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Kommunikations- wissenschaft - Medien ...

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M&K 48. Jg. 2000/1 E 20039 F<br />

&<br />

HANS-BREDOW-INSTITUT<br />

<strong>Medien</strong><br />

<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />

Wolfgang Hoffmann-Riem<br />

Thesen zur Regulierung der dualen Rundfunkordnung<br />

Otfried Jarren<br />

Gesellschaftliche Integration durch <strong>Medien</strong>? Zur Begründung<br />

normativer Anforderungen an <strong>Medien</strong><br />

Ralph Weiß<br />

„Praktischer Sinn“, soziale Identität und Fern-Sehen.<br />

Ein Konzept für die Analyse der Einbettung kulturellen Handelns<br />

in die Alltagswelt<br />

Britta M. Schultheiss/Stefan A. Jenzowsky<br />

Infotainment: Der Einfluss emotionalisierend-affektorientierter Darstellung<br />

auf die Glaubwürdigkeit<br />

Ulrich Saxer<br />

Mythos Postmoderne: <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>liche Bedenken<br />

Karl-Heinz Ladeur<br />

Der „Funktionsauftrag“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks –<br />

auf „Integration“ festgelegt oder selbst definiert? Anmerkungen<br />

zu drei Rechtsgutachten<br />

Nomos Verlagsgesellschaft<br />

Baden-Baden<br />

Die neue Rundfunk und Fernsehen


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

II


M&K 48. Jg. 2000/1<br />

HANS-BREDOW-INSTITUT<br />

&<br />

I<br />

<strong>Medien</strong><br />

<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />

Redaktion:<br />

Hardy Dreier, Uwe Hasebrink, Thorsten Held, Otfried Jarren,<br />

Friedrich Krotz, Susanne Kubisch, Claudia Lampert, Christiane<br />

Matzen, Eva Rischkau, Hermann-Dieter Schröder, Wolfgang Schulz,<br />

Jutta Simon, Ralph Weiß<br />

Nomos Verlagsgesellschaft<br />

Baden-Baden


M&K 48. Jahrgang 1/2000


EDITORIAL<br />

Vom Jahr 2000 an trägt die Zeitschrift „Rundfunk und Fernsehen“ einen neuen Namen:<br />

„<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“, abgekürzt M&K. Der neue Titel benennt,<br />

was seit langem Gegenstand und Perspektive der Zeitschrift ist: Zu ihrem Gegenstandsbereich<br />

gehören alle <strong>Medien</strong> – seien es „alte“ oder „neue“ – und sie versteht sich als interdisziplinäres<br />

Forum für theoretische und empirische Beiträge aus der gesamten <strong>Medien</strong>-<br />

und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>. Der neue Titel, der keine Begrenzung des<br />

Spektrums auf Hörfunk und Fernsehen mehr nahe legt, soll auch Autoren und Lesern<br />

aus neuen Bereichen, z. B. den Online-<strong>Medien</strong> und der Telekommunikation, signalisieren,<br />

dass die Zeitschrift für sie relevante Inhalte bietet.<br />

Unter dem Titel „Rundfunk und Fernsehen“ ist die Zeitschrift, die zuerst 1948 erschien<br />

und seit 1953 vom Hans-Bredow-Institut herausgegeben und redaktionell betreut wird,<br />

zu einem zentralen Forum des kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lichen Diskurses geworden,<br />

für viele Mitglieder der Scientific Community gehört „RuF“ einfach dazu. Es fällt<br />

daher nicht leicht, von einem so traditionsreichen Namen Abschied zu nehmen. Mit dem<br />

Beginn des Jahres 2000, in dem das Hans-Bredow-Institut seinen 50. Geburtstag feiern<br />

wird, scheint uns jedoch der richtige Anlass gegeben, die von „Rundfunk und Fernsehen“<br />

begründete Tradition unter einem neuen und heute, angesichts der gravierenden<br />

Veränderungen der <strong>Medien</strong>, sachlich angemesseneren Titel fortzuführen.<br />

Auch als „<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“ wird die Zeitschrift dem bisherigen<br />

Konzept folgen. Es wird weiterhin die Rubriken Aufsätze, Berichte und Diskussionsbeiträge,<br />

Rezensionen und Literaturberichte geben, ebenso die Serviceteile Literaturverzeichnis<br />

und Zeitschriftenlese. Unverändert wird sich die Redaktion um die Qualität<br />

der Inhalte bemühen und das anonymisierte externe und interne Begutachtungsverfahren<br />

fortführen. Die Einbeziehung externen Sachverstandes bei der Begutachtung<br />

eingereichter Manuskripte ist ein fester, sehr hilfreicher Bestandteil in der Arbeit der Redaktion<br />

und trifft in der Regel auf eine hohe Bereitschaft innerhalb der Scientific Community,<br />

für die wir uns auch bei dieser Gelegenheit herzlich bedanken. Wir hoffen, dass<br />

mit dieser Unterstützung „<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“ in den kommenden<br />

Jahren das bieten wird, was „Rundfunk und Fernsehen“ in der Vergangenheit ausgemacht<br />

hat: innovative Theorie, aktuelle Themen, aufschlussreiche Empirie, professionelle<br />

Methoden und fruchtbare Diskussionen.<br />

Die Redaktion<br />

3


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

4


Editorial 3<br />

AUFSÄTZE<br />

INHALTSVERZEICHNIS<br />

Wolfgang Hoffmann-Riem Thesen zur Regulierung der dualen Rundfunkordnung<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

Otfried Jarren Gesellschaftliche Integration durch <strong>Medien</strong>? Zur<br />

Begründung normativer Anforderungen an <strong>Medien</strong> 22<br />

Ralph Weiß „Praktischer Sinn“, soziale Identität, und Fern-Sehen.<br />

Ein Konzept für die Analyse der Einbettung<br />

kulturellen Handelns in die Alltagswelt . . . . . . . . . 42<br />

BERICHTE<br />

Britta M. Schultheiss/ Infotainment: Der Einfluss emotionalisierend-af-<br />

Stefan Jenzowsky fektorientierter Darstellung auf die Glaubwürdigkeit<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63<br />

LITERATUR<br />

Aufsätze<br />

Ulrich Saxer Mythos Postmoderne: <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>liche<br />

Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85<br />

Karl-Heinz Ladeur Der „Funktionsauftrag“ des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks – auf „Integration“ festgelegt oder selbst<br />

definiert? Anmerkungen zu drei Rechtsgutachten . 93<br />

Besprechungen<br />

Joan Kristin Bleicher Martin Jurga: Fernsehtextualität und Rezeption.<br />

Opladen/Wiesbaden 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107<br />

Thomas Bruns Klaus Kamps: Politik in Fernsehnachrichten. Struktur<br />

und Präsentation internationaler Ereignisse – ein<br />

Vergleich. Baden-Baden 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108<br />

Elisabeth Clausen-Muradian Volker Nowosadtko: Frequenzplanungsrecht. Nutzung<br />

terrestrischer Frequenzen durch öffentlichrechtliche<br />

Rundfunkanstalten. Baden-Baden 1999 . 110<br />

Dieter Dörr Georg Ress/Jürgen Bröhmer: Europäische Gemeinschaft<br />

und <strong>Medien</strong>vielfalt. Die Kompetenzen der<br />

Europäischen Gemeinschaft zur Sicherung des Pluralismus<br />

im <strong>Medien</strong>bereich. Frankfurt/M. 1998 . . . 112<br />

Dieter Dörr Philipp Steinwärder: Die Arbeitsgemeinschaft der<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik<br />

Deutschland: Entstehung, Tätigkeitsfelder<br />

und Rechtsnatur. Eine rechts<strong>wissenschaft</strong>liche<br />

Untersuchung zur Entwicklung, den Aufgaben und<br />

der Organisation der ARD. Baden-Baden 1998 . . . 114<br />

5


Christiane Eilders Ulrich Sarcinelli (Hrsg.): Politikvermittlung und<br />

Demokratie in der <strong>Medien</strong>gesellschaft. Beiträge zur<br />

politischen <strong>Kommunikations</strong>kultur, Opladen/<br />

Wiesbaden 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116<br />

Michael Jäckel Peter Sicking: Leben ohne Fernsehen. Eine qualitative<br />

Nichtfernseherstudie, Wiesbaden 1998 . . . . . . 119<br />

Udo Michael Krüger G. Christine Müller: Der europäische Fernsehabend.<br />

Köln 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121<br />

Hans-Dieter Kübler Klaus Merten: Gewalt durch Gewalt im Fernsehen?<br />

Opladen/Wiesbaden 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />

Margret Lünenborg Waltraud Cornelißen/Christa Grebel: Gleichberechtigung<br />

on air? Zur Präsentation von Männern<br />

und Frauen im niedersächsischen Hörfunk – eine<br />

empirische Untersuchung. Berlin: Vistas 1999 . . . . 125<br />

Roland Mangold Jürgen Grimm: Fernsehgewalt: Zuwendungsattraktivität<br />

– Erregungsverläufe – sozialer Effekt. Zur Begründung<br />

und praktischen Anwendung eines kognitiv-psychologischen<br />

Ansatzes der <strong>Medien</strong>rezeptionsforschung<br />

am Beispiel von Gewaltdarstellungen.<br />

Opladen/Wiesbaden 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127<br />

Tilmann Sutter Brit Großmann: <strong>Medien</strong>rezeption: Bestehende Ansätze<br />

und eine konstruktivistische Alternative. Opladen/Wiesbaden<br />

1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129<br />

Sabine Trepte Bettina Fromm: Privatgespräche vor Millionen.<br />

Fernsehauftritte aus psychologischer und soziologischer<br />

Perspektive. Konstanz 1999 . . . . . . . . . . . . . . 132<br />

Zeitschriftenlese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134<br />

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154<br />

English abstracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162<br />

6


Thesen zur Regulierung der dualen Rundfunkordnung*<br />

Wolfgang Hoffmann-Riem<br />

Die duale Rundfunkordnung hat sich in Deutschland bewährt. Ihre Regulierung muss<br />

aber auf die Veränderungen der Multimedia-Märkte abgestimmt sein. Die zukünftige<br />

<strong>Medien</strong>regulierung wird den der Veranstaltung vor-, neben- und nachgelagerten Bereichen<br />

vermehrte Aufmerksamkeit zuwenden müssen; vor allem ist für die Verwirklichung<br />

von Zugangschancengerechtigkeit zu sorgen. Selbstregulierung ist für die <strong>Medien</strong> unabdingbar,<br />

sie bedarf aber ergänzender hoheitlicher Sicherungen der Funktionsfähigkeit<br />

der <strong>Medien</strong>ordnung.<br />

I. Die Grundidee der dualen Rundfunkordnung<br />

1. Die Einführung einer dualen Rundfunkordnung in Deutschland war nicht die Umsetzung<br />

einer systematisch entwickelten Konzeption; diese Rundfunkordnung hat sich<br />

vielmehr in verschiedenen Schritten in einem Feld entwickelt, das durch neue technologische<br />

Möglichkeiten, publizistische Entfaltungs- und ökonomische Verwertungsinteressen,<br />

politische Konflikte, rechtliche Vorgaben und verfassungsgerichtliche Interventionen<br />

geprägt war.<br />

2. Die duale Rundfunkordnung baut auf je unterschiedlichen Strukturen des privatwirtschaftlichen<br />

Rundfunks einerseits und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks andererseits<br />

auf. Die Kombination beider Säulen soll die Rundfunkfreiheit dadurch fördern,<br />

dass es in den Strukturen verankerte unterschiedliche Programmorientierungen und zugleich<br />

Möglichkeiten der Kompensation der Nachteile eines Systems durch Vorteile des<br />

anderen und umgekehrt gibt (Idee struktureller Diversifikation). Der bedeutsamste<br />

Strukturunterschied besteht in dem zwischen Privatwirtschaftlichkeit einerseits und<br />

Gemeinwirtschaftlichkeit andererseits. Beide Säulen stehen im Wettbewerb zueinander.<br />

In programmlicher Hinsicht ist dies ein publizistischer Wettbewerb, kein ökonomischer.<br />

3. Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Verkoppelung beider Säulen eine Rechtfertigung<br />

dafür, dass die Vielfaltsanforderungen für privatwirtschaftlichen Rundfunk<br />

verringert werden können, aber nur „solange und soweit die Wahrnehmung dieser Aufgaben<br />

jedenfalls durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirksam sichergestellt ist“.<br />

Die duale Rundfunkordnung ist zwar nicht verfassungsrechtlich aufgegeben. Die Beseitigung<br />

der Dualität hätte aber erhebliche normative Folgerungen für die Anforderungen<br />

an die Rundfunkordnung, etwa an die Betätigung von privaten Rundfunkveranstaltern.<br />

II. Veränderungen der Ausgangslage<br />

AUFSÄTZE<br />

4. Die Europäisierung des Rundfunkwesens hat die Entstehung einer dualen Rundfunkordnung<br />

befördert. Die EG-Aktivitäten zielen durchgängig auf eine Stärkung der pri-<br />

* Zusammenfassende Thesen der Untersuchung „Regulierung der dualen Rundfunkordnung –<br />

Grundsatzfragen“, die in Kürze als Monografie im Nomos-Verlag erscheint.<br />

7


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

vatwirtschaftlichen Säule der Rundfunkordnung, stellen aber die duale Ordnung nicht<br />

grundsätzlich in Frage. Durch das auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bezogene<br />

Protokoll zum Amsterdamer Vertrag ist die Dualität bestärkt worden.<br />

5. Neuerungen bei den Informationstechnologien, den Netzinfrastrukturen, den Geräten<br />

sowie den technischen und inhaltlichen <strong>Kommunikations</strong>diensten führen zur<br />

Vervielfältigung der Übertragungskapazitäten, zu neuen Inhalten der Individual- und<br />

Massenkommunikation, zu neuen Arten und Pfaden der Verbreitung und zu neuen<br />

Programm- und Vermarktungsformen, aber auch zu neuen Rezeptionsmöglichkeiten<br />

und -gewohnheiten. Die Informationstechnologie-, Telekommunikations- und <strong>Medien</strong>märkte<br />

durchdringen und überlagern einander zunehmend (Konvergenzen). Neue<br />

Anbieter treten auf und alte wie neue Akteure versuchen, ihre Aktivitäten auf unterschiedliche<br />

Glieder der Multimedia-Wertschöpfungskette zu erstrecken bzw. an mehreren<br />

Stellen in dem sich entwickelnden Multimedia-Wertschöpfungsnetzwerk zu handeln,<br />

dabei insbesondere Größen- und sonstige Synergieeffekte zu nutzen.<br />

6. Die früher als relativ einheitlicher Vorgang gehandhabte Rundfunkveranstaltung<br />

i. w. S. (Einheit von Produktion, Veranstaltung und Verbreitung) löst sich zunehmend<br />

in einzelne Segmente auf und wird zugleich durch neuartige Handlungssegmente ergänzt.<br />

Das integrierte, veranstalterzentrierte Rundfunksystem wandelt sich zu einem<br />

desintegrierten System von Dienstleistern verschiedener Elemente der (Massen)kommunikation.<br />

Die Rundfunkordnung ist nur noch ein Teil einer übergreifenden, dienstebezogen<br />

diversifizierten <strong>Kommunikations</strong>- und Informationsordnung, deren Entwicklungsstand<br />

auf die Möglichkeit der Ausgestaltung der speziellen Rundfunkordnung<br />

zurückwirkt.<br />

7. Rundfunkveranstaltung i. e. S. – verstanden insbesondere als Festlegung der Struktur<br />

des Programms, Zusammenstellung der Segmente und Angebot unter einheitlichem Namen<br />

– lässt sich zwar rechtlich von den ihr vor-, neben- und nachgelagerten Bereichen<br />

trennen. Allein auf die Veranstaltung i. e. S. zu sehen und Regulierung nur darauf auszurichten,<br />

geht aber angesichts der Überlappungen und Vernetzungen sowie wechselseitigen<br />

Austauschbarkeiten an der Realität der <strong>Medien</strong>märkte vorbei. Der Grundstein<br />

für Gefährdungen einer funktionsfähigen <strong>Medien</strong>ordnung kann in den Bereichen der<br />

Programmproduktion, -verbreitung und -rezeption ebenso gelegt werden wie bei der<br />

Rundfunkveranstaltung i. e. S. Neue Risiken für die Funktionsfähigkeit der <strong>Medien</strong>ordnung<br />

können insbesondere durch diverse Zugangsfilter (s. u. Punkt 18 ff.) verwirklicht<br />

werden.<br />

8. Die Entkoppelung und Vermehrung der für die Rundfunkfreiheit erheblichen<br />

Segmente und Ebenen und deren notwendiges Zusammenwirken führen zu neuen<br />

rundfunkverfassungsrechtlichen Fragen und zu neuen Aufgaben der <strong>Medien</strong>regulierung.<br />

III. Die Berechtigung hoheitlicher Rundfunkregulierung<br />

9. Die Berechtigung hoheitlicher Rundfunkregulierung entfällt durch die schon weitgehend<br />

erfolgte und weiter voranschreitende Überwindung der Knappheit von Übertragungskapazitäten<br />

nicht notwendig. Die Frequenzzuteilung unter Knappheitsbedingungen<br />

bot sich lange Zeit als rechtstechnischer Anknüpfungspunkt einer die fernmelderechtliche<br />

Regelung ergänzenden rundfunkrechtlichen Regulierung an; bei Wegfall der<br />

Knappheit können andere Anknüpfungspunkte genutzt werden.<br />

8


10. Rundfunkrechtliche Regulierung folgte stets eigenständigen Zielen, deren Beachtlichkeit<br />

nicht auf Knappheitslagen begrenzt war und die auf neuartige Gefährdungslagen<br />

eingestellt werden können. Der Abbau oder gar Wegfall der Knappheit der Verbreitungsmöglichkeiten<br />

ändert nichts an der fortbestehenden Maßgeblichkeit verfassungsrechtlicher<br />

Ziele der Rundfunkregulierung, kann aber den möglichen Weg der<br />

Zielerreichung beeinflussen. Neuartige Gefährdungen können darüber hinaus neue<br />

Wege der Zielverwirklichung erfordern.<br />

11. Das Recht verfolgt unterschiedliche Ziele bei Schrankengesetzen einerseits (Art. 5<br />

Abs. 2 GG) und <strong>Medien</strong>-Ausgestaltungsgesetzen andererseits (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG).<br />

Die für die Funktionsweise der dualen Rundfunkordnung maßgebenden Ausgestaltungsgesetze<br />

müssen sich an ihrem Beitrag zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der<br />

<strong>Medien</strong>ordnung rechtfertigen lassen. Die Begriffe „kommunikative Vielfalt“ und „kommunikative<br />

Chancengerechtigkeit“ bezeichnen anerkannte – im Einzelnen näher zu<br />

operationalisierende – Bündel von Zielen. Da ein zentraler Bezugspunkt der Rundfunkfreiheit<br />

die Meinungsbildungsfreiheit der Rezipienten ist, müssen rundfunkrechtliche<br />

Regeln auch auf die kommunikative Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger abgestimmt<br />

sein.<br />

12. Der Aufbruch in die Multimedia-Welt schafft keine Rechtfertigung, das Niveau der<br />

Zielerwartungen zu verringern. Im Gegenteil könnte er als Chance genutzt werden, dieses<br />

Niveau angesichts der neuen Möglichkeiten sogar höher als bisher anzusetzen. Jedenfalls<br />

ist es eine Herausforderung der Wissens- und Informationsgesellschaft, zumindest<br />

an den tradierten normativen Werten einer freiheitlichen Gesellschaft, so auch an<br />

denen der Emanzipation der Bürgerinnen und Bürger und des Schutzes vor Manipulation,<br />

festzuhalten und in der gegenwärtigen Zeit des multimedialen Umbruchs das gesellschaftlich<br />

verfügbare Potenzial an Werten, Informationen und Ideen möglichst weitgehend<br />

zugänglich zu machen und für möglichst viele nutzbar werden zu lassen. Es sollte<br />

auch denjenigen zugute kommen, denen dies bisher aufgrund ihrer Lebenssituation<br />

oder begrenzter persönlicher Kompetenzen erschwert war.<br />

13. Die empirischen Anzeichen deuten demgegenüber eher in die Richtung, dass diese<br />

Ziele nicht vorrangiger Bezugspunkt der Entwicklung sind. In erster Linie werden<br />

ökonomische Entfaltungsinteressen befriedigt; Manipulationsrisiken nehmen zu; die<br />

Kluften in den soziokulturellen, finanziellen und technologischen Zugangsmöglichkeiten<br />

werden eher größer, also z. B. Ungleichheiten eher verstärkt als abgebaut. Daraus<br />

könnte eine neue soziale Frage, die der Informations- und Wissensgesellschaft, entstehen.<br />

IV. Regelungsziele und Risiken ihrer Verfehlung<br />

Hoffmann-Riem · Regulierung des dualen Rundfunks<br />

14. Die Ausgestaltung der Rundfunkordnung muss dem Ziel „gleichgewichtiger Vielfalt“<br />

unter Vermeidung der Risiken von Fehlentwicklungen dienen. Hoheitliche Rundfunkregulierung<br />

ist als Mittel gerechtfertigt, soweit alleinige Selbstregulierung – d. h. in<br />

einer privatwirtschaftlichen Ordnung regelhaft Marktregulierung – zu verfassungsrechtlich<br />

gewichtigen Fehlentwicklungen (Marktversagen) führen würde, die nach der<br />

Einschätzung des Gesetzgebers durch Regulierung vermieden oder doch gemildert werden<br />

können. Nicht zu übersehen sind aber auch Risiken des Regulierungsversagens; diese<br />

dürfen nicht gewichtiger sein, sondern sollten möglichst im Vergleich zu denen des<br />

Marktversagens als geringer zu bewerten sein.<br />

9


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

15. <strong>Medien</strong>ökonomische Analysen unter besonderer Berücksichtigung struktureller Besonderheiten<br />

der <strong>Medien</strong>märkte zeigen Defizite einer alleinigen Marktsteuerung. Insbesondere<br />

die Theorien, die sich mit der Produktion meritorischer Güter, mit externen Effekten<br />

und mit der Netzwerkökonomie befassen, können solche Risiken auch theoretisch<br />

plausibilisieren und zeigen, dass im <strong>Medien</strong>- und Informationsmarkt strukturell<br />

besondere Risiken angelegt sind. Der aktuelle Umbruch der <strong>Medien</strong>landschaft indiziert<br />

besondere Macht- und Konzentrationspotenziale sowie Missbrauchsrisiken, insbesondere<br />

bei der Zugangsfilterung. Die Palette möglicher Risiken ist größer und vielschichtiger,<br />

als das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung berücksichtigen<br />

konnte.<br />

16. Da es schon medienrechtliche Regulierungen gibt, ist insbesondere zu fragen, ob sie<br />

ausreichen bzw. zur Fehlsteuerung führen. Gegenstand der medienverfassungsrechtlichen<br />

Beurteilung ist nicht die Chance für die Verwirklichung wirtschaftlicher Interessen<br />

– etwa der gewinnmaximalen Teilhabe an der Wertschöpfung im Multimedia-<br />

Markt –, sondern die auf publizistischem Wettbewerb aufbauende Funktionsfähigkeit<br />

der <strong>Medien</strong>ordnung, die der Sicherung der <strong>Medien</strong>freiheit auch und in erster Linie als<br />

Meinungsbildungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger dient.<br />

17. Die weitgehende Entkoppelung der verschiedenen freiheitsrelevanten Ebenen von<br />

Produktion, Veranstaltung i. e. S. und Verbreitung und deren weitere Ausdifferenzierung<br />

(s. Punkt 6 und 72) führen zu ebenenspezifischen Fragen nach Risiken und<br />

entsprechenden Regelungsbedarfen und Regelungsmöglichkeiten und nach Möglichkeiten<br />

der kooperativen Verkoppelung. Auf jeder der Ebenen ist zu fragen, wieweit die<br />

Ziele des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG durch marktmäßige Organisation erreicht werden können<br />

oder wieweit ergänzend oder ersetzend besondere Ausgestaltungen erforderlich sind.<br />

V. Gefährdungen der Zugangschancengerechtigkeit<br />

18. Aktuelle medienpolitische Vorschläge befassen sich zwar auch, aber nur in eingeengter<br />

Hinsicht, mit den aktuell dringend gewordenen Problemen der Zugangsfilterung<br />

und damit dem Risiko der Verfehlung der Zugangschancengerechtigkeit. Wichtige normative<br />

Zielebenen verweisen auf die Notwendigkeit von Sicherungen für<br />

• die Zugangschancengerechtigkeit für Kommunikatoren, insbesondere im Sinne<br />

eines Zugangs zu Produktionsfaktoren, zu Verbreitungs- und Vermarktungsmöglichkeiten;<br />

• die Empfangschancengerechtigkeit für Nutzer, insbesondere im Sinne einer Zugänglichkeit<br />

der Netzinfrastruktur, der Verfügbarkeit nicht nur quantitativ, sondern<br />

auch qualitativ den Bedürfnissen angemessener, auf die gesellschaftlichen<br />

Möglichkeiten abgestimmter Inhaltsangebote;<br />

• eine manipulationsfreie (-arme) Rezeptionssituation und<br />

• die Zugänglichkeit in einer auf die kommunikative Kompetenz der Rezipienten<br />

abgestimmten, sie gegebenenfalls fördernden Weise.<br />

19. Zugangsprobleme gibt es in verschiedenen, miteinander verkoppelten Dimensionen,<br />

so insbesondere als (vorrangig)<br />

• vertriebsbezogene Zugangsprobleme;<br />

• angebotsbezogene Zugangsprobleme;<br />

• rezipientenbezogene Zugangsprobleme.<br />

10


Hoffmann-Riem · Regulierung des dualen Rundfunks<br />

20. Gegenwärtig sind die Probleme des Zugangs zu Verbreitungsinfrastrukturen von besonderer<br />

Relevanz, da dort Weichen gestellt und Strukturen eingerichtet werden, die in<br />

Zukunft nur schwer korrigierbar sein dürften. Problematische Zugangshürden können<br />

insbesondere in folgenden Kontexten errichtet werden:<br />

• Setzung von Konditionen für den Zugang zur Verbreitung von <strong>Kommunikations</strong>diensten;<br />

• Multiplexing;<br />

• Programmpaketvermarktung;<br />

• Navigationssysteme.<br />

21. Nachhaltige Vermachtungsrisiken gibt es auch mit dem Blick auf die Zugänglichkeit<br />

der Rundfunkveranstalter zu Produktionsressourcen und Programmrechten.<br />

22. Die zurzeit beobachtbare Tendenz zur Verkoppelung von Marktmacht in unterschiedlichen<br />

Sektoren der <strong>Medien</strong>märkte verändert die <strong>Kommunikations</strong>verhältnisse<br />

nachhaltig, ohne dass es schon angemessene regulative Gegenvorkehrungen für den Fall<br />

der Gefährdung der Funktionsfähigkeit der <strong>Medien</strong>ordnung gäbe.<br />

VI. <strong>Medien</strong>regulierung als hoheitlich regulierte Selbstregulierung<br />

23. Rundfunkregulierung gilt zwar einem besonderen Gegenstandsbereich mit spezifischen<br />

Regulierungsaufgaben, kann aber grundsätzlich auf die gleichen Regulierungskonzepte<br />

und -instrumente zugreifen, die in anderen Zusammenhängen für hoheitliche<br />

Regulierungen entwickelt wurden. Gegenwärtig werden die Aufgaben und die Verantwortungsteilung<br />

zwischen Hoheitsträgern (Staat) und Gesellschaft in vielen Bereichen<br />

neu konzipiert. Dazu gehören die weltweiten, auch im EG-Bereich forcierten, Bemühungen,<br />

möglichst weitgehend auf Selbstregulierung zu vertrauen. Selbstregulierung<br />

gibt es nicht nur in Form der Marktregulierung.<br />

24. Soweit der Staat – wie aufgrund des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG – in Bereichen mit Selbstregulierung<br />

weiter Verantwortung für die Verwirklichung bestimmter Ziele oder die<br />

Wahrnehmung bestimmter Aufgaben trägt, muss er einen regulativen Rahmen für die<br />

Selbstregulierung bereitstellen (hoheitlich regulierte gesellschaftliche Selbstregulierung).<br />

Ergänzend kann es erforderlich sein, seine Auffangverantwortung insbesondere<br />

zur Abfederung negativer Folgewirkungen der Selbstregulierung zu nutzen.<br />

25. Die Aufgaben der Sicherung der Freiheitlichkeit der Kommunikation und das damit<br />

gekoppelte Gebot der Staatsferne bzw. Staatsfreiheit haben dazu geführt, dass der <strong>Medien</strong>bereich<br />

seit jeher auf Selbstregulierung, und zwar auf je unterschiedliche Typen der<br />

Selbstregulierung, ausgerichtet ist, dass der Gewährleistungsauftrag des Staates aber eine<br />

regulative Umhegung erlaubt und fordert, soweit sonst publizistische Gemeinwohlbelange<br />

nicht hinreichend berücksichtigt werden.<br />

26. In heuristischer Absicht sollen mit dem Begriff der rundfunkrechtlichen „Steuerung“<br />

Tätigkeiten von Hoheitsträgern bezeichnet werden, mit denen sie auf die Akteure<br />

im Rundfunkbereich einwirken, um dem Gewährleistungsauftrag des Art. 5 Abs. 1<br />

Satz 2 GG nachzukommen. Dass sie dabei nur in den Grenzen der Verfassung, also insbesondere<br />

unter Ausschluss programminhaltlicher Lenkung, handeln, muss stets gesichert<br />

bleiben.<br />

27. Sowohl die Steuerung komplexer sozialer Systeme als auch des Verhaltens Einzelner<br />

ist schwierig. Deterministische, auf lineare Kausalitäten ausgerichtete Steuerungskon-<br />

11


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

zepte sind meist untauglich; unter den gegenwärtigen Ungewissheitsbedingungen und<br />

angesichts der vielfältigen Vernetzungen sind insbesondere verschlungene, nicht leicht<br />

nachvollziehbare Wirkungspfade und dynamische Rückkoppelungen einzukalkulieren,<br />

so dass es sich empfiehlt, entsprechend voraussetzungsvolle Steuerungskonzepte zu nutzen.<br />

28. Typisch für moderne <strong>Medien</strong>regulierung ist eine Steuerung unter Nutzung von<br />

rechtlichen Rahmen- und Strukturvorgaben, die durch einzelne Verhaltensregeln ergänzt<br />

werden. <strong>Medien</strong>aufsicht unterstützt die Struktursteuerung (z. B. durch begrenzte<br />

Programminhaltsbindungen, Werberestriktion etc.) und ermöglicht die Korrektur von<br />

Fehlverhalten im Einzelfall.<br />

VII. Schwierigkeiten erfolgreicher Regulierung<br />

29. Rechtliche Einwirkungen auf ein gesellschaftliches Feld (inputs) können – neben<br />

Folgenlosigkeit – Folgen verschiedener Art bewirken. Von der Veranlassung konkreten<br />

Verhaltens (output) sind die Wirkungen auf die konkret Betroffenen (impact) und davon<br />

die Auswirkungen in den betreffenden gesellschaftlichen Bereichen (outcome) zu<br />

unterscheiden.<br />

30. Welche rechtlichen Instrumente zum Erfolg führen, lässt sich nicht gegenstandsneutral<br />

und abstrakt bestimmen. Steuerungserfolge werden maßgebend durch die in<br />

dem Regelungsfeld bestimmenden Handlungsrationalitäten („Eigenlogiken“) beeinflusst.<br />

Am ehesten werden rechtliche Vorgaben befolgt, wenn sie Optionen bereitstellen,<br />

die ein Verhalten erlauben, das mit den Eigeninteressen der Betroffenen kompatibel<br />

ist oder das ihnen besondere Vorteile verspricht. Diese Eigeninteressen sind allerdings<br />

häufig nicht bei allen Betroffenen identisch, so dass die Interessenheterogenität der verschiedenen<br />

Akteure berücksichtigt werden muss und gegebenenfalls auch für die Steuerung<br />

(strategisch) genutzt werden kann.<br />

31. Rechtliche Steuerung gegen die Interessen der Betroffenen führt zu Ausweichreaktionen<br />

und ist nur ausnahmsweise – etwa unter Einsatz von Repression – erfolgreich.<br />

Repression aber ist in einer auf Selbstregulierung aufbauenden Ordnung ein Fremdkörper<br />

und kann daher nur ausnahmsweise Erfolg versprechend eingesetzt werden.<br />

32. Soweit die Verfolgung der Eigeninteressen nicht zur Befriedigung von Gemeinwohlinteressen<br />

ausreicht, sollte darauf hingewirkt werden, den Betroffenen einen Verhaltenskorridor<br />

zu eröffnen, der es ihnen zwar ermöglicht, aber auch nur erlaubt, Optionen<br />

zu wählen, die zugleich gemeinwohlverträglich sind. Zielverwirklichung durch Kooperation<br />

der hoheitlichen Verantwortungsträger mit den Betroffenen ist ein häufig gewählter<br />

Weg in einer im Wesentlichen auf Selbstregulierung beruhenden rechtlichen<br />

Ordnung.<br />

33. Die Erfahrungen mit <strong>Medien</strong>recht und <strong>Medien</strong>aufsicht – in Diskussionen meist konzentriert<br />

und reduziert auf Rundfunkaufsicht – geben weltweit viele Anwendungsbeispiele<br />

für die Schwierigkeiten der hoheitlichen Steuerung und damit für die Richtigkeit<br />

der soeben allgemein formulierten Thesen. Aufsichtliche Einwirkungen auf den privaten<br />

Rundfunk waren zwar nicht durchgängig folgenlos; sie haben insbesondere zu einer<br />

relativen Ordnung der Entwicklung des Rundfunkwesens beigetragen. Aufsicht war<br />

aber umso schwieriger und zum Teil folgenloser, je stärker die Aufsichtsziele und -instrumente<br />

mit den Orientierungen der Unternehmen am Markterfolg kollidierten (so<br />

z. B. bei programminhaltlichen Vorgaben oder bei der Konzentrationsbekämpfung).<br />

12


Hoffmann-Riem · Regulierung des dualen Rundfunks<br />

Allerdings gab es auch erhebliche regulative Einwirkungen, die den Beaufsichtigten<br />

(oder einem Teil von ihnen) zugute kamen oder sie zumindest nicht behinderten.<br />

34. Es gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass hoheitliche Regulierung und<br />

Aufsicht unter den neuen Bedingungen der Multimedia-Wirtschaft leichter fallen bzw.<br />

erfolgreicher sein werden als die traditionelle Rundfunkaufsicht. Die Ausdifferenzierung<br />

der verschiedenen Wertschöpfungsakte und die Möglichkeiten zu ihrer unterschiedlichen<br />

Kombination werden Aufsicht ebenso erschweren wie die zunehmende Internationalisierung.<br />

35. Auf Befunde nachhaltiger Nichtbefolgung bzw. des Unterlaufens aufsichtlicher<br />

Maßnahmen hat die <strong>Medien</strong>aufsicht häufig mit einer Zurücknahme der Anforderungen<br />

und der Gesetzgeber mit einer Modifikation der Regulierungsziele und/oder Abschwächung<br />

der Aufsichtsinstrumente – also durch einen problematischen normativen<br />

Verzicht – reagiert.<br />

36. Die Erfüllung des gesetzlichen Gewährleistungsauftrags des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG<br />

bemisst sich am impact (an der Art des Gebrauchs der Rundfunkfreiheit durch die<br />

Grundrechtsbegünstigten) und am outcome (insbesondere an der Funktionsfähigkeit<br />

der <strong>Medien</strong>ordnung als Teil der Gesellschaftsordnung). Rechtliche Maßnahmen sind<br />

meist so konstruiert, dass sie auf einen bestimmten output hinzielen, von dem angenommen<br />

wird, dass impact und outcome in der erwünschten Weise beeinflusst werden.<br />

Die auf die Veranstaltung von Rundfunk ausgerichtete Steuerung hat es allerdings<br />

schwer, erwünschte outputs (und in der Folge den angestrebten impact und outcome)<br />

zu bewirken.<br />

VIII. Zusammenspiel von <strong>Medien</strong>recht und anderen Teilen der Rechtsordnung<br />

37. Ein Teil der Regulierungsprobleme lässt sich durch Rückgriff auf sonstige Teile der<br />

Rechtsordnung (Telekommunikations-, Zivil-, Wirtschafts-, Urheberrecht u. a.) bewältigen,<br />

die zusammen mit <strong>Medien</strong>recht als wechselseitig nutzbare Teil-Auffangordnungen<br />

verstanden werden können. Die rechtlichen Teilgebiete folgen aber eigenen Zielen<br />

und Rationalitäten und sind nicht geeignet, den Bedarf zur Sicherung der Funktionsfähigkeit<br />

der Rundfunkordnung so zu befriedigen, dass auf rundfunkspezifische Regulierung<br />

verzichtet werden könnte.<br />

38. Der Vorschlag, den ordnungspolitischen Rahmen für Rundfunk zu ändern und<br />

Rundfunkrecht in dem allgemeinen Wirtschaftsrecht aufgehen zu lassen, ist mit den<br />

Grundprinzipien der deutschen dualen Rundfunkordnung nicht vereinbar, weil er darauf<br />

zielt, den ökonomischen Wettbewerb zum zentralen Steuerungsmodus im Programmbereich<br />

zu erheben. Auf diesem Steuerungsmodus aber baut allgemeines Wirtschaftsrecht<br />

auf. Es wäre ein Strukturwiderspruch, öffentlich-rechtlichen Rundfunk einerseits<br />

von ökonomischen Imperativen freizustellen (Gemeinwirtschaftlichkeit) und<br />

ihn im Programmverhalten zugleich allein oder auch nur vorrangig ökonomischen<br />

Steuerungsimpulsen auszusetzen.<br />

39. Für die Regulierung privatwirtschaftlichen Rundfunks scheidet ein durch spezifische<br />

rundfunkrechtliche Bindungen modifiziertes Wirtschaftsrecht allerdings nicht von<br />

vornherein aus. Die gebotene rundfunkspezifische Modifikation könnte allerdings zum<br />

Funktionswandel des Wirtschaftsrechts und der wirtschaftsrechtlichen Aufsicht führen<br />

und damit den Charakter des Wirtschaftsrechts als eines allgemeinen – also im Regelfall<br />

13


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

losgelöst von den spezifischen Strukturen und Leistungsmerkmalen des jeweiligen<br />

Marktes wirkenden – Rechtsrahmens unterminieren.<br />

40. Eine entsprechende wirtschaftsrechtliche Regulierung könnte aus Gründen fehlender<br />

Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht als Ausgestaltungsgesetz im Sinne des<br />

Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergehen; als Schrankengesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG<br />

aber könnte sie nicht speziell auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit der <strong>Medien</strong>ordnung<br />

ausgerichtet sein. Inhaltlich müsste eine rein wirtschaftsrechtliche Steuerung zur<br />

Notwendigkeit anderweitiger Absicherungen der Funktionsfähigkeit der <strong>Medien</strong>ordnung<br />

führen. Gemäß der Logik der dualen Rundfunkordnung, nämlich wegen des normativen<br />

„Scharniers“ bei der Vielfaltssicherung (s. o. Punkt 2 und 3), käme als Alternative<br />

in Betracht, die Fähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Abfederung von<br />

Vielfaltsdefiziten privaten Rundfunks im Vergleich zum Status quo zu verstärken.<br />

IX. Aufgabe fortwährender Überprüfung der Tauglichkeit der Regulierung beider<br />

Teile der dualen Rundfunkordnung<br />

41. Auch schon vorhandene Regulierungen gehören auf den Prüfstand der fortwährenden<br />

Funktionstauglichkeit. Dies gilt für die Regelungen beider Säulen der Rundfunkordnung<br />

sowie für deren Zusammenspiel. Die Fixierung der gegenwärtigen Diskussion<br />

fast nur auf öffentlich-rechtlichen Rundfunk bewirkt eine der dualen Ordnung nicht angemessene<br />

Schieflage.<br />

42. Rundfunkgesetzgebung ist Gesetzgebung zur freiheitsermöglichenden Ausgestaltung<br />

der Rundfunkordnung. Sie ist daher auf die Funktionsfähigkeit dieser Rundfunkordnung<br />

bezogen. Es gibt selbstverständlich auch rechtliche Grenzen zulässiger Ausgestaltung.<br />

In dem durch sie markierten „Korridor“ geht es allerdings in erster Linie um<br />

Optimierung bei der Auswahl und Kombination von Gestaltungsoptionen. Deshalb hat<br />

die <strong>wissenschaft</strong>liche und praktische Diskussion um Rundfunkausgestaltung in vielem<br />

notwendig den Charakter einer medienpolitischen Diskussion.<br />

43. In der aktuellen medienpolitischen Diskussion wird das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem<br />

und privatem Rundfunk als solches nicht zur Disposition gestellt. Die<br />

grundsätzliche Akzeptanz und wechselseitige Koexistenz beider Säulen sind gegenwärtig<br />

gesichert. Insofern besteht kein Anlass zur Umsteuerung.<br />

X. Insbesondere: Zum Funktionsauftrag öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

44. Der Vorwurf einer Expansion öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist der empirischen<br />

Prüfung zugänglich, diese bedarf dafür aber eines normativen Maßstabs. Eine Expansion<br />

durch Tätigkeiten außerhalb des gesetzlichen Auftrages wäre rechtswidrig, also<br />

korrekturbedürftiges Fehlverhalten. Nicht als Expansion, sondern als Erfüllung seines<br />

Entwicklungsauftrages einzuordnen wäre allerdings eine (aufgabengerechte) Reaktion<br />

des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf Marktveränderungen; sein Bemühen, in der<br />

publizistischen Konkurrenz mit privatem Rundfunk erfolgreich zu sein – z. B. durch<br />

entsprechende Ausdifferenzierung des Programmangebots –, ist der dualen Rundfunkordnung<br />

gemäß.<br />

45. Begrenzungen des Programmauftrags öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind verfassungsrechtlich<br />

nicht von vornherein ausgeschlossen. Programmbegrenzungen bedürfen<br />

wegen des Gebots der Staatsfreiheit auch bei gesetzgeberischem Handeln aber besonde-<br />

14


Hoffmann-Riem · Regulierung des dualen Rundfunks<br />

rer, insbesondere prozeduraler, Absicherungen und müssen inhaltlich an dem Ziel der<br />

Verbesserung der Funktionsfähigkeit der dualen Rundfunkordnung gerechtfertigt werden.<br />

46. Der Vorschlag einer Bereichsabgrenzung öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch<br />

Präzisierung eines „Funktionsauftrags“ hat viele Vorläufer, die darauf gezielt haben, das<br />

Betätigungsfeld öffentlich-rechtlichen Rundfunks zugunsten der Entfaltungschancen<br />

privaten Rundfunks zu begrenzen.<br />

47. Der in dieser Diskussion zur Ersetzung des Begriffs der Grundversorgung neu eingeführte<br />

Begriff des Funktionsauftrags führt nicht, jedenfalls nicht notwendig zur Begrenzung<br />

des Aufgabenfeldes des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Schon der – in der<br />

Tat missverständliche – Vorgängerbegriff der „Grundversorgung“ war ein zukunftsoffen<br />

formulierter Funktionsbegriff, der die Entwicklungsdynamik aufgreifen wollte<br />

und eine Bereichsabgrenzung oder gar Marginalisierung des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks gerade ausschließen sollte.<br />

48. Richtig – nämlich entwicklungsoffen – verstanden ist der Begriff „Funktionsauftrag“<br />

besser als der bisher übliche des „Programmauftrags“ geeignet, die verschiedenen Teilaufgaben<br />

des öffentlich-rechtlichen Rundfunks funktionsbezogen zu bündeln, die zwar<br />

stets auf das Programm bezogen sein müssen, sich aber in der ausdifferenzierten dynamischen<br />

<strong>Medien</strong>welt im Interesse der Funktionsfähigkeit der Rundfunkordnung auch<br />

in die der Veranstaltung i. e. S. vor-, neben- und nachgelagerten Bereiche erstrecken.<br />

49. Weder mit der (richtig verstandenen) Komplementärfunktion noch mit der Integrationsfunktion<br />

lässt sich rechtfertigen, öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf Vollprogramme<br />

und bestimmte (nicht massenattraktive) Spartenprogramme zu begrenzen oder<br />

zielgruppenbezogene Programme grundsätzlich auszuschließen. Ebenso gibt es keine<br />

Rechtfertigung, ihm massenattraktive Unterhaltung vorzuenthalten. Stets, also auch im<br />

Bereich massenattraktiver Programme, bedarf es Sicherungen einer meritorischen Qualität<br />

der Programmangebote.<br />

50. Dies gilt auch für den Fall weiterer Fragmentierung der Rundfunkprogramme, etwa<br />

im Sinne einer Zunahme von Sparten- und Zielgruppenprogrammen. An solchen Entwicklungen<br />

teilzunehmen, ist dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht grundsätzlich<br />

verwehrt. Die Sicherung einer besonderen Public-Service-Qualität in dem betreffenden<br />

Angebot (nicht zwingend in jeder einzelnen Sendung) ist aber Bedingung der Veranstaltung<br />

solcher Programme.<br />

51. Eine Schutzzone privaten Rundfunks vor publizistischem Wettbewerb durch öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk wäre in der dualen Rundfunkordnung mit der Idee der<br />

Vielfaltssicherung durch Angebote von Trägern zweier unterschiedlich strukturierter<br />

und orientierter Teilordnungen unvereinbar. Da alle Programmsegmente für die Meinungsbildungsfreiheit<br />

der Bürgerinnen und Bürger relevant sind oder doch sein können,<br />

muss der publizistische Wettbewerb als Modus der Verwirklichung medienverfassungsrechtlicher<br />

Ziele für alle funktional äquivalenten Programmangebote nutzbar sein.<br />

Ein funktionierender publizistischer Wettbewerb setzt also voraus, dass beide Säulen<br />

alle Zuschauer- bzw. Hörerschaften unter Berücksichtigung ihrer <strong>Kommunikations</strong>bedürfnisse<br />

und Rezeptionsgewohnheiten bedienen dürfen (nicht müssen) und versuchen,<br />

im Rahmen ihres spezifischen Auftrags die jeweils besseren Rezeptionschancen zu haben<br />

– z. B. über unterschiedliche Präsentationsformen, programmliche Schwerpunkte,<br />

berücksichtigte Vielfaltsdimensionen oder durch sonstige inhaltliche Qualitäten.<br />

15


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

XI. Entwicklungsmöglichkeiten<br />

52. Privatem wie öffentlich-rechtlichem Rundfunk steht nach Maßgabe der jeweils für<br />

sie geltenden Gesetze der Zugang zu allen Verbreitungstechnologien offen, auch zum<br />

Internet.<br />

53. Bei der Internet-Nutzung sind dabei unterschiedliche Betätigungsfelder zu unterscheiden.<br />

(1) Die Nutzung des Internet als Medium für ergänzende Informationen zum üblichen<br />

Rundfunkprogramm (Annexdienste).<br />

(2) Die Nutzung des Internet zur Verbreitung von Rundfunkprogrammen, die<br />

auch über andere Verbreitungstechnologien verbreitet werden (Erweiterung der<br />

technischen Plattform).<br />

(3) Die Nutzung des Internet zur Verbreitung neuartiger, speziell auf das Internet<br />

abgestimmter Programminhalte.<br />

54. Für privatwirtschaftlichen Rundfunk hat der <strong>Medien</strong>dienste-Staatsvertrag (MDStV)<br />

eine Einengung der Geltungskraft des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) gebracht: Die<br />

Anwendung des Landesrundfunkrechts auf <strong>Medien</strong>dienste ohne Charakter der „Darbietung“<br />

(ohne stärkere Meinungsrelevanz bzw. ohne besondere kommunikative Wirkungskraft)<br />

ist in der Folge ausgeschlossen.<br />

55. Der 4. Rundfunkänderungsstaatsvertrag betrifft und begrenzt die Annextätigkeiten<br />

des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, schließt aber die Nutzung des Internet zur (zusätzlichen)<br />

Verbreitung ohnehin veranstalteter Rundfunkprogramme ebenso wenig aus<br />

wie die Nutzung des Internet für neuartige Rundfunkdienste. Weder der MDStV noch<br />

der RStV regelt bzw. begrenzt die Nutzung des Internet durch öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk. Entscheidend für sein Tätigkeitsfeld ist vielmehr, ob die Rundfunkgesetze<br />

die Internet-Nutzung ausschließen. Dies ist eine Frage der Auslegung der Normen über<br />

den Funktionsauftrag öffentlich-rechtlichen Rundfunks.<br />

56. Der Vorschlag, privatem Rundfunk die Finanzierung über Werbung und Sponsoring<br />

vorzubehalten, d. h. sie öffentlich-rechtlichem Rundfunk zu verwehren, würde der Idee<br />

struktureller Diversifikation in besonderem Maße entsprechen; seine Umsetzung ist<br />

allerdings verfassungsrechtlich nicht geboten. Sie bedürfte begleitender Vorkehrungen<br />

zur Erfüllung des Gebots funktionsgerechter Finanzierung.<br />

57. Pay-TV durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wäre zwar nicht von Verfassung<br />

wegen ausgeschlossen, seine Einführung wäre aber in medienpolitischer Hinsicht<br />

für öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegenwärtig riskant.<br />

58. Eine Finanzierung öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus Steuermitteln wäre verfassungsrechtlich<br />

nur zulässig, wenn besondere – insbesondere prozedurale – Sicherungen<br />

der Staatsunabhängigkeit eingeführt würden.<br />

59. Eine Neuordnung der <strong>Medien</strong>aufsicht, insbesondere der Aufsicht über privaten<br />

Rundfunk, kann sinnvollerweise nicht abgelöst von der Art der Regulierung erfolgen.<br />

Viele der aktuell diskutierten Vorschläge über die Konzentration bzw. Veränderung von<br />

Aufsicht stehen in untrennbarem Zusammenhang mit dem Regulierungskonzept selbst,<br />

ohne dass sie aber entsprechend weiträumig und tief konzipiert werden. Die Diskussion<br />

ist daher unzuträglich verkürzt.<br />

16


Hoffmann-Riem · Regulierung des dualen Rundfunks<br />

XII. Selbstregulierung und Aufsicht beim privaten Rundfunk<br />

60. In der privatwirtschaftlichen Säule der Rundfunkordnung ist maßgebendes Ordnungsprinzip<br />

die über den Markt erfolgende, ökonomisch determinierte Selbstregulierung.<br />

Mit ihr sind in der Rechtsordnung die Grundelemente von Privatwirtschaftlichkeit<br />

und -rechtlichkeit gekoppelt, ohne dass dies einer spezifischen Regulierung<br />

bedürfte. Das Privatrecht schafft den institutionellen Rahmen für Privatautonomie.<br />

Autonom bestimmtes und verwaltetes Eigeninteresse wird zur maßgebenden Steuerungsressource;<br />

Privateigentum und Wettbewerb sind konstituierende Elemente.<br />

<strong>Medien</strong>recht ergänzt dies durch eine an den Zielvorgaben des Art. 5 GG orientierte<br />

regulative Umhegung privatautonomen Verhaltens (regulierte Selbstregulierung).<br />

61. Entfaltung am <strong>Medien</strong>markt unter Nutzung seiner Eigenrationalitäten heißt primäre<br />

Orientierung am wirtschaftlichen Erfolg; erlaubt und „normal“ ist die Verfolgung eines<br />

Ertrags- und Gewinninteresses (abgesichert in Art. 12, 14, 2 Abs. 1 GG). „Verdienen“<br />

(im Eigeninteresse), nicht etwa „Dienen“ (am Gemeinwohl) ist legitimerweise die<br />

Leitlinie der Marktorientierung. Rundfunkrecht muss aber wegen der Vorgaben des<br />

Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG um praktische Konkordanz von „Verdienen“ und „Dienen“<br />

bemüht sein. Die Teilhabe privaten Rundfunks am publizistischen Wettbewerb erfolgt<br />

nach Maßgabe des wirtschaftlichen Wettbewerbs. In einer dualen Ordnung ist dies<br />

verfassungsrechtlich unbedenklich, weil (und solange) die möglicherweise so nicht zu<br />

erfüllenden medienverfassungsrechtlichen Vielfaltsanforderungen jedenfalls durch<br />

den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedient werden können (s. o. Punkt 3).<br />

62. Selbstregulierung bildet sich in der privatwirtschaftlichen Rundfunkordnung auf<br />

verschiedenen Ebenen ab, so als unternehmensinterne, aber auch als marktbezogene<br />

Selbstregulierung. Auch die verschiedenen Selbstkontrolleinrichtungen der <strong>Medien</strong>wirtschaft<br />

sind Erscheinungsformen von Selbstregulierung, die aber auf enge Aufgabenfelder<br />

begrenzt sind. Sie bewirken eine (begrenzte) Entlastung der hoheitlichen<br />

<strong>Medien</strong>aufsicht.<br />

63. Die Rundfunkordnung ist umso leistungsfähiger konzipiert, je weniger die Rundfunkaufsicht<br />

in konkreten Einzelfällen zur Gegensteuerung benötigt wird, d. h. je stärker<br />

die Selbstregulierung der Rundfunkwirtschaft zur Erzielung auch der erwünschten<br />

Gemeinwohlwirkungen beiträgt. Rundfunkaufsicht kann aber unentbehrlich zur gemeinwohlorientierten<br />

Regulierung dieser Selbstregulierung sein.<br />

64. Die hoheitliche Rundfunkaufsicht durch Landesmedienanstalten als grundrechtssichernden<br />

Anstalten hat im Laufe der Zeit in Verarbeitung der Erfahrungen mit praktizierter<br />

<strong>Medien</strong>aufsicht (s. o. Punkt 33) einen Wandel durchgemacht. Ein von der Arbeitsgemeinschaft<br />

der Landesmedienanstalten im Jahre 1999 ausgearbeitetes Positionspapier<br />

dokumentiert das Bemühen, die Verantwortung für konkrete Ergebnisse und<br />

Wirkungen von Aufsicht (die sog. Erfüllungsverantwortung) zurückzunehmen und sich<br />

verstärkt auf Setzung eines Rahmens und von Spielregeln zu konzentrieren, vor allem<br />

aber konzipierend, beratend und koordinierend tätig zu werden (im Zuge der sog.<br />

Gewährleistungsverantwortung). Dies wird durch eine als Auffangverantwortung zu<br />

verstehende Missbrauchsaufsicht und Sorge für den Schutz von Minderheiten ergänzt.<br />

Solche Veränderungen entsprechen einem weltweit beobachtbaren Trend der Regulierung.<br />

65. Hoheitliche <strong>Medien</strong>aufsicht ist in vielem auf die Mitwirkungsbereitschaft der Beaufsichtigten<br />

angewiesen (s. o. Punkt 32). Die Kooperation kann die Aufsichtsträger in<br />

den Augen externer Beobachter diskreditieren (Eindruck von Kollusion u. ä.); auch be-<br />

17


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

stehen Risiken einer unzuträglichen Nähe zu den Regulierten (Distanzverlust), der<br />

Übernahme ihrer Perspektiven oder gar der Verstrickung in deren Handlungsrahmen<br />

(capture).<br />

XIII. Selbstregulierung und Aufsicht beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk<br />

66. In der öffentlich-rechtlichen Säule ist maßgebendes Ordnungsprinzip ebenfalls die<br />

(regulierte) Selbstregulierung, aber in anderer Weise als beim privaten Rundfunk. Als<br />

rechtliche Konstrukte des Staates mit einem spezifisch definierten Aufgabenfeld ist den<br />

Rundfunkanstalten nach Maßgabe der vom Gesetzgeber geschaffenen Strukturen rechtliche<br />

Autonomie gewährt. Eine Orientierung am Gewinninteresse ist ihnen untersagt.<br />

Rundfunkfreiheit darf nicht als „verdienende“ Freiheit genutzt werden. Das verfassungsrechtliche<br />

Gebot funktionsgerechter Finanzierung des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks soll sichern, dass die Einhaltung dieser Vorgabe möglich ist.<br />

67. Selbstregulierung wirkt sich auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf verschiedenen<br />

Ebenen aus. Ein wichtiges Feld ist organisationsinterne Selbstregulierung<br />

(auch durch plural zusammengesetzte Organe etc.), die durch selbstregulative Vorkehrungen<br />

für Effizienz (etwa durch Einführung neuer Managementstrukturen, Budgetierung,<br />

Controlling u. ä.) ergänzt wird.<br />

68. Hinzu kommt in programmlicher Hinsicht eine der Public-Service-Idee verpflichtete<br />

Selbstregulierung. Die Maßstäbe dafür sind in professioneller Eigenverantwortung zu<br />

konkretisieren. Interner Anstaltsaufbau und (vorrangige) Gebührenfinanzierung sind<br />

strukturelle Vorkehrungen dafür, dass die professionelle Verantwortung der im Programmbereich<br />

Tätigen sich in Distanzierung vom ökonomischen Markt folgenreich an<br />

Kriterien publizistischer Relevanz orientiert.<br />

69. Die aktuellen Versuche der Rundfunkanstalten zur Operationalisierung der Public-<br />

Service-Orientierung und der Herausarbeitung eines spezifischen Programmprofils und<br />

damit zur ausdrücklichen Entwicklung von Maßstäben der Programmqualität sowie<br />

zum Aufbau eines Qualitätsmanagements und Qualitätscontrolling zeigen Möglichkeiten<br />

selbstregulativer Reaktion auf sich verändernde Rahmenbedingungen. Sie sind auch<br />

in ausgelagerte, programmrelevante Bereiche hin zu erstrecken.<br />

70. Die vorrangig binnenorganisatorisch (plural) eingerichtete Rundfunkaufsicht ist ein<br />

Teilelement selbstregulativer Organisation, die durch die regulativen Rahmenvorgaben<br />

des Rundfunkrechts vorstrukturiert worden ist und deren Funktionieren durch die (verfassungsrechtlich<br />

notwendig begrenzte) staatliche Rechtsaufsicht überwacht wird. Die<br />

hoheitliche Rechnungsprüfung durch Rechnungshöfe und die mit der Gebührenfinanzierung<br />

gekoppelte externe Rechenschaftspflicht gegenüber der Kommission zur Ermittlung<br />

des Finanzbedarfs (KEF) und dem Parlament sind weitere regulative Umhegungen<br />

der Selbstregulierung.<br />

71. Für eine auf Public Service ausgerichtete Einrichtung ist Rechenschaft gegenüber der<br />

Allgemeinheit (Öffentlichkeit) eine besonders wichtige Bezugsgröße der Legitimation<br />

(public accountability). Deswegen gewinnt Transparenz große normative Bedeutung<br />

für das Handeln der Rundfunkanstalten. Selbstregulative Prozesse können durch verstärkten<br />

Dialog mit der Öffentlichkeit bereichert werden, so z. B. durch deren verstärkte<br />

Einbeziehung in die Erarbeitung von Programmprofilen und das Qualitätsmanagement,<br />

durch eingehendere Informationen über Programmentwicklungsplanungen bis hin zur<br />

öffentlichen Konkretisierung von Zielvorgaben.<br />

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Hoffmann-Riem · Regulierung des dualen Rundfunks<br />

XIV. Die Zuordnung der beiden Säulen der Rundfunkordnung<br />

72. Für die Zuordnung der beiden Säulen gibt es – trotz anfänglichen Fehlens eines konzeptionellen<br />

Designs (s. o. Punkt 1) – einige typische Konstruktionsprinzipien als Konkretisierungen<br />

der Grundidee struktureller Diversifikation:<br />

• die unterschiedliche Einstellung zum Prinzip Wettbewerb (publizistischer/ökonomischer<br />

Wettbewerb);<br />

• damit verbunden die Anerkennung je unterschiedlicher Eigenrationalitäten (insbesondere<br />

privatwirtschaftliches Ertrags- und Gewinnmotiv einerseits und gemeinwirtschaftlich<br />

fundierte Gemeinwohlorientierung andererseits);<br />

• unterschiedliche, auch unterschiedlich intensive Programmbindungen;<br />

• unterschiedliche Verfahren der Zuteilung technischer Ressourcen, insbesondere<br />

der Übertragungskapazitäten;<br />

• unterschiedliche Regeln über den jeweils bevorzugten Zugriff auf unterschiedliche<br />

finanzielle Ressourcen (Werbung einerseits, Gebühren andererseits);<br />

• unterschiedliche Freiheiten zur Betätigung in anderen Marktsegmenten.<br />

Demgegenüber wird die Zuordnung der beiden Säulen nicht durch eine programmgegenständliche<br />

Bereichsabgrenzung oder einen grundsätzlichen Ausschluss bestimmter<br />

Verbreitungstechnologien für eine der Säulen vorgenommen (s. o. Punkt 47 ff.,<br />

51 ff.).<br />

73. Das Zusammenspiel der beiden Säulen der dualen Ordnung erlaubt es in vielen Situationen,<br />

hoheitliche Interventionen in den jeweiligen Säulen vorsichtiger, schonender<br />

einzusetzen, als wenn das Vertrauen auf die Funktionsfähigkeit der gesamten Rundfunkordnung<br />

allein auf eine Säule gestützt wäre. So dürfen Funktionserwartungen an die<br />

eine Säule zurückgeschraubt werden, wenn sie in der anderen Säule in abgesicherter<br />

Weise, insbesondere ohne funktionswidrige Belastungen, befriedigt werden. Auch ist es<br />

möglich, normwidrige Funktionsdefizite in der jeweiligen Säule zu bekämpfen, ohne<br />

zugleich das duale System als solches zur Disposition stellen zu müssen. Strukturdualität<br />

ist insofern eine besondere Ausprägung des rechtsstaatlichen Grundsatzes möglichst<br />

schonender Intervention in Autonomiebereiche.<br />

XV. Ausweitung des Prinzips struktureller Diversifikation<br />

74. Solange Tätigkeiten in den jetzt vor-, neben- und nachgelagerten Märkten noch zum<br />

selbstverständlichen Aufgabenfeld der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten selbst<br />

gehörten, wirkten sich deren Strukturprinzipien auch bei diesem Handeln aus. Die<br />

verstärkte Auslagerung von Tätigkeiten und die Abhängigkeit vom Erwerb benötigter<br />

Leistungen an den <strong>Medien</strong>märkten haben zu einer Reduktion des Anwendungsbereichs<br />

gesicherter struktureller Diversifikation geführt und werden es vermutlich noch weiter<br />

tun. Daraus können Probleme der Funktionsfähigkeit der <strong>Medien</strong>ordnung entstehen.<br />

75. In der dualen Rundfunkordnung wirken sich die Probleme der Zugänglichkeit zu<br />

den Leistungen des Multimedia-Wertschöpfungsnetzwerks auf die privatwirtschaftliche<br />

und die öffentlich-rechtliche Säule in unterschiedlicher Weise aus.<br />

a) Rechtlich sind die Unternehmen privaten Rundfunks nicht gehindert, sich indem<br />

gesamten Multimedia-Wertschöpfungsnetzwerk zu betätigen und damit – je<br />

19


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

nach den finanziellen u. ä. Möglichkeiten – aus eigener Kraft Zugangshürden zu<br />

überwinden.<br />

b) Anders der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der nicht ultra vires handeln darf.<br />

Allerdings sind die gegenwärtigen Aufgabennormen relativ weit gefasst und<br />

erlauben Tätigkeiten in den vor-, neben- und nachgelagerten Bereichen. Beschränkungen<br />

der Tätigkeit in vor-, neben- und nachgelagerten Bereichen sind für<br />

die Funktionsfähigkeit der <strong>Medien</strong>ordnung nicht unproblematisch, da sie dem<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunk Möglichkeiten nehmen könnten, die vielen<br />

aktuellen und potenziellen Zugangshürden aus eigener Kraft (etwa durch eigene<br />

Betätigung) zu nehmen. Zum Ausgleich müssten in der Rechtsordnung andere<br />

(besondere) Vorkehrungen zur Sicherung der Zugänglichkeit geschaffen<br />

werden.<br />

76. Die Vermachtungs- und Missbrauchsrisiken in den Multimedia-Netzwerken können<br />

es nahe legen, das Grundprinzip struktureller Diversifikation auch in andere Bereiche<br />

als die der Rundfunkveranstaltung i. e. S. zu erstrecken und neue Vorkehrungen zur<br />

Sicherung der Funktionsfähigkeit der <strong>Medien</strong>ordnung, etwa in den Bereichen der Produktion,<br />

der Erstellung und des Betriebs der <strong>Kommunikations</strong>infrastruktur sowie der<br />

Dienste mit Zugangsfilterungsfunktion, vorzusehen.<br />

77. §§ 52, 53 RStV 1999 dokumentieren den staatlichen Regelungsanspruch für ein Teilsegment<br />

und wollen insbesondere die Zugänglichkeit sichern. Dort werden in erster<br />

Linie „Spielregeln“ aufgestellt, z. B. für die Kabelverbreitung, aber auch für Zugangsdienste<br />

einschließlich der Navigatoren. Sollte der Gesetzgeber unter Nutzung seiner<br />

Einschätzungsprärogative zum Ergebnis kommen, dass die Vorkehrungen nicht reichen<br />

und dass auch eine Aufstockung der Verhaltensregeln und Sanktionen nicht effektiv<br />

oder gar kontraproduktiv ist, muss stattdessen gegebenenfalls auch für alternative Strukturen<br />

– etwa durch ergänzende gemeinwirtschaftliche Träger dieser Dienste – gesorgt<br />

werden. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist jedenfalls weit genug.<br />

78. Die Grundidee struktureller Diversifikation ist nicht auf Rundfunkprogramme begrenzt,<br />

sondern kann auch auf andere kommunikative Dienste bezogen werden, die<br />

gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG regelbar sind und bei denen Regelungsbedarf besteht.<br />

Angesichts der Dynamik des Multimediabereichs und der Konvergenzprozesse können<br />

sich neue Regelungsbedarfe entwickeln, z. B. für den Teil der <strong>Medien</strong>dienste, die ohnehin<br />

verfassungsrechtlich vom Rundfunkbegriff erfasst werden bzw. in den Geltungsbereich<br />

des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fallen. Auch Dienste auf der Grenzlinie zwischen<br />

Massen- und Individualkommunikation können betroffen sein, sofern sie für die<br />

zukünftige Funktionsfähigkeit der <strong>Medien</strong>ordnung wichtig sind. Art und Intensität<br />

möglicher Regulierung sind eigenständig zu bestimmen.<br />

XVI. Ausblick<br />

79. Das Bild von den zwei „Säulen“ der Rundfunkordnung beruht auf einer erheblich<br />

vereinfachten Realitätswahrnehmung. Es drückt nicht hinreichend aus, dass die <strong>Medien</strong>ordnung<br />

aus einem komplizierten Gerüst mit unterschiedlichen und je unterschiedlich<br />

tragfähigen Pfeilern und unterschiedlich belastbaren Verstrebungen besteht. Auch gibt<br />

es in ihr faktisch vielfältige Kooperationsformen zwischen Akteuren beider „Säulen“<br />

und zunehmend hybride Leistungsträger. Das Bild von den Säulen speichert gleichwohl<br />

in pragmatischer Absicht eine gedankliche Bündelung der strukturell gegensätzlichen<br />

20


Hoffmann-Riem · Regulierung des dualen Rundfunks<br />

Teilelemente der <strong>Medien</strong>ordnung und kann insofern (wenn auch nur mit Vorbehalt)<br />

weiter genutzt werden.<br />

80. Die privatwirtschaftliche Säule trifft auf keine besonderen rechtlichen Grenzen der<br />

Betätigung in den Segmenten der Multimedia-Märkte. Ihre Lebensfähigkeit bedarf keiner<br />

zusätzlichen Absicherung. Bestands- und Entwicklungsgarant privatwirtschaftlicher<br />

<strong>Medien</strong> ist der Markt. Überlebensgarantien gibt es im rechtlichen Rahmen nach<br />

Maßgabe der Marktgesetzlichkeiten, aber auch nur nach ihnen.<br />

81. Demgegenüber hängt die Leistungsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von<br />

besonderen, rechtlich geschaffenen Handlungsvoraussetzungen ab, und zwar auch für die<br />

veranstaltungsbezogenen Tätigkeiten in den vor-, neben- und nachgelagerten Bereichen.<br />

Dementsprechend ist die Ausstrahlung der Bestands- und Entwicklungsgarantie in diese<br />

Bereiche hinein Grundlage der Zukunftsfähigkeit öffentlich-rechtlichen Rundfunks.<br />

82. Eine zeitangemessene Bestimmung eines Funktionsauftrags öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks reicht über den Bereich der Veranstaltung i. e. S. hinaus und muss insbesondere<br />

die vielfältigen Gefährdungen der Zugänglichkeit verarbeiten, die nicht nur im Produktionsbereich<br />

und beim Rechteerwerb bestehen können, sondern auch bei der Programmverbreitung<br />

und -rezeption (s. o. Punkt 18 – 22).<br />

83. Im Einzelnen sind noch viele Fragen offen, so z. B. nach der für sonstige Tätigkeiten<br />

geforderten Nähe zur Programmveranstaltung i. e. S., nach den Grenzen der Kooperation<br />

mit Dritten, nach Regeln der Beteiligungsverwaltung, nach der Möglichkeit der Produktion<br />

auch für sonstige <strong>Medien</strong>unternehmen, nach der haushaltswirtschaftlichen Behandlung<br />

oder nach medienspezifischem Controlling. Wieweit selbstregulative Mechanismen<br />

ausreichen oder deren regulative Umhegung erforderlich ist, bedarf weiterer Abklärung.<br />

84. Eine schleichende Ökonomisierung der fragmentierten Lebenswelten einer Rundfunkanstalt<br />

muss vermieden werden. Insofern wird auch zu klären sein, ob, wieweit und<br />

wie die rundfunkgesetzlich vorgesehenen strukturellen Sicherungen der Gemeinwohlorientierung<br />

– etwa die Zielvorgaben und die Verantwortlichkeit pluraler Gremien – in<br />

diese weiteren Bereiche hinein zu erstrecken sind. Aufgabe muss auch hier die Aktivierung<br />

von Selbstregulierungspotenzialen in einem die Public-Service-Orientierung der<br />

Rundfunkveranstaltung sichernden regulativen Rahmen sein.<br />

85. Die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rundfunkordnung muss auf die Freiheit<br />

der Meinungsbildung der Rezipienten bezogen bleiben. Ihnen hilft es nicht, wenn es für<br />

ein Segment (für die Veranstaltung von Rundfunk i. e. S.) Sicherungen einer treuhänderischen<br />

Gemeinwohlbindung gibt, diese aber in anderen relevanten Segmenten (etwa bei<br />

der Produktion, der Verbreitung des Programms oder der Gestaltung der Rezeptionsbedingungen)<br />

unterlaufen, verdünnt oder verfälscht werden.<br />

86. Es ist absehbar, dass die <strong>Medien</strong>ordnung der näheren Zukunft in den wesentlichen<br />

Elementen privatwirtschaftlich gestaltet sein wird. Eine treuhänderische Orientierung<br />

an den Zielen kommunikativer Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Kompetenz bleibt<br />

angesichts neuartiger Gefährdungen für mehrere Segmente der <strong>Medien</strong>betätigung wichtig;<br />

gemeinwirtschaftliche Strukturen sind als Ergänzung der Marktstrukturen allem<br />

Anschein nach dafür unverzichtbar. Maßnahmen zur Sicherung der Freiheit der Kommunikation<br />

und <strong>Medien</strong> aller werden zukünftig vielleicht noch wichtiger als sie in der<br />

Vergangenheit waren und in der Gegenwart sind. Denn Vertrauen auf den Markt allein<br />

reicht angesichts seiner Funktionsdefizite nicht. Allerdings ist auch er ein wichtiger und<br />

in einer privatwirtschaftlichen Ordnung unverzichtbarer Modus der Selbstregulierung.<br />

21


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Gesellschaftliche Integration durch <strong>Medien</strong>?<br />

Zur Begründung normativer Anforderungen an <strong>Medien</strong><br />

Otfried Jarren<br />

Der Beitrag setzt sich mit den in der <strong>wissenschaft</strong>lichen Diskussion befindlichen Integrationskonzepten<br />

zur <strong>Medien</strong>kommunikation auseinander. In traditionellen Konzepten<br />

wird das Integrationspotential der <strong>Medien</strong> vielfach überschätzt, indem konkrete materielle<br />

Leistungen erwartet werden. Diese Erwartung schlägt sich in bestimmten normativen<br />

Vorgaben nieder. In jüngeren systemtheoretischen Überlegungen hingegen<br />

wird die Integrationsleistung auf <strong>Kommunikations</strong>prozesse gleichsam reduziert. Anscheinend<br />

bedarf es dann keiner normativen Anforderungen mehr. Der Autor zeigt, dass<br />

<strong>Medien</strong> durch die Verarbeitung und Bereitstellung von Themen aus allen gesellschaftlichen<br />

Teilsystemen faktisch wie auch symbolisch einen Integrationsbeitrag zu leisten vermögen.<br />

Die normative Anforderung zur Integrationskommunikation wird hingegen dadurch<br />

nicht obsolet: Mittels dieser Anforderung werden <strong>Medien</strong>organisationen auf die<br />

Gesellschaft orientiert, weil sich gesellschaftliche Akteure kritisch mit konkreten Leistungen<br />

auseinander setzen können. Durch medienpolitische Vorkehrungen (Strukturvielfalt<br />

im <strong>Medien</strong>system), durch Leistungsaufträge an <strong>Medien</strong> wie durch Anforderungen<br />

zur (Selbst-)Evaluation oder zum Qualitätsmanagement an Redaktionen kann die<br />

Verpflichtung zur Integrationskommunikation stabilisiert werden.<br />

Integration durch <strong>Medien</strong> wird in der aktuellen medienpolitischen Debatte vielfach als<br />

obsolet oder als undurchführbar angesehen. Dabei wird auf die Unmöglichkeit, zu gesicherten<br />

empirischen Befunden und damit zu gültigen Aussagen über die Integrationsleistung<br />

von Massenmedien zu gelangen, verwiesen. Die verführt dazu, den normativen<br />

Anspruch an den Rundfunk zur Mitwirkung an der gesellschaftlichen Integration für<br />

obsolet zu erklären (vgl. dazu Wuerth 1999). Das Problem der Bewertung empirischer<br />

Befunde kann jedoch nicht gegen die Notwendigkeit von normativen Anforderungen<br />

ausgespielt werden. Anforderungen zur Integrationskommunikation sind normativ an<br />

<strong>Medien</strong>organisationen zu stellen, um <strong>Medien</strong> auf die Abbildung gesellschaftlicher Diskurse<br />

zu orientieren. Und Normen sind zudem notwendig, wenn <strong>Medien</strong>leistungen<br />

zum Gegenstand medienkritischer Debatten werden sollen. Dazu bedarf es jedoch weniger<br />

inhaltlicher, gegenständlich-konkreter als vielmehr prozeduraler Vorgaben für<br />

eine publizistische Praxis, die sich der gesellschaftlichen Diskurse anzunehmen hat. Diese<br />

Verpflichtung sollte insbesondere dann bestehen, wenn Organisationen das <strong>Medien</strong>privileg<br />

für sich in Anspruch nehmen wollen (vgl. Wolfgang Schulz 1999).<br />

1. Problemaufriss: Gesellschaftliche Integration und <strong>Medien</strong><br />

Im folgenden Beitrag werden zunächst unterschiedliche theoretische Integrationskonzepte<br />

vorgestellt und diskutiert. Dann wird gefragt, ob und welchen Beitrag Massenmedien<br />

zur gesellschaftlichen Integration zu leisten vermögen. Die Analyse zeigt, dass<br />

die den <strong>Medien</strong> vielfach zugeschriebene allgemeine Integrationsfunktion – zumal im<br />

Sinne einer Art „Generalfunktion“ – das Potenzial von <strong>Medien</strong> grundsätzlich überschätzt<br />

