br />
seinen Sendebetrieb im Kabel auf. Gesellschafter der Betreibergesellschaft<br />
sind die drei größten Zeitungsverlage Nordrhein-Westfalens: die Zeitungsgruppe<br />
WAZ aus Essen, die Verlagsgruppe Rheinische Post aus Düsseldorf und das Verlagshaus<br />
DuMont Schauberg aus Köln.<br />
Am 1. November starten Radio Bremen und NDR das gemeinsame Hörfunkprogramm<br />
Nordwest-Radio. Es tritt an die Stelle der bisherigen Kulturwelle von Radio Bremen,<br />
die wegen der zurückgehenden Einnahmen aus dem ARD-Finanzausgleich so<br />
nicht fortgesetzt werden konnte. Das Projekt ist zunächst bis 2005 befristet.<br />
Am 26. November legt die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM)<br />
ihren 3. Programmbericht zur Lage und Entwicklung des Fernsehens vor. Danach ist die<br />
Programmentwicklung auf vielen Kanälen durch eine geringere Programmleistung geprägt,<br />
stattdessen gibt es mehr Werbung, mehr Teleshopping und mehr kurzfristige<br />
Wiederholungen. Die Unterhaltung dominiert, aber neben die Filme und Serien treten<br />
zunehmend Quizsendungen, Shows und Spiele sowie unterhaltende Publizistik etwa in<br />
Form von Talkshows. Die politische Informationsleistung des Fernsehens ist rückläufig.<br />
In keinem der untersuchten privaten Programme hat der Anteil der politischen Publizistik<br />
im weit gefassten Sinne mehr als vier Prozent der Sendezeit betragen. Bei ARD<br />
und ZDF ist der Anteil der politischen Publizistik auf 18 Prozent zurückgegangen.<br />
3.3 Online-<strong>Medien</strong><br />
Am 29. Januar teilt die Kirch-Gruppe mit, dass der Start der von Kirch New Media entwickelten<br />
Entertainment-Plattform maxdome auf unbestimmte Zeit verschoben und die<br />
Gesellschaft mit ProSieben Digital Media zusammengelegt werden soll. Das Unternehmen<br />
soll sich auf den Ausbau des vorhandenen Online-Marken-Netzwerkes beschränken.<br />
Fast zeitgleich wird bekannt gegeben, dass die Bertelsmann Broadband Group in<br />
RTL New Media integriert wird. Wegen der Verzögerungen im Verkauf und im Ausbau<br />
des Kabelnetzes werden vorerst zu geringe Chancen für Inhalte-Anbieter gesehen.<br />
Am 4. April startet www.bild.t-online.de, ein Joint Venture des Axel-Springer-Verlages<br />
mit der T-Online AG, die 37 Prozent der Anteile hält. Beide sind in ihrem Bereich<br />
Marktführer in Deutschland, Bild mit 11 Mio. Lesern, T-Online mit 14 Mio. Nutzern.<br />
Ein Kooperationsprojekt von T-Online und ZDF unter der Adresse www.heute.t-online.de<br />
startet am 25. August. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger kritisiert<br />
dieses Projekt als rechtswidrig.<br />
Am 9. August teilen die Verlagsgruppen Burda und Milchstraße mit, dass sie ihre Internet-Portale<br />
zusammenlegen und die Focus Digital AG und die Tomorrow Internet<br />
AG zur Tomorrow Focus AG fusionieren. Sie reagieren damit auf die zurückgehenden<br />
Erwartungen im Online-Sektor.<br />
4. Werbung<br />
Für das Gesamtjahr 2001 gehen die Bruttowerbeeinnahmen der <strong>Medien</strong> um 6,3 Prozent<br />
auf 17 Mrd. Euro zurück, ermittelt die AC Nielsen Werbeforschung S+P. Betroffen sind<br />
alle klassischen <strong>Medien</strong>, am stärksten Fachzeitschriften (–15,9%), Zeitungen (–10,5%)<br />
467
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
und Hörfunk (–10,5%). Gegenüber 1999 verbleibt ein Zuwachs von 4,9 Prozent. Der<br />
langfristige Trend zugunsten der elektronischen <strong>Medien</strong> setzt sich fort: Sie erreichen einen<br />
Marktanteil von 49,9 Prozent, der Anteil der Presse verringert sich auf 47,3 Prozent,<br />
die Plakatwerbung erzielt mit 2,7 Prozent ein nahezu konstantes Ergebnis.<br />
Zum 1. Juli führt der Heinrich Bauer Verlag ein neues Anzeigen-Reservierungssystem<br />
ein, mit dem es möglich ist, bis zu einem halben Jahr im Voraus Anzeigenplätze in Zeitschriften<br />
online zu reservieren. Unter www.adplacement.de sind dazu auch Informationen<br />
über die geplante redaktionelle Struktur und die Branchenzuordnung der bereits<br />
vorliegenden Reservierungen einsehbar.<br />