(vgl. dazu auch Winfried Schulz 1999). <strong>Medien</strong> kommt jedoch im Zusammenhang<br />

mit anderen Organisationen, vor allem in der Interaktion mit den intermediären<br />

22


Jarren · Integration durch <strong>Medien</strong><br />

Akteuren der Gesellschaft (wie Parteien, Verbänden, Kirchen, Gewerkschaften, Neuen<br />

Sozialen Bewegungen), die Aufgabe zu, gesellschaftliche Selbstverständigungsdiskurse<br />

zu ermöglichen und zu führen. Potenziell wie auch faktisch wird diese Aufgabe vor allem<br />

von jenen <strong>Medien</strong> wahrgenommen, die normativ auf die Abbildung politischer und<br />

sozialer Realität durch Gesetz, Konzession oder Leistungsauftrag festgelegt sind (Festlegung<br />

von Versorgungsräumen), die sich entsprechend intern organisieren (Bereitstellung<br />

von publizistischen Programmen; Aufbau redaktioneller Strukturen; Realisierung<br />

bestimmter redaktioneller Ziele) und eine entsprechende Unternehmenskultur entwickeln<br />

(vgl. zu den unterschiedlichen Anforderungen bspw. Stock 1981).<br />

Die normative Verpflichtung zur Realisierung von Integrationsaufgaben ist grundsätzlich<br />

als prozedurale Anforderung zu begreifen und kann erst in zweiter Linie als konkrete,<br />

gegenständliche Vorgabe zur dauerhaften Realisierung in Form beispielsweise bestimmter<br />

Programmformen oder gar Inhalte formuliert werden (vgl. dazu grundlegend<br />

Vesting 1997). Integration kann nur im sozialen Prozess erzielt und nicht durch Vorabfestlegungen<br />

bestimmt werden. Integrationsvorstellungen und -ziele verändern sich im<br />

Kontext des sozialen Wandels, dem jede Gesellschaft unterliegt. Die Anforderungen an<br />

Verbreitungs- oder Programmformen sowie Inhalte sind also dynamisch und müssen<br />

durch gesellschaftliche Diskurse über Normen und Leistungsaufträge immer wieder neu<br />

bestimmt werden. Zur Ermöglichung dieser Diskurse sind an <strong>Medien</strong>organisationen<br />

jedoch entsprechende Anforderungen zu stellen: Sie sollen zum einen den Diskurs in der<br />

Gesellschaft ermöglichen, indem sie Themen, Wissen und Deutungen bereitstellen. Sie<br />

gehören zum anderen – als eine Art Infrastruktureinrichtung – zum intermediären<br />

System der Gesellschaft, das vielfältige intra- und intersystemische <strong>Kommunikations</strong>beziehungen<br />

erst ermöglicht. Von ihrer Position innerhalb der gesellschaftlichen Infrastruktur<br />

ist ihr Leistungspotenzial abhängig, und deshalb ist die gewählte Organisationsform<br />

eben nicht beliebig. Und zum Dritten ist von den in <strong>Medien</strong>organisationen und<br />

mit Privilegien versehenen Kommunikatoren zu erwarten, dass sie ihre Vermittlungsfunktion<br />

auch unter dem Aspekt Integration reflektieren und entsprechende professionelle<br />

Vorkehrungen treffen. Alle drei Aspekte machen deutlich: Die Institutionalisierung<br />

von <strong>Medien</strong> ist – zumal unter mediengesellschaftlichen Bedingungen – eine<br />

normative Frage von Gewicht, denn von verschiedenen <strong>Medien</strong>organisationen werden<br />

bekanntlich unterschiedliche Strukturen ausgebildet und Leistungen für die gesellschaftliche<br />

Kommunikation erbracht, wie es zahlreiche Studien zeigen (vgl. die<br />

systemtheoretisch fundierte Analyse bei Wehmeier 1998; vgl. ferner bezogen auf die Politikberichterstattung<br />

Jarren/Donges 1996 oder bezüglich redaktioneller Strukturen<br />

Altmeppen/Donges/Engels 1999).<br />

Integration ist allgemein als ein Prozess zu verstehen, der Einzelne, Gruppen wie Organisationen<br />

umfasst, der sich anhaltend auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen<br />

vollzieht und daher aufgrund seines hohen Komplexitätsgrades als soziales Totalphänomen<br />

nicht hinreichend empirisch gemessen oder erfasst werden kann. Integration als<br />

Konstruktion sozialer Realität vollzieht sich im Wesentlichen durch Kommunikation.<br />

Da die gesellschaftliche Kommunikation in der modernen Gesellschaft sich weitgehend<br />

über <strong>Medien</strong> vollzieht, kommt den Massenmedien eine zentrale Funktion für (Integrations-)Diskurse<br />

(als Vermittler) und auch als soziostruktureller Infrastrukturfaktor zu<br />

(dazu bereits Maletzke 1980). Dabei sind vor allem die auf Integration verpflichteten <strong>Medien</strong>organisationen,<br />

wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, als zentraler Infrastrukturbestandteil<br />

der „<strong>Medien</strong>gesellschaft“ anzusehen, da ihnen die Aufgabe obliegt,<br />

den gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess abzubilden, durch eigene pu-<br />

23


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

blizistische Leistungen voranzutreiben und auch explizit Integrationsdiskurse zu führen<br />

(vgl. dazu Langenbucher 1990). Aufgabe der empirischen Forschung ist es, diese Leistung<br />

anhaltend zu evaluieren, damit die Befunde bei der Entwicklung von <strong>Medien</strong>organisation<br />

und Programm Berücksichtigung finden, und damit entschieden werden kann,<br />

welchen Integrationszielen durch welche Organisationsformen und Angebote am besten<br />

entsprochen werden sollte. Das erfordert jedoch eine erweiterte Sichtweise in der<br />

empirischen Forschung: Es geht nicht allein um Rezipienten und Rezeption oder die <strong>Medien</strong>inhalte,<br />

sondern um die Organisationsverfassung („Unternehmenskultur“), die vorfindliche<br />

publizistische Praxis und um die Interaktionsqualität von <strong>Medien</strong> im kommunikativen<br />

Prozess (Meso-Ebene) (vgl. dazu bspw. die SRG-Studie von Steinmann 1999).<br />

2. Integration als Problem moderner Gesellschaften<br />

Gesellschaftliche Modernisierung hat vor allem zu Veränderungen in den Verkehrs- und<br />

<strong>Kommunikations</strong>möglichkeiten geführt und vielfältige neue Formen der sozialen Gesellung,<br />

der Vergemeinschaftung und des Austausches den Individuen ermöglicht. Im<br />

Zuge des voranschreitenden Modernisierungsprozesses stellt sich daher die Frage nach<br />

der gesellschaftlichen und kulturellen Integration in besonderer Weise. Dies zumal<br />

dann, wenn sich eine Gesellschaftsform herauszubilden beginnt, die als „<strong>Medien</strong>gesellschaft“<br />

bezeichnet werden kann. Werden hochmoderne Gesellschaften durch Kommunikation<br />

und damit durch <strong>Medien</strong> „zusammengehalten“? (Vgl. dazu Münch 1998)<br />

Das Nebeneinander von höchst unterschiedlichen Lebensstilen, die rasch voranschreitende<br />

Pluralisierung von gesellschaftlichen Wert- und Normvorstellungen, die selektive<br />

Nutzung von Informations- und Unterhaltungsangeboten – ermöglicht und beeinflusst<br />

durch <strong>Medien</strong> – irritiert die Gesellschaft auch deshalb, weil sich der Wandel immer<br />

rascher vollzieht, weil sich immer speziellere Kulturen und Subkulturen herausbilden,<br />

weil die Ergebnisse dieser Veränderung kaum noch sicher zu prognostizieren sind<br />

und weil der Blick auf oder in zahllose Subkulturen den Betrachter zu überraschen oder<br />

sogar zu irritieren vermag. Wir haben es mit einem evolutionären Prozess zu tun, der<br />

nun jedoch innerhalb der funktional differenzierten Gesellschaft nicht einmal mehr<br />

konkurrenzfrei betrachtet und interpretiert werden kann: Aus welcher Perspektive und<br />

anhand welcher Normen sollte dies geschehen? (Vgl. dazu die Beiträge in Bettelheim/Fritz/Pennauer<br />

1998)<br />

Die Einheit der Gesellschaft scheint uns verloren gegangen zu sein, weil es an übergreifend<br />

wirkenden Instanzen zur Koordination, zur Herstellung und sogar zur Beschreibung<br />

von Einheit der Gesellschaft (scheinbar) fehlt. Die gesellschaftliche Unübersichtlichkeit<br />

nimmt zu, und die weltgesellschaftliche Perspektive vermag uns nicht über die<br />

unmittelbaren Probleme sozial-räumlicher wie sozialer Desintegrationsphänomene hinwegzuhelfen.<br />

Dabei ist es belanglos, ob diese Veränderungen nun entlang alter oder neuer<br />

ökonomischer wie politischer Bruchlinien verlaufen. Und dass sich mittels Kommunikation<br />

alle Probleme schon lösen werden, vermögen wir allenfalls (system-)theoretisch<br />

einzusehen, aber nicht (sozial) zu begreifen oder gar zu akzeptieren. Menschliches<br />

Zusammenleben ist ohne sinnhaftes Handeln und damit ohne Bezug auf Normen eben<br />

schlecht vorstellbar und – alteuropäisch wie wir nun einmal sind – auch nicht erwünscht.<br />

Damit lässt sich das anhaltende Interesse und Bedürfnis an Integration und die wiederholten<br />

Debatten darüber erklären.<br />

Die Diskussion um gesellschaftliche Integration ist nun aber keineswegs neu. Bereits mit<br />

dem Aufkommen von Radio und Fernsehen sah man die Gefahren einer atomisierten<br />

24


Jarren · Integration durch <strong>Medien</strong><br />

(Massen-)Gesellschaft, den Verlust von Zusammenhalt und Gemeinschaft heraufziehen.<br />

Ähnliche Gefahren wurden im Zusammenhang mit der Programmvermehrung durch<br />

Kabelkommunikation gesehen oder werden heute im Kontext mit dem Internet behauptet.<br />

Die Debatte über Integration und Desintegration gehört gleichsam zum Dauerthema<br />

moderner Gesellschaften. So wurden Fragen der Integration innerhalb der diese<br />

Entwicklung reflektierenden Wissenschaften zunächst im Zusammenhang mit dem<br />

entstehenden Nationalstaat und den Folgen der Industrialisierung aufgeworfen und diskutiert,<br />

ohne dass jedoch ein theoretisches Konzept oder ein Modell zur Analyse von<br />

Integration entwickelt werden konnte (vgl. Ronneberger 1985; vgl. Friedrich/Jagodzinski<br />

1999).<br />

Da über Integration immer wieder gesellschaftlich debattiert werden muss, liegt der<br />

Schlüssel zum Verständnis von Integration in der gesellschaftlichen Debatte darüber:<br />

Kommunikation über Integration ist erforderlich, damit sich die Gesellschaftsmitglieder<br />

immer wieder über gemeinsame Ziele und Wege verständigen können. Kommunikation,<br />

verstanden als eine Form sozialen Handelns, ermöglicht gleichermaßen symbolische<br />

wie materielle Integration. Im Ergebnis kann es zu gemeinsam geteilten Wissensbeständen,<br />

zu spezifischen sozialen Handlungsformen, zur Bildung von Organisationen<br />

sowie zur Herausbildung von Institutionen kommen, die den jeweiligen Bedürfnissen<br />

nach Integration materiell wie auch symbolisch entsprechen.<br />

Die Schweiz als multikulturelles Land ist ein Beispiel für diese Form eines anhaltenden,<br />

vielschichtigen Integrationsdiskurses (vgl. die Analysen von Deutsch 1976, Schmid 1981<br />

oder Steinberg 1996). Viele kulturelle, soziale und politische Ereignisse und Entscheidungen<br />

werden unter dem Aspekt betrachtet: Fördert oder gefährdet dies den Zusammenhalt<br />

der Nation, der Sprachgruppen oder der Landesteile? Selbst ohne spezifischen<br />

Anlass kommt es kontinuierlich-diskontinuierlich zu derartigen Debatten, weil sie zur<br />

politischen Kultur gehören, zum Alltagsbestandteil geworden sind. Diese Debatten,<br />

Diskussionen oder gar Diskurse sind jedoch keine Selbstverständlichkeit, sondern sie<br />

bedürfen der Akteure und – vor allem – der Vermittlungsstellen, die sich des Themas annehmen,<br />

weil es ihnen normativ aufgetragen wurde (wie etwa der SRG) oder weil sie sich<br />

der Sache annehmen wollen (wie die schweizerische Presse). Debatten und Diskurse<br />

sind, wenn sie denn auf Dauer gestellt werden sollen, auf entsprechende Vermittlungsinstanzen,<br />

auf intermediäre Einrichtungen, angewiesen (vgl. dazu die komparative Studie<br />

von Bulck/Poecke 1996). Vor allem auf Vermittlung ausgerichtete Akteure (wie Parteien,<br />

Verbände) organisieren in wie auch zwischen Teilsystemen Kommunikation. Es<br />

erscheint daher in theoretischer Perspektive gerechtfertigt, von der Relevanz des intermediären<br />

Systems für die gesellschaftliche Integration auszugehen. Die in rechtlicher<br />

Hinsicht herausgehobene Position von Akteuren des intermediären Systems (bspw. Privilegien<br />

für Parteien) ist ein empirischer Hinweis für die faktische Bedeutung der intermediären<br />

Organisationen (vgl. dazu, mit Beispielen für die Schweiz, Kriesi 1996).<br />

Da sich Integration immer in konkreten Gesellschaften in bestimmten Macht- und Erwartungsstrukturen<br />

vollzieht, kann dieser soziale Prozess kaum inhaltlich neutral gesehen<br />

und beurteilt werden. Integration war mit bestimmten normativen (lange Zeit sogar<br />

staatlich-politischen) Ordnungsvorstellungen, entsprechenden Organisationen sowie<br />

Institutionen und sozialen Sanktionsmöglichkeiten auf das Engste verknüpft. Auch heute<br />

steht hinter der Forderung nach dem Postulat der Integration immer eine bestimmte<br />

soziale Ordnungsvorstellung. Gesamtgesellschaftlich gesehen hat sich jedoch die Anzahl<br />

an Vorstellungen über diese Ordnung erhöht und unterschiedliche Vorstellungen<br />

konkurrieren miteinander. Einheitliche Ordnungsvorstellungen sind immer weniger<br />

25


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

existent. Auch starke, mächtige Institutionen mit wirksamen Sanktionsinstrumenten<br />

scheinen nicht mehr verfügbar zu sein, zumindest scheint wenig Verlass auf sie. Auch<br />

aus diesem Grund wird wieder anhaltend über den gesellschaftlichen Zusammenhalt –<br />

beispielsweise im Rahmen von kommunitaristischen Konzepten – debattiert und dabei<br />

auf die Bedeutung von Kommunikation verwiesen.<br />

3. Integration und Integrationsbegriff im Alltags- und Wissenschaftsdiskurs<br />

Unter Integration wird höchst Unterschiedliches verstanden oder intendiert, wobei die<br />

ausgeprägte Verwobenheit von Alltags- und Wissenschaftsdiskurs auffällig ist.<br />

Das Verständnis von Integration, sei es nun<br />

• in seiner räumlichen (lokal, regional, national, international, global),<br />

• in seiner sozialen (zwischen Individuen, zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen),<br />

• in seiner sozial-räumlichen (zwischen bestimmten Kultur- und Sprachgebieten) oder<br />

gar<br />

• in seiner systemischen Variante (Organisation, Gesellschaft),<br />

ist immer stark normativ ausgerichtet, weil Integrationsleistungen von Einzelnen, von<br />

Gruppen, von Organisationen wie von Institutionen erwartet werden. Im Mittelpunkt<br />

des Interesses steht zumeist das Individuum: Wie ist es sozial (in Organisationen) und<br />

räumlich (Nationalstaat, Region, Gemeinde, Quartier) integriert, wie vollziehen sich Integrationsprozesse<br />

(bspw. in Form der Sozialisation)? Integration wird dabei vielfach in<br />

Beziehung zu „Heimat“ oder „Identität“ gesetzt und der Begriff wird deshalb sowohl<br />

lebensweltlich wie auch <strong>wissenschaft</strong>lich für höchst unterschiedliche Phänomene benutzt.<br />

Integration wird jedoch auch unter Systemaspekten betrachtet, so wenn behauptet<br />

wird, dass ein kulturelles oder politisches System mit seinen Organisationen einen<br />

hohen oder geringen Grad an Integration aufweist. Meso- und Makroebene finden hingegen<br />

deutlich geringere Beachtung, auch in der Publizistik- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>.<br />

Mikrobezogene Problemstellungen, wie die Sozialisation, stehen im Mittelpunkt<br />

der <strong>wissenschaft</strong>lichen Reflexion. An theoretischen Bemühungen fehlt es hingegen.<br />

Die enge Verschränkung von Alltagsdiskussionen und <strong>wissenschaft</strong>licher Diskussion<br />

stellt ebenso ein Problem dar wie die Überwölbung der Diskussion um Integration mit<br />

staatlichen – phasenweise sogar völkischen – oder moralischen Kategorien. Sowohl in<br />

der Alltags- wie auch in der Wissenschaftsdiskussion dominiert somit ein stark kontextabhängiges<br />

Verständnis von Integration bzw. Desintegration (vgl. dazu die Hinweise<br />

bei Hummel 1996). Das ist Problem und Chance zugleich: Problem deshalb, weil<br />

durch den Bezug stark situative Komponenten selbst in die <strong>wissenschaft</strong>liche Analyse<br />

Eingang finden. Chance deshalb, weil die Auseinandersetzung über Integration einen<br />

gesellschaftlichen Reflexionsprozess ermöglicht, der nicht jenseits <strong>wissenschaft</strong>licher<br />

Überlegungen steht. Theoretisch gewendet: Die gesellschaftliche wie die <strong>wissenschaft</strong>liche<br />

Debatte über Integration ist ein Beitrag zur Integration selbst. Der „Wert“ der Kategorie<br />

und der „Wert“ des Prozesses ergeben sich aus dem Selbststeuerungspotenzial,<br />

der diesen Diskursen innewohnt. Debatten über Staatlichkeit, Gerechtigkeit, Wohlfahrt<br />

oder eben Integration dienen der gesellschaftlichen Selbstverständigung und der Selbststeuerung<br />

(vgl. dazu unter öffentlichkeitstheoretischen Vorstellungen Wessler 1999). Sie<br />

sind gewissermaßen zwangsläufig normativ.<br />

26


3.1. Integration im Alltagsdiskurs<br />

Die Diskussion um Integration wird zumeist von jenen geführt, die sich selbst als integriert<br />

bezeichnen: Sie verlangen von anderen die Integration (bspw. von Ausländern) als<br />

einseitigen Akt, oder sie sehen Integration als dauernde Aufgabe für sich selbst bezogen<br />

auf bestimmte Teilgruppen der Gesellschaft (bspw. Integrationshilfe für Kinder/Jugendliche).<br />

In der Regel wird eine Unterordnung verlangt oder eine Anpassungsleistung<br />

erwartet. Dort, wo die Aufgabe zur Mitwirkung an Integrationsprozessen kollektiv anerkannt<br />

ist, erfolgt die Bearbeitung des Problems zum einen durch Eigenleistung (Erziehung)<br />

und zum anderen über eigens dafür geschaffene Institutionen (wie Kindergarten,<br />

Schule). Dort, wo die Bereitschaft zur Mitwirkung an Integrationsprozessen nicht<br />

anerkannt ist oder nur zum Teil akzeptiert wird, erfolgt die Bearbeitung vor allem durch<br />

repressive Maßnahmen (vgl. dazu auch Adams 1979).<br />

Aufgrund der Einsicht in die Fragilität jeglicher Gesellschaftsform – vor allem moderner,<br />

sich differenzierender Gesellschaften – wird Integration zu einer Art übergreifendem<br />

Programm in der Alltagskommunikation: Alle staatlichen Institutionen werden<br />

darauf verpflichtet, und alle staatsnahen Akteure und Organisationen (vor allem jene des<br />

intermediären Systems) verpflichten sich gleichsam selbst dazu (vgl. zum Aspekt der politischen<br />

Integration De Vree 1972, Elster 1989; vgl. auch die Fallstudien über die<br />

Schweiz: Meier-Dallach/Nef/Ritschard 1990 sowie unter dem Aspekt Multikulturalität<br />

Linder 1999, S. 27ff.). An andere Akteure (wie aus dem Wirtschaftssystem) werden zumindest<br />

entsprechende Erwartungen adressiert. Die Forderung nach Integration ist<br />

gleichsam permanent vorhanden, wird von einzelnen – wenn auch unterschiedlichen –<br />

Akteursgruppen immer erneut vorgebracht, wenn auch damit jeweils bestimmte und<br />

unterschiedliche normative Zielsetzungen verbunden werden.<br />

Desintegration ist – zumindest im demokratischen Gemeinwesen – kein Ziel, das Akteure<br />

aktiv und explizit verfolgen (können). Durch die kommunikative Benennung jener,<br />

die nicht integriert sind (und sich zu integrieren haben), wird eine Unterscheidung<br />

eingeführt. Diese Unterscheidung kann abgrenzende, ja auch diskriminierende Züge annehmen.<br />

Damit bleibt der Integrationsbegriff auf der Akteurs- und Handlungsebene offen;<br />

er wird generell und neutral ebenso verwandt wie auch spezifisch, normativ und diskriminierend.<br />

Auffällig ist, das Integrationsforderungen vorrangig an die betroffene<br />

Gruppe und an staatliche und gesellschaftliche Akteure gerichtet werden, die als zuständig<br />

benannt sind, und weniger an ökonomische Akteure. Integration scheint also<br />

vorrangig als eine politische, soziale und kulturelle Aufgabe angesehen zu werden, um<br />

die sich das politische System zu bemühen habe. Das ökonomische System wird weniger<br />

als Adressat gesehen, denn Forderungen hinsichtlich der Einbeziehung oder Integration<br />

in die ökonomische Wohlfahrt werden an das politische System adressiert.<br />

3.2. Integration im Wissenschaftsdiskurs<br />

Jarren · Integration durch <strong>Medien</strong><br />

Integration ist in den meisten <strong>wissenschaft</strong>lichen Ansätzen grundsätzlich positiv konnotiert;<br />

zumindest Desintegration und Zerfall oder negative Integration gilt es zu vermeiden.<br />

Dabei wird (stillschweigend) davon ausgegangen, dass es so etwas wie eine allgemein<br />

akzeptierte soziale Einheit oder so etwas wie ein übergeordnetes Ganzes gibt,<br />

die oder das es zu schützen oder – bestenfalls – weiterzuentwickeln gilt. Je nach historischem<br />

Zeitpunkt, staatspolitischem Verständnis und gesellschaftspolitischer Norm werden<br />

dafür aber höchst unterschiedliche Ziele formuliert und Bedingungen angenommen<br />

(vgl. Rühl 1985).<br />

27


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Integration als <strong>wissenschaft</strong>licher Topos ist verbunden mit der soziologischen – und<br />

zum Teil auch rechts- bzw. staatsphilosophischen – Reflexion über die Folgen der Modernisierung<br />

von Gesellschaften. Die Debatte fällt historisch mit der Herausbildung von<br />

Nationalstaaten zusammen. Die Herstellung und Aufrechterhaltung nationaler Ordnungen<br />

und die Bewahrung sich modernisierender Gesellschaften trotz funktionaler<br />

Differenzierung steht im Mittelpunkt der Reflexion. Vermittels staatlicher und gesellschaftlicher<br />

Institutionen sowie Organisationen, durch deren materielle und symbolische<br />

Leistungen, sollen (National-)Staat und Gesellschaft zusammengehalten werden<br />

(wiederum für das Beispiel Schweiz: vgl. Linder 1994). Die Ideen, die mit der Begründung<br />

des Nationalstaates zusammenhingen, werden heute für den Europäisierungsprozess<br />

postuliert. Und so ist es nicht verwunderlich, dass im Zeitalter einer bewusst<br />

wahrgenommenen Globalisierung Integrationsfragen aufgeworfen und debattiert werden.<br />

Dass sich Integrationserwartungen auch auf Massenmedien erstrecken und sich in entsprechenden<br />

normativen Formulierungen niederschlagen, ist verständlich, waren doch<br />

die <strong>Medien</strong> eng mit der Nationalstaatsentwicklung verbunden, wie die Presse, oder wurden<br />

auf die Gesamtgesellschaft, wie der Rundfunk, sogleich verpflichtet. Das geht so<br />

weit, dass zunächst der Hörfunk zur staatlich-territorialen Sache selbst wurde. Bei seiner<br />

späteren Organisationsform (öffentlich-rechtlich) wurde das Konzept des Integrationsrundfunks<br />

zum Programm (vgl. dazu allgemein sowie mit Bezug auf die Schweiz<br />

Saxer 1990, 1994). Im Zuge des Europäisierungsprozesses setzen heute die europäischen<br />

Akteure wie die EU-Kommission oder das -Parlament auf europäisierte (Integrations-)<br />

<strong>Medien</strong>. Vor allem dem öffentlichen Rundfunk wurde und wird explizit eine Integrationsaufgabe<br />

zugewiesen (vgl. die allgemeine Darstellung bei Meckel 1994; aktuell dazu<br />

Meyer 1999). Auch an privat-kommerzielle Rundfunkveranstalter werden, allerdings in<br />

allgemeiner Form, diese Erwartungen gerichtet. Zur Rechtfertigung der staatlichen Einbindung<br />

oder der gesellschaftlichen Kontrolle von <strong>Medien</strong> wurde und wird auf drohende<br />

Desintegration verwiesen, und es werden die entsprechenden sozialen (Problem-)<br />

Gruppen benannt (bspw. Ausländer, Sprachgruppen, ethnische Minderheiten, Kinder<br />

oder Jugendliche).<br />

Auch die frühen systemtheoretischen Ansätze sind nicht frei von normativen Vorstellungen<br />

(vgl. dazu generell Wagner 1993). Vor allem wird in ihnen Gesellschaft als erfassbare,<br />

beschreibbare Einheit betrachtet. Bezogen auf Integration werden in strukturfunktionaler<br />

Perspektive vor allem Gleichgewichtsmodelle entwickelt: Ressourcen und<br />

Gratifikationen sollten in einer Gesellschaft möglichst gleich oder doch zumindest so<br />

verteilt werden, dass es nicht zu kulturellen, sozialen oder politischen Krisen und somit<br />

zu Ungleichgewichtszuständen kommt. Integration wird als der Normalzustand – zumindest<br />

als anzustrebender Zustand – sozialer Systeme aufgefasst. Entsprechend gilt es,<br />

Konflikte zu vermeiden oder so zu organisieren, dass Normalzustände immer wieder<br />

erreicht werden können. Und entsprechend diesem Ziel werden gesellschaftlichen Organisationen<br />

„Funktionen“ (zumeist normativer Art) zugewiesen (Informations-, Kritik-,<br />

Kontrollfunktion der <strong>Medien</strong>) (so bspw. bei Ronneberger 1985).<br />

Der traditionelle Wissenschaftsdiskurs über Integration ist somit geprägt von einer Vorstellung<br />

über die Notwendigkeit einer Einheit der und auch einer Einheit in der Gesellschaft,<br />

und er „leidet“ damit an einer normativen Überhöhung: Die Angst vor dem sozialen<br />

Zerfall (soziologisches Theorem von der Massengesellschaft) und die Furcht vor<br />

dem Verlust oder Zerfall des Staates (Staatsganzes) prägen die Debatte von Beginn an<br />

28


Jarren · Integration durch <strong>Medien</strong><br />

(soziologische Theorie; Staatstheorie; Theorie der Internationalen Beziehungen/Internationale<br />

Politik; Begriffe: Nation, Staat, Volk, Gemeinschaft). Damit verbunden sind<br />

bestimmte Norm-, Wert- und Kulturvorstellungen. Sie zu formulieren und durchzusetzen<br />

ist denn auch Ziel <strong>wissenschaft</strong>licher Bemühungen.<br />

Es lassen sich folgende unterschiedlichen Grundvorstellungen im Wissenschaftsdiskurs<br />

zur Integrationsproblematik ausmachen (vgl. dazu Hummel 1996 sowie Hradil 1997):<br />

• Integration als Unterordnung: Integration entsteht durch die Anerkennung von<br />

Normen und Werten. Je stärker diese internalisiert sind, desto ausgeprägter ist Integration<br />

vorhanden. Integration ist in dieser Perspektive ein Mittel zur Aufrechterhaltung<br />

und Stabilisierung von Gesellschaft oder sozialen Teilsystemen.<br />

• Integration als Aufnahme: Integration geschieht durch die Aufnahme von Individuen<br />

und Gruppen in vorhandene Strukturen, so durch die Zuweisung von Positionen<br />

und Funktionen. Dies setzt zwar eine gewisse Offenheit oder Variabilität eines Sozialsystems<br />

voraus, aber es wird von einem vorhandenen, einem gegebenen System ausgegangen.<br />

Aus dem Ausmaß an Konsens lässt sich der Integrationsgrad ablesen. Diese<br />

Form der Integration unterscheidet sich von Akkulturation und Assimilation, weil<br />

in dieser Vorstellung alle Beteiligten bereit zur sozialen Veränderung sind.<br />

• Integration als partielle Desintegration: Bei dieser Vorstellung von Integration wird<br />

Dissens und damit partielle Desintegration als unvermeidlicher Bestandteil einer<br />

(modernen) Gesellschaft angenommen. Dissens, so die Annahme, trägt – zumindest<br />

unter der Voraussetzung gemeinsam geteilter Grundwerte und sozial geregelter sowie<br />

weitgehend akzeptierter Formen der Konfliktaustragung – zur Stabilität von sozialen<br />

Systemen bei. Integration erfolgt in diesem Konzept weitgehend über Formen<br />

der emotionalen Identifikation, an der Symbole großen Anteil haben.<br />

Mit den hier nur knapp bezeichneten <strong>wissenschaft</strong>lichen Vorstellungen von Integration<br />

konkurriert als neuerer Ansatz die Vorstellung von Integration als Konstruktion sozialer<br />

Realität. Darauf soll im Folgenden eingegangen werden, mit dem Ziel zu zeigen, dass<br />

für die theoretische Fundierung von Integrationskonzepten die materiellen, objektiven<br />

Aspekte allein nicht hinreichend sind.<br />

4. Integration als Konstruktion sozialer Realität durch Kommunikation – Ein<br />

theoretisches Konzept<br />

Da das Phänomen Integration im Kontext mit den komplexen Differenzierungs- und<br />

Modernisierungsprozessen gesehen werden kann, bietet sich die neuere Systemtheorie<br />

als Basiskonzept an. Jedoch: Aus funktional-struktureller Sicht der neueren Systemtheorie<br />

ist das Thema „Integration“ schlicht keines. Die Einheit der Gesellschaft ist –<br />

nach Luhmann (1997) – das Verfahren ihrer Produktion. Gesellschaft als autopoietisches<br />

System reproduziert sich kommunikativ im Netzwerk von Kommunikationen, und die<br />

Gesellschaft ist das einzige Sozialsystem, dessen Umwelt fundamental nicht kommunikativ<br />

ist. Die kollektive Akzeptanz von Werten, Normen und Verfahren, ein Thema der<br />

(älteren) struktur-funktionalen Ansätze, ist diesem Ansatz gleichsam nicht mehr angemessen,<br />

denn Konsens kann kein Ziel sein, weil es ihn weder „strukturell“ noch „faktisch“<br />

gibt. Die Schwäche dieser systemtheoretischen Sichtweise ist, zumal dann, wenn<br />

es um die Erklärung von Entwicklung und Bestand sozialer Systeme und somit um Integrationsfragen<br />

geht, offenkundig. Dennoch: Integrationsbegriff und Systemtheorie<br />

können produktiv aufeinander bezogen werden, allerdings unter der Voraussetzung,<br />

29


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

dass der Begriff reformuliert und der systemtheoretische Bezugsrahmen so konstruiert<br />

wird, dass er Kopplungen zwischen den Teilsystemen erkennt, bei denen Organisationen<br />

eine spezifische Rolle spielen. Diese Kopplungen sind auch in der Forschung zur<br />

Theorie sozialer Systeme noch so schwach und mit so heterogenen Ergebnissen erforscht,<br />

dass hier Andeutungen genügen müssen.<br />

Die Herausbildung sozietaler Systeme ist – auch in systemtheoretischer Sichtweise – ein<br />

folgenreicher Vorgang, weil diese sich autonomisieren. Sie entwickeln spezifische Operationsweisen<br />

und verarbeiten das, was außerhalb ihrer vorkommt, nur nach dieser Spezifik<br />

und konstruieren auf dieser Basis „ihre“ soziale Realität. Alles, was sonst noch in<br />

der Gesellschaft vorgehen mag, geschieht funktionsystemintern in der Perspektive dieser<br />

– und eben keiner anderen – Realität. Die Funktionssysteme sind in ihrer Funktion<br />

ausgerichtet auf die Bewältigung bestimmter (für sie systemgefährdender) Komplexitäten.<br />

Sie tun dies autonom, und ob ihre Funktionserfüllungsstrategien gleichsam kompatibel<br />

mit den Funktionserfüllungsstrategien anderer Funktionssysteme (oder gar einem<br />

Systemzusammenhang) ist, ist nicht gesagt. Es gilt: Das Ganze, an dem sie sich orientieren,<br />

ist das Ganze von ihnen aus gesehen.<br />

Die Gesamtgesellschaft lässt sich – in dieser Sichtweise – also nicht mehr insgesamt beobachten<br />

oder darstellen. Die Einheit der Gesellschaft in der Gesellschaft – wie sie die<br />

alte Integrationslehre verstand – ist nur noch als imaginäre Einheit, gleichsam als semantische<br />

Imagination, zu haben (vgl. dazu grundlegend Fuchs 1992). Andererseits<br />

heißt Differenzierung, verstanden als Systemdifferenzierung, keineswegs Indifferenz:<br />

Das Differente hängt zusammen, weil es ja different und eben nicht indifferent ist. Im<br />

Zuge der Differenzierung bilden sich Einheiten heraus, die als Ganzes durchaus gesehen<br />

und beschrieben werden können. Differenzen lassen sich aber auch bezogen auf das bestimmte<br />

Ganze ausmachen und mit Blick auf dieses Ganze als kohärent different thematisieren.<br />

Und für evolutionäre Prozesse gilt, dass sich im Zuge der Evolution Formen<br />

für Beziehungen zwischen Systemen herausbilden, die limativ – gleichsam wie „Begrenzungen“<br />

– fungieren, d. h. die Beziehungen sind nicht (mehr) beliebig gestaltbar<br />

(vgl. Willke 1993).<br />

Aus diesen (system-)theoretischen Überlegungen lassen sich gewichtige Schlussfolgerungen<br />

für ein Integrationskonzept ableiten: Das Streben nach Einheit, und somit auch<br />

nach Integration als realer Leistung, ist weder möglich, noch wäre sie, wenn es sie denn<br />

gäbe, empirisch beobachtbar. Jede Vorstellung von Einheit der Gesellschaft – wenn auch<br />

schlicht als Imagination zu begreifen – vermag aber durch darauf basierender Kommunikation<br />

eben dieses Ziel „wirksam“ werden zu lassen, weil sie – selbst wenn auch nur<br />

wahrgenommen als Irritation – Anschlusskommunikation ermöglicht. Anschlusskommunikation<br />

wird weitgehend über Massenmedien möglich, weil sie aus einer Vielzahl diversifizierter<br />

und auch dissoziierter <strong>Kommunikations</strong>beziehungen relevante Themen<br />

auswählen, durch ihre Auswahl und Deutung <strong>Kommunikations</strong>beziehungen erhalten<br />

oder neue knüpfen. Die ihnen als Funktion zugeschriebene Ermöglichung der Selbstbeobachtung<br />

der Gesellschaft wird durch die Möglichkeit teilsystemübergreifenden Anschlusses<br />

an Massenkommunikation realisiert. Gesellschaftliche Kommunikation als die<br />

Gesamtheit unterschiedlicher <strong>Kommunikations</strong>typen und -formen erhält durch die<br />

Leistung der Massenmedien eine soziostrukturelle Stabilisierung. Und die wechselseitige<br />

Undurchsichtigkeit gesellschaftlicher Teilsysteme füreinander wird dadurch zumindest<br />

partiell aufgehoben. Allein durch die Imagination von Zusammenhängen und Beziehungen<br />

durch die <strong>Medien</strong> entsteht soziale Bindung, weil teilsystemspezifische Kommunikationen<br />

auf diesem Weg tendenziell gesellschaftsweit sichtbar werden. Und durch<br />

30


Jarren · Integration durch <strong>Medien</strong><br />

konkrete <strong>Medien</strong>leistungen bieten sich zudem „reale“ Optionen für Anschlusskommunikation.<br />

Durch die massenmediale Vermittlungsfunktion wird reale wie auch imaginäre<br />

Integrationskommunikation geleistet, wobei eine Unterscheidung zwischen diesen<br />

Formen empirisch nur von Fall zu Fall und allenfalls graduell möglich ist. Kommunikation<br />

kann – um ein Beispiel zu wählen – von einzelnen Funktionssystemen lediglich<br />

als (störende und sogar irrelevante) Irritation aufgefasst, muss aber dort verarbeitet werden,<br />

um eine Entscheidung vornehmen zu können. Selbst diese Form von Integrationskommunikation<br />

bietet damit Möglichkeiten zur Reflexion über soziale Beziehungen.<br />

Generell: Die in der traditionellen Rede von der Integration unterstellte Einheit der Gesellschaft<br />

wird durch die Aufforderung zur Kommunikation – gleichsam durch die Hintertür<br />

– symbolisch hergestellt. Doch für diese Kommunikation bedarf es der Akteure<br />

und entsprechender Vermittler. Zu den Akteuren zählen vorrangig die gesellschaftsweit<br />

agierenden Organisationen, die wir dem intermediären Bereich zurechnen können. Und<br />

relevante Vermittler sind vor allem jene Organisationen, wie wir sie in Form eigenständig<br />

agierender <strong>Medien</strong> kennen. Massenmedien müssen als auf Dauer gestellte, eigenständige,<br />

von anderen Teilsystemen partiell unabhängige Vermittler agieren können,<br />

weil sie nur so vielfältigste intra- und intersystemische <strong>Kommunikations</strong>beziehungen<br />

herstellen können. Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der <strong>Medien</strong> sind für die Leistungserbringung<br />

wesentlich, und erst durch strukturelle Vielfalt im <strong>Medien</strong>system<br />

(bspw. Vielfalt an Organisationstypen mit unterschiedlichem Leistungspotenzial) kann<br />

gesellschaftliche Kommunikation teilsystemübergreifend gelingen. <strong>Medien</strong> stellen somit<br />

eine Art „Gedächtnis der Gesellschaft“ (Luhmann) dar, indem sie gemeinsam geteiltes<br />

(Hintergund-)Wissen bereitstellen, an den gemeinsam geteilten Wertekanon anschließen,<br />

Themen Relevanz verleihen etc. und damit soziale Beziehungen sichtbar und<br />

eben möglich werden lassen (vgl. dazu auch die Überlegungen bei Rossen 1988).<br />

Die Imagination von Einheit kann als ein gemeinsam unterstelltes Interesse angesehen<br />

werden, reduziert doch das Festhalten an dieser Imagination den Aufwand an Beobachtung<br />

und Kommunikation für die Akteure aller Teilsysteme. Die <strong>Medien</strong> repräsentieren<br />

gleichsam diese gemeinsam geteilte Welt, sie vermögen durch Themensetzung, -selektion<br />

sowie -deutung den Blick und die Aufmerksamkeit zu lenken und insoweit auch die<br />

Akteure zu steuern. Über Kommunikation wird zumindest partiell integriert. So gibt es<br />

Formen expliziter Integrationskommunikation, d. h. entsprechende intentionale Akte,<br />

in denen Integration selbst zum Thema gemacht wird. Und es gibt auch Formen impliziter<br />

Integrations-Diskurse (dazu können bspw. Formen von Werbung oder PR<br />

gehören). Die Kommunikation über Integration konkurriert mit anderen Kommunikationen,<br />

der Grad an Intentionalität ist nicht immer (sogleich) erkennbar oder empirisch<br />

zu erfassen, denn es existieren in differenzierten Gesellschaften andauernd unterschiedliche<br />

Perspektiven bezüglich der Integration nebeneinander. Und die Kommunikation<br />

über Integration selbst unterliegt – nicht allein in historischer Dimension betrachtet –<br />

der Evolution. Jedes Einheitskonzept, das die Gesellschaft gleichsam in sich vorfindet,<br />

ist ein kommuniziertes Einheitskonzept, das der ständigen Interpretation – konkurrierender<br />

Kommunikationen – unterliegt. Wenn also die Einheit der Gesellschaft weder erreicht<br />

noch (empirisch) sicher festgestellt werden kann, so kann doch über Kommunikation<br />

Einheit oder Integration in bestimmten Räumen, für ausgewählte Gruppen und<br />

in bestimmten zeitlichen Phasen erzeugt werden. Und diese Kommunikation findet anhaltend<br />

statt und äußert sich in Wir-Semantiken (vgl. dazu Fuchs 1992: 95ff.).<br />

Das Streben nach gesellschaftlicher Einheit oder der Wunsch nach sozialer Integration,<br />

der Bedarf an Wir-Semantiken, hat wesentlich mit sozialen Orientierungsnotwendig-<br />

31


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

keiten, wie wir sie auf der Mikro-Ebene (Einzelne, Gruppen) und auf der Meso-Ebene<br />

(Organisationen als Akteure) empirisch ausmachen können, zu tun. Wir-Semantiken<br />

können soziales Verhalten leiten, in Phasen andauernden Wandels Stabilität verleihen<br />

(vgl. Imhof 1998). Dies umso mehr, wenn Welt und Gesellschaft größer und pluraler<br />

werden. Die Einheitsselbstverständlichkeit ist uns gleichsam im Zuge der Differenzierung,<br />

der Herausbildung der modernen Welt, verloren gegangen. Statt der realen Einheit<br />

und einer realen Integration, die wir wohl eher als sozialen Zwang auffassen würden,<br />

existieren Wir-Semantiken. Sie werden wesentlich durch die Massenmedien, vor allem<br />

in der Interaktion der <strong>Medien</strong> mit Akteuren anderer Teilsysteme, erzeugt und bereitgestellt.<br />

Aber auch Organisationen aus unterschiedlichen Teilsystemen wirken<br />

eigenständig auf die Bildung von Wir-Semantiken ein (bspw. PR durch Wirtschaftsunternehmen),<br />

doch nutzen sie dazu vor allem die <strong>Medien</strong>.<br />

Durch <strong>Medien</strong>kommunikation wird, so ist zusammenfassend festzuhalten, zum einen<br />

die Imagination von Einheit erzeugt. Zugleich wird dadurch aber „real“ ein Prozess in<br />

Gang gehalten, der als schwacher Begriff von gesellschaftlicher Einheitsbildung bezeichnet<br />

werden kann, der also das beschreibt, was angesichts des theoretischen Befundes<br />

noch an Bezügen zwischen sich autonomisierenden Teilbereichen der Gesellschaft<br />

möglich ist. Die systemtheoretische Perspektive macht es somit möglich, die stark gegenständlich<br />

ausgerichtete traditionelle Sichtweise auf Integration zu erweitern. Damit<br />

wird das in der Forschung anhaltend bestehende Problem- bzw. Spannungsverhältnis<br />

zwischen materiellen, objektiven und eher auf Kommunikation basierenden Integrationsvorstellungen<br />

sichtbar.<br />

5. Integration und <strong>Medien</strong> als empirisches Forschungsproblem<br />

Ob und inwieweit Integration empirisch festgestellt werden kann, ist<br />

• von der Beobachterperspektive,<br />

• von der normativen Position und<br />

• von den Kriterien/Indikatoren<br />

für Integration abhängig. Da Integration sowohl materiell (bspw. Identität, Zugehörigkeit)<br />

als auch symbolisch (bspw. Gemeinschafts-, Staatsvorstellungen) bestimmt ist,<br />

kann in der Regel empirisch nicht zwischen diesen beiden Polen trennscharf unterschieden<br />

werden. Zudem hat sich die Vorstellung durchgesetzt, Integration nicht statisch,<br />

sondern als Prozess aufzufassen, so dass allenfalls durch komparative empirische<br />

Bemühungen Differenzen ausgemacht und Bewertungen vorgenommen werden können.<br />

Unterscheidungen sind also möglich und Integration kann insoweit auch gemessen<br />

werden. Bislang wurde jedoch darauf verzichtet, einen spezifischen Integrationsindex zu<br />

entwickeln. Die vorhandenen Indikatoren sind stark von den jeweiligen teildisziplinären<br />

Fragestellungen und Traditionen geprägt (vgl. Hummel 1996). Empirische Studien sollten<br />

aufgrund der theoretischen Überlegungen deshalb vor allem<br />

• auf die Mikro- und Meso-Ebene bezogen werden,<br />

• komparativ (soziale wie sozial-räumliche Differenzierung) angelegt werden,<br />

• die Interaktionen zwischen Akteuren unterschiedlicher Teilsysteme und den <strong>Medien</strong><br />

beachten, und<br />

• grundsätzlich als Langfriststudien angelegt werden.<br />

Integration als Prozess zu verstehen, bedeutet zum einen, Kommunikation (und damit<br />

<strong>Medien</strong>: Angebotsformen, Inhalte, Nutzung und Bewertung) zu betrachten. Denn<br />

32


Jarren · Integration durch <strong>Medien</strong><br />

Kommunikation ermöglicht sowohl Integration von Einzelnen in Gruppen oder von<br />

Gruppen in soziale Systeme als auch Integration auf den unterschiedlichen gesellschaftlichen<br />

Ebenen. Zum anderen ist die soziostrukturelle Dimension, also die Verankerung<br />

der <strong>Medien</strong> in der gesellschaftlichen Struktur (im intermediären System) und die Interaktion<br />

zwischen <strong>Medien</strong> und Akteuren, empirisch zu berücksichtigen. Damit geraten<br />

neben den <strong>Medien</strong> vor allem jene Organisationen ins Blickfeld, die in nennenswerter<br />

Weise an gesellschaftlichen Informations- und <strong>Kommunikations</strong>prozessen beteiligt<br />

sind.<br />

Vor allem die Organisationen des intermediären Systems der Gesellschaft (wie Vereine<br />

und Verbände, Kirchen, Parteien, neue soziale Bewegungen) leisten durch ihre Präsenz<br />

Integration auf der Mikro- wie auch Mesoebene. Da sie zugleich aber auch zwischen den<br />

Teilsystemen vermittelnd agieren und zudem Bestandteil der sozialen, politischen und<br />

kulturellen Ordnung einer Gesellschaft sind, wirken sie sowohl aufgrund ihres Status<br />

(„Faktor“) als auch aufgrund ihrer Vermittlungsleistung („Vermittler“) auf der Makroebene<br />

integrativ. Sie tun dies unter mediengesellschaftlichen Bedingungen mehr und<br />

mehr in Kooperation mit (Massen-)<strong>Medien</strong>. In den komplexen Vermittlungsprozessen<br />

kommt den Massenmedien eine besondere Bedeutung zu. Dies mag der Grund dafür<br />

sein, dass bezogen auf Integrationsaspekte vor allem den <strong>Medien</strong> besondere Aufmerksamkeit<br />

zukommt, und dass ihnen – vor allem aber Hörfunk und Fernsehen – eine integrative<br />

Aufgabe (gesamtgesellschaftlich, kulturell, sozial wie auch politisch) zugewiesen<br />

wurde und wird. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass <strong>Medien</strong> ihre Integrationsleistungen<br />

im engen Zusammenspiel mit anderen intermediären Organisationen<br />

in der Interaktion (also in anhaltenden Prozessen) erbringen.<br />

Ob und inwieweit <strong>Medien</strong> Integrationsaufgaben nun erfüllen, kann nur zum Teil empirisch<br />

beantwortet werden. Es ergeben sich grundsätzliche Erkenntnisprobleme bezüglich<br />

des sozialen Phänomens Integration:<br />

• Integration ist ein Prozess,<br />

• er umfasst Einzelne und Gruppen wie auch Organisationen und Teilsysteme,<br />

• er vollzieht sich zudem anhaltend auf unterschiedlichen Ebenen und<br />

• kann aufgrund seines hohen Komplexitätsgrades als Totalphänomen nicht hinreichend<br />

empirisch „gemessen“ bzw. erfasst werden.<br />

Durch <strong>Medien</strong> und ihre Angebote wird – in welcher Weise auch immer – auf allen gesellschaftlichen<br />

Ebenen Integration geleistet, doch geschieht dies im Einzelfall durchaus<br />

nicht intentional, und ebenso wenig kann das Ergebnis dieses Handelns allein aus einer<br />

Beobachterperspektive heraus betrachtet und beurteilt werden. Konkret: Was kurzfristig<br />

als integrationsförderlich angesehen wird, kann mittel- oder langfristig desintegrative<br />

Tendenzen im gleichen oder aber in einem anderen sozialen Sektor nach sich ziehen,<br />

ohne dass damit etwas über Ursache-Wirkungs-Beziehungen oder gar über <strong>Medien</strong>einflüsse<br />

in diesem Kontext gesagt werden kann (das als kritische Anmerkung zur Analyse<br />

von Wuerth 1999). Dennoch: Insbesondere durch Kommunikation über Integration<br />

wird das Bewusstsein von Zusammenhängen konstituiert, ohne dass damit sogleich inhaltliche<br />

Festlegungen verbunden sind oder Folgen für mögliche Integrationsprozesse<br />

abzuschätzen wären.<br />

Die Erkenntnisprobleme verschärfen sich, wenn im Wesentlichen nur <strong>Medien</strong> und dann<br />

im Wesentlichen nur deren Vermittlungsleistungen (Inhalte; Rezeption) empirisch betrachtet<br />

werden können (vgl. für komplexe Untersuchungsanlagen die Beiträge in Ha-<br />

33


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

sebrink/Rössler 1999). Jenseits aller empirischen Probleme im Zusammenhang mit der<br />

Messung und Bewertung von Vermittlungsleistungen der <strong>Medien</strong> kommt noch hinzu,<br />

dass vor allem die Faktorfunktion der <strong>Medien</strong> sich weitgehend einem unmittelbaren empirischen<br />

Zugang entzieht. Zu den Besonderheiten von <strong>Medien</strong> als intermediären Organisationen<br />

gehört aber gerade deren Faktorfunktion, d.h. ihre jeweils spezifische soziostrukturelle<br />

Verankerung in einer konkreten Gesellschaft (vgl. Jarren 1998).<br />

Aufgrund der benannten empirischen Forschungsprobleme bietet es sich an, Integrationsdiskurse<br />

selbst zum Gegenstand der empirischen Forschung zu machen, also anhand<br />

ausgewählter Fallanalysen die diesbezügliche Leistung unterschiedlich verfasster und<br />

strukturierter <strong>Medien</strong> zu messen.<br />

6. Die Integrationspotenziale der <strong>Medien</strong>: Gemeinsamkeiten, Unterschiede und<br />

Wandel<br />

Im Zuge der Herausbildung eines eigenständigen <strong>Medien</strong>systems, seiner Entwicklung<br />

zu einem funktionalen Teilsystem und der fortschreitenden Binnendifferenzierung hat<br />

sich das Integrationspotenzial der Massenmedien erheblich verändert: Solange die Massenmedien<br />

aufgrund ihrer Entstehung und ihres traditionellen Selbstverständnisses eng<br />

mit gesellschaftlichen Gruppen verbunden waren (wie beispielsweise die Presse in Form<br />

der Kirchen- oder Parteipresse oder der öffentliche Rundfunk durch seine gesellschaftlichen<br />

Vorgaben sowie seine internen gesellschaftlichen Aufsichtsstrukturen), schienen<br />

sie den Integrationsauftrag gewissermaßen per se zu erfüllen, weil sie zur gesellschaftlichen<br />

Ordnung des intermediären Gefüges gehörten und die <strong>Kommunikations</strong>tätigkeit<br />

von Organisationen unterstützten. Sie taten dies deshalb, weil sie von den Vertretern relevanter<br />

gesellschaftlicher Kräfte in hohem Maße ökonomisch abhängig und normativ<br />

beeinflusst waren. So wurde auch der öffentliche Rundfunk gesamtgesellschaftlich institutionalisiert,<br />

mit entsprechenden Aufsichtsgremien sowie Binnenstrukturen, und<br />

mit einem klaren (Integrations-)Auftrag versehen (vgl. Saxer 1993).<br />

Die durch die Deregulierungspolitik forcierte Angebotsexpansion vor allem im elektronischen<br />

<strong>Medien</strong>bereich hat nun den Eindruck von möglichen Desintegrationsgefahren<br />

verstärkt aufkommen lassen. Dies vor allem deshalb,<br />

• weil sich die neu institutionalisierten <strong>Medien</strong> inhaltlich weniger auf die traditionellen<br />

Organisationen und Institutionen beziehen,<br />

• weil sie <strong>Medien</strong>publika vorrangig nach ökonomischen – und weniger nach politischen<br />

– Kriterien erreichen (müssen),<br />

• weil sie den Rezipienten mehr Wahlmöglichkeiten zur Unterhaltung und eingeschränkt<br />

auch zur Information zur Verfügung stellen und<br />

• weil die Individualisierung in der <strong>Medien</strong>nutzung zunimmt. Vielfach wird das mit<br />

(gesamtgesellschaftlicher) Fragmentierung gleichgesetzt (vgl. dazu, mit Daten für die<br />

Schweiz, bspw. Meier/Bonfadelli/Schanne 1993).<br />

Zugleich wird diese gesellschaftliche Entwicklung (Individualisierung, Fragmentierung,<br />

Beschleunigung) den <strong>Medien</strong> insgesamt zugeschrieben. Zum Teil werden die <strong>Medien</strong><br />

dafür sogar unmittelbar – im Sinne der Behauptung kausaler Wirkungszusammenhänge<br />

– verantwortlich gemacht. Ein derartiger Effekt als spezifischer <strong>Medien</strong>effekt lässt<br />

sich jedoch nicht nachweisen. <strong>Medien</strong> haben allerdings am Prozess der gesamtgesellschaftlichen<br />

Modernisierung, an Individualisierung und Wertewandel, einen erhebli-<br />

34


Jarren · Integration durch <strong>Medien</strong><br />

chen Anteil, und sie beeinflussen damit auch Integrationsmöglichkeiten (vgl. dazu Hasebrink<br />

1999). Aufgrund der<br />

• Angebotsexplosion (Zahl der verfügbaren nationalen wie auch internationalen Angebote;<br />

„Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit“ von elektronischen Angeboten) sowie<br />

• neuer Angebotsformen (bspw. als Zielgruppen- und Spartenmedien) und<br />

• der neuen Angebotsbreite (kulturell wie politisch wird in inhaltlicher Hinsicht immer<br />

mehr möglich)<br />

wirken sie auf den Sozialisationsprozess ebenso wie auf die Ausbildung von Meinungen,<br />

Einstellungen und Werten ein. Andererseits ermöglichen sie vielfältige neue Formen von<br />

realer und symbolischer Integration, so wenn sie über immer mehr Entwicklungen in<br />

der Weltgesellschaft berichten.<br />

Insgesamt betrachtet gewinnen die <strong>Medien</strong> aufgrund ihrer zunehmenden Reichweite<br />

und des hohen Grades an Durchdringung gegenüber den bislang dominanten Sozialisations-<br />

und Integrationsinstanzen an Bedeutung. Vor allem gewinnen sie an Einfluss im<br />

intermediären Bereich der Gesellschaft, weil sie mehr und mehr zu einer Voraussetzung<br />

für die Informations- und <strong>Kommunikations</strong>leistungen anderer intermediärer Organisationen<br />

werden. Sie sind präsenter, verfügbarer und in kommunikativer Hinsicht leistungsfähiger<br />

als andere Organisationen und orientieren sich inhaltlich mehr und mehr<br />

in weltgesellschaftlich-pluraler Hinsicht (und insoweit auch globaler) als die herkömmlichen<br />

Organisationen, die an (alten) Wertvorstellungen stärker festhalten. <strong>Medien</strong> nehmen<br />

mehr und mehr eine – in inhaltlicher Hinsicht eher wertneutrale – eigenständige<br />

Vermittler- wie auch Faktorposition ein, d. h. sie lassen sich weniger auf bestimmte<br />

Normen oder Überzeugungen verpflichten. Sie „emanzipieren“ sich von den anderen<br />

intermediären Instanzen, werden jedoch zugleich durch Kommerzialisierungsprozesse<br />

stärker auf das ökonomische System verpflichtet (vgl. McQuail 1992). Jenseits aller<br />

rechtlichen Vorgaben und medienpolitischen Programme vollzieht sich der Wandel vom<br />

Angebots- zum Nachfragemarkt. Empirisch ist das vor allem bei privatkommerziellen<br />

Rundfunkveranstaltern zu beobachten, die ständig ihr Programm den Werbevorgaben<br />

und den über Einschaltquoten vermittelten Publikumsinteressen anpassen. Dieser Wandel<br />

hat auch den Printmediensektor erfasst: Auch dort werden in immer kürzeren<br />

Zeiträumen Produkte relauncht oder neue Produkte (vor allem im Bereich der Zeitschriften)<br />

auf den Markt gebracht und wieder vom Markt genommen. Die Produktlebenszyklen<br />

werden kürzer. Selbst der in Deutschland hoch konzentrierte Tageszeitungsmarkt<br />

ist im Umbruch, wie der „Kölner Zeitungskrieg“ Ende 1999/Anfang 2000<br />

zeigt.<br />

Der Wandel im <strong>Medien</strong>system insgesamt wie bei den Angebotsformen und Inhalten einzelner<br />

<strong>Medien</strong>gattungen wirkt sich – bezogen auf das Integrationspotenzial – unterschiedlich<br />

aus: Während die informierenden Printmedien (vor allem: Tageszeitungen)<br />

Kommunikationen in konkreten geographischen Räumen ermöglichen und insoweit<br />

vor allem räumlich-sozial zu integrieren vermögen, sind die elektronischen Massenmedien<br />

stärker sozial-räumlich ausgerichtet. Sie können dies sein, weil sie als jüngere <strong>Medien</strong><br />

neben den Printmedien eine ergänzende Funktion wahrnehmen. Und sie sind deshalb<br />

– jenseits aller technischen Aspekte (Bereitstellungsmerkmale, Distributionsmöglichkeiten)<br />

– stärker auf bestimmte Gruppen hin ausgerichtet, auch weil sie neben<br />

traditionellen journalistischen Angeboten (Information, Orientierung) allgemeine publizistische<br />

Produkte bereitstellen (Unterhaltung, Service, Entspannung), die zumindest<br />

in räumlicher Hinsicht allgemeiner ausgerichtet sein können (Kulturraumbezug). Und<br />

35


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

im Bereich der sich herausbildenden Netzkommunikation, die potenziell die gesamte<br />

Welt zu umspannen vermag, stehen vor allem globale soziale Bezüge im Mittelpunkt.<br />

Die elektronischen <strong>Medien</strong>angebote lassen sich nur zum Teil auf konkrete geographische<br />

Räume beziehen, und mit diesen Angeboten wird eher Kultur- und Sprachräumen<br />

gefolgt. Während Druckmedien vor allem Angebote mit kognitivem Anspruch (Information,<br />

Service, Alltagsorganisation) unterbreiten und entsprechend räumlich-sozial<br />

nachgefragt werden, unterbreiten die elektronischen <strong>Medien</strong> stärker Angebote mit<br />

affektivem Anspruch (Entspannung, Gruppenzugehörigkeit, Alltagsbewältigung), die<br />

wiederum von bestimmten sozialen Gruppen unterschiedlich präferiert werden.<br />

Trotz aller Unterschiedlichkeit hinsichtlich der potenziellen Integrationsleistung einzelner<br />

<strong>Medien</strong>typen ist zugleich auch das gesamte <strong>Medien</strong>system zu betrachten, denn als<br />

soziokulturelle Institution der Gesellschaft regelt es in sozialnormativer Hinsicht:<br />

Durch sein kontinuierliches und für alle präsentes Angebot an publizistischen Aussagen<br />

werden Ereignisse, Meinungen, Ansichten wie auch kulturelle Vorstellungen geformt,<br />

kategorial eingeordnet und präsentiert. Bezogen auf Integrationspotenziale heißt dies<br />

für das <strong>Medien</strong>system:<br />

• In sachlicher Hinsicht stellt es die Themen für die gesamtgesellschaftliche Kommunikation<br />

bereit und ermöglicht durch Selektionsentscheidungen vielfältige Möglichkeiten<br />

zur Anschlusskommunikation.<br />

• Durch die Herstellung von Öffentlichkeit werden den Akteuren in zeitlicher Hinsicht<br />

dauerhaft Formen zur Anschlusskommunikation ermöglicht.<br />

• Und da an der Massenkommunikation alle Individuen wie Akteure Anteil als auch<br />

(potenziell) Zugang dazu haben, sind in sozialer Hinsicht alle an diesem Prozess andauernd<br />

beteiligt.<br />

In historischer Perspektive gesehen, kann das Integrationspotenzial der <strong>Medien</strong> als gewachsen<br />

bezeichnet werden. Und dieses Potenzial der Massenmedien liegt nicht in jedem<br />

einzelnen Medium oder in einem einzelnen <strong>Medien</strong>teilsystem (wie bspw. dem Hörfunk),<br />

wohl aber im <strong>Medien</strong>system insgesamt: Aufgrund seiner enormen kommunikativen<br />

Leistungsfähigkeit umfasst und durchdringt es die Gesamtgesellschaft und stellt<br />

damit eine wesentliche Voraussetzung für Integrationsprozesse dar. Das <strong>Medien</strong>system<br />

ist vor allem eine Art Infrastruktureinrichtung, von dessen Struktur Umfang und Qualität<br />

der gesellschaftlichen Kommunikation abhängig ist. Die Aufrechterhaltung von<br />

Strukturvielfalt im <strong>Medien</strong>system ist damit unter regulatorischen Aspekten die zentrale<br />

Aufgabe auch zur Erhaltung des Integrationspotenzials. Und aus soziostrukturellen<br />

Gründen ist die Zuweisung normativer Aufgaben an einzelne <strong>Medien</strong> oder an <strong>Medien</strong>teilsysteme<br />

(bspw. bezüglich Integration) zwar nur als eine schwache Vorgabe anzusehen,<br />

aber durchaus – wie noch zu zeigen sein wird – relevant.<br />

Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass das <strong>Medien</strong>system zu spezifischen<br />

Formen der Selbstintegration fähig ist: Durch die Selbstbezüglichkeit, also durch die<br />

wechselseitige Beobachtung innerhalb des <strong>Medien</strong>systems, erfolgt eine Form von<br />

Selbstintegration auf der Inhaltsebene, zumal im journalistischen Bereich. <strong>Medien</strong> nehmen<br />

das auf, was Agenturen anbieten, Akteure der gesellschaftlichen Teilsysteme bereitstellen<br />

(vor allem: PR), und sie berücksichtigen zudem das, was die jeweiligen Qualitätsmedien<br />

aufgreifen (Inter-Media-Agenda-Setting-Effekt). So finden sich im zentralen<br />

Leistungsbereich Information/Orientierung der <strong>Medien</strong> strukturähnliche Angebote<br />

und durchgängig auch ein hohes Maß an inhaltlicher Übereinstimmung (inhaltliche<br />

36


Jarren · Integration durch <strong>Medien</strong><br />

Homogenität). Auf diese Weise bildet sich eine Art <strong>Medien</strong>hierarchie (von den publizistisch-journalistisch<br />

orientierten Voll(programm)anbietern bis hin zu den publizistischökonomisch<br />

ausgerichteten Zielgruppenanbietern) heraus, die auch von den Rezipienten<br />

(an-)erkannt wird und für Nutzungsverhalten prägend ist. Diese Hierarchie zeigt<br />

sich bspw. auch dann, wenn nach der Glaubwürdigkeit von einzelnen <strong>Medien</strong> gefragt<br />

wird.<br />

Zur Aufrechterhaltung dieser Form von sozialer Ordnung im <strong>Medien</strong>system ist allerdings<br />

die normative Einforderung und Durchsetzung von Qualitätsmaßstäben relevant,<br />

weil dadurch die soziale Hierarchie gleichsam stabilisiert wird. So kritisieren <strong>Medien</strong> in<br />

Form von <strong>Medien</strong>kritik vor allem dann ein „Fehlverhalten“, wenn ein Medium bestimmten<br />

normativen Anforderungen oder Selbstverpflichtungen tatsächlich oder vermeintlich<br />

nicht entspricht. Der Verzicht auf jegliche normative Anforderung, wie in<br />

manchen wirtschaftsliberalen Ordnungsvorstellungen formuliert, käme einem Verzicht<br />

auf Setzung von Maßstäben gleich, auf die aber die medieninterne (Selbst-)Kritik angewiesen<br />

ist. Dieser Tatbestand verweist zudem auf die strukturelle Bedeutung von öffentlich-rechtlichen<br />

<strong>Medien</strong>organisationen (Qualitätsangebot; Vorbildfunktion).<br />

<strong>Medien</strong> sind aber nicht nur Infrastruktur, sie sind zudem aktiv an Integrationsprozessen<br />

beteiligt, indem durch spezifische Angebotsformen und Inhalte Akteuren Optionen<br />

geboten oder Grenzen gesetzt werden. Hinsichtlich dieser aktiven Komponente kommt<br />

insbesondere in einem sich zunehmend weiter differenzierenden <strong>Medien</strong>system dem mit<br />

einem entsprechenden Leistungsauftrag zur Integration versehenen <strong>Medien</strong>bereich eine<br />

besondere Bedeutung zu (vgl. dazu etwa Wilke 1996). So leistet bspw. der öffentliche<br />

Rundfunk diese Aufgabe durch seine spezifische Marktpräsenz und Organisationsweise,<br />

vor allem aber durch den Selbstanspruch zu integrieren sowie durch spezifische Programmleistungen<br />

in Form von Voll- oder Spartenprogrammen (dazu grundlegend<br />

Holznagel/Vesting 1999). Für diese Art der Programmierung ist der normative Auftrag<br />

– an den öffentlichen Rundfunk – allerdings relevant. Da es in der hochflexiblen Gesellschaft<br />

nicht ein (gleichsam statisches) „Dauerangebot“ zur Integration geben kann,<br />

besteht die zentrale Aufgabe des öffentlichen Rundfunks darin, beständig nach neuen<br />

Formen zu suchen und entsprechende Angebote zu unterbreiten. Er kann dabei aber<br />

nicht, so die vielfach geäußerte Erwartung, eine Art „Generalintegration“ innerhalb der<br />

Gesellschaft leisten und damit zugleich auch noch kompensatorisch die Schwächen anderer<br />

<strong>Medien</strong> oder intermediärer Organisationen auszugleichen versuchen. Wohl aber<br />

kann er generell durch allgemeine normative Vorgaben und speziell durch organisatorische<br />

Entscheidungen auf dieses Ziel hin programmiert werden (Aufgabe der Reflexion<br />

von entsprechenden Angebotsformen). Und die Leistungserbringung kann evaluiert,<br />

gesellschaftlich debattiert und durch neue Entscheidungen korrigiert werden. Es gilt,<br />

durch rechtliche Vorgaben die Kommunikation über kommunikative Angebotsformen<br />

bezüglich des (Teil-)Ziels Integration nicht nur zu ermöglichen, sondern strukturell abzusichern.<br />

7. Von der Relevanz normativer Anforderungen – Schlussbemerkungen<br />

Die theoretischen Überlegungen und empirischen Hinweise zum Integrationspotenzial<br />

haben deutlich gemacht, dass eine Art „Generalintegrationsleistung“ von <strong>Medien</strong> nicht<br />

erwartet werden kann. <strong>Medien</strong> erbringen Integrationsleistungen im Wesentlichen in der<br />

Interaktion mit Akteuren aus anderen Teilsystemen im Prozess. Hinsichtlich des Integrationspotenzials<br />

gibt es aufgrund von Bereitstellungsmerkmalen und Angebotsfor-<br />

37


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

men Unterschiede zwischen Print- und den elektronischen <strong>Medien</strong>. Hierzu liegen bislang<br />

jedoch keine empirischen Studien vor. Andererseits unterscheiden sich verschieden<br />

institutionalisierte (also unterschiedlich rechtlich verfasste und ökonomisch orientierte)<br />

<strong>Medien</strong> bezüglich ihres Potenzials zur gesellschaftlichen Integration, was sich an Organisationsstrukturen,<br />

Angebotsformen, -inhalten und -qualitäten empirisch nachweisen<br />

lässt. Unter Integrationsaspekten ist die empirische Analyse auf diesen Ebenen sinnvoll,<br />

doch bedarf es dazu eines erweiterten Modells: Der empirische Blick allein auf die <strong>Medien</strong>,<br />

ihre Inhalte oder die Rezeption reicht nicht aus. Themen und Wissen, auch Kenntnisse<br />

über Normen, Werte und Verfahren, werden zwar gesellschaftsweit weitgehend<br />

über <strong>Medien</strong> vermittelt, aber nicht von ihnen (allein) erzeugt. Dies geschieht durch Akteure<br />

in allen Teilsystemen, wesentlich aber über jene Akteure, die dem intermediären<br />

System zuzurechnen sind. Sie sind es, die vor allem Themen für die <strong>Medien</strong>vermittlung<br />

bereitstellen und damit weitgehend die öffentliche Agenda bestimmen. <strong>Medien</strong> greifen<br />

auf die bereitgestellten Informationen zu, weniger greifen sie eigenständig Themen auf.<br />

In inhaltlicher Dimension sind <strong>Medien</strong> als prinzipiell offen anzusehen. Andererseits orientieren<br />

sich <strong>Medien</strong> im entstandenen Nachfragemarkt mehr und mehr an Werbung und<br />

Publikum. Die Interaktionen zwischen Akteuren, <strong>Medien</strong> und Publikum gewinnen damit<br />

für die Analyse an Bedeutung, denn in diesen Prozessen wird auch über die Möglichkeiten<br />

einer Integrationskommunikation entschieden. In empirischer Forschung ist<br />

demnach diesen Interaktionen und ihren Ergebnissen, auch und gerade im Hinblick auf<br />

das Leistungsprofil von einzelnen <strong>Medien</strong> (Grad an Vermittlungsleistung vs. Eigenleistung),<br />

Aufmerksamkeit zu schenken. Die Analyse konkreter Integrationsdiskurse bietet<br />

sich für empirische Studien an, zumal dann, wenn mögliche Leistungsunterschiede<br />

zwischen <strong>Medien</strong> ermittelt werden sollen.<br />

Die empirische Sichtweise ist zudem um normative Aspekte bezüglich der Integrationsfunktion<br />

von <strong>Medien</strong> zu ergänzen: Eine Orientierung von <strong>Medien</strong> auf Integrationskommunikation<br />

kann durch gesetzliche Bestimmungen oder Konzessionen nur in allgemeiner<br />

Form verpflichtend gemacht werden, aber nicht bezogen auf konkrete Ziele<br />

(und schon gar nicht im Ergebnis erfolgreich durchgesetzt werden). Denn: Auch Gesetzgeber<br />

und Gesetze können allenfalls normativ Integration verlangen, also den Prozess<br />

einfordern, aber nicht konkrete inhaltliche Vorgaben machen. Die Selektion innerhalb<br />

von <strong>Medien</strong> erfolgt auf Basis des jeweiligen publizistischen und redaktionellen Entscheidungsprogramms.<br />

Diese Programme können aber durch normative Vorgaben für<br />

<strong>Medien</strong> in Form von Organisationsregelungen (rechtliche Vorgaben hinsichtlich Organisation;<br />

Vorgaben hinsichtlich eines Qualitätsmanagements u. a. m.) beeinflusst werden.<br />

Zu den Schwächen bisheriger Regulierungspraxis gehört, dass evaluative Programme,<br />

zumal Pflichten zur Selbstevaluation oder zum Qualitätsmanagement, im <strong>Medien</strong>bereich<br />

nicht etabliert sind. Da generell mit allgemeinen normativen Vorgaben selbst bestimmte<br />

Ziele nicht sicher erreicht werden können, verweist dies auf die Notwendigkeit<br />

strukturpolitischer Entscheidungen und struktureller Vorgaben für <strong>Medien</strong>organisationen.<br />

Zweierlei Problemstellungen sind im Kontext dieses Problemzusammenhangs zu sehen<br />

und weiterzuverfolgen. Zum einen: Anforderungen bezüglich einer Integrationskommunikation<br />

müssen sich auf die <strong>Medien</strong>organisation (Organisationsverfassung) und auf<br />

das redaktionelle Programm beziehen. Ein so formulierter, allgemeiner Integrationsauftrag<br />

ist notwendig, weil er sowohl die <strong>Medien</strong>organisation als auch gesellschaftliche Akteure<br />

wie das Publikum zur Debatte über die Erfüllung eines solchen Auftrages anzuhalten<br />

vermag. Damit kann im Ergebnis eine Art Selbstbindung bei (<strong>Medien</strong>-)Organi-<br />

38


Jarren · Integration durch <strong>Medien</strong><br />

sationen erreicht werden. An die einzelne <strong>Medien</strong>organisation kann dabei aber nicht ein<br />

konkreter Integrationsauftrag, sondern nur ein Auftrag zur Abbildung relevanter<br />

Selbstverständigungsdiskurse gerichtet werden. Das bedeutet, <strong>Medien</strong> haben die Diskurse<br />

gesellschaftlicher Akteure zu berücksichtigen und sie werden auf Offenheit, Vielfalt<br />

und Pluralität verpflichtet. Durch Formen externer Evaluation wie auch Pflichten<br />

zur Selbstevaluation kann das nötige Wissen für Debatten über Leistungsschwächen bereitgestellt<br />

werden. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass im <strong>Medien</strong>system<br />

selbst – zumindest unter professionellen journalistischen Bedingungen – eine Art von<br />

„Selbstintegration“ auf der Themen-/Akteursebene geleistet wird (wechselseitige Beobachtung<br />

und Berücksichtigung von Themen und Akteuren). Der Umfang auch dieser<br />

Leistung kann empirisch gemessen werden. Evaluationsbefunde stellen für alle Akteure<br />

das notwendige Wissen für die Diskussion über das <strong>Medien</strong>system und einzelner <strong>Medien</strong><br />

bereit. Evaluationen sollten vor allem zur Erhöhung des Reflexions- bzw. Selbstreflexionspotenzials<br />

im <strong>Medien</strong>system beitragen. Da im Unterschied zu zahlreichen anderen<br />

Industrie- und Dienstleistungsbranchen im <strong>Medien</strong>bereich erhebliche Defizite<br />

bestehen, bedarf es spezifischer Formen der Regulierung (etwa Verpflichtung zu Formen<br />

der Selbstevaluation oder zum Qualitätsmanagement).<br />

Zum anderen: Um die Risiken zu minimieren, die sich aus einer gleichförmigen Handlungspraxis<br />

im <strong>Medien</strong>system ergeben könnten, bedarf es auch struktureller Vorkehrungen,<br />

so bezüglich der Erreichung des Ziels der Ermöglichung von Integrationskommunikation.<br />

Strukturelle Vorkehrungen heißt, durch ordnungspolitisch begründete<br />

Entscheidungen für Strukturvielfalt und Offenheit im <strong>Medien</strong>system Sorge zu tragen,<br />

also unterschiedlich organisierte <strong>Medien</strong>unternehmen – private wie öffentlich-rechtliche,<br />

kommerzielle wie Non-Profit-Organisationen – zuzulassen und mit spezifischen,<br />

also durchaus unterschiedlichen, Leistungsaufträgen zu versehen. Die Erfahrungen mit<br />

dem dualen Rundfunksystem in Deutschland zeigen deutlich, dass eine reine Marktorganisation<br />

nicht nur den ökonomischen und publizistischen Wettbewerb noch weiter als<br />

bislang einschränken, sondern dass ein ausschließlich unter Marktbedingungen agierendes<br />