5. <strong>Medien</strong>nutzung<br />
Die Deutschen verbringen im Durchschnitt knapp achteinhalb Stunden pro Tag mit der<br />
<strong>Medien</strong>nutzung. Das zeigen die im April publizierten Ergebnisse der Langzeitstudie<br />
„Massenkommunikation“, die seit 1964 in mehrjährigen Abständen von ARD und ZDF<br />
durchgeführt wird. Mit 206 Minuten täglich entfällt die meiste Zeit auf den Hörfunk;<br />
mit 185 Minuten folgt das Fernsehen. Die Zeitungslektüre beschäftigt die Menschen eine<br />
halbe Stunde pro Tag, Bücher 18 Minuten, Zeitschriften 10 Minuten, das Internet im<br />
Durchschnitt 13 Minuten. Die Musik-Speichermedien CD, MC und LP werden zusammen<br />
36 Minuten pro Tag genutzt, der Video-Konsum umfasst 4 Minuten täglich.<br />
Im September legen ARD und ZDF neue Ergebnisse aus einer Untersuchung der Internet-Nutzung<br />
vor. Danach sind in Deutschland 24,8 Mio. Erwachsene online. Das Internet<br />
wird von 38,8 Prozent der Deutsch sprechenden Bevölkerung ab 14 Jahren genutzt.<br />
Deutliche Veränderungen zeigen sich hinsichtlich des Nutzungsortes: 1997 war<br />
die Internet-Nutzung noch überwiegend an den Arbeitsplatz oder den Ausbildungsort<br />
gebunden. Inzwischen haben 78 Prozent der User einen Internet-Zugang in ihrer häuslichen<br />
Umgebung.<br />
Zum 31. Oktober scheidet die Motor-Presse Stuttgart, der größte Verlag für Special<br />
Interest-Zeitschriften in Europa, aus der Informationsgemeinschaft zur Feststellung<br />
der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) aus und kommt einem Ausschlussverfahren<br />
wegen falscher Meldungen zuvor. Als Folge werden auch bei der Media-Analyse keine<br />
Daten über die Zeitschriften dieses Verlages mehr ausgewiesen. Die Zeitschrift modern<br />
living, deren Auflage um mehr als 80 Prozent überhöht gemeldet wurde, wird eingestellt.<br />
Quellen<br />
epd medien, Funkkorrespondenz, medien aktuell, Media Perspektiven, Presseinformationen<br />
von <strong>Medien</strong>unternehmen, Verbänden und Landesmedienanstalten, eigene Recherchen<br />
468
English Abstracts and Keywords<br />
Helmut Scherer / Werner Wirth: I chat – who am I? Identity and self-presentation<br />
in virtual communication situations (Ich chatte – wer bin ich? Identität und Selbstdarstellung<br />
in virtuellen <strong>Kommunikations</strong>situationen), pp. 337 – 358<br />
As a result of the triumphal march of the Internet, many people feel that the concept of<br />
identity is crumbling. Studies on the construction of identity in virtual reality emphasise,<br />
above all, the free play with virtual identities and the detachment from one’s own<br />
identity, which is anchored in “real life”. This article critically investigates the myth of<br />
free play with identities. It initially clarifies the concept of identity and distinguishes it<br />
from self-presentation. On this basis, it explains which functions could be associated<br />
with authentic and non-authentic self-presentations in the chat context. The theoretical<br />
reflections are subsequently underlaid empirically with the help of a qualitative and a<br />
quantitative study. Both study sections examine users of a specific chat forum. They<br />
show that the approach of examining chatting from the perspective of normality is definitely<br />
fruitful. The distinction between identity and self-presentation makes it clear that<br />
many chatters also foster an authentic self-presentation if they are untruthful with respect<br />
to their individual attributes of identity. Rather than serving to depart from one’s<br />
own identity and to slip into other identities, the reasons for this are rooted in relationship<br />
and communication tactics. The majority of study participants are interested in<br />
building relationships by chatting and some have a major interest in even integrating<br />
these relations into normal everyday life. For the majority, the pretence of false attributes<br />
of identity apparently has the function in this context of enhancing relational<br />
prospects that are often experienced as deficient in everyday life.<br />
Keywords: Authenticity, relationship, chat forum, identity, real life orientation, selfpresentation,<br />
virtual life orientation<br />
Silvia Knobloch / Grit Patzig / Matthias Hastall: “Informational Utility” – Influence<br />
of usefulness on the selective exposure to negative and positive online news („Informational<br />
Utility“ – Einfluss von Nützlichkeit auf selektive Zuwendung zu negativen<br />
und positiven Online-Nachrichten), pp. 359 – 375<br />
In line with the “Informational Utility” model, the “usefulness” of news can be conceptualised<br />
through three subdimensions: the perceived extent of consequences (magnitude),<br />
the probability of involvement (likelihood), and the temporal proximity of<br />
events (immediacy). These aspects of usefulness influence the recipience of news,<br />
which is utilised all the more extensively, the stronger these dimensions are developed.<br />
Furthermore, as they are reputed to influence the recipience of both positive and negative<br />
news (into opportunities or risks), these three dimensions are formulated into two<br />
hypotheses respectively. In two field experiments on positive and negative online news,<br />
grammar-school pupils (n = 137) read fictitious online school magazines, whose articles<br />
varied in terms of dimensions of informational utility. The exposure to these individual<br />
articles was logged via software. Finally, the persons taking part in the experiment<br />
answered a questionnaire. Four of the six hypotheses were confirmed. Likelihood<br />
and immediacy had a significant influence on the use made of positive news and the<br />
“<br />
469
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
recipience of negative reports were demonstrably influenced by magnitude and immediacy.<br />
Keywords: Informational Utility, usefulness, selective exposure, news<br />
Nicola Döring: Ringtones and logos on the mobile phone: how new media of unicommunication<br />
are used (Klingeltöne und Logos auf dem Handy: Wie neue <strong>Medien</strong><br />
der Uni-Kommunikation genutzt werden), pp. 376 – 401<br />
By concealing or displaying their phone in a systematic way vis-à-vis other persons and<br />
by making it perceptible to outsiders through the selection of certain ringtones and logos<br />
as additional symbolic features, mobile phone users can tell the respective audience<br />
something about their status, their attitudes, their interests and their group affiliations<br />
(uni-communication). This article reconstructs the use of ringtones and logos on the mobile<br />
phone as uni-communicative activity and provides data from three explorative studies:<br />
1. from a quantitative content analysis of ringtones and logo offerings on the Internet,<br />
2. from a guideline-backed oral survey, and 3. from a fully-structured online survey<br />
of mobile phone users. It was revealed that the frequency with which the new ringtones<br />
and logos are loaded onto the mobile phone varies very strongly. The selection of the<br />
category (e.g. ringtone with pop, rock or classical melody; logo with animal, love, sex,<br />
TV or automotive motif) correlates closely with individual interests, gender and age. In<br />
the social context, ringtones and logos indeed become the subject of drawing attention<br />
and making an impression and sometimes stimulate interpersonal as well as intra- and<br />
intergroup follow-up communication.<br />
Keywords: Uni-communication, mobile phones, logos, ringtones, media use<br />
Series: “Classics of Communication and Media Research Today”<br />
Thomas Gebur: Theodor W. Adorno – Criticism of the media as criticism of society<br />
(Theodor W. Adorno – <strong>Medien</strong>kritik als Gesellschaftskritik), pp. 402 – 422<br />
Theodor W. Adorno did not develop a media theory in the more narrow sense. In his<br />
extensive works, various critical media analyses are embedded in a theory of culture industry,<br />
which plays a central role in his theory of society. This article begins by outlining<br />