<strong>Medien</strong>system auch Defizite hinsichtlich seines Integrationspotenzials aufweisen<br />

würde. Das insbesondere dann, wenn auf Basis digitaler Distributionssysteme bspw.<br />

Zugangs- und Abrechnungsapparaturen implementiert werden, die Zugang zum und<br />

Verfügung über gesellschaftliches Wissen für Einzelne und soziale Gruppen elementar<br />

betreffen. Die kommunikative Einbeziehung aller Teilsysteme und die kommunikative<br />

Vergesellschaftung aller Bürger mittels des <strong>Medien</strong>systems ist eben nicht allein ein normatives<br />

Ziel an sich, sondern auch aus funktionaler Perspektive geboten.<br />

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41


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

„Praktischer Sinn“, soziale Identität und Fern-Sehen<br />

Ein Konzept für die Analyse der Einbettung kulturellen Handelns in die Alltagswelt<br />

Ralph Weiß<br />

Für den Fortschritt kommunikations<strong>wissenschaft</strong>licher Theoriebildung spielt die Analyse<br />

des lebensweltlichen Kontextes, in den der <strong>Medien</strong>gebrauch eingebettet ist, eine<br />

Schlüsselrolle. Das zeigt der Beitrag anhand des Framing-Ansatzes und anhand der Diskussion<br />

um die Cultural Studies. Auf der Grundlage von Bourdieus Theorie der Praxis<br />

wird ein System generativer Prinzipien des Handelns und der Anschauung skizziert. Das<br />

System bietet einen Bezugsrahmen für die Analyse handlungsleitender Themen, die den<br />

subjektiven Sinn des <strong>Medien</strong>gebrauchs prägen. Welchen Sinn der <strong>Medien</strong>gebrauch haben<br />

kann, erschließt sich anhand der „subjektiven Formen“, in die die medienkulturellen<br />

Objektivationen umgesetzt werden. Um diese Formen zu charakterisieren, greift der<br />

Ansatz auf die Psychologie Hegels zurück. Dabei wird insbesondere die Rezeption des<br />

audiovisuellen Mediums Fernsehen in den Blick genommen. Welches heuristische Potenzial<br />

diese „Denkwerkzeuge“ haben können, wird abschließend an einer Studie über parasoziale<br />

Beziehungen diskutiert.<br />

1. Die Aufgabe: Eine Theorie der alltagsweltlichen Grundlagen des <strong>Medien</strong>gebrauchs<br />

Denis McQuail führt seine umfassende Darstellung der Theorien der Massenkommunikation<br />

zu einem überraschenden Schluss. Er attestiert der Theoriebildung den sehr vorläufigen<br />

Status fragmentarischer Beobachtungen und schlecht abgestützter Annahmen.<br />

The corpus of work described in a summary way in this book is still very fragmentary<br />

and variable in quality. At best, it barely amounts to more than a posing of many<br />

questions plus some empirical generalization based on a set of fragmentary observations<br />

which are not fully representative. (Mc Quail 1996, 375f.)<br />

McQuails skeptisches Resümee fügt sich einer Reihe von Urteilen an, die den Fortschritt<br />

der <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> durch ihr Theoriedefizit behindert sehen. Rosengren<br />

kommt 1993 mit Blick auf die angelsächsische Literatur zu dem Urteil, die weitere Entwicklung<br />

der <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> leide darunter, dass Begriffe und Befunde<br />

nur mangelhaft integriert würden und dass eine produktive Auseinandersetzung zwischen<br />

den theoretischen Ansätzen weitgehend ausbleibe. Saxer stellt für die deutschsprachige<br />

<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> fest, es fehle an einer systematischen Theoriebildung<br />

(1993, 177f.). 1 Schönbach sieht in einem unlängst vorgelegten Überblick über<br />

die Analyse politischer Kommunikation die <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> in einer anhaltenden<br />

„Jäger-und-Sammler-Phase“, damit beschäftigt „herauszufinden, was überhaupt<br />

wahr sein könnte an im Grunde eher vagen Ausgangsideen wie der ,wachsenden<br />

Wissenskluft‘, den Einflüssen einer Zeitungsredaktion auf journalistische Entscheidungen<br />

und der angeblich zunehmenden Skandalorientierung der <strong>Medien</strong>berichterstattung“<br />

1 Siehe auch schon Kaase und Schulz (1989, 10ff.).<br />

42


Weiß · „Praktischer Sinn“<br />

(Schönbach 1998, 119f.). Kunczik zeichnet in seinem jüngsten Resümee über die Wirkungsforschung<br />

ein Bild theoretischen Stillstandes trotz fortgesetzter Forschungsanstrengungen<br />

(Kunczik, Zipfel 1998, 562f.).<br />

Wenn der „zivilisatorische Prozess“, mit dem sich die kommunikations<strong>wissenschaft</strong>liche<br />

Theorie aus ihrer gleichsam prähistorischen Frühphase des „Jagens und Sammelns“<br />

herausbewegt, sehr langsam verläuft, wie McQuail beobachtet (1996, 376), dann könnte<br />

das auch etwas mit dem Festhalten an den bewährten, aber nur begrenzt wirksamen<br />

Denkwerkzeugen, den „eher vagen Ausgangsideen“ zu tun haben. Das rechtfertigt<br />

Bemühungen, die theoretischen Grundlagen für eine Wissenschaft medienvermittelter<br />

Kommunikation zu verbreitern. Die nachfolgenden Überlegungen gehen von der Beobachtung<br />

aus, dass dabei der Analyse der lebensweltlichen Kontexte medienvermittelter<br />

Kommunikation eine Schlüsselrolle zukommt. Diese Annahme soll an zwei Beispielen<br />

aus divergierenden theoretischen Feldern illustriert und dabei zugleich inhaltlich<br />

präzisiert werden.<br />

Die „Framing-Analysis“ interessiert sich bekanntlich für den Einfluss, den die Art, wie<br />

<strong>Medien</strong> das von ihnen gezeichnete Politik- oder Gesellschaftsbild konstruieren, auf die<br />

Schemata der Weltanschauung von Rezipienten hat. Die empirische Erkundung dieser<br />

Beziehung stößt auf den Umstand, dass das Einflusspotenzial medialer Konstruktionsmuster<br />

durch Dimensionen bestimmt wird, die in die subjektive Welt der Lebensthemen<br />

(„un-/obtrusiveness“ von Themen), der Lebensumstände (Status, „kulturelles Kapital“<br />

der Bildung) und der Lebensorientierungen (politisches Interesse) hineinfallen. Dabei<br />

scheint weithin unklar zu sein, wie sich etwa die subjektive Orientierung gegenüber einem<br />

lebenspraktischen Thema (wie „Arbeitslosigkeit“, „Umweltschutz“, „Sicherheit<br />

und Ordnung“, „Ausländer“ oder anderes) in divergierende Formen der Aneignung medialer<br />

Weltbildkonstruktionen übersetzt, so dass sie mal einen prägenden Einfluss auf<br />

die Weltwahrnehmung bekommen können, mal aber nicht. Ferner scheint klärungsbedürftig,<br />

inwieweit die offenbar unterschiedlichen Formen der Rezeption und Aneignung<br />

von <strong>Medien</strong>inhalten namentlich aus dem Fernsehen, also die Modi der Tätigkeit<br />

„Fern-Sehen“, in unterschiedlichen Mustern subjektiver Weltanschauung wurzeln; auf<br />

die können die klassifikatorischen Dimensionen wie etwa „Bildung“ oder „politisches<br />

Interesse“ zwar verweisen, sie können sie aber in ihrem bedeutungsgebenden Funktionieren<br />

nicht entschlüsseln. Schließlich stellt sich drittens die Frage, was die praktische<br />

Orientierung gegenüber einem medial vermittelten Thema und die Muster subjektiver<br />

Weltwahrnehmung mit jenen praktischen Lebensumständen zu tun haben, die durch typologische<br />

Kategorien wie etwa den „sozialen Status“ eher indiziert als theoretisch bestimmt<br />

worden sind. McLeod, Kosicki und McLeod sehen daher die Notwendigkeit,<br />

den Ursprung und die inhaltlichen Strukturen von „Frames“ genauer zu bestimmen. Sie<br />

kommen so auf den lebensweltlichen Kontext weltanschaulicher Orientierungen in sozialen<br />

Milieus zu sprechen.<br />

The origins of audience frames are thus likely to be some combination of the news<br />

media ,packages‘ … the person’s structural location and values, political beliefs and<br />

knowledge, and the political norms and discourse of social groups. (McLeod, Kosicki,<br />

McLeod 1994, 141)<br />

In allgemeiner Fassung stellen sich folgende Aufgaben für das Anliegen, die fehlenden<br />

theoretischen Vermittlungsglieder zwischen der medialen „Rahmung“ und den subjektiven<br />

„Schemata“ konzeptionell in den Griff zu bekommen:<br />

1. Wie wird die objektive Struktur von Handlungsbedingungen an einem sozialen Ort<br />

(„the person’s structural location“ in den Worten von McLeod u. a.) zur subjektiven<br />

43


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Struktur handlungs- und wahrnehmungsleitender Schemata („values, political beliefs<br />

and knowledge“) verinnerlicht? Das ist das Grundthema einer „Psychoanalyse des<br />

Sozialen“ (Bourdieu). Erst seine Bearbeitung macht es möglich, die soziale Positionierung<br />

auf der einen Seite und medienvermittelt ausgebildete subjektive „Frames“<br />

auf der anderen in der Theorie nicht nur äußerlich zu verklammern, sondern ihren<br />

inneren Zusammenhang gleichsam durch die Arbeit der praktischen Bewältigung des<br />

sozialen Alltags hindurch zu verfolgen. Am Ende muss ein Konzept stehen, das die<br />

Muster inhaltlich bezeichnet, nach denen der Alltagsverstand seine Klassifikationen<br />

in einer Weise vornimmt, die sich in dem strukturell bestimmten Feld sozialen Handelns<br />

praktisch bewährt.<br />

2. Welche unterschiedlichen subjektiven Formen können die Schemata und Muster alltagspraktischer<br />

Anschauungsweisen annehmen? Neben der Form des rationalen Urteils<br />

kommen stereotype Begriffe, szenische Vorstellungen und Gefühle in Betracht.<br />

Diese Formen unterscheiden sich darin, wie das Subjekt sich jeweils vergegenwärtigt,<br />

was es wahrnimmt, und inwieweit es daher über den Eindruck verfügt, den das in den<br />

<strong>Medien</strong> Rezipierte in ihm hinterlässt.<br />

Der kognitivistisch inspirierten Framingforschung ist gut bekannt, dass die „Rationalität“,<br />

nach der Individuen die mediale Realitätsdarstellung aufnehmen und verarbeiten,<br />

von ihnen gewechselt werden kann (Brosius 1995, 132f.). Diese verschiedenartigen Formen<br />

subjektiver Verarbeitung scheinen dabei hauptsächlich mit Blick auf den Unterschied,<br />

den sie für die Suggestibilität von Rezipienten machen, gewürdigt zu werden.<br />

Von Interesse ist allerdings auch, wozwischen Rezipienten eigentlich wechseln, wie die<br />

Psycho-Logik der verschiedenen subjektiven Formen des Anschauens beschaffen ist;<br />

denn darin dürfte die Erklärung für die gefundenen Unterschiede im Einflusspotenzial<br />

der <strong>Medien</strong>darstellung liegen.<br />

Der zweite Beleg für die Schlüsselbedeutung, die einer Theorie alltagsweltlicher Orientierungen<br />

zukommt, findet sich im Feld der „Cultural Studies“. Interessiert an der Rolle<br />

der Kultur für die Reproduktion hegemonialer Machtbeziehungen in einer Gesellschaft<br />

(Turner 1996, 182), spüren Studien dem Einfluss nach, den die „soziale Positionierung“<br />

der Subjekte – verstanden in den Dimensionen „Class“, „Gender“ und „Ethnicity“<br />

– auf die subjektive Aneignung, das sinngebende „Lesen“ medienkultureller<br />

„Texte“ hat. Den Arbeiten im Umfeld der Cultural Studies scheint es aber – nach dem<br />

Urteil ihrer Repräsentanten – bisher nicht zufrieden stellend gelungen zu sein, den inhaltlichen<br />

Zusammenhang der „maps of meaning“, die den Prozess subjektiver Aneignung<br />

und Auslegung medienvermittelter Anschauungsweisen organisieren, mit den Regeln<br />

der Praxis an einem spezifischen sozialen Ort zu rekonstruieren. Der text<strong>wissenschaft</strong>liche<br />

Zugang der Cultural Studies erweist sich dabei als Schranke. 2 Ihm fehlt der<br />

Rückhalt in einer Gesellschaftstheorie, die die Transformation sozialer Strukturen in<br />

den „praktischen Sinn“ der Subjekte entschlüsselt.<br />

Richard Johnson fordert schon früh, den „Text als Untersuchungsobjekt zu dezentrieren“<br />

und sich der Aufgabe zuzuwenden, in den (medien-)kulturellen Formen die „gesellschaftlichen<br />

Kategorien“ aufzuspüren, denen sie Gestalt geben; er verlangt ferner unterscheiden<br />

zu lernen, wie kulturelle Formen in „subjektive Formen“ transformiert wer-<br />

2 Siehe hierzu ausführlicher Weiß (1999b, 329 – 354).<br />

44


Weiß · „Praktischer Sinn“<br />

den (Johnson 1999 (1983), 167 – 169). Morley erneuert diese Forderung ein Jahrzehnt<br />

später:<br />

What is needed here is an approach which links differential interpretation back to the<br />

socio-economic structure of society, showing how members of different groups and<br />

classes, sharing different ,cultural codes‘, will interpret a given massage differently<br />

not just at the personal, idiosyncratic level, but in a way systematically related to their<br />

socio-economic position. (Morley 1992, 54)<br />

Die Kritik und Selbstkritik der Cultural Studies führt zu folgendem Anforderungsprofil<br />

an eine weiterführende theoretische Grundlegung:<br />

1. Gefragt ist eine Theorie der Transformation struktureller Bedingungen sozialen<br />

Handelns, der „socio-economic position“, in subjektive Prinzipien, „cultural codes“,<br />

nach denen der „praktische Sinn“ seine Welt klassifiziert und auslegt. Eine solche<br />

Theorie hätte „maps of meaning“ (Hall) als „gesellschaftliche Kategorien“ im Sinne<br />

Johnsons zu erweisen.<br />

2. Erforderlich ist ferner eine Konzeption zur Beschreibung der unterschiedlichen psychischen<br />

Daseinsweisen, der „subjektiven Formen“, in denen sich Rezipienten die<br />

kulturell objektivierten Deutungsmuster verfügbar machen.<br />

Insoweit finden sich die gleichen Desiderate wie bei dem Blick auf die Framing-Forschung.<br />

Es kommt ein weiteres Moment hinzu. Eine vor allem in den USA kräftige<br />

Strömung innerhalb des intellektuellen Projektes der Cultural Studies sieht in der subjektiven<br />

Freiheit zur Sinngebung beim Umgang mit medienkulturellen Objekten auch<br />

die Emanzipation aus der kulturell vermittelten Einbindung in hegemoniale Machtbeziehungen<br />

verbürgt. Die eigensinnige Aneignung des Textes, ja, seine Neukreation im<br />

Zuge der subjektiven „Interpretation“ verweise nur mehr auf die Identität. Die finde in<br />

dieser kulturellen Praxis ein Refugium ihrer Selbst-Bestimmung (Fiske 1997). Morley,<br />

skeptisch gegenüber „romantisierenden“ Vorstellungen von der Freiheit des Konsumenten<br />

in einer „semiotischen Demokratie“, fordert demgegenüber, die Wirksamkeit<br />

hegemonialer Bedeutungskonstruktionen bis in die Strukturen der subjektiven Identität<br />

hinein aufzuspüren (Morley 1992: 35f.; siehe auch Morley, Robins 1995, 218).<br />

Daraus ergibt sich eine weitere Anforderung für eine weiterführende theoretische<br />

Konzeption. Sie muss<br />

3. die Verfestigung und „Abstrahierung“ praktischer Orientierungen zu Momenten einer<br />

sozialen Identität beschreibbar machen. Erst auf dieser Grundlage wird beurteilbar,<br />

inwieweit das kulturelle Handeln, das Akteure auch dazu nutzen, ihrer Identität<br />

Kohärenz zu geben und sie für sich erlebbar zu machen, aus der bloßen Erhaltung eines<br />

sozial eingepassten Selbst in die Selbst-Bestimmung hinausführt.<br />

In diesem, nun näher präzisierten dreifachen Sinn sollen alltagsweltliche Orientierungen<br />

als „Kontext“ kulturellen Handelns bestimmt werden. Aber löst die Analyse von Lebensstilen<br />

dieses Anliegen nicht schon ein? Lebensstilanalysen legen typologisierende<br />

Klassifikationen von solchen Orientierungen vor. Die Kritik dieser Klassifikation erlaubt<br />

es, weiterführend zu beschreiben, wie die theoretische Aufgabe gestellt werden<br />

sollte. Lebensstil-Typologien stellen Syndrome aus Lebensumständen und Lebensorientierungen<br />

lediglich fest. Die Dimensionen, in denen Lebensorientierungen beschrieben<br />

werden, muten daher oft ebenso arbiträr an wie die Typbildungen. Es kommt demgegenüber<br />

darauf an, grundlegende Orientierungen für das praktische Handeln wie für<br />

die alltagspraktischen Anschauungen aus den Strukturen der sozialen Praxis selbst zu erklären.<br />

Erst das verschafft die Gewissheit, nicht nur auffindbare Orientierungen mehr<br />

45


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

oder weniger willkürlich zu abstrakten Grunddimensionen theoretisch zusammen zu<br />

fassen, sondern die elementaren Prinzipien für das Generieren von Haltungen und Anschauungsweisen<br />

bestimmen zu können, die sich aus der „sozialen Positionierung“ der<br />

Subjekte ergeben. Ferner genügt nicht eine Inventarisierung vorfindlicher Orientierungen;<br />

denn dabei stellen sich die Probleme einer mitunter willkürlich anmutenden Typabgrenzung<br />

sowie Irritationen durch das Unvermögen ein, zwischen den – modisch<br />

wechselnden – alltagskulturellen Zeichen für Orientierungsmuster und diesen selbst begründet<br />

zu unterscheiden. Statt solcher Typologien ist daher ein System zu entwickeln,<br />

das Orientierungen in ihrer Potenz nachweist, einzelne Handlungsmuster und Anschauungsweisen<br />

zu generieren, und das diese Orientierungen zudem in ihrem Zusammenhang<br />

darstellt. Ziel ist mithin die Entwicklung eines Systems generativer Prinzipien,<br />

das die praktische Logik handlungsleitender Anschauungen aus der Logik der Praxis<br />

entwickelt.<br />

Schließlich behandeln Lebensstilanalysen die Muster sozialer Identität allein als typologische<br />

Zusammenfassung von Arten der Lebensführung. Die Identität ist aber mehr<br />

als eine bloße Zusammenfassung von praktischen Handlungs- und Anschauungsweisen.<br />

Das Selbstbewusstsein der Akteure bezieht Erfahrungen nicht nur auf das Weltwissen,<br />

sondern reflektiert sie auch zurück auf die eigene Identität. Dabei werden die auf die soziale<br />

Welt ausgerichteten praktischen Maximen der Lebensführung umgeschrieben in<br />

Dimensionen der reflexiven Selbstwahrnehmung, in denen der Akteur sich selbst, seine<br />

soziale Identität begreift. Dieses Identitätsbewusstsein wird zum Ausgangs- und Bezugspunkt<br />

von Aktivitäten eigener Art: Selbstwahrnehmung, Selbsterleben, Selbstverwirklichung.<br />

Die Transformation alltagspraktischer Orientierungen in Dimensionen<br />

des Selbstverständnisses beschreibbar zu machen, gehört zu den Aufgaben, die eine Basistheorie<br />

des <strong>Medien</strong>handelns bewältigen muss. Denn erst dann kann der Zusammenhang<br />

von der „sozialen Positionierung“ der Subjekte bis hin zum psychologischen Eigensinn<br />

eines Identitätserlebens, das im kulturellen Handeln wahr gemacht wird, beschrieben<br />

werden, wie Morley es fordert.<br />

Im Folgenden soll ein Vorschlag unterbreitet werden, wie die so verstandene theoretische<br />

Aufgabe bearbeitet werden kann. Die Darstellung muss sich hier darauf beschränken,<br />

die Grundzüge für ein Konzept deutlich zu machen. 3<br />

2. Skizze für ein System alltagsweltlicher Orientierungen – „Praxeologie“ 4<br />

Die Entwicklung eines Systems alltagsweltlicher Orientierungsmuster kann bei der von<br />

Habermas vorgelegten Unterscheidung von „Handlungstypen“ einsetzen. 5 Habermas<br />

unterscheidet einen „instrumentell-strategischen“ Handlungstyp, dessen Telos das als<br />

Eigennutz verstandene Interesse ist, von einem „normenregulierten“ Typ, der sich an<br />

3 Eine ausführliche Darstellung findet sich in Weiß (1999b).<br />

4 Bei dem folgenden Abschnitt handelt es sich um die überarbeitete Version einer bereits andernorts<br />

vorgelegten Darstellung (Weiß 1999a). Eine ausführliche theoretische Herleitung und<br />

Diskussion findet sich in Weiß (1999b, 14 – 70).<br />

5 Die Typologie findet sich in der ersten „Zwischenbetrachtung“ (1988, 1, 369 – 452; insbesondere<br />

439 und 448). Habermas gewinnt sie seinerseits aus einer breiten Auseinandersetzung mit<br />

soziologischen Handlungstheorien (von Weber über Mead bis Parsons, in der ersten Zwischenbetrachtung<br />

vornehmlich mit Blick auf die „Webersche Handlungstheorie“).<br />

46


Weiß · „Praktischer Sinn“<br />

dem Gemeinsinn der Normkonformität orientiert, und einem „dramaturgischen“<br />

Handlungstyp, der die expressive Darstellung und Verwirklichung der subjektiven<br />

Identität bezeichnet. 6 Die Handlungstypen bezeichnen die methodische Ausrichtung<br />

der Alltagspraxis. Die Ausrichtung verweist auf ihren Fluchtpunkt: Konkurrenz und<br />

Macht als strukturbildende Prinzipien der sozialen Praxis. 7 In den methodischen Handlungsorientierungen<br />

sind die Akteure auf diese Strukturen eingestellt.<br />

Zur Praxis fehlt den „Typen sozialen Handelns“ noch die Projektion auf ein soziales<br />

Feld. Die Kategorie des „sozialen Feldes“ entstammt der bourdieuschen „Theorie der<br />

Praxis“ (1979, 1997). Die verschiedenen „Felder“ bestimmen, welche Handlungsziele<br />

notwendig und möglich, welche Ressourcen wirksam und welche Handlungsmuster<br />

„am Platz“ sind. Folgende Felder bzw. Sphären alltagspraktischen Handelns lassen sich<br />

unterscheiden: das Erwerbsleben (Arbeit, Verdienst, Vermögen), Politik und Recht (gesellschaftliche<br />

Ordnung, Recht, Moral), das Privatleben (Liebe, Beziehung, Glück). Diese<br />

Unterscheidung folgt einer Skizze, die Habermas in seiner „Schlussbetrachtung“ anbietet<br />

(wo er „Austauschverhältnisse“ zwischen „System“ und „Lebenswelt“ anzugeben<br />

sucht) (1988, 2, 473). Sie stimmt im Grundsatz mit derjenigen überein, die in Theorien<br />

über das Alltagsleben vorgenommen wird (Heller 1981).<br />

Die Projektion eines Handlungstyps auf ein soziales Feld konstituiert ein generatives<br />

Prinzip, eine Regel. Diese Regel gibt an, wie Handlungsentwürfe konfiguriert und verwirklicht<br />

werden. Die Idee generativer Prinzipien des Handelns stützt sich auf Bourdieus<br />

Begriff des „Habitus“. Der „Habitus“ bezeichnet ein theoretisches Konzept, das<br />

zwischen Strukturanalyse und Handlungstheorie eine Brücke schlagen will. Auf subjekt-,<br />

näher: handlungstheoretischer Ebene angesiedelt, will es gleichwohl im Blick halten,<br />

wie das Handeln auf Makrostrukturen gesellschaftlicher Verhältnisse eingestellt ist.<br />

Zugleich will es dem Anliegen der Phänomenologie Rechnung tragen, dass das individuelle<br />

Handeln nicht einfach als Produkt objektiver Struktur, sondern als Praxis von<br />

Subjekten begriffen werden muss, die diese Praxis aus der Perspektive ihres Alltagswissens<br />

entwerfen. In Bourdieus Worten:<br />

In der Konzeption des „Habitus“ ist diese Absicht verankert: Dem Gegenstand das<br />

Wissen der Akteure von diesem und den Beitrag zu integrieren, den dieses Wissen<br />

zur Wirklichkeitskonstruktion des Gegenstandes leistet. (Bourdieu 1989, 728).<br />

Im Sinne von Bourdieus Habitus-Konzept lautet die zu bearbeitende Frage daher: Wie<br />

entstehen aus der Projektion von Handlungstypen auf gesellschaftliche Handlungsfelder<br />

regelhafte Muster sozialer Praxis? Es geht bei der Identifikation generativer Prinzipien<br />

gewissermaßen um eine grundlegende Grammatik für die Ausbildung von praktischen<br />

Lebensentwürfen. Die Eigenschaften solcher generativer Prinzipien sollen<br />

6 Habermas diskutiert diese Typologie in der Absicht zu zeigen, wie das soziale Handeln auf<br />

„kommunikatives Handeln“ verweist und wie im kommunikativen Handeln das Rationalitätspotenzial<br />

des gesellschaftlichen Handelns gebunden und bewahrt ist. Habermas’ übergreifendes<br />

Interesse ist es dabei, die Theorie gesellschaftlicher Rationalisierung (ein „Problem“,<br />

das er bei Weber aufnimmt) mit Hilfe einer Universalpragmatik fortzuschreiben. Das führt ihn<br />

in quälende Argumentationsnöte. Die können hier umgangen werden, da die Unterscheidung<br />

von Handlungstypen für eine andere theoretische Aufgabe herangezogen wird.<br />

7 Dieser Bezug kommt bei den soziologischen Klassikern wie Durkheim und Parsons, auf die<br />

Habermas sich stützt, deutlich zum Vorschein, muss aber an Habermas’ eigenen Ausführungen<br />

erst wieder freigelegt werden (Weiß 1999b, 14 – 35).<br />

47


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

zunächst an einem Beispiel erläutert werden, bevor die Skizze zu einer Matrix generativer<br />

Prinzipien vorgelegt wird.<br />

Abb. 1: Beispiel für die Ausbildung einer praktischen Anschauungsweise<br />

Handlungstypen<br />

„instrumentellstrategisch“:<br />

Interesse als<br />

Eigennutz<br />

„normenreguliert“:<br />

Gemeinsinn der<br />

Normkonformität<br />

„dramaturgisch“:<br />

Identität in expressiverSelbstbehauptung<br />

Das Beispiel (Abb. 1) ist aus dem Alltag wohl vertraut. Menschen schätzen im Erwerbsleben<br />

die „Chancen“ für die Befriedigung ihres Eigennutzes ein und suchen sie zu<br />

nutzen. Was macht diese Übung aber nun zu einem „Muster“? Inwiefern verkörpert sie<br />

ein organisierendes Prinzip für Handlungsentwürfe? Zunächst führt die Orientierung<br />

auf den individuellen Eigennutz in eine spezifische Perspektive hinein, die eine besondere<br />

Wahrnehmung der Anforderungen des Berufslebens und der Gesetzmäßigkeiten<br />

des Marktgeschehens begründen: Sie werden daraufhin inspiziert, wie sie zu dem subjektiven<br />

Erfolgsprojekt passen. Die geistige Bewegung hat die Form eines einschätzenden<br />

Taxierens.<br />

Berger und Luckmann berichten in ihrer Wissenssoziologie von dem „Paradoxon“,<br />

„daß der Mensch fähig ist, eine Welt zu produzieren, die er dann anders denn als<br />

menschliches Produkt erlebt“ (1996, 65). Das geht auf diese Optik des Taxierens zurück.<br />

Die Sorge um den individuellen Eigennutz behandelt nämlich die Struktur gesellschaftlicher<br />

Verhältnisse als fertig vorgegebene Bedingung; ihre Beurteilung ist ein vergleichendes<br />

Einschätzen, was sie für das subjektive Erfolgsprojekt hergeben. Mit diesem<br />

perspektivischen Subjektivismus stellt sich das Handeln in die vorfindlichen Strukturen<br />

ein (und reproduziert sie so, als wären sie objektiv aufgegebene und nicht geschaffene).<br />

Taxiert wird des Weiteren der Umkreis der eigenen Fertigkeiten, sozialen Beziehungen<br />

und wirtschaftlichen Mittel daraufhin, was sie mit Blick auf das Profil der vorfindlichen<br />

Anforderungen an „Gelegenheiten“ erschließen. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang<br />

metaphorisch von „Kapitalien“, kulturellen, sozialen und ökonomischen<br />

„Besitztümern“. Das subjektiv verfügbare „Kapital“ bemisst, welches Projekt der Einzelne<br />

mit Aussicht auf Erfolg überhaupt nur ins Auge fassen kann. So geht die Einschätzung<br />

des eigenen „Besitzstandes“ an sozialem, kulturellem und ökonomischen<br />

Kapital in den Entwurf individueller Erfolgsprojekte ein. Der Einzelne legt sodann sein<br />

praktisches Handeln als den Versuch an, kraft seiner „Kapitalien“ die ins Auge gefassten<br />

„Chancen“ des jeweiligen sozialen Ortes für sich zu verwirklichen. Dabei ist der<br />

Schatz an subjektiven „Kapitalien“ sozial sehr ungleich bemessen, je nach dem Ort,<br />

den der Einzelne in der Hierarchie sozialer Positionen einnimmt. Dieser Ungleichheit<br />

48<br />

Soziale Felder<br />

Erwerb: Arbeit,<br />

Verdienst,<br />

Vermögen<br />

Politik: gesellsch.<br />

Ordnung, Recht,<br />

Moral<br />

Privatleben: Selbstverwirklichung,<br />

Glück, Liebe<br />

Orientierung<br />

„Chancen nutzen“<br />

➾ ➾<br />

Identität<br />

„Tüchtigkeit“


Weiß · „Praktischer Sinn“<br />

gilt Bourdieus besonderes Augenmerk. Hier ist hervorzuheben: Die objektive Struktur<br />

sozial ungleicher Handlungsbedingungen wird transformiert in die subjektive Struktur<br />

divergierender Lebensentwürfe. So wird objektive Struktur innerlich, subjektiv. In<br />

Bourdieus Worten: Der soziale Ort wird transformiert zum „sense of one’s place“<br />

(1989, 728).<br />

An dem Beispiel lassen sich drei allgemeine Beobachtungen zur Eigenart handlungspraktischer<br />

Orientierungen gewinnen:<br />

1. Betrachtet man sie in Hinsicht auf ihren Ursprung, so erweisen sich handlungspraktische<br />

Orientierungen als Verinnerlichung der objektiven Struktur gesellschaftlicher<br />

Handlungsbedingungen.<br />

2. Handlungspraktische Orientierungen sind in zweifacher Weise als generatives Prinzip<br />

wirksam: Sie sind Prinzip für den Entwurf und die Realisation von Handlungsweisen,<br />

und sie organisieren Anschauungsweisen, Muster der Wahrnehmung und<br />

Klassifikation sozialer Realität, wie sie für das Handeln nötig sind. In diesem doppelten<br />

Sinn bestimmt Bourdieu den Habitus: als Ensemble generativer Prinzipien für<br />

die Formen der Praxis und für korrespondierende Muster der Anschauung.<br />

Um diese enge Verzahnung von Praxis und handlungsleitender Anschauung zu bezeichnen,<br />

nutzt Bourdieu das Kompositum „praktischer Sinn“. Es soll in Erinnerung<br />

halten, dass die Logik der Praxis in eine spezifische praktische Logik eingeht<br />

und aus ihr heraus reproduziert wird. Diese „Praxeologie“ entwickelt dabei ihren<br />

Eigensinn. Dieser Eigensinn gründet auf dem perspektivischen Subjektivismus, von<br />

dem schon die Rede war, und auf der Kombinatorik generativer Prinzipien, auf die<br />

noch einzugehen ist.<br />

Für die 3. Feststellung ist das Augenmerk auf ein Moment zu lenken, das schon gestreift<br />

worden ist. Die Orientierung des Handelns auf den individuellen Eigennutz führt in ein<br />

taxierendes Einschätzen hinein. Unter diese praktisch-instrumentelle Reflexion beugt<br />

sich der Akteur auch selbst. Er taxiert sich daraufhin, welche „subjektiven Ressourcen“<br />

er aufzubieten vermag, um „Chancen“ zu erschließen und wahr werden zu lassen. Zu<br />

den handlungsleitenden Mustern der Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit tritt daher<br />

auch ein korrespondierendes Muster der Selbstwahrnehmung: „Tüchtigkeit“. 8 Daher<br />

gilt:<br />

3. Die handlungsleitenden Muster praktischer Anschauung erzeugen korrespondierende<br />

Dimensionen sozialer Identität – die Praxeologie, das System des „praktischen<br />

Sinns“, schafft sich ihre Charakterologie.<br />

8 Auch die Selbstwahrnehmung zeichnet sich durch eine eigentümliche Perspektivität aus. Das<br />

wird etwa an dem von Bourdieu beschriebenen Umstand deutlich, dass Inhaber gehobener sozialer<br />

Positionen geneigt scheinen, die Potenzen, die sie der Macht ihres Amtes oder ihres Eigentums<br />

schulden, als Ausdruck besonderer subjektiver Vorzüge wahrzunehmen. Umgekehrt<br />

legen sich Akteure mitunter ein Scheitern auch dann als persönliches Versagen zur Last, wenn<br />

sie nicht die Mittel haben, alle Bedingungen für den Ausgang ihrer Unternehmung zu kontrollieren<br />

(so insbesondere etwa bei Prüfungen). In beiden Fällen stellt sich ein Paradox ein, das<br />

dem oben für die Wahrnehmung der sozialen Realität beschriebenen korrespondiert: Mit Blick<br />

auf die Erfahrung, die sie mit ihren Handlungsentwürfen machen, nehmen Akteure ihre soziale<br />

Identität wie etwas wahr, das sie nicht allein herstellen, sondern dessen sie wie einer vorfindlichen<br />

Bestimmtheit gewahr werden.<br />

49


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Für den Versuch, nach der eben beispielhaft skizzierten Logik das gesuchte System alltagspraktischer<br />

Orientierungen zu entfalten, lassen sich folgende Quellen erschließen:<br />

die Analysen Bourdieus über die Soziologie des Geschmacks (1989) und die „Theorie<br />

der Praxis“ (1979) resp. der „praktischen Vernunft“ (1997), ferner Agnes Hellers Theorie<br />

des „Alltagslebens“ (1981) sowie sozialpsychologische Theorien des „vergesellschafteten<br />

Subjekts“ (Lohauß 1995). 9<br />

Abb. 2: Tableau lebensweltlicher Orientierungsmuster<br />

50<br />

Muster der Praxeologie<br />

Dimensionen sozialer Identität<br />

Erwerbsleben Politik / Recht Privatleben<br />

instrumentell: „Gelegenheit“, „Rechte“, „Pflichten“ „privates Glück“,<br />

Eigennutz „Chance“, „Ertrag“ „Liebe“, „Selbstverwirklichung“<br />

„Einsatzbereitschaft“, „Durchsetzungs- „Attraktivität“,<br />

„Leistungsfähigkeit“,<br />

„Geschick“<br />

fähigkeit“ „Lebensfreude“<br />

normenreguliert: „Verdienst“, „Ordnung“, „Werte“ „Glücksanspruch“<br />

Normkonformität „Anspruch“<br />

„Tüchtigkeit“, „Anstand“, „Ehre“, „Liebenswürdigsoziales<br />

„Wir“ politisches „Wir“ keit“<br />

expressiv: Selbst- Meinen: „soziale Un-/ Politisches Räsonne- Selbstdarstellung,<br />

behauptung Gerechtigkeit“,<br />

Anerkennung<br />

ment, Respekt Bestätigung<br />

Stil: „Erfolgsmensch“ „Höflichkeit“ „Authentizität“,<br />

„Pflichtbewusstsein“ „Selbstsicherheit“,<br />

praktisches Gefühl:<br />

„Stolz“, „Gerechtigkeitsempfinden“,<br />

„Solidarität“<br />

„Ehrgefühl“,<br />

„patriotisches<br />

Empfinden“<br />

„Spontaneität“<br />

Selbstgefühl,<br />

Meta-Gefühle<br />

9 Um Bourdieus Arbeiten nutzbar zu machen, ist allerdings eine kritische Revision insbesondere<br />

des Determinismus in seiner Habitus-Konzeption erforderlich, die deren Verknöcherung<br />

überwindet, in die die zirkuläre Gedankenbewegung von Bourdieus „epistemologischen<br />

Strukturalismus“ hineingeführt hat. Die Sozialphänomenologie, in deren Nähe sich Bourdieu<br />

mit seinem epistemologischen Interesse bewegt, und die aus teilweise verwandten Denktraditionen<br />

gespeiste „Anthropologie“ von Agnes Heller helfen, den „Habitus“ nicht nur als<br />

Versubjektivierung von Strukturen der Praxis, sondern auch in seinen generativen Potenzen als<br />

Tiefengrammatik für die Artikulation von subjektiven Praxisentwürfen und Anschauungsweisen<br />

darzustellen (Weiß 1999b, 36 – 61).


Weiß · „Praktischer Sinn“<br />

Das Tableau (Abb. 2) gibt anhand von begrifflichen Chiffren eine Übersicht über alltagspraktische<br />

Handlungsorientierungen und die ihnen jeweils korrespondierenden Dimensionen<br />

im „Formular“ sozialer Identität. 10 Es ist wie eine Matrix angelegt und soll<br />

auf diese Weise den systematischen sozialen Ort und den Zusammenhang alltagspraktischer<br />

Orientierungsmuster zur Anschauung bringen. Das Tableau macht ferner deutlich,<br />

dass die elementaren Typen sozialen Handelns feldspezifisch ausgelegt werden. Die<br />

pragmatisch-instrumentelle Orientierung ist im Erwerbsleben anders ausgeprägt als im<br />

Privatleben. Die Verortung in einem sozialen Feld weist den Ursprung alltagspraktischer<br />

Orientierungsmuster aus, ihre Verankerung in der objektiven Struktur einer Lebenssphäre.<br />

Allerdings ist das so konstituierte System erst der Ausgangspunkt für das Vermögen<br />

der Akteure, aus seinen Elementen Handlungsentwürfe entstehen zu lassen.<br />

Denn die feldspezifisch ausgebildeten Muster können miteinander verknüpft werden.<br />

Das versetzt das System der Orientierungen in Bewegung.<br />

An einem Beispiel lässt sich die Kombinatorik des „praktischen Sinns“ erläutern: Die Logik<br />

des „Verdienstes“ lässt aus erbrachten Leistungen im Erwerbsleben das Recht des<br />

Akteurs auf „Entschädigung“ hervorgehen. Übertragen auf das Feld der Liebesbeziehungen<br />

verändert sie das Ideal gemeinsamen Glücks. Die Grundlage, von der aus dessen<br />

Verwirklichung erstrebt wird, ist dann nicht mehr das wechselseitige Versprechen,<br />

sondern das einseitig reklamierbare Recht auf die Zuwendung des anderen. Der „praktische<br />

Sinn“ bildet auf diese Weise feldübergreifend praktische Analogien.<br />

Das Beispiel soll folgende Feststellung plausibel machen: Die Kombinatorik des „praktischen<br />

Sinns“, sein Vermögen, „praktische Analogien“ herzustellen sowie ferner Orientierungsmuster<br />

miteinander zu verknüpfen oder wechselseitig zu substituieren, verleiht<br />

dem System handlungsleitender Orientierungsmuster insgesamt so viel Flexibilität,<br />

dass der Alltagsverstand imstande ist, eine Vielzahl von Situationen in einer insgesamt<br />

konsistenten Weise zu klassifizieren und praktisch zu bewältigen.<br />

In diesem Sinn ordnet das Tableau die Bauelemente, aus denen zwei Konfigurationen<br />

zusammengefügt werden:<br />

(1) Eine Weltanschauung: In ihr sind die handlungspraktischen Anschauungsweisen zu<br />

einer mehr oder weniger konsistenten Gesamtdeutung zusammengefasst. Die Individuen<br />

unterscheiden sich darin, welche und wie viele Muster sie einbeziehen, um<br />

ihren Erfahrungen Sinn zu geben. Das Tableau umreißt das Reservoir, aus dem für<br />

Weltbildkonstruktionen geschöpft werden kann.<br />

(2) Ein Identitätsformular: Es bezeichnet abstrakte Dimensionen sozialer Identität. Die<br />

Individuen zeichnen sich dadurch aus, wie sie sich in die vorgeprägten Positionen<br />

dieses Formulars einschreiben, welche Positionen sie zu ihren Stärken, welche zu<br />

ihren Schwächen rechnen und wo sie um Hervorhebung bemüht sind.<br />

Inwiefern kann nun eine solche Konzeption helfen, das <strong>Medien</strong>handeln besser zu begreifen?<br />

Charlton und Neumann-Braun haben eine Rezeptionstheorie vorgelegt, in deren<br />

Zentrum das „handlungsleitende Thema“ steht (Charlton, Neumann 1988; Charlton<br />

1997). Dieser Theorie zufolge wird der subjektive Sinn, den die Zuwendung zu <strong>Medien</strong>erlebnissen<br />

für Rezipienten hat, wesentlich durch die überragenden Themen be-<br />

10 Die begrifflichen Kürzel führen die subjektive Logik, nach der der praktische Sinn jeweils<br />

verfährt, nicht aus. Dazu fehlt hier der Raum. Für eine entfaltete Darstellung siehe Weiß<br />

(1999b, 71 – 221).<br />

51


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

stimmt, die sich für ihre Lebensführung nach Maßgabe ihrer Orientierungen und Anschauungsweisen<br />

stellen. Dieser subjektive Sinn steuert die Zuwendung zu <strong>Medien</strong>inhalten<br />

sowie die Art ihrer Aneignung. Die einführenden Überlegungen (Abschnitt 1) haben<br />

darüber hinaus auch für einen kognitionspsychologisch inspirierten und einen kultur<strong>wissenschaft</strong>lichen<br />

Ansatz gezeigt, dass einer Theorie alltagsweltlicher Orientierungen<br />

eine Schlüsselrolle für die Analyse des <strong>Medien</strong>gebrauchs zukommt. Charlton und<br />

Neumann-Braun haben mit Blick auf Kinder und Jugendliche in Piagets Entwicklungspsychologie<br />

eine theoretische Grundlage dafür gefunden, diese Lebensthemen systematisch<br />

klassifizieren und einordnen zu können. Die skizzierte Theorie des „praktischen<br />

Sinns“ will die gegenständliche Beschränkung auf die Entwicklung im Kindesund<br />

Jugendalter überwinden helfen. Sie bietet sich als Grundlage an, die für erwachsene<br />

soziale Akteure die „handlungsleitenden Themen“ theoretisch bestimmbar macht, die<br />

das <strong>Medien</strong>handeln organisieren und inhaltlich prägen. Welches heuristische Potenzial<br />

das Konzept für kommunikations<strong>wissenschaft</strong>liche Ansätze bietet, soll abschließend an<br />

einem Beispiel illustriert werden (Abschnitt 4). 11 Insgesamt dient das Konzept dazu, die<br />

subjektive Logik der Themen und Lebensentwürfe zu entschlüsseln, die für die <strong>Medien</strong>rezeption<br />

eine Rolle spielen. Für die Analyse der Rezeption ist allerdings auch die<br />

umgekehrte Fragehaltung nötig: Welche Rolle spielt dann der <strong>Medien</strong>gebrauch für die<br />

Themen und Lebensentwürfe des „praktischen Sinns“? Die Frage lenkt den Blick auf die<br />

„subjektiven Formen“ (Johnson), in denen für die Rezipienten existiert, was sie sich aus<br />

den <strong>Medien</strong> aneignen.<br />

3. Die „subjektiven Formen“ des praktischen Sinns und die korrespondierenden<br />

„Grundformen des Fern-Sehens“<br />

In der <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> ist die Unterscheidung zwischen verschiedenen<br />

Modi des Rezipierens durchaus geläufig – wie etwa diejenige zwischen einer eher emotional-involvierten<br />

und einer eher kognitiv-analysierenden Rezeptionsweise (vgl. Vorderer<br />

1992, 75 – 89). Aufgrund der herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung des<br />

Mediums, das zudem mit seinen Angeboten mehrere Sinne zugleich anspricht, gilt das<br />

Hauptaugenmerk der Rezeptionstheorie vor allem dem Fernsehen. Ein besonderes Interesse<br />

finden dabei die „sprachlosen“ Formen des Rezeptionserlebens wie das Fühlen<br />

oder die Imagination. Sie bilden eine Form der Aneignung der <strong>Medien</strong>-„Texte“, die sich<br />

augenscheinlich von dem Begreifen im Medium der sozial geformten Sprache und unter<br />

der Kontrolle des Alltagsverstandes unterscheiden. An diesen Unterschied werden z. T.<br />

weit reichende Spekulationen darüber geknüpft, inwieweit die Imagination oder das<br />

Fühlen gar eine eigene Form der Wirklichkeitserfahrung sein könnten. 12 Solche Spekulationen<br />

ziehen allerdings ein theoretisches Problem nach sich. Für gewöhnlich wird<br />

durchaus gesehen, dass auch das Fühlen oder die Imagination etwas damit zu tun haben,<br />

11 Eine umfassende Diskussion von kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lichen Theorien vor dem Hintergrund<br />

einer praxeologischen Analyse des Fern-Sehens findet sich in Weiß (1999b, 285 – 448).<br />

12 Das spielt etwa in der Debatte innerhalb der Cultural Studies über das „populäre Vergnügen“<br />

eine wesentliche Rolle. Denn von manchen Autoren wird die subjektive Wahrheit und Unmittelbarkeit<br />

der positiven Affektion, die im Vergnügen vorliegt, als Beweis für die Freiheit des<br />

Individuums von hegemonialen Prägungen in Anspruch genommen (siehe etwa Fiske 1997,<br />

82).<br />

52


Weiß · „Praktischer Sinn“<br />

welche Auffassungen das Subjekt von der sozialen Realität und darüber hinaus von sich<br />

selbst hat, ferner welchen Plänen es folgt und welches Ideal es sich von der eigenen Person<br />

macht. Wie aber lässt sich dieser innere Zusammenhang noch beschreiben, wenn das<br />

Fühlen als eigenständiger Wirklichkeitszugang gegen das Denken theoretisch verselbstständigt<br />

worden ist? Konstruktiv gewendet: Lässt sich die Besonderheit von „sprachlosen“<br />

„Bewusstseinseinstellungen“ (Metz) wie der Imagination oder dem Fühlen in einer<br />

Weise charakterisieren, die den Unterschied zum verständigen Urteilen bezeichnet und<br />

gleichwohl deutlich macht, wie das Fühlen und Vorstellen innerlich damit verbunden<br />

sind, was das Subjekt wahrnimmt, weiß und sein will?<br />

Im Folgenden soll am Beispiel der Imagination und des emotionalen Erlebens beim<br />

Fernsehen ein Zugang skizziert werden, der dieses Anliegen einlösen möchte. Der Versuch<br />

stützt sich auf die Psychologie Hegels (1986). Er führt in eine etwas ungewohnte<br />

Denkungsart ein. Denn die Imagination und das emotionale Rezeptionserleben werden<br />

nicht in ihren Funktionen und Auswirkungen (wie etwa in dem „Mood-Management“-<br />

Konzept) oder in Hinsicht auf ihre subjektiven Voraussetzungen (wie etwa bei gratifikationsbezogenen<br />

Zuschauertypologien) besichtigt. Vielmehr will die Beschreibung<br />

transparent machen, in welcher besonderen Weise sich Rezipienten vergegenwärtigen,<br />

was sie aus dem <strong>Medien</strong>text (fühlend) aufnehmen, und wie sie dementsprechend über<br />

die kulturell codierte Bedeutung und über den Inhalt ihrer eigenen Affektion verfügen.<br />

Eine solche Kennzeichnung der „subjektiven Formen“, in die die medienkulturellen<br />

Objekte umgesetzt werden, soll die Grundlage für die Beurteilung schaffen, was das <strong>Medien</strong>handeln<br />

für die Bildung, Bestätigung oder Erneuerung des „praktischen Sinns“ bedeuten<br />

kann.<br />

Hegels „Phänomenologie“ des „subjektiven Geistes“ bietet sich als theoretischer Rückhalt<br />

an, da sie es darauf anlegt zu zeigen, wie die Formen der Betätigung des „subjektiven<br />

Geistes“ von der einfachen Wahrnehmung bis hin zum urteilenden Denken ineinander<br />

übergehen. Auf der Grundlage der Hegelschen Psychologie lassen sich vier elementare<br />

„subjektive Formen“ der Fernsehrezeption unterscheiden (Abb. 3). 13 Zu diesen<br />

Rezeptionsmodi zählen das Vorstellen und das korrespondierende emotionale<br />

Erleben. Sie spielen in dem abschließend diskutierten Beispiel eine Rolle. Daher soll ihre<br />

Charakterisierung hier thesenartig verkürzt wiedergegeben werden.<br />

Das Vorstellen ist eine produktive Tat des subjektiven Bewusstseins. Es stellt sich<br />

das Bild eines Gegenstandes vor Augen, den es in räumliche und zeitliche Assoziationen<br />

zu anderen versetzt. Die Vorstellungskraft holt die Bilder aus der Erinnerung<br />

hervor, kann sie dabei aber auch gestaltend verändern. So kann es sich bei einem Vorstellungsbild<br />

auch um die Verbildlichung einer Idee über die Eigenart eines Gegenstandes,<br />

eines Dings, einer Person, eines Geschehens oder der eigenen Identität handeln.<br />

Die Vorstellung ist hier Versinnbildlichung. In der Versinnbildlichung erkennt das<br />

Subjekt sein Urteil, das aus einer Wesensbehauptung besteht, nicht als solches, sondern<br />

wie eine dem einfachen Augenschein ablesbare, also einfach anschaubare Tatsache<br />

wieder.<br />

13 Für eine systematische Herleitung und ausführliche Charakterisierung dieser Formen siehe<br />

Weiß (1999b, 222 – 284).<br />

53


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Abb. 3: Grundformen des Fern-Sehens<br />

1. Anschauen und Einstimmen<br />

• Im Anschauen erfüllt sich das Bewusstsein mit dem Anschein der Objekte kultureller Inszenierung.<br />

Das Anschauen nimmt den kulturellen Ausdruck als Eindruck des einfachen,<br />

raum-zeitlichen Daseins eines Gegenstandes auf.<br />

• Indem er sich von der sinnlichen Anschauung erfüllen lässt, wird der Rezipient zugleich<br />

eingestimmt. In der Stimmung wird ihm seine Affektion und daher auch ein Moment seiner<br />

Selbstbestimmung zum sinnlichen Erlebnis.<br />

2. Vorstellen und Fühlen<br />

• Das versinnbildlichende Vorstellen fällt ein gedankenloses Urteil: Objekte der Anschauung<br />

werden anhand einzelner Eigenschaften ihrer Erscheinung durch eine assoziierende<br />

Klassifikation als Verkörperung eines Typus wahrgenommen. – Gewissheit ohne Wissen<br />

– Gewissheit der Welt-Anschauung.<br />

• Im fühlenden Miterleben erfüllt sich der Rezipient mit der einfachen Evidenz seiner „moral<br />

considerations“. Das bestimmt Form und Inhalt seines Vergnügens.<br />

3. Entziffern und Genießen<br />

• Das Entziffern identifiziert die Gestaltetheit des medienkulturellen Objekts vermittels visueller<br />

Assoziationen, in szenischen Analogien.<br />

• Im ästhetischen Gefallen macht sich der Rezipient das subjektive Verhältnis zur Gestaltetheit,<br />

zur Form der Darstellung, zu seinem Interesse.<br />

4. Begreifen beim Anschauen<br />

• Das weltanschauliche Urteilen vergewissert sich im Anschauen. Es liest das Dargestellte<br />

als Sinn-Bild seiner Urteile.<br />

• „Lesarten“ sind:<br />

– Glaubwürdigkeit (Autorität der Kompetenz)<br />

– Vertrauenswürdigkeit (Autorität der Werteübereinstimmung)<br />

– Plausibilisierung (Zeugnisse und Zeugenschaft)<br />

– objektivierendes, sich klärendes Urteilen<br />

Die Eigenarten dieser „Bewusstseinseinstellung“ lassen sich am Umgang mit ihrem kulturellen<br />

Gegenstück, dem Symbol, illustrieren. 14 So sind etwa rituelle Akte wie feierliche<br />

Rekrutengelöbnisse oder die Ehrbezeugung vor Staatssymbolen (Flagge, Hymne,<br />

Denkmäler) getragen von der Anerkennung von Legitimität und Autorität des politischen<br />

Gemeinwesens. Die dieser Haltung zugrunde liegenden politischen Urteile sind<br />

aber aufgehoben und zum Verschwinden gebraucht in der sinnlich-anschaulichen Symbolisierung<br />

der politischen Einstellung durch die Anordnung und Haltung der Körper<br />

sowie in der Ganzheitlichkeit und Unvermitteltheit des auf das konkret gegenständliche<br />

Symbol ausgerichteten politischen Empfindens.<br />

Eingebaut in den Prozess der Wahrnehmung sorgt die Vorstellung für eine Art gedankenlosen<br />

Urteils: Das Ferngesehene wird als Verkörperung eines bekannten allgemeinen<br />

Typus identifiziert; dieses Identifizieren erfolgt durch die visuelle Assoziation der<br />

wahrgenommenen mit den in der Erinnerung bewahrten vorgestellten Eigenschaften eines<br />

Schemas. Wie sind dem Fernsehenden in dieser „Bewusstseinseinstellung“ nun sein<br />

Weltwissen, seine Haltungen und Urteile subjektiv gegenwärtig und verfügbar? Die assoziierende<br />

Klassifikation durch die Vorstellung schafft Gewissheit ohne Wissen, die<br />

14 Die Überlegungen zu den besonderen Eigenschaften der Bewusstseinseinstellung des Vorstellens<br />

passen gut zur Semiotik der Visualisierung, die Pörksen (1997) und Doelker (1997) vorgelegt<br />

haben.<br />

54


Weiß · „Praktischer Sinn“<br />

Gewissheit der Anschauung. Der Fernsehende sieht, was ihm gewiss ist. Das versinnbildlichende<br />

Vorstellen operiert mit „unbewussten Schlüssen“ (Frey, Kempter, Frenz<br />

1996, 36), d. h. es fasst Urteile in der Gestalt szenischer Evidenzen.<br />

Das Vorstellen besorgt nicht nur eine praktische Klassifikation des Wahrgenommenen;<br />

es gibt auch dem unerfüllten praktischen Willen, dem Wünschen, eine für den subjektiven<br />

Geist anschaubare Gestalt. Die Phantasie gibt dem Wollen eine szenische Gegenständlichkeit.<br />

Im mitfühlenden Erleben findet das Subjekt in seiner Affektion einen Unterschied, den<br />

es selbst setzt; so findet es in seiner Freude ein von ihm gewünschtes Sollen erfüllt, im<br />

Zorn dieses Sollen vereitelt. Der Rezipient hat diese Setzung seines praktischen Willens<br />

als seine Zuständlichkeit an sich; der Rezipient findet nicht nur seinen praktischen Willen<br />

affiziert, er ist vielmehr diese Affektion, sie macht den Zustand seines beseelten Leibes<br />

aus. Der Fern-Sehende weiß sich dabei praktisch nicht betroffen und ist so in seinem<br />

Fühlen frei. 15 Im fühlenden Miterleben erfüllt sich das Subjekt mit der einfachen Evidenz<br />

seiner „moral considerations“ (Zillmann, Bryant 1994, 448), d. h. seiner Festlegungen,<br />

was sein soll, was es wahr, richtig oder schön findet. Daraus erklärt sich, wieso<br />

selbst das Fühlen von Zorn oder Wut beim Fernsehen ein Vergnügen sein kann.<br />

In diesem für das Vorstellen und das Fühlen beschriebenen Sinn lässt sich mit einer auf<br />

Hegel gestützten Beschreibung besonderer „Bewusstseinseinstellungen“ beim Fern-Sehen<br />

zeigen, wie selbst noch in den „sprachlosen Formen“ medienvermittelten Erlebens<br />

die reflektierten Orientierungen, die eingewöhnten Formen der Weltanschauung, überhaupt<br />

die in praktischer Erfahrung gebildete soziale Identität lebendig sind, die die Substanz<br />

der anschaulichen Vorstellungen oder der Affekte ausmachen. 16<br />

Die bisher skizzierten „Denkwerkzeuge“ sollen zu einer Analyse der Tätigkeit „Fern-<br />

Sehen“ Folgendes beitragen: Die Muster der „Praxeologie“ verorten den subjektiven<br />

Sinn des aus dem Medium aufgenommenen Inhaltes in einem System alltagspraktischer<br />

Orientierungen; der im Zuge der Rezeption angeeignete oder „kreierte“ subjektive Sinn<br />

lässt sich so theoretisch auch auf die „soziale Positionierung“ der Akteure beziehen, auf<br />

die die alltagspraktischen Orientierungsmuster eingestellt sind; die „Grundformen des<br />

Fern-Sehens“ charakterisieren die „subjektiven Formen“, in denen die Rezipienten über<br />

den Sinngehalt verfügen, den sie im Zuge des Fern-Sehens am <strong>Medien</strong>-„Text“ wahrnehmen<br />

und aus ihm aufnehmen. Zu einer umfassenden Analyse des Rezeptionsprozesses<br />

gehört ein weiteres Moment, auf das hier nur hingewiesen werden kann, da es aus<br />

der Betrachtung der alltagsweltlichen Kontexte der Rezeption herausführt und eine ei-<br />

15 Das Fühlen wird hier als besondere psychische Form analysiert, in der der Rezipient sich praktisch<br />

zu dem „<strong>Medien</strong>text“ stellt respektive ihn sich aneignet. In die Beschreibung der Eigenarten<br />

dieser besonderen Bewusstseinseinstellung lassen sich Zillmanns Überlegungen zu einer<br />

von Identifikationen gestützten Form des mitfühlenden Erlebens einordnen (Zillmann, Bryant<br />

1994). Der hier angebotene Begriff des Fühlens fügt sich auch gut zu Vorderers „Involvement“-<br />

Konzept und ist im Besonderen mit dessen Hervorhebung vereinbar, dass das fühlende Miterleben<br />

beim Fernsehen nicht nur als Ausstieg aus Alltagsthemen und -orientierungen, sondern<br />

auch als Hinwendung zu – vorgestellten – Realitäten untersucht werden muss (Vorderer 1992,<br />

112).<br />

16 Damit werden die Formen sprachlosen Erlebens zwar weitreichenden Spekulationen über<br />

ihren „transzendierenden“ oder gar „utopischen“ Gehalt entzogen; dafür werden sie aber in<br />

die Welt des praktischen Alltagslebens zurückgeführt.<br />

55


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

genständige Bearbeitung verlangt: Der <strong>Medien</strong>-„Text“ gibt seinem „Thema“ eine theoretisch<br />

zu klassifizierende sinnlich-symbolische Gestalt. So lassen sich etwa „kommunikative<br />

Gattungen“ (Luckmann 1986) darin charakterisieren, in welchen je typischen<br />

„geistigen Ordnungsformen“ (Pörksen) sie ihre Themen organisieren. Solche „geistigen<br />

Ordnungsformen“ rufen gleichsam die korrespondierenden „Bewusstseinseinstellungen“<br />

bei den Rezipienten auf. Vielleicht ließen sie sich daher auch in Analogie zu den genannten<br />

Grundformen audiovisueller Wahrnehmung typisieren. In jedem Fall gehört<br />

zur Analyse konkreter Rezeptionsprozesse über die vorgeschlagenen Konzepte hinaus<br />

eine theoretische Klassifikation der Eigenschaften der medienkulturellen Objekte. Die<br />

vorstehend beschriebenen Konzepte sollen dann bestimmbar machen, in welche subjektiven<br />

Formen die medienkulturelle Sinnfigur umgesetzt wird und welche Muster der<br />

Anschauung und Orientierung den Blick des Rezipienten perspektivisch voreinstellen.<br />

Helfen die „Denkwerkzeuge“, über das „Jagen und Sammeln“ hinauszukommen? Das<br />

soll an einem Fundstück aus dem Schatz der empirischen <strong>Kommunikations</strong>forschung<br />

erprobt werden.<br />

4. Probe auf das interpretative Potenzial einer Theorie „praktischen Sinns“<br />

Peter Vorderer hat 1998 eine Studie vorgelegt, in der er sich für die Rolle parasozialer<br />

Beziehungen für das Unterhaltungserleben beim Fernsehen interessiert. Er ist dabei auf<br />

eine Gruppe jugendlicher Fans einer Daily Soap gestoßen. 17 Vorderer legt sich sein Thema<br />

so vor: Er will die Bedingungen namhaft machen, die auf die Intensität der parasozialen<br />

Beziehung zur Fernsehfigur Einfluss nehmen. Das Resultat seiner empirischen<br />

Analyse fasst er in „Je-desto“-Relationen zusammen.<br />

Für die Dimension der quasirealen Beziehung spielt vor allem eine Rolle, wie attraktiv<br />

die Lieblingsfigur in Hinsicht auf ihren Erfolg wahrgenommen wird (je attraktiver<br />

durch Erfolg, desto intensiver die Beziehung), für wie intelligent und gebildet sich<br />

die Rezipientinnen selbst halten (je weniger gebildet und intelligent, desto intensiver<br />

die Beziehung), für wie realistisch die Serie eingeschätzt wird (je realistischer, desto<br />

intensiver die Beziehung) und für wie ähnlich die Rezipientinnen ihren sozialen Hintergrund<br />

mit dem des Helden/der Heldin halten (je unähnlicher der soziale Hintergrund<br />

desto intensiver die Beziehung). […] Die Selbsteinschätzung der Befragten als<br />

eher wenig tatkräftig und nicht aufgeschlossen beeinflusst die Beziehungsintensität<br />

ebenso wie die positiv wahrgenommene Realitätsnähe der Seifenoper. Das bedeutet<br />

nichts anderes, als dass die außerordentlich positive Wahrnehmung der Serienfiguren<br />

und die gleichzeitig eher negative Selbstwahrnehmung der eigenen Person, verbunden<br />

mit einer Einschätzung der Serie als realitätsnah und ihrer Figuren als von der eigenen<br />

Person unterschiedlich, besonders wichtig ist für eine parasoziale Beziehung<br />

… (Vorderer 1998, 704)<br />

Vorderers Beschreibung zufolge sind demnach folgende Dimensionen von Belang: das<br />

Alter, das Thema „Erfolg“, der „Realismus“ der Inszenierung, die Nicht-Identität der<br />

17 Es handelt sich um die Soapopera „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (RTL); untersucht wurden<br />

„262 regelmäßige Rezipienten“, die überwiegend jung (75 % zwischen elf und zwanzig Jahren),<br />

überwiegend weiblich (80 %) und eher formal gering gebildet (37 % Grund- und Hauptschule)<br />

sind und zu den Vielsehern zählen (60 % zwischen einer und drei Stunden pro Tag)<br />

(Vorderer 1998, 703).<br />

56


Weiß · „Praktischer Sinn“<br />

Fernsehfigur im Vergleich zum Selbstbewusstsein der Rezipienten, das Genre (Daily<br />

Soap), die eher geringe formale Bildung sowie ein von „wenig Tatkraft“ gezeichnetes<br />

Selbstbild. Vorderer ordnet seine Studie den „explorative(n) Verfahren“ zu, die dazu<br />

dienen sollen, „den Bereich möglicher Einflussgrößen auf die Intensität parasozialer Beziehungen<br />

zu sondieren“ (1998, 702). Er weist seinen empirischen Erkenntnissen insoweit<br />

den Status von theoretisch noch nicht abschließend eingeordneten Befunden zu.<br />

Das bietet eine Gelegenheit, das theoretische Potenzial der zuvor skizzierten Konzeption<br />

zu erproben. Hilft sie, die Bedeutung der von Vorderer ermittelten „Faktoren“ zu<br />

verstehen?<br />

Vorderers Beobachtung macht darauf aufmerksam, dass das Rezeptionserleben bei der<br />

Soapopera mit dem Selbstbild von Jugendlichen zu tun hat. Aber womit hat die Mühe<br />

jugendlicher Identitätsbildung und -sicherung zu schaffen? Und was kann das Fernsehen<br />

für diesen Prozess leisten? Ich nähere mich dieser Frage zunächst mit Blick auf das<br />

Thema, das nach Vorderers Beobachtung eine besondere Rolle spielt, nämlich das Thema<br />

„Erfolg“. Über dessen besondere Rolle gibt Bourdieus „Psychoanalyse des Sozialen“<br />

Auskunft. Alle erwachsenen Gesellschaftsmitglieder stehen nolens volens vor der<br />

Aufgabe, individuell auf Waren- und Arbeitsmärkten und in individualisierten Beziehungsspielen<br />

um den Erfolg ihres Lebensprojektes zu ringen. Für das Jugendalter bekommt<br />

diese praktische Herausforderung noch eine besondere Pointe. Denn das Jugendalter<br />

ist eine Phase des Übergangs. Die Jugendlichen sind herausgefordert, sich mit<br />

dem Thema auseinander zu setzen, was sie „aus ihrem Leben machen“ wollen. Welcher<br />

Erfolg ihnen wichtig ist, das ist Projekt, Entwurf für eine Lebensführung – an der<br />

Schwelle zur Selbstständigkeit. Das individuelle Konzept, welche Art von Eigennutz<br />

und Lebensglück man anstrebt, ist noch nicht in jene Routine überführt, mit der auf der<br />

Grundlage bisheriger Erfolge die nächstliegenden Stufen der Lebenskarriere ins Auge<br />

gefasst werden oder mit der man sich mit der enttäuschenden Erfahrung „verschlossener<br />

sozialer Räume“ abgefunden hat. Der transitorische Status des Jugendalters gibt dem<br />

handlungsleitenden Thema „Erfolg“ die Unruhe des Unfertigen. Mit einem Satz zusammengefasst:<br />

Der gesellschaftlich bestimmte transitorische Status des Jugendalters<br />

macht das Projekt individuellen Erfolgs zu einem zentralen, die Wahrnehmung und das<br />

Handeln organisierenden Lebensthema – und öffnet es dabei zugleich den Aspirationen<br />

der Vorstellungskraft. So auf besondere Weise zugespitzt, organisiert das Lebensthema<br />

„Erfolg“ die „thematische Voreingenommenheit“ (Charlton, Neumann) von Jugendlichen<br />

bei der <strong>Medien</strong>rezeption.<br />

Über das Thema ergibt sich auch ein näheres Verständnis davon, in welchem Sinn das<br />

Lebensalter wichtig ist. Das handlungsleitende Thema bringt zum Vorschein und zur<br />

Sprache, was sich hinter dem Einfluss des Alters auf das <strong>Medien</strong>erleben verbirgt: die spezifische<br />

soziale Prägung der Lebensphase.<br />

So weit lässt sich anhand der empirischen Funde die Rolle des alltagspraktischen Lebensthemas<br />

für das Fernsehen diskutieren. Die Erklärung wird aber erst vollständig,<br />

wenn die Betrachtung nun auch umgekehrt wird: Welche Rolle spielt das Fernsehen für<br />

das Lebensthema individueller Erfolgsprojekte? Dazu sind die von Vorderer beschriebenen<br />

Besonderheiten des medienkulturellen Objekts bzw. die Eigentümlichkeiten der<br />

Inszenierung der Soapopera zu betrachten. Das <strong>Medien</strong>erleben ist – Vorderers Bericht<br />

zufolge – davon getragen, dass den Geschichten „Realismus“ zugesprochen wird, also<br />

eine anschauliche Nähe zu der Realität des Alltags. Zugleich ist für das <strong>Medien</strong>erleben<br />

wesentlich, dass die Figur, zu der eine besonders intensive parasoziale Beziehung aufgebaut<br />

wird, als von dem Selbstbild verschieden wahrgenommen wird. Was kann diese<br />

57


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Konstellation, die Gleichzeitigkeit von „Realismus“ und Distanz zur Erfahrungswelt<br />

des Alltags für den Rezipienten bedeuten?<br />

Einen Zugang zur Beantwortung dieser Frage erschließt Hegels Erklärung, in welcher<br />

besonderen Weise sich das Subjekt in seinen Vorstellungen sein Weltwissen und sein<br />

Selbstbild gegenwärtig macht. Vorstellungen werden aus den in der Erinnerung aufbewahrten<br />

Gestalten der Erfahrung gebildet – aus Figuren, die das Prinzip ihres Handelns<br />

durch ihre Haltung oder ihren Habitus mimetisch zum Ausdruck bringen, durch Szenen<br />

oder Handlungsabläufe, die das Wissen um soziale Beziehungen, Handlungsmuster<br />

oder Regeln in der Form der anschaulichen Konstellation von Figuren (Szene) oder eines<br />

typischen Ablaufs von Ereignissen (Geschichte/Narration) festhalten. Vorstellungen<br />

gehen aber über die Passivität der Erfahrung hinaus; die Vorstellungskraft kreiert<br />

Geschichten. Sie gibt damit einem Wunsch, einem praktisch gemeinten subjektiven Entwurf<br />

eine anschauliche Gestalt. In der Form einer vorgestellten Szene wird der Lebensentwurf<br />

dem Bewusstsein des Akteurs überhaupt erst gegenständlich – er macht sich ihn,<br />

während er ihn kreiert, zum Gegenstand seiner Betrachtung.<br />

Die Geschichten im Fernsehen bieten den Rezipienten eine kulturelle Vergegenständlichung<br />

der Geschöpfe ihrer Vorstellungskraft. Der „Realismus“ der Fernsehgeschichten<br />

liegt nicht in einer „objektiven“ Wiedergabe der Alltagsrealität, sondern in der Übereinstimmung<br />

mit den Vorstellungen des alltagspraktischen Sinns, mit den uneingelösten,<br />

aber praktisch gemeinten Entwürfen für eine erfüllte Lebensführung. Die Geschichten<br />

des Fernsehens geben den Rezipienten die ihnen vertrauten Geschöpfe ihrer Vorstellungskraft<br />

als Gegenstand der Anschauung wieder. Der französische Psychoanalytiker<br />

Christian Metz nennt mit Blick auf den Film die „Bewusstseinseinstellung“, in die das<br />

Medium einführt, eine „paradoxe Halluzination“: Halluzination, weil das Bewusstsein<br />

hier nicht mit der Kenntnisnahme der Realität, sondern mit den vertrauten Kreationen<br />

seiner Vorstellungskraft befasst ist; paradox, weil – in den Worten von Metz – dieses<br />

Mal halluziniert wird, was wirklich da ist, was angeschaut werden kann (Metz 1994,<br />

1007).<br />

Im Lichte der „Phänomenologie des subjektiven Geistes“ lässt sich die von Vorderer beobachtete<br />

Konstellation aus Realismus und Nichtidentität als kulturelle Vergegenständlichung<br />

eines Idols begreifen. Die Fernsehfigur verkörpert in ihrem Handeln, ihrem Habitus,<br />

ihrer Erscheinung, ihrem Platz im sozialen Gefüge des Fernsehgeschehens ein Ideal<br />

– das Ideal, wie man selbst sein möchte oder wie man sich einen Partner wünscht. „So<br />

will ich sein!“ oder „So soll es sein!“ Ob Ich-Ideal oder Partner-Ideal, das lässt sich anhand<br />

von Vorderers Darstellung nicht unterscheiden. Entscheidend ist aber auch etwas<br />

anderes, nämlich auf welche Weise sich Rezipienten ihr Ideal im Zuge des <strong>Medien</strong>erlebens<br />

selbst vergegenwärtigen. Sie haben ihren Entwurf nicht als Idee oder gar als Plan<br />

vor Augen. Das Ideal hat – ähnlich wie im Mythos – die anschauliche Gestalt einer konkreten<br />

Person und eines dramatischen Geschehens. Die <strong>Medien</strong>geschichten versinnbildlichen<br />

einen unerfüllten Lebensentwurf. Sie symbolisieren ihn dabei in einer Weise,<br />

die die erstrebte Zukunft des eigenen Ichs zum gegenwärtigen vorgestellten Erlebnis machen.<br />

Diese Simulation, das Erleben im Modus des „als ob“ (als ob man selbst so ein Erfolgstyp<br />

wäre wie die Fernsehfigur oder als ob man sie an seiner Seite hätte), wird zum festen<br />

Bestandteil des Alltags. Das ist die Bedeutung des Genres. Jeden Werktag aufs Neue<br />

treten die Serienfans in eine symbolische Welt ein, in der sich für sie ein praktisch unerfülltes<br />

Lebensideal anschaulich verwirklicht. So leistet das <strong>Medien</strong>erleben einen Beitrag<br />

zur „Wirklichkeitserhaltung“ im Sinne von Berger und Luckmann. Die Akteure kön-<br />

58


Weiß · „Praktischer Sinn“<br />

nen sich im Zuge des <strong>Medien</strong>erlebens symbolisch vergewissern, dass ihr subjektiver Lebensentwurf<br />

Sinn macht. Durch die Inszenierungsleistung des Mediums erscheint den<br />

Rezipienten diese Vergewisserung nicht bloß als Gedanke, sondern als – simulierte – Erfahrung<br />

(simulierte „Wirklichkeitsabsicherung“ sensu Berger und Luckmann (1996,<br />

160)). Zusammengefasst: Die <strong>Medien</strong>rezeption gibt einem utopischen Lebensentwurf<br />

sinnlich-symbolische Gestalt, macht ihn so zum Bestandteil des Alltags und sichert dadurch<br />

dessen subjektiven Sinn.<br />

Es bleibt die Frage: Für wen ist diese Art von <strong>Medien</strong>erleben wichtig und warum? Das<br />

führt zu den letzten beiden Dimensionen, deren Relevanz Vorderer ermittelt hat: die<br />

niedrige formale Bildung und das defensive Selbstbild. Auf welches Prinzip der Lebensführung<br />

und der Konstruktion eines Selbstbildes verweisen diese Funde? Die Theorie<br />

des „praktischen Sinns“ und ihr Identitätsverständnis, namentlich der Habitus-Begriff,<br />

erlauben eine theoretisch gestützte Vermutung. Bourdieu beschäftigt sich im Besonderen<br />

mit der sozial differenzierenden Rolle der Bildungskarriere. Sie prägt Bourdieu<br />

zufolge das Selbstbewusstsein, dass das eigene Handeln durch den Erfolg in der<br />

Institution Schule sozial anerkannt und gestützt ist. Ferner bestimmt die Bildungskarriere<br />

das Selbstvertrauen, in der zertifizierten Verstandesbildung ein Vermögen, ein<br />

„kulturelles Kapital“ zu besitzen, das sich als Mittel für Erfolg und Anerkennung bewähren<br />

wird. Wer in die unteren Etagen des Bildungssystems verbannt bleibt, muss<br />

demzufolge beides missen: sozial gestütztes Selbstbewusstsein über die Legitimität des<br />

Lebensentwurfs und Selbstvertrauen in die subjektiven Ressourcen zu seiner Verwirklichung.<br />

Es gibt verschiedene Formen, wie Akteure ihr Selbstkonzept auf die soziale Erfahrung<br />

im Bildungswesen einstellen können. Der Konformismus der Bescheidenheit bildet den<br />

passenden Sinn für den zugewiesenen sozialen Ort, einen „sense of one’s place“, wie<br />

Bourdieu sagt. Der Habitus der Verweigerung legt es der Welt zur Last, wenn die irgendwie<br />

ausgezeichnete eigene Subjektivität in ihr nicht Recht bekommt. Das hat etwa<br />

Douglas Kellner (1995, 141 – 151) mit Blick auf Jugendmedienkulturen in den USA untersucht.<br />

Eine dritte Möglichkeit: Jugendliche schreiben die wenig glorreichen Erfahrungen<br />

ihrer Bildungskarriere in das defensive Selbstbild um, es mangele ihnen an Kompetenz<br />

und Tatkraft; und dennoch wollen sie nicht von einem die Erfahrung transzendierenden<br />

Selbstprojekt lassen. Diese Jugendlichen können für die Verwirklichung ihres<br />

Selbstkonzeptes kaum auf die klassifizierenden, prüfenden und planenden Leistungen<br />

ihres Verstandes bauen; denn die haben ihnen bisher wenig soziale Anerkennung eingespielt.<br />

Sie werden auf der Grundlage dieser sozialen Erfahrungen geneigt sein, sich ihr<br />

ideales Selbstkonzept in einem anderen psychischen Modus zu vergegenwärtigen – eben<br />

im Modus der Imagination und im Selbstgefühl. Das ist aber genau die Konstellation,<br />

die Vorderer beschreibt: niedrige Bildung und defensives Selbstbild als subjektiver Hintergrund<br />

für ein intensives parasoziales Beziehungserleben. Daher lässt sich zusammenfassen:<br />

Hinter dem „Faktor: Bildung“ verbirgt sich hier der Habitus, d. h. eine zum Charakter<br />

verfestigte subjektive Methode der Weltaneignung sowie der Weltbildkonstruktion.<br />

Die soziale Differenzierung der Rezeptionsmodi ergibt sich aus der Eingliederung<br />

des <strong>Medien</strong>gebrauchs in den Habitus.<br />

Am Beginn des Beispiels stand ein Befund der empirischen Forschung, beschrieben in<br />

„Je-desto“-Relationen, also etwa je geringere Bildung – desto intensivere Beziehung und<br />

so fort. Durch die Auslegung der Befunde vor dem Kontext der zuvor entwickelten<br />

theoretischen Konzeption zeichnet sich am Ende ein etwas plastischeres Bild ab. Versuchsweise<br />

formuliert, könnte es etwa so aussehen:<br />

59


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Phantasien über den Erfolg einer individualisierten Lebensführung sind ein zentrales<br />

Lebensthema für Jugendliche. Solche Jugendliche, die in ihrer Bildungskarriere ein<br />

defensives Selbstkonzept ausgebildet haben, nehmen Fernsehfiguren in realitätsnahen<br />

Geschichten als Versinnbildlichung ihrer Erfolgsphantasien wahr. Die Serialität<br />

des <strong>Medien</strong>erlebens gibt der sinnlich-symbolischen Präsenz ihrer Erfolgsphantasien<br />

einen festen Platz im Alltag. Auf diese Weise trägt das <strong>Medien</strong>erleben dazu bei, den<br />

subjektiven Sinnhorizont des Alltags, den „praktischen Sinn“ beim Fern-Sehen und<br />

durch das Fern-Sehen zu erhalten.<br />

In dieser Skizze fügen sich die Dimensionen, die zuvor aufzählend aufgeführt worden<br />

sind, so als wären sie einzeln „eingesammelt“ worden, zu einem plausiblen Gesamtbild<br />

zueinander. Der beobachtete empirische Befund bekommt so lebensweltlichen Kontext<br />

und Tiefenschärfe. „Vergewisserung eines individuellen Lebensentwurfs durch das<br />

emotionale Erleben seiner medialen Versinnbildlichung“, das ist eine Weise, in der die<br />

Rezeption und Aneignung medienkultureller Angebote für Rezipienten subjektiv Sinn<br />

machen können. Sie gehört zu der Bedeutung, die dem Fern-Sehen für die „ideelle<br />

Selbstbehauptung“ sozialer Akteure zukommt. Weitere subjektive Funktionen des<br />

Fern-Sehens für die Erhaltung und Erneuerung sozialer Identität lassen sich vor dem<br />

Hintergrund einer psychologischen Theorie des „praktischen Sinns“ erklären. So versorgt<br />

das Fernsehen den praktischen Sinn mit dem Weltwissen, das für ein utilitaristisches<br />

Taxieren nötig ist; es offeriert ferner Modelle erfolgreicher Selbstdarstellung;<br />

Fernsehen fungiert als Schaubühne, die dem moralischen Räsonnement des Alltagsverstandes<br />

die nötige Orientierung über gesellschaftlich legitimierte Wertauslegungen<br />

erschließt; es macht den inszenierten Vorschein des Triumphs individueller Sittlichkeit<br />

(oder der Individualität als Sittlichkeit) zum Erlebnis u. v. m. (Weiß 1999b, 163 – 169,<br />

198 – 208). Ungeachtet der weiteren denkbaren Bedeutungen des <strong>Medien</strong>handelns für<br />

den „praktischen Sinn“ lässt sich festhalten: Es scheint, als könne die skizzierte theoretische<br />

Rahmenkonzeption helfen, den analytischen Gewinn mancher empirischer Befunde<br />

besser auszuschöpfen und theoretisch schlüssig zusammenfügen, was eine „Exploration“<br />

findet. Das heuristische Potenzial der Theorie des „praktischen Sinns“ hat<br />

insoweit die Probe auf das Exempel bestanden. Für (andere) kommunikations<strong>wissenschaft</strong>liche<br />

Ansätze ist es freilich noch zu erweisen. 18<br />

Literaturverzeichnis<br />

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Eine Theorie der Wissenssoziologie. Nachdruck der 5. Auflage 1977. Frankfurt am Main.<br />

Bourdieu, Pierre (1979): Entwurf einer Theorie der Praxis – auf der ethnologischen Grundlage der<br />

kabylischen Gesellschaft. Frankfurt am Main.<br />

Bourdieu, Pierre (1989): Die feinen Unterschiede: Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. 3. Auflage.<br />

Frankfurt am Main.<br />

Bourdieu, Pierre (1997): Sozialer Sinn: Kritik der theoretischen Vernunft. 2. Auflage. Frankfurt am<br />

Main.<br />

Brosius, Hans-Bernd (1995): Alltagsrationalität in der Nachrichtenrezeption. Opladen.<br />

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In: Ders., Silvia Schneider (Hrsg.): Rezeptionsforschung. Opladen, 16 – 39.<br />

18 Siehe hierzu ausführlich Weiß (1999b, 285 – 448).<br />

60


Weiß · „Praktischer Sinn“<br />

Charlton, Michael, Klaus Neumann (1988): <strong>Medien</strong>sozialisation im Kontext. Der Beitrag des Kontextualismus<br />

und der Strukturanalyse für die <strong>Medien</strong>forschung. In: Publizistik 33 (2 – 3):<br />

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Doelker, Christian (1997): Ein Bild ist mehr als ein Bild. Visuelle Kompetenz in der Multimedia-<br />

Gesellschaft. Stuttgart.<br />

Fiske, John (1997): Populäre Texte, Sprache und Alltagskultur. (Übersetzung eines Kapitels in<br />

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<strong>Medien</strong>, Macht. Cultural Studies und <strong>Medien</strong>analyse. Opladen, 65 – 84.<br />

Frey, Siegfried, Guido Kempter, Hans-Georg Frenz (1996): Theoretische Grundlagen der multimedialen<br />

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Habermas, Jürgen (1988): Theorie des kommunikativen Handelns. Nachdruck der 4., durchgesehenen<br />

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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1986): Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Bd. 3.<br />

Auf d. Grundlage d. Werke von 1832–1845 neu ed. Ausgabe. Werke 10. Frankfurt am Main.<br />

Heller, Agnes (1981): Das Alltagsleben. Versuch der Erklärung der individuellen Reproduktion.<br />

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Johnson, Richard (1999): Was sind eigentlich Cultural Studies? (Übersetzung von „What is Cultural<br />

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191 – 211.<br />

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In: Psyche 48 (11): 1004 – 1046 (zuerst: Communications (1975) H. 23: 108 – 135).<br />

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61


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

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Dolf Zillmann (Hrsg.): Media Effects. Advances in Theory and Research. Hillsdale, New Jersey,<br />

437 – 461.<br />

62


BERICHT<br />

Infotainment: Der Einfluss emotionalisierend-affektorientierter<br />

Darstellung auf die Glaubwürdigkeit<br />

Britta M. Schultheiss /Stefan A. Jenzowsky<br />

Infotainment-Sendungen im Fernsehen erfreuen sich stetig wachsender Beliebtheit. Akzeptanz<br />

und Unterhaltungswert dieser Sendungen basieren offenbar zu weiten Teilen<br />

auf einer emotionalisierend-affektorientierten Darstellung der Informationen. Um die<br />

Auswirkung dieser Darstellungsweise unter der Bedingung konstanten Informationsgehaltes<br />

zu überprüfen, wurde der emotionalisierende Gehalt der ProSieben-Infotainment-Sendung<br />

„Die Reporter“ in einem Experiment manipuliert. In einem experimentellen<br />

2 x 2-Design wurde der emotionalisierend-affektorientierte Gehalt a) von drei<br />

einzelnen Beiträgen und b) von drei Anmoderationen der Beiträge variiert, wobei mit<br />

Hilfe der Reporter professionelle Versionen hergestellt wurden. Im Ergebnis zeigt sich,<br />

dass (bei gleich bleibender Informativitätsbeurteilung) ein erhöhtes Maß an emotionalisierenden<br />

Darstellungen eine deutlich verringerte Glaubwürdigkeit zur Folge hat. Weiterhin<br />

zeigt sich, dass die Glaubwürdigkeit der dargestellten Informationen durch eine<br />

emotionalisierende Darstellung in Beiträgen und Anmoderationen etwa zu gleichen Teilen<br />

beeinflusst wird.<br />

Für <strong>Medien</strong>segmente, in denen Information vermittelt wird, ist „als Imagedimension<br />

und Wirkungsfilter“ (Bentele 1988, S. 421) der Faktor Glaubwürdigkeit besonders<br />

wichtig. So taucht auch im Zusammenhang von Infotainment immer wieder die Frage<br />

nach der Glaubwürdigkeit auf. 1 Krotz vermutet beispielsweise eine Reduktion von<br />

Glaubwürdigkeit durch Emotionalisierung von Informationen: „Mit dem Zunehmen<br />

emotionaler Ansprache im Fernsehen und der damit verbundenen Funktionalisierung,<br />

die gleichwohl alltägliche Emotionen überlagert und ersetzt, wird das Fernsehen zugleich<br />

unglaubwürdiger und unverzichtbarer“ (Krotz 1993, S. 493). Die Beantwortung<br />

der Frage nach der Auswirkung von unterhaltsamer respektive emotionaler Aufbereitung<br />

von Informationen auf die Glaubwürdigkeit bleibt bislang allerdings aus. Mit dem<br />

hier beschriebenen Experiment soll versucht werden, eine Antwort auf diese Frage zu<br />

geben.<br />

Die wenigen empirischen Studien, die sich explizit mit Infotainment beschäftigen, untersuchen<br />

a) den Unterhaltungscharakter von Nachrichtensendungen, vornehmlich der<br />

privaten Sender (z. B. Inhaltsanalysen von Tofall 1988, Huth/Sielker 1988, Wittwen<br />

1995, Goertz 1996, Grabe 1996), b) Informationsaufnahme und Behaltensleistung von<br />

1 Nach Bentele (1988) ist die Glaubwürdigkeit einer Person und ihrer Aussage dann gegeben,<br />

wenn der Rezipient darauf vertraut („glauben kann“), dass die Aussagen des Kommunikators<br />

über Ereignisse wahr sind und diese von ihm adäquat beschrieben werden (vgl. auch Köhnken<br />

1990). Es wird angenommen, dass Rezipienten, anstatt systematisch den Inhalt der Kommunikation<br />

zu analysieren, oft relativ simple Entscheidungsregeln bei der Bewertung der Glaubwürdigkeit<br />

anwenden. Diese Regeln orientieren sich an leicht und unmittelbar erkennbaren<br />

Merkmalen des Kommunikators oder seiner Mitteilung (vgl. Götsch 1994, S. 45). Dabei ist die<br />

„objektive“ Richtigkeit einer Attribution von Glaubwürdigkeit für die vorliegende Untersuchung<br />

nicht von Bedeutung, sondern aufgrund welcher Informationen ein Rezipient eine<br />

Quelle (= Kommunikator) und ihre Kommunikation für glaubwürdig hält, ihr also Glaubwürdigkeit<br />

attribuiert oder nicht.<br />

63


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

informativen und unterhaltsamen Fernsehinhalten (z. B. Krendl/Watkins 1983, Bonfadelli<br />

1988, Just/Crigler/Wallach 1990, Bock/Koppenhagen/Oberberg 1993, zur Bewertung<br />

durch die Rezipienten vgl. Steinmann 1991) und c) Inhalt und Rezeption<br />

der Infotainment-Variante „Reality-TV“. Reality-TV kann als „Sonderform des<br />

Infotainments“ (Früh/Kuhlmann/Wirth 1996, S. 429) angesehen werden. Denn hier<br />

wird eine informative Komponente realitätsorientierter Inhalte mit einer emotionalunterhaltsamen<br />

Komponente eskapistischer Inhalte vermischt (vgl. Wegener 1994,<br />

S. 48 f.). Diskussionen vor allem um ethische Fragen waren Auslöser für eine Reihe von<br />

medien<strong>wissenschaft</strong>lichen Studien zu Reality-TV. Neben Inhaltsanalysen (z. B. Wegener<br />

1994, Jonas/Neuberger 1996) wurden auch Experimente zu Wirkung und Rezeption<br />

durchgeführt (z. B. Grimm 1993, Früh et al. 1996).<br />

1. Unterhaltung und Emotionalisierung – Elemente des Unterhaltsamen<br />

im Fernsehen<br />

Der Effekt des Unterhaltenseins stellt sich offenbar dann ein, wenn beim Zuschauer<br />

Gefühle aktiviert werden und er sich emotional beteiligt (vgl. Wittwen 1995). Emotionalisierung<br />

stellt dabei nicht die einzige Strategie zur Erzeugung des Gefühls von Unterhaltung<br />

dar, vermutlich jedoch die wichtigste. 2 Emotionalisierung durch Texte, Bilder<br />

oder Musik steigerte in einigen Experimenten die kurzfristige Gedächtnisleistung<br />

(Schorr 1996, Sturm et al. 1982), erzeugte aber auch gegenteilige Effekte (Brosius 1990b,<br />

Brosius 1993). Immer jedoch wurde Emotionalisierung angenehmer als Non-Emotionalisierung<br />

empfunden. Grimm (1993) konnte in einem Experiment zu Reality-TV<br />

zeigen, dass Emotionalität das Interesse der Rezipienten beachtlich steigert (Grimm<br />

1993). Zillmann (1982) zeigte, dass sich Rezipienten von emotionalen Fernsehdramen<br />

angezogen fühlen, die – positiv und auch negativ besetzte – Erregung produzieren und<br />

auf affektivem Niveau Vergnügen bereiten. 3 Steht die Emotionalisierung von Fiction-<br />

Angeboten durchaus im Interesse der <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>, so wurde Emotionalisierung<br />

als journalistische Strategie vernachlässigt. Es existiert wenig Einigkeit darüber, worin<br />

die gefühlsmäßigen Wirkungen der Bildkommunikation im Einzelnen bestehen, wie sie<br />

genau zustande kommen und wie sie konzeptionell und methodisch zu fassen sind (vgl.<br />

Bente et al. 1992, S. 186).<br />

Unterhaltungselemente sollen im Folgenden diejenigen Elemente sein, die nicht zwingend<br />

zum Transport einer Information notwendig sind. Sie fügen einer Information<br />

keinen weiteren Wert hinzu und tragen nicht zu einer Intensivierung des Informationswertes,<br />

aber zu einer Intensivierung des Unterhaltungswertes und der Emotionalisierung<br />

der Zuschauer bei. Im Folgenden werden diejenigen Unterhaltungselemente<br />

dargestellt, die in der hier vorgestellten Untersuchung variiert wurden (Systematisierungen<br />

finden sich bei Huth/Sielker 1988 und Wittwen 1995). 4<br />

2 Auch Dynamisierung könnte beispielsweise als Strategie des Infotainment angeführt werden.<br />

3 Das Verhältnis von Erregung und Emotion wird in der emotionspsychologischen Forschung<br />

seit langem intensiv diskutiert. Neuere kommunikations<strong>wissenschaft</strong>liche Auseinandersetzungen<br />

finden sich u. a. bei Früh und Wirth (1997) sowie Goertz (1996).<br />

4 Zum Einfluß einzelner Unterhaltungselemente liegen keine einschlägigen Wirkungsstudien<br />

vor, so dass man im <strong>wissenschaft</strong>lichen Diskurs häufig auf begründete Mutmaßungen angewiesen<br />

ist.<br />

64


Schultheiss / Jenzowsky · Infotainment<br />

1.1 Bilder<br />

Experimentelle Studien, die sich mit der Wirkung von Bildern beschäftigen, untersuchen<br />

hauptsächlich das Verständnis und die Behaltensleistung (z. B. Findahl/Höijer<br />

1979, Winterhoff-Spurk 1983), oft bezüglich der Kombination von Text und Bild<br />

im Bereich von Fernsehnachrichten (z. B. Renckstorf 1980, Reese 1984, Brosius/Berry<br />

1990). Interessant ist der Befund, dass Bebilderung eine höhere Akzeptanz von Nachrichten<br />

erzielt als keine Bebilderung (Brosius/Kayser 1991). Da Bilder Informationen<br />

transportieren, soll ihnen Unterhaltungswert zugeschrieben werden, sobald sie sich<br />

als optische Reize verselbstständigen und die Bildinformation hauptsächlich um<br />

ihrer selbst willen gezeigt wird, ohne für die inhaltliche Information Bedeutung zu haben.<br />

Bilder wirken stets mehr oder weniger stark emotional: Sie lösen „Ablehnung oder Zuwendung<br />

aus, der Betrachter wird Antipathie oder Sympathie empfinden“ (Doelker<br />

1988, S. 137 f.). Beinhaltet ein Bild als primäre Bildinformation keine Gefühle oder löst<br />

es nicht direkt Emotionen aus, so transportiert es emotionale Assoziationen (Francfort<br />

1988, S. 46). Deshalb ist die Trennung von Bild und Emotionalität schwierig. Der Unterhaltungswert<br />

kann erhöht werden, indem das immanent Emotionale verstärkt wird<br />

(z. B. durch Close-up auf tränenerfüllte Augen, zitternde Hände usw.) oder indem<br />

künstlich emotionalisiert wird (z. B. Simulation einer Flucht durch Kamerafahrt und<br />

„Kameragewackel“). Furnham und Gunter (1985) stellten z. B. fest, dass gewalthaltige,<br />

also negativ emotionale Bilder einen ablenkenden Charakter haben können (vgl. auch<br />

Findahl/Höijer 1979 und Brosius/Kayser 1991). Nach den Befunden von Brosius<br />

(1993) wird ein Beitrag durch emotionale Bebilderung anders wahrgenommen und thematisch<br />

anders zugeordnet. Die Aufmerksamkeit der Rezipienten wird vom Text weg<br />

auf die emotionalen, „lebhaften“ Bilder gelenkt und dadurch die Wahrnehmung des Inhalts<br />

verschoben. Illustrative Bildinhalte werden dann für wichtige Informationen gehalten.<br />

1.2 Hintergrundbild<br />

Die Wirkung eines Hintergrundbildes wurde von Baggaley in einem Experiment untersucht<br />

(Baggaley 1980, S. 24 ff.). Die Befunde ergeben, dass das Rezipienten-Interesse an<br />

der gezeigten Nachricht mit einem Hintergrundbild im Gegensatz zu der Variante ohne<br />

Hintergrundbild kaum tangiert wird. Dafür wurde in Baggaleys Experiment die Glaubwürdigkeit<br />

des Sprechers erhöht: Er wurde mit dem Hintergrundbild als ehrlicher,<br />

gründlicher, zuverlässiger und fairer eingestuft. Allerdings verwendete Baggaley ein einfaches<br />

Landschaftsbild. Ein emotionales und weniger harmloses Hintergrundbild, wie<br />

wir es beispielsweise in Boulevardmagazinen finden, könnte dagegen womöglich das Interesse<br />

und die Aufmerksamkeit der Rezipienten wecken.<br />

1.3 Musik<br />

Kommunikatoren nennen Musik als wichtigen Faktor zur Erzeugung von Unterhaltung<br />

(Bosshart 1984, S. 646). Ein für das vorliegende Experiment wichtiger Befund ist der empirische<br />

Nachweis von Holicki und Brosius (1988), dass Musik einen starken Einfluss<br />

auf die perzipierte Stimmung eines Fernsehfilms ausübt und Emotionen evoziert. In einem<br />

späteren Experiment konnte von Brosius (1990a) bestätigt werden, dass Musik sich<br />

auf die Behaltensleistung zwar eher negativ auswirkt, Informationen aber positiver und<br />

interessanter erscheinen lässt.<br />

65


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

1.4 Sprache<br />

Nach Tofall (1988) ist Sprache unterhaltsam, wenn sie einfach und lebendig ist. Nach<br />

Wittwen erhält Sprache Unterhaltungswert, wenn sie literarische Formen, Originalität,<br />

sprachlichen Witz, Effekte oder rhetorische Mittel beinhaltet (Wittwen 1995, S. 78 f.).<br />

Ein Ansatz (z. B. Schürer-Necker 1984) untersucht das emotionale Erregungspotenzial<br />

einzelner Wörter. Er scheint allerdings nicht geeignet, Zuverlässiges über die Emotionalität<br />

von Texten auszusagen, da Emotionalität häufig erst in der Kombination von verschiedenen<br />

Worten, Zeichen oder Ausdrücken entsteht. Wittwen (1995, S. 134) nennt<br />

acht Strategien sprachlicher Emotionalisierung, u. a. Metaphern, Umgangssprache, Einsatz<br />

von Superlativen, expressive Wortstellung und kurzatmiger Satzbau. Als weiteres<br />

Mittel sieht Wittwen das Suggerieren von Nähe durch das direkte Einbeziehen des Zuschauers<br />

in das Fernsehgeschehen. Dies geschieht u. a. durch „wir“-Konstruktionen<br />

(z. B. „Wir kennen ihn alle: den weißen Hai“).<br />

1.5 Sprechstil<br />

Schirm (1996) ließ in einem Experiment die Moderationen von Nachrichtensendungen<br />

nach vorgegebenen Sprechstilkriterien einschätzen. Sie stellte fest, dass sich Action<br />

News mit dem Trend zur Unterhaltung durch einen „extensiven“ Sprechstil, d. h. eine<br />

lebhafte und gefühlsbetonte Darstellung, auszeichnen. Dies wird nach Schirm (1995)<br />

u. a. erreicht durch eine lebhafte Sprechmelodie, durch den Stimmklang (z. B. gepresste<br />

Stimme), durch überhöhte Sprechspannung (d. h. Veränderungen in Atmung, Klangfarbe,<br />

Laut-/Stimmstärke, Sprechtempo, bewusster Einsatz von Pausen, Artikulationsgenauigkeit)<br />

und durch Überakzentuierungen (Betonungen, Hervorhebung bestimmter<br />

Wörter).<br />

1.6 Mimik und Gestik<br />

Nach Tofall (1988) trägt die Darstellung von Kommunikatoren als Menschen mit Meinungen<br />

und Gefühlen, die durch Mimik oder Gestik zum Ausdruck gebracht werden,<br />

zu einer lockeren und unterhaltsamen Atmosphäre bei. Schirm (1996) kommt zu dem<br />

Befund, dass der Einsatz einer lebhaften Mimik und Gestik, verbunden mit einer umgangssprachlichen<br />

Artikulation, anschaulich und eindrucksvoll wirkt; jedoch wird er<br />

dem Anspruch einer Nachrichtensendung, Informationen glaubwürdig zu vermitteln,<br />

nicht uneingeschränkt gerecht (Schirm 1996, S. 17).<br />

2. Annahmen und Hypothesen der vorliegenden Untersuchung<br />

Die vorliegende Untersuchung dient der empirischen Überprüfung des Einflusses einer<br />

unterhaltsamen Aufbereitung von Informationen im Fernsehen auf die Beurteilung einer<br />

Sendung und ihrer Elemente. Es wird untersucht, ob sich die unterhaltsamen Elemente,<br />

die für die zu vermittelnden Informationen theoretisch zunächst nicht relevant<br />

sind, auf die Glaubwürdigkeit auswirken, die die Rezipienten einem Kommunikator<br />

(Reporter) und seiner Kommunikation (Bericht) beimessen. Dabei wird auch die Rolle<br />

der Anmoderation überprüft. Die Wirkung der Anmoderation, d. h. der Ansage eines<br />

Beitrags innerhalb einer Sendung, wurde <strong>wissenschaft</strong>lich bislang kaum untersucht. Das<br />

Experiment testet deshalb auch, ob die unterhaltsame Aufbereitung einer Anmoderation<br />

die Rezeption eines Berichts beeinflusst. 5 Der Untersuchung liegen folgende Hypothesen<br />

zugrunde:<br />

66


Schultheiss / Jenzowsky · Infotainment<br />

H1: Glaubwürdigkeit eines Berichts als Effekt des Beitrags<br />

Ein Bericht wird durch einen „starken Infotainment“-Beitrag mit Unterhaltungselementen<br />

als weniger glaubwürdig eingestuft als durch einen „schwachen Infotainment“-Beitrag<br />

ohne Unterhaltungselemente. Als Unterhaltungselemente sind dabei<br />

definiert: a) emotionales Bildmaterial, b) (emotionalisierende) Musik und c) emotionale<br />

Sprache und Sprechstil.<br />

H2: Glaubwürdigkeit eines Berichts als Effekt der Anmoderation<br />

Einem Bericht wird durch eine „starke Infotainment“-Anmoderation mit Unterhaltungselementen<br />

weniger Glaubwürdigkeit beigemessen als durch eine „schwache Infotainment“-Anmoderation<br />

ohne Unterhaltungselemente. Als Unterhaltungselemente<br />

sind dabei definiert: a) emotionales Hintergrundbild, b) emotionale Sprache und Sprechstil<br />

und c) emotionalisierende Mimik und Gestik.<br />

Denn es wird angenommen, dass die Anmoderation Einfluss auf die Beurteilung des gesamten<br />

Berichts hat. Dieser Einfluss entsteht vermutlich durch die Wirkung der Anmoderation<br />

auf die Rezeption des nachfolgenden Beitrags (= Übertragungs-Effekt). Um<br />

diesen Glaubwürdigkeits-Transfer aus der Anmoderation adäquat testen zu können,<br />

wurde ein spezielles Format von Infotainment-Sendung gewählt, bei dem ein Beitrag<br />

von derselben Person anmoderiert wird, die den Beitrag veranwortlich gestaltet hat (siehe<br />

unten). Zweifelt der Rezipient bereits in der Anmoderation an Kommunikator und<br />

Kommunikation, wird er diesen Eindruck in die Rezeption des Beitrags mit „hinübernehmen“.<br />

H3: Glaubwürdigkeit des Kommunikators<br />

Ein Kommunikator (= Urheber) wird durch „starkes Infotainment“ mit Unterhaltungselementen<br />

im Beitrag und/oder in der Anmoderation als weniger glaubwürdig<br />

eingestuft als durch „schwaches Infotainment“ ohne Unterhaltungselemente im Beitrag<br />

und/oder in der Anmoderation.<br />

Denn es wird vermutet, dass die für die Kommunikation verantwortliche Person des<br />

Kommunikators (= Urheber) von seiner Präsentation (mit Unterhaltungselementen versus<br />

ohne Unterhaltungselemente) überlagert wird.<br />

H4: Linearer Anstieg der Glaubwürdigkeit<br />

Je mehr Unterhaltungselemente ein Bericht enthält, desto weniger Glaubwürdigkeit<br />

wird ihm zugebilligt. Dabei ist die Wirkung des Berichts stärker als die Wirkung der Anmoderation<br />

(quantitativ beansprucht der Bericht mehr Zeit und enthält mehr Unterhaltungselemente,<br />

qualitativ weist er durch emotionales Bildmaterial und Musik die stärkeren<br />

Unterhaltungselemente auf). Daraus resultiert ein linearer Anstieg der Glaubwürdigkeit<br />

bei den vier Präsentationsgruppen. Demzufolge müsste einem Bericht mit<br />

einer „starken Infotainment“-Anmoderation und einem „starken Infotainment“-Beitrag<br />

(= Extremversion 1) die niedrigste Glaubwürdigkeit beigemessen werden. Die<br />

höchste Glaubwürdigkeit müsste dagegen einem Bericht mit einer „schwachen Info-<br />

5 Unter Bericht soll im Folgenden der gesamte Teil einer Sendung zu einem Thema verstanden<br />

werden, bestehend aus Beitrag und Anmoderation.<br />

67


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

tainment“-Anmoderation und einem „schwachen Infotainment“-Beitrag (= Extremversion<br />

2) beigemessen werden. Dazwischen müssten die beiden „gemischten“ Versionen<br />

liegen: Die zweithöchste Glaubwürdigkeits-Attribution müsste der Bericht<br />

mit einer „starken Infotainment“-Anmoderation und einem „schwachen Infotainment“-Beitrag<br />

erhalten und geringere Glaubwürdigkeits-Attribution der Bericht mit einer<br />

„schwachen Infotainment“-Anmoderation und einem „starken Infotainment“-Beitrag.<br />

3. Methode<br />

3.1 Untersuchungsteilnehmer<br />

Insgesamt nahmen 163 Studierende der Ludwig-Maximilians-Universität München an<br />

der Untersuchung teil. Davon waren 94 % aus dem Fach <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>,<br />

70 % weiblich und 30 % männlich. Der Altersmittelwert lag bei 22,3 Jahren.<br />

3.2 Design<br />

Es wurde ein Experiment mit zweifaktoriellem Versuchsplan als 2 x 2-betweensubject-Design<br />

realisiert. Die unabhängigen Variablen waren „Beitrag“ (mit den Ausprägungen<br />

„starkes Infotainment“ mit Unterhaltungselementen und „schwaches Infotainment“<br />

ohne Unterhaltungselemente) und „Anmoderation“ (mit denselben Ausprägungen).<br />

Alle vier Zellen beinhalten eine konsistente Manipulation für jeweils drei<br />

Berichte: Jede Versuchsgruppe sah eine „Sendung“, die sich aus drei Berichten in der<br />

gleichen zeitlichen Reihenfolge mit jeweils der gleichen Infotainment-Stärke zusammensetzt.<br />

Abb. 1 Zeitliche Abfolge der Berichte<br />

Bericht 1 Bericht 2 Bericht 3<br />

(Hai) (Disco) (Johannesburg)<br />

Gruppe Anmode- Beitrag 1 Anmode- Beitrag 2 Anmode- Beitrag 3<br />

ration 1 ration 2 ration 3<br />

1 IT+ IT+ IT+ IT+ IT+ IT+<br />

2 IT– IT– IT– IT– IT– IT–<br />

3 IT+ IT- IT+ IT– IT+ IT–<br />

4 IT– IT+ IT– IT+ IT– IT+<br />

IT+ = starkes Infotainment, IT– = schwaches Infotainment<br />

Gruppe 1: Sendung aus drei Original-Berichten (= Extremversion 1) (Anmoderation und Beitrag „starkes Infotainment“)<br />

Gruppe 2: Sendung aus drei komplett manipulierten Berichten (= Extremversion 2) (Anmoderation und Beitrag<br />

„schwaches Infotainment“)<br />

Gruppe 3: drei Berichte mit jeweils originaler Anmoderation („starkes Infotainment“) und manipuliertem Beitrag<br />

(„schwaches Infotainment“)<br />

Gruppe 4: drei Berichte mit jeweils manipulierter Anmoderation („schwaches Infotainment“) und originalem<br />

Beitrag („starkes Infotainment“).<br />

68


Schultheiss / Jenzowsky · Infotainment<br />

Für jede Experimentalgruppe bildete sich so ein einheitliches Sendungsformat mit gleich<br />

bleibendem Emotionalitäts-Gehalt. Trotz der Gefahr eines eventuell eintretenden<br />

Carry-over effects durch Gewöhnung wurde eine konsistente Manipulation innerhalb<br />

der Versuchsgruppen als geeignetes Verfahren angesehen. Der wichtigste Grund dafür<br />

war, dass die Glaubwürdigkeits-Effekte nicht auf die Wirkung eines einzelnen Reporters<br />

zurückgeführt werden können.<br />

3.3 Stimulusmaterial<br />

Von entscheidender Bedeutung für das Experiment waren Auswahl und Manipulation<br />

des Stimulusmaterials. Es handelte sich um drei verschiedene Berichte der Infotainment-<br />

Sendung bzw. des Boulevardmagazins „Die Reporter“ (ProSieben). Dieses Format<br />

schien geeignet, die Glaubwürdigkeit sowohl der Kommunikation als auch des Kommunikators<br />

zu testen, weil der Reporter seinen Bericht selbst präsentiert und als<br />

Produzierender und Verantwortlicher (= Urheber) erkennbar ist, indem er u. a. seinen<br />

Beitrag selbst anmoderiert und danach im Beitrag mehrfach selbst im Bild zu sehen<br />

ist.<br />

Ausgewählt wurden folgende drei Beiträge:<br />

• „Haiknorpelpulver“ (im Folgenden „Hai“), Reporter Dr. Walter Ziegler6 • „Der Foltertanz“, (im Folgenden „Disco“), Reporterin Annette Eimermacher 7<br />

• „Kriminalität in Johannesburg“ (im Folgenden „Johannesburg“), Reporter Stefan<br />

Zimmermann8. Bedingung für die Manipulation der Beiträge und Anmoderationen war, dass der Informationsgehalt<br />

in jeweils beiden Versionen gleich blieb. Die Beiträge und Anmoderationen<br />

der Version „starkes Infotainment“ blieben unverändert (Original-Berichte). Für<br />

die Produktion der Beiträge und Anmoderationen „schwaches Infotainment“ wurden<br />

jeweils aus den Original-Beiträgen und -Anmoderationen die zuvor definierten Unterhaltungselemente,<br />

die hauptsächlich eine hohe Emotionalisierung bewirken, herausgenommen.<br />

Es wurde großer Wert darauf gelegt, das Material professionell zu bearbeiten, denn die<br />

Glaubwürdigkeit durfte auf keinen Fall durch die Abweichung von professionellen<br />

Standards beeinträchtigt werden (vgl. Brosius 1995, S. 248). Die Bild-Schnitte und die<br />

Bearbeitung des Tons wurden von einer gelernten Cutterin zusammen mit der Verfasserin<br />

mit digitalem Originalmaterial ausgeführt. Die neuen Texte der Beiträge sowie die<br />

neuen Anmoderationen wurden von den drei ProSieben-Reportern der Originalversion<br />

6 Inhalt: Der Haifisch wird als Opfer von Fischern dargestellt, die vermehrt Haie fangen, seit deren<br />

Knorpel zu teuren Präparaten verarbeitet werden kann. Die Wirkung der Haiknorpel-Produkte<br />

gegen Krebs ist allerdings umstritten. Es wird gezeigt, wie Haie und andere Fische brutal<br />

getötet und wie die Präparate hergestellt werden.<br />

7 Inhalt: In nachgestellten Szenen (Rekonstruktionen) und Interviews mit Betroffenen wird die<br />

Geschichte der 16-jährigen Katja erzählt, die bei einem Disco-Besuch von zwei Mädchen geschlagen<br />

und eine Stunde lang gequält wurde. Keiner der vierzig Jugendlichen, die anscheinend<br />

dabeistanden, griff ein.<br />

8 Inhalt: Gezeigt werden Eindrücke von Johannesburg, der Stadt mit der derzeit weltweit höchsten<br />

Kriminalitätsrate. Dargestellt wird hauptsächlich der Gegensatz von armen afrikanischen<br />

Schwarzen, die Einbrüche und Morde verüben, und wohlhabenden weißen Deutschen, die sich<br />

zu schützen versuchen und bewachen lassen.<br />

69


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

selbst aufgenommen, d. h. die original Reporter vertonten die Beiträge mit den neuen<br />

Texten möglichst emotionslos und die Anmoderationen wurden mit ihnen im originalen<br />

ProSieben-Studio aufgenommen: Sie sprachen die neuen, weniger unterhaltsamen,<br />

Anmoderations-Texte vor einem Hintergrund ohne Hintergrundbild, der aber mit einer<br />

Art Kameralinse und einem verschwommenen „Die-Reporter“-Logo bewegt war, um<br />

ihm vermeintliche Echtheit zu verleihen. Um schließlich für jede der vier Versionen eine<br />

realistische „Sendung“ zu simulieren, wurde bei allen Versionen vor jeden Bericht jeweils<br />

ein originaler „Die-Reporter“-Trenner geschnitten.<br />

Abb. 2: Manipulation des Stimulusmaterials<br />

Version „schwaches Infotainment“ (IT-)<br />

Beitrag Anmoderation<br />

ohne emotionale Bilder ohne emotionales Hintergrundbild<br />

(z. B. ohne Blut, Gewalt etc.)<br />

ohne emotionale Sprache und Sprechstil ohne emotionale Sprache und Sprechstil<br />

ohne Musik ohne emotionalisierende Gestik und<br />

Mimik<br />

In einem Pretest, bei dem an verschiedenen Tagen insgesamt etwa 20 Personen (sechs<br />

davon professionelle Fernsehcutter) nach ihrer spontanen Meinung zu dem Stimulusmaterial<br />

befragt wurden, zeigte sich, dass die manipulierten drei Berichte von<br />

allen Beteiligten als „authentisch“ wahrgenommen wurden und so gesendet worden<br />

sein könnten. Im direkten Vergleich der beiden Extremversionen wurde die Version<br />

„starkes Infotainment“ mit Unterhaltungselementen als eindeutig unterhaltsamer eingestuft<br />

als die manipulierte Version „schwaches Infotainment“ ohne Unterhaltungselemente.<br />

3.4 Durchführung<br />

Die vier Experimentalgruppen sahen jeweils eine Treatment-Version unter nahezu gleichen<br />

Bedingungen. Die Versuchspersonen-Zuteilung erfolgte randomisiert. Ein Experimentator<br />

begrüßte die jeweilige Gruppe und wies die Versuchspersonen darauf hin,<br />

dass sie eine speziell produzierte Folge des Magazins „Die Reporter“ sehen würden. Die<br />

Teilnehmer sahen das Material unter dem Vorwand, dass die Sendung umstrukturiert<br />

werden solle und das Konzept grundlegend geändert werden solle. Diese Einführung<br />

sollte eine möglichst neutrale Einstellung gegenüber der Sendung „Die Reporter“ bewirken<br />

und eventuell bestehenden Vorurteilen entgegenwirken. Der Untersuchungsraum<br />

wurde verdunkelt und die Projektion des Films (VHS-Kopie) erfolgte mittels<br />

eines Videoprojektors auf eine Leinwand. Nach Beendigung der Vorführung wurde<br />

der Raum beleuchtet und der Experimentator bat die Versuchspersonen, die ausgeteilten<br />

Fragebögen auszufüllen. Die gesamte Untersuchung dauerte jeweils zwischen 45<br />

und 60 Minuten.<br />

3.5 Messung<br />

Der verwendete Fragebogen unterstützte visuell die Erinnerung an die gesehenen<br />

Beiträge (Bild des Reporters am linken Rand) und enthielt zunächst Fragen zum Gefal-<br />

70


len von Beitrag und Reporter. 9 Ein Treatment-Check wurde über das Gefühl der Informiertheit<br />

operationalisiert – und weiterhin als Frage nach noninformativen Bestandteilen.<br />

Die Versuchspersonen wurden gefragt, ob sie das Gefühl hatten, dass der gesehene<br />

Bericht Elemente enthielt, die nicht der Vermittlung von Information dienten,<br />

sondern hauptsächlich gezeigt wurden, um die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu<br />

wecken oder zu halten. Weiterhin beantworteten die Versuchspersonen, wie interessant<br />

und wie informativ sie den Bericht empfanden – außerdem, wie gut sie sich über die Problematik<br />

des jeweiligen Berichts informiert fühlten.<br />

Die Glaubwürdigkeit sowohl des Beitrags als auch des Reporters wurde zunächst über<br />

verschiedene verbale Attribute als Glaubwürdigkeits-Skala erhoben und später zusätzlich<br />

direkt abgefragt. Die Glaubwürdigkeit der Berichte wurde mittels einer Glaubwürdigkeits-Skala<br />

erhoben, die sich aus den sechs Glaubwürdigkeits-Indikatoren „reißerisch“,<br />

„einseitig“, „widersprüchlich“, „schlecht recherchiert“, „subjektiv“ und „die<br />

Moral vernachlässigend“ zusammensetzt. 10 Die Glaubwürdigkeit der Reporter wurde<br />

mittels einer Glaubwürdigkeits-Skala erhoben, die sich aus den fünf Indikatoren „sympathisch“,<br />

„glaubwürdig“, „seriös“, „kompetent“ und „vertrauenswürdig“ zusammensetzt.<br />

11 Bei der direkten Messung der Glaubwürdigkeit von Bericht und Reporter mussten<br />

die Probanden auf einer Skala von 1 bis 812 einstufen, wie glaubwürdig sie den jeweils<br />

gesehenen Bericht oder Reporter fanden. Schließlich wurde auch abgefragt, ob die<br />

Probanden glaubten, dass manche Fakten in eine gewünschte Richtung „gedreht“ wurden.<br />

4. Ergebnisse<br />

Schultheiss / Jenzowsky · Infotainment<br />

4.1 Treatment-Check<br />

Die Ergebnisse der verschiedenen Versionen sollten sich erwartungsgemäß in der Unterhaltsamkeit<br />

und im Gefallen unterscheiden, nicht aber im Gefühl der Informiertheit,<br />

da der Informationsgehalt nicht manipuliert wurde und somit in allen Versionen gleich<br />

9 Wenn nicht anders gekennzeichnet, wurden Fragen auf einer sechsstufigen Ratingskala (mit<br />

den Ankern „gar nicht“ und „sehr“) beantwortet.<br />

10 Für diese sechs Indikatoren ergibt Cronbach’s Alpha bei allen drei Berichten jeweils eine gute<br />

Inter-Item-Konsistenz (Hai: Alpha = 0,69, Disco: Alpha = 0,65, Johannesburg: Alpha = 0,78).<br />

11 Alle Indikatoren, bis auf „vertrauenswürdig“, wurden durch den Negativbegriff abgefragt,<br />

d. h. „unsympatisch, „unglaubwürdig“, „unseriös“ und „inkompetent“ (1 = „gar nicht“ bis<br />

6 = „sehr“) und dann für die Skala umgepolt (zu 1 = „sehr“ bis 6 = „gar nicht“). Es ergibt sich<br />

gemäß Cronbach’s Alpha für diese fünf Indikatoren bei allen drei Berichten eine gute Inter-<br />

Item-Konsistenz (Hai: Alpha = 0,84, Disco: Alpha = 0,87, Johannesburg: Alpha = 0,87). Der<br />

vorgesehene sechste Indikator „dynamisch“ wurde aus der Glaubwürdigkeitsskala herausgenommen,<br />

da sich bei jedem der Berichte ohne ihn ein höherer Alpha-Wert ergibt als mit ihm.<br />

Damit konnten Befunde, in denen der Faktor „Dynamik“ Verstärkerfunktion hat (vgl. Berlo/Lermert/Mertz<br />

1969) oder als besondere „Spezialität des Fernsehens“ (Weischenberg 1989,<br />

S. 45) bezeichnet wird, nicht bestätigt werden. Die Alpha-Werte tendieren vielmehr zu der Annahme<br />

Burgoons et al. (1990), dass Dynamik keine geeignete Glaubwürdigkeits-Dimension ist,<br />

und zu dem Befund von Brosius, Holicki und Hartmann (1987), in dem sich Dynamik gegenläufig<br />

zu der Beurteilung von Sympathie verhält.<br />

12 Um einen Bodeneffekt im Bereich „unglaubwürdig“ zu vermeiden (der sich im Pretest gezeigt<br />

hat), reicht die Skala von „sehr unglaubwürdig“ („1“) bis „recht glaubwürdig“ („8“). Ein Wert<br />

von 4,5 kann also nicht als durchschnittlich glaubwürdig interpretiert werden.<br />

71


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

sein sollte. Um die Effekte sowohl des Beitrags als auch der Anmoderation untersuchen<br />

zu können, wurden in einer Varianzanalyse Haupteffekte für die Variation der Anmoderation<br />

(Anmoderation mit und ohne Unterhaltungselemente) und der des Beitrags<br />

(Beitrag mit und ohne Unterhaltungselemente) berechnet13. In der Frage, wie gut sich die Probanden über die Problematik des jeweiligen Berichts<br />

informiert fühlen, sind die Unterschiede weder innerhalb des Beitrags noch innerhalb<br />

der Anmoderation statistisch signifikant (Tab. 1). Dieses Ergebnis entspricht der Erwartung,<br />

dass der Informationsgehalt in allen Versionen gleich sein müsste. Dadurch<br />

wird die Prämisse für die Manipulation der Beiträge und Anmoderationen, die sich nicht<br />

in ihrer Informativität unterscheiden dürfen, bestätigt.<br />

Tab. 1: Gefühl der Informiertheit<br />

Haupteffekt des Beitrags Haupteffekt der Anmoderation<br />

n IT+ IT– F p IT+ IT– F P<br />

Hai 163 2,7 2,7 0,01 0,927 2,5 2,9 3,57 0,061<br />

Disco 163 1,6 1,6 0,00 0,981 1,6 1,7 1,11 0,295<br />

Johannesburg 163 2,4 2,3 0,15 0,695 2,3 2,5 0,82 0,367<br />

alle 163 2,2 2,2 0,07 0,798 2,1 2,3 3,02 0,084<br />

IT+ = arithmetisches Mittel starkes Infotainment, IT– = arithmetisches Mittel schwaches Infotainment,<br />

1 = Gefühl, sehr schlecht informiert worden zu sein, 6 = Gefühl, sehr gut informiert worden zu sein<br />

Als weiterer Treatment-Check wurde die Größe „noninformative Bestandteile“ einbezogen,<br />

um herauszufinden, ob Unterhaltungselemente tatsächlich als nichtinformative<br />

Bestandteile in den Berichten wahrgenommen werden. Insgesamt bescheinigen<br />

die Teilnehmer der Sendung und den einzelnen Berichten relativ viele noninformative<br />

Bestandteile. Das Ergebnis der ANOVA zeigt hoch signifikante Unterschiede<br />

für den Haupteffekt des Beitrags (Tab. 2). Die Versuchspersonen, die die<br />

Beiträge mit starkem Infotainment gesehen haben, haben deutlich stärker das Gefühl,<br />

dass die Berichte „noninformative Bestandteile“ enthalten als diejenigen, die die Beiträge<br />

mit schwachem Infotainment gesehen haben.<br />

Tab. 2: Noninformative Bestandteile in den Berichten<br />

Haupteffekt des Beitrags Haupteffekt der Anmoderation<br />

n IT+ IT– F p IT+ IT– F P<br />

Hai 162 5,6 4,7 23,263


Hypothese 1: Die Glaubwürdigkeit des Berichts als Effekt des Beitrags<br />

Gemäß Hypothese 1 wurde getestet, ob der Beitrag („starkes Infotainment“ versus<br />

„schwaches Infotainment“) einen Effekt auf die Glaubwürdigkeit des Berichts hat. Die<br />

direkte Messung der Glaubwürdigkeit zeigt, dass alle Berichte, außer dem Hai-Bericht,<br />

als signifikant weniger glaubwürdig eingestuft werden, wenn der Beitrag die Unterhaltungselemente<br />

emotionale Bilder, Musik, emotionale Sprache und Sprechstil enthält als<br />

wenn der Beitrag keine Unterhaltungselemente enthält. Betrachtet man die „Sendung“<br />

als Ganzes (= alle Berichte), so ist der Unterschied hoch signifikant (Tab. 3).<br />

Tab. 3: Die Glaubwürdigkeit des Berichts als Effekt des Beitrags<br />

direkte Messung Glaubwürdigkeits-Skala<br />

n IT+ IT– F p n IT+ IT– F p<br />

Hai 163 4,0 4,3 1,320 0,252 162 3,2 3,6 11,075 0,001<br />

Disco 163 3,6 4,3 6,708 0,010 161 2,8 3,1 5,757 0,018<br />

Johannesburg 162 3,9 4,5 4,802 0,030 160 2,8 3,0 1,138 0,288<br />

alle 162 3,8 4,4 6,995 0,009 160 2,9 3,2 6,390 0,012<br />

IT+ = arithmetisches Mittel starkes Infotainment, IT– = arithmetisches Mittel schwaches Infotainment,<br />

direkte Messung: 1 = völlig unglaubwürdig, 8 = recht glaubwürdig,<br />

Glaubwürdigkeits-Skala: 1 = unglaubwürdig, 6 = glaubwürdig.<br />

Die Unterschiede für die Haupteffekte des Beitrags sind auch hinsichtlich der Glaubwürdigkeits-Skala<br />

signifikant. Die Berichte „Hai“ und „Disco“, außerdem alle Berichte<br />

zusammen betrachtet, werden durch Unterhaltungselemente im Beitrag als weniger<br />

glaubwürdig eingestuft als ohne diese Unterhaltungselemente.<br />

Betrachtet man die Indikatoren der Glaubwürdigkeits-Skala einzeln, so zeigt sich bei<br />

„reißerisch“ und „die Moral vernachlässigend“ ein auffälliger Unterschied (Tab. 4). In<br />

beiden Fällen wird der Bericht ohne Unterhaltungselemente im Beitrag („schwaches<br />

Infotainment“) als signifikant geringer reißerisch (Ausnahme: Disco) und weniger die<br />

Moral vernachlässigend (Ausnahme: Johannesburg) eingestuft als mit Unterhaltungselementen<br />

im Beitrag („starkes Infotainment“).<br />

Tab. 4: Effekte des Beitrags<br />

Schultheiss / Jenzowsky · Infotainment<br />

„reißerisch“ „die Moral vernachlässigend“<br />

n IT+ IT– F p n IT+ IT– F p<br />

Hai 163 4,8 3,8 15,712


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Betrachtet man die gesamte „Sendung“ aus allen drei Beiträgen, so sind die Unterschiede<br />

zwischen den „starken Infotainment“-Beiträgen und den „schwachen Infotainment“-Beiträgen<br />

stets signifikant (Glaubwürdigkeits-Skala) oder hoch signifikant<br />

(direkte Glaubwürdigkeitsmessung, außerdem „reißerisch“ und „die Moral vernachlässigend“),<br />

was auf die verringerte Streuung innerhalb der „Sendung“ zurückgeführt<br />

werden kann.<br />

Hypothese 2: Die Glaubwürdigkeit des Berichts als Effekt der Anmoderation<br />

Es wurde gemäß Hypothese 2 getestet, ob die Anmoderation einen Effekt auf die Glaubwürdigkeit<br />

des Berichts hat. Die Ergebnisse, Haupteffekte der Anmoderation, basieren<br />

auf denselben Messverfahren wie die Befunde zu den o. g. Haupteffekten des Beitrags.<br />

Die Ergebnisse für den Haupteffekt der Anmoderation gehen in die gleiche Richtung<br />

wie beim Haupteffekt des Beitrags.<br />

Die direkte Messung der Glaubwürdigkeit zeigt für die Berichte „Hai“ und „Johannesburg“,<br />

außerdem für alle Berichte zusammen betrachtet, signifikante Unterschiede. Enthält<br />

die Anmoderation die Unterhaltungselemente emotionales Hintergrundbild, emotionale<br />

Sprache, Sprechstil, Mimik und Gestik, bewirkt sie, dass dem Bericht geringere<br />

Glaubwürdigkeit beigemessen wird, als wenn sie diese Unterhaltungselemente nicht<br />

enthält.<br />

Hinsichtlich der Glaubwürdigkeits-Skala zeigen sich bei der Anmoderation ebenfalls<br />

Unterschiede in der Glaubwürdigkeits-Attribution (Tab. 5). Ein signifikantes Ergebnis<br />

erbrachte die ANOVA für den Hai-Bericht und für die gesamte „Sendung“. Übereinstimmend<br />

mit der direkten Messung bestätigt sich der Einfluss der Anmoderation auf<br />

die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Berichts.<br />

Tab. 5: Die Glaubwürdigkeit des Berichts als Effekt der Anmoderation<br />

direkte Messung Glaubwürdigkeits-Skala<br />

n IT+ IT– F p n IT+ IT– F p<br />

Hai 163 3,8 4,5 6,146 0,014 162 3,3 3,6 5,678 0,018<br />

Disco 163 3,8 4,2 1,271 0,261 161 2,9 3,0 2,079 0,151<br />

Johannesburg 162 3,9 4,5 4,408 0,037 160 2,8 3,0 2,202 0,140<br />

alle 162 3,8 4,4 7,222 0,008 160 3,0 3,2 4,003 0,047<br />

IT+ = arithmetisches Mittel starkes Infotainment, IT– = arithmetisches Mittel schwaches Infotainment;<br />

direkte Messung: 1 = völlig unglaubwürdig, 8 = recht glaubwürdig<br />

Glaubwürdigkeits-Skala: 1 = unglaubwürdig, 6 = glaubwürdig<br />

Bei Betrachtung der einzelnen Indikatoren der Glaubwürdigkeits-Skala fällt der Indikator<br />

„widersprüchlich“ auf, für den sich ein eindeutiger Effekt der Anmoderation<br />

nachweisen lässt (Tab. 6). Enthält die Anmoderation Unterhaltungselemente, so wird<br />

der Bericht als widersprüchlicher beurteilt, als wenn die Anmoderation keine Unterhaltungselemente<br />

enthält (Ausnahme: Johannesburg; bei Disco nur Tendenz) .<br />

Ein weiterer klarer Effekt der Anmoderation zeigt sich bei der Frage, ob die Teilnehmer<br />

glauben, dass manche Fakten des jeweiligen Beitrags etwas in die gewünschte Richtung<br />

„gedreht“ wurden (Tab. 6). Insgesamt wird eher an ein „Drehen“ der Fakten in die gewünschte<br />

Richtung geglaubt. Beinhaltet die Anmoderation Unterhaltungselemente, so<br />

74


glauben signifikant mehr Versuchspersonen an ein „Drehen“ der Fakten in die gewünschte<br />

Richtung als wenn die Anmoderation keine Unterhaltungselemente beinhaltet<br />

(Ausnahme: Johannesburg). Es lässt sich also auch hier ein negativer Effekt für die<br />

Glaubwürdigkeit nachweisen, denn das „Drehen“ von Fakten in eine bestimmte Richtung<br />

heißt, dass die Fakten nicht adäquat beschrieben werden.<br />

Tab. 6: Effekte der Anmoderation<br />

Schultheiss / Jenzowsky · Infotainment<br />

„widersprüchlich“ „Fakten-Drehen“<br />

n IT+ IT– F p n IT+ IT– F p<br />

Hai 163 2,7 2,3 3,95 0,049 162 4,8 4,3 7,976 0,005<br />

Disco 162 3,1 2,6 3,67 0,057 161 4,7 4,2 4,024 0,047<br />

Johannesburg 162 3,1 2,8 1,30 0,256 163 4,6 4,3 2,219 0,138<br />

alle 162 3,0 2,6 5,19 0,024 160 4,7 4,3 8,039 0,005<br />

IT+ = arithmetisches Mittel starkes Infotainment, IT– = arithmetisches Mittel schwaches Infotainment;<br />

„widersprüchlich“: 1 = gar nicht widersprüchlich, 6 = sehr widersprüchlich;<br />

„Fakten-Drehen“: 1 = an ein „Drehen“ der Fakten wird gar nicht geglaubt, 6 = sehr geglaubt.<br />

Insgesamt konnte Hypothese 2 weitgehend gestützt werden. Die Unterschiede für die<br />

Glaubwürdigkeit hinsichtlich der direkten Messung und hinsichtlich der Skala, die<br />

wahrgenommene Widersprüchlichkeit und das Gefühl des „Drehens“ der Fakten in die<br />

gewünschte Richtung sind stets signifikant (allerdings nicht immer bei allen Berichten)<br />

oder hoch signifikant, wenn man die Werte für die ganze „Sendung“ betrachtet.<br />

Unterhaltungselemente in der Anmoderation beeinflussen die Beurteilung der Glaubwürdigkeit<br />

eines Fernsehberichts negativ. Wenn also die Anmoderation ein emotionales<br />

Hintergrundbild, emotionale Sprache und Sprechstil, Mimik und Gestik enthält,<br />

wird der gesamte Bericht als weniger glaubwürdig beurteilt als ohne diese Unterhaltungselemente<br />

in der Anmoderation. Somit hat sich der Übertragungs-Effekt bestätigt:<br />

Die Einführung eines Berichts und der Eindruck eines Reporters, der bei der Anmoderation<br />

gewonnen wird, übertragen sich auf die Rezeption des nachfolgenden Beitrags<br />

und damit auf die Beurteilung des gesamten Berichts. Der Reporter als Urheber des folgenden<br />

Beitrags spielt für den ersten Eindruck eines Berichts eine entscheidende Rolle.<br />

Die Anmoderation ist maßgeblich vom Auftritt des Reporters bestimmt, er dominiert<br />

die Anmoderation durch seine Sprache, seinen Sprechstil, seine Mimik und seine Gestik,<br />

das Hintergrundbild bildet den zusätzlichen Rahmen, in dem sich der Reporter präsentieren<br />

„will“.<br />

Die Ergebnisse zeigen als weitere Effekte der Anmoderation Unterschiede bei der Beurteilung<br />

der Berichte als „informativ“ und „interessant“ (Tab. 7).<br />

Tab. 7: Effekte der Anmoderation<br />

„informativ“ „interessant“<br />

n IT+ IT– F p IT+ IT– F p<br />

Hai 163 2,7 3,0 1,96 0,163 3,1 3,3 1,89 0,171<br />

Disco 163 1,5 1,6 0,94 0,334 1,9 2,3 4,96 0,027<br />

Johannesburg 163 2,6 3,1 4,81 0,030 3,1 3,3 0,92 0,340<br />

alle 163 2,3 2,6 4,41 0,037 2,7 3,0 4,06 0,046<br />

IT+ = arithmetisches Mittel starkes Infotainment, IT– = arithmetisches Mittel schwaches Infotainment;<br />

1 = gar nicht interessant/informativ, 6 = sehr interessant/informativ.<br />

75


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Enthält die Anmoderation keine Unterhaltungselemente, so wird der Bericht als informativer<br />

und auch als interessanter bewertet, als wenn die Anmoderation Unterhaltungselemente<br />

enthält (dies betrifft in beiden Fällen die Bewertung der gesamten „Sendung“,<br />

bei der Variablen „informativ“ außerdem den Johannesburg-Bericht und bei der<br />

Variablen „interessant“ außerdem den Disco-Bericht).<br />

Vermutlich bewirkte insbesondere der sachliche – und sachlich gesprochene – Text und<br />

die nüchterne Präsentation ohne Hintergrundbild in der „schwachen Infotainment“-<br />

Anmoderation den Eindruck von Informativität. Es zeigt sich also, dass Unterhaltungselemente<br />

in der Anmoderation auch bewirken, dass der Informationswert eines Berichts<br />

als geringer eingeschätzt wird. Dass die Berichte ohne Unterhaltungselemente in der<br />

Anmoderation als interessanter bewertet werden, könnte auf soziale Erwünschtheit<br />

zurückzuführen sein.<br />

Hypothese 3: Die Glaubwürdigkeit des Reporters<br />

Gemäß Hypothese 3 wurde getestet, ob der Beitrag und/oder die Anmoderation eines<br />

Berichts Einfluss auf die Glaubwürdigkeit des Kommunikators (= Reporter) haben. Die<br />

Glaubwürdigkeit wurde mittels einer Glaubwürdigkeits-Skala erhoben. Für die Glaubwürdigkeit<br />

des Reporters ergeben sich für die Haupteffekte sowohl des Beitrags als auch<br />

der Anmoderation signifikante Unterschiede (Tab. 8).<br />

Tab. 8: Glaubwürdigkeit des Reporters (Skala)<br />

Haupteffekt des Beitrags Haupteffekt der Anmoderation<br />

n IT+ IT– F p IT+ IT– F p<br />

Hai 163 2,8 3,0 2,208 0,139 2,7 3,1 6,489 0,012<br />

Disco 163 2,6 3,4 18,114


als auch der Anmoderation. Sie entsprechen den Ergebnissen hinsichtlich der Glaubwürdigkeits-Skala,<br />

wenngleich sie insgesamt etwas schwächer sind (Tab. 9).<br />

Tab. 9: Glaubwürdigkeit des Reporters (direkte Messung)<br />

Haupteffekt des Beitrags Haupteffekt der Anmoderation<br />

n IT+ IT– F p IT+ IT– F P<br />

Hai 163 2,8 3,0 0,555 0,457 2,6 3,2 5,092 0,025<br />

Disco 163 2,5 3,3 11,187 0,001 2,8 3,0 0,393 0,532<br />

Johannesburg 157 3,8 4,0 0,608 0,437 3,7 4,1 3,202 0,076<br />

alle 157 3,0 3,4 5,790 0,017 3,1 3,4 4,016 0,047<br />

IT+ = arithmetisches Mittel starkes Infotainment, IT– = arithmetisches Mittel schwaches Infotainment<br />

1 = sehr unglaubwürdig, 6 = gar nicht unglaubwürdig (= glaubwürdig)<br />

Die Beurteilung der Reporter wird insbesondere durch zwei weitere Indikatoren der<br />

Glaubwürdigkeits-Skala des Kommunikators beeinflusst: „kompetent“ und „seriös“.<br />

Bei diesen beiden Indikatoren zeigen sich jeweils signifikante Unterschiede für den<br />

Haupteffekt des Beitrags und/oder der Anmoderation.<br />

Tab. 10: Kompetenz<br />

Schultheiss / Jenzowsky · Infotainment<br />

Haupteffekt des Beitrags Haupteffekt der Anmoderation<br />

n IT+ IT– F p IT+ IT– F p<br />

Hai 163 2,7 3,0 2,73 0,101 2,5 3,2 8,05 0,005<br />

Disco 163 2,2 3,2 24,27


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Tab. 11: Seriosität<br />

Haupteffekt des Beitrags Haupteffekt der Anmoderation<br />

n IT+ IT– F p IT+ IT– F p<br />

Hai 163 2,8 3,4 4,80 0,030 2,9 3,3 3,53 0,062<br />

Disco 163 2,7 3,5 11,97 0,001 3,1 3,2 0,09 0,762<br />

Johannesburg 157 3,9 4,1 0,74 0,392 3,7 4,3 8,82 0,003<br />

alle 157 3,2 3,7 8,22 0,005 3,2 3,6 4,91 0,028<br />

IT+ = arithmetisches Mittel starkes Infotainment, IT– = arithmetisches Mittel schwaches Infotainment,<br />

1 = sehr unseriös, 6 = gar nicht unseriös (= seriös).<br />

Insgesamt lässt sich folgendes Fazit ziehen: Hypothese 3 konnte bestätigt werden. Bei<br />

jedem der drei Berichte wird die Glaubwürdigkeit des jeweiligen Reporters beeinflusst,<br />

wenn in Beitrag und/oder Anmoderation die Unterhaltungselemente variiert wurden.<br />

Unterhaltungselemente wirken sich stets negativ auf die Bewertung der Glaubwürdigkeit<br />

der Reporter aus. Einmal wird die Glaubwürdigkeit der Reporter durch die Unterhaltungselemente<br />

im Beitrag, einmal durch die Unterhaltungselemente in der Anmoderation<br />

beeinträchtigt. Betrachtet man die gesamte „Sendung“, so zeigt sich für alle<br />

Reporter zusammen ein Effekt sowohl für den Beitrag als auch für die Anmoderation.<br />

Dies trifft auch auf die einzelnen Indikatoren „Kompetenz“ und „Seriosität“ zu, die eine<br />

entscheidende Rolle bei der Beurteilung des Kommunikators zu spielen scheinen. Die<br />

Befunde deuten insgesamt darauf hin, dass beide Effekte, d. h. sowohl des Beitrags als<br />

auch der Anmoderation, etwa gleich stark sind.<br />

Hypothese 4: Linearer Anstieg der Glaubwürdigkeit<br />

Aus Hypothese 4 folgt, dass es eine linear geordnete Hierarchie der Glaubwürdigkeit<br />

geben müsste. Um die Hypothese zu überprüfen, wurde ein statistischer Test der Linearität<br />

durchgeführt (dazu wurden die vier Versionen in die Reihenfolge des erwarteten<br />

Linearitäts-Anstiegs gebracht). Die Ergebnisse des Linearitäts-Tests sind für alle<br />

Glaubwürdigkeitsmessungen der Berichte und der Reporter signifikant.<br />

Es zeigt sich, dass die Glaubwürdigkeit von Extremversion 1 mit „starkem Infotainment“<br />

zur Extremversion 2 mit „schwachem Infotainment“ deutlich ansteigt. Allerdings<br />

nähern sich die Werte der beiden mittleren Versionen, bei denen die Anmoderationen<br />

„vertauscht“ wurden, in den meisten Fällen stark an. Deshalb wurde ein t-Test<br />

mit diesen beiden „Anmoderations“-Versionen (d. h. Gruppe 3: Anmoderation<br />

„schwaches Infotainment“ und Beitrag „starkes Infotainment“ und Gruppe 4: Anmoderation<br />

„starkes Infotainment“ und Beitrag „schwaches Infotainment“, vgl. Abb. 1)<br />

durchgeführt. Der t-Test sollte, gemäß der Annahme eines linearen Anstiegs der<br />

Glaubwürdigkeit, Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen zeigen. Nur in diesem<br />

Fall kann ein linearer Anstieg deutlich bestätigt werden. Die vorliegenden Ergebnisse<br />

zeigen, dass die Unterschiede zwischen den beiden „Anmoderations“-Versionen<br />

stets gering sind. Keines der Ergebnisse des t-Tests ist signifikant. Damit muss Hypothese<br />

4 zurückgewiesen werden. Es zeigt sich zwar ein linearer Anstieg in der Glaubwürdigkeit<br />

der vier Versionen, allerdings wird dieser durch die geringe Glaubwürdigkeit<br />

der Extremversion „starkes Infotainment“ und die höhere Glaubwürdigkeit der<br />

Extremversion „schwaches Infotainment“ bedingt. Es kann bei den beiden Versionen<br />

78


mit „vertauschter“ Anmoderation kein Unterschied nachgewiesen werden. Die Ergebnisse<br />

der vier Versionen verhalten sich also in der Tendenz wie in Abbildung 3 dargestellt.<br />

Abb. 3: Linearität der vier Versionen<br />

A = Anmoderation, B = Beitrag, IT+ = starkes Infotainment,<br />

IT– = schwaches Infotainment<br />

Insgesamt lässt sich folgendes Fazit ziehen: Im Ganzen lässt sich zwar eine Linearität<br />

der Glaubwürdigkeit erkennen, jedoch nicht speziell für die beiden „Anmoderations“-<br />

Versionen in der Mitte. Die Version mit der „starken Infotainment“-Anmoderation und<br />

dem „schwachen Infotainment“-Beitrag ist nicht glaubwürdiger als die Version mit der<br />

„schwachen Infotainment“-Anmoderation und dem „starken Infotainment“-Beitrag.<br />

Somit ist die Bedingung eines kontinuierlichen Anstiegs – auch der „Anmoderations“-<br />

Versionen – nicht erfüllt.<br />

Bei keiner der Glaubwürdigkeitsmessungen der Berichte und der Reporter konnten Interaktionen<br />

festgestellt werden. Deshalb wird angenommen, dass die Haupteffekte von<br />

Beitrag und Anmoderation unabhängig sind. Vermutlich addieren sich die beiden<br />

Haupteffekte und sind dabei etwa gleich stark. Es kann keine Aussage getroffen werden,<br />

welcher der beiden Effekte der stärkere ist. Die Annahme der stärkeren Wirkung des<br />

Beitrags wurde daher widerlegt. Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass der Beitrag<br />

eine stärkere Wirkung hat als die Anmoderation.<br />

4.2 Gefallen der Berichte<br />

Schultheiss / Jenzowsky · Infotainment<br />

Eine Varianzanalyse zeigt signifikante Unterschiede hinsichtlich des Gefallens der Berichte:<br />

79


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Tab. 12: Gefallen der Berichte<br />

Haupteffekt des Beitrags Haupteffekt der Anmoderation<br />

n IT+ IT– F p IT+ IT– F p<br />

Hai 163 2,4 2,9 5,561 0,020 2,4 3,0 11,870 0,001<br />

Disco 163 1,5 2,0 11,394 0,001 1,6 1,8 1,244 0,266<br />

Johannesburg 162 2,8 3,0 0,789 0,376 2,7 3,1 3,989 0,048<br />

alle 162 2,2 2,6 7,224 0,008 2,2 2,6 9,086 0,003<br />

IT+ = arithmetisches Mittel starkes Infotainment, IT– = arithmetisches Mittel schwaches Infotainment;<br />

1 = sehr schlecht gefallen, 6 = sehr gut gefallen.<br />

Gegenläufig zur Erwartung gefallen die Berichte den Versuchspersonen besser, die die<br />

Beiträge mit „schwachem Infotainment“ (ohne Unterhaltungselemente) gesehen haben,<br />

als denjenigen, die die Beiträge mit „starkem Infotainment“ (mit Unterhaltungselementen)<br />

gesehen haben. Ebenso verhält es sich mit der Anmoderation. Das Gefallen der Berichte<br />

ist also von den Unterhaltungselementen sowohl im Beitrag als auch in der Anmoderation<br />

abhängig. Der Unterschied ist jeweils hoch signifikant, wenn man alle drei<br />

Berichte zusammen, als Sendung, betrachtet. Für die vorliegende Stichprobe ergibt sich<br />

auch eine hohe Korrelation zwischen der Glaubwürdigkeit und dem Gefallen der Berichte<br />

(alle p


Schultheiss / Jenzowsky · Infotainment<br />

auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit wie der Beitrag selbst. Die Effekte der Anmoderation<br />

hängen vermutlich stark mit dem jeweiligen Reporter als Urheber eines Berichts<br />

zusammen. Wie bereits Greenberg und Miller (1966) und Ward und McGinnies<br />

(1974) vermuteten, scheinen die Rezipienten zwischen einem Kommunikator (= Urheber)<br />

und seiner Kommunikation kaum zu differenzieren. 15<br />

Es eröffnet sich die Frage, ob der Einfluss der Anmoderation auf das spezifische Format<br />

von „Die Reporter“ zurückzuführen ist. Wenn die Anmoderation nicht vom gleichen<br />

Reporter stammt wie der Bericht, wenn also der Sprecher der Anmoderation nicht<br />

gleichzeitig der Urheber des Berichts ist, wird vielleicht ein geringerer Effekt der Anmoderation<br />

erzielt.<br />

Resümierend muss bei den vorliegenden Befunden berücksichtigt werden, dass die Versuchspersonen<br />

ausschließlich Studenten sind. Das hohe Bildungsniveau von Studenten<br />

allgemein und in diesem besonderen Fall die studienbedingte Beschäftigung mit <strong>Medien</strong><br />

lässt die Probanden wahrscheinlich vieles anders bewerten als es Versuchspersonen<br />

tun würden, die z. B. einem Bevölkerungsquerschnitt entsprächen. Das Erkennen und<br />

die negative Besetzung von „Sensationalismus“ und „Boulevardjournalismus“ (auch in<br />

der Version ohne Unterhaltungselemente) ist bei dieser Art von Probanden vermutlich<br />

am stärksten ausgeprägt.<br />

Es spielt womöglich eine Rolle für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Sendung,<br />

ob der Inhalt selbst, zusätzlich zu der Präsentation, Unterhaltungswert hat. Deswegen<br />

ist es eine interessante weiterführende Frage, ob die unterhaltsame Aufbereitung von Inhalten<br />

mit größerer gesellschaftlicher Relevanz, die z. B. auch nicht im Rahmen einer<br />

Boulevardsendung präsentiert werden, ähnliche oder sogar stärkere Effekte bewirken<br />

würde.<br />

Literatur<br />

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15 Diese Annahme konnte durch eine Korrelation von r = 0,50 (direkte Messung, alle Berichte)<br />

bzw. 0,65 (Glaubwürdigkeits-Skala, alle Berichte) zwischen der Glaubwürdigkeit des Reporters<br />

und der Glaubwürdigkeit seines Berichts bestätigt werden.<br />

81


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82


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84


Mythos Postmoderne:<br />

<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>liche Bedenken<br />

Ulrich Saxer<br />

Vor allem in Frankreich wird unter dem Konzept der „Postmoderne“ das herkömmliche<br />

und bewährte <strong>wissenschaft</strong>liche Begriffsinstrumentarium dekonstruiert, überhaupt über<br />

die Moderne das Verdikt naiver Rationalismus gefällt und entsprechend ein „wildes“<br />

und überaus empiriefernes Denken über gesellschaftliche Sachverhalte, insbesondere die<br />

<strong>Medien</strong>kommunikation gepflegt. Eine gewisse Nähe zum subjektorientierten radikalen<br />

Konstruktivismus ist nicht zu übersehen und mit diesem teilen die Postmodernisten den<br />

Mangel an Strukturähnlichkeit, an Isomorphie ihrer Theorien mit einem Gegenstand<br />

wie die <strong>Medien</strong>, der stark auch von Einflüssen aus dem Meso- und dem Makrolevel bestimmt<br />

wird. Eine empirische <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>, von der aus im Folgenden<br />

argumentiert wird, ist aus allen diesen Gründen gut beraten, wenn sie nicht einem modischen<br />

Postmodernismus aufsitzt, umso mehr als dessen Hauptkonzept, eben „Postmoderne“,<br />

nie wirklich geklärt wird. Diese bleibt so ein Mythos, was bedauerlicherweise die<br />

Rezeption von Anregungen aus dem romanischen Sprachkreis einmal mehr behindert.<br />

Sie geistern in medien<strong>wissenschaft</strong>lichen Seminaren und studentischen Beiträgen herum;<br />

die Namen der berühmten französischen Postmodernisten Beaudrillard, Derrida, Lyotard<br />

und Virilio. Ihrer sind noch mehr, denn seit längerem hat ihre vieldeutige Botschaft<br />

Jünger gezeugt, wenn auch im deutschsprachigen Bereich nicht allzu viele (Bohrer 1998,<br />

805). Trotzdem ist es an der Zeit, diese Denkrichtung kursorisch zu durchleuchten, da<br />

die <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> intellektuellen Moden gegenüber alles andere als gefeit<br />

ist.<br />

Der Stand der medienorientierten Debatte über die so genannte Postmoderne ist freilich<br />

nicht klar konturiert. „Postmodernismus“ impliziert ja auch die Dekonstruktion von<br />

Begriffen. Umso unentwegter wird in diesem Zusammenhang am Aufbau einer subjektorientierten<br />

radikalkonstruktivistischen Theorie der öffentlichen Kommunikation gearbeitet<br />

(Merten/Schmidt/Weischenberg 1994). Auch entsprechende Anregungen sollen<br />

im Folgenden gewürdigt werden, auf der Basis einer grundlegenden Skepsis allerdings,<br />

wieweit hiermit ein epistemologisches Fundament der <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />

entwickelt ist.<br />

1. Zum Diskussionsstand<br />

LITERATUR · AUFSÄTZE<br />

Bezeichnenderweise stößt schon eine schlichte Bilanzierung der Postmodernismus-Debatte<br />

und insbesondere derjenigen ihrer französischen Wortführer auf größte Schwierigkeiten.<br />

Dies hängt mit der Eigenart derselben zusammen, die durch begriffliche Vagheit,<br />