the context of origin of Adorno’s thoughts in order to shed light upon his specific,<br />
capitalism-critical perspective of the media network. After presenting the societal function<br />
of the culture industry in late capitalism the relevant individual moments are elucidated:<br />
the specific nature of the products of the culture industry on the one hand and the<br />
role of the audiences on the other. The analysis of the interaction between the recipients<br />
and the offerings of mass communication goods seeks to confirm culture industry as a<br />
uniform societal system of integration, the significance of which, in Adorno’s interpretation,<br />
extends beyond a complex of media socialisation. In the analysis of the criticism<br />
levelled against him, comments on Adorno’s characteristic methodology, on his lines of<br />
arguments and on his style illuminate the current relevance of the intention, range and<br />
limitations of his approach. Finally, mention is made of Adorno’s ideas of media pedagogy<br />
and his conceptual reflections on critical recipience research.<br />
Keywords: Theodor W. Adorno, culture industry, criticism of capitalism, theory of society,<br />
critical theory, media capitalism<br />
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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Heftes<br />
Dr. Daniela Ahrens, Institut Technik & Bildung, Universität Bremen,<br />
Am Fallturm 1, 28359 Bremen, dahrens@uni-bremen.de<br />
Prof. Dr. Joan Kristin Bleicher, Institut für Germanistik II, Universität Hamburg,<br />
Von-Melle-Park 6, 20146 Hamburg, fs5a097@rrz.uni-hamburg.de<br />
Dr. Christiane Eilders, Schwäbische Straße 25, 10781 Berlin,<br />
eilders@medea.wz-berlin.de<br />
Dr. Nicola Döring, Institut für <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>,<br />
Technische Universität Ilmenau, <strong>Medien</strong>zentrum, Am Eichicht 1, 98693 Ilmenau,<br />
Nicola.Doering@tu-ilmenau.de<br />
Thomas Gebuhr, M.A., Osterdeich 69, 28203 Bremen, gebur@uni-bremen.de<br />
Matthias Hastall, M.A., Technische Universität Dresden,<br />
Institut für <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>, Weberplatz 5, 01062 Dresden,<br />
Matthias.Hastall@mailbox.tu-dresden.de<br />
Prof. Dr. Dr. Ernest W. B. Hess-Lüttich, Institut für Germanistik, Universität<br />
Bern, Länggass-Str. 49, CH-3000 Bern 9, ernest.hess-luettich@germ.unibe.ch<br />
Prof. Dr. Joachim R. Höflich, Philosophische Fakultät, <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>,<br />
Universität Erfurt, Nordhäuser Straße 63, 99089 Erfurt,<br />
I.R.Hoeflich@my-box.de oder joachim.hoeflich@uni-erfurt.de<br />
Dr. Silvia Knobloch, Technische Universität Dresden, Institut für<br />
<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>, Weberplatz 5, 01062 Dresden,<br />
silvia.knobloch@mailbox.tu-dresden.de<br />
Prof. Dr. Friedrich Krotz, Institut für <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>,<br />
Westfälische Wilhelms-Universität, Bispinghof 9-14, 48143 Münster,<br />
friedrich.krotz@uni-muenster.de<br />
Dr. Wiebke Loosen, Institut für Journalistik und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>,<br />
Universität Hamburg, Allende-Platz 1, 20146 Hamburg,<br />
wiebke.loosen@uni-hamburg.de<br />
Grit Patzig, M.A., Technische Universität Dresden, Institut für <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>,<br />
Weberplatz 5, 01062 Dresden, Grit.Patzig@mailbox.tu-dresden.de<br />
Prof. Dr. Peter von Rüden, Forschungsstelle Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland,<br />
Universität Hamburg, Institut für Germanistik II, Von-Melle-Park 6,<br />
20146 Hamburg, peter.vonrueden@uni-hamburg.de<br />
“<br />
471
M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
Prof. Dr. Helmut Scherer, Institut für Journalistik und <strong>Kommunikations</strong>forschung,<br />
Expo Plaza 12, 30539 Hannover,<br />
Dipl.-Soz. Hermann-Dieter Schröder, Hans-Bredow-Institut, Heimhuder Str. 21,<br />
20148 Hamburg, h.d.schroeder@hans-bredow-institut.de<br />
Prof. Dr. Gerhard Vowe, Technische Universität Ilmenau, Institut für <strong>Medien</strong>-<br />
und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>, PF 100565, 98684 Ilmenau,<br />
Gerhard.Vowe@tu-ilmenau.de<br />
Prof. Dr. Rainer Winter, Institut für <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>,<br />
Universitätsstraße 65-67, A-9020 Klagenfurt, rainer.winter@uni-klu.ac.at<br />
Prof. Dr. Werner Wirth, Institut für <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> (ZW)<br />
der Ludwig-Maximilians-Universität, Oettingenstr. 67, 80538 München,<br />
mail@werner-wirth.de oder wirth@ifkw.uni-muenchen.de<br />
Dr. Wolfgang Wunden, Südwestdeutscher Rundfunk, Unternehmensstrategie,<br />
70150 Stuttgart, Wolfgang.Wunden@swr.de<br />
472
Hinweise für Autorinnen und Autoren<br />
Die <strong>wissenschaft</strong>liche Vierteljahreszeitschrift „<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“<br />
(bis Ende 1999 „Rundfunk und Fernsehen – Zeitschrift für <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“)<br />
wird seit 1953 vom Hans-Bredow-Institut herausgegeben<br />
und redaktionell betreut. Die Zeitschrift ist ein interdisziplinäres Forum für theoretische<br />
und empirische Beiträge aus der gesamten <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>.<br />
Für die Publikation in „<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“ kommen folgende<br />
Textsorten in Betracht:<br />
• Aufsätze sollen ein Moment originärer theoretischer Leistung beinhalten bzw. einen<br />
theoretisch weiterführenden Argumentationsgang bieten;<br />
• Berichte sollen Befunde zu einem ausgewiesenen Problem von theoretischer oder<br />
medienpraktischer Relevanz darstellen;<br />
• Unter der Rubrik Diskussion sollen Beiträge erscheinen, die innerhalb eines <strong>wissenschaft</strong>lichen<br />
Diskurses Position beziehen und die Diskussion voranbringen können.<br />
Dabei können auch spekulative Betrachtungen fruchtbar sein.<br />
• Literaturberichte/-aufsätze sollen Literatur bzw. ausgewählte Literatur zu bestimmten<br />
Problemstellungen systematisch und vergleichend zusammenfassen und<br />
eine Übersicht über den Stand der Theorie und/oder Empirie geben.<br />
Die Redaktion bietet außerdem die Möglichkeit zur Stellungnahme und Erwiderung zu<br />
publizierten Beiträgen der oben genannten Kategorien. Stellungnahmen und Erwiderungen,<br />
die den in „<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“ üblichen inhaltlichen und<br />
formalen Standards entsprechen und geeignet sind, die <strong>wissenschaft</strong>liche Diskussion zu<br />
fördern, werden im nächstmöglichen Heft publiziert. Die Redaktion räumt dabei dem<br />
Autor bzw. der Autorin des Beitrages, auf den sich die Stellungnahme bezieht, die Möglichkeit<br />
einer Erwiderung ein.<br />
Manuskripte, die zur Publikation in „<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“ eingereicht<br />
werden, dürfen nicht anderweitig veröffentlicht sein und bis Abschluss des Begutachtungsverfahrens<br />
nicht anderen Stellen zur Veröffentlichung angeboten werden.<br />
Im Sinne der Förderung des <strong>wissenschaft</strong>lichen Diskurses und der kumulativen Forschung<br />
sowie der Qualitätssicherung legt die Redaktion bei der Begutachtung von Beiträgen<br />
besonderen Wert darauf, dass größtmögliche Transparenz hinsichtlich der verwendeten<br />
Daten hergestellt wird. Autorinnen und Autoren empirischer Beiträge verpflichten<br />
sich mit der Einreichung des Manuskripts, dass sie die Art und Weise der Datenerhebung<br />
bzw. den Zugang zu Datenbeständen, die von Dritten (z. B. Datenbanken) zur<br />
Verfügung gestellt worden sind, ausreichend dokumentieren, um so die Voraussetzungen<br />
für Sekundäranalysen und Replikationen zu schaffen. Zugleich erklären sie sich bereit,<br />
die verwendeten Daten bei <strong>wissenschaft</strong>lich begründeten Anfragen im Rahmen der jeweils<br />
gegebenen Möglichkeiten für weitere Analysen zur Verfügung zu stellen.<br />
Formalien:<br />
• Manuskripte sind der Redaktion in dreifacher Ausfertigung zuzuschicken.<br />
• Da die eingereichten Manuskripte anonymisiert begutachtet werden, sind zwei Titelblätter<br />