Uferlosigkeit und sachgegebene Probleme in ihrer Nachvollziehbarkeit eingeschränkt<br />

wird. Es fragt sich denn auch, ob sich überhaupt die Mühe einer entsprechenden<br />

kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lichen Analyse lohnt. Diese muss indes geleistet<br />

werden, da die Wissenschaft von der öffentlichen Kommunikation, um die es bei der als<br />

<strong>Kommunikations</strong>-, Publizistik- bzw. <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong> bezeichneten integrierenden<br />

Disziplin geht, immer wieder durch extern verursachte Ideologisierungsschübe in der<br />

Qualität ihrer Aussagen und durch Ausuferung ihres Gegenstandverständnisses in ihrer<br />

Leistungsfähigkeit bedroht ist (Saxer 1995). Für beides bietet die Postmodernismus-De-<br />

85


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

batte reichliches und bedenkenswürdiges Anschauungsmaterial. Andererseits sollte aber<br />

in diesem Zusammenhang nicht versäumt werden, deren unorthodoxe Ideenvielfalt nach<br />

kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lich Brauchbarem zu durchforsten.<br />

Die Schwierigkeiten einer Würdigung und gar, wie hier ursprünglich geplant, einer Rezension<br />

des postmodernen „Diskurses“ – eine seiner Lieblingsvokabeln – beginnen<br />

schon mit dem Konzept der „Postmoderne“. Offenbar handelt es sich dabei um eine<br />

Epochenbezeichnung, über deren Inhalt indes keinerlei Konsens besteht. Als Epochencharakterisierung<br />

erinnert sie an das viel zitierte „Ende der Geschichte“ (Gumbrecht<br />

1998, 808/9), Aprèslude auf jeden Fall (Seel 1998, 890): Im Vorwort zum verdienstvollen<br />

Sonderheft Merkur über „Postmoderne – eine Bilanz“ (1998) wird über die<br />

„Moderne“ das Verdikt „Naiver Rationalismus“ gefällt und der Postmoderne bescheinigt,<br />

„die Verkrustungen und Selbstgefälligkeiten der Moderne aufgebrochen“ zu<br />

haben.<br />

Damit sind zumindest schon Stichworte gefallen, wie der als „Postmoderne“ bezeichnete<br />

Komplex von Phänomenen etwas konkretisiert werden kann. Einer eher resignativen<br />

Stimmung, dass das „Projekt Moderne“ unwiderruflich vorbei und alles schon gesagt<br />

sei, steht eine optimistischere Variante gegenüber, die von neuer Freiheit in einer<br />

endgültig entzauberten Welt schwärmt. Zur Beliebigkeit, die da als postmodernes Lebensprinzip<br />

postuliert wird, gehört auch die Dekonstruktion überkommener Begriffe,<br />

die immerhin eine gewisse Verstehenskonvention unter Wissenschaftlern verbürgten.<br />

Dass Postmodernisten zwar ständig mit <strong>Medien</strong>konzepten argumentieren, diese aber<br />

kaum präzisieren, bildet gleichfalls ein Versatzstück des postmodernen Diskurses. Der<br />

Golfkonflikt von 1991 wird als <strong>Medien</strong>krieg par excellence herausgestellt (Virilio 1993)<br />

und im Übrigen „Intermedialität“ als die dominierende neue gesellschaftliche Realität<br />

postuliert. Ob dies ein klares <strong>Medien</strong>konzept überflüssig macht, soll freilich zumindest<br />

bezweifelt werden. Der Ursprung der Postmodernismus-These aus den Kunst<strong>wissenschaft</strong>en<br />

bringt diese eben in die Richtung eines, sozial<strong>wissenschaft</strong>lich gesprochen,<br />

„wilden Denkens“. „So bleibt doch immer wieder ein Rest Erstaunen darüber, wie oft<br />

Virilio ins Blaue assoziiert und dabei ins Schwarze trifft“ (Kloock 1999, 167).<br />

Historische Vorgänger der Postmodernismus-These lassen sich natürlich unzählige nennen.<br />

Hier interessiert in erster Linie die etwaige gedankliche Verbindung zur modernen<br />

<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>. Die ethnozentrische Ausrichtung des französischen<br />

Denkens erschwert freilich den Brückenschlag zu angelsächsischen Autoren. Immerhin<br />

sind Parallelen zu M. McLuhans und J. Meyrowitz’ Werk nicht zu übersehen: Beide haben<br />

umfassende Theorien der <strong>Medien</strong>gesellschaft konzipiert und lassen sich so mit den<br />

Urhebern der Postmodernismus-Debatte vergleichen:<br />

• M. McLuhans berühmteste These „The medium is the message“ (1994, 71 ff.) nimmt<br />

diesen vieles vorweg. Sie formuliert eine Vision allmächtiger <strong>Kommunikations</strong>technologien<br />

und trägt in ihrer Missachtung empirischer Befunde Züge von Messianismus<br />

(Saxer 1968). Das „globale Dorf“, das der kanadische <strong>Kommunikations</strong>philosoph<br />

vor einem Menschenalter als Folge der kommunikationstechnologischen Entwicklung<br />

in Aussicht stellte, ist jedenfalls trotz fortschreitender Globalisierung der<br />

<strong>Medien</strong>kommunikation erst ansatzweise verwirklicht. Nicht alles, was kommunikationstechnologisch<br />

machbar ist, wird ja von den konservativen <strong>Medien</strong>nutzern sogleich<br />

nachgefragt. Dass aber <strong>Medien</strong> Organer- und -fortsatz sind, hat M. McLuhan<br />

mit großer Eindringlichkeit demonstriert, und dass <strong>Medien</strong>formate wichtiger als deren<br />

Inhalte seien, ist in der postjournalism era (Altheide/ Snow 1991) mittlerweile eine<br />

vergleichsweise gängige Erkenntnis geworden.<br />

86


Saxer · Mythos Postmoderne<br />

• J. Meyrowitz, letztlich derselben Denktradition verpflichtet, führt M. McLuhans<br />

Ansatz weiter und konstatiert in „No sense of Place“ die Enträumlichung der Erfahrung<br />

unter dem Einfluss der elektronischen <strong>Medien</strong>. P. Virilio verschärft später (1998,<br />

143) diese Diagnose zu einem neuen Terror der Echtzeit, der den Golfkrieg in einen<br />

der televisionären Berichterstattung verwandelt habe. Fernsehräume und Fernsehzeit<br />

verdrängen nach postmodernistischer Auffassung Realraum und -zeit; allerdings<br />

bleiben die Fernsehrezipienten nach wie vor mehrheitlich in ihren vier Wänden und<br />

öffnen getrost ihre Bierflaschen, wenn das alltägliche Ritual der „Tagesschau“ ihnen<br />

Alt-Neues in ihre Wohnung flimmert, und wissen gewöhnlich Fernsehkulisse und<br />

alltägliche Erlebniswelt zu unterscheiden. Die Dramatisierung von <strong>Medien</strong>kommunikation,<br />

zumal des Fernsehens, gehört eben zum Argumentationsteppich der Postmodernen,<br />

die offenbar der Faszination ihres Gegenstandes distanzlos erliegen. Eine<br />

empirische <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>, die diesen aus reflektiertem Abstand beobachten<br />

sollte, kann sich eine solche Selbstpreisgabe nur um den Preis des von ihr<br />

zu erwartenden geprüften Argumentierens gestatten.<br />

2. Die Destruktion von Begriffen<br />

Das Programm einer Destruktion überkommener Begriffe, wie es sich in den verschiedensten<br />

postmodernen Texten niederschlägt, verrät Abhängigkeit von diesen, von der<br />

perhorreszierten Moderne also. Die „postmoderne Moderne“ (Früchtel 1998, 768), ein<br />

hölzernes Eisen, reagiert mehrheitlich einfach auf tradierte Begriffe und erklärt diese im<br />

Sinne der neuen Beliebigkeit für untauglich. Da allerdings die Entwicklung eines konsistenten<br />

konzeptuellen Apparats zu den wichtigsten <strong>wissenschaft</strong>lichen Leistungen rechnet,<br />

muss die Qualität solcher „Destruktion“ an entsprechenden Neuschöpfungen geprüft<br />

werden.<br />

Das Resultat ist ernüchternd, aber wohl, weil eine rationale und nicht eine postmoderne<br />

Logik an diese Begriffe angelegt wird:<br />

• Das Konzept der Destruktion ist reaktiv, der Moderne verpflichtet, die postmodernistische<br />

Theoretiker doch zu beerdigen suchen. Die konzeptuelle Abhängigkeit von<br />

dem, was man ablösen möchte, vertieft gerade die Hörigkeit diesem gegenüber. Die<br />

Vagheit des Konzepts „Postmoderne“ rächt sich auf Schritt und Tritt in einer Theorienbildung,<br />

die diesen Namen kaum verdient.<br />

• Begriffe konzentrieren bekanntlich den <strong>wissenschaft</strong>lichen Fokus. Wo sie „dekonstruiert“<br />

sind, mangelt es an dieser unentbehrlichen Koordinationsleistung <strong>wissenschaft</strong>licher<br />

Disziplinen. „Wildes Denken“ ist das Resultat solcher Disziplinlosigkeit:<br />

manchmal anregend, aber sicher ungeprüft (Beaudrillard 1991). Gerade für eine Wissenschaft<br />

wie diejenige von der öffentlichen Kommunikation, die immer wieder Probleme<br />

mit den Grenzen ihrer Zuständigkeit bekundete (Saxer 1995), ist ein solches<br />

Ausufern des Gegenstandsverständnisses fatal. Schon die alte Zeitungs<strong>wissenschaft</strong><br />

erweiterte ja gewissermaßen handstreichartig ihr Beobachtungsobjekt um die Zeitschriften,<br />

verfügte dann aber nicht über die entsprechenden <strong>wissenschaft</strong>lichen Instrumente,<br />

diese zu erschließen. So müssen sich auch die Postmodernisten von Natur<strong>wissenschaft</strong>lern<br />

in die Schranken ihrer Kompetenz weisen lassen: „… es gibt keinen<br />

Grund, im Umgang mit komplexen menschlichen Problemen die Natur<strong>wissenschaft</strong>en<br />

imitieren zu wollen“ (Sokal/Pricmont 1998).<br />

• Unterscheidungen, die sich in der <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> längst bewährt haben,<br />

werden unter postmodernistischen Generalisierungen einfach zugeschüttet. So<br />

87


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

vermag P. Virilio zwischen Nachrichten und Propaganda nicht zu unterscheiden<br />

(1993, 85), als hätten die westliche journalistische Berufskultur und die <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />

nicht längst Kriterien entwickelt, hier Differenzen wahrzunehmen.<br />

Dazu passt, dass der gleiche Autor das Massaker auf dem Tienamen-Platz kommentiert,<br />

das Kriegsrecht habe „zur Niedermetzelung der Bevölkerung Pekings<br />

durch die Panzer der chinesischen Volksarmee“ geführt (Virilio 1998, 28). Der<br />

ganzen? Wenn Wissenschaft verlässliches Sprechen meint, dann fällt ein Großteil des<br />

postmodernistischen Schrifttums nicht unter dieses Rubrum, und es fragt sich erneut,<br />

was die empirische <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> aus ihm gewinnen mag, wo doch<br />

viele französische Kollegen daraus Nektar saugen. Auch die marxistische Reideologisierung<br />

der Disziplin in den 70er und 80er Jahren war ja lediglich ein letztlich<br />

fruchtloses <strong>wissenschaft</strong>sgeschichtliches Intermezzo.<br />

• Radikal ist die postmodernistische Geschichtsphilosophie, als sie ernst mit der letztlich<br />

konstruktivistischen Auffassung macht, Weltgeschichte sei ein „Text“, nicht<br />

mehr und nicht weniger. Die Irritation eines schleichenden Verlustes an Wirklichkeit<br />

in modernen Gesellschaften unter dem Eindruck von deren Verdoppelung durch Bilder<br />

und Töne, der dauernden Selbstbeobachtung derselben durch ihre <strong>Medien</strong>, ist<br />

nachhaltig im postmodernistischen Schrifttum: ein spätes Echo auf G. Anders’ Vision<br />

von der Welt als „Phantom und Matrize“ (1956), dem pessimistischen Kontext der<br />

„Antiquiertheit des Menschen“. Wenn alles Text ist, eröffnet dies natürlich auch beliebige<br />

Lese- und Interpretationsmöglichkeiten und gemahnt an die Struktur des modernen<br />

Fernsehangebots, das sich nicht direktiv, sondern als unverbindliche Offerte<br />

präsentiert. Dass der Spitzensport z. B. seit längerem ein Annex des Fernsehens geworden<br />

ist, und mehr und mehr <strong>Medien</strong>ereignisse zu Ehren der Massenkommunikationsmittel,<br />

kalkuliert auf deren Selektionskriterien, veranstaltet werden, spiegelt<br />

zweifellos eine Umkehr bisheriger Realitätsverhältnisse in modernen Gesellschaften,<br />

die von den Postmodernisten seismographisch nachgezeichnet werden. Für die <strong>Kommunikations</strong>-<br />

bzw. <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong> lohnt sich denn auch eine vertiefte Reflexion<br />

des Textbegriffs, von „Text“ als einer Gegenfolie zu einem kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lich<br />

noch immer gängigen simplifizierenden Konzept von „Realität“ (Ammann/Moser/Vaissière<br />

1999).<br />

Das inflatorische <strong>Medien</strong>konzept der Postmodernisten und ihr vages Räsonnieren<br />

über Intermedialität ist damit freilich noch nicht gerechtfertigt. Auch eine Publikation<br />

aus dem Jahre 1998 unter diesem Titel (Heibig 1998) kommt nicht viel weiter, als<br />

die Klärungsbedürftigkeit dieses Konzepts zu bedauern (Füger 1998). Es ist eben<br />

kurzschlüssig, ohne ausreichende Präzisierung des Basiskonzeptes „Medium“ dieses<br />

in Richtung „Intermedialität“ auszuweiten. Die deutschsprachige <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />

ringt freilich noch mit denselben Konzeptualisierungsschwierigkeiten<br />

(Saxer 1997). Natürlich entspricht „Intermedialität“ dem Rezeptionserlebnis heutiger<br />

<strong>Medien</strong>konsumenten, für die die <strong>Medien</strong> insgesamt ein selbstverständlicher und<br />

weitgehend vorbewusst registrierter Bestandteil ihrer Lebenswelt geworden sind, aus<br />

der die universitäre Rezeptionsforschung immer noch realitätsfern einzelne Stimuli<br />

herauszufiltern sucht. Es kann denn auch nur festgehalten werden, dass das postmoderne<br />

Dekonstruktionswerk in Sachen Begrifflichkeit keinen Ersatz schafft, eher<br />

Leerstellen verursacht.<br />

88


Saxer · Mythos Postmoderne<br />

3. Die Welt als subjektorientiertes (radikal-)konstruktivistisches System<br />

Wiewohl die Heterogenität der postmodernistischen Quellen kaum eine abschließende<br />

Charakterisierung dieser Denktradition gestattet, lässt sich am ehesten eine konstruktivistische<br />

Basis derselben ausmachen. Der Strukturalismus ist ohnehin seit längerem im<br />

französischen Denken stark verwurzelt und somit ein entsprechender Übergang nahe<br />

liegend, wenn auch kein orthodoxer. Allerdings bleiben die Zweifel, wie tragfähig eine<br />

subjektorientierte (radikal-)konstruktivistische Basis für Theorien der öffentlichen<br />

Kommunikation ist, auch wenn deren Protagonisten dies reklamieren (Merten/Weischenberg/Schmidt<br />

1994). Die entsprechenden Einwände sind nicht widerlegt, umso<br />

mehr, als selbst N. Luhmann sich gegen einen subjektivistischen „radikalen Konstruktivismus<br />

als Theorie der Massenmedien“ (1994) zur Wehr gesetzt hat.<br />

Dem Radikalen Konstruktivismus mangelt nämlich grundsätzlich die Strukturähnlichkeit,<br />

die Isomorphie, zu ihrem Gegenstand (Saxer 1993, 68f.) Dieser ist makro-, mesound<br />

mikrosoziologisch definiert, ein soziales Totalphänomen, und kann folglich nicht<br />

ausschließlich mikrosoziologisch gedeutet werden. Der Radikale Konstruktivismus,<br />

psychologisch-wahrnehmungstheoretisch angelegt, verfehlt damit schon weitgehend<br />

die organisatorische Dimension der öffentlichen Kommunikation. Schließlich ist heute<br />

der „organisatorische Journalismus“ die Berufsrealität der meisten <strong>Medien</strong>mitarbeiter;<br />

jegliche Theorie, die dem nicht Rechnung trägt, wie der subjektorientierte Radikale<br />

Konstruktivismus, der die Welt letztlich nur als Wille und Vorstellung perzipiert<br />

(A. Schopenhauer), bleibt kurzsichtig.<br />

Allerdings sind ja die postmodernistischen Denker weder konsequent noch konsistent<br />

konstruktivistisch. Wie bereits M. McLuhans Denkstil assoziativ, um nicht zu sagen erratisch<br />

war (Ludes 1998, 77ff.), bedienen sich Beaudrillard, Derrida, Virilio und weitere<br />

Postmodernisten ungeniert von den verschiedensten Auslagen von anderswo geistig Erarbeitetem.<br />

Dies macht sie auf schwierige Weise unfassbar, unangreifbar und letztlich<br />

auch nicht rezensierbar. Die ständige Destruktion von Begriffen fungiert ja auch als Immunisierungsstrategie<br />

des eigenen Gedankengebäudes: Wenn dieses begrifflich sich nie<br />

packen lässt, wird es auch nicht zur Beute von Kritik. Denn: „Die Paradoxie ist die Orthodoxie<br />

unserer Zeit“ (N. Luhmann), Aussage kann gegen Aussage zitiert werden, wie<br />

bereits bei M. McLuhan, und darum trägt die entsprechende <strong>wissenschaft</strong>liche Nachweispraxis<br />

auch bei den Postmodernisten wenig ein und wird darum hier vernachlässigt.<br />

So überleben die postmodernistischen „Klassiker“ auch vergleichsweise unbeschadet,<br />

wiewohl die Sage schon herumgeistert, selbst die Postmoderne sei schon vorüber (Müller<br />

1998). Was kommt nachher? Die Problematik der immer hektischeren Periodisierungen<br />

der Jüngstzeit erweist sich hieran.<br />

Eine empirische <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>, von der aus hier argumentiert wird,<br />

muss sich mithin hüten, geistige Anleihen bei einem Wissenschaftssystem zu machen,<br />

das in Wahrheit keines ist, sondern ein Bündel von Assoziationen. Grenzüberschreitungen<br />

in der Wissenschaft werden regelmäßig mit Verlusten an Verlässlichkeit bezahlt, und<br />

eine gewisse internationale Isolierung der französischen Sozial- bzw. <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />

wird von hier aus verständlich. Wenn keine Wissensakkumulation systematisch<br />

angestrebt wird, geht Wissenschaft früher oder später in die Irre. Dies ist beim<br />

Radikalen Konstruktivismus der Fall und bei den französischen Postmodernisten. Was<br />

die <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> braucht, ist nicht eine Vision von Postmodernismus,<br />

sondern Theorien vom <strong>Medien</strong>wandel in der Moderne (Hömberg/Pürer 1996). Und<br />

dass menschliches Erleben stets zugleich auch eine menschliche Konstruktion desselben<br />

89


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

impliziert, ist in der neueren <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> mit ihren Erkundungen im<br />

Bereich der <strong>Medien</strong>realität gleichfalls unbestritten. Dazu bedarf sie des „Mythos Postmoderne“<br />

nicht.<br />

4. Mythos Postmoderne<br />

Was bleibt von einer kurzlebigen Denktradition, die sich „Postmoderne“ mit allen Implikationen<br />

bis hin zum Postfeminismus (Müller 1998) aufs Banner geschrieben hat?<br />

Was bringt sie insbesondere einer empirischen <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>, die immer<br />

noch mit Konstitutionsproblemen kämpft? Es gilt für sie in erster Linie, anlässlich<br />

dieser Debatte endlich einen anderen Kulturkreis, nämlich den französischsprachigen,<br />

zur Kenntnis zu nehmen. Dieser kann nicht einfach durch Nicht-Beachtung ausgeklammert<br />

werden. Es ist ein Ärgernis, dass für die deutschsprachige <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />

nur die angelsächsische, nicht aber die südwesteuropäische Forschungstradition<br />

existiert. Der Verfasser dieses Beitrags verhehlt zwar nicht seine Irritation über<br />

postmodernistische Zeugnisse, die er auf Bitte dieser Zeitschrift zu beurteilen aufgefordert<br />

wurde und nach deren Studium er immer noch nicht weiß, was „Postmoderne“ ist,<br />

denn unter diesem Label werden offenbar verschiedenste geschichts-, kunst- bzw. medienphilosophische<br />

Ansätze versammelt. Primitiv gesagt: Die Postmodernismus-Debatte<br />

präsentiert sich letztlich, gemäß der Maxime „anything goes“, als Selbstbedienungsladen,<br />

weil sie sich selber nicht nur gegen ihre Falsifizierung, sondern auch gegen<br />

ihre Generalisierung sträubt. Die deutschsprachigen <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>ler<br />

sind daher aufgefordert – da ja Übersetzungen vorliegen –, hier nach kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lich<br />

anregenden Ideen zu stöbern, und dürften durchaus fündig werden, zumal,<br />

wenn sie ein weniger orthodoxes Verständnis von Sozial<strong>wissenschaft</strong> als das hier<br />

federführende haben.<br />

Der <strong>wissenschaft</strong>liche Provinzialismus beginnt schließlich schon bei den Versäumnissen<br />

des Fremdsprachenunterrichts: Französisch, Italienisch, nicht zu reden von Spanisch<br />

existieren auf der hiesigen kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lichen Sprachenkarte kaum.<br />

Dabei könnte vom postmodernistischen „wilden Denken“ der eine und andere alternative<br />

Gedanke für die deutschsprachige <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> gewonnen werden,<br />

die sie ein bisschen aus dem Prokrustesbett der Luhmannschen Systemtheorie zu<br />

befreien vermöchte: mit medientheoretischen Deutungen des Golfkriegs (P. Virilio), mit<br />

dem transdisziplinären Entziffern semiotischer Zeichen (J. Beaudrillard) und selbst mit<br />

ausgreifenden Spekulationen (J. Derrida). Darin liegt freilich eine erneute Gefährdung<br />

der stets ideologieanfälligen Wissenschaft von der öffentlichen Kommunikation. Sie<br />

kann sich nämlich nach ihrer zeitweiligen nationalsozialistischen und marxistischen<br />

Willfährigkeit um ihrer Reputation willen keine weiteren ideologischen Ausrutscher<br />

mehr leisten.<br />

Die Bilanz der französisch dominierten Postmodernismus-Debatte fällt mithin, wie<br />

meist in solchen Fällen, ambivalent aus. Die Sprach- und Erkenntniskonventionen der<br />

empirischen <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> werden durch sie in Frage gestellt, aber ungewiss<br />

ist, mit welcher Legitimation. Schlimm für die Disziplin wäre es auf jeden Fall,<br />

wenn sie unter dem Eindruck solchen Feuerwerks von Ideen von Neuem einem ideologischen<br />

Konstrukt, dem der Postmoderne, aufsäße, dessen Beschaffenheit unklar und<br />

das anscheinend auch schon in die Rumpelkammer der Geschichte verabschiedet ist.<br />

Chaotische Theorienbildung im Zuge kommunikationstechnologischer Innovationen<br />

(Saxer 1993) ist schließlich ein leides Erbstück der Disziplin. Anregungen aus anderen<br />

90


Saxer · Mythos Postmoderne<br />

Kulturkreisen aufzunehmen, um wirklich eine internationale Integrations<strong>wissenschaft</strong><br />

zu sein, ist hingegen unerlässlich. Fremde Wissensbestandteile systemgerecht einzupassen,<br />

ist freilich ebenso eine Verpflichtung für sie wie Kriterien geprüfter Wissensproduktion<br />

zu entwickeln und ihnen Nachachtung zu verschaffen. Insofern stellen manche<br />

Einsichten der postmodernen französischen Denker eine sorgfältig zu analysierende<br />

und nicht einfach zu plündernde Fundgrube dar. Die Aufgabe ist nicht leicht, aber letztlich<br />

wohl lohnend.<br />

Literatur<br />

Altheide, David L./Robert P. Snow: Media Words in the Postjournalism Era. New York 1991.<br />

Anders, Günter: Die Antiquiertheit des Menschen. München 1956.<br />

Ammann, Daniel/Heinz Moser/Roger Vaissière (Hrsg.): <strong>Medien</strong> lesen. Der Textbegriff in der <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>.<br />

Zürich 1999.<br />

Beaudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod. München 1991.<br />

Bohrer, Karl-Heinz: Hat die Postmoderne den historischen Ironieverlust der Moderne aufgeholt?<br />

In: Postmoderne. Eine Bilanz. Sonderheft Merkur Heft 9/10, 52. Jg., Sept./Okt. 1998,<br />

794 – 807.<br />

Füger, Wilhelm: Wo beginnt Intermedialität? Latente Prämissen und Dimensionen eines klärungsbedürftigen<br />

Konzepts. In: Heibig, Jörg (Hrsg.): Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären<br />

Forschungsgebietes. Berlin 1995, 41 – 57.<br />

Früchtl, Josef: Gesteigerte Ambivalenz. Die Stadt als Denkbild der Postmoderne. In: Postmoderne.<br />

Eine Bilanz. Sonderheft Merkur, Heft 9/10, 52. Jg., Sept./Okt. 1998, 766–780.<br />

Gumbrecht, Hans Ulrich: Präsenz. Gelassenheit. Über Federico Garcia Lorcas „Poeta en Nueva<br />

York“ und die Schwierigkeit, heute eine Ästhetik zu denken. In: Postmoderne. Eine Bilanz.<br />

Sonderheft Merkur 9/10, 52. Jg., Sept./Okt. 1998, 808 – 825.<br />

Heibig, Jörg (Hrsg.): Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebietes.<br />

Berlin 1998.<br />

Hömberg, Walter/Heinz Purer (Hrsg.): <strong>Medien</strong>-Transformation. Zehn Jahre dualer Rundfunk in<br />

Deutschland. Konstanz 1996.<br />

Klook, Daniela: Paul Virilios Ereignislandschaft. In: <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong> 2/99, 165 – 167.<br />

Lau, Mariam: Das Unbehagen im Postfeminismus. In: Sonderheft Merkur, Heft 9/10, 52. Jg.,<br />

Sept./Okt. 1998, 919 – 928.<br />

Ludes, Peter: Einführung in die <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>. Entwicklungen und Theorien. Berlin 1998.<br />

Luhmann, Niklas: Der „Radikale Konstruktivismus“ als Theorie der Massenmedien? In: Communicatio<br />

Socialis 27. Jg., 1994, H. 1, 7 – 12.<br />

McLuhan, Marshall: Understanding Media. The Extensions of Man. London 1994.<br />

Merten, Klaus/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hrsg.): Die Wirklichkeit der <strong>Medien</strong>.<br />

Eine Einführung in die <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>. Opladen 1994.<br />

Meyrowitz, Joshua: No Sense of Place. The Impact of Electronic Media on Social Behavior. New<br />

York 1985.<br />

Müller, Hans-Peter: Das stille Ende der Postmoderne. In: Sonderheft Merkur, a. a. O. 975 – 981.<br />

Saxer, Ulrich: Messianismus und Wissenschaft bei Marshall McLuhan. In: Communicatio Socialis,<br />

1. Jg., 1968, H. 2, S. 81 – 93.<br />

Saxer, Ulrich: Von <strong>wissenschaft</strong>lichen Gegenständen und Disziplinen und den Kardinalsünden der<br />

Zeitungs-, Publizistik-, <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>. In: Beate Schneider/Kurt<br />

Reumann/Peter Schiwy (Hrsg.): Publizistik. Beiträge zur <strong>Medien</strong>entwicklung. Festschrift für<br />

Walter J. Schütz. Konstanz 1995, 39 – 55.<br />

Saxer, Ulrich: Fortschritt als Rückschritt? Konstruktivismus als Epistemologie einer <strong>Medien</strong>theorie.<br />

Kommentar zu Klaus Krippendorf. In: Günter Bentele/Manfred Rühl: (Hrsg.): Theorien<br />

öffentlicher Kommunikation. München 1993, 65 – 73.<br />

Saxer, Ulrich: Basistheorien und Theorienbasis in der <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>: Theorienchaos<br />

und Chaostheorie. In: Günter Bentele/Manfred Rühl (Hrsg.): Theorien öffentlicher<br />

Kommunikation. München 1993, 175 – 187.<br />

91


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Saxer, Ulrich: Konstituenten einer <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>. In: Helmut Schanze/Peter Ludes (Hrsg.):<br />

Qualitative Perspektiven des <strong>Medien</strong>wandels. Positionen der <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong> im Kontext<br />

„Neuer <strong>Medien</strong>“. Opladen 1997, 15 – 26.<br />

Seel, Martin: Philosophie nach der Postmoderne. In: Sonderheft Merkur, Heft 9/10, 52. Jg.,<br />

Sept./Okt. 1998, 890 – 897.<br />

Sokal, Alan/Jean Bricmont: Postmoderne in Wissenschaft und Politik. In: Postmoderne. Eine Bilanz.<br />

Sonderheft Merkur, Heft 9/10, 52. Jg., Sept./Okt. 1998, 929 – 943.<br />

Virilio, Paul: Krieg im Fernsehen. München/Wien 1993.<br />

Virilio, Paul: Rasender Stillstand. Frankfurt a. M. 1998.<br />

92


Der „Funktionsauftrag“ des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks – auf „Integration“ festgelegt oder selbst<br />

definiert?<br />

Anmerkungen zu drei Rechtsgutachten<br />

Karl-Heinz Ladeur<br />

Die neuere Diskussion um den „Funktionsauftrag“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

versucht, die Krise des Integrationsrundfunks durch zwei unterschiedliche Strategien<br />

rechtlich zu bewältigen. Bullingers Gutachten will den Public-Service-Rundfunk auf seine<br />

herkömmlichen politischen und kulturellen Aufgaben durch „materielle“ gesetzliche<br />

Vorschriften festlegen. Die Gutachten von Holznagel und Vesting wollen demgegenüber<br />

der professionellen Komponente des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mehr Autonomie<br />

einräumen. Der Beitrag versucht, die Vorzüge und Schwächen der beiden Konzeptionen<br />

zu analysieren.<br />

1. Bullingers Gutachten für die Bertelsmann-Stiftung: Schutz der Funktionserfüllung<br />

durch gesetzliche Zielvorgabe?<br />

Die rundfunkrechtliche Diskussion um den Begriff der „Grundversorgung“ und den<br />

Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Allgemeinen hat in<br />

jüngster Zeit eine Akzentverschiebung erfahren, die vor allem von Rechtsgutachten mit<br />

konträrer Tendenz auf den Begriff gebracht worden ist. Martin Bullinger 1 hat in seinem<br />

Gutachten für die Bertelsmann-Stiftung eine Konzeption entwickelt, die den „Funktionsauftrag“<br />

durch gesetzliche Vorgaben für den gegenständlichen Programmbereich<br />

und seine Wahrnehmung prozedural durch Selbstbündelung spezifiziert wissen will.<br />

Der Handlungsbereich der Rundfunkanstalten wird im bisherigen Verständnis der<br />

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor allem durch die „Grundversorgung“<br />

bestimmt. Die Definition dieses Begriffs ist selbst umstritten; jedenfalls kann man<br />

daran festhalten, dass – wie immer die Grundversorgung definiert wird – der „Funktionsauftrag“,<br />

ein Begriff, den auch das Bundesverfassungsgericht mehrfach verwendet<br />

hat, sich darin nicht erschöpft. Auch Bullinger will die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks nicht mit Hilfe eines eng und exklusiv verstandenen Konzepts der<br />

Grundversorgung derart begrenzen, dass z. B. die Veranstaltung von Spartenprogrammen<br />

und ähnliche Ergänzungsleistungen nicht mehr zulässig wären. Vielmehr will er<br />

diese im Anschluss an eine vergleichende Expertenuntersuchung zur Rolle des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks in Deutschland und anderen Ländern durch vier Teilfunktionen<br />

bestimmen: Die Integrationsfunktion (gesellschaftlicher Zusammenhalt), die Forumsfunktion<br />

(„zu Worte kommen“), die Komplementärfunktion (Ermöglichung auch<br />

von Sendungen, die „unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht angeboten wür-<br />

1 M. Bullinger: Die Aufgaben des öffentlichen Rundfunks – Wege zu einem Funktionsauftrag,<br />

Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 1999.<br />

93


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

den“, S. 8) und schließlich die Vorbildfunktion („Qualitätsstandards“). Bullinger wehrt<br />

sich allerdings gegen den Verdacht, die „Komplementärfunktion“ solle als „Kampfbegriff“<br />

gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Anschlag gebracht werden: Es gehe<br />

„ganz im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darum, dass der<br />

öffentlich-rechtliche Rundfunk die gesamte Breite der Vielfalt darstellen und dadurch<br />

komplettierend die Defizite des privaten Rundfunks abdecken soll“ (S. 9).<br />

Die Argumentation erscheint allerdings nicht ganz konsequent, denn die dem öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk zugeschriebenen Funktionen sollen doch „vor allem in solchen<br />

Sendungen zum Ausdruck“ kommen (9), die „einem gesteigerten öffentlichen Interesse<br />

entsprechen, wie Nachrichten, Informationen, Jugend- und Kultursendungen,<br />

und deshalb zum Kernbereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben gehören“. Dieser<br />

„‚Kernbereich‘ der Sendungen von besonderem öffentlichen Interesse“ soll durch<br />

gesetzliche Regelung und anstaltsinterne Selbstregelung näher bestimmt werden. Die<br />

Selbst- und Fremdbeobachtung der Wahrnehmung des „Funktionsauftrags“ soll dem<br />

Schutz der finanziellen Interessen der Zuschauer als Gebührenzahler, dem Schutz der<br />

privaten Veranstalter vor funktionswidriger Konkurrenz und dem Selbstschutz der Anstalten<br />

vor der Gefahr der Zweckverfehlung durch Nachahmung privater Programmformate<br />

mit dem Ziel der Rückgewinnung verlorener Zuschauer dienen. Das „Eindringen<br />

marktmäßiger Überlegungen“ (41) in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk müsse<br />

vor allem verhindert werden. Zugleich wird aber angenommen, der Verlust an Akzeptanz<br />

gerade bei den jüngeren Zuschauern (14- bis 29-Jährige: bis zu 72 %) zwinge die<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dazu, unter gewandelten Bedingungen darzutun,<br />

„welche Leistungen sie für die Gesellschaft erbringen, die vom ‚Markt‘ nicht oder<br />

nicht in derselben Qualität hervorgebracht werden können und deshalb den hohen Aufwand<br />

an öffentlichen Mitteln rechtfertigen“ (45). Deshalb sei „zu bedenken, ob nicht<br />

dem ‚öffentlichen‘ Rundfunk die besondere Aufgabe obliegt, auch bei digitaler Übertragung<br />

den Schwerpunkt des Angebots auf ein oder mehrere Vollprogramme (oder das,<br />

was funktional an ihre Stelle treten kann) in vertikaler, zeitlich abfolgender Vielfalt zu<br />

legen“ (48) und so eine Vielfaltsreserve für die Bürger zu erhalten, die „weiterhin im Zusammenhang<br />

und nicht nur selektiv informiert, gebildet und unterhalten sein wollen“.<br />

Die öffentlich-rechtliche Finanzierung sei jedenfalls nur zur Deckung der „besonderen<br />

Kosten ihrer öffentlichen Aufgaben“ zu rechtfertigen (51). Zur Konkretisierung des<br />

Funktionsauftrags hält Bullinger insbesondere „tageszeitgenaue“ Auflagen für die<br />

Berücksichtigung von Minderheitsinteressen in der Hauptsendezeit für erforderlich. Im<br />

Übrigen müssten Konkretisierungen des Programmauftrags im Wege der Selbstregulierung,<br />

insbesondere durch Auferlegung von Selbstverpflichtungen erfolgen, die aber<br />

auch aufsichtlich zu überprüfen seien.<br />

Nach Auffassung von Bullinger müsste der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten<br />

also materiell, d. h. durch gesetzliche Festlegung von vor allem kulturellen und<br />

politischen Zielen bestimmt werden, deren Formulierung sich in erster Linie an den<br />

tradierten Aufgaben des Integrationsrundfunks zu orientieren hätte. Demgegenüber<br />

träte die durch die Beteiligung der Gruppen selbst charakterisierte Autonomie der<br />

Zielbestimmung und -kontrolle über die Anstaltsorgane zurück. Damit kontrastiert<br />

der Ansatz von Holznagel und Vesting, die gerade umgekehrt die Auflösung der bisher<br />

stabilen Grenzen zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk durch<br />

eine stärkere Akzentuierung der prozeduralen Komponente des ersteren bewältigen<br />

wollen.<br />

94


Ladeur · Funktionsauftrag des Public Service<br />

2. Die Gutachten von Holznagel und Vesting: Ein Funktionsauftrag zur Selbstdefinition<br />

des Programms?<br />

Thomas Vesting setzt in dem von ihm bearbeiteten Teil des Gutachtens2 dagegen auf<br />

eine andere Konzeption des „Funktionsauftrags“ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten,<br />

die er im Anschluss an seine Arbeit zur „Prozeduralen Rundfunkfreiheit“ entwickelt:<br />

Es muss danach vor allem die „Autonomie des Prozesses der Rundfunkproduktion“<br />

geschützt werden (47). Das BVerfG habe den Begriff der „Grundversorgung<br />

dynamisch, als auf Selbständerung angelegt“ verstanden und deshalb in seinen neueren<br />

Urteilen auch stärker die Bedeutung der Programmfreiheit als Freiheit zur Selbstdefinition<br />

der Rundfunkaufgabe akzentuiert. 3 Dazu gehöre auch die Erhaltung und Entwicklung<br />

der Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zu den Privaten. Das Gericht habe darauf<br />

insistiert, dass der Rundfunk in die Lage versetzt werden müsse, „ein dem klassischen<br />

Rundfunkauftrag entsprechendes Programm für die gesamte Bevölkerung“ anzubieten,<br />

das „im Wettbewerb“ Bestand haben könne. Die für erforderlich gehaltenen Programme<br />

und Programmformate müssten von den öffentlich-rechtlichen Veranstaltern selbst<br />

definiert werden (56 f.). Einschränkend muss aber – wie auch Vesting einräumt (58) –<br />

beachtet werden, dass das BVerfG die Programmautonomie an einen „verfassungsrechtlich<br />

vorgegebenen und gesetzlich näher umschriebenen Programmauftrag“ bindet.<br />

Vereinfachend lässt sich diese Position so verstehen, dass der Funktionsauftrag vor allem<br />

ein „Auftrag zur Selbstorganisation“ ist (63), da die Anstalten in einer dynamischen<br />

Umwelt die Programmstrategien selbst entwickeln müssten. Ähnlich argumentiert auch<br />

Bernd Holznagel in seinem für das ZDF verfassten Gutachten4. Beide Konzeptionen beziehen sich auf den Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten<br />

Veranstaltern, ziehen aber daraus entgegengesetzte Konsequenzen: Bei Bullinger<br />

wird der Funktionsauftrag innerhalb der dualen Rundfunkordnung daran orientiert,<br />

dass der private Rundfunk, aber auch die Multimediadienste eine Fülle individualisierter<br />

und fragmentierter Teilleistungen erbracht hätten und der öffentlich-rechtliche<br />

Rundfunk sich mit seinem klassischen Programmauftrag vor allem an die verbliebenen<br />

Zuschauer wenden müsse, die an einem entsprechenden Angebot interessiert blieben.<br />

Dagegen ist Vesting der Auffassung, dass gerade die Veränderung der Rundfunkbedingungen<br />

verfassungsrechtlich dadurch zu bewältigen seien, dass die Freiheit zur Selbstdefinition<br />

des Rundfunks zur Entwicklung einer größeren Variationsbreite der Angebote<br />

genutzt werden könne und müsse. Deshalb sei es u. a. auch zulässig, jenseits der<br />

„integrativen“ Programme die „Kernzielgruppe der 25- bis 49-Jährigen“ durch neue<br />

Angebote anzusprechen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dürften sich<br />

nicht in eine „kulturelle Nischenfunktion“ abdrängen lassen (69).<br />

2 B. Holznagel / Th. Vesting: Sparten- und Zielprogramme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk,<br />

Baden-Baden 1999.<br />

3 BVerfGE 90, 60, 90 ff.<br />

4 B. Holznagel: Der spezifische Funktionsauftrag des Zweiten Deutschen Fernsehens, ZDF<br />

Schriftenreihe Nr. 55, Mainz, April 1999.<br />

95


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

3. Das Bundesverfassungsgericht und die Grundversorgung – Bindung an die „Integrations“-Funktion?<br />

Eine genauere Bestimmung der Tragfähigkeit des Konzepts der „Grundversorgung“ für<br />

die Weiterentwicklung des Rundfunkverfassungsrechts ist nur zu gewinnen, wenn man<br />

den Blick zurück auf die Anfänge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

zur Funktion der Rundfunkfreiheit als einer „dienenden Freiheit“ wendet. Insbesondere<br />

im zweiten Rundfunkurteil5 hat das BVerfG das gesamte Programm an die Funktion<br />

der „Integration“ gebunden, die stark um das politische System zentriert ist: „Der<br />

Rundfunk wirkt auch mit den Sendungen außerhalb des Bereichs der eigentlichen Information<br />

und politischen Unterrichtung an der Meinungsbildung mit“. Meinungsbildung<br />

geschieht danach auch in „Hörspielen und musikalischen Darbietungen“. 6 „Das<br />

Sendeprogramm kann infolge dessen nicht in einzelne Teile zerlegt werden, sondern<br />

muss als einheitliche Veranstaltung gesehen werden.“ In späteren Urteilen zum Begriff<br />

der „Grundversorgung“ wird dies stets vorausgesetzt, wenngleich das Bundesverfassungsgericht<br />

sich später vielfach nur vage in diese Richtung äußert. Immer wieder betont<br />

das Gericht, es komme darauf an, dass die „in Betracht kommenden gesellschaftlichen<br />

Kräfte (!) im Gesamtprogramm zu Worte kommen“ 7. Der Rundfunk „gibt dem<br />

Einzelnen und den gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit zu meinungsbildendem<br />

Wirken“.<br />

Man muss zum Verständnis dieser Rechtsprechung auch die Urteile zur Funktion der<br />

politischen Parteien heranziehen: Der Rundfunk ist danach der erste Ring in einem System<br />

konzentrischer Kreise; dessen zweiten Ring bilden die Parteien, die „Zwischenglieder<br />

zwischen Bürger und den Staatsorganen“. Die politischen Parteien sammeln und leiten<br />

die auf die politische Macht bezogenen Meinungen, Interessen und Bestrebungen,<br />

sie „gleichen sie in sich aus und formen sie zu Alternativen, unter denen die Bürger auswählen<br />

können“ 8. Den inneren Kreis dieses Integrationsgefüges bilden die „politischen<br />

Führungsorgane des Staates“. Ob die Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

für die Vergangenheit damit angemessen beschrieben worden ist, sei dahingestellt. Dass<br />

dies für die Gegenwart aber nicht mehr zutrifft, sollte außer Frage stehen. Damit wird<br />

letztlich die Eigenständigkeit der <strong>Medien</strong>, hier des Rundfunks, politisch funktionalisiert,<br />

wenngleich nicht für eine bestimmte politische Richtung. Ob dies aber mit der Autonomie<br />

der <strong>Medien</strong> vereinbar ist, die das Grundgesetz durch die objektiv-rechtlich zu<br />

verstehende Rundfunkfreiheit gewährleisten wollte, ist zweifelhaft.<br />

4. Programmautonomie oder Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor<br />

sich selbst?<br />

Jedenfalls erklären sich aus dieser Funktionsbindung des Rundfunks die Versuche, seine<br />

abnehmende faktische Fähigkeit zur Integration dann auf diejenigen Rezipienten zu<br />

beschränken, die für die klassische „Rundfunkvielfalt“ noch zu erreichen sind oder ihn<br />

materiell auf die Produktion eines feststehenden Bestandes „meritorischer Güter“ zu<br />

5 BVerfGE 31, 309, 312; aber auch 12, 205, 259.<br />

6 BverfGE 12, 260.<br />

7 BVerfGE 31, 314,325; 35, 202, 222; 73, 118 ff.<br />

8 BVerfGE 44, 125,145f.<br />

96


Ladeur · Funktionsauftrag des Public Service<br />

beschränken, die auf dem Markt nicht produziert werden. Das eine wäre die Option für<br />

eine Art „Schmalspurintegration“, das andere läuft auf die gesetzlich definierte Kompensation<br />

von Marktversagen hinaus. Dies wäre aber keine Konzeption, die der Autonomie<br />

der <strong>Medien</strong>, insbesondere des Rundfunks, als eines Teilsystems der Gesellschaft<br />

gerecht wird. Bei Bullinger reduziert sich die Integrationsfunktion des Rundfunks darauf,<br />

dass er zum „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ beitragen soll. Diese Konzeption<br />

bleibt jedoch konturlos, wenn man das Integrationsverständnis von seinen politischen<br />

Referenzen befreit. Alle gesellschaftlichen Kommunikationen können irgendwie „zum<br />

gesellschaftlichen Zusammenhalt“ beitragen – dies gilt auch für die Nachmittagsshows<br />

der privaten Veranstalter.<br />

Charakteristisch ist aber gerade die Zentrierung des öffentlichen Rundfunks um die Politik<br />

und ein gesamthaftes Verständnis von Kultur.<br />

Bei Holznagel und Vesting wird demgegenüber die prozedurale Selbstdefinition der<br />

Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von der Bindung an den Gruppenpluralismus<br />

gelöst und mit der professionellen Komponente der Rundfunkorganisation verknüpft.<br />

Das Vertrauen in die Leistungen der Gruppen ist auch bei diesen Autoren eher<br />

begrenzt. Das bedeutet, der Rundfunk wählt letztlich seine Aufgaben selbst, da weder<br />

das Gesetz noch der Gruppenpluralismus ausreichende Orientierung im Angesicht des<br />

schnellen Wandels und der Veränderungen der Öffentlichkeit bieten können. Die „prozedurale“<br />

Konzeption des Funktionsauftrags gerät so aber in eine gefährliche Nähe zur<br />

Tautologie: Der Public Service ist das, das die Anstalten als solchen definieren. Dieser<br />

Gefahr ist nur dann zu entgehen, wenn die Funktion der Massenmedien zunächst eigenständig<br />

bestimmt und darauf erst die Selbstdefinition als Kern der Rundfunkautonomie<br />

bezogen wird.<br />

5. Die Autonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Teil der Autonomie der<br />

Massenmedien<br />

Die prozedurale Konzeption des Funktionsauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

gerät durch ihre Offenheit in eine gefährliche Nähe zur Tautologie: Die Funktion<br />

des Rundfunks wird durch den Rundfunk selbst definiert. Dieser Gefahr ist nur dann<br />

zu entkommen, wenn die Funktion der <strong>Medien</strong> insgesamt zunächst eigenständig (neu)<br />

bestimmt wird, und die Konsequenzen aus der Lockerung der Bindung an den mit der<br />

Verteilungsknappheit verknüpften Gruppenpluralismus für den Rundfunk gezogen<br />

werden.<br />

Hier bietet sich ein Anschluss an die Luhmannsche systemtheoretische Begriffsbildung<br />

an: Man muss nur die Autonomie der Massenmedien begrifflich schärfer fassen und sie<br />

aus der unproduktiven Bindung an die politische Integrationsfunktion befreien. Die<br />

„Funktion der Massenmedien“ besteht danach in der ständigen Erzeugung und Bearbeitung<br />

von Irritation. 9 Nur auf dieser Grundlage ist es – nach Luhmann – möglich, die<br />

„moderne Gesellschaft in ihrem <strong>Kommunikations</strong>vollzug endogen unruhig einzurichten<br />

wie ein Gehirn und sie damit an einer all zu starken Bindung an etablierte Strukturen<br />

zu hindern“ (175). Als faktische Leistung stellt sich dann nicht „Integration“ ein,<br />

sondern „die Welt- und Gesellschaftsbeschreibungen, an denen sich die moderne Gesellschaft<br />

innerhalb und außerhalb des Systems ihrer Massenmedien orientiert“.<br />

9 N. Luhmann: Die Realität der Massenmedien, 2. Aufl., Opladen 1996, S. 174.<br />

97


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Über diesen theoretischen Zwischenschritt ließe sich die öffentlich-rechtliche Organisation<br />

des Rundfunks als ein institutioneller Versuch beschreiben, die besonderen Risiken,<br />

die mit der Zeitabhängigkeit des Rundfunks verbunden sind (hohe Investitionskosten,<br />

Ungewissheit der Abschätzung des Zuschauerinteresses), und den davon ausgehenden<br />

besonderen Konformitätsdruck zu begrenzen. Der Bezug auf die Unterscheidung<br />

von Mehrheits- und Minderheitsinteressen führt in die Diskussion um die „Grundversorgung“<br />

leicht einen falschen paternalistischen Zungenschlag ein. Diese medienökonomischen<br />

Risiken werden durch den Preisauftrieb bei den Programmrechten noch gesteigert.<br />

Die öffentlich-rechtliche Organisationsform soll dazu dienen, den „Varietätspool“<br />

der Programmkomponenten und -formate zu erhalten; deshalb darf und muss der<br />

Rundfunk auch durchaus bewährte massenwirksame Komponenten weiterentwickeln,<br />

zumal auch die Öffentlich-Rechtlichen das Recht haben müssen, im Angesicht der Ungewissheit<br />

der Erwartungen eine „Marke“ zu entwickeln, an der sich Zuschauer orientieren<br />

können. Trotz des häufigen Wechsels zwischen den Kanälen ist es keineswegs so,<br />

dass die Angebote in einem unstrukturierten offenen Optionenraum aufgehen. Auf diesem<br />

Hintergrund erhält die Akzentuierung der Fähigkeit der öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunkanstalten zur Selbstdefinition ihres Programms ihre Konturen.<br />

Der alte „Integrationsrundfunk“ war auf eine nicht unproblematische Weise an das politische<br />

System gekoppelt, der private Rundfunk ist in erheblichem Maße ökonomischen<br />

Zwängen ausgesetzt, die seine Autonomie begrenzen. Dieser Gedanke der Bindung von<br />

Ungewissheit durch die öffentlich-rechtliche Organisation und die dadurch gewährleistete<br />

Fähigkeit zur Selbstdefinition lässt die von Bullinger stärker akzentuierte Notwendigkeit<br />

zur Selbstbeobachtung und Evaluation der Leistung des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks in einem anderen Licht erscheinen. Dies erscheint als ein durchaus fruchtbarer<br />

Gedanke, zumal die Gewährleistung von Vielfalt durch den Rundfunkrat stark auf<br />

relativ einfache politische Alternativen festgelegt zu sein scheint. Selbstentwurf und<br />

Selbstbeobachtung der Öffentlich-Rechtlichen müssten stärker nach Qualitätszielen<br />

differenziert und dadurch sowohl transparent als auch auf externe (nichtstaatliche)<br />

Fremdevaluation angelegt werden. Auf dieser Grundlage ließe sich auch nach einer neuen<br />

Funktionsverteilung zwischen gesetzlicher Fremd- und autonomer Selbstregulierung<br />

der Rundfunkanstalten suchen. Die Verknüpfung der Kernaufgabe der Grundversorgung<br />

mit einer Mehrzahl unterschiedlicher Spartenprogramme und Multimediadienste<br />

erscheint durchaus legitim, solange sich diese Programme und Dienste zu einem Netzwerk<br />

verknüpfen lassen, das auf die Erhaltung der Offenheit des Rundfunkproduktionsprozesses<br />

festgelegt ist und nicht primär destruktiv privaten Veranstaltern, etwa<br />

durch Vervielfachung ähnlicher Programme, Zuschauer bzw. Hörer abjagen soll. Dazu<br />

könnte eine zahlenmäßige Beschränkung der Programme beitragen, die die Öffentlich-<br />

Rechtlichen jedenfalls daran hindert, „more of the same“ zu produzieren, etwa zwei musikbasierte<br />

Jugendprogramme, die sich an dieselbe Altersgruppe wenden. Die zwangsläufig<br />

sich vollziehende Ablösung von der Orientierungsleistung des Binnenpluralismus<br />

der Gruppen, die den Rundfunk eher inhaltlich an ein relativ festliegendes Spektrum<br />

kultureller Vielfalt gebunden haben, muss als Randbedingung für die Neujustierung des<br />

Funktionsauftrags akzeptiert werden.<br />

Es sollte immerhin deutlich geworden sein, dass die Akzentuierung der Autonomie der<br />

Massenmedien zu einer neuen prozeduralen Legitimation des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks beitragen kann; Voraussetzung dafür ist aber die Auflösung der Verbindung<br />

mit einem problematischen Verständnis des „Integrationsrundfunks“, der im Zeitalter<br />

der Fragmentierung der Öffentlichkeiten seine Grundlage verliert. Nur dann ist auch<br />

98


Ladeur · Funktionsauftrag des Public Service<br />

das Konzept der prozeduralen Rundfunkfreiheit nachvollziehbar: Es dient dann dazu,<br />

den „Varietätspool“ der Gesellschaft zu erhalten und dafür in Gestalt der öffentlichrechtlichen<br />

Rundfunkanstalten eine Corporate Identity zu finden. Demgegenüber ist<br />

der private Rundfunk sehr viel stärker den Risiken der Programmproduktion und deren<br />

Finanzierung ausgesetzt, in der Wahl seiner Themen und Formen wird er durch<br />

ökonomische Zwänge begrenzt.<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat immer die objektiv-rechtliche Bedeutung der als<br />

Vielfaltsgarantie verstandenen Rundfunkfreiheit akzentuiert und ein subjektives Recht<br />

auf ein „Zuwortekommen“ der im Rundfunkrat vertretenen Organisationen verworfen.<br />

Dann muss sich auch die Aufgabe des Gruppenpluralismus verändern können. Die Repräsentation<br />

der Gruppen konnte unter den Bedingungen der Vergangenheit den Rundfunk<br />

auf politische „Integration“ verpflichten – was immer das im Einzelnen bedeuten<br />

mag. Aufgrund der gesteigerten Dynamik der Rundfunkentwicklung sollte eine Akzentverschiebung<br />

möglich sein: Der Gruppenpluralismus dient dann eher dazu, die ökonomischen<br />

Zwänge abzupuffern, unter denen ein werbungsfinanzierter Rundfunk steht,<br />

und eine nach medieninternen Gesichtspunkten fungierende Autonomie gegen „Korruption“<br />

durch Eigeninteressen der <strong>Medien</strong>produzenten zu sichern. Der Rückgriff auf<br />

die „Integrationsaufgabe“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks10 führt in eine Argumentationsfalle:<br />

Die Investition in „massenattraktive Bereiche“ wird dann zu einer Art<br />

Eigenwerbung mit dem Ziel, „das Abwandern von Zuschauern zu verhindern“. Unter<br />

der Hand wird das Rezipieren von öffentlich-rechtlichen Programmen schlechthin dann<br />

selbst zur gelungenen „Integration“. Insbesondere das ARD-Papier verstrickt sich hier<br />

ganz offen in Widersprüche. So werden auf der einen Seite „überdurchschnittliche Anstrengungen“<br />

in Bereichen „verlangt, die von Privatsendern dominiert werden“ (S. 21).<br />

Dazu wird auch der „Spitzensport“ gerechnet. Im gleichen Atemzug wird aber diese<br />

Aktivität damit legitimiert, dass sonst „viele Zuschauer nicht mehr zu erreichen“ seien.<br />

Eine solche Entwicklung wird als Nichterfüllung des „Integrationsauftrags“ interpretiert.<br />

Diese Argumentation erscheint schwer nachvollziehbar, läuft sie doch darauf hinaus,<br />

gerade die teuersten Programme, Sportübertragungen, Hollywood-Filme, große<br />

Shows letztlich als „Zugaben“ anzusehen, deren Annahme den Zuschauer vielleicht veranlassen<br />

könnte, sich auf den eigentlichen „Integrationsauftrag“ einzulassen. Dies müsste<br />

schon wegen der Kosten als völlig unverhältnismäßig angesehen werden, zumal im<br />

Zeitalter des Zappens die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zuschauer durch das Betrachten<br />

von Spitzensportereignissen ein Interesse an „Panorama“ gewinnen könnte, nicht besonders<br />

groß sein dürfte. Wenn die Öffentlich-Rechtlichen den „Integrationsauftrag“ so<br />

sehr ins Zentrum rücken, unterstützen sie ungewollt die Argumentation der Privaten,<br />

die konsequenterweise ein verstärktes Engagement gerade im Kernbereich des „Integrationsrundfunks“<br />

verlangen. Gerade im Bereich der Sportübertragungen ist die<br />

Eigenständigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch kaum besonders ausgeprägt.<br />

Deshalb ist es hier besonders schwer nachvollziehbar, dass Hunderte von Millionen<br />

DM für Sportrechte ausgegeben werden sollen, nur damit das „Abwandern“ von<br />

Zuschauern (nicht einmal aus dem Kernbereich des Integrationsfunks!) verhindert werden<br />

kann.<br />

10 Vgl. das Grundsatzpapier der ARD zur Perspektive des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in:<br />

epd medien Nr. 9 v. 6.2.1999, S. 1 ff.<br />

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M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

6. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die neuen Probleme der <strong>Medien</strong>ökonomie<br />

Bullinger trifft durchaus einen schwachen Punkt der Organisation des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks, wenn er auf Tendenzen zur Anpassung an die Bedingungen der<br />

Kommerzialisierung in der dualen Rundfunkordnung hinweist. Man muss sich in der<br />

Tat fragen, wie der Prozess der Selbstdefinition des öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

nach der Abschwächung der Orientierung durch Gruppenpluralismus auf die Veränderungen<br />

im System des Vielkanalfernsehens eingestellt ist: Die Gruppenstruktur ist ihrerseits<br />

eine Frucht der Koppelung des Rundfunksystems an das politische. Es setzt die<br />

Zentrierung um ein politisches Forum der Gesellschaft voraus und versucht, die Verknüpfung<br />

des Mediums mit der Politik durch Pluralisierung abzuschwächen und für<br />

Veränderung offen zu halten. Wenn die Gewichte innerhalb der Vollprogramme, aber<br />

auch im Netzwerk der Spartenprogramme und Zusatzinformationen (Online) sich verschieben,<br />

ist es erforderlich, mindestens über ergänzende Formen der Selbstregulierung<br />

des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nachzudenken, die das Konzept der „Prozeduralisierung“<br />

jenseits der bloßen Verweisung an das professionelle Selbstverständnis der<br />

Programmmacher mit Leben füllen könnten. In dieser Hinsicht ist Bullingers Überlegung<br />

über eine genauere gesetzliche Definition eines zugleich erweiterungsfähigen<br />

„Funktionsauftrags“ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt und deren Verknüpfung<br />

mit einem System der Selbst- und Fremdevaluation durchaus produktiv. Darauf<br />

haben die Öffentlich-Rechtlichen bisher nur defensiv reagiert, wenngleich tatsächlich<br />

mit dem „Qualitätsmanagement“ durch Programmbeobachtung schon experimentiert<br />

wird. Andererseits ist ein eng definierter Funktionsauftrag – wie er Bullinger vorschwebt<br />

– nicht angemessen. Dass er kaum mit der Rechtsprechung des BVerfG vereinbar<br />

ist, mag angesichts des qualitativen Wandels des Rundfunksystems, der dieser<br />

Rechtsprechung selbst den Boden entziehen wird, nicht mehr stark ins Gewicht fallen.<br />

Letztlich steht aber hinter dem Gutachten die Vorstellung von der Normalität einer privatwirtschaftlichen<br />

<strong>Medien</strong>struktur, gegenüber der sich der Rundfunk durch eine besondere,<br />

Marktdefizite kompensierende Leistung legitimieren muss. Bullinger geht davon<br />

aus, dass das Rundfunksystem sich mehr und mehr der Struktur der Presse annähert<br />

und deshalb der öffentlich-rechtliche Rundfunk als ein Rudiment der früheren Ordnung<br />

einer neuen Rechtfertigung bedarf. Diese Überlegung geht m. E. daran vorbei, dass die<br />

Veränderungen der <strong>Medien</strong> im Zuge der Digitalisierung eine Innovation ist, die nach<br />

neuen Rechtsformen verlangt, nicht aber eine Ausdehnung der Normalität des Marktes<br />

auch auf das Rundfunksystem bedeutet: Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass die<br />

Lösung des Problems der Verteilungsknappheit (der Sendemöglichkeiten), zu dessen<br />

Abspannung der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch gegründet worden ist, ein neues<br />

Problem geschaffen oder jedenfalls sichtbar gemacht hat, nämlich das der Produktionsökonomie<br />

der Programme und des schnellen Wandels der Zuschauerinteressen, die sich<br />

ihrerseits nicht mehr an stabilen Gruppenpositionen orientieren: An die Stelle der<br />

Knappheit der Sendemöglichkeiten tritt in Zukunft mehr und mehr die Knappheit der<br />

Programme. Die Preise für attraktive Programme (Filme, Sport, „Big Events“) steigen<br />

seit Jahren. Dies hängt nicht nur mit dem Massengeschmack zusammen, an dem sich<br />

das Fernsehen nun einmal orientieren muss, sondern auch mit den spezifischen Risiken<br />

der Fernsehökonomie als einer „Ökonomie des Neuen“. Die Programme müssen einerseits<br />

neu (d. h. unbekannt) sein und zugleich aber bestimmte vorhandene Erwartungen<br />

des Zuschauers ansprechen, weil sonst auch die Filme, von denen sich im Nachhinein<br />

herausstellt, dass sie dem Publikum gefallen hätten, nicht gesehen werden. Dies führt<br />

100


Ladeur · Funktionsauftrag des Public Service<br />

zu einer überproportionalen Preissteigerung bei bestimmten Genres, weil „das Neue“,<br />

das schon einmal Aufmerksamkeit gefunden hat (durch die „Wiedererkennung“ von<br />

„Stars“ oder durch bestimmte Sendeformate, Serien etc.), eine Exklusivität erzeugt, die<br />

zum Monopol tendiert. Dies wird besonders deutlich im Sport. Die Spiele der Fußballbundesliga<br />

konkurrieren weder mit anderen Unterhaltungsangeboten noch untereinander.<br />

Dadurch werden die Programme immer teurer, eine Entwicklung, die die Refinanzierung<br />

durch Werbung gefährdet. Dies wirkt sich im Free-TV in einer extremen Auseinanderentwicklung<br />

von teuren und billigen Programmen aus, die die Preissteigerung ausgleicht.<br />

(Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das starke Interesse an „Erotik“-Filmen<br />

zu sehen: Sie erlauben eine ideale Verknüpfung von niedrigen Kosten, gesicherter Erwartung<br />

und Produktion des „Neuen“.)<br />

Auch die Probleme der Effizienz der Werbung (Streuverluste bei Fragmentierung der<br />

Interessen) zwingen das Free-TV dazu, in Zukunft immer mehr die tradierten Grenzen<br />

zwischen Werbung und Programm durch neue „hybride“ Formate in Frage zu stellen.<br />

Dazu gibt es eindeutige strategische Erklärungen der großen privaten Veranstalter; diese<br />

Tendenz wird sich kaum aufhalten lassen, wenn man nicht die Finanzierung von Free-<br />

TV privater Veranstalter gefährden und die Tendenz zur Entwicklung von Pay-TV noch<br />

stärker fördern will. Auch diese Entwicklung zeigt, dass das Rundfunksystem sich insgesamt<br />

in einem Wandlungsprozess befindet, den man nur verfehlen kann, wenn man<br />

das Augenmerk – wie Bullinger dies tut – primär auf den Veränderungsdruck lenkt, unter<br />

dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht. Die Tendenz zur Entwicklung neuer<br />

Werbeformen wird insbesondere durch die Probleme der Finanzierung teurer werdender<br />

Programme verstärkt.<br />

7. Zu den Möglichkeiten und Zwängen der Bildung von „Marken“ für öffentlichrechtliche<br />

und private Fernsehveranstalter<br />

Der Druck zur Erschließung neuer Finanzierungsquellen, der auf den privaten Veranstaltern<br />

lastet, ist zugleich ein neuer Grund dafür, innerhalb eines multipolaren <strong>Medien</strong>systems<br />

jenseits der dualen Rundfunkordnung jedenfalls ein von den Zwängen der<br />

<strong>Medien</strong>wirtschaft stärker abgekoppeltes <strong>Medien</strong>system aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren.<br />

Die vordergründige Marktorientierung der Kritiker des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks übergeht auch die Zwänge zur Eigenwerbung der Veranstalter mit Programmen,<br />

die für das Neue werben müssen und infolge dessen nicht klaren Präferenzen<br />

der Zuschauer entsprechen können. Damit stehen die Fernsehveranstalter mehr als in<br />

der Vergangenheit unter dem Zwang, eine „Marke“ aufzubauen, die die Aufmerksamkeit<br />

der Zuschauer binden und Interesse auch jenseits der gerade konsumierten Programmelemente<br />

(z. B. Fußballberichte) erzeugen kann. Dies zeigt sich bei den Privaten<br />

daran, dass sie die Kosten der Fußballberichterstattung nicht mehr aus der Werbung finanzieren<br />

können, aber sich dennoch einen Gewinn durch die Möglichkeit zur Platzierung<br />

von spezifischer Eigenwerbung oder allgemein durch (Sympathie-)Werbung für<br />

das gesamte Programm erhoffen. Dies hängt wiederum damit zusammen, dass die<br />

Schwierigkeit der Bestimmung der Zuschauerpräferenzen ihre Kehrseite in einer gewissen<br />

„Volatilität“ der Aufmerksamkeit für Anregungen besteht. Nicht zuletzt deshalb ist<br />

auch ein jüngeres Publikum für die Privaten interessanter als ein älteres: Das jüngere ist<br />

offener für das Neue und kann dafür leichter mobilisiert werden. Dies bietet auch die<br />

Möglichkeit zur Entwicklung einer „Marke“, mit der sich Erwartungen bilden und bin-<br />

101


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

den lassen. Auch das künftige Vielkanalfernsehen (insbesondere das digitale Pay-TV)<br />

wird nicht – wie Bullinger zu meinen scheint – dem Zuschauer einzelne Programmsegmente<br />

anbieten können – dies wäre wegen der besonderen Bedingungen der <strong>Medien</strong>ökonomie<br />

viel zu riskant für die Veranstalter –, sondern eben eine „Marke“ entwickeln,<br />

die die Aufmerksamkeit des Zuschauers unter Bedingungen von Teilwissen gewinnen<br />

kann. 11<br />

Auch dies ist ein Grund dafür, dass die öffentlich-rechtlichen Veranstalter nicht nur Programmelemente<br />

anbieten können, die von den Privaten nicht ausreichend produziert<br />

werden. Die „Marke“, die die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihrerseits bilden müssen,<br />

muss eigenständig bestimmt werden können und dynamisch, d. h. auf Veränderung angelegt<br />

sein, weil sonst der Zugang zu einem größeren Publikum nicht gewonnen werden<br />

kann. Die Öffentlich-Rechtlichen von vornherein auf bestimmte Programmsegmente<br />

festzulegen, würde der Dynamik des neuen <strong>Medien</strong>systems widersprechen. Deshalb<br />

müssen den Öffentlich-Rechtlichen alle Formate einschließlich der Unterhaltung offen<br />

stehen. Wie ein Vielfaltskonzept unter veränderten Bedingungen formuliert werden<br />

kann, muss von den Veranstaltern in einem Prozess der Selbstdefinition und der Selbstund<br />

Fremdevaluation festgelegt werden; in dieser Hinsicht ist das weiter gefasste Verständnis<br />

der Autonomie der Rundfunkanstalten insbesondere bei Vesting durchaus<br />

funktional.<br />

Diese Überlegung zur Bedeutung der Markenbildung lässt sich am Beispiel der Werbung<br />

der Pay-TV-Veranstalter demonstrieren: DF 1 und Premiere haben mit einem<br />

Bündel von Programmangeboten geworben, für das eine gemeinsame Marke aufgebaut<br />

wurde (Premiere World), an die jeweils spezifische Werbung für einzelne Angebote angekoppelt<br />

werden kann. Wenn man dies berücksichtigt, ist es auch unter Bedingungen<br />

des Vielkanalfernsehens sinnvoll, öffentlich-rechtlichen Veranstaltern die Entwicklung<br />

von Vollprogrammen nach einem offenen Vielfaltskonzept mit verschiedenen Programmelementen<br />

vorzugeben, um das dann entsprechend den sich verändernden Nutzergewohnheiten<br />

Spartenkanäle und weitere Zusatzangebote gruppiert werden, die bestimmte<br />

Schwerpunkte eines Public-Service-Fernsehens bilden. Es mag durchaus sein,<br />

dass die Entwicklung des Pay-TV und des Internet-TV möglicherweise zu einer so<br />

grundlegenden Veränderung der <strong>Medien</strong>nutzung führt, dass auch dieses Konzept des<br />

Fernsehens sich nicht mehr halten lässt. Einstweilen ist dies aber nur Spekulation. D. h.<br />

wenn man den Akzent stärker bei der Produktion vielfältiger Programme und Programmsegmente<br />

setzt, besteht vorläufig kein Grund dafür, das Spektrum der Angebote<br />

der Öffentlich-Rechtlichen thematisch zu beschränken oder den öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk auf tradierte Angebotsformen festzulegen, wie Bullinger dies offenbar für<br />

richtig hält.<br />

8. Prozeduralisierung des Rundfunks durch den Zwang zum Entwurf und zur<br />

Evaluation eines auf Veränderung angelegten markenbildenden „Konzepts“<br />

Andererseits ist entsprechend den oben angestellten Überlegungen durchaus eine prozedurale<br />

Form der Reflexion der Leistungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu<br />

entwickeln, durch das diese ihre eigene „Marke“ bestimmen und für die Öffentlichkeit<br />

11 Vgl. dazu allg. C. Shapiro/ H. R.Varian: Information Rules – A Strategic Guide to the Network<br />

Economy, Boston 1998; M. J. Wolf: The Entertainment Economy, New York 1999.<br />

102


Ladeur · Funktionsauftrag des Public Service<br />

transparent machen könnten. Dazu besteht durchaus Anlass, weil tatsächlich bestimmte<br />

Anpassungen an die „Marken“ der Privaten zu beobachten sind, die die Frage nach<br />

der Legitimation einzelner Programmteile aufwerfen. D. h. es ist durchaus richtig, dass –<br />

wie Vesting und Holznagel betonen – die Autonomie der Rundfunkanstalten sich auch<br />

auf die Definition des Programmspektrums selbst beziehen muss, andererseits ist es aber<br />

erforderlich, ein prozedurales, nicht allein auf den Gruppenpluralismus basierendes<br />

Strukturelement in die Regulierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einzubauen,<br />

das diese Säule des multipolaren Rundfunksystems darauf festlegt, auch ein – wenn auch<br />

variables – Konzept zu definieren und ihre Programmpraxis daran messen zu lassen. Die<br />

auch rechtlich abgestützte Notwendigkeit zur Selbstfestlegung der öffentlich-rechtlichen<br />

Anstalten wird nicht nur durch unreflektierte Tendenzen zur Selbstanpassung an<br />

Bedingungen der Kommerzialisierung, sondern auch durch Äußerungen aus dem Bereich<br />

der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bestätigt: So hat z. B. Peter Voß,<br />

Vorsitzender der ARD und Intendant des Südwestrundfunks, die Beteiligung der Öffentlich-Rechtlichen<br />

an Fußballübertragungen mit den Zwängen der politischen Legitimation<br />

der Rundfunkgebühr begründet. Dies ist letzten Endes nichts anderes als eine<br />

Umformulierung der „Quote“ als Kriterium für die Programmwahl. Der Ansatz erscheint<br />

auch insofern widersprüchlich, als angesichts der Kosten der Senderechte entweder<br />

eine Verteilung durch Umwidmung zu Lasten anderer Programmkomponenten<br />

stattfinden müsste oder die Gebühr allein zur Finanzierung von Sportübertragungen erhöht<br />

werden müsste. Diesem Dilemma darf sich eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt<br />

anders als ein privater Veranstalter nicht aussetzen. Die Akzentverlagerung zur<br />

Produktion rechtfertigt allerdings auch ein stärkeres Engagement der Öffentlich-Rechtlichen<br />

in der Entwicklung von Online- und anderen <strong>Medien</strong>diensten, insbesondere zur<br />

Nutzung des Internet und anderer neuer Technologien (wie des UMTS).<br />

Die Diskussion über den „Funktionsauftrag“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

(Public Service Broadcasting) wird auch in anderen Ländern geführt, so etwa in Großbritannien<br />

über die Stellung der BBC. Die Vorschläge der zu ihrer Überprüfung eingesetzten<br />

Kommission gehen dahin, die kommerziellen Aktivitäten (BBC-World), die die<br />

BBC unternimmt, durch Privatisierung abzutrennen, im Übrigen die Mittel der BBC gerade<br />

für die Nutzung des Internet und anderer neuer Sendeformen jedenfalls für einige<br />

Jahre durch einen Aufschlag auf den Kaufpreis digitaler Fernsehgeräte zu finanzieren,<br />

d. h. die BBC soll nicht auf ihre traditionelle Funktion zurückgeführt werden. Die BBC<br />

hat ihre Internet-Angebote übrigens inzwischen so weit ausgebaut, dass in der Literatur<br />

von der besten Web-Site im englischen Internet die Rede ist, dessen Inhalte häufig abgerufen<br />

werden. Allerdings wird dies in Zukunft die Abgrenzung eigener Angebote von<br />

denjenigen erschweren, zu denen über die Portalfunktion (mit entsprechenden Werbemöglichkeiten)<br />

der Zugang eröffnet wird. Dies bestätigt die Überlegung, dass die Zukunft<br />

des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch und gerade von den Möglichkeiten<br />

zum Aufbau von Internet-Fernsehen und anderen Multimedia-Angeboten bestimmt<br />

werden muss und nicht an der gesetzlichen Befestigung des Status quo.<br />

Der „Funktionsauftrag“ der Öffentlich-Rechtlichen kann deshalb nicht in einer materiellen<br />

Festlegung bestimmter Funktionen bestehen (Integration, Vorbild, Forum etc.), er<br />

muss mehr Flexibilität für die Selbstdefinition unter Berücksichtigung der wachsenden<br />

Bedeutung der Produktion von Inhalten gewähren. Dies darf aber nicht, wie die Gutachten<br />

von Vesting und Holznagel teilweise nahe legen, mit einer unstrukturierten Autonomie<br />

gleichgesetzt werden. Die angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten erweiterte<br />

Autonomie der Programmentwicklung und der Zwang zur Eröffnung von Experimen-<br />

103


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

tierspielräumen ist auf der anderen Seite durch gewisse prozedurale Vorgaben für die<br />

Offenlegung der Entwicklungsstrategie, der Formen der Selbst- und Fremdevaluation<br />

für die variable Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu strukturieren. So kann<br />

es z. B. im Angesicht der Kosten-Nutzen-Relationen durchaus erforderlich werden, bestimmte<br />

Formate und Komponenten ganz oder teilweise aufzugeben, wie z. B. die Direktübertragung<br />

von Sportereignissen, nicht aber die Sportberichterstattung. Hier orientiert<br />

sich die Selbstwahrnehmung der Anstalten vielfach zu sehr an der eigenen Vergangenheit<br />

und an der Gegenwart der Privaten. Andererseits käme es darauf an, gerade<br />

in der Produktion neue Akzente zu setzen, die durchaus langfristig neue Bindungen<br />

auch eines jugendlichen Publikums erzeugen können. Das ZDF entspricht z. B. mit seinen<br />

umfangreichen Online-Angeboten dieser Notwendigkeit zum Experimentieren mit<br />

einer neuen variablen Netzstruktur unterschiedlicher Komponenten, die um ein „Vollprogramm“<br />

gruppiert sind, am ehesten. Dieser Aufbau eines solchen flexiblen Netzwerks<br />

aus Voll-, Spartenprogrammen, Internet-Angeboten etc. wäre also der Gegenstand<br />

eines offenen, stets neu zu reflektierenden und zu evaluierenden „Funktionsauftrags“<br />

der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.<br />

Ein besonderes Problem wirft sicher der Hörfunk auf, mit dem sich das Gutachten von<br />

Vesting auseinander setzt. Das Radio ist immer stärker zu einem „Nebenmedium“ geworden,<br />

das sich kaum noch sinnvoll an Vielfaltsanforderungen der Rechtsprechung des<br />

Bundesverfassungsgerichts messen lässt. Vesting meint deshalb, es müsse den ARD-Sendern<br />

gestattet sein, auch ein weitgehend als Musikprogramm konzipiertes Jugendradio<br />

anzubieten, um darüber den späteren Umstieg von Jugendlichen in andere Programmformen<br />

der Öffentlich-Rechtlichen zu ermöglichen oder zu erleichtern. Es erscheint auf<br />

den ersten Blick nicht unbedenklich, die Eigenwerbefunktion derart in den Vordergrund<br />

zu rücken. Dennoch ist dies letztlich ein zutreffender Gedanke. Vesting stellt mit<br />

Recht auf die starke Fragmentierung der Hörerinteressen in den letzten Jahren ab, denen<br />

ein vielfältiges Programm im traditionellen Sinne kaum mehr entsprechen kann.<br />

Auch im Hörfunk wird es darauf ankommen, die „Marke“ der Öffentlich-Rechtlichen<br />

insgesamt zu akzentuieren und sie zum Bezugspunkt der Selbst- und Fremdevaluation<br />

der gerade im Hörfunk stärker auseinander driftenden Programmkomponenten und<br />

-formate zu machen.<br />

Wenn man die durch den Wegfall der Frequenzknappheit sich verändernden Bedingungen<br />

der <strong>Medien</strong>ökonomie in Rechnung stellt, eröffnet sich auch eine neue Regulierungsperspektive,<br />

die auf das Ziel der Erhaltung von Programmvielfalt in neuer Form<br />

eingestellt ist. Das digitale Pay-TV wird sich voraussichtlich zunächst als dritte Säule eines<br />

neuen Fernsehsystems etablieren, dessen einzelne Komponenten aus Spartenprogrammen<br />

bestehen werden. An solche Programme lassen sich schon begrifflich keine<br />

Vielfaltsanforderungen stellen. Aber die Markenbildung für Programmpakete könnte<br />

einen Ansatzpunkt für eine Strategie der Gewährleistung von Pluralität im neuen <strong>Medien</strong>system<br />

bilden: In Zukunft könnte und sollte die Verknüpfung von Programmangeboten<br />

zu einem Netzwerk (Vollprogramme und ergänzende Programme und Online-<br />

Dienste etc.) oder zu einem Paket von Spartenprogrammen, das über eine „Marke“ angeboten<br />

wird, darauf überprüft werden, ob das Paket als solches vielfältig ist, also z. B.<br />

auch Nachrichten-Angebote, kulturelle Sendungen u. ä. enthält, die von der Werbung<br />

für das Gesamtprogramm profitieren könnten. D. h. es müsste dann die „Marke“ eine<br />

neue Form dynamischer, auf Selbstveränderung angelegter Vielfalt gewährleisten. Was<br />

Vielfalt bedeutet, lässt sich nicht mehr inhaltlich und retrospektiv im Anschluss an schon<br />

vorhandene Formen und Komponenten bestimmen. Hier können Formen der Proze-<br />

104


duralisierung im privaten wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Anpassung der<br />

Dogmatik des Rundfunkrechts beitragen. Vielfalt ließe sich dann auf einer höheren Abstraktionsebene<br />

an eine veränderte <strong>Medien</strong>dynamik anpassen und auf die Suche nach<br />

dem Neuen einstellen.<br />

9. Resümee<br />

Ladeur · Funktionsauftrag des Public Service<br />

Resümierend lässt sich festhalten, dass das Gutachten von Bullinger kaum den gewandelten<br />

Bedingungen des <strong>Medien</strong>systems gerecht wird, weil es zu schematisch auf das<br />

Marktmodell setzt und damit die grundlegenden Veränderungen in der <strong>Medien</strong>ökonomie<br />

und die Herausbildung einer neuen Internet-Ökonomie verfehlt. Das Gutachten<br />

von Holznagel erscheint demgegenüber zu stark retrospektiv an der Selbstdarstellung<br />

der öffentlich-rechtlichen Veranstalter, insbesondere des ZDF orientiert. Es nimmt die<br />

Veränderungen des <strong>Medien</strong>systems m. E. nicht ernst genug und versucht eher reaktiv<br />

das tradierte Verständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Randkorrekturen<br />

an die neuen Herausforderungen anzupassen und insistiert im Übrigen darauf, dass sich<br />

grundsätzlich nicht so viel geändert habe. Vestings (Teil-)Gutachten stellt sich dagegen<br />

offensiv auf den Wandel ein und entwirft für den Hörfunk ein realistisches Bild der veränderten<br />

Wirkungsmöglichkeiten des Rundfunks, die zu einer Neubestimmung der<br />

Position der Öffentlich-Rechtlichen zwinge. Danach wird stärker die prozedurale<br />

Komponente des öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunks akzentuiert, die sich in<br />

der offenen Selbstdefinition einer auf Selbstrevision angelegten Rundfunkaufgabe realisiert.<br />

Dies erscheint durchaus als ein richtiger Schritt.<br />

Nach der hier vertretenen Auffassung muss man aber weiter gehen und auch die Selbstveränderungen<br />

des privaten Rundfunks im Angesicht der Verteuerung von Programmrechten<br />

und der Notwendigkeit zur Entwicklung neuer Werbeformen stärker in Rechnung<br />

stellen und demgegenüber die Bedeutung einer (durch Selbstevaluation) zu kontrollierenden,<br />

von den Zwängen der <strong>Medien</strong>ökonomie entlasteten Programmkonzeption<br />

akzentuieren. Darüber hinaus kommt es darauf an, die Bedeutung der Eigenwerbung<br />

für Programmnetzwerke und -pakete durch Markenbildung aufzunehmen und auch<br />

dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk – jenseits der bloß vordergründigen Orientierung<br />

an „Quoten“ – die Möglichkeit zur Entwicklung eines neuen Konzepts der Vielfalt in<br />

Netzwerken durch Aufbau einer „Marke“ zu geben. Auch die öffentlich-rechtlichen<br />

Anstalten selbst müssten ihre defensive Position aufgeben und sich stärker auf den Wandel<br />

einlassen. Dem wird die einfache Entgegensetzung von Markt und „öffentlicher Aufgabe“<br />

nicht mehr gerecht: Es müsste (und könnte) gezeigt werden, dass die spezifischen<br />

medienökonomischen Bedingungen nach wie vor das Konzept einer von der Autonomie<br />

der <strong>Medien</strong> bestimmten Konzeption eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks rechtfertigen.<br />

In Zukunft käme es stärker darauf an, vergleichend die Entwicklung von Public-Service-Rundfunk<br />

im Ausland zu berücksichtigen und nach einem variablen Set<br />

von „best practices“ zu suchen, das sich mit den Funktionsbedingungen selbst ändert.<br />

Dies könnte ein neues prozedurales Moment der Selbstdefinition des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks einführen, das auch schon im Telekommunikationsrecht existiert (§ 3<br />

TK-EntgeltregulierungsVO): Danach wird die Preisbestimmung auch von der Entwicklung<br />

auf vergleichbaren ausländischen Märkten abhängig gemacht. Diese Methode<br />

der Erzeugung neuer Informationen durch systematischen vergleichenden Ansatz führt<br />

ein wichtiges prozedurales Element in das Recht ein, das zur Begrenzung von Proble-<br />

105


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

men der Entscheidung auf der Grundlage von Teilwissen führt. Sie sollte auch für den<br />

Rundfunk genutzt werden.<br />

Nur ergänzend kann hier auf die europarechtliche Problematik der Verwischung der<br />

Grenzen zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk, insbesondere durch<br />

Ausweitung der Sparten- und anderer Ergänzungsprogramme hingewiesen werden: Aus<br />

Art. 87 (ex 92) EGV, einer Vorschrift zur Beschränkung öffentlicher Subventionen, sind<br />

Bedenken gegen die Finanzierung von nicht als kulturell „wertvoll“ angesehenen Programmteilen<br />

des Public-Service-Rundfunks abgeleitet worden. Die Protokollerklärung<br />

zum Vertrag von Maastricht rechtfertigt die Tätigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

und ihre Finanzierung ausdrücklich. Aber damit sind angesichts der Dynamik der<br />

Entwicklung nicht alle Probleme ausgeräumt: Die Erklärung macht diesen Vorbehalt<br />

nämlich von der Übertragung, Festlegung und Ausgestaltung der öffentlichen Aufgabe<br />

abhängig. Eine Öffnung des „Funktionsauftrags“ durch eine rein prozessuale Form der<br />

Selbstdefinition könnte mit diesem Erfordernis kollidieren.<br />

106


Besprechungen<br />

LITERATUR · BESPRECHUNGEN<br />

Martin Jurga<br />

Fernsehtextualität und Rezeption<br />

Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag,<br />

1999. – 223 S.<br />

ISBN 3-531-13359-4<br />

In seiner zentralen Position als Leitmedium<br />

übernimmt das Fernsehen in der <strong>Medien</strong>gesellschaft<br />

eine große Bandbreite gesellschaftlicher<br />

(u. a. Aufrechterhaltung der kommunikativen<br />

Durchdringung) und individueller Funktionen<br />

(etwa Sinnstiftung oder Wertevermittlung).<br />

Die Ursache für diese Funktionsvielfalt versucht<br />

Martin Jurga in dem komplexen Wechselverhältnis<br />

aus Medium, <strong>Medien</strong>angebot und<br />

Rezeptionsverhalten zu ergründen. In seiner<br />

Dissertation „Fernsehtextualität und Rezeption“<br />

untersucht er dieses Wechselverhältnis<br />

am Beispiel der für das Medium charakteristischen<br />

Gattungsform Serie. Jurgas theoretischer<br />

Ansatz erweist sich dabei als ebenso komplex<br />

wie das zu untersuchende Phänomen. Er nutzt<br />

je nach Argumentationszusammenhang verschiedene<br />

Theoriemodelle der Cultural Studies<br />

ebenso wie etablierte Theorien und Verfahren<br />

medien<strong>wissenschaft</strong>licher und linguistischer<br />

Sendungsanalysen.<br />

Den Ausgangspunkt für Jurgas Analyse des gegenwärtigen<br />

Bedeutungspotenzials des Fernsehens<br />

bildet sein Rückblick auf die historische<br />

Entwicklung des Mediums. In diesem notwendigerweise<br />

kurz gefassten Abriss über die Etablierung<br />

des Fernsehens in Deutschland hätte<br />

man sich doch eine Berücksichtigung des aktuellen<br />

Forschungstands etwa zum NS-Fernsehen<br />

gewünscht. (z. B. Winker 1994). Auch finden<br />

sich in den beschriebenen Entwicklungen einige<br />

Ungenauigkeiten. So fand die Ausweitung<br />

des Programmangebots nicht erst durch die Einführung<br />

des ZDF, sondern bereits zwei Jahre<br />

früher mit dem zweiten ARD-Programm statt.<br />

Bei seiner Analyse der Rolle des Fernsehens in<br />

modernen Gesellschaften erstellt Jurga eine<br />

Symbiose aus unterschiedlichen Forschungsansätzen<br />

der Soziologie, der Filmtheorie, der<br />

<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> und der Cultural<br />

Studies. Der Offenheit des Mediums entspricht<br />

Jurga mit der Offenheit seiner Theoriemodelle.<br />

Zwar nutzt er so eine Vielzahl sich ergänzender<br />

Erklärungmuster, gleichzeitig ver-<br />

misst man in diesem Abschnitt eine stärkere eigene<br />

Positionierung des Autors.<br />

Für die Konkretisierung seiner theoretischen<br />

Ausführungen wählt Jurga die Programmform<br />

Serie. Sie spiele eine zentrale Rolle in der Funktion<br />

des Fernsehens, dem Zuschauer „Einblicke<br />

in eine Vielzahl unterschiedlicher Gesellschaftsräume,<br />

Lebensweisen und kultureller<br />

Praktiken zu gewähren, die ihnen sonst verborgen<br />

blieben.“ (41) Zusätzlich „erleben die Zuschauer<br />

aber auch sich selbst, symbolisch dargestellt<br />

und gespiegelt in den Figuren der Familienserien,<br />

deren Leben, insbesondere in den<br />

sozialrealistischen Serien, immer etwas mit dem<br />

der Zuschauer zu tun hat.“ (41) In der Argumentation<br />

Jurgas ist die Serie symptomatisch<br />

für die generell gültige Organisation der Fernsehtexte<br />

als offene Textformen (14). Damit<br />

greift er neben literatur<strong>wissenschaft</strong>lichen Ansätzen<br />

auch Untersuchungen der britischen<br />

Cultural Studies von der Polysemie (Hall) und<br />

Offenheit von Fernsehtexten (Fiske) auf. Zusätzlich<br />

betont Jurga in Anlehnung das Konzept<br />

der sekundären Oralität von Walter Ong<br />

den stark gesprächsorientierten Charakter verschiedener<br />

Fernsehtextsorten wie Nachrichten,<br />

Talkshows und Seifenopern.<br />

Jurga „beschäftigt sich mit dem komplexen und<br />

in seiner Fassbarkeit daher auch komplizierten<br />

Verhältnis von Fernsehserien und Zuschauern,<br />

das als vielgestaltig und heterogen angesehen<br />

werden muss.“ (51) So stellt er zunächst verschiedene<br />

Rezeptionsformen des aktiven Zuschauer<br />

vor, die er mit Untersuchungsergebnissen<br />

zur Rezeption von Serientexten hinsichtlich<br />

divergierender Sinnbildungen verbindet.<br />

Er verbindet die Rezeptionsforschung mit der<br />

Textanalyse und beschreibt, wie Figuren Identifikationen<br />

und parasoziale Beziehungen des<br />

Zuschauers auslösen, wie andererseits das mit<br />

der Sehdauer zunehmende Wissen um die Gemachtheit<br />

der Serie zu Distanzierungsprozessen<br />

führt.<br />

Der sehr weit gefasste Rahmen wird auf die erste<br />

deutsche Langzeitserie, die „Lindenstraße“<br />

(WDR) begrenzt. Jurga sieht in dem spezifischen<br />

Handlungsaufbau dieser Serie eine der<br />

zentralen Ursache für ihr vielfältiges Interpretationspotenzial.<br />

Der Produzent Hans W.<br />

Geissendörfer und seine Drehbuchautoren<br />

nutzen etablierte Verfahren fortlaufender Erzählungen<br />

etwa aus dem Bereich englischer<br />

Langzeitserien wie „Coronation Street“. Jurga<br />

107


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

rekonstruiert verschiedene Traditionslinien seriellen<br />

Erzählens in der Literatur und den <strong>Medien</strong>,<br />

die in Langzeitserien zusammengeführt<br />

werden. Anhand von Dialoganalysen einer<br />

Folge der Lindenstraße zeigt Jurga, mit welchen<br />

Modellen von Offenheitssignalen diese<br />

Serie dem Zuschauer innerhalb einzelner Szenen<br />

eine Vielzahl von Interpretationsoptionen<br />

ermöglicht. Zu den zentralen Offenheitssignalen<br />

zählen neben spezifischen Formen der Dialoggestaltung<br />

das breite Spektrum der Figuren,<br />

„die in einer Gemeinschaft miteinander leben.<br />

Sie sind durch vielfältige Beziehungen miteinander<br />

verbunden.“ (160) Mit der Figurenvielfalt<br />

geht eine thematische Vielfalt einher. Serienfiguren<br />

durchleben verschiedene Probleme<br />

und Konflikte, die einen „Supermarkt der Gefühle“<br />

(Mikos, Moeller) bilden, aus dem sich<br />

der Zuschauer nach Bedarf bedienen kann.<br />

Leider stellt Jurga im Unterschied zu seiner<br />

Einleitung in dem Fazit seiner Dissertation keinen<br />

Zusammenhang zwischen der „Lindenstraße“<br />

und dem Medium Fernsehen im Allgemeinen<br />

her, sondern betont nur, dass die „Lindenstraße“<br />

„eine Variante der ‚weiblichen‘<br />

Textsorte Seifenoper sei“. Mit diesem Fazit<br />

wird er der Komplexität seiner eigenen Untersuchung<br />

nicht gerecht.<br />

Joan Kristin Bleicher<br />

Klaus Kamps<br />

Politik in Fernsehnachrichten<br />

Struktur und Präsentation internationaler Ereignisse<br />

– ein Vergleich.<br />

Baden-Baden: Nomos 1999. – 433 S.<br />

(Düsseldorfer <strong>Kommunikations</strong>- und <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>liche<br />

Studien; 3)<br />

ISBN 3-7890-5085-7<br />

Im Mittelpunkt der Studie von Klaus Kamps<br />

steht ein empirischer Vergleich der Struktur,<br />

Thematisierung und der Präsentation internationaler<br />

Ereignisse bei Nachrichtensendern aus<br />

Großbritannien, den USA und der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Vor dem Hintergrund der<br />

dominierenden Rolle, die Massenmedien und<br />

hier insbesondere das Fernsehen bei der Vermittlung<br />

politischer Ereignisse aufgrund ihrer<br />

Reichweite und Rezipienten-Akzeptanz innehaben<br />

sowie der Theorie der massenmedialen<br />

Politikvermittlung geht Kamps von folgenden<br />

forschungsleitenden Fragen aus: 1. Welche<br />

108<br />

internationalen Ereignisse werden in Fernsehnachrichten<br />

thematisiert? 2. Wie stellen<br />

Fernsehnachrichten internationale Ereignisse<br />

dar? 3. Aus welchen Ländern wird unter welchen<br />

thematischen Schwerpunkten und in welcher<br />

Form berichtet? 4. Welche Rolle spielt in<br />

diesen Punkten die Politik? 5. Welche Unterschiede<br />

und Gemeinsamkeiten lassen sich zwischen<br />

den Sendern und Ländern hinsichtlich<br />

dieser Fragen belegen?<br />

Der Aufbau der Studie folgt der üblichen Logik<br />

empirischer Studien in diesem Themenbereich.<br />

Im ersten Kapitel erläutert der Autor die Fragestellung<br />

der Arbeit und beschreibt den Aufbau<br />

der Studie, bevor in Kapitel 2 zunächst ein<br />

allgemeiner theoretischer Bezugsrahmen hinsichtlich<br />

des Beziehungsgeflechts zwischen Politik<br />

und Massenmedien entworfen wird.<br />

Kamps geht hier sehr intensiv auf die gesellschaftlichen<br />

Funktionen der <strong>Medien</strong> ein und<br />

referiert dabei die zentralen Befunde der einschlägigen<br />

<strong>Kommunikations</strong>forschung aus der<br />

Symbolisierungsdebatte, der Nachrichtenwerttheorie<br />

sowie der <strong>Medien</strong>wirkungsforschung.<br />

Er kommt dabei zu dem für sein Forschungsinteresse<br />

wichtigem Ergebnis, dass „formative<br />

wie kontextuelle Unterschiede in der Berichterstattung<br />

zu unterschiedlichen Rezeptionen<br />

führen und über Transaktionen rückbezüglich<br />

den <strong>Kommunikations</strong>vorgang beeinflussen<br />

können“ (139).<br />

In Kapitel 3 wendet sich Kamps dann speziell<br />

dem Medium Fernsehen zu: Dabei werden die<br />

fernsehspezifischen Komponenten moderner<br />

Politikvermittlung, mithin die Stellung des<br />

Fernsehens im Prozess moderner Politikvermittlung<br />

beschrieben und theoretisch verortet.<br />

Hier geht es insbesondere um die Struktur und<br />

den Stellenwert von Politik in Fernsehnachrichten.<br />

Das Kapitel mündet in der Entwicklung<br />

eines Modells, welches das medienvermittelte<br />

Bild der Realität des Rezipienten zu erklären<br />

versucht. Die in der Studie durchgeführte<br />

Inhaltsanalyse wird somit in ein Modell der<br />

Rezeption eingebettet und theoretisch verortet.<br />

Es zeigt sich, über welchen Bereich dieses Modells<br />

die vorliegende Studie Aussagen machen<br />

kann, nämlich über den Bereich der <strong>Medien</strong>realität.<br />

Über die übrigen Ebenen des Modells,<br />

so der Autor, seien aufgrund der hier erhobenen<br />

empirischen Daten nur Spekulationen<br />

möglich, keinesfalls aber kausale Schlussfolgerungen.<br />

Aus dieser Modellkonstruktion erge-


en sich die zentralen Komponenten der Studie:<br />

Der Schwerpunkt liegt auf einem Vergleich<br />

der länder- und senderspezifischen Berichterstattung<br />

internationaler Ereignisse unter besonderer<br />

Berücksichtigung der Politik. Die besondere<br />

Relevanz der internationalen Berichterstattung<br />

in Fernsehnachrichten ergibt sich<br />

daraus, dass internationale Nachrichten für Zuschauer<br />

vergleichsweise erfahrungsferne Gegebenheiten<br />

sind und die Wahrscheinlichkeit des<br />

unmittelbaren Dabeiseins für den Zuschauer<br />

damit extrem gering ist, und dass gerade den<br />

Fernsehnachrichten von Rezipienten das Potenzial<br />

unterstellt wird, diese Distanz überbrücken<br />

zu können, und dass schließlich kontextuell-schematisierte<br />

und visuelle Präsentationsweisen<br />

einen auch längerfristigen Einfluss<br />

auf die Vorstellungskraft der Rezipienten vergleichsweise<br />

wahrscheinlich machen.<br />

Nachdem das theoretische Fundament der<br />

Studie gelegt ist, wird in Kapitel 4 das Untersuchungsdesign<br />

der Studie erläutert. Die Erhebungsmethode<br />

ist eine standardisierte Inhaltsanalyse,<br />

die als Frequenzanalyse angelegt ist.<br />

Analysiert werden jeweils drei natürliche Wochen<br />

in zwei verschiedenen Erhebungszeiträumen,<br />

um die Ereignisäbhängigkeit der<br />

Daten zu reduzieren. Analysiert werden die<br />

abendlichen Hauptnachrichtensendungen von<br />

ARD, ZDF, RTL, NTV (Bundesrepublik<br />

Deutschland), ITN (Großbritannien), NBC<br />

(USA) sowie zwei verschiedene Sendungen von<br />

CNN (USA), wobei jeweils eine für den amerikanischen,<br />

eine für den europäischen Markt<br />

konzipiert ist. Die Inhaltsanalyse erstreckt sich<br />

auf die Ebenen Sendung, Meldung und Präsentation,<br />

wobei die Ebene Sendung lediglich<br />

hinsichtlich formaler Rahmendaten (zum Beispiel<br />

Sendungsdauer) Berücksichtigung findet.<br />

Die zentralen Analyseeinheiten sind Nachrichtenbeiträge<br />

und Präsentationstypen. Die<br />

wichtigsten Kategorien der Inhaltsanalyse sind<br />

die in derartigen Studien üblichen Kategorien<br />

wie geographischer Bezug der Meldung, Akteure,<br />

Aktualität, Thema, Sachgebiete, Platzierungen<br />

der zeitlichen Abfolgen, Darstellungskontexte,<br />

serielle Positionierung und Meldungsdauer,<br />

Präsentationstyp, Handlungsort<br />

sowie die visuelle Präsentation des Handlungsortes,<br />

um nur die wichtigsten Kategorien zu<br />

nennen. Der intramediäre und zugleich internationale<br />

Vergleich konzentriert sich auf Thematisierung,<br />

Struktur und Präsentation internationaler<br />

Beiträge.<br />

Literatur · Besprechungen<br />

Im Anschluss an diese methodischen Ausführungen<br />

fasst der Autor im fünften Kapitel<br />

die empirischen Befunde der Inhaltsanalyse zusammen.<br />

Sie beziehen sich im Wesentlichen auf<br />

die Fernsehnachrichtengeographie der einzelnen<br />

Sender, die Thematisierungsmerkmale,<br />

Strukturmerkmale und Präsentationsmerkmale<br />

der einzelnen Meldungen. Die Auswertung ist<br />

als Tabellenanalyse angelegt. Die wichtigsten<br />

Ergebnisse werden mit Hilfe von Präsentationsgrafiken<br />

veranschaulicht. Der zentrale Befund<br />

dieses empirischen Kapitels ist eine Typologie<br />

der Berichterstattung über internationale<br />

Ereignisse in den untersuchten Nachrichtensendern.<br />

Kamps identifiziert so genannte<br />

Nachrichtenzentren, das sind Länder, über die<br />

besonders häufig, ausführlich und variantenreich<br />

berichtet wird. Diese Länder sind im<br />

Wesentlichen in Westeuropa anzutreffen. Über<br />

die so genannten Nachrichtennachbarn wird in<br />

wesentlich geringerer Intensität und Extensität<br />

berichtet, wobei über so genannte thematische<br />

Nachrichtennachbarn zwar recht häufig, aber<br />

nur in Bezug auf bestimmte Themengattungen<br />

berichtet wird. Auf der untersten Stufe der<br />

Nachrichtenhierarchie befinden sich Länder<br />

der Nachrichtenperipherie, die nur selten in<br />

der Berichterstattung in Erscheinung treten.<br />

Zusammenfassend kann demnach von einer<br />

westlich-europäischen Zentrierung der internationalen<br />

Berichterstattung der untersuchten<br />

Nachrichtensendungen gesprochen werden,<br />

die sich über sämtliche erhobenen Merkmale<br />

beobachten lässt.<br />

Im abschließenden sechsten Kapitel zieht<br />

Kamps ein kritisches Resümee der Studie was<br />

die Informationsleistung des Fernsehens für<br />

den Rezipienten betrifft. Er kommt dabei zu<br />

folgendem Ergebnis: „Ausgesprochen fraglich<br />

ist nach der vorliegenden Arbeit, ob das Leitmedium<br />

Fernsehen mit seinem herausragenden<br />

Informationsgenre, den Nachrichtensendungen,<br />

zur politischen Urteilsfähigkeit der Bevölkerung<br />

beiträgt“ (356). Als Begründung für<br />

diesen Befund werden die durch das Medium<br />

Fernsehen nur oberflächlich bereitgestellten<br />

Informationskontexte sowie eine strukturelle<br />

Simplizität der Fernsehberichterstattung angeführt.<br />

Aufgrund dieser Befunde sei die Konstruktion<br />

der medialen Realität im Fernsehen<br />

so angelegt, dass sich der Zuschauer informiert<br />

fühle, und nicht, ob er informiert sei. Fernsehnachrichten<br />

teilen die Welt in politisch relevante<br />

Sphären ein, über die permanent berich-<br />

109


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

tet wird, und ereignisrelevante Sphären, über<br />

die nur bei ganz bestimmten Ereignissen (Gewalt,<br />

Sport) berichtet wird, die aber sonst in der<br />

medialen Versenkung verschwinden.<br />

Die vorliegende Arbeit von Klaus Kamps bietet<br />

dem Leser in ihrem theoretischen Teil<br />

zunächst einen ausgesprochen detaillierten und<br />

kenntnisreich geschriebenen Überblick über<br />

die wichtigsten Forschungsarbeiten zur politischen<br />

Kommunikation in den Massenmedien<br />

und insbesondere im Fernsehen. Alle wichtigen<br />

Befunde der sozial<strong>wissenschaft</strong>lichen <strong>Medien</strong>und<br />

<strong>Kommunikations</strong>forschung werden in<br />

sehr angenehm lesbarer Form referiert und<br />

schließlich in Beziehung zu der folgenden<br />

empirischen Arbeit gesetzt. Das daraus resultierende<br />

theoretische Modell illustriert in anschaulicher<br />

Form die Position, die die vorliegende<br />

Studie im Prozess der individuellen Realitätsverarbeitung<br />

des Rezipienten einnimmt.<br />

Schade ist nur, dass wichtige einschlägige Studien<br />

aus den späten 90er-Jahren offenbar keine<br />

Berücksichtigung mehr finden konnten. Die<br />

anschließende quantitative Inhaltsanalyse entspricht<br />

dem üblichen methodischen Standard<br />

dieses Datenerhebungsinstruments und befindet<br />

sich damit auf einem qualitativ hohem Niveau.<br />

Die Analyse der so gewonnenen Daten<br />

steht allerdings in keinem angemessenen Verhältnis<br />

zu dem Aufwand, mit dem dieselben erhoben<br />

worden sind. Die Auswertung erfolgt im<br />

Wesentlichen mittels Häufigkeitsauszählungen,<br />

Kreuztabellen und Präsentationsgrafiken.<br />

Nur nebenbei sei bemerkt, dass seitenlange<br />

Kreuztabellen m. E. in den Anhang und nicht<br />

in den Fließtext gehören, weil derartige Zahlenwerke<br />

die Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit<br />

des Textes erheblich erschweren. Wichtiger<br />

aber ist, dass die Komplexität der Auswertungsmethoden<br />

hinter derjenigen des theoretischen<br />

Bezugsrahmens weit zurückfällt.<br />

Dies ist aber ein Phänomen, dass leider sehr<br />

häufig in derartigen Studie vorzufinden ist. Ein<br />

komplexes theoretisches Modell ist nicht mit<br />

derartig einfachen Analysemethoden adäquat<br />

empirisch umzusetzen.<br />

Insgesamt ist die Studie von Klaus Kamps trotz<br />

der oben genannten Probleme eine empfehlenswerte<br />

Lektüre für all diejenigen, die sich für den<br />

Themenbereich der massenmedial vermittelten<br />

politischen Kommunikation interessieren. Sie<br />

vermittelt einen interessanten und gut strukturierten<br />

Überblick über das Themenfeld, wobei<br />

110<br />

allerdings deutlich wird, dass die empirische<br />

Umsetzung derart komplexer Zusammenhänge<br />

noch der weiteren Bearbeitung bedarf. Diese<br />

Kritik richtet sich aber nicht nur an den Autor<br />

dieser Studie, sondern auch an viele andere Vertreter<br />

dieser Fachdisziplin und bedeutet, dass<br />

dem Konnex zwischen Empirie und Theorie<br />

erheblich mehr Aufmerksamkeit als bisher geschenkt<br />

werden sollte, wenn sich der (quantitativ)<br />

empirisch arbeitenden Forscher nicht dem<br />

beliebten Vorwurf der „Erbsenzählerei“ aussetzen<br />

will.<br />

Thomas Bruns<br />

Volker Nowosadtko<br />

Frequenzplanungsrecht<br />

Nutzung terrestrischer Frequenzen durch öffentlich-rechtliche<br />

Rundfunkanstalten<br />

Baden-Baden: Nomos, 1999. – 263 S.<br />

(Materialien zur interdisziplinären <strong>Medien</strong>forschung;<br />

34)<br />

ISBN 3-7890-6040-2<br />

Die Auseinandersetzungen um die Einführung<br />

des fünften Hörfunkprogramms des NDR, des<br />

Jugendsenders „N-Joy-Radio“, im Jahre 1994,<br />

haben das Problem deutlich gemacht: Terrestrische<br />

Rundfunkfrequenzen sind ein knappes<br />

und begehrtes Gut, um das nicht nur zwischen<br />

privaten Bewerbern untereinander, sondern<br />

auch zwischen öffentlich-rechtlichen Anstalten<br />

und kommerziellen Veranstaltern – mitunter<br />

heftig – gestritten wird. Auch die technischen<br />

Entwicklungen, wie die Nutzung von Kabel<br />

und Satellit, werden selbst unter fortschreitender<br />

Digitalisierung (auch der terrestrischen<br />

Frequenzen) diese Situation zumindest mittelfristig<br />

nicht nachhaltig entspannen können.<br />

Denn die Möglichkeiten der Digitaltechnik<br />

führen nicht nur zu einer Vervielfachung der<br />

Übertragungskapazitäten, sondern bieten zugleich<br />

die technologische Voraussetzung für<br />

neue – interaktive – Angebotsformen (Zugriffsund<br />

Abrufdienste), die wiederum ein Mehrfaches<br />

an Kapazitäten benötigen und damit<br />

schließlich den Kapazitätsgewinn wieder relativieren.<br />

Hinzu kommt, dass der Hörfunk auf<br />

terrestrische Verbreitung besonders angewiesen<br />

ist, um größere Reichweiten zu erzielen, da<br />

dieser als klassisches „Begleit-Medium“ vielfach<br />

mobil genutzt wird, wohingegen der Empfang<br />

über Kabel und Satellit in der Regel nur


stationär möglich ist. Haben zu Zeiten des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunkmonopols die<br />

Rundfunkanstalten in eigener Verantwortung<br />

über die ihnen zugewiesenen Frequenzen verfügt,<br />

stehen den Anstalten mit Einführung der<br />

dualen Rundfunkordnung private Veranstalter<br />

gegenüber, die ebenfalls Anspruch auf Teilhabe<br />

an terrestrischen Verbreitungsmöglichkeiten<br />

erheben.<br />

Hier setzt der Autor mit der Beschreibung des<br />

Erkenntnisinteresses seiner Arbeit an, wonach<br />

es zu klären gilt, wie sich das Verhältnis von öffentlich-rechtlichem<br />

und privatem Rundfunk<br />

auf die Ausgestaltung der Frequenzplanung<br />

und -nutzung auswirkt. Ausgehend von dem<br />

eingangs erwähnten Rechtsstreit wird untersucht,<br />

wie weit die den öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunkanstalten vor Einführung der dualen<br />

Rundfunkordnung zugewiesenen Frequenzen<br />

Bestandsschutz genießen und wie es sich mit<br />

den Dispositionsbefugnissen der Anstalten<br />

über diese (und neue) Frequenzen verhält.<br />

Auf einen kurzen Einführungsabschnitt, der<br />

dem Leser die technischen Grundlagen und<br />

Zusammenhänge der Frequenznutzung erläutert,<br />

folgt im ersten Teil der insgesamt in drei<br />

Teile aufgegliederten Untersuchung von Nowosadtko<br />

eine Bestandsaufnahme, in der der<br />

Autor die Historie und die Entwicklung der<br />

Frequenznutzung von der rein öffentlichrechtlich<br />

geprägten bis zum Übergang in die<br />

duale Rundfunkordnung aufarbeitet. Im zweiten<br />

Teil, den der Verfasser selbst als den<br />

„Hauptteil“ seiner Arbeit bezeichnet, werden<br />

die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die<br />

Entscheidungen über die Nutzung von Frequenzen<br />

entwickelt, um die einfachgesetzlichen<br />

Ausgestaltungen der Frequenzplanung<br />

daran zu messen. Im dritten und letzten Teil<br />

wird geprüft, welche Befugnisse für das Frequenzmanagement<br />

sich hieraus für den öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk ergeben.<br />

Aus dem verfassungsrechtlichen Konzept der<br />

Rundfunkfreiheit und der darauf aufbauenden<br />

Bestimmung der Stellung des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks leitet sich für Nowosadtko<br />

ein umfassender Programmauftrag für den öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk ab, aufgrund<br />

dessen die Rundfunkanstalten gehalten seien,<br />

für die gesamte Bevölkerung inhaltlich umfassende,<br />

auch die (massenattraktive) Unterhaltung<br />

einschließende Kommunikation real zu<br />

ermöglichen, und der es daher ebenfalls mit<br />

Literatur · Besprechungen<br />

sich bringe, dass die Rundfunkanstalten berechtigt<br />

und verpflichtet seien, auf Veränderungen<br />

der Rezeptionsgewohnheiten durch eine<br />

weitere Ausdifferenzierung ihrer Angebote zu<br />

reagieren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk<br />

sei hierzu deshalb legitimiert, weil er in privilegierter<br />

Weise in der Lage sei, den verfassungsrechtlichen<br />

Vielfaltsanforderungen gerecht zu<br />

werden. Die Frequenzplanung diene dazu, die<br />

Erfüllung dieses Programmauftrages übertragungstechnisch<br />

zu ermöglichen. Der Autor<br />

kommt zu dem Schluss, dass die (rundfunk-)<br />

rechtlichen Vorschriften den sich aus dieser<br />

Funktion ergebenden Anforderungen überwiegend<br />

genügten. Hierzu zähle ein gesetzlicher<br />

Bestandsschutz für zugeordnete alte Frequenzen<br />

der Rundfunkanstalten ebenso wie die<br />

Anerkennung, dass der öffentlich-rechtliche<br />

Rundfunk zur Erfüllung seines Auftrages auf<br />

die Zuordnung neuer Frequenzen angewiesen<br />

sein könne und ihm dies ermöglicht werde.<br />

Kritisiert wird, dass die grundrechtlichen Anforderungen<br />

an Organisation und Verfahren<br />

der Frequenzplanung (Schutz des Programms<br />

vor einseitiger Einflussnahme, Gebot der<br />

Staatsferne) bei den vorfindlichen Vorschriften<br />

nicht immer berücksichtigt würden. Dies gelte<br />

vor allem bei organisatorischen Konstruktionen,<br />

die Anpassungsverhalten stimulierten und<br />

dem (staatlichen) Entscheidungsträger dadurch<br />

verdeckten programmlichen Einfluss ermöglichten.<br />

Dispositionsbefugnisse der Rundfunkanstalten<br />

werden von Nowosadtko auch unter<br />

den gegenwärtigen Bedingungen bejaht; er<br />

sieht sie jedoch beschränkt auf die Erfüllbarkeit<br />

des Programmauftrages, an dessen Rahmen die<br />

Anstalten bei entsprechenden Maßnahmen gebunden<br />

seien.<br />

Die Arbeit von Nowosadtko, mit der er im Jahre<br />

1998 an der Universität Hamburg promoviert<br />

wurde, ist eine inhaltlich sehr sorgfältige<br />

und umfängliche Aufarbeitung eines rundfunkrechtlichen<br />

Problemkreises, der – obwohl<br />

von enormer praktischer Bedeutung – in der<br />

einschlägigen Literatur bislang nur wenig Beachtung<br />

fand. Sicher: Man wird dem Verfasser<br />

in seinen Überlegungen nicht immer folgen<br />

wollen. Mitunter macht es auch ausgesprochen<br />

Mühe, gedankliche Entwicklungen des Autors<br />

nachzuvollziehen (gute Verständlichkeit ist ein<br />

Gütezeichen, das bei <strong>wissenschaft</strong>lichen Arbeiten<br />

leider allzu oft vernachlässigt wird). Dennoch:<br />

Die Akribie, mit der Nowosadtko die<br />

Frequenzplanung unter allen denkbaren recht-<br />

111


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

lichen Aspekten beleuchtet, verdient ebenso<br />

Anerkennung wie die Sorgfalt seiner Auseinandersetzung<br />

mit den zum Teil beachtlichen Gegenmeinungen,<br />

deren Argumenten er stets eigenen<br />

Raum gewährt und dem Leser damit immer<br />

auch die Chance einer selbstständigen Beurteilung<br />

gibt.<br />

Elisabeth Clausen-Muradian<br />

Georg Ress / Jürgen Bröhmer<br />

Europäische Gemeinschaft und <strong>Medien</strong>vielfalt<br />

Die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft<br />

zur Sicherung des Pluralismus im <strong>Medien</strong>bereich<br />

Frankfurt a. M.: IMK 1998. – 171 S.<br />

(Marburger <strong>Medien</strong>schriften; 1)<br />

ISBN 3-927282-64-2<br />

Die Abhandlung ist aus einem Gutachten hervorgegangen,<br />

das die Verfasser für den Bundesverband<br />

Deutscher Zeitungsverleger erstellt<br />

haben. Hintergrund waren dabei die Bemühungen<br />

der EG-Kommission, auf eine Harmonisierung<br />

der Regelungen über den <strong>Medien</strong>pluralismus<br />

hinzuwirken. Anhand damals<br />

bereits vorliegender Richtlinienentwürfe beschäftigt<br />

sich die Studie damit, ob die Europäische<br />

Gemeinschaft nach dem EG-Vertrag<br />

überhaupt eine Regelungskompetenz für diesen<br />

Bereich besitzt. Dies wird anhand einer<br />

sorgfältigen Analyse von den Verfassern mit<br />

überzeugenden Gründen verneint. Dabei wird<br />

in der englischen Fassung auch bereits der Vertrag<br />

von Amsterdam berücksichtigt und darauf<br />

hingewiesen, dass sich durch diesen Vertrag an<br />

dem gefundenen Ergebnis nichts ändert. Für<br />

das von den Verfassern gefundene Ergebnis<br />

spricht auch, dass die Kommission – nicht zuletzt<br />

unter dem Eindruck dieses Gutachtens –<br />

davon abgesehen hat, den Richtlinienentwurf<br />

weiterzuverfolgen.<br />

In der Abhandlung wird zunächst der Weg zu<br />

dem zweiten Richtlinienvorschlag unter dem<br />

Titel „<strong>Medien</strong>eigentum im Binnenmarkt“, den<br />

die Kommission im März 1997 vorlegte, nachgezeichnet.<br />

Ausgangspunkt war dabei das viel<br />

diskutierte Grünbuch der Kommission „Pluralismus<br />

und <strong>Medien</strong>konzentration im Binnenmarkt<br />

– Bewertung der Notwendigkeit einer<br />

Gemeinschaftsaktion“ vom Dezember 1992.<br />

112<br />

Auf der Grundlage dieses Grünbuches und verschiedener<br />

Stellungnahmen kam es zu einem<br />

ersten Richtlinienvorschlag, der bezeichnenderweise<br />

den Titel „EG-Richtlinie zum <strong>Medien</strong>pluralismus“<br />

trug, was deutlich machte,<br />

dass es weniger um den Binnenmarkt als vielmehr<br />

um eine Regelung der Meinungsvielfalt<br />

ging, wodurch sich sofort die Kompetenzfrage<br />

stellte. Von daher ist es nicht verwunderlich,<br />

dass der zweite Richtlinienvorschlag mit einem<br />

neuen Titel, der auf den Binnenmarkt hinweist,<br />

versehen wurde. Der zweite Richtlinienvorschlag<br />

wollte ebenfalls Eigentumserwerbsregelungen<br />

bzw. -begrenzungen für <strong>Medien</strong>unternehmen<br />

im Binnenmarkt einführen. Dabei erstreckte<br />

sich der Anwendungsbereich nicht nur<br />

auf Fernsehen im Sinne der Fernsehrichtlinie,<br />

sondern auch auf Radio und Tageszeitungen.<br />

Kernstück des Richtlinienvorschlags waren die<br />

Konzentrationsregelungen, die jeweils zulässige<br />

Höchstkonzentrationen im Bereich des<br />

Fernsehens, des Radios und für medienübergreifende<br />

Konzentrationsprozesse vorsahen.<br />

Dabei knüpften die Regelungen an einen bestimmten<br />

Einfluss an und sahen dafür bestimmte<br />

Höchstgrenzen für Zuschaueranteile<br />

bzw. Marktanteile vor, orientierten sich also an<br />

den neuen Konzentrationsregeln im deutschen<br />

Rundfunkstaatsvertrag von 1996. Für Rundfunkveranstalter<br />

war entsprechend den dortigen<br />

Regelungen ein Marktanteil von 30 % als<br />

Höchstgrenze vorgesehen. Schließlich – und<br />

dies war von besonderer Bedeutung – sah der<br />

Richtlinienvorschlag vor, dass die Mitgliedstaaten<br />

nicht befugt sind, abweichende, also auch<br />

nicht strengere Konzentrationshöchstgrenzen<br />

für die ihrer Jurisdiktion unterworfenen Unternehmen<br />

vorzusehen. Der Richtlinienvorschlag<br />

nahm zur Kompetenzfrage in dem Sinne<br />

Stellung, dass sich die Richtlinie auf Art. 57<br />

Abs. 2, 66 und 100 a EGV a. F. stützen lasse.<br />

Zudem wird angeführt, dass das mit dem Richtlinienvorschlag<br />

verfolgte Schutzziel der Pluralismussicherung<br />

durch das demokratische<br />

Prinzip und die Gemeinschaftsgrundrechte<br />

vorgegeben sei.<br />

Zunächst setzen sich die Verfasser damit auseinander,<br />

ob sich eine Kompetenz der Gemeinschaft<br />

aus Art. 100 a EGV a. F. (= Art. 95 EGV<br />

n. F.) im Hinblick auf die Tageszeitungen herleiten<br />

lässt. Dies wird mit überzeugender Begründung<br />

abgelehnt. Die Verfasser weisen<br />

zutreffend nach, dass Pluralismussicherung<br />

nicht zu den Zielsetzungen der Binnenmarkt-


harmonisierung nach Art. 100 a Abs. 1 EGV<br />

a. F. (= Art. 95 Abs. 1 EGV n. F.) gehören darf.<br />

Anschließend wenden sich die Verfasser der<br />

Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit<br />

zu. Insoweit könnte man nämlich mit der<br />

Kommission der Ansicht sein, dass verschiedenartige<br />

nationale Konzentrationsregelungen<br />

der Mitgliedstaaten die Niederlassungsfreiheit<br />

im gemeinsamen Markt zumindest tatsächlich<br />

behindern und grenzüberschreitende Niederlassungsstrategien<br />

von <strong>Medien</strong>unternehmen<br />

erschweren. Insoweit wird in der Abhandlung<br />

zu Recht herausgearbeitet, dass die Kompetenztitel<br />

der Niederlassungsfreiheit zumindest<br />

seit dem Maastrichter-Vertrag – und noch mehr<br />

mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages<br />

– eng auszulegen sind, weil nur dies dem<br />

föderalen Charakter der Gemeinschaft entspricht.<br />

Zudem weisen die Verfasser zutreffend<br />

darauf hin, dass die in dem Richtlinienentwurf<br />

vorgesehenen Regelungen überhaupt nicht zur<br />

Herstellung des Binnenmarktes beigetragen<br />

hätten, weil sie den Bestand an unternehmerischer<br />

Freiheit im gemeinsamen Markt nicht erhöht,<br />

sondern tatsächlich verringert hätten.<br />

Auch aus der Dienstleistungsfreiheit kann kein<br />

anderes Ergebnis hergeleitet werden. Zutreffend<br />

geht die Abhandlung darauf ein, dass sich<br />

der Richtlinienvorschlag allenfalls auf Art. 87<br />

EGV a. F. (= Art. 83 EGV n. F.) – eventuell in<br />

Verbindung mit Art. 235 EGV a. F. (= Art. 308<br />

EGV n. F.) zurückführen lässt. Bemerkenswert<br />

ist dabei, dass sich die Kommission gerade<br />

nicht auf diese Vorschrift stützte, weil es ihr<br />

nämlich nicht um Wettbewerbssicherung, sondern<br />

um die Sicherung des Meinungspluralismus<br />

ging. Voraussetzung für den Erlass von<br />

Normen auf den genannten Grundlagen ist in<br />

jedem Fall, worauf Ress und Bröhmer zu Recht<br />

hinweisen, die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen<br />

Wettbewerbs. Der Richtlinienvorschlag<br />

ging allerdings weit über die Verhinderung<br />

von Wettbewerbsbeeinträchtigungen hinaus<br />

und betraf zudem in der Regel gerade Fusionen,<br />

denen keinerlei gemeinschaftsweite<br />

Bedeutung zukam. Der vorliegende Richtlinienvorschlag<br />

konnte demnach, wie die Abhandlung<br />

zutreffend darlegt, auch nicht auf die einzig<br />

in Betracht kommende Rechtsgrundlage gestützt<br />

werden.<br />

Verdienstvoll ist auch, dass die Verfasser sich<br />

mit diesem Ergebnis nicht begnügen. Sie gehen<br />

vielmehr auch darauf ein, dass der Richtlinienvorschlag<br />

mit dem Gemeinschaftsrecht auch<br />

Literatur · Besprechungen<br />

dann nicht vereinbar war, wenn man von einer<br />

bestehenden Kompetenz der Gemeinschaft<br />

ausgegangen wäre. Hierbei wird einmal das<br />

Subsidiaritätsprinzip des Art. 3 b Abs. 2 EGV<br />

a. F. (= Art. 5 Abs. 2 EGV n. F.) behandelt. Besonders<br />

verdienstvoll sind zum anderen die interessanten<br />

Überlegungen zu Art. 128 EGV<br />

a. F. (= 151 EGV n. F.). Allerdings erscheint<br />

mir der von den Verfassern im Zusammenhang<br />

mit dieser Vorschrift gewählte Kulturbegriff zu<br />

eng geraten. Zutreffend wird herausgearbeitet,<br />

dass selbst unter Zugrundelegung dieses engeren<br />

Kulturbegriffs der Richtlinienvorschlag in<br />

Konflikt mit der kulturpolitischen Querschnittsklausel<br />

steht, weil die gebotene Auseinandersetzung<br />

mit den Auswirkungen der geplanten<br />

Regelungen im Hinblick auf ihre starken<br />

kulturellen Auswirkungen nicht stattgefunden<br />

hat.<br />

Schließlich geht die Abhandlung auch auf die<br />

Vereinbarkeit des Richtlinienvorschlags mit<br />

Art. 10 EMRK ein, der bekanntermaßen nicht<br />

nur ein europäisches Menschenrecht, sondern<br />

auch ein Gemeinschaftsgrundrecht darstellt.<br />

Allerdings kann man Zweifel daran äußern, ob<br />

die Festschreibung fester Marktanteilsgrenzen<br />

tatsächlich das im Rahmen des Art. 10 Abs. 2<br />

EMRK zu beachtende Verhältnismäßigkeitsgebot<br />

verletzt. Zudem werden auch die verfassungsrechtlichen<br />

Fragen angesprochen. Auf<br />

der Grundlage der Maastricht-Entscheidung<br />

wirft nämlich eine Ausdehnung der der Gemeinschaft<br />

zustehenden Regelungskompetenzen<br />

zwangsläufig Probleme auf, da das Bundesverfassungsgericht<br />

für sich in Anspruch nimmt,<br />

Sekundärrecht, das erkennbar von den Kompetenzen<br />

nicht gedeckt ist, die Anerkennung in<br />

Deutschland zu versagen. Mit überzeugenden<br />

Gründen gehen die Verfasser davon aus, dass<br />

das Bundesverfassungsgericht, bevor es eine<br />

solche weit reichende Konsequenz zieht, allerdings<br />

dem EuGH Gelegenheit zu einer Entscheidung<br />

darüber geben muss, ob die vom<br />

EGV gezogenen Kompetenzgrenzen eingehalten<br />

wurden. Begrüßenswert ist auch, dass die<br />

Abhandlung nicht nur in deutscher, sondern<br />

auch in englischer Sprache veröffentlicht wurde.<br />

Dies hat ganz sicherlich dazu beigetragen,<br />

dass sie in der Diskussion um den Richtlinienentwurf<br />

große Beachtung gefunden hat. Abschließend<br />

ist anzumerken, dass die Schrift<br />

nicht nur zur konkreten Frage über eine Richtlinie<br />

der Gemeinschaft zur Sicherung des Pluralismus<br />

im <strong>Medien</strong>bereich von erheblicher Be-<br />

113


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

deutung ist. Vielmehr trägt sie ganz wesentlich<br />

dazu bei, die Grenzen der Kompetenzen zu<br />

verdeutlichen, die die Gemeinschaft zu beachten<br />

hat, wenn sie im <strong>Medien</strong>bereich Sekundärrecht<br />

setzen will. Dieser Frage kommt weiterhin<br />

nicht nur deshalb zentrale Bedeutung zu,<br />

weil heute niemand mehr ernsthaft bestreiten<br />

kann, dass die Gemeinschaft befugt ist, Sekundärrecht<br />

auch im Bereich der <strong>Medien</strong> zu erlassen.<br />

Sie ist auch deshalb so wichtig, weil sich<br />

der EuGH auch mehr und mehr der Frage zuwendet,<br />

welche Grenzen die anderen Gemeinschaftsorgane<br />

zu beachten haben, wenn sie von<br />

ihren Kompetenzen Gebrauch machen wollen.<br />

Angesichts des derzeitigen Standes, den das<br />

Gemeinschaftsrecht zwischenzeitlich mit dem<br />

Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages erreicht<br />

hat, kann man eine solche Entwicklung<br />

nur begrüßen und den EuGH nachdrücklich<br />

ermutigen, auf diesem Wege fortzufahren.<br />

Dieter Dörr<br />

Philipp Steinwärder<br />

Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlichrechtlichen<br />

Rundfunkanstalten der Bundesrepublik<br />

Deutschland: Entstehung, Tätigkeitsfelder<br />

und Rechtsnatur<br />

Eine rechts<strong>wissenschaft</strong>liche Untersuchung<br />

zur Entwicklung, den Aufgaben und der Organisation<br />

der ARD<br />

Baden-Baden: Nomos Verlag, 1998. – 382 S.<br />

(Materialien zur interdisziplinären <strong>Medien</strong>forschung;<br />

31)<br />

ISBN 3-7890-5475-5<br />

Die von W. Hoffmann-Riem betreute Dissertation<br />

befasst sich umfassend mit einer wichtigen<br />

und interessanten Thematik. Detailgenau und<br />

materialreich werden Entstehung, Tätigkeitsfelder<br />

und der Status der Arbeitsgemeinschaft<br />

der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten<br />

der Bundesrepublik Deutschland (ARD) nachgezeichnet.<br />

Im ersten Teil befasst sich Steinwärder<br />

mit der Entstehung und den Rahmenbedingungen<br />

der Zusammenarbeit öffentlichrechtlicher<br />

Rundfunkanstalten. Dabei beeindrucken<br />

die Ausführungen zur Entstehung des<br />

föderalen Rundfunksystems in Westdeutschland.<br />

In diesem Zusammenhang hätte allerdings<br />

noch deutlicher aufgezeigt werden können,<br />

wie stark die von den Briten und den US-<br />

Amerikanern vorgegebenen Grundbedingun-<br />

114<br />

gen durch die negativen Erfahrungen mit dem<br />

Staatsrundfunk in der Weimarer Zeit und im<br />

Nationalsozialismus beeinflusst waren. Zutreffend<br />

stellt Steinwärder dar, dass die starke föderale<br />

Komponente von den US-Amerikanern<br />

und die öffentlich-rechtliche Natur der Landesrundfunkanstalten<br />

von den Briten in das<br />

neue Rundfunksystem eingebracht wurden.<br />

Die Ausführungen sind ausgesprochen detailgenau<br />

und kenntnisreich. Anschließend geht<br />

der Verfasser auf die ersten Überlegungen ein,<br />

die auf eine Zusammenarbeit der neu errichteten<br />

Landesrundfunkanstalten in den drei Westzonen<br />

abzielten. Danach zeigt der Verfasser die<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen für eine solche<br />

Zusammenarbeit auf und macht dabei deutlich,<br />

dass die ARD ein Element des kooperativen<br />

Föderalismus darstellt. In diesem Zusammenhang<br />

wird allerdings aus meiner Sicht der<br />

Status öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten<br />

nur ungenau beschrieben, jedenfalls nicht<br />

genügend ausgelotet. Auch hätte Steinwärder<br />

den Begriff der Selbstverwaltung im Zusammenhang<br />

mit öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten<br />

durchaus problematisieren können.<br />

Da die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten<br />

nach m. E. zutreffender Ansicht gerade<br />

nicht dem staatlichen Bereich zuzurechnen<br />

sind, ist ihre Autonomie mit dem Begriff der<br />

Selbstverwaltung eventuell fehlerhaft umschrieben.<br />

Im zweiten Teil seiner Arbeit beschreibt Steinwärder<br />

überaus anschaulich und genau die<br />

Gründung der ARD. Hierbei werden die verschiedenen<br />

Vorschläge eingehend beleuchtet.<br />

Zutreffend arbeitet Steinwärder auch heraus,<br />

dass deutliche Unterschiede zwischen den<br />

Überlegungen Bredows und dem Entwurf, der<br />

weitgehend auf den Justitiar des WDR Brack<br />

zurückging und der die Grundlage der ARD<br />

wurde, bestanden. Im 4. Kapitel werden die organisations-<br />

und verfahrensrechtlichen Grundlagen<br />

der ARD nachgezeichnet. Einen wichtigen<br />

Raum nimmt dabei zu Recht die Satzung<br />

ein, die ursprünglich die einzige Rechtsgrundlage<br />

der ARD bildete. In der Satzung ist auch<br />

die Mitgliedschaft in der ARD geregelt, der<br />

heute elf Landesrundfunkanstalten sowie die<br />

Deutsche Welle als einzig verbliebene Rundfunkanstalt<br />

des Bundesrechts angehören. Bei<br />

der ARD-Gründung gab es lediglich sechs Mitglieder.<br />

Im Zusammenhang mit der Entwicklung<br />

der Mitgliedschaft ist es allerdings unschön<br />

und verfehlt, wenn Steinwärder im Zu-


sammenhang mit dem Saarländischen Rundfunk<br />

vom Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik<br />

Deutschland spricht: Das Saarland<br />

ist ebenso wie die DDR auf der Grundlage des<br />

Art. 23 GG a. F. der Bundesrepublik Deutschland<br />

beigetreten. Die Rechte und Pflichten der<br />

Mitglieder, die Vertretung der Mitglieder in der<br />

ARD und die satzungsgemäßen Aufgaben der<br />

ARD werden ebenfalls dargelegt. Zutreffend<br />

zeigt der Verfasser auf, wie die Geschäftsführung<br />

der Arbeitsgemeinschaft im Einzelnen<br />

geregelt ist. Auch das System der Federführungen<br />

wird angesprochen. Im Zusammenhang<br />

mit den ständigen Fachkommissionen hätte<br />

Steinwärder allerdings auch darauf eingehen<br />

können, in welcher Weise das ZDF, das gerade<br />

nicht Mitglied der Arbeitsgemeinschaft ist, in<br />

deren Arbeit eingebunden wird. Die Abstimmungsregelung<br />

und die notwendigen Mehrheiten<br />

bei der Beschlussfassung in der ARD erläutert<br />

Steinwärder ebenfalls. Zutreffend wird aufgezeigt,<br />

dass für wichtige Beschlüsse eine qualifizierte<br />

Mehrheit bzw. Einstimmigkeit<br />

erforderlich ist.<br />

Im dritten Teil wendet sich Steinwärder den<br />

Gemeinschaftsleistungen der ARD zu. Dabei<br />

nimmt zu Recht das deutsche Fernsehen einen<br />

breiten Raum ein, das seit dem 1.1.1992 seine<br />

spezielle normative Grundlage im ARD-<br />

Staatsvertrag hat. Zutreffend geht Steinwärder<br />

insoweit davon aus, dass dieser Staatsvertrag<br />

keine Ermächtigung zur Veranstaltung des<br />

Fernsehgemeinschaftsprogramms bedeutet,<br />

sondern die Landesrundfunkanstalten zur Veranstaltung<br />

dieses Fernsehgemeinschaftsprogramms<br />

verpflichtet. Allerdings sind die kurzen<br />

Ausführungen zum Koordinierungsabkommen<br />

vom 17. April 1959 (S. 99f.) etwas unklar.<br />

Es bleibt offen, wie der Verfasser dieses<br />

Koordinierungsabkommen einordnet.<br />

Interessant sind die Ausführungen zur Programmverantwortung<br />

für das deutsche Fernsehen.<br />

Insoweit wird zutreffend herausgearbeitet,<br />

dass bei der Ausstrahlung des Gemeinschaftsprogramms<br />

über Satellit für die einzelnen<br />

Intendanten einer Rundfunkanstalt keine<br />

Möglichkeit mehr besteht, eine Sendung aufgrund<br />

der Befugnis im Fernsehvertrag abzusetzen.<br />

Damit wird die Programmverantwortung<br />

jedes einzelnen Intendanten für das in seinem<br />

Sendegebiet ausgestrahlte Programm, also auch<br />

für das Fernsehgemeinschaftsprogramm, zunehmend<br />

fraglich. Anders als beim terrestrisch<br />

verbreiteten Programm hat der Intendant einer<br />

Literatur · Besprechungen<br />

einzelnen Landesrundfunkanstalt nämlich keine<br />

Möglichkeit mehr, die Verbreitung einer bestimmten<br />

Sendung in seinem Sendegebiet zu<br />

verhindern, sich also insoweit aus dem Gemeinschaftsprogramm<br />

„auszuklinken“. Leider<br />

zeigt der Verfasser keinen Lösungsansatz auf,<br />

wie diese Frage in Zukunft einer Regelung zugänglich<br />

gemacht werden könnte.<br />

Besonders wichtig sind auch die Ausführungen<br />

zu den gemeinsamen Spartenprogrammen von<br />

ARD und ZDF. Fraglich ist allerdings, ob die<br />

Ermächtigung zur Veranstaltung dieser Programme<br />

durch § 19 Abs. 1, 2 RStV tatsächlich<br />

lediglich deklaratorische Wirkung hat. Jedenfalls<br />

hätte man aus meiner Sicht diese Frage eingehender<br />

beleuchten können. Dagegen werden<br />

die einzelnen Fragen im Zusammenhang mit<br />

den beiden Spartenprogrammen eher zu detailgenau<br />

beschrieben.<br />

Nicht nur wegen der in der jüngsten Vergangenheit<br />

geführten harten Auseinandersetzungen<br />

über die ARD-Struktur sind die Ausführungen<br />

zum ARD-Finanzausgleich von erheblicher<br />

Bedeutung. Allerdings beschränkt<br />

sich der Verfasser hier im Wesentlichen auf eine<br />

überaus genaue Darstellung, die auch die<br />

gesamte historische Entwicklung des Finanzausgleichs<br />

umfasst. Der verfassungsrechtliche<br />

Hintergrund wird zwar angesprochen; es bleibt<br />

aber offen, wie sich der Verfasser zu diesen Fragen<br />

stellt. Insbesondere wird nicht genügend<br />

ausgelotet, dass der Finanzausgleich dazu dienen<br />

soll, dass alle Landesrundfunkanstalten<br />

letztlich eine ihrem angemeldeten und überprüften<br />

Finanzbedarf entsprechende Finanzausstattung<br />

erhalten sollen. Insoweit hätte man<br />

durchaus das Gebührenurteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

eingehender auswerten<br />

können. Dieses Urteil sollte erklärtermaßen bewirken,<br />

dass alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter<br />

durch das vom Bundesverfassungsgericht<br />

vorgegebene dreistufige Verfahren<br />

eine Finanzausstattung erhalten, die ihrem<br />

angemeldeten und überprüften Finanzbedarf<br />

entspricht.<br />

Im vierten Teil seiner Abhandlung wendet sich<br />

Steinwärder insbesondere der Rechtsnatur der<br />

ARD zu. Die diesbezüglichen Überlegungen<br />

sind sachgerecht und überzeugend. Steinwärder<br />

sieht die ARD mit guter Begründung als<br />

eine nichtrechtsfähige öffentlich-rechtliche<br />

Verbandseinheit ein. Daraus wird konsequent<br />

abgeleitet, dass die ARD-Satzung zwar ur-<br />

115


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

sprünglich als Gesellschaftsvertrag im Sinne<br />

des § 705 BGB anzusehen war. Mit der heutigen<br />

öffentlich-rechtlichen Organisationsform<br />

ordnet Steinwärder die ARD-Satzung aber zutreffend<br />

als öffentlich-rechtlichen Vertrag ein,<br />

was zur Folge hat, dass auf die Zustimmung<br />

aller Mitglieder zu den Satzungsänderungen<br />

keinesfalls verzichtet werden kann. Diese Aussage<br />

hat gerade im Zusammenhang mit manchen<br />

Überlegungen zur ARD-Reform wichtige<br />

Konsequenzen. Dies gilt auch für die Aussage,<br />

dass sich in der Gleichberechtigung unter den<br />

Mitgliedern und in der konsensorientierten<br />

Verfahrenspraxis die besondere Natur der<br />

ARD ausdrückt. Dies sollte man manchen Politikern<br />

ins Stammbuch schreiben, die diese bewährte<br />

Struktur der ARD ohne Not zerschlagen<br />

wollen.<br />

Im fünften Teil beschäftigt sich Steinwärder<br />

u. a. noch mit den Gemeinschaftseinrichtungen<br />

der ARD, die im lesenswerten Überblick vorgestellt<br />

werden.<br />

Man kann dem Verfasser insgesamt nur zustimmen,<br />

dass die ARD innerhalb der vielfältigen<br />

Erscheinungsformen des kooperativen Föderalismus<br />

insgesamt ein Unikat darstellt und<br />

ihr konsensorientiertes Verfahren und die<br />

Gleichberechtigung aller Mitglieder den typischen<br />

Merkmalen der Zusammenarbeit im<br />

Bundesstaat entsprechen. Allerdings scheint<br />

das Bewusstsein für die ungeheure Bedeutung<br />

eines föderativen Aufbaus des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks für die Demokratie, die Vielfalt<br />