erforderlich: eines mit Angabe des Titels und der Namen und Anschriften<br />
der Autorinnen und Autoren, eines ohne Anführung der Namen und Adressen. Das<br />
Manuskript selbst darf keine Hinweise auf die Autorinnen und Autoren enthalten.<br />
“<br />
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M&K 50. Jahrgang 3/2002<br />
• Beizufügen ist eine kurze Zusammenfassung des Beitrags (max. 15 Zeilen), die dem<br />
Leser als selbständiger Text einen hinreichenden Eindruck vom Inhalt des jeweiligen<br />
Beitrags vermittelt.<br />
• Der Umfang der Beiträge soll 20 Manuskriptseiten (55.000 Zeichen) nicht überschreiten.<br />
• Die Manuskriptseiten müssen im DIN A4-Format (einseitig), anderthalbzeilig beschrieben<br />
und mit ausreichendem Rand versehen sein.<br />
• Gliederung des Textes: Jedes Kapitel und Unterkapitel sollte mit einer Überschrift<br />
(in Dezimalzählung) versehen sein.<br />
• Hervorhebungen im Text sind kursiv oder fett zu kennzeichnen.<br />
• Für Hinweise und Literaturbelege bestehen wahlweise zwei Möglichkeiten:<br />
a) durch Angabe von Autor, Erscheinungsjahr und Seitenziffer im fortlaufenden<br />
Text – z. B.: . . . (Müller, 1990: 37 – 40) . . . –, wobei der vollständige bibliographische<br />
Nachweis über ein Literaturverzeichnis im Anschluss an den Beitrag erfolgt;<br />
b) über durchnumerierte Anmerkungsziffern, wobei der Text der Anmerkung auf<br />
der entsprechenden Seite aufgeführt wird.<br />
Über eine Annahme des Manuskripts und den Zeitpunkt der Veröffentlichung entscheidet<br />
die Redaktion auf der Grundlage redaktionsinterner und externer Gutachten.<br />
Dem/der Autor/in wird die Redaktionsentscheidung schriftlich mitgeteilt. Im Falle einer<br />
Entscheidung für Überarbeitung, Neueinreichung oder Ablehnung legt die Redaktion<br />
die Gründe für ihre Entscheidung offen. Dazu werden die anonymisierten Gutachten,<br />
evtl. auch nur in Auszügen, zugesandt. Das Begutachtungsverfahren ist in der<br />
Regel sechs Wochen nach Eingang des Manuskripts abgeschlossen; falls die Begutachtung<br />
längere Zeit erfordert, werden die Autor/inn/en benachrichtigt.<br />
Von jedem Originalbeitrag werden 20 Sonderdrucke kostenlos zur Verfügung gestellt.<br />
Weitere Sonderdrucke können bei Rückgabe der Fahnenkorrektur an die Redaktion<br />
schriftlich gegen Rechnung bestellt werden.<br />
Verlag und Redaktion haften nicht für Manuskripte, die unverlangt eingereicht werden.<br />
Mit der Annahme eines Manuskripts erwirbt der Verlag von den Autorinnen und Autoren<br />
alle Rechte, insbesondere auch das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen<br />
Zwecken im Wege des fotomechanischen oder eines anderen Verfahrens.<br />
Anschrift der Redaktion: Hans-Bredow-Institut<br />
Heimhuder Straße 21, 20148 Hamburg (Tel. 0 40/45 02 17-41)<br />
<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />
Herausgegeben vom Hans-Bredow-Institut für <strong>Medien</strong>forschung an der Universität Hamburg<br />
ISSN 1615-634X<br />
Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung,<br />
die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des<br />
Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und<br />
die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2002. Printed in Germany.<br />
Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich (4 Hefte jährlich), Jahresabonnement € 64,–, Jahresabonnement<br />
für Studenten € 40,– (gegen Nachweis), Einzelheft € 20,– jeweils zuzügl. Versandkosten (inkl.<br />
MwSt); Bestellungen nehmen der Buchhandel und der Verlag entgegen; Abbestellungen vierteljährlich zum Jahresende.<br />
Zahlung jeweils im Voraus an Nomos Verlagsgesellschaft, Postscheckk. Karlsruhe 736 36-751 und Stadtsparkasse<br />
Baden-Baden, Konto 5-002 266.<br />
Verlag und Anzeigenannahme: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, 76520 Baden-Baden,<br />
Telefon: (0 72 21) 21 04-0, Telefax: 21 04 27.<br />
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M&K 2002/3 <strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>