der Informationen und die kulturelle Vielfältigkeit<br />

mehr und mehr im Schwinden begriffen<br />

zu sein. Auch deshalb ist es zu begrüßen,<br />

dass Steinwärder die historischen Entwicklungen,<br />

die zur Gründung und zum Aufbau der<br />

ARD führten, eingehend und sachkundig<br />

nachgezeichnet hat. Insgesamt hat der Verfasser<br />

eine ungeheure Flut an Material, Literatur<br />

und Rechtsprechung bewältigt und auch eine<br />

beeindruckende Fleißarbeit vorgelegt. Jeder,<br />

der sich mit einzelnen Fragen der ARD beschäftigt,<br />

wird an Steinwärders Abhandlung<br />

nicht vorbeikommen und dort sachkundige<br />

Hilfe finden. Allerdings liegt das Schwergewicht<br />

aus meiner Sicht manchmal zu stark bei<br />

der Beschreibung und Darstellung; Steinwärder<br />

hätte zu manchen Fragen deutlicher seine<br />

eigene Auffassung darlegen und Details auch<br />

durchaus kürzer behandeln können. Insoweit<br />

wäre an manchen Stellen weniger durchaus<br />

mehr gewesen. Dies ändert aber nichts daran,<br />

116<br />

dass der Verfasser ein beeindruckendes Werk<br />

vorgelegt hat, auf das jeder gerne zurückgreifen<br />

wird, der sich in Zukunft mit den Rechtsfragen<br />

im Zusammenhang mit der ARD beschäftigt.<br />

Dieter Dörr<br />

Sarcinelli, Ulrich (Hrsg.)<br />

Politikvermittlung und Demokratie in der<br />

<strong>Medien</strong>gesellschaft<br />

Beiträge zur politischen <strong>Kommunikations</strong>kultur<br />

Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag<br />

1998. – 477 S.<br />

ISBN 3-531-13335-7<br />

Die Allgegenwart der <strong>Medien</strong> in modernen<br />

Gesellschaften, vor allem aber ihre zentrale<br />

Bedeutung bei der Politikvermittlung, rechtfertigt<br />

die Rede von der <strong>Medien</strong>gesellschaft.<br />

Kommunikation ist unter diesen Bedingungen<br />

zum dominanten Legitimationsmodus der<br />

Politik geworden. Der Notwendigkeit öffentlicher<br />

Zustimmung für das politische System<br />

steht der Informationsbedarf der <strong>Medien</strong>akteure<br />

gegenüber. Im Tauschgeschäft „Öffentlichkeit<br />

gegen Informationen“ manifestiert sich das<br />

Abhängigkeitsverhältnis zwischen <strong>Medien</strong> und<br />

Politik. Dieses enge Beziehungsgeflecht unterliegt<br />

jedoch keineswegs uneingeschränkten<br />

wechselseitigen Anpassungsprozessen. Während<br />

die „Mediatisierung der Politik“ mittlerweile<br />

zum gesellschaftlichen Basiswissen gehört,<br />

kann im Gegenzug von einer „Politisierung<br />

der <strong>Medien</strong>“ keine Rede sein. Durch die<br />

Kommerzialisierung des <strong>Medien</strong>systems ist es<br />

vielmehr zu einer Entpolitisierung der <strong>Medien</strong><br />

gekommen.<br />

Mit dem kürzlich erschienenen Sammelband<br />

„Politikvermittlung und Demokratie in der<br />

<strong>Medien</strong>gesellschaft“ von Ulrich Sarcinelli liegt<br />

nun ein fundierter und facettenreicher Forschungsüberblick<br />

vor, der die Folgen des medialen<br />

Wandels für das Verhältnis von <strong>Medien</strong><br />

und Politik diskutiert. In 19 Einzelbeiträgen<br />

werden die verschiedensten Aspekte der Herstellung,<br />

Darstellung und Rezeption von Politik<br />

aufgegriffen und die einschlägigen Akteure,<br />

Strukturen und Prozesse beleuchtet. Der Reader<br />

wendet sich nicht nur Fach<strong>wissenschaft</strong>ler,<br />

sondern „vermittelt Politik“ auch an ein


eiteres Publikum und versteht sich als Beitrag<br />

zur politischen Bildung (erschienen auch als<br />

Bd. 352 in der Schriftenreihe der gleichnamigen<br />

Bundeszentrale). Für die nicht einschlägig vorgebildeten<br />

Leser und Leserinnen werden in<br />

einem Glossar am Ende des Buches die relevanten<br />

Fachbegriffe erläutert. Die thematisch<br />

gegliederte Auswahlbibliographie mit den<br />

wichtigsten Arbeiten zu den einzelnen Forschungsbereichen<br />

dürfte ebenfalls eine hilfreiche<br />

Unterstützung für eine weiter gehende<br />

Beschäftigung mit einzelnen Interessensschwerpunkten<br />

darstellen.<br />

Bereits 1987 hatte Sarcinelli den viel beachteten<br />

Sammelband „Politikvermittlung“ (Bd. 238 der<br />

Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische<br />

Bildung) herausgegeben, der den damaligen<br />

Forschungsstand zum Bereich der politischen<br />

Kommunikation repräsentierte. Ging es<br />

in dem Vorläufer-Band noch überwiegend um<br />

die Bemühungen der politischen Akteure, ihr<br />

Handeln – quasi von oben nach unten – über<br />

die <strong>Medien</strong> an die Betroffenen zu vermitteln, so<br />

zeigt sich nun gut zehn Jahre später eine erhebliche<br />

Diversifizierung der Forschungsansätze.<br />

Die politik<strong>wissenschaft</strong>lichen Beiträge werden<br />

durch kommunikations<strong>wissenschaft</strong>liche und<br />

öffentlichkeitssoziologische Perspektiven ergänzt<br />

und erweitert. Damit rückt auch das massenmediale<br />

Publikum stärker in den Blick. Wie<br />

gehen Bürger und Bürgerinnen mit Politikangeboten<br />

in den <strong>Medien</strong> um, welche Vorstellungen<br />

von Politik entwickeln sie, welche Rolle<br />

spielen mediale und interpersonale politische<br />

Kommunikation in ihrem Alltag? Der Band beschreibt<br />

die grundlegenden Veränderungen der<br />

medialen Umwelt, die sich vor allem seit der<br />

Etablierung des dualen Rundfunks mit der<br />

Kommerzialisierung, der Digitalisierung und<br />

der Globalisierung der <strong>Medien</strong> vollzogen haben.<br />

Programmvermehrung, Ausdifferenzierung<br />

von Zielgruppenangeboten, zunehmende<br />

Unterhaltungsorientierung und Marginalisierung<br />

von Politik markieren diesen Wandel. Die<br />

Veränderungen beschränken sich nicht auf das<br />

<strong>Medien</strong>system selbst, sondern implizieren weit<br />

reichende Folgen für das Publikum, das seine<br />

<strong>Medien</strong>nutzung im Rahmen der vorgegebenen<br />

Möglichkeiten realisiert, aus dem angebotenen<br />

Material ein Politikbild konstruiert, sich in<br />

kleinere Zielgruppen ausdifferenziert und<br />

möglicherweise in den neuen Technologien<br />

neue Informations- und Partizipationschancen<br />

entdeckt. Auch die politischen Akteure, die mit<br />

Literatur · Besprechungen<br />

der Herstellung und Darstellung von Politik<br />

beschäftigt sind, reagieren auf den medialen<br />

Wandel, indem sie – die <strong>Medien</strong>logik antizipierend<br />

– ihre Botschaften personalisiert, unterhaltend,<br />

vereinfacht und zielgruppengerecht<br />

gestalten und durch Pseudoevents <strong>Medien</strong>aufmerksamkeit<br />

generieren. Die Mediatisierung<br />

der Politik und das den neuen Bedingungen angepasste<br />

Rezeptionsverhalten des Publikums<br />

verändern die gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozesse<br />

und die Struktur politischer Öffentlichkeit<br />

in Deutschland. Damit steht die<br />

Zukunft der Demokratie im Allgemeinen und<br />

die Legitimität politischer Entscheidungen im<br />

Besonderen zur Debatte.<br />

Der Band behandelt diesen Problemkontext in<br />

vier größeren Abschnitten. Im ersten Abschnitt<br />

(Grundlegung und disziplinäre Zugänge) werden<br />

einige demokratie- und öffentlichkeitstheoretische<br />

Grundlagen (Max Kaase, Otfried<br />

Jarren) sowie die wichtigsten Veränderungen<br />

im <strong>Medien</strong>system (Ulrich Saxer) diskutiert.<br />

Während die Beiträge von Kaase und Saxer eher<br />

beschwichtigenden Charakter haben, klingen<br />

bei Jarren vor allem in Bezug auf die Marginalisierung<br />

von Politik und die Segmentierung<br />

der Öffentlichkeit deutlich skeptischere Töne<br />

an.<br />

Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit<br />

Strukturen, Prozessen und Strategien der Politikvermittlung.<br />

Klaus-Dieter Altmeppen und<br />

Martin Löffelholz beleuchten neuere Ergebnisse<br />

zum journalistischen Selbstverständnis und<br />

rücken verbreitete Vorstellungen zurecht,<br />

Journalisten sähen sich als „vierte Gewalt“ und<br />

übten – durch Wahlen nicht legitimiert – erheblichen<br />

Einfluss auf das politische Geschehen<br />

aus. Die normativ gesetzte Kontrollfunktion<br />

von <strong>Medien</strong> sei vielmehr durch die meist<br />

unzureichende journalistische Infrastruktur<br />

teilweise außer Kraft gesetzt und müsse stärker<br />

aktiviert werden. Für ein nur beschränktes Einflusspotenzial<br />

der Journalisten spricht auch der<br />

Beitrag von Günter Bentele, der die Abhängigkeit<br />

journalistischer Arbeit von entsprechenden<br />

PR-Aktivitäten betont. Ohne politische<br />

PR könne der Journalismus seine Aufgaben bei<br />

der Herstellung von Öffentlichkeit kaum mehr<br />

bewältigen.<br />

Drei Beiträge fokussieren auf die spezifischen<br />

Bedingungen der Politikvermittlung von Printund<br />

elektronischen <strong>Medien</strong>. Während Jürgen<br />

Wilke sich mit der stark vernachlässigten Gat-<br />

117


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

tung der Printmedien beschäftigt, fokussieren<br />

Frank Marcinkowski und Jens Tenscher auf die<br />

elektronische <strong>Medien</strong>, vor allem aber auf die<br />

Berichterstattung des Fernsehens. Wilke rehabilitiert<br />

die Zeitungen und Zeitschriften als Basismedien<br />

der Information und Meinungsbildung.<br />

Wegen ihrer ausführlichen Hintergrundberichterstattung<br />

seien gerade sie für einen<br />

rationalen Diskurs unverzichtbar. Einige Zeitungen<br />

und Magazine erfüllten darüber hinaus<br />

Meinungsführungsfunktionen in der öffentlichen<br />

Diskussion. Marcinkowski und Tenscher<br />

thematisieren die Parallelität der zunehmenden<br />

Unterhaltungsorientierung in Fernsehangebot<br />

und Fernsehnutzung. Obwohl Tenscher die<br />

Marginalisierung von Politik etwas kritischer<br />

beurteilt als Marcinkowski, besteht Einigkeit<br />

darüber, dass keine Hinweise auf eine durch die<br />

Angebotsstruktur des Fernsehens verursachte<br />

Politikverdrossenheit vorliegen.<br />

Der letzte Beitrag des zweiten Abschnitts befasst<br />

sich mit den Konsequenzen von „Globalisierung<br />

und medientechnischer Revolution“.<br />

Hans Kleinsteuber und Barbara Thomaß problematisieren<br />

die im Zuge der Entstaatlichung<br />

von <strong>Medien</strong>politik schwindenden Regulierungsmöglichkeiten.<br />

Die Unterwerfung der<br />

Politikvermittlung unter wirtschaftliche Interessen<br />

ließe eine Qualitätsverschlechterung des<br />

<strong>Medien</strong>angebots erwarten. Andererseits berge<br />

der interaktive Charakter der neuen <strong>Medien</strong><br />

auch Partizipationsmöglichkeiten für das Publikum.<br />

Ob diese jedoch genutzt würden und<br />

auf Resonanz im politischen System stießen, sei<br />

noch nicht abzusehen.<br />

Im dritten Abschnitt des Sammelbandes (Regierungssystem<br />

und Politikvermittlung: Mediatisierung<br />

von Politik, demokratische Willensbildung<br />

und politische Entscheidungsfindung)<br />

werden die unterschiedlichen politischen<br />

Akteure (Regierungen, Parlamente, Parteien,<br />

Protestakteure, Wähler) in den Blick genommen.<br />

Barbara Pfetsch untersucht die Bedingungen<br />

der Regierungskommunikation, Edwin<br />

Czerwick beschäftigt sich mit der parlamentarischen<br />

Politikvermittlung und Sigrid Baringhorst<br />

analysiert die Öffentlichkeitsarbeit von<br />

Protestakteuren. Eine etwas andere Perspektive<br />

nimmt der Beitrag von Ulrich Sarcinelli zu<br />

den Parteien ein. Hier werden nicht so sehr deren<br />

spezifische Vermittlungsaktivitäten thematisiert,<br />

sondern der Bedeutungsverlust der Parteien<br />

wird in Beziehung gesetzt zu allgemeine-<br />

118<br />

ren Tendenzen der Modernisierung. Rüdiger<br />

Schmidt-Becks Beitrag zum <strong>Kommunikations</strong>verhalten<br />

der Wähler weist ebenfalls eine andere<br />

Blickrichtung auf. In komplexen Analysen<br />

illustriert er den Zusammenhang von politischem<br />

Interesse, politischen Prädispositionen,<br />

<strong>Medien</strong>nutzung, interpersonaler Kommunikation<br />

und Parteipräferenzen. <strong>Medien</strong> erwiesen<br />

sich dabei als weniger einflussreich als die interpersonalen<br />

Kontakte im engen persönlichen<br />

Umfeld.<br />

Im letzten Abschnitt (Die Bürger als Zuschauer,<br />

Betroffene und als Akteure: Zur Nutzung<br />

und Wirkung von <strong>Medien</strong>) geht es vor allem<br />

um die Bedeutung von Politik und politischer<br />

<strong>Medien</strong>nutzung im Alltag des Publikums.<br />

Michael Schenks Beitrag schließt inhaltlich an<br />

die Arbeit von Schmidt-Beck an, da auch hier<br />

die Einbettung der <strong>Medien</strong>kommunikation<br />

in das gesamte <strong>Kommunikations</strong>umfeld untersucht<br />

wird. <strong>Medien</strong> sorgten zwar für die Erstinformation,<br />

die Bewertung dieser Informationen<br />

erfolge jedoch in den persönlichen Netzwerken<br />

des Publikums. Damit stehe nicht nur<br />

der verbreitete medienzentrierte Öffentlichkeitsbegriff<br />

zur Disposition, sondern auch die<br />

Vorstellung eines starken <strong>Medien</strong>einflusses.<br />

Uwe Hasebrink untersucht die Entwicklung<br />

der <strong>Medien</strong>nutzung im Zeitverlauf. Insgesamt<br />

zeige sich eine Abnahme der Reichweiten politischer<br />

Information. Vor allem Jüngere und<br />

politisch wenig Interessierte würden von politischen<br />

Informationsangeboten nur schlecht<br />

erreicht. Allerdings müsse von der Idealvorstellung<br />

„gute Politikvermittlung“ setze umfangreiche<br />

Nutzung und aufmerksame Rezeption<br />

voraus, Abstand genommen werden. Im<br />

Sinne des Modells der Alltagsrationalität (Brosius)<br />

könne es durchaus rational sein, bestimmte<br />

Politikangebote nicht zu nutzen. Der Beitrag<br />

von Heinz Bonfadelli beschäftigt sich mit der<br />

Politikwahrnehmung von Jugendlichen. Politik<br />

habe als abstrakter, ichferner Bereich einen<br />

randständigen Stellenwert in der Lebenswelt<br />

von Jugendlichen. Erst mit zunehmendem Alter<br />

und politischem Wissen werde das politische<br />

Interesse langsam geweckt und das Interesse<br />

an politischen <strong>Medien</strong>inhalten angeregt. In<br />

dem abschließenden Beitrag von Ulrich Sarcinelli<br />

und Manfred Wissel wird vor den Gefahren<br />

politischer Desinformiertheit gewarnt und<br />

die Dringlichkeit politischer Bildungsarbeit<br />

unterstrichen. Dabei dürften die große Menge<br />

und die durch die neuen <strong>Medien</strong> noch verbes-


serte Zugänglichkeit zu Informationsangeboten<br />

jedoch nicht mit höherer Informiertheit<br />

gleichgesetzt werden. Nicht alle Bevölkerungssegmente<br />

profitierten in gleicher Weise von<br />

zunehmenden Informationsflüssen. Gleichwohl<br />

böten die technischen Innovationen neue<br />

Chancen politischer Beteiligung und politischer<br />

Bildung.<br />

Leider sind die Beiträge sind nicht immer optimal<br />

aufeinander abgestimmt, so dass teilweise<br />

erhebliche Redundanzen entstehen. Auch ist<br />

die Zuordnung der Einzelbeiträge zu den vier<br />

großen Abschnitten nicht immer nachvollziehbar.<br />

Vor allem die Zusammenstellung der<br />

sehr heterogenen Beiträge im zweiten Abschnitt<br />

(Medialer Wandel und Politikvermittlung:<br />

Strukturen, Prozesse und Strategien)<br />

erwecken den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit.<br />

Abgesehen von diesen kleineren<br />

Schwächen bei der redaktionellen Konzeption<br />

und Bearbeitung lässt sich der Sammelband<br />

vorbehaltlos zur Lektüre empfehlen. Er enthält<br />

weitgehend interessante und qualitativ hochwertige<br />

Einzelbeiträge aus unterschiedlichen<br />

Fächern. Die transdisziplinäre Zusammensetzung<br />

der Autoren und die Vielfalt der Perspektiven<br />

und Befunde spiegelt die Komplexität des<br />

Forschungsgegenstands und gewährt gerade<br />

dadurch einen hervorragenden Überblick über<br />

die Arbeiten zum Bereich Politik und <strong>Medien</strong>.<br />

Angesichts der zunehmenden Bedeutung und<br />

rasanten Entwicklung dieses noch relativ jungen<br />

Forschungsbereichs darf man gespannt sein<br />

auf den in weiteren 10 Jahren zweifellos fälligen<br />

Nachfolgeband.<br />

Christiane Eilders<br />

Peter Sicking<br />

Leben ohne Fernsehen<br />

Eine qualitative Nichtfernseherstudie<br />

Wiesbaden: DUV 1998. – 260 S.<br />

(zgl. Münster: Universität, Diss.)<br />

ISBN 3-8244-4305-8<br />

Das Fernsehen ist häufig Gegenstand öffentlicher<br />

Debatten, und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>ler<br />

sind häufig enttäuscht über den undifferenzierten<br />

Umgang mit ihren Befunden. Man<br />

nimmt die Differenzierung des Publikums zur<br />

Kenntnis, aber schweigt sich darüber aus, als<br />

würde auch hier eine Spirale wirken. Die empi-<br />

Literatur · Besprechungen<br />

rische Detailanalyse ist der Wahrheit nah, aber<br />

der Aufmerksamkeit fern. Dass das Medium<br />

der Massen auf der Suche nach der richtigen<br />

Ansprache von Zielgruppen Streuverluste beklagt,<br />

ist in diesem Zusammenhang eine Beobachtung,<br />

die zunächst nur das Publikum<br />

selbst im Blick hat. Am Rande und jenseits dieses<br />

„audience flow“ aber konzentriert sich die<br />

Abstinenz und der Verzicht auf (fast) tägliche<br />

Information und Unterhaltung durch das Leitmedium<br />

der Gegenwart. Es ist ein marginales<br />

Phänomen, mit dem sich Peter Sicking in seiner<br />

Studie auseinander setzt. Aber er tritt an, den<br />

unzulänglichen Behandlungen der Nichtfernseher<br />

entgegenzuwirken, und setzt zugleich auf<br />

die Karte „Differenzierung“, die ihm in diesem<br />

Themenfeld vielleicht mehr Aufmerksamkeit<br />

sichern wird.<br />

Vor mehr als 20 Jahren hatte der damalige Bundeskanzler<br />

Helmut Schmidt der deutschen Bevölkerung<br />

die Empfehlung gegeben, doch einen<br />

fernsehfreien Tag pro Woche anzustreben.<br />

Heute liegt die Tagesreichweite des Fernsehens<br />

knapp über 70 Prozent. Mit anderen Worten:<br />

30 Prozent der Bevölkerung werden täglich<br />

nicht erreicht, aber es sind am Montag andere<br />

als am Dienstag, und am Mittwoch vielleicht<br />

andere als am Sonntag usw. Optimistisch gesprochen:<br />

Die von der GfK-Fernsehforschung<br />

registrierte Fernsehnutzung lässt den Schluss<br />

zu, dass die Mehrheit der Zuschauer in<br />

Deutschland dem damaligen Wunsch aus Bonn<br />

vorausgeeilt oder gefolgt ist. Mit „Bildschirmverachtung“,<br />

wie es der Publizist Gerhard Prager<br />

einmal formulierte, hat dieser Verzicht wenig<br />

zu tun, sondern mit Erreichbarkeit und anderen<br />

Verpflichtungen.<br />

Jenseits dieser wechselnden Zuschauerschaft<br />

schätzt man die Zahl der generellen Nichtfernseher<br />

in Deutschland auf ein bis eineinhalb Millionen<br />

Menschen. Welche empirische Grundlage<br />

dieser Schätzung zugrunde liegt, wird dort,<br />

wo diese Zahl Erwähnung findet, nicht erörtert.<br />

Auch die vorliegende Arbeit enthält dazu<br />

keine Auskünfte. Sie versteht sich als qualitative<br />

Analyse, die ein „handlungstheoretisch fundiertes<br />

Analysekonzept entwickelt“ (S. 10), das<br />

einer umfassenderen Behandlung dieser Teilgruppe<br />

den zu berücksichtigenden Rahmen<br />

vorgeben soll. Denn die qualitative Vorgehensweise<br />

findet nicht nur ihren Niederschlag in der<br />

Zahl der „Fälle“, sondern auch in der Präsentation<br />

des erhobenen „Materials“. Die über Hörfunk<br />

und Tageszeitung erfolgte Akquisition<br />

119


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

von potenziellen Teilnehmern aus dem Raum<br />

Münster erbrachte zunächst 85 Rückmeldungen<br />

von Interessenten. Einige kamen für den<br />

Zweck der Untersuchung nicht in Frage (das<br />

Einschlusskriterium lautete: seit mindestens<br />

drei Monaten freiwillig nicht (mehr) ferngesehen),<br />

so dass letztlich 45 Frauen und 36 Männer<br />

zur Verfügung standen. Mit jeweils 15 Männern<br />

und Frauen wurden sodann mehrstündige<br />

Intensivinterviews geführt, die auch den Kernfundus<br />

für die weiteren Ausführungen darstellen.<br />

Darüber hinaus fand eine ergänzende Fragebogenerhebung<br />

statt, der aber auch im Rahmen<br />

dieser Arbeit nur eine marginale Bedeutung<br />

zukommt (vgl. S. 219 ff.).<br />

Bereits in der Einleitung kündigt der Verfasser<br />

an, dass die Gespräche unter Bezugnahme auf<br />

„Ideen der phänomenologisch begründeten<br />

Lebenswelttheorie“ (S. 10) interpretiert werden.<br />

Grundlage der Interviews ist ein systematisch<br />

aufgebauter Fragenkatalog, dessen Herleitung<br />

nachvollziehbar und gut dokumentiert<br />

ist. Die durch die Befragung vorgegebene<br />

Struktur (z. B. Entstehungsbedingungen der<br />

fernsehfreien Lebensweise, frühere Fernsehnutzung,<br />

Stellenwert des Nichtfernsehens,<br />

Selbst- und Fremdbeurteilung der fernsehfreien<br />

Lebensweise, <strong>Medien</strong>nutzungsverhalten)<br />

stellt zugleich das Gerüst für die Präsentation<br />

der Ergebnisse dar.<br />

Sicking begibt sich auf die „Suche nach dem<br />

Typischen“ (S. 39) und erhebt nicht den Anspruch<br />

auf Repräsentativität. Objektiv möchte<br />

er trotzdem sein, ohne die Subjektivität des<br />

Forschers aufzugeben (vgl. S. 38 f.). Ob man<br />

solche Zielsetzungen als paradox empfindet<br />

oder nicht, soll hier nicht zur Debatte stehen.<br />

Das methodische Vorgehen ist einem „‚emergentistischen‘<br />

Objektivitätsbegriff“ (S. 39) verpflichtet,<br />

dessen Essenz mit Gerhard Kleining<br />

wie folgt erläutert werden kann: „Objektivität<br />

entsteht aus Subjektivität durch den Prozeß der<br />

Analyse.“ (S. 39)<br />

Der neutralste Weg der Beurteilung dieser Forschungspraxis<br />

ist der Blick auf die Ergebnisse.<br />

Denn wer möchte schon der folgenden Feststellung<br />

widersprechen: „Bei allen Verallgemeinerungs-<br />

und Generalisierungsbemühungen<br />

handelt es sich bei den Befragten schließlich um<br />

unverwechselbare Individuen, deren exemplarischer<br />

Erkenntniswert nicht verkannt werden<br />

darf.“ (S. 43) Aber wenn alles individuell ist,<br />

muss man nach dem Gemeinsamen keine Aus-<br />

120<br />

schau halten. Jede fundamentale Feststellung<br />

dieser Art ist immun gegen Anfechtungen, weil<br />

sie die Abweichung nicht gestattet. Was also ist<br />

das Typische der Individuen, die nicht fernsehen?<br />

Die Antwort lautet: Sie haben einiges gemeinsam<br />

und lassen sich drei übergeordneten Nichtfernsehertypen<br />

zuordnen (vgl. S. 43). Die folgenden<br />

Angaben sind als Kurzporträts zu lesen.<br />

Ausführliche Originalbeschreibungen machen<br />

einen Großteil des Buches aus:<br />

1. der aktive Nichtfernsehertyp: Zentrales<br />

Merkmal ist eine aktive Lebensweise, die nicht<br />

mit einer zwanghaften Zurückweisung des Mediums<br />

einhergeht. Die Lebensweise ist „quasi<br />

automatisch“ (S. 97) entstanden. Authentische<br />

Erfahrungen sind wichtig, verbunden mit einer<br />

Betonung körperlicher und geistiger Aktivität.<br />

Zeitverschwendung wird verabscheut, Engagement<br />

im kulturellen, sozialen und politischen<br />

Bereich prägt die eigene Zeitverwendung. Insgesamt<br />

bedurfte es keines äußeren Anlasses, um<br />

dem Fernsehen zu entsagen. Es hat auch in der<br />

Vergangenheit keinen oder einen nur geringen<br />

Stellenwert in der Freizeitgestaltung eingenommen.<br />

Der Vorteil des Nichtfernsehens ist<br />

der Zeitgewinn.<br />

2. der bewusst-reflektierte Nichtfernseher:<br />

Auch hier wird originären Lebenserfahrungen<br />

und unmittelbaren Kontakten mit der Mit- und<br />

Umwelt Priorität eingeräumt. Sicking identifiziert<br />

in den Gesprächsprotokollen zwei<br />

Subtypen: den weltanschaulich geprägten und<br />

den selbstbestimmten Lebensreformtyp (vgl.<br />

S. 101). Anthroposophische, ökologische und<br />

philosophisch-religiöse Denkweisen sind in<br />

unterschiedlicher Mischung das Fundament<br />

dieses Lebensstils. Es handelt sich häufig um<br />

Familien mit Kindern. Die entscheidende Differenz<br />

zum ersten Typus liegt in der Vergangenheit:<br />

Fernsehen war Teil der Alltagsroutine<br />

und man wollte diese Bildschirmorientierung<br />

nicht länger fortführen. Entsprechend konzentrieren<br />

sich gerade hier negative Beurteilungen<br />

des Mediums: das Bild ist Lüge; was gesendet<br />

wird, ist katastrophal; Vorgaukeln einer perspektivischen<br />

Erfahrung; künstliche Sozialwelt<br />

usw. Der Vorteil des Nichtsehens wird hier in<br />

einem höheren Bewusstseins- und Wahrnehmungsniveau<br />

der Umwelt gesehen (vgl. S. 139).<br />

3. der suchtgefährdete Nichtfernseher: Hier<br />

identifiziert Sicking eine kleine Gruppe ehemaliger<br />

Extremfernseher, deren früherer Umgang


mit dem Fernsehen fast schon pathologisch zu<br />

nennen ist. Zugleich findet hier auch ein Wechsel<br />

der Extreme statt: Aus Vielsehern werden<br />

Vielleser. Auch der Anteil der Raucher ist im<br />

Vergleich zu den ersten beiden Gruppen höher.<br />

Einen drastischen Einblick in die Vorgeschichte<br />

dieser Lebensweise liefert das folgende Beispiel.<br />

Es beschreibt das Ende eines Fernsehapparats:<br />

„Ich hab dann angefangen, hab ihn noch<br />

mal angemacht, und es war gerade auch noch<br />

eine von den Sendungen, die ich gerne gucke.<br />

Ja, und dann den wirklich ausschalten, Stecker<br />

raus, und dann hinten die Rückwand abzuschrauben<br />

und auseinander zu nehmen, und<br />

systematisch die Platine mit der Zange abbrechen,<br />

jedes Teil einzeln, klack, klack, klack, ihn<br />

richtig auseinander zu nehmen, und es ging mir<br />

saugut dabei!“ (S. 168) Ob der Betreffende diesen<br />

Akt der Befreiung mittlerweile schon wieder<br />

bereut hat, ist nicht bekannt. Aber die Gefahr<br />

eines „Rückfalls“ ist insbesondere in dieser<br />

Gruppe gegeben. Die Erleichterung ist zunächst<br />

groß, aber das Medium hat in der bisherigen<br />

Biografie Spuren hinterlassen, die noch<br />

nicht verschwunden sind.<br />

Diese knappen Porträts verdichten die sehr detaillierten<br />

Erzählungen und Zusammenfassungen,<br />

die Sicking seinen Fallbeispielen hinzufügt.<br />

Wirklich überrascht wird man durch die<br />

meisten Befunde nicht. Man antizipiert sehr<br />

schnell den Inhalt der zahlreichen Selbstbeschreibungen.<br />

Die originären Beschreibungen<br />

sind insofern nicht so originell, dass sie den Leser<br />

auf ein unbekanntes Terrain führen. Das<br />

Medium wird vielfach zum Opfer von Klischees,<br />

die der eingangs angesprochenen Differenzierung<br />

keinen Raum geben. In der Übertreibung<br />

mag hier die Befriedigung für die Untersuchungsteilnehmer<br />

liegen.<br />

Sicking selbst spricht am Ende von einer<br />

„eklatante[n] Wissenslücke in der kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lichen<br />

Zuschauerforschung“<br />

(S. 235), die durch seine Untersuchung geschlossen<br />

werden konnte. Nur zwei Seiten vorher<br />

heißt es aber auch: „Die Erkenntnisse der<br />

bisherigen bundesdeutschen Nichtfernseherforschung<br />

zu den Motiven für eine fernsehfreie<br />

Lebensführung und den daraus resultierenden<br />

Konsequenzen erfuhren dabei im wesentlichen<br />

eine Bestätigung.“ (S. 233) Was also sind die Befunde,<br />

die das Schließen der Lücke bewirkt haben?<br />

Nach Sicking ist es vor allem die Typologie<br />

– und damit die differenzierte Betrachtung<br />

der Nichtseher –, die in Zukunft mehr Beach-<br />

Literatur · Besprechungen<br />

tung finden muss. Hinzu kommt das trotz Differenzen<br />

bestehende gemeinsame Merkmal von<br />

Aktivität und Engagement, das alle befragten<br />

Personen aufweisen. Der insgesamt gut formulierten<br />

Arbeit und gut dokumentierten Vorgehensweise<br />

ist es gelungen, einen Leitfaden zu<br />

präsentieren, der sich wohl auch in einem größeren,<br />

standardisierten Rahmen einsetzen lassen<br />

kann. Vielleicht wird dann noch deutlicher,<br />

in welchen Bereichen die Wahrnehmung und<br />

Beurteilung dieses Themas nicht einem vermeintlichen<br />

Vertrautheitswissen zum Opfer<br />

fällt.<br />

Michael Jäckel<br />

G. Christine Müller<br />

Der europäische Fernsehabend<br />

Köln: Halem, 1999. – 100 S.<br />

ISBN 3-931606-29-5<br />

Der europäische Fernsehabend von G. Christine<br />

Müller ist im Rahmen des über sechs Jahre laufenden<br />

Sonderforschungsbereichs Bildschirmmedien<br />

(Universität Siegen) als ein Ergebnisband<br />

des Teilprojekts Fernsehen und neue<br />

<strong>Medien</strong> im Europa der 90er-Jahre entstanden.<br />

Vorgestellt wird ein europäischer Programmstrukturvergleich<br />

mit Daten aus dem Jahr 1995.<br />

Untersucht wurden aus sechs europäischen<br />

Ländern (Deutschland, Großbritannien, Frankreich,<br />

Italien, Spanien und Ungarn) jeweils zwei<br />

öffentlich-rechtliche und zwei private Fernsehprogramme<br />

mit nationaler Verbreitung. Die<br />

ausgewählten Sender waren für Deutschland<br />

ARD, ZDF, RTL und SAT.1, für Großbritannien<br />

BBC1, BBC2, ITV und Channel 4, für Italien<br />

RAI1, RAI2, Canale 5 und Italia 1, für<br />

Frankreich FR2, FR3, TF1 und M6, für Spanien<br />

TVE1, LA2, Tele5 und Antenna3, für Ungarn<br />

MTV1 MTV2, SZIV TV und TV3. Untersucht<br />

wurden diese Programme über zwei<br />

natürliche Wochen im Oktober 1995, jeweils<br />

beschränkt auf eine einheitliche Prime Time von<br />

19.00 bis 23.00 Uhr. Grundlage der Programmcodierung<br />

waren Programmzeitschriften aus<br />

den jeweiligen Ländern. Erfasst wurden daraus<br />

die Merkmale Titel des Beitrags, Sender, Ausstrahlungsdatum,<br />

Sendebeginn, Dauer, nationale<br />

Herkunft (Eigen-/Fremdproduktion), Unterscheidung<br />

zwischen unterhaltenden/ernsthaften<br />

Sendungen, Zusatzinformationen zur<br />

Sendung und Sendungscode (hierarchisch abgeleitete<br />

Programmkategorien des Fiction- und<br />

Non-Fiction-Angebots).<br />

121


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Folgt man dem Aufbau des Buches, so werden<br />

nach Vorwort und Einleitung (5 S.) im anschließenden<br />

Methodenkapitel (13 S.) die zentralen<br />

Fragestellungen und das Analyseinstrument<br />

beschrieben. Eine über die Definition der<br />

Prime Time hinausführende theoretische und<br />

methodische Diskussion der Untersuchungsdimensionen,<br />

aus der einerseits die Gemeinsamkeiten,<br />

andererseits die Unterschiede zu anderen<br />

Programmanalysen deutlich werden, findet<br />

dabei nicht statt. Den medienstrukturellen, politischen<br />

und medienrechtlichen Hintergrund<br />

des Programmstrukturvergleichs liefert das<br />

anschließende Kapitel über die Entwicklung<br />

der Rundfunksysteme in den sechs ausgewählten<br />

Ländern (18 S.). Hier werden im Wesentlichen<br />

die im Internationalen Handbuch für<br />

Hörfunk und Fernsehen des Hans-Bredow-<br />

Instituts von 1996/97 enthaltenen Kapitel über<br />

die betreffenden Länder in Kurzform referiert.<br />

Am Ende erscheint eine Tabelle (die einzige im<br />

Buch) mit den ausgewählten Fernsehprogrammen.<br />

Die Untersuchungsergebnisse bilden den<br />

Hauptteil des Buches (42 S.). Den Analysedimensionen<br />

und Programmkategorien folgend,<br />

werden die insgesamt 24 Programme aus den<br />

sechs europäischen Ländern in ihren quantitativen<br />

Anteilen verglichen. Dieser Vergleich<br />

wird in insgesamt 14 Abbildungen (Säulen- und<br />

Kuchendiagramme) dargestellt. Man gewinnt<br />

dabei einen schnellen Überblick über die wesentlichen<br />

Strukturmerkmale, in denen sich die<br />

Fernsehprogramme der Länder unterscheiden.<br />

Eine zusätzliche Datendokumentation, z. B.<br />

Tabellen, aus denen sich die absoluten Werte<br />

der dargestellten Prozentanteile bei wechselnden<br />

Bezugsgrößen entnehmen ließen, gibt es<br />

leider nicht. Im Schlusskapitel (9 S.) werden die<br />

empirischen Befunde zusammengefasst und<br />

unter medienpolitischen Aspekten interpretiert,<br />

wobei insbesondere die eingangs erwähnten<br />

Fragestellungen der drei Vergleiche, öffentlich-rechtlich<br />

vs. privat, Nordeuropa vs. Südeuropa<br />

und Westeuropa vs. Osteuropa wieder<br />

aufgegriffen werden. Die Literaturliste enthält<br />

64 Titel, von denen 20 im Text des Buches zitiert<br />

werden.<br />

Betrachtet man die Studie als Beitrag, wichtige<br />

europäische Fernsehländer in einer Momentaufnahme<br />

vor dem Hintergrund der verschiedenartigen<br />

nationalen Fernsehsysteme zu beschreiben<br />

und zu interpretieren, muss der<br />

zurückliegende Untersuchungszeitraum von<br />

1995 gar nicht nachteilig sein. Denn beim Defi-<br />

122<br />

zit an vergleichenden europäischen Fernsehprogrammanalysen<br />

kann jeder Zeitraum informativ<br />

sein, wenn er dazu beiträgt, über die<br />

Sprachbarrieren hinweg Europas wichtigste<br />

Fernsehländer in einigen zentralen Charakteristika<br />

kennen zu lernen.<br />

Mit ihren Analysekategorien kommt G. Christine<br />

Müller zu dem Befund, dass zwar in allen<br />

sechs Ländern leichte unterhaltende Angebote<br />

gegenüber den ernsten Angeboten überwiegen,<br />

dabei jedoch ein Nord-Süd-Gefälle festzustellen<br />

sei: Im Anteil ernster sowie anspruchsvoller<br />

Angebote unterscheiden sich Deutschland und<br />

Großbritannien am deutlichsten von Spanien<br />

und Italien. Die herausgehobene Rolle<br />

Deutschlands und Großbritanniens unter den<br />

sechs europäischen Ländern zeigt sich auch in<br />

anderen Aspekten. So weisen in Deutschland<br />

die Fernsehprogramme im Durchschnitt mehr<br />

Eigenproduktionen auf als in anderen Ländern.<br />

Bei der Gegenüberstellung von Fiction und<br />

Non-Fiction erscheinen die kommerziellen<br />

Programme aller Länder tendenziell stärker<br />

fictionorientiert als die öffentlich-rechtlichen<br />

Programme. Wesentliche Unterschiede zeigen<br />

sich allerdings bei der Herkunft der Fictionsendungen:<br />

In Deutschland und Großbritannien<br />

überwiegen die Eigenproduktionen, in den anderen<br />

Ländern die Fremdproduktionen. Dies<br />

hat möglicherweise dazu beigetragen, dass die<br />

Befürchtungen vor einer amerikanischen Dominanz<br />

in Deutschland geringer ausgeprägt<br />

waren als etwa in Frankreich, Italien oder Spanien.<br />

Sehen die einen den internationalen, vor<br />

allem den US-Programmmarkt, als kulturelle<br />

Bedrohung, nutzen ihn andere, wie am Beispiel<br />

Ungarns gezeigt wird, als willkommene<br />

Chance, nicht nur den privaten, sondern auch<br />

den öffentlich-rechtlichen Programmbedarf<br />

damit kostengünstig zu decken. Im Vergleich<br />

der Länder hinsichtlich unterhaltender versus<br />

ernsthafter Anteile ihres Non-Fiction-Angebots<br />

gibt es außer den Unterschieden zwischen<br />

den Ländern vor allem erhebliche Unterschiede<br />

zwischen den mehr ernsthaft orientierten<br />

öffentlich-rechtlichen und den unterhaltungsorientierten<br />

kommerziellen Programmen in<br />

Deutschland. In einem weiteren Schritt der<br />

Programmdifferenzierung nach den Kategorien<br />

Spiel- und Fernsehfilme, Serien, Berichterstattung<br />

und Dokumentationen, Magazine,<br />

Sport, Shows und andere spiegeln sich die<br />

schon in anderen Programmanalysen aufgezeigten<br />

Profilunterschiede zwischen öffent-


lich-rechtlichen und privaten Programmen wider,<br />

die hier im größeren Anteil an Berichterstattung<br />

und Dokumentation sowie Magazinen<br />

bei den öffentlich-rechtlichen und Serien,<br />

Spielfilmen und Shows bei den privaten Sendern<br />

zu Tage treten. Allerdings trifft die Präferenz<br />

für Informationsangebote nicht für alle öffentlich-rechtlichen<br />

Programme aller Länder in<br />

gleicher Weise zu wie in Deutschland.<br />

In der Zusammenfassung interpretiert G.<br />

Christine Müller die Befunde aus ihren Daten<br />

im Hinblick auf die Programmstrategien, die<br />

die öffentlich-rechtlichen Sender in den einzelnen<br />

Ländern gewählt haben, um sich im dualen<br />

System gegen die Konkurrenz kommerzieller<br />

Sender behaupten zu können. In Deutschland,<br />

so die Studie, unterscheidet sich das öffentlichrechtliche<br />

Programm einheitlich durch ein<br />

größeres Informationsangebot und größere<br />

thematische Vielfalt von den privaten Programmen.<br />

In Großbritannien orientieren sich alle<br />

Sender tendenziell am Profil öffentlich-rechtlicher<br />

Programme. In den anderen Ländern dagegen<br />

spaltet sich das öffentlich-rechtliche System.<br />

Während eines der beiden öffentlichrechtlichen<br />

Programme am öffentlich-rechtlichen<br />

Profil orientiert bleibt, orientiert sich das<br />

andere tendenziell am Profil der privaten Programme.<br />

Offenbar findet dort eine partielle<br />

Anpassung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

an den privaten Rundfunk statt, die es in<br />

Ländern mit starker öffentlich-rechtlicher Tradition<br />

und solider Finanzierungsbasis so nicht<br />

gegeben hat. Der europäische Fernsehmarkt, so<br />

die Studie, wird weitgehend von den unterschiedlichen<br />

nationalen Rahmenbedingungen<br />

geprägt. So kommt es, dass die Gemeinsamkeiten<br />

zwischen den europäischen Fernsehprogrammen<br />

weniger europäisch, sondern mehr<br />

durch US-Importe und Übernahmen erfolgreicher<br />

amerikanischer Programmkonzepte geprägt<br />

sind. Auch hierin zeigt sich ein Beleg für<br />

die europäische Vielfalt. Nach solchen Befunden<br />

stellt sich am Ende des europäischen Fernsehabends<br />

für die Autorin die Frage, ob es nicht<br />

sinnvoll und überfällig sei, den öffentlichrechtlichen<br />

Grundversorgungsauftrag in die<br />

gesamteuropäischen Fernsehrichtlinien aufzunehmen,<br />

um die europäische Identität auf dem<br />

Fernsehsektor zu stärken.<br />

Die Studie behandelt ein Thema, das komplex<br />

und facettenreich ist. Auch wenn die Darstellung<br />

in den einzelnen Kapiteln in mancher Hinsicht<br />

zu kurz geraten ist und sowohl der Zu-<br />

Literatur · Besprechungen<br />

gang zur Datenbasis als auch die Verknüpfung<br />

der Ergebnisse mit Befunden aus anderen Analysen<br />

unterbleibt, bietet sie auf anschauliche<br />

Weise einen Einstieg in die noch wenig zusammenhängend<br />

dargestellte europäische Fernsehprogrammlandschaft.<br />

Wer sich intensiver mit<br />

den angesprochenen Fragen befassen will, findet<br />

die Beschreibung der europäischen Rundfunksysteme<br />

ausführlicher im Bredow-Handbuch<br />

und eine Fülle von Programmdaten in der<br />

von André Lange seit 1994 jährlich für das Statistische<br />

Jahrbuch des Council of Europe (Europäische<br />

audiovisuelle Informationsstelle in<br />

Straßburg) aufbereiteten Fernsehprogrammstatistik<br />

europäischer Länder.<br />

Udo Michael Krüger<br />

Klaus Merten<br />

Gewalt durch Gewalt im Fernsehen?<br />

Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag,<br />

1999 – 287 S.<br />

ISBN 3-531-133977-7<br />

Nicht nur fürs Fernsehen, aber für es im besonderen<br />

Maß, ist wiederholt die Frage diskutiert<br />

oder oft genug auch dramatisiert worden,<br />

ob und wie seine brutalen Inhalte reale Gewalt<br />

erzeugen, also gewaltbereite Einstellungen hervorrufen<br />

oder zumindest unterstützen oder gar<br />

zu Gewalthandlungen anleiten. Keine andere<br />

Frage der Fernsehwirkung dürfte so intensiv<br />

und widersprüchlich traktiert, aber auch mit<br />

unhaltbaren Behauptungen überfrachtet worden<br />

sein – M. Kunczik sprach schon 1994 von<br />

mehr als 5.000 Studien weltweit –, aber kaum<br />

eine andere Frage ist weiterhin so umstritten.<br />

Zuletzt (und womöglich auch letztmalig) entzündete<br />

sie sich hierzulande an den Programminhalten<br />

der privatkommerziellen Fernsehsender,<br />

nachdem eine künstliche Programmwoche<br />

von Groebel/Gleich1 im Auftrag der Landesmedienanstalten<br />

Anfang der 90er-Jahre untersucht<br />

worden war. Die inkriminierten Sender<br />

retournierten sogleich und beauftragten den<br />

Münsteraner <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>ler<br />

Klaus Merten und sein damaliges Institut Comdat<br />

gewissermaßen mit „Gegenstudien“, die<br />

prompt für die Auftraggeber positiver – aller-<br />

1 Jo Groebel/Uli Gleich: Gewaltprofil des deutschen<br />

Fernsehprogramms. Eine Analyse des Angebots<br />

privater und öffentlich-rechtlicher Sender. Opladen<br />

1993<br />

123


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

dings bei Sendeinhalten ein und zwei Jahre später<br />

– ausfielen. Seither ist – zumindest offiziell<br />

– „Abrüstung des Bildschirms“ angesagt, aber<br />

<strong>wissenschaft</strong>lich überprüft wurde sie nicht<br />

mehr, denn recht ruhig ist es in der Öffentlichkeit<br />

um die TV-Violenz geworden – sofern man<br />

nicht Volkes Stimme bei der einen oder anderen<br />

Veranstaltung oder Protestaktion hier und<br />

da beachtet. Wenn überhaupt, so entflammt die<br />

Debatte nun an den Exzessen im Internet, etwa<br />

am besonders üblen und beschämenden Beispiel<br />

Kinderpornografie; bricht jedoch dort fast<br />

ebenso rasch angesichts der unweigerlichen gesetzlichen<br />

Vollzugsdefiziten und der virtuellen<br />

Internationalität von Tätern und Netzen in sich<br />

zusammen.<br />

All die fernsehbezogenen Studien und Aktivitäten<br />

des letzten Jahrzehnts (und darüber<br />

hinaus) finden sich nun – noch einmal – in dem<br />

vorliegenden Band Mertens dokumentiert und<br />

kommentiert. Insofern ist die <strong>wissenschaft</strong>spolitische<br />

Kontextuierung für dieses Buch von<br />

Belang. So zeigt er die Disparatheit des Gewaltbegriffs<br />

auf, weil der sich in diversen Kontexten<br />

unterschiedlich darstellt, liefert profunde<br />

Referate über Theorie und Empirie<br />

massenmedialer Gewaltforschung als Teil der<br />

<strong>Medien</strong>wirkungen, das – wie man von Mertens<br />

skeptischer Haltung zur empirischen Wirkungsforschung<br />

erwarten kann – äußerst kritisch,<br />

mit unbestechlichen Hinweisen auf behavioristische<br />

Verkürzungen, Defizite und Desiderate<br />

der Forschung ausfällt. Aber es finden<br />

sich auch wissens(schafts)politische Betrachtungen<br />

über die Konjunkturen, Themen und<br />

Interessenlagen der Gewalt im Fernsehen-Debatte<br />

und über die politischen und pädagogischen<br />

Optionen von Prävention und Sanktion,<br />

wobei Merten erneut seine kritische, aber letztlich<br />

verkürzte Sicht der <strong>Medien</strong>pädagogik – gewissermaßen<br />

als Reparaturagentur – rekapituliert.<br />

Unmittelbarer empirischer Anlass ist<br />

eine Inhaltsanalyse der Gewaltdebatte in der<br />

„Frankfurter Rundschau“ von September 1991<br />

bis Ende Oktober 1995, bekanntlich in einem<br />

als besonders für die <strong>Medien</strong>kritik sensiblen<br />

und damit für Sensationsmache unverdächtigem<br />

Organ. Doch auch dieses neigt, so Mertens<br />

Fazit, trotz vieler Nuancen insgesamt zu „erheblicher<br />

Irrationalität“ und „Unheilssemantik“<br />

(S. 222), besonders dann, wenn über „reale<br />

Gewalt“ zu berichten ist und dafür nach eindeutigen,<br />

oft genug auch spektakulären Ursachen<br />

gesucht wird.<br />

124<br />

Vor allem hinsichtlich der deutschen Forschung<br />

ergänzt Mertens Band mithin Kuncziks2<br />

mehrfach, zuletzt 1998 aufgelegte Synopse<br />

der internationalen Forschung, wie er<br />

auch den von Friedrichsen/Vowe3 herausgegebenen<br />

Sammelband über diese Thematik fortschreibt.<br />

Wenn man es ganz nüchtern betrachtet:<br />

Mehr lässt sich zu diesem weidlich traktierten<br />

Thema kaum mehr sagen – sofern man nicht<br />

noch weiterhin, aber unerklärlicherweise davon<br />

ausgeht, dass jemand den Stein der Weisen<br />

der <strong>Medien</strong>forschung findet und überzeugend<br />

wie eindeutig endlich belegt, wie das Fernsehen<br />

und seine violenten Inhalte wirken, und zwar<br />

überindividuell, überzeitlich und dennoch<br />

konkret und nachweislich. Doch schon die Erwartung<br />

darauf indiziert bekanntlich ein bestimmtes<br />

Wissenschaftsverständnis, nämlich<br />

das der wie immer begründeten Nomologie<br />

und des Erkenntnisprogresses, dem alle anderen<br />

eher ideografischen, verstehenden oder<br />

auch subjektbezogenen entgegenstehen.<br />

Auch Merten neigt – wie schon vor ihm 1973<br />

amerikanische Wissenschaftler in dem berühmten<br />

„Report on Television and Social Behavior“<br />

an den „Surgeon General“ und auch M. Kunczik<br />

in seinen historischen Abrissen über das<br />

Phänomen der <strong>Medien</strong>gewalt seit Aristoteles –<br />

eher zur Skepsis und attestiert am Ende Erkenntnis<br />

wie Debatte „keinen Lernprozess“,<br />

vielmehr folgten sie einem „Recycel-Prinzip“<br />

oder „feststehenden Ritual“ nach dem Motto:<br />

„Je größer die aufschreckende reale Gewalt<br />

ausfällt, desto massiver werden stets die gleichen<br />

Argumente von den beteiligten Adressaten<br />

artikuliert“ (S. 260). Metatheoretisch ordnet<br />

Merten daher den „Diskurs um die Gewalt<br />

durch Gewalt in den <strong>Medien</strong>“ der „Risikokommunikation“<br />

zu, einem <strong>Kommunikations</strong>typus,<br />

mit dem die Gesellschaft als Ganze Unübersichtliches,<br />

Unfassliches und letztlich Unkalkulierbares<br />

in vermeintlich plausible oder<br />

auch scheinbar vereindeutigte Kategorien abdrängt<br />

und letztlich „die steigende Unfähigkeit“<br />

überdeckt, „sich der <strong>Medien</strong> als Beschaffer<br />

von Wahrheit zu versichern“, wie es Merten<br />

in seinen von ihm geschätzten Thesen zuspitzt<br />

(S. 262). Aber ganz vermag diese Erklärung<br />

2 Michael Kunszik: Gewalt und <strong>Medien</strong>. Köln/Wien<br />

1998, 4. Aufl.<br />

3 Mike Friedrichsen/Gerhard Vowe: Gewaltdarstellungen<br />

in den <strong>Medien</strong>. Theorien, Fakten und Analysen.<br />

Opladen 1995


nicht zu befriedigen, denn allenthalben sind<br />

auch konkrete Interessen im Spiel, die auf die<br />

eine oder andere Weise von solchen Begriffsmanövern<br />

profitieren. Jedenfalls müsste sich<br />

jede künftige einschlägige Studie über <strong>Medien</strong>gewalt<br />

zunächst mit Mertens strikter, aber<br />

weithin zutreffender Attribuierung dieser Forschung<br />

auseinander setzen und sie begründet<br />

überwinden, um nicht blind zu riskieren, das<br />

Recycel-Rad nur wieder einmal weiter zu drehen.<br />

Doch dass dies geschieht – auch darüber<br />

muss man skeptisch sein.<br />

Hans-Dieter Kübler<br />

Waltraud Cornelißen / Christa Grebel<br />

Gleichberechtigung on air?<br />

Zur Präsentation von Männern und Frauen im<br />

niedersächsischen Hörfunk – eine empirische<br />

Untersuchung<br />

Berlin: Vistas 1999. – 285 S.<br />

(Schriftenreihe der NLM; 5)<br />

ISBN 3-89158-242-5<br />

Von der „Verbannung der Frauen in die symbolische<br />

Nichtexistenz“ sprach Gaye Tuchman<br />

1980 (im amerikanischen Original bereits<br />

1978). Mehr als 20 Jahre später nahezu dasselbe<br />

zu lesen, scheint nicht gerade originell. Wo also<br />

liegt das retardierende Moment – in „der Wirklichkeit“<br />

oder in der Forschung? Sowohl als<br />

auch – das ist das sehr knappe Resümee der Studie<br />

„Gleichberechtigung on air?“, die Waltraud<br />

Cornelißen und Christa Grebel im Auftrag der<br />

Niedersächsischen Landesmedienanstalt erstellt<br />

haben. Sie untersuchen die Präsentation<br />

von Männern und Frauen in den privat-kommerziellen<br />

Hörfunkprogrammen Hit-Radio<br />

Antenne und Radio ffn sowie den öffentlichrechtlichen<br />

Programmen NDR 1, NDR 2 und<br />

N-Joy. In einer quantitativen Analyse erfassen<br />

die Autorinnen dabei innerhalb einer natürlichen<br />

Woche im Jahr 1997 die Themenstruktur<br />

der Informationsbeiträge, das Geschlecht der<br />

Personen on air in ihren jeweiligen Funktionen<br />

und Kontexten – entweder als JournalistInnen<br />

oder als ExpertInnen, HörerInnen im Gespräch<br />

oder InterviewpartnerInnen. Anschließend<br />

wollen Cornelißen und Grebel die „Abwertung,<br />

Reduktion und grobe Vernachlässigung<br />

von Personen“ (S. 143) in einer qualitativ<br />

angelegten Sprachanalyse erfassen. Zudem un-<br />

Literatur · Besprechungen<br />

tersuchen sie die (wenigen) Wortbeiträge, die<br />

explizit Gleichstellungsfragen zum Thema machen.<br />

Ziel dieses interpretativen Vorgehens ist<br />

es, „ein ganzes Bedeutungs- und Sinnpotenzial<br />

diskursanalytisch zu erschließen und dessen<br />

Ausschöpfung durch die jeweilige Hauptzielgruppen<br />

zu reflektieren“ (S. 161).<br />

Mit dieser Studie liegt neben der Arbeit von Petra<br />

Werner und Lars Rinsdorf zum nordrheinwestfälischen<br />

Lokalfunk eine weitere Analyse<br />

aus dem Bereich des Hörfunks vor, der bislang<br />

in der <strong>Medien</strong>forschung insgesamt, aber auch<br />

speziell in der Geschlechterforschung wenig<br />

Aufmerksamkeit gefunden hat. Während für<br />

das Fernsehen einige Analysen zum Frauenbild<br />

und der Frauendarstellung existieren (nach der<br />

„legendären“ Küchenhoff-Studie von 1975 die<br />

öffentlich-rechtliche und kommerzielle Sender<br />

einbeziehende Arbeit von Monika Weiderer<br />

von 1993) und Printmedien zwar keineswegs<br />

flächendeckend, aber im Bereich der Frauenzeitschriften<br />

durchaus systematisch (vgl. bspw.<br />

Röser 1992), im Bereich der Tagespresse eher<br />

exemplarisch (vgl. Schmerl 1985 oder Müller-<br />

Gerbes/Werner 1993) untersucht worden sind,<br />

lagen für den Hörfunk bislang kaum Erkenntnisse<br />

über die Konstruktion von Geschlechterrollen<br />

vor. Das Nebenbei-Medium erschien offenbar<br />

nicht relevant genug, um erforscht zu<br />

werden. Mit den finanziellen Ressourcen der<br />

Landesmedienanstalten hat sich das geändert.<br />

Der Auftrag qua Landesrundfunkgesetz, „zur<br />

Verwirklichung der Gleichberechtigung beizutragen“,<br />

wird jetzt auch in Niedersachsen einer<br />

Prüfung unterzogen. Um das Ergebnis vorwegzunehmen:<br />

Trotz wenig befriedigender Ergebnisse<br />

über die Thematisierung von Geschlechterfragen,<br />

die Präsentation von Männern<br />

und Frauen, die Arbeit mit Stereotypen –<br />

trotz alledem bieten die niedersächsischen<br />

Hörfunkprogramme keinen Grund zur Beanstandung.<br />

Denn – so schätzten es bereits Werner/Rinsdorf<br />

ein – der normative Programmauftrag<br />

hilft allenfalls, systematische Diskriminierung<br />

zu verhindern, nicht jedoch veränderte<br />

Programmgestaltung zu erzwingen. Was also<br />

kann und soll eine derartige Studie dann leisten?<br />

Zuerst einmal will sie uns Wissen über die<br />

Konstruktion von Geschlechterrollen im Hörfunk<br />

vermitteln. Die quantitativen Befunde<br />

machen dabei die nur geringfügigen Änderungen<br />

seit Tuchmans Äußerung von 1978 deut-<br />

125


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

lich: Gerade einmal fünf von 6.143 Beiträgen im<br />

niedersächsischen Untersuchungsmaterial beschäftigen<br />

sich mit Frauenpolitik – 0,008 Prozent<br />

machen also das Geschlechterverhältnis<br />

selbst zum Thema. Bei insgesamt 2,3 Prozent<br />

der journalistischen Beiträge können die Autorinnen<br />

im weitesten Sinne gleichstellungspolitische<br />

Themen entdecken, ohne dass diese jeweils<br />

explizit problematisiert würden. Unter<br />

den Personen on air machen Frauen ein Drittel<br />

aus. Auffällig dabei ist die funktionale Differenz:<br />

In der ExpertInnenrolle beträgt der Frauenanteil<br />

lediglich 17 Prozent, unter den HörerInnen<br />

machen Frauen dagegen – vor allem<br />

durch Wunschsendungen – 57 Prozent aus.<br />

Diese Einzelbefunde ließen sich fortführen:<br />

Frauen haben kürzere Sprechzeiten, werden<br />

nahezu gar nicht (1,7 Prozent) mit einer geschlechterdifferenzierenden<br />

Sprache benannt.<br />

Die Unterschiede zwischen den kommerziellen<br />

und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbietern<br />

sind dabei nicht sehr bemerkenswert.<br />

Es „erstaunt (...) die Homogenität der Befunde,<br />

vor allem die, die eine verbreitete Ignoranz<br />

gegenüber Ereignissen signalisieren, in deren<br />

Mittelpunkt Akteurinnen stehen“ (S. 142).<br />

Bei diesen Befunden wird deutlich, dass der<br />

dieser Arbeit zugrunde liegende Gleichheitsansatz<br />

seine Berechtigung hat. Bei so deutlicher<br />

Unterrepräsentanz von Frauen in der Hörfunk-Berichterstattung<br />

bleibt es ein normatives<br />

Anliegen aktueller Frauenforschung, eine angemessene<br />

und gleichwertige Repräsentation von<br />

Frauen in den <strong>Medien</strong> zu fordern. Diese Forderung<br />

durchzieht die Arbeit von Cornelißen/<br />

Grebel wie ein roter Faden.<br />

Doch nicht zufällig hat sich die Frauenforschung<br />

weiterentwickelt, neben dem Gleichheitsansatz,<br />

den Differenzansatz – auf der Unterschiedlichkeit<br />

der Geschlechter beharrend –<br />

und schließlich unter dem Begriff der Geschlechterforschung<br />

die theoretische Auseinandersetzung<br />

um die gesellschaftliche (und damit<br />

auch mediale) Konstruktion von Geschlechterrollen<br />

eingefordert. Für die <strong>Medien</strong>forschung<br />

bedeutete diese Entwicklung, dass<br />

neben die Bilanz der ungleichen Darstellung<br />

von Männern und Frauen die Auseinandersetzung<br />

um das „Wie“ dieser Andersartigkeit, um<br />

die Konstruktion der Differenz tritt. Die Produktivität<br />

eines solchen Vorgehens lässt sich<br />

auf das Material, mit dem Cornelißen und Grebel<br />

im qualitativen Teil ihrer Studie arbeiten,<br />

durchaus übertragen: So beschreiben die Auto-<br />

126<br />

rinnen zahlreiche Beispiele, bei denen im Rahmen<br />

„einer ritualisierten Scherzkommunikation“<br />

klischeehafte Reduktionen vorgenommen<br />

würden. Insbesondere die Formen der Doppelmoderation,<br />

in denen zweifelsohne mit Geschlechterstereotypen<br />

(männlichen wie weiblichen)<br />

gearbeitet wird, lassen sich jedoch auch<br />

aus einem anderen Blickwinkel als dem der<br />

Diskriminierung betrachten. Im dialogischen<br />

Handeln konstruieren hier Moderator und<br />

Moderatorin Geschlechterrollen, die den (vermeintlichen)<br />

Geschlechteridentitäten der Hörerinnen<br />

und Hörer möglichst nah kommen<br />

sollen. Entsprechend gestalten die ModeratorInnen<br />

bei N-Joy andere Rollen von Frau und<br />

Mann als jene bei NDR 1 – es handelt sich aber<br />

in allen Fällen um geschlechtergebundene Verhaltensweisen.<br />

Gerade darin besteht ein wesentlicher<br />

Teil des „Unterhaltsamen“ der Moderationsplaudereien.<br />

Das von den Autorinnen<br />

verzweifelt gesuchte widerständige Abwehrverhalten<br />

von Moderatorinnen gehört dabei<br />

genauso zum Rollenkonstrukt wie das klischeehafte<br />

Bestätigen von Stereotypen. Um<br />

dem geschlechtergebundenen Unterhaltungspotenzial<br />

von <strong>Medien</strong>angeboten gerecht zu<br />

werden, sind geschlechtertheoretische Perspektiven<br />

erforderlich, die über die klassischen<br />

Ansätze der Gleichheits- und Differenzforschung<br />

hinausreichen. An dieser Stelle, so meine<br />

ich, hätte die Arbeit von Cornelißen und<br />

Grebel über den Erkenntnisstand von Gaye<br />

Tuchman hinausweisen können.<br />

Margret Lünenborg<br />

Literatur:<br />

Küchenhoff, Erich (1975): Die Darstellung der<br />

Frau und die Behandlung von Frauenfragen<br />

im Fernsehen. Schriftenreihe des Bundesministeriums<br />

für Jugend, Familie und<br />

Gesundheit. Band 34. Stuttgart u. a.<br />

Müller-Gerbes, Sigrun; Werner, Petra (1993):<br />

Zur Zeit ohne Zeitung. Zur Kritik von<br />

Frauen an der Tageszeitung. Unveröff. Diplomarbeit<br />

an der Universität Dortmund.<br />

Röser, Jutta (1992): Frauenzeitschriften und<br />

weiblicher Lebenszusammenhang. Themen,<br />

Konzepte, und Leitbilder im sozialen<br />

Wandel. Opladen: Westdeutscher Verlag.<br />

Schmerl, Christiane (1985) (Hg.): In die Presse<br />

geraten. Darstellung von Frauen in der<br />

Presse und Frauenarbeit in den <strong>Medien</strong>.<br />

Köln/Wien: Böhlau.


Tuchman, Gaye (1980): Die Verbannung der<br />

Frau in die symbolische Nichtexistenz<br />

durch die Massenmedien. In: Fernsehen<br />

und Bildung, 14 (1 – 2), S. 10 – 43.<br />

Weiderer, Monika (1993): Das Frauen- und<br />

Männerbild im Deutschen Fernsehen. Eine<br />

inhaltsanalytische Untersuchung der Programme<br />

von ARD, ZDF und RTL plus.<br />

Regensburg: S. Roderer Verlag.<br />

Werner, Petra; Rinsdorf, Lars (1998): Ausgeblendet?<br />

– Frauenbild und Frauenthemen<br />

im nordrhein-westfälischen Lokalfunk.<br />

Schriftenreihe <strong>Medien</strong>forschung der LfR<br />

27. Opladen: Leske + Budrich.<br />

Jürgen Grimm<br />

Fernsehgewalt: Zuwendungsattraktivität –<br />

Erregungsverläufe – sozialer Effekt<br />

Zur Begründung und praktischen Anwendung<br />

eines kognitiv-physiologischen Ansatzes der<br />

<strong>Medien</strong>rezeptionsforschung am Beispiel von<br />

Gewaltdarstellungen<br />

Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher, 1999. –<br />

812 S.<br />

ISBN 3-531-12668-7<br />

Jürgen Grimm erhebt den Anspruch, die Auswirkungen<br />

von Fernsehgewalt auf die Zuschauer<br />

umfassend zu untersuchen: „Gewaltdarstellungen<br />

im Fernsehen [...] werden in dieser<br />

Studie aus der Zuschauerperspektive betrachtet“<br />

(S. 9). So formuliert der Autor zwar<br />

einen generellen Erklärungsanspruch, in den<br />

vorgestellten Untersuchungen werden jedoch<br />

nur die Wirkungen von Spielfilmgewalt, nicht<br />

jedoch von Darstellungen realer Gewalt (beispielsweise<br />

in Fernsehnachrichten) behandelt.<br />

(Allerdings verweist der Autor auf hierzu<br />

geplante Publikationen.) In drei „Experimenten“<br />

– da der Autor nicht unabhängige Variablen<br />

manipuliert, sondern lediglich Gruppen<br />

mit niedrigen und hohen Ausprägungen „psychosozialer“<br />

Merkmale miteinander vergleicht<br />

bzw. Korrelationen berechnet, handelt es sich<br />

lediglich um quasiexperimentelle Untersuchungen<br />

(„Feldstudien“; vgl. Roth, 1993) –<br />

wurden den Zuschauern vorzugsweise Szenen<br />

mit „gesteigerter“ Gewalt vorgegeben. Zwar ist<br />

die Wahrscheinlichkeit groß, dass solche Szenen<br />

von intensiven emotionalen Zustandsveränderungen<br />

bei den Rezipienten begleitet sind,<br />

Literatur · Besprechungen<br />

andererseits muss man festhalten, dass solche<br />

Darstellungen im alltäglichen Fernsehprogramm<br />

eine Ausnahme darstellen oder gar<br />

nicht (mehr) vorkommen. (Nebenbei bemerkt:<br />

In meiner Sicht der Dinge wäre vielmehr eine<br />

Auseinandersetzung mit den weniger intensiven<br />

und eher als Stimmungsveränderungen<br />

denn als Emotionen zu beschreibenden Effekten<br />

von weniger spektakulären, aber weiter verbreiteten<br />

Gewaltdarbietungen wünschenswert.<br />

Allerdings stellt im Gegensatz zu starken emotionalen<br />

<strong>Medien</strong>wirkungen gerade die Erforschung<br />

von Emotionen im Niedrig-Intensitäts-<br />

Bereich ganz besondere Anforderungen an<br />

Theorie und Methodik.)<br />

Grimm geht es um die Wirkungen der „Fernsehgewaltrezeption<br />

auf die Einstellungen der<br />

Zuschauer“ (S. 9), dabei sind langfristige (überdauernde)<br />

Einstellungsveränderungen aufgrund<br />

der von ihm gewählten Versuchsanordnung<br />

gar nicht nachweisbar. In der Auswertung<br />

sucht Grimm nach systematischen<br />

Zusammenhängen zwischen der Trias Beschaffenheit<br />

des Filmmaterials (= Art der Gewalt),<br />

Rezeptionsvoraussetzungen (Nutzungsmotive,<br />

Persönlichkeitsdimensionen) und Wirkungen<br />

(Einstellungsveränderungen, physiologische<br />

Reaktionen). Damit steht der Ansatz des<br />

Autors auf einer Stufe mit dem „Uses-and-Effects“-Ansatz<br />

von Rubin (1994). Leider sehe<br />

ich bei der Vorgehensweise des Autors eine<br />

Reihe solch gravierender methodischer Mängel,<br />

dass ich auf eine inhaltliche Würdigung<br />

verzichten (vgl. die Zusammenfassung der Ergebnisse<br />

auf den Seiten 706 ff.) und mich im<br />

Folgenden auf ausgewählte Problempunkte<br />

konzentrieren möchte, die nach meiner Beurteilung<br />

die Generalisierbarkeit der Befunde in<br />

Frage stellen.<br />

(i) Nutzungsmotive und individuelle Dispositionen<br />

werden mit Fragebögen erfasst, die Begleitumstände<br />

und kurzfristigen Nachwirkungen<br />

der Gewaltrezeption sowohl mit Fragebögen<br />

als auch durch physiologische Messungen<br />

beurteilt. Bei der Auswertung der Fragebogendaten<br />

hätte man sich vom Autor eine kritischere<br />

Einstellung zu Self-Report-Daten – wie sie<br />

beispielsweise von Vitouch (1997) vorgebracht<br />

wurden – gewünscht. Da in umfangreichem<br />

Maße Fragebogenergebnisse statistisch miteinander<br />

verglichen wurden (vgl. die Variablenaufstellung<br />

in Abschnitt 5.2.3), wäre ein Hinweis<br />

auf das Problem der statistischen Mehrfachtestung<br />

– bei einem a von 0,05 überschrei-<br />

127


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

ten immerhin 5 von 100 Tests allein per Zufall<br />

die Signifikanzgrenze – angebracht gewesen.<br />

(ii) Im Rahmen des sog. „kognitiv-physiologischen<br />

Forschungsansatzes“ interpretiert<br />

Grimm gleich- bzw. gegensinnige Verläufe der<br />

Werte von Hautleitfähigkeit (SCL) und Herzfrequenz<br />

(HF), indem er im Anschluss an Gray<br />

(1982) und Fowles (1980) zwischen der Aktivierung<br />

des Organismus durch das Behavioral<br />

Activation System (BAS) – angezeigt durch<br />

eine ansteigende Herzfrequenz – und der Erregung<br />

durch das Behavioral Inhibition System<br />

(BIS), die mit einer ansteigenden Hautleitfähigkeit<br />

einhergeht, unterscheidet. Während eine in<br />

der Regel durch Angstreize angeregte BIS-Aktivität<br />

kognitive Tätigkeit auslöst, führt eine<br />

verstärkte BAS-Aktivität zu Flucht- und<br />

Kampfreaktionen (oder zu belohnungsorientierter<br />

Annäherung). Das Problem bei einer<br />

solchen Vorgehensweise – SCL-Anstiege werden<br />

mit Kognition und Angst, HF-Anstiege<br />

mit Kampf und Flucht assoziiert – liegt darin,<br />

dass die Validität der Dateninterpretation vollständig<br />

von der Gültigkeit des Ansatzes von<br />

Gray und Fowles abhängig ist. Jedoch hat dieser<br />

als Brückentheorie dienende Ansatz nach<br />

meiner Kenntnis bislang (noch?) keine hinreichende<br />

Bestätigung gefunden und liegt vermutlich<br />

deshalb psychophysiologischen Forschungsarbeiten<br />

eher selten zugrunde. Insofern<br />

würde ich die Schlussfolgerungen aus den physiologischen<br />

Datenverläufen mit Vorsicht behandeln.<br />

(iii) In der psychophysiologischen Forschung<br />

wird ausführlich die Problematik der Extraktion<br />

geeigneter Parameter (z. B. Maße der Variabilität<br />

der HF – die Standardabweichung ist<br />

hier als Indikator weniger geeignet – oder<br />

Hautleitfähigkeitsreaktionen SCR) diskutiert.<br />

Die vom Autor gegebene Interpretation von<br />

Rohwertverläufen geht deutlich hinter die Ergebnisse<br />

dieser Diskussion zurück. Probleme<br />

sind auch mit der intraindividuellen Standardisierung<br />

(z. B. mit der Wahl eines geeigneten Referenzwertes)<br />

verbunden. Von wirklich exotischer<br />

Qualität sind in meinen Augen jedoch die<br />

Berechnungen des Autors, in denen er Werte<br />

der Hautleitfähigkeitsvariablen mathematisch<br />

zu Werten der Herzfrequenzvariablen in Beziehung<br />

setzt. (Mir drängt sich dabei die Assoziation<br />

zwischen Äpfeln und Birnen auf …)<br />

(iv) Ein letzter hier erörterter Kritikpunkt betrifft<br />

die zufallskritische Absicherung der Inter-<br />

128<br />

pretation der physiologischen Verlaufskurven<br />

im Hinblick auf Gleich- oder Gegensinnigkeit.<br />

Die Interpretation von Verlaufskurven stellt<br />

ein intensiv diskutiertes und schwieriges Unternehmen<br />

dar (vgl. z. B. Watt, 1994; Mangold,<br />

Winterhoff-Spurk, Hamann & Stoll, 1998).<br />

Unbeeindruckt von solchen statistischen Problemaspekten<br />

interpretiert Grimm die von ihm<br />

gemessenen Kurven nach seinem Eindruck und<br />

verlässt damit den Pfad der intersubjektiven<br />

Vergleichbarkeit. Wie kann der Autor begründen,<br />

welche in den Verlaufsdiagrammen gefundenen<br />

auf- bzw. absteigenden Kurvenabschnitte<br />

statistisch bedeutsam sind und welche lediglich<br />

Zufallsprodukte darstellen?<br />

Das Erscheinen der Arbeit von Grimm habe ich<br />

seit langer Zeit mit Spannung erwartet. (Nachdem<br />

das Buch vom Verlag Mitte 1997 angekündigt<br />

worden war, habe ich es im Dezember<br />

1997 bestellt, im Frühjahr 1999 jedoch wegen<br />

der langen Wartezeit wieder abbestellt. Im<br />

Sommer 1999 ist es dann erschienen und liegt<br />

mir jetzt vor. Vielleicht sollte in diesem Fall der<br />

Verlag seine Vertriebspolitik einmal überdenken.)<br />

Die Anschaffung des immerhin 98 DM<br />

teueren und die (zeitaufwendige) Lektüre des<br />

812 Seiten starken und eng bedruckten Werkes<br />

empfehle ich nicht. Es überrascht mich, dass<br />

andere Autoren den Grimm’schen Ansatz loben;<br />

so schreibt Merten (1999) zu einer früheren<br />

(vergleichbaren) Studie des Autors: „Das<br />

von Grimm (1993) realisierte Experiment ist<br />

methodisch sehr sorgfältig durchgeführt worden.<br />

Insbesondere die physiologische Messung<br />

emotionaler Befindlichkeit ist hier hervorzuheben“<br />

(S. 151). Kann diese diskrepante Einschätzung<br />

darauf zurückgehen, dass hier unterschiedliche<br />

methodische Auffassungen zweier<br />

mit <strong>Medien</strong>forschung befasster <strong>wissenschaft</strong>licher<br />

Disziplinen aufeinander treffen? Ist die<br />

Situation dadurch charakterisiert, dass sich<br />

ein <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>ler auf das (schwierige)<br />

Terrain der psychophysiologischen Erforschung<br />

von <strong>Medien</strong>wirkungen begibt und dafür<br />

Lob in seinem Fach erhält, während Kolleginnen<br />

und Kollegen aus der (Psycho-)Physiologie<br />

über das mangelnde Problembewusstsein<br />

und die Naivität nur den Kopf schütteln können,<br />

mit der physiologische Datenverläufe ausgewertet<br />

und interpretiert werden? Wohlgemerkt:<br />

Bei dieser (zugegebenermaßen) überspitzten<br />

Charakterisierung der Situation geht<br />

es mir auf keinen Fall darum, einem <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>ler<br />

untersagen zu wollen, sich auch


(medien-) psychophysiologisch zu betätigen.<br />

Jedoch erwarte ich in einem solchen Fall, dass<br />

er sich mit der gesamten Problematik auseinander<br />

setzt und sich nicht nur die Rosinen herauspickt.<br />

Sollte ich mit der vorliegenden Buchbesprechung<br />

tatsächlich auf ein Problem im Miteinander<br />

von <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong> und <strong>Medien</strong>psychologie<br />

gestoßen sein, dann wäre anzuraten,<br />

dass jede Disziplin ihre eigenen methodischen<br />

Standards definiert und interdisziplinär diskutiert.<br />

Erste Schritte in dieser Richtung scheinen<br />

mir mit der Gründung der Fachgruppe „Methoden<br />

der Publizistik und <strong>Kommunikations</strong>forschung“<br />

in der DGPuK und der Fachgruppe<br />

„<strong>Medien</strong>psychologie“ in der Deutschen Gesellschaft<br />

für Psychologie getan zu sein. Sollte<br />

ein solcher <strong>Kommunikations</strong>prozess weiter in<br />

Gang kommen, dann hätte auch das Buch von<br />

Grimm seinen guten Zweck erfüllt.<br />

Roland Mangold<br />

Literatur:<br />

Fowles, D. C. (1980). The three arousal model:<br />

Implications of Gray’s two-factor-learning<br />

theory for heart rate, electrodermal activity,<br />

and psychopathy. Psychophysiology, 17,<br />

87 – 104.<br />

Gray, J. A. (1982). The neuropsychology of anxiety:<br />

An inquiry into the functions of the<br />

septohippocampal system. Oxford: Clarendon<br />

Press.<br />

Grimm, J. (1993). Der kultivierte Schrecken?<br />

Erlebnisweise von Horrorfilmen im Rahmen<br />

eines Zuschauerexperiments. Publizistik,<br />

38, 206 – 216.<br />

Mangold, R., Winterhoff-Spurk, P., Hamann,<br />

G. & Stoll, M. (1998). Veränderungen des<br />

zerebralen Blutflusses bei der Rezeption<br />

emotionalisierender Filmausschnitte: Eine<br />

Pilotstudie. <strong>Medien</strong>psychologie, 10, 51 – 72.<br />

Merten, K. (1999). Gewalt durch Gewalt im<br />

Fernsehen? Opladen: Westdeutscher Verlag.<br />

Roth, E. (1993). Sozial<strong>wissenschaft</strong>liche Methoden.<br />

Lehr- und Handbuch für Forschung<br />

und Praxis. München: Oldenbourg.<br />

Rubin, A. M. (1994). Media uses and effects:<br />

A uses-and-gratifications perspective. In J.<br />

Bryant & D. Zillmann (eds.), Media effects:<br />

Advances in theory and research (pp. 447<br />

– 436). Hillsdale: Erlbaum.<br />

Literatur · Besprechungen<br />

Tinchon, H.-J. (1999). Ein psychophysiologischer<br />

Meßplatz zur Unterstützung medienpsychologischer<br />

Fragestellungen. <strong>Medien</strong>psychologie,<br />

11, 94.<br />

Vitouch, P. (1997). Psychophysiological methods<br />

in media research. In P. Winterhoff-<br />

Spurk & T. H. A. van der Voort (Eds.),<br />

New horizons in media psychology. Research<br />

cooperation and projects in Europe (pp.<br />

116 – 125). Opladen: Westdeutscher Verlag.<br />

Watt, J. H. (1994). Detection and modeling of<br />

time-sequenced processes. In A. Lang<br />

(Ed.), Measuring psychological responses to<br />

media (pp. 181 – 207). Hillsdale: Erlbaum.<br />

Brit Großmann<br />

<strong>Medien</strong>rezeption<br />

Bestehende Ansätze und eine konstruktivistische<br />

Alternative<br />

Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag,<br />

1999. – 262 S.<br />

ISBN 3-531-13377-2<br />

Die Klage über die fehlende theoretische<br />

Grundlegung der <strong>Medien</strong>forschung wurde und<br />

wird vielfach erhoben. Sie bildet auch den Anknüpfungspunkt<br />

für die Überlegungen, die im<br />

vorliegenden Band angestellt werden. Hier<br />

wird allerdings nicht lediglich ein Klagelied angestimmt,<br />

um dann zur Tagesordnung überzugehen<br />

und die kritisierte Theorielosigkeit kommunikations<strong>wissenschaft</strong>licher<br />

Forschungen<br />

weiter zu verwalten. Vielmehr sucht die Autorin<br />

einen Ausweg aus der Misere, und dies in einem<br />

Bereich, in dem ein besonderer Bedarf an<br />

einer aufarbeitenden Übersicht und Systematisierung<br />

besteht: im Bereich der <strong>Medien</strong>rezeptionsforschung.<br />

Nach einer knappen Einleitung<br />

im ersten Kapitel entwickelt Großmann in<br />

Kapitel 2 ein Evaluationsraster, mit dem relevante<br />

Forschungsansätze individueller Rezeption<br />

massenmedialer <strong>Kommunikations</strong>angebote<br />

ausgewählt und bearbeitet werden. Ausgewählt<br />

werden Forschungen individueller<br />

Rezeptionsprozesse von Massenkommunikation,<br />

die umfassende theoretische Konzepte vorlegen<br />

und dabei individuelle und soziokulturelle<br />

Variablen sowie Merkmale der Massenkommunikation<br />

berücksichtigen und sich zugleich<br />

auf die Dynamik von Rezeptionsprozessen<br />

richten (16). In den Maschen des ausgelegten<br />

Netzes verfangen sich schließlich: das dynamisch-transaktionale<br />

Modell (Schönbach und<br />

129


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Früh), das Referenzmodell der <strong>Medien</strong>nutzung<br />

(Renckstorf) und das Struktur- und Prozessmodell<br />

des <strong>Medien</strong>rezeptionshandelns (Charlton<br />

und Neumann-Braun) im deutschsprachigen<br />

Raum sowie die Theorie zum Verstehen<br />

von <strong>Medien</strong>diskursen (van Dijk), die Media<br />

System Dependency Theory (de Fleur und<br />

Ball-Rokeach), die Theorie des Making Sense<br />

of Television (Livingstone) sowie der soziokognitive<br />

Ansatz der <strong>Medien</strong>rezeption (Höijer)<br />

im englischsprachigen Raum.<br />

Die Erörterung der Ansätze geht streng systematisch<br />

nach einem vorab festgelegten Raster<br />

in vier Schritten vor: Zunächst wird die jeweilige<br />

konkrete Konzeption dargelegt, um dann<br />

die Grundkonzepte herauszupräparieren, wobei<br />

besonders auf die Definitionen von Massenmedien<br />

und die Bestimmungen der Besonderheiten<br />

massenmedialer Kommunikation geachtet<br />

wird. Danach wird nach den allgemeinen<br />

theoretischen Annahmen gefragt, die explizit<br />

und implizit die jeweiligen Grundlagen der Rezeptionstheorie<br />

bilden: Hier stehen die Vorstellungen<br />

vom Individuum, von Bedeutungen<br />

und vom Verstehen massenmedialer Kommunikationen<br />

im Mittelpunkt des Interesses.<br />

Schließlich werden die wichtigsten offen stehenden<br />

Probleme dargelegt. Die informative<br />

und problembezogene Vorstellung der verschiedenen<br />

<strong>Medien</strong>rezeptionstheorien im weiteren<br />

Verlauf des zweiten Kapitels legt systematische,<br />

allgemein verbreitete Defizite dieser<br />

Forschungsrichtung offen: Insbesondere fehlen<br />

auf breiter Front explizite Begriffsdefinitionen<br />

sowie Bestimmungen der Besonderheiten massenmedial<br />

verbreiteter Kommunikation. Weiterhin<br />

bleibt auch der Stand spezifizierter Begriffe<br />

der Rezeption unbefriedigend. Neben<br />

Unklarheiten im eigenen Binnenraum fehlen<br />

<strong>Medien</strong>rezeptionstheorien ausreichende Kontakte<br />

zu Theorien der Massenkommunikation.<br />

Stattdessen wird massenmedial verbreitete<br />

Kommunikation unter der Hand dem Rezeptionsprozess<br />

bzw. dem <strong>Medien</strong>handeln einverleibt.<br />

Folgt man den in diesen Punkten plausiblen<br />

Analysen von Großmann, werden die Besonderheiten<br />

der Massenkommunikation in<br />

den Untersuchungen von Rezeptionshandlungen<br />

bestenfalls erwähnt, aber nicht differenziert<br />

eingebunden.<br />

Die Vorteile dieser breiteren Darlegung von<br />

<strong>Medien</strong>rezeptionstheorien liegen in der klaren,<br />

expliziten Systematik: Als Leser weiß man<br />

schnell, was man erwarten kann, und ob das<br />

130<br />

veranschlagte Evaluationsverfahren interessant<br />

und relevant erscheint. Die Nachteile liegen<br />

darin, dass die Ansätze mit einem vorab festgelegten<br />

Kategorienraster kaum von innen aufgeschlüsselt<br />

werden können. Die Autorin hält<br />

sich streng an dieses Raster und wird den Ansätzen<br />

dementsprechend jeweils nur so weit gerecht,<br />

wie diese sich selbst dem Raster fügen:<br />

Stellenweise auftauchende Überzeichnungen<br />

und Verkürzungen können so auf der einen Seite<br />

nicht ganz vermieden werden. Andererseits<br />

deckt gerade eine derart von außen kommende<br />

Analyse allgemeine Defizite und Probleme der<br />

Rezeptionstheorien auf, weil sie eine Vergleichbarkeit<br />

der erörterten Theorien sicherstellt.<br />

Im ersten Teil des dritten Kapitels werden offen<br />

stehende Probleme und Defizite der behandelten<br />

Rezeptionstheorien resümiert, im zweiten<br />

Teil werden die Anforderungen an eine<br />

tragfähige Alternative zu den bestehenden <strong>Medien</strong>rezeptionstheorien<br />

formuliert. Im zentralen<br />

vierten Kapitel des Buches unternimmt die<br />

Autorin den Versuch, diesen Anforderungen<br />

gerecht zu werden, d. h. „eine mögliche alternative<br />

Konzeption der individuellen Rezeption<br />

massenmedialer <strong>Kommunikations</strong>angebote zu<br />

entwickeln“ (111). Dieser Versuch steht auf<br />

zwei Säulen: Erstens hält er sich sehr eng an die<br />

von der Autorin so genannten „Siegener Überlegungen“<br />

(112), die einst unter der (mittlerweile<br />

in aller Stille eingeholten) Flagge des<br />

„Radikalen Konstruktivismus“ auf der Linie<br />

von Maturana, von Foerster u. a. der breiten sozial<strong>wissenschaft</strong>lichen<br />

Öffentlichkeit bekannt<br />

wurden. Zweitens soll eine integrative Perspektive<br />

für die <strong>Medien</strong>rezeptionsforschung durch<br />

eine umfassende Konzeptualisierung des Verhältnisses<br />

von Kognition, Kommunikation und<br />

Kultur eröffnet werden. Die Vorgehensweise<br />

der Überlegungen folgt dem zuvor bei der<br />

Erörterung bestehender Ansätze benutzten<br />

Evaluations- und Beobachtungsraster, dreht es<br />

aber um: Zunächst werden die allgemeinen<br />

theoretischen Annahmen der „Siegener Überlegungen“<br />

dargelegt, sodann die Grundkonzepte<br />

sowie schließlich die konkrete Konzeption<br />

der alternativen <strong>Medien</strong>rezeptionstheorie<br />

erläutert. Dabei werden Schritt für Schritt Anschlussmöglichkeiten<br />

an andere Theorien erörtert.<br />

Die allgemeinen theoretischen Annahmen drehen<br />

sich um das Verhältnis von Kognition,<br />

Kommunikation und Kultur sowie die Begriffe<br />

von Individuum, Bedeutung und Verstehen.


Kognition wird als geschlossenes, selbstreferentiell<br />

operierendes System gefasst und bildet<br />

den Ausgangspunkt der Begriffsbildung. Kommunikation<br />

und Kultur stellen Bindeglieder<br />

zwischen kognitiven Systemen und gesellschaftlich<br />

geteiltem Wissen dar (125). Individuen<br />

fungieren als Komponenten und als Knotenpunkte<br />

sozialer Systeme, aus denen die Gesellschaft<br />

besteht. Bedeutungen entstehen in individuellen<br />

Konstruktionen, werden also strikt<br />

subjektabhängig begriffen. Dagegen kann im<br />

Falle des Verstehens zwischen psychischem<br />

und sozialem Verstehen differenziert werden<br />

(131). Anschlussmöglichkeiten werden im<br />

Hinblick auf den symbolischen Interaktionismus,<br />

den sozialen Konstruktivismus von Berger/Luckmann,<br />

die Diskursanalyse sowie die<br />

Cultural Studies skizziert, und zwar sowohl<br />

allgemein als auch spezifiziert nach Individuums-,<br />

Bedeutungs- und Verstehenskonzepten.<br />

Die Darlegungen der allgemeinen theoretischen<br />

Annahmen machen nochmals viele jener<br />

Probleme sichtbar, die in den Auseinandersetzungen<br />

mit dem Radikalen Konstruktivismus<br />

in den letzten Jahren diskutiert wurden. Die<br />

Suche nach Anschlüssen an andere Theorien erbringt<br />

kaum einen greifbaren Ertrag. Hier wie<br />

im Folgenden ist vieles, was die Autorin<br />

schreibt, dem selbst auferlegten Schema des<br />

Vorgehens geschuldet.<br />

Daran anschließend werden die Grundkonzepte<br />

von Massenmedien und massenmedialer<br />

Kommunikation im Sinne der angestrebten<br />

konstruktivistischen Alternative entfaltet. Dies<br />

ist ein besonders wichtiger Abschnitt der Arbeit,<br />

da vor allem in diesem Bereich Defizite in<br />

den bestehenden Ansätzen der <strong>Medien</strong>rezeptionsforschung<br />

ausgemacht worden sind. Massenmedien<br />

ermöglichen durch technische Verfahren<br />

„die massenhafte Herstellung und Verbreitung“<br />

(143) von <strong>Medien</strong>angeboten. Die<br />

Erörterung verschiedener Teilbereiche des Systems<br />

der Massenmedien greift v. a. auf Arbeiten<br />

zurück, die im Bereich und zum Teil in kritischer<br />

Auseinandersetzung mit der Systemtheorie<br />

Niklas Luhmanns entstanden sind. Die Besonderheiten<br />

der massenmedialen Kommunikation<br />

werden nach ihren allgemeinen kognitiven,<br />

kommunikativen und kulturellen sowie<br />

nach ihren spezifischen Aspekten (massenmedialen<br />

<strong>Kommunikations</strong>angeboten, Rezipientenrollen<br />

und virtuellen Strukturen) beleuchtet.<br />

Vor allem die Darlegungen der allgemeinen<br />

Aspekte hätten deutlich gestrafft werden kön-<br />

Literatur · Besprechungen<br />

nen, weil nun vieles, was bereits in dem allgemeinen<br />

theoretischen Teil behandelt wurde, in<br />

mehrmaliger Wiederholung auftaucht. Auch<br />

dieser Untersuchungsschritt mündet in eine<br />

Skizze möglicher Anschlüsse an andere Rezeptionstheorien,<br />

wobei alle der im zweiten Kapitel<br />

behandelten Theorien zur Sprache kommen.<br />

Darüber hinaus werden Verbindungsmöglichkeiten<br />

zu weiteren kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lichen<br />

Rezeptionsforschungen geprüft.<br />

Die abschließend formulierte Konzeption der<br />

vorgeschlagenen konstruktivistischen Rezeptionsforschung<br />

fällt überraschend knapp aus und<br />

erscheint eher als ein (nochmals wiederholendes)<br />

Fazit denn als der Versuch, den eigenen<br />

Ansatz zu konkretisieren. Auf allgemeiner<br />

Ebene wird insbesondere noch einmal der Zusammenhang<br />

zwischen Kognition, Kommunikation<br />

und Kultur dargestellt.<br />

Leider fällt das vierte Kapitel gegenüber dem<br />

zweiten Kapitel, das bestehende Ansätze der<br />

Rezeptionsforschung evaluiert, stark ab. Dies<br />

liegt erstens an der sich wiederholenden und<br />

dabei mehr und mehr redundanten und leer<br />

laufenden Erfüllung des Beobachtungsrasters,<br />

dessen Punkte Schritt für Schritt abgearbeitet<br />

werden. Zweitens, und hier liegt die zentrale<br />

Schwierigkeit, handelt sich Großmanns „konstruktivistische<br />

Alternative“ die Probleme der<br />

„Siegener Überlegungen“ ein, die nach Einholen<br />

der Flagge des „Radikalen Konstruktivismus“<br />

nicht mehr angeben können, welche<br />

theoretische Richtung sie eigentlich verfolgen.<br />

Vor allem hinsichtlich der Ausdifferenzierung<br />

und Verbindung von psychischen (kognitiven)<br />

und sozialen (kommunikativen, kulturellen)<br />

Bereichen herrschen in Großmanns Erörterungen<br />

viele theoretische und begriffliche Unklarheiten.<br />

Mal kommt Subjektives als Komponente,<br />

Element bzw. Bestandteil von Sozialem<br />

(und umgekehrt), mal als Umwelt, mal als Produktionsinstanz<br />

sozialer Prozesse (und umgekehrt)<br />

ins Spiel. Auch wenn vielfältige Beziehungen<br />

zwischen individuellen, kommunikativen<br />

und kulturellen Prozessen angenommen<br />

werden, ist die Systematik dieser Beziehungen<br />

klarzustellen: Vielfalt bedeutet nicht Beliebigkeit.<br />

Das Problem, hier keine klaren Verhältnisse<br />

schaffen zu können, durchzieht Großmanns<br />

konstruktivistische Alternative. Wenn<br />

man mit den „Siegener Überlegungen“ die allgemeine<br />

Einsicht teilt, dass kommunikations<strong>wissenschaft</strong>liche<br />

Forschung systemtheoretische<br />

Grundlagen benötigt, wird man in<br />

131


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Kenntnis der Systemtheorie Luhmanns bei der<br />

Lektüre des vierten Kapitels gar nicht anders<br />

können, als immer wieder daran zu denken, wie<br />

viel klarer, stringenter und konsistenter dort<br />

die grundlegenden Unterscheidungen, Begriffe<br />

und Zusammenhänge konstruiert werden.<br />

Drittens versucht die Autorin kaum einmal,<br />

ihre theoretischen Überlegungen anhand konkreter<br />

Veranschaulichungen zu plausibilisieren:<br />

Dies geschieht nur kursorisch gegen Ende<br />

des Kapitels (198ff.). Der Kredit, den Großmanns<br />

konstruktivistische Alternative beansprucht,<br />

ist durch die – oft sehr oberflächlichen<br />

– Anbindungen an andere Theorie- und<br />

Forschungstraditionen nicht zu decken. So<br />

bleibt es beim oben festgehaltenen Ertrag<br />

des zweiten Kapitels. Ansonsten gewinnt man<br />

nicht den Eindruck, die theoretische Grundlegung<br />

der kommunikations<strong>wissenschaft</strong>lichen<br />

Forschung könnte in der von der Autorin vorgeschlagenen<br />

Richtung an Profil gewinnen.<br />

Tilmann Sutter<br />

Bettina Fromm<br />

Privatgespräche vor Millionen<br />

Fernsehauftritte aus psychologischer und soziologischer<br />

Perspektive<br />

Konstanz: UVK <strong>Medien</strong>, 1999. – 426 S.<br />

ISBN 3-89669-271-2<br />

Ob Talkshows, Beziehungsshows oder Spielshows:<br />

intime Formate, also Sendungen, bei denen<br />

„persönliche Belange zum Zwecke der medialen<br />

Verbreitung inszeniert [werden], mit<br />

den Betroffenen selbst als Protagonisten ihrer<br />

authentischen Geschichte“ (S. 19), erleben derzeit<br />

eine Hochkonjunktur im deutschen Fernsehen.<br />

Eine Diskussion der Inhalte dieser<br />

Shows findet auf zwei Ebenen statt. Zum einen<br />

werden sie öffentlich diskutiert, zum anderen<br />

gibt es ein zunehmendes <strong>wissenschaft</strong>liches Interesse<br />

am Thema. Zur Debatte stehen dabei<br />

verstärkt auch die Motive der Protagonisten<br />

dieser Shows, nämlich die der Studiogäste. Was<br />

motiviert zu dem Auftritt in einer Fernsehshow<br />

und wieso haben unprominente Studiogäste Interesse,<br />

ihre privaten Belange im Fernsehen zu<br />

offenbaren? Diese Forschungsfrage stellt sich<br />

auch Bettina Fromm im Rahmen ihrer Untersuchung.<br />

Während eine Vielzahl von Studien<br />

zum Thema vor allem nicht empirisch, eher<br />

programmatisch und häufig unfundiert ist,<br />

132<br />

sticht die Arbeit Fromms durch eine gelungene<br />

Definition der Charakteristika intimer Formate<br />

und eine sorgsam angelegte empirische Untersuchung<br />

heraus.<br />

Zu Beginn ihrer Untersuchung betrachtet Bettina<br />

Fromm den Forschungsgegenstand „intime<br />

Formate“. Zu intimen Formaten zählt sie<br />

Talkshows (z. B. „Hans Meiser“), Beziehungsshows<br />

(z. B. „Nur die Liebe zählt“), Spielshows<br />

(z. B. „Herzblatt“), Infotainment-Magazine<br />

(z. B. „Brisant“) und Suchsendungen<br />

(z. B. „Bitte melde Dich!“). Diese werden<br />

zunächst in ihrer Entwicklung beschrieben und<br />

dann definiert. Sowohl die Historie der einzelnen<br />

Formate als auch ihre Definition ist differenziert<br />

und anschaulich. Im darauf folgenden<br />

Abschnitt werden vier Charakteristika intimer<br />

Formate zusammengefasst: (1) Personalisierung<br />

(Darstellung ist auf das Einzelschicksal einer<br />

Person beschränkt), (2) private und intime<br />

Themen, (3) Live-Charakter der Sendungen<br />

(wird durch unvorhergesehene Situationen<br />

oder die mediale Unerfahrenheit der Teilnehmer<br />

betont), (4) alltagsnaher und persönlicher<br />

<strong>Kommunikations</strong>stil. Diese Kategorien werden<br />

anhand der Sendungsinhalte beschrieben und<br />

anhand theoretischer Modelle erklärt (S. 29 ff.).<br />

So wird z. B. für die Kategorie der Personalisierung<br />

die Bedeutung der Moderatoren als<br />

Persona parasozialer Interaktion angesprochen.<br />

Insofern bietet diese Kategorisierung bereits<br />

den Ausgangspunkt für den theoretischen<br />

Hintergrund der Untersuchung.<br />

Im Theorieteil des Buches betrachtet Fromm<br />

drei Beziehungen, nämlich die (1) zwischen Individuum<br />

und Gesellschaft, (2) zwischen Gesellschaft<br />

und <strong>Medien</strong> und (3) zwischen <strong>Medien</strong><br />

und Individuum. In diesem Zusammenhang<br />

werden zunächst „die grundlagentheoretischen<br />

sozialpsychologischen und soziologischen Positionen<br />

erörtert“ (S. 39). Die Autorin führt aus,<br />

dass – im Sinne des symbolischen Interaktionismus<br />

– Menschen ein Bedürfnis haben, ihre<br />

Identität in der Kommunikation zu gestalten.<br />

Gemäß den Soziologen der Bamberger Schule<br />

macht der Verlust traditioneller Sinnsysteme<br />

und die Pluralisierung der Werte diese Suche<br />

nach Identität jedoch schwer. Die sog. Multioptionsgesellschaft<br />

erfordert vom Einzelnen die<br />

Fähigkeit, zwischen verschiedenen Angeboten<br />

sinnvoll zu entscheiden. Für getroffene Entscheidungen<br />

braucht das Individuum darüber<br />

hinaus ständige Vergewisserung, so dass der<br />

„Aufwand der Konstruktion der persönlichen


Identität für den Einzelnen hoch wie nie zuvor“<br />

(S. 61) ist. Als Konsequenz dieses Gedankenganges<br />

werden <strong>Medien</strong> als bedeutsam für die<br />

Suche nach Orientierung und bei der Entscheidung<br />

für ein mögliches (Lebens-) Modell erachtet.<br />

Der Erfolg intimer Formate wird dementsprechend<br />

als Folge dieser gesellschaftlichen<br />

Entwicklung gesehen; auf der Ebene des Individuums<br />

wird ihre Bedeutung für den Rezipienten<br />

und für den unprominenten Studiogast<br />

erläutert (S. 65 ff.). Ausführlich werden rezipientenorientierte<br />

Modelle, wie der verhaltenstheoretische<br />

Ansatz, der Uses-and-Gratifications<br />

Approach und das Konzept der parasozialen<br />

Interaktion vorgestellt, um schließlich<br />

den symbolisch-interaktionistischen und handlungstheoretisch<br />

orientierten Nutzenansatz auf<br />

die Rezeption intimer Formate anzuwenden.<br />

Diese Ausführlichkeit – vor allem in der Darstellung<br />

der genannten Rezeptionsmodelle – erscheint<br />

im Hinblick auf die Fragestellung eher<br />

irreführend als bereichernd. Aufschlussreich ist<br />

demgegenüber die anschließende Zusammenfassung<br />

der Forschung zum Thema intimer Formate,<br />

in der das Forschungsfeld eingehend betrachtet<br />

wird. Wenn Talkshows auch ein kulturell<br />

spezifisches Phänomen sind, so wird in diesem<br />

Überblick allerdings – zumindest in Form<br />

einer Erwähnung – die angloamerikanische Forschung<br />

vernachlässigt.<br />

Insgesamt betrachtet hat die Darstellung des<br />

theoretischen Hintergrundes vor allem die<br />

Funktion, die Rezeption intimer Formate und<br />

den Fernsehauftritt in Fernsehshows zu beschreiben<br />

und zu erklären. Fromm versteht es,<br />

eine kohärente theoretische Grundlage vorzustellen.<br />

Es ist jedoch nicht das Ziel der Autorin,<br />

eine eindeutige Hinführung zu den Forschungsfragen<br />

der qualitativen Untersuchung<br />

anzubieten. Das wäre bei dem Umfang des<br />

theoretischen Feldes, das aufgespannt wird,<br />

auch kaum realisierbar. Die theoretischen Positionen<br />

sind also vor allem als ein Erklärungsmuster<br />

der Intimisierung des Fernsehens und<br />

des Fernsehauftritts zu verstehen. Eine empirische<br />

Überprüfung, ob dieses Erklärungsmuster<br />

tatsächlich adäquat ist, kann die Autorin freilich<br />

nicht liefern. Der abschließende empirische<br />

Teil ist vielmehr eine explorative Untersuchung,<br />

welche die Denkweise und die methodologische<br />

Richtung des theoretischen Teils<br />

aufnimmt.<br />

Diese empirische Untersuchung bearbeitet acht<br />

Fragestellungen, die implizit aus dem theoreti-<br />

Literatur · Besprechungen<br />

schen Teil hervorgehen (S. 120). Zentral sind<br />

die Motive für die Teilnahme an einer Fernsehshow,<br />

die Entstehung der Motive, die Motivstrukturen<br />

und inwiefern die Teilnehmer der<br />

Shows ihre Ziele verwirklichen können. Außerdem<br />

wird die Frage nach übergeordneten<br />

Typen gestellt und danach, welche Funktionen<br />

die Fernsehshow im Vergleich zu Organisationen<br />

wie z. B. der Kirche übernimmt. Die<br />

qualitativen Interviews der Studie wurden mit<br />

30 Teilnehmern aus sechs verschiedenen Shows<br />

durchgeführt. Die Auswahl der Interviewpartner<br />

wie der Shows fußt auf einer anspruchsvollen<br />

Ziehung der Stichproben. Ebenso anspruchsvoll<br />

gestaltet Bettina Fromm die Datenauswertung<br />

und die erste Kategorisierung des<br />

Materials. Im empirischen Teil wird umfassend<br />

die Einzelfallkonstruktion sowie die Typenkonstruktion<br />

demonstriert. Die Typenkonstruktion<br />

wird dabei enger an die theoretische<br />

Vorarbeit angelehnt, als das bei der Hinführung<br />

zur Fragestellung zunächst zu vermuten<br />

gewesen wäre.<br />

Als Ergebnis der Untersuchung werden alle<br />

Einzelinterviews dargestellt. Die Aufarbeitung<br />

der Einzelfälle (auf insgesamt 125 Seiten) ist vor<br />

allem für tiefer gehend interessierte Leser<br />

aufschlussreich. Acht Typen sind das Ergebnis<br />

der Aggregierung dieser Einzelfälle: „Fernsehstar“,<br />

„Patient“, „Verehrer“ bzw. „Kontaktanbahner“,<br />

„Rächer“, „Anwalt in eigener Sache“,<br />

„Ideologe“, „Propagandist“ und „Zaungast“.<br />

Für jeden Typen werden die zentralen <strong>Kommunikations</strong>bedürfnisse<br />

dargestellt (z. B. das<br />

Bedürfnis der Selbstinszenierung des Fernsehstars,<br />

S. 153) sowie kollektive Handlungsmuster<br />

herausgearbeitet und differenziert. Die Darstellung<br />

der Ergebnisse beinhaltet weiterhin die<br />

Phasen des Fernsehauftritts – vom Beweggrund<br />

bis zum Feed-back – für jeden Typen. Durch<br />

diese umfassende und nachvollziebare Analyse<br />

wird die Typenkonstruktion zum Herzstück<br />

der Untersuchung Fromms. Angereichert mit<br />

Zitaten und in Beziehung gesetzt zu den theoretischen<br />

Vorarbeiten kann der Leser nun anhand<br />

von acht Typen verschiedene Beweggründe<br />

des Fernsehauftritts erkennen. Im Gegensatz<br />

zu den übrigen, im Ergebnisteil eher implizit<br />

beantworten Forschungsfragen (S. 120),<br />

bleibt die Frage der Typenkonstruktion allerdings<br />

die einzige, zu welcher explizit Stellung<br />

bezogen wird.<br />

Sabine Trepte<br />

133


Zeitschriftenlese<br />

134<br />

LITERATUR · ZEITSCHRIFTENLESE<br />

AfP<br />

Jg 30 (1999) Nr 3<br />

Ullmann, Eike: Persönlichkeitsrechte in Lizenz?<br />

– S. 209 – 214<br />

„Die zunehmende Vermarktung (das Merchandising)<br />

von Personen der öffentlichen Neugierde stellte die<br />

Frage nach dem angemessenen zivilrechtlichen Schutz<br />

immer wieder neu. Ist der Anspruch auf Ersatz des<br />

immatriellen Schadens das adäquate Mittel, um dem<br />

Sensationsjournalismus in die Tasche zu greifen? Der<br />

Verfasser, der Denkweise des Schutzes immatrieller<br />

Rechtsgüter verhaftet, nimmt den […] Gedanken des<br />

Bereicherungsausgleichs auf. Auch der nicht vermarktungsbereite<br />

Prominente soll über die Eingriffskondiktion<br />

Anspruch auf Zahlung der angemessenen<br />

(fiktiven) Lizenzgebühr haben und sich darauf verweisen<br />

lassen, wenn er die Beeinträchtigung seiner<br />

ideellen Interessen reklamiert (Fall Caroline von Monacco).“<br />

Kühling, Jürgen: Zu den möglichen Grenzen<br />

der <strong>Kommunikations</strong>freiheit. – S. 214 – 221<br />

Nach einer Neustrukturierung des Kontrollapparates<br />

der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte<br />

und Grundfreiheiten (EMRK) begann<br />

der neue ständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte<br />

(EGMR) am 1. November 1998 seine Arbeit.<br />

Bereits seit 1994 können auch natürliche Personen<br />

unmittelbar vor dem Gerichtshof klagen. Unsicherheiten<br />

in Bezug auf die Fortsetzung der alten<br />

Spruchpraxis ergeben sich für den Autor aus der<br />

Zeichnung der EMRK durch die mittel- und osteuropäischen<br />

Länder, die eventuell zu einer „größeren<br />

Zurückhaltung bei der Fortschreibung des gemeineuropäischen<br />

Grundrechtsstandards führen könnte“.<br />

Am 21. Januar 1999 hat der neue EGMR in öffentlicher<br />

Sitzung seine ersten fünf Urteile verkündet, von<br />

denen sich zwei – Fressoz & Roire und Janowski – mit<br />

der <strong>Kommunikations</strong>freiheit des Art. 10 EMRK befassen.<br />

Der Autor stellt diese beiden Urteile vor und<br />

kommt zu dem Ergebnis, dass der neue ständige<br />

Straßburger Gerichtshof in Bezug auf die <strong>Kommunikations</strong>freiheit<br />

die Rechtsprechnungslinien des alten<br />

EGMR weiterzeichnet.<br />

Ladeur, Karl-Heinz: Der Gesetzesvorbehalt<br />

bei der Frequenzzuteilung im dualen System. –<br />

S. 221 – 227<br />

Die Verteilung der terrestrischen Sendefrequenzen<br />

zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk<br />

ist gerade in den letzten Jahren immer wieder<br />

Gegenstand politischer und rechtlicher Auseinandersetzungen<br />

geworden. Ein Beispiel hierfür ist der Streit<br />

um die Umwidmung einer Sendefrequenz für das Jugendprogramm<br />

des NDR, N-Joy. Der Autor stellt<br />

zunächst die Rechtsprechung des BVerfG zur Frequenzverteilung<br />

und die Landesgesetzgebung zur<br />

Frequenzverteilung im dualen System dar. In einigen<br />

Ländern ist das Verfahren so geregelt, dass zunächst<br />

eine Einigung zwischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten<br />

und der Landesmedienanstalt angestrebt<br />

wird und bei Scheitern der Verhandlungen eine<br />

Entscheidung der Landesregierung nach bestimmten<br />

Kriterien vorgesehen ist. Eine im Nachhinein eintretende<br />

Veränderung zwischen Frequenz und Programm<br />

– wie im Fall N-Joy – ist nicht geregelt. Die gesetzlichen<br />

Kriterien für die Entscheidung des Senats<br />

seien wegen der eröffneten Wertungsspielräume für<br />

den staatlichen Akteur verfassungsrechtlich problematisch.<br />

Aber auch die vorgeschaltete Einigung ist Bedenken<br />

ausgesetzt, da fraglich sei, ob die Landesmedienanstalten<br />

als Interessenvertreter der privaten<br />

Anbieter angesehen werden könnten.<br />

Kirchner, Christian: Preisbindungen für Verlagserzeugnisse?:<br />

Buchpreisbindung im deutschen<br />

Sprachraum und EG-Wettbewerbsrecht.<br />

– S. 227 – 233<br />

Balkan Media<br />

Jg 7 (1998) Nr 3 – 4<br />

About the Parameters of the Research Project.<br />

– S. 4 – 6<br />

Erjavec, Karmen: The Press System in Slovenia.<br />

– S. 6 – 8<br />

Mirkovic, Sasa: Fighting for Press Freedom in<br />

Serbia. – S. 30 – 34<br />

Jg 8 (1999) Nr 1<br />

Milev, Rossen: From Media War to Media Understanding.<br />

– S. 1<br />

The International Media Coverage of the Conflict:<br />

With Special Attention to the Media in<br />

South East Europe. – S. 7 – 17<br />

Jugoslawien – Results and Perspectives. –<br />

S. 18 – 21<br />

Jugoslawien – Major Polarizing Medialogems.<br />

– S. 22 – 23<br />

Media Chronology of the Military Conflict. –<br />

S. 24 – 26<br />

Civil Society and Democratic Media Development.<br />

– S. 30 – 34<br />

Milev, Rossen: Eine neue <strong>Medien</strong>kultur auf<br />

dem Balkan als Element einer langfristigen<br />

Friedens- und Stabilitätsordnung. – S. 35 – 39<br />

Communication Research<br />

Jg 26 (1999) Nr 4<br />

Gutierrez Hoyt, Elizabeth: Bridging established<br />

and emerging directions in communication<br />

research. – S. 379 – 384<br />

Das Themenheft besteht aus eingeladenen Beiträgen<br />

von Promovenden, deren Arbeiten sich zugleich um<br />

zweierlei bemühen: um die Berücksichtigung veränderter<br />

sozialer Handlungsumgebungen, und um die<br />

Weiterentwicklung klassischer kommunikations<strong>wissenschaft</strong>licher<br />

Fragestellungen und Konzepte.


Kwak, Nojin: Revisiting the Knowledge Gap<br />

Hypothesis: Education, Motivation, and Media<br />

Use. – S. 385 – 413<br />

Der Autor untersucht die Auswirkungen von Bildungsgrad,<br />

<strong>Medien</strong>nutzung und Engagement anlässlich<br />

der Präsidentschaftswahlen 1992 in den USA, um<br />

Entstehung und Ausmaß von Wissenskluften zu erklären:<br />

Alle drei Faktoren müssen danach berücksichtigt<br />

werden.<br />

Kiousis, Spiro; Bantimaroudis, Philemon; Ban,<br />

Hyun: Candidate Images Attributes: Experiments<br />

on the Substantive Dimension of the Second<br />

Level Agenda Setting. – S. 414 – 428<br />

Yanovitzky, Itzhak; Bennett, Courtney: Media<br />

Attention, Institutional Response, and Health<br />

Behavior Change. – S. 429 – 453<br />

Kang, Naewon; Choi, Junho H.: Structural Implications<br />

of the Crossposting Network of International<br />

News in Cyberspace. – S. 454 – 481<br />

Graham, Philip: Critical Systems Theory: A<br />

Political Economy of Language, Thought, and<br />

Technology. – S. 482 – 507<br />

Jg 26 (1999) Nr 5<br />

Salwen, Michael B.; Dupagne, Michel: The<br />

Third-Person-Effect. – S. 523-549<br />

Die Autoren schließen an die im Third Person Effect<br />

unterstellte Wahrnehmungshypothese (für andere ist<br />

der <strong>Medien</strong>einfluss größer) eine Verhaltenshypthese<br />

(mehr Unterstützung für Einschränkungen von <strong>Medien</strong>botschaften)<br />

an und untersuchen beide Hypothesen<br />

empirisch mit Hilfe einer Telefonumfrage.<br />

Während die Wahrnehmungshypothese allgemein bestätigt<br />

wird, hängt die Bestätigung der Verhaltenshypothese<br />

davon ab, auf welchen Themenbereich sie bezogen<br />

wird.<br />

Valkenburg, Patti M.; Semetko, Holli A.; de<br />

Vreese, Claes H.: The Effects of News Frames<br />

on Readers’ Thoughts and Recall. – S. 550 – 569<br />

Zwei politische Informationen (über Kriminalität und<br />

die Einführung des Euro) wurden in vier verschiedene<br />

News-Rahmen (conflict, human interest, responsibility,<br />

economic consequences) verpackt und in zufälliger<br />

Zusammenstellung 187 Versuchspersonen zu lesen<br />

gegeben. Mit der Methode des „thought-listing“,<br />

d. h. des frei darüber Aussprechens von Gedanken, ergab<br />

sich ein signifikanter Einfluss dieser Rahmen und<br />

auch, dass human interest stories weniger gut erinnert<br />

werden.<br />

Domke, David; McCoy, Kelly; Torres, Marcos:<br />

News Media, Racial Perceptions, and Political<br />

Cognition. – S. 570 – 607<br />

Krcmar, Marina; Valkenburg, Patti M.: A Scale<br />

to Assess Children’s Moral Interpretations of<br />

Justified and Unjustified Violence and Its Relationship<br />

to Television Viewing. – S. 608-634<br />

Zeitschriftenlese<br />

Communication Theory<br />

Jg 9 (1999) Nr 3<br />

Hawes, Leonard C.: The dialogics of conversation:<br />

power, control, vulnerability. – S. 229 –<br />

264<br />

Lawrence, Samuel G.: The preoccupation with<br />

problems of understanding in communication<br />

research. – S. 265 – 291<br />

Nabi, Robin L.: A cognitive-functional model<br />

for the effects of discrete negative emotions on<br />

information processing, attitude change, and<br />

recall. – S. 292 – 320<br />

Schroll, Christopher J.: Theorizing the flip side<br />

of civic journalism: democratic citizenship and<br />

ethical readership. – S. 321 – 345<br />

Computer und Recht<br />

Jg 15 (1999) Nr 7<br />

Ihde, Rainer: Das Pflichtenheft beim Softwareerstellungsvertrag.<br />

– S. 409 – 414<br />

Bei der Erstellung von Individualsoftware kommt<br />

dem Pflichtenheft eine zentrale Bedeutung zu. In ihm<br />

wird regelmäßig festgelegt, was die zu erstellende<br />

Software leisten soll und wie dieses Ziel erreicht werden<br />

kann. „Immer wieder ist das Pflichtenheft zum<br />

Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen<br />

Softwareersteller und Auftraggeber geworden.<br />

Wie in kaum einem anderen Bereich hat die Rechtsprechung<br />

hier widersprüchliche Ergebnisse erbracht.<br />

Der […] Beitrag setzt die aufgetretenen Problemfelder<br />

in den Kontext von Begriffsanalyse und Anwendungserfahrung,<br />

um Anstöße zu einer sachgerechteren<br />

Einordnung in das Regelungsgefüge der §§ 631 ff.<br />

BGB zu geben“.<br />

Ellinghaus, Ulrich: Wegerechte für Telekommunikationsunternehmen.<br />

– S. 420 – 425<br />

Gegenstand des Beitrags sind „die im Achten Teil des<br />

Telekommunikationsgesetztes (TKG) – ‚Benutzung<br />

der öffentlichen Wege‘ – geregelten Erleichterungen<br />

für die Errichtung und den Betrieb von Übertragungswegen<br />

für Telekommunikationsdienstleistungen<br />

auf fremdem Grund und Boden. Seit Inkrafttreten<br />

dieser Vorschriften vor nunmehr drei Jahren haben<br />

Praxis und Rechtsprechung damit begonnen, die Konturen<br />

der in den §§ 50 bis 58 vorgezeichneten Regelung<br />

für die Leitungserrichtung und Durchleitung unter<br />

Inanspruchnahme des Grundbesitzes Dritter herauszuarbeiten.“<br />

Imping, Andreas: Vertragsgestaltung von Telefonanschlußverträgen<br />

im Festnetzbereich. –<br />

S. 425 – 431<br />

Koenig, Christian; Loetz, Sascha: Sperrungsanordnungen<br />

gegenüber Network- und Access-<br />

Providern. – S. 438 – 445<br />

„Die Verfasser gehen der Frage nach, ob behördliche<br />

Sperrungsanordnungen gegen Network- und Access-<br />

Provider eine Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 4 Telediens-<br />

135


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

tegesetz (TDG) oder § 18 Abs. 3 <strong>Medien</strong>dienste-Staatsvertrag<br />

(MDStV) finden. Darüber hinaus soll ein Beitrag<br />

zur Einordnung der Network- und Access-Provider<br />

in das geltende <strong>Kommunikations</strong>recht geleistet<br />

werden. Als Ansatzpunkt dient die Unterscheidung<br />

zwischen dem ,übertragungsrechtlichen‘ Recht des<br />

TKG und dem inhaltsbezogenen Recht des TDG und<br />

des MDStV. Die Ausführungen werden durch einen<br />

Ausblick auf die gemeinschaftsrechtlichen Regulierungsvorhaben<br />

abgerundet. Das vielbeachtete Strafurteil<br />

gegen den früheren Geschäftsführer der deutschen<br />

CompuServe-Niederlassung war Anregung zu dieser<br />

Abhandlung, bildet aber nicht ihren Gegenstand.“<br />

Bettinger, Torsten: Abschlußbericht der WI-<br />

PO zum Internet Domain Name Process. –<br />

S. 445 – 448<br />

„Am 30. April 1999 hat die WIPO ihre abschließende<br />

Stellungnahme zu möglichen Reformen des Domain<br />

Name Systems veröffentlicht. Der sog. Final Report<br />

of the WIPO Internet Domain Name Process, der nun<br />

der Internet Corporation for Assigned Names and<br />

Numbers (ICANN) sowie den WIPO-Mitgliedsstaaten<br />

zur weiteren Erörterung vorgelegt wird, enthält<br />

wichtige Eckdaten zum zukünftigen Vergabesystem<br />

von Domainnamen sowie zur angestrebten außergerichtlichen<br />

Streitbeilegungsverfahren für Domainnamenskonflikte.“<br />

Klöck, Oliver: Bundeskompetenz für ein Multimedia-Recht?.<br />

– S. 456 – 462<br />

„Schon die Fragestellung mag verwundern: Durch<br />

die Aufteilung des Rechts der Multimediadienste in<br />

ein Informations- und <strong>Kommunikations</strong>-Gesetz<br />

(IuKDG) des Bundes und einen <strong>Medien</strong>dienste-<br />

Staatsvertrag (MDStV) der Länder sollte das Problem<br />

doch eigentlich geklärt sein. Bund und Länder haben<br />

sich über die Aufteilung ihrer jeweiligen Kompetenzen<br />

geeinigt und sozusagen in einem Akt der schiedlich-friedlichen<br />

Absprache einen weltweit bislang einmaligen<br />

Rechtsrahmen für diesen zukunftsträchtigen<br />

Wirtschaftszweig geschaffen. Doch damit ist das<br />

kompetenzielle Problem mitnichten gelöst. Dieser<br />

Beitrag weist nach, dass Bund und Länder nicht die<br />

Befugnis haben, sich über die Kompetenzordnung des<br />

Grundgesetzes durch Einigung hinwegzusetzen.<br />

Letzlich entscheidet über die Bundeskompetenz für<br />

ein Multimedia-Recht der grundgesetzliche Rundfunkbegriff.<br />

Aus ihm folgt, dass das IuKDG die Bundeskompetenz<br />

im Recht der Multimediadienste zu<br />

weit ausdehnt und der MDStV die Länderkompetenz<br />

nicht ausschöpft.“<br />

Fritzsche, Jörg: Haftung und Haftungsfreizeichnung<br />

in Informationsbeschaffungsverträgen.<br />

– S. 462 – 469<br />

Jg 15 (1999) Nr 8<br />

Schabel, Thomas: EDV-Aufträge der öffentlichen<br />

Hand – Vergabeverfahren: Auftragsvergabe<br />

nach der Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie.<br />

– S. 477 – 484<br />

Gramlich, Ludwig: Die Regulierungsbehörde<br />

für Telekommunikation und Post im Jahre<br />

1998. – S. 489 – 496<br />

136<br />

Härting, Niko: Referentenentwurf für ein neues<br />

Fernabsatzgesetz. – S. 507 – 511<br />

Mankowski, Peter: Internet und besondere<br />

Aspekte des Internationalen Vertragsrechts (I).<br />

– S. 512 – 523<br />

Beucher, Klaus; Schmoll, Andrea: Kryptotechnologie<br />

und Exportbeschränkungen. – S. 529 –<br />

534<br />

Jg 15 (1999) Nr 9<br />

Moritz, Hans-Werner: Der Softwarepflegevertrag:<br />

Abschlusszwang und Schutz vor Kündigung<br />

zur Unzeit?. – S. 541 – 545<br />

Müller, Knut: Das „neue“ Recht der Scheinselbständigkeit:<br />

Auswirkungen auf die EDV-<br />

Branche und Vermeidungsstategien bei der<br />

Vertragsgestaltung. S. 546 – 552<br />

Demmel, Annette; Skrobotz, Jan: Rechtsfragen<br />

der Nutzung von Premium rate-Diensten<br />

(0190er Nummern). – S. 561 – 566<br />

„Die Nutzung von Dienstleistungen mittels Telekommunikationseinrichtungen<br />

hat in den letzten Jahren<br />

stark zugenommen. Insbesondere die Auskunftdienste<br />

(sog. Premium-rate-Dienste) unter den ‚0190-<br />

Nummern‘ haben zu Diskussionen geführt und sind<br />

Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren geworden.<br />

Im Vordergrund stehen die Rechtsberatung per Telefon<br />

als neue Form der anwaltlichen Tätigkeit, Telefonsex-Angebote<br />

sowie die Nutzung der Auskunftsdienste<br />

durch Minderjährige. Die Verfasser zeigen auf,<br />

dass für sämtliche Probleme die Vertragsverhältnisse<br />

bedeutsam sind, welche den Telefonaten und etwaigen<br />

Entgeltansprüchen zugrunde liegen. Hierzu werden<br />

die vertraglichen Beziehungen zwischen den verschiedenen<br />

Beteiligten näher beleuchtet und deren Wirksamkeit<br />

im Einzelnen untersucht.“<br />

Vassilaki, Irini E.: Strafverfolgung der grenzüberschreitenden<br />

Internet-Kriminalität: Prolegomena<br />

zur rationalen Strukturierung des internationalen<br />

Strafprozessrechts. – S. 574 – 580<br />

„Die rasante Entwicklung der Informationstechnologien<br />

hat eine Vielzahl neuer Kriminalitätsformen hervorgerufen,<br />

die Gegenstand strafrechtlicher Entscheidungen<br />

gewesen sind. Die Verfasserin greift eine Reihe<br />

von Problemen auf, die sich im Rahmen der strafrechtlichen<br />

Verfolgung der grenzüberschreitenden<br />

Internet-Kriminalität ergeben. Dabei stehen die Fragen<br />

der Durchsuchung eines Netzwerkes, der Beschlagnahme<br />

von Daten und der Überwachung der<br />

Telekommunikation im Vordergrund. Im Ergebnis<br />

hält die Verfasserin einen Wandel des Strafverfolgungsrechts<br />

für notwendig, um den Anforderungen<br />

der Informationsgesellschaft nach Verabschiedung<br />

der geographischen Staatsgrenzen einerseits und der<br />

Anwendung des materiellen Strafrechts andererseits<br />

Rechnung zu tragen. Dieser Wandel ist in einem<br />

Übergang zu einem dreistufigen System der zunehmenden<br />

internationalen Rechtshilfe, grundrechtsorientierter<br />

Harmonisierung und bereichsspezifischen<br />

Vereinheitlichung zu vollziehen.“


Mankowski, Peter: Internet und besondere Aspekte<br />

des Internationalen Vertragsrecht (II). –<br />

S. 581 – 588<br />

„Aufgrund der steigenden Zahl von Verträgen mit<br />

Auslandsbezug über das Medium Internet stellt sich<br />

verstärkt die Frage der Anknüpfung der einzelnen Typen<br />

von Internet-Verträgen im Internationalen Vertragsrecht.<br />

Überdies muss sich das Internationale Privatrecht<br />

(IPR) den Herausforderungen neuer, durch<br />

das Internet veränderter Dienstleistungsangebote stellen.<br />

Nachdem sich der erste Teil des Beitrags (CR<br />

1999, 512) mit den einzelnen besonderen Vertragstypen<br />

und den Veränderungen der Leistungsangebote<br />

beschäftigt hat, widmet sich der 2. Teil den so genannten<br />

virtuellen Fabriken und Unternehmen, den<br />

Auswirkungen von Bezahlen mit e-cash oder cybermoney<br />

sowie der Anwendung des UN-Kaufrechts bei<br />

Verträgen über das Internet und der Anknüpfung der<br />

Form von Verträgen bei Internet-Sachverhalten.“<br />

Hürten, Robert: Transparenz in Streitfällen<br />

durch „Software Metrik“. – S. 596 – 598<br />

Convergence<br />

Jg 5 (1999) Nr 2<br />

Young, Paul: The Negative Reinvention of Cinema:<br />

Late Hollywood in the Early Digital<br />

Age. – S. 24 – 50<br />

Faden, Eric S.: Assimilating New Technologies:<br />

Early Cinema, Sound, and Computer<br />

Imagery. – S. 51 – 79<br />

Manovich, Lev: Database as Symbolic Form. –<br />

S. 80 – 99<br />

Cultural studies<br />

Jg 13 (1999) Nr 3<br />

Moreiras, Alberto: Hybridity and double consciousness.<br />

– S. 373 – 407<br />

Turner, Stephen: A Legacy of colonianism:<br />

The uncivil society of Aotearoa/New Zealand.<br />

– S. 408 – 422<br />

Katz, Adam: On „Maelstroms large and small,<br />

metaphorical and actual“: „Gray Zones“ in the<br />

writings of Primo Levi. – S. 423 – 447<br />

Wolff, Kurt H.: A structure to play with: on the<br />

italian adage, „se non è vero è ben trovato“. –<br />

S. 448 – 465<br />

Patton, Cindy: How to do things with sound. –<br />

S. 466 – 487<br />

Negus, Keith: The music business and rap:<br />

Between the street and the executive suite. –<br />

S. 488 – 508<br />

Hosokawa, Shuhei: „Salsa no tiene frontera“:<br />

Orquesta de la Luz and the Globalization of<br />

Popular Music. – S. 509 – 534<br />

Zeitschriftenlese<br />

Diffusion<br />

(1999) summer<br />

Blanchart, Jean-Louis: Is public-service broadcasting<br />

compatible with the free-market economy?.<br />

– S. 6 – 9<br />

Fansten, Michel: The terms of the debate. –<br />

S. 10 – 13<br />

Boudgast, Peter; Frenzel, Albrecht: Germany:<br />

Federal diversity of organizations, programme<br />

remits and funding models. – S. 14 – 17<br />

Wyatt, Will: Life and death broadcasting. –<br />

S. 18 – 19<br />

Malesani, Peter Luigi: RAI and public-service<br />

broadcasting in Italy. – S. 20 – 21<br />

Billaudeau, Valérie Magnan: Spain, Greece and<br />

Portugal: Underfinanced to meet technological<br />

challanges. – S. 22 – 23<br />

Lovitt, Gordon: The funding of Czech Television.<br />

– S. 24 – 25<br />

European Journal of Communication<br />

Jg 14 (1999) Nr 3<br />

Esser, Frank: „Tabloidization“ of news: a comparative<br />

analysis of Anglo-American and German<br />

press journalism. – S. 291 – 324<br />

Negrine, Ralph: Parliaments and the media: a<br />

changing relationship?. – S. 325 – 352<br />

Conboy, Martin: The discourse of location:<br />

realigning the popular in German cinema. –<br />

S. 353 – 378<br />

Neveu, Erik: Politics on French television: towards<br />

a renewal of political journalism and<br />

debate frames? – S. 379 – 410<br />

Grimme<br />

Jg 22 (1999) Nr 3<br />

Heidsiek, Birgit: Spiel mit doppeltem Boden. –<br />

S. 10 – 12<br />

Genrich, Stefan: Dokumente des Zeitgeistes:<br />

Wochenschauen. – S. 14 – 16<br />

Spies, Ulrich: Eine Frage der Machart: Kriegsberichterstattung.<br />

– S. 48 – 51<br />

Journal of Broadcasting & Electronic Media<br />

Jg 43 (1999) Nr 2<br />

Moy, Patricia; Pfau, Michael; Kahlor, LeeAnn:<br />

Media Use and Public Confidence in Democratic<br />

Institutions. – S. 137 – 158<br />

137


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Mullen, Lawrence J.: Television News and<br />

Contentiousness: An Explanatory Study of<br />

Visual and Verbal Content in News about the<br />

President. – S. 159 – 174<br />

Weintraub Austin, Erica; Bolls, Paul D.; Fujioka,<br />

Yuki: How and Why Parents Take on the<br />

Tube. – S. 175 – 192<br />

Bucy, Erik P.; Newhagen, John E.: The Microand<br />

Macrodrama on Television: Effects of<br />

Media Format on Candidate Evaluations. –<br />

S. 193 – 210<br />

Reith, Margaret: Viewing of Crime Drama and<br />

Authoritarian Aggression: An Investigation of<br />

the Relationship Between Crime Viewing,<br />

Fear, and Aggression. – S. 211 – 221<br />

Hallmark, James R.; Armstrong, Richard N.:<br />

Gender Equity in Televised Sports: A Comparative<br />

Analysis of Men’s and Women’s NCAA<br />

Division I Basketball Championship Broadcasts,<br />

1991 – 1995. – S. 222 – 235<br />

Lipschultz, Jeremy H.; Hilt, Michael L.: Mass<br />

Media and the Death Penalty: Social Construction<br />

of Three Nebraska Executions. – S. 236 – 253<br />

Ross, Susan Dente: Doors to Diversity: The<br />

First Amendment Implications of Telephone<br />

Company Video Options under the Telecommunications<br />

Act of 1996. – S. 254 – 270<br />

Kiernan, Vincent; Levy, Mark R.: Competition<br />

Among Broadcast-Related Web Sites. – S. 271 –<br />

279<br />

Barbatsis, Gretchen S.: Hypermediated Telepresence:<br />

Sensemaking Aesthetics of the Newest<br />

Communication Art. – S. 280 – 298<br />

Journal of Communication<br />

Jg 49 (1999) Nr 3<br />

McLeod, Douglas M.; Detenber, Benjamin H.:<br />

Framing effects of television news coverage of<br />

social protest. – S. 3 – 23<br />

Krcmar, Marina; Greene, Kathryn: Predicting<br />

exposure to and uses of television violence. –<br />

S. 24 – 45<br />

Oliver, Mary Beth: Caucasian viewers’ memory<br />

of black and white criminal suspects in<br />

the news. – S. 46 – 60<br />

Bird, S. Elizabeth: Gendered construction<br />

of the American Indian in popular media. –<br />

S. 61 – 83<br />

Parameswaran, Radhika: Western romance fiction<br />

as English-language media in postcolonial<br />

India. – S. 84 – 105<br />

138<br />

Peri, Yoram: The media and collective memory<br />

of Yitzhak Rabin’s remenbrance. – S. 106 – 124<br />

Berkowitz, Dan; TerKeurst, James V.: Community<br />

as interpretive community: rethinking<br />

the journalist-source relationship. – S. 125 – 136<br />

McOmber, James B.: Technological autonomy<br />

and three definitions of technology. – S. 137 –<br />

153<br />

Journal of communication inquiry<br />

Jg 23 (1999) Nr 4<br />

McLaughlin, Lisa: Beyond „Seperate Spheres“:<br />

Feminism and the Cultural Studies/Political<br />

Economy Debate. – S. 327 – 354<br />

Lauzen, Martha M.; Dozier, David M.: The<br />

Role of Women on Screen and behind the Scenes<br />

in the Television and Film Industries: Review<br />

of a Program of Research. – S. 355 – 373<br />

Tracy, James F.: Whistle while you Work: The<br />

Disney Company and the Global Division of<br />

Labor. – S. 374 – 389<br />

Huntemann, Nina: Corporate Interference:<br />

The Commercialization and Concentration of<br />

Radio post the 1996 Telecommunications<br />

Act. – S. 390 – 407<br />

Gunn, Joshua: Marilyn Manson Is Not Goth:<br />

Memorial Struggle and the Rhetoric of Subcultural<br />

Identity. – S. 408 – 431<br />

Hartsock, John C.: „Literary Journalism“ as an<br />

Epistemological Moving Object within a Larger<br />

„Quantum“ Narrative. – S. 432 – 447<br />

Journal of Media Economics<br />

Jg 12 (1999) Nr 3<br />

Greco, Albert N.: The Impact of Horizontal<br />

Mergers and Acquisitions on Corporate Concentration<br />

in the U.S. Book Publishing Industry:<br />

1989 – 1994. S. 165 – 180<br />

Trotz augenfälliger Fusionen zeigt die Analyse der<br />

Entwicklung des Buchmarktes in den USA keine Tendenz<br />

zur Monopolbildung – im Gegensatz zu der gängigen<br />

These Bagdikians. Als Erklärung wird u. a. auf<br />

die geringen Marktzutrittsbarrieren im Buchmarkt<br />

verwiesen.<br />

Lutzhöft, Niels; Machill, Marcel: The Economics<br />

of French Cable Systems as Reflected in<br />

Media Policy. – S. 181 – 199<br />

Gershon, Richard A.; Egen, Bradley M.: Retransmission<br />

Consent, Cable Franchising, and<br />

Market Failure: A Case Study Analysis of<br />

WOOD-TV 8 Versus Cablevision of Michigan.<br />

– S. 201 – 224


Jg 12 (1999) Nr 4<br />

Smith, Ken: Preprints Versus Display Advertising:<br />

Which is More Profitable for Nondaily<br />

Newspapers?. – S. 233 – 245<br />

Picard, Robert G.; Lacy, Stephen: Legal and<br />

Economic Aspects in Theft of Newspapers:<br />

Using a Model of Newspaper Value. – S. 247 –<br />

263<br />

Hyuhn-Suhck, Bae: Product Differenciation<br />

in Cable Programming: The Case in the Cable<br />

National All-News Networks. – S. 265 – 277<br />

Für eine Woche im Oktober 1997 werden die Programmstrukturen<br />

der US-Nachrichtensender CNN,<br />

FNC und MSNBC verglichen. Es zeigt sich, dass<br />

die Programme zum jeweiligen Zeitpunkt meist gegensätzlich<br />

gestaltet sind und dadurch Programmvielfalt<br />

entsteht. CNN erreicht dabei ein älteres Publikum<br />

(mehrheitlich 55 Jahre und älter) als die Konkurrenten.<br />

Journalism & Mass Communication<br />

Quarterly<br />

Jg 76 (1999) Nr 2<br />

Durham, Meenakshi Gigi: Girls, media and<br />

the negotiation of sexuality: a study of race,<br />

class, and gender in adolescent peer groups. –<br />

S. 193 – 216<br />

Koehler, Elizabeth M.: The variable nature of<br />

defamation: social mores and accusations of<br />

homosexuality. – S. 217 – 228<br />

Corbett, Julia B.; Mori, Motomi: Medicine, media,<br />

and celebrities: news coverage of breast<br />

cancer, 1960-1995. – S. 229 – 249<br />

Blanks Hindman, Douglas et al: Structural pluralism,<br />

ethnic pluralism, and community newspapers.<br />

– S. 250 – 263<br />

Middlestadt, Susan E.; Barnhurst, Kevin G.:<br />

The influence of layout on the perceived tone of<br />

news articles. – S. 264 – 276<br />

Gunther, Albert C.; Christen, Cindy T.: Effects<br />

of news slant and base rate information on perceived<br />

public opinion. – S. 277 – 292<br />

Grabe, Maria Elizabeth; Zhou, Shuhua; Barnett,<br />

Brooke: Sourcing and reporting in news<br />

magazine programs: „60 Minutes“ versus<br />

„Hard Copy“. – S. 293 – 311<br />

Chang, Kuang-Kuo: Auto trade policy and the<br />

press: auto elite as a source of the media agenda.<br />

– S. 312 – 324<br />

Lacy, Stephen; Coulson, David C.; Cyr, Charles<br />

St.: The impact of beat competition on city<br />

hall coverage. – S. 325 – 340<br />

Zeitschriftenlese<br />

Li, Hairong; Bukovac, Janice L.: Cognitive impact<br />

of banner ad characteristics: an experimental<br />

study. – S. 341 – 353<br />

Nelson, Michelle R.; Hitchon, Jacqueline C.:<br />

Loud tastes, colored fragrances, and scented<br />

sounds: how and when to mix the senses in persuasive<br />

communications. – S. 354 – 372<br />

Sundar, S. Shyam: Exploring receivers’ criteria<br />

for perception of print and online news. –<br />

S. 373 – 386<br />

Faktorenanalysen der Bewertung von gedruckten<br />

Nachrichten einerseits und Online-Nachrichten andererseits<br />

führen zu dem Ergebnis, dass den Bewertungen<br />

weitgehend vergleichbare Faktoren zugrunde<br />

liegen: Glaubwürdigkeit, Ansprache von Gefühlen,<br />

professionelle Gestaltung und Nachrichtenwert.<br />

Kommunikation und Recht<br />

Jg 2 (1999) Nr 7<br />

Säcker, Franz Jürgen; Callies, Gralf-Peter: Billing<br />

und Inkasso fremder Telekommunikationsdienstleistungen<br />

(I): Zur Auslegung von<br />

§33 TKG und §15 TKV. – S. 289 – 298<br />

Für das rasche Entstehen wirksamen Wettbewerbs im<br />

Zuge der Liberalisierung der Telekommunikation war<br />

die künstliche Aufspaltung des Markts für Sprachtelefondienste<br />

in einen Markt für Teilnehmeranschlüsse<br />

und Ortsgespräche sowie in einen selbstständigen<br />

Markt für Ferngespräche besonders entscheidend. Als<br />

Folge dieser Separierung ergibt sich das Problem der<br />

Abrechnung der Leistungen der Verbindungsnetzbetreiber<br />

gegenüber dem Kunden. Weitgehend ungeklärt<br />

ist dabei nach Auffassung der Autoren, ob und<br />

inwieweit der Anbieter des allgemeinen Netzzugangs<br />

rechtlich verpflichtet ist, an der Abrechnung und am<br />

Inkasso von Fernverbindungsleistungen seiner Wettbewerber<br />

mitzuwirken. Vor diesem Hintergrund<br />

stellt der Beitrag in einem ersten Teil die faktischen<br />

Gegebenheiten und Vertragsbeziehungen auf dem<br />

Markt für Ferngespräche dar und untersucht, welche<br />

Verpflichtungen sich aus §15 TKV für Anbieter von<br />

Teilnehmeranschlüssen ergeben.<br />

Koenig, Christian; Loetz, Sascha: Rechtsnatur<br />

der Zusammenschaltungsanordnung nach §37<br />

TKG. – S. 298 – 305<br />

Die folgende Abhandlung widmet sich der Rechtsnatur<br />

der Zusammenschaltungsanordnung nach § 37<br />

Abs.1 S.1 TKG. Dabei werden Wirkung und Funktion<br />

dieses Instruments sowohl innerhalb des Telekommunikationsrechts<br />

als auch des Verwaltungsrechts<br />

dogmatisch eingeordnet. So wird dargelegt, dass die<br />

Zusammenschaltungsanordnung die Konstruktion<br />

eines ,,angeordneten Vertrags“ nahe legt. Auch wird<br />

aufgezeigt, dass sich die Zusammenschaltungsanordnung<br />

auf ein konkretes Zusammenschaltungsbegehren<br />

mit der Folge bezieht, dass spätere privatautonome<br />

Vertragsänderungen nicht mehr von der<br />

Anordnung erfasst werden. Wenn sich die Entscheidungs-<br />

und Bindungswirkung der Zusammenschaltungsanordnung<br />

nur auf den im Zeitpunkt der<br />

behördlichen Anordnung bestehenden Dissens der<br />

139


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Parteien bezieht, wäre es konsequent, das Vertragsverhältnis<br />

der Parteien nur in seiner Entstehung, nicht<br />

aber in seinem Bestand als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren.<br />

Sieber, Stefanie; Klimek, Oliver Alexander:<br />

Werbung in Push-Diensten: Zulässige unaufgeforderte<br />

kommerzielle Kommunikation?. –<br />

S. 305 – 312<br />

Angesichts der derzeit vorherrschenden Meinung, die<br />

die unaufgeforderte Zusendung von Werbung per<br />

E-Mail zum einen für wettbewerbswidrig hält, zum<br />

anderen darin einen Verstoß gegen § 823 Abs.1 BGB<br />

als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />

oder als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten<br />

Gewerbebetrieb sieht, stellen die Verfasser im folgenden<br />

Beitrag konsequenterweise die Frage nach der<br />

wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit der Werbung in<br />

Push-Diensten. Der Aufsatz beleuchtet zunächst die<br />

technischen Grundlagen und Hintergründe der Push-<br />

Technologie. Im Anschluss daran stellt sich die Frage<br />

der grundsätzlichen Zulässigkeit von Werbung in<br />

Push-Diensten. Den Abschluss der Untersuchung<br />

bildet schließlich eine Darstellung der wettbewerbsrechtlichen<br />

Grenzen der Werbung in derartigen<br />

Diensten.<br />

Brodey, Martin; Jacob, Agnieszka: Frequenzstreitigkeiten<br />

in Österreich. – S. 312 – 316<br />

Nach vorangegangenen monatelangen Auseinandersetzungen<br />

hat der österreichische Verfassungsgerichtshof<br />

die bescheidmäßige Zuteilung von 2 x 5<br />

MHz aus dem für DCS-1800 reservierten Bereich<br />

durch die Regulierungsbehörde an die Mobilkom<br />

Austria AG mit Urteil vom 24. 2. 1999 für rechtmäßig<br />

erkannt und eine den Bescheid der Regulierungsbehörde<br />

bekämpfende Verfassungsbeschwerde der<br />

Connect Austria als unbegründet abgewiesen. Die<br />

Hintergründe dieser Entscheidung sowie deren wesentliche<br />

Inhalte werden im Folgenden kurz dargestellt.<br />

Jg 2 (1999) Nr 8<br />

Säcker, Franz Jürgen; Callies, Gralf-Peter: Billing<br />

und Inkasso fremder Telekommunikationsdienstleistungen<br />

(II): Zur Auslegung von<br />

§33 TKG und §15 TKV. – S. 337 – 345<br />

Waldenberger, Arthur: „Alles schwebend unwirksam“<br />

– Distanzgeschäfte nach dem Referentenentwurf<br />

eines Fernabsatzgesetzes. –<br />

S. 345 – 354<br />

Mit dem Referentenentwurf zum Fernabsatzgesetz<br />

hat das Bundesjustizministerium einen Vorschlag zur<br />

Umsetzung der Fernsehabsatzrichtlinie unterbreitet.<br />

Nach Ansicht des Autors hat das Ministerium die<br />

Rechtsnatur des in der Richtlinie vorgesehenen „Widerrufsrechts“,<br />

das in der Sache nach ein Rücktrittsrecht<br />

sei, verkannt. Der Vorschlag, nahezu alle Fernabsatzverträge<br />

für zunächst schwebend unwirksam zu<br />

erklären, sei für die Praxis untauglich. Zudem setzten<br />

die Vorgaben der Richtline einen wirksam geschlossenen<br />

Vertrag voraus. Auch die Änderungen sonstiger<br />

Vorschriften durch das geplante Gesetz werden vom<br />

Autor kritisiert.<br />

140<br />

Stettner, Rupert: Das bayerische alternative<br />

Rundfunkmodell nach dem „extra-radio“-<br />

Beschluß des Bundesverfassungsgerichts. –<br />

S. 355 – 362<br />

„Mit dem am 20. 2. 1998 gefällten ‚extra-radio‘-<br />

Beschluss nahm das Bundesverfassungsgericht zum<br />

bayerischen Modell eines öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks unter Beteiligung privater Rundfunkangebote<br />

Stellung. Das Judikat widmet sich nur einem einzigen<br />

rechtlichen Problem, nämlich der Frage, ob<br />

Rundfunkanbietern in Bayern neben oder gar anstelle<br />

der bisher einhellig als Trägerin des Rundfunkgrundrechts<br />

angesehenen Bayerischen Landeszentrale für<br />

neue <strong>Medien</strong> (BLM) das Rundfunkgrundrecht zukommt,<br />

was bejaht wird, und wie im rundfunkrechtlichen<br />

Zulassungsverfahren vor dem Hintergrund der<br />

Einwirkung des Rundfunkgrundrechts der Beteiligten<br />

zu verfahren ist. Leider sind die Aussagen der Entscheidung<br />

zu der durch sie etablierten Grundrechtskollision<br />

so sybillinisch, dass ein erheblicher Interpretationsbedarf<br />

besteht. Der […] Beitrag beleuchtet den<br />

kontroversen Meinungsstand um das bayerische alternative<br />

Rundfunkmodell und nimmt ausführlich Stellung<br />

zu der neuen Rechtslage.“<br />

Nordmann, Matthias; Schumacher, Stephan:<br />

Escrow-Agreement: Softwarehinterlegung in<br />

der Praxis. – S. 363 – 366<br />

Beilage zu Nr 8<br />

Klett, Detlef; Redelfs, Kirsten: Millennium<br />

Bug: Ansprüche des Softwareanwenders gegen<br />

Softwarelieferanten oder -hersteller. – S. 2 – 9<br />

von Westphalen, Friedrich: Der Jahr-2000-<br />

Fehler und die Verteilung der Beweislast. –<br />

S. 9 – 13<br />

Mayer, Frank M.: Jahrtausendwechsel: Risikovermeidung<br />

durch strukturierte Projektorganisation.<br />

– S. 13 – 17<br />

Bonnar, Richard: Current Year 2000 legal<br />

issues in the United Kingdom. – S. 17 – 20<br />

Jg 2 (1999) Nr 9<br />

Schmidt, Kurt: Entgeltregulierung für Telekommunikationsdienstleistungen.<br />

– S. 385 – 390<br />

Der Autor ist der Vorsitzender der Beschlusskammer<br />

3 in der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation.<br />

„Hauptanliegen der […] Ausführungen<br />

[des Autors] ist eine Gesamtdarstellung des Entgeltregulierungssystems<br />

unter Verzicht auf vertiefende Einzelanalysen.<br />

Im Anschluss an eine begriffliche Erläuterung<br />

wird die Entgeltregulierung […] unter acht Gesichtspunkten<br />

betrachtet. Dabei wird neben den verfolgten<br />

Zielen auf die geltenden Rechtsnormen, das<br />

verfügbare Instrumentarium, seine Anwendung in der<br />

Rechtspraxis sowie die dafür geschaffenen organisatorischen<br />

Voraussetzungen und Verantwortlichkeiten<br />

eingegangen. Zur besseren Überschaubarkeit werden


die speziellen Verbraucherschutzaspekte nur am Rande<br />

angesprochen […].“<br />

Stögmüller, Thomas: Auktionen im Internet. –<br />

S. 391 – 395<br />

Beuthien, Volker; Schmölz, Anton Sebastian:<br />

Persönlichkeitsschutz durch Gewinnherausgabe.<br />

– S. 396 – 398<br />

Rosenberg, Oliver von: Liability of Internet<br />

providers in the framework of the U.S. digital<br />

millennium copyright act. – S. 399 – 411<br />

Jg 2 (1999) Nr 10<br />

Jochimsen, Reimut: <strong>Medien</strong>aufsicht in der<br />

Kontroverse – Konzentration, Kontrolle und<br />

KEK. – S. 433 – 442<br />

Der Autor ist Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung<br />

der Konzentration im <strong>Medien</strong>bereich<br />

(KEK). Diese ist seit 1997 für die Beurteilung von<br />

Konzentrationsprozessen in Bezug auf die bundesweite<br />

Veranstaltung von Fernsehprogrammen zuständig<br />

und besteht aus sechs Sachverständigen, die von<br />

den Ministerpräsidenten der Länder für die Dauer von<br />

fünf Jahren einvernehmlich berufen werden. In dem<br />

Beitrag werden die aktuellen Verflechtungen im Bereich<br />

des bundesweiten Fernsehens – insbesondere die<br />

Beteiligungsverhältnisse an den Sendern der CLT-<br />

UFA-Gruppe, der KirchGruppe und von Rupert<br />

Murdoch – dargestellt. Der Autor bekräftigt die Ansicht<br />

der KEK, dass die Konzentration im <strong>Medien</strong>bereich<br />

nicht allein am Zuschauermarktanteil der Unternehmen<br />

festgemacht werden könne, sondern qualitative<br />

Kriterien hinzu zu ziehen seien. Insbesondere<br />

müsse die Stellung der Rundfunkunternehmen auf<br />

verwandten Märkten auch dann berücksichtigt werden,<br />

wenn der jeweilige Zuschauermarktanteil unter<br />

der von einigen Autoren präferierten Grenze von<br />

28,5 % liege. Einzubeziehen sei vor allem die vertikale<br />

Konzentration, also die Stellung auf vor- und nachgelagerten<br />

Märkten wie der Beschaffung von Programmrechten<br />

und der Fernsehproduktion. Am Ende<br />

seiner Ausführungen weist der Autor auf aktuelle<br />

Entwicklungen hin, die von großer Bedeutung für die<br />

<strong>Medien</strong>kontrolle sind. Dazu zählen Tendenzen hin zu<br />

mehr freiwilliger Selbstkontrolle, die Digitalisierung<br />

der Verbreitungstechnik und die Rechtsetzung auf europäischer<br />

Ebene (etwa der Richtlinienentwurf zum<br />

elektronischen Handel).<br />

Tettenborn, Alexander: Auf dem Weg zu einem<br />

einheitlichen Rechtsrahmen für den elektronischen<br />

Rechtsverkehr – der 2. Versuch … –<br />

S. 442 – 444<br />

„Die sog. E-Commerce-Richtlinie wurde bereits vom<br />

Autor in der K&R 6/ 1999 [S. 252] behandelt. Der<br />

geänderte Kommissionsvorschlag als Antwort auf die<br />

Stellungnahme und zahlreiche Änderungsvorschläge<br />

des Europaparlaments wird hier einer ersten – vorläufigen<br />

– Bewertung unterzogen.“<br />

Kaiser, Andreas; Voigt, Dennis: Vertragsschluss<br />

und Abwicklung des Electronic Commerce im<br />

Internet – Chancen und Risiken. – S. 445 – 453<br />

Zeitschriftenlese<br />

„Die zunehmende Attraktivität des Internet und die<br />

unermüdliche Suche nach einer wirtschaftlich sinnvollen<br />

Nutzung dieses Mediums hat für zahlreiche<br />

Unternehmen ein Engagement im Bereich Electronic<br />

Commerce zum vieldiskutierten Thema werden lassen.<br />

Wie ein Unternehmen von der bloßen Informationsbereitstellung<br />

über Vertragsschluss und -erfüllung<br />

bis zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs im Internet<br />

präsent sein kann, zeigt [der] Beitrag, der Stellung<br />

nimmt zu Fragen des Rechtsrisikos und der Sicherheit<br />

bei Vertragsschlüssen im Internet.<br />

Hoffmann, Michael; Gabel, Detlev: US-Patente<br />

verengen die Datenautobahn. S. 453 – 456<br />

„Der elektronische Geschäftsverkehr gilt als der Wirtschaftszweig<br />

der Zukunft. Durch äußerst verheißungsvolle<br />

Entwicklungsprognosen animiert, wollen<br />

immer mehr Wirtschaftstreibende daran teilnehmen<br />

und – haben. Im Zuge ihres Engagements ergibt<br />

sich dann sehr schnell das Problem eines wirksamen<br />

rechtlichen Schutzes für die bereits getätigten und<br />

noch beabsichtigten Investitionen. Die diesbezüglichen<br />

Sorgen erstrecken sich gleichermaßen auf die für<br />

den Internetauftritt notwendige Software und auf die<br />

insgesamt hinter den Bestrebungen stehende Geschäftsidee.<br />

Der […] Beitrag geht der großzügig anmutenden<br />

US-amerikanischen Patentvergabepraxis<br />

für Internetanwendungen auf den Grund, die eine<br />

weltweite Vorreiterrolle zu spielen scheint.“<br />

Humpert, Christian: Regulierung des Telekommunikationsmarkts<br />

in Großbritannien. –<br />

S. 457 – 463<br />

Für die Regulierung der Telekommunikation sind in<br />

Großbritannien das Office of Telecommunications<br />

(OFTEL) und der diesem vorstehende Director General<br />

of Telecommunications (DGT) zuständig. „Seit<br />

der Privatisierung von British Telecommunications<br />

1984 hat sich die Rolle der Regulierungsbehörde gewandelt.<br />

Je mehr Wettbewerb herrschte, desto geringer<br />

wurden die regulatorischen Eingriffe. Im Laufe<br />

der Jahre wurden von der Regulierungsbehörde die<br />

Preise für BTs Telefonverbindungen und die Netzzusammenschaltungsgebühren<br />

regelmäßig und detailliert<br />

festgelegt. Es wurden Voraussetzungen dafür geschaffen,<br />

dass jeder Bürger des Vereinigten Königreiches<br />

angemessen mit Telekommunikationsdienstleistungen<br />

versorgt wird und ein gewisses Mindestmaß an<br />

Qualitätsstandards geschaffen wurde. Dieser Aufsatz<br />

stellt Gestalt und Wirken der britischen Regulierungsbehörde<br />

vor.“<br />

Media Perspektiven<br />

(1999) Nr I<br />

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit<br />

von Rundfunkgebühr und Gebührenanteil<br />

für die Landesmedienanstalten vom<br />

9. Dezember 1998. – S. 1 – 11<br />

(1999) Nr 7<br />

Krüger, Udo Michael: Stabile Programmstruktur<br />

trotz besonderer Fernsehereignissen: Programmanalyse<br />

1998: ARD, ZDF, RTL, SAT 1<br />

und Pro Sieben im Vergleich. – S. 322 – 339<br />

141


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

„Die systematischen Unterschiede zwischen den beiden<br />

öffentlich- rechtlichen Hauptprogrammen auf der<br />

einen und den drei großen Privatsendern auf der anderen<br />

Seite bleiben … auch 1998 bestehen: Bei ARD<br />

und ZDF dominieren die Informationsangebote …,<br />

bei den Privaten die fiktionalen und nonfiktionalen<br />

Unterhaltungsangebote …“ Der Beitrag enthält zahlreiche<br />

tabellarisch dargestellte Daten zu Unterhaltungs-<br />

und Informationsangeboten bei öffentlichrechtlichen<br />

und privaten Sendern.<br />

Gerhard, Heinz: Programmanalysen im Vergleich:<br />

Anmerkungen zu Unterschieden in Methode,<br />

Aufgabenstellung und Ergebnissen. –<br />

S. 340 – 344<br />

„Die ARD/ZDF-Programmanalyse untersucht seit<br />

1985 kontinuierlich die Programmleistungen der<br />

öffentlich-rechtlichen und der kommerziellen Fernsehprogramme.<br />

Der Autor beschreibt deren methodisches<br />

Instrumentarium im Vergleich zu den beiden<br />

anderen regelmäßigen Programmanalysen in<br />

Deutschland, der AGF-Sendungscodierung und der<br />

Studie der Landesmedienanstalten …“<br />

Röper, Horst: Formationen deutscher <strong>Medien</strong>multis<br />

1998/99: Entwicklungen und Strategien<br />

der größten deutschen <strong>Medien</strong>unternehmen. –<br />

S. 345 – 378<br />

In seiner regelmäßigen Analyse der wirtschaftlichen<br />

Verflechtungen im deutschen <strong>Medien</strong>markt beschreibt<br />

der Autor die aktuellen Entwicklungen<br />

bei den Konzernen Kirch, Bertelsmann, Gruner +<br />

Jahr, Springer, Holtzbrinck, WAZ, Bauer und<br />

Burda.<br />

Kübler, Friedrich: <strong>Medien</strong>konzentrationskontrolle<br />

im Streit: Komplexe Randbedingungen<br />

und aktuelle Konflikte. – S. 379 – 385<br />

(1999) Nr 8<br />

Gerhards, Maria; Grajczyk, Andreas; Klingler,<br />

Walter: Programmangebote und Spartennutzung<br />

im Fernsehen 1998: Eine Analyse auf der<br />

Basis der GfK-Sendungscodierung. – S. 390 –<br />

400<br />

ARD/ZDF-Online-Studie 1999: Wird Online<br />

Alltagsmedium?: Nutzung von Onlinemedien<br />

in Deutschland. – S. 401 – 414<br />

„Die von der ARD/ZDF-<strong>Medien</strong>kommission in Auftrag<br />

gegebene ARD/ZDF- Online-Studie 1998 ermittelt<br />

in einer repräsentativen Erhebung die bundesdeutsche<br />

Onlinenutzung […] Neben den Basisdaten<br />

werden zudem Interdependenzen zwischen klassischen<br />

und neuen <strong>Medien</strong> herausgestellt.“<br />

Nichtnutzer von Online: Ergebnisse der<br />

ARD/ZDF-Offline-Studie 1999. – S. 415 – 422<br />

„Trotz starker Zunahme der Netzzugänge in den letzten<br />

Jahren nutzt mit 82 Prozent die weit überwiegende<br />

Mehrheit der Bevölkerung ab 14 Jahren Onlinemedien<br />

bisher nicht. Die Studie fragt unter anderem nach<br />

Einstellungen und Zugangsbarrieren dieser großen<br />

142<br />

Gruppe von Offlinern zum Internet sowie nach dem<br />

Potential Anschlußinteressierter … Die Offline-<br />

Studie zeigt nach Einschätzung der Autoren, daß das<br />

Internet vorerst nur für bestimmte Milieus und<br />

Bevölkerungsgruppen zum Alltagsmedium werden<br />

wird …“<br />

Internet – (k)eine Männerdomäne: Geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede bei der Online-Nutzung<br />

und -bewertung. – S. 423 – 429<br />

„Der Beitrag analysiert Daten der ARD/ZDF-Online-<br />

und Offline- Studie unter dem Gesichtspunkt geschlechtsspezifischer<br />

Unterschiede bei Nutzung und<br />

Bewertung des neuen Mediums Internet.“<br />

(1999) Nr 9<br />

Hofsümmer, Karl-Heinz; Horn, Imme: Werbung<br />

in Deutschland – akzeptiert und anerkannt:<br />

Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage.<br />

– S. 442 – 446<br />

Der Beitrag stellt die Ergebnisse einer repräsentativen<br />

Umfrage vor, die im Auftrag von ARD und ZDF vom<br />

Frankfurter Institut Media Markt Analysen durchgeführt<br />

wurde. Deren Ergebnisse zeigten „einen wesentlich<br />

differenzierteren und souveräneren Umgang<br />

der Bevölkerung mit der Werbung, als häufig von<br />

Werbekritikern und <strong>Medien</strong>politikern angenommen<br />

wird. So ist Werbung heute längst zum normalen Bestandteil<br />

des modernen Lebens … geworden. Diese<br />

positive Einstellung wird auch von Gruppen geteilt,<br />

denen gerne eine werbefeindliche Haltung nachgesagt<br />

wird: Politikinteressierte, höher Gebildete und Anhänger<br />

des öffentlich-rechtlichen Rundfunks …“ Zugleich<br />

sprächen sich die Zuschauer „… klar und eindeutig<br />

für die Beibehaltung der Mischfinanzierung<br />

aus: Die überwältigende Mehrheit von 86 Prozent ist<br />

nicht bereit, für einen werbefreien öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk höhere Gebühren zu zahlen.“<br />

Pätzold, Ulrich; Röper, Horst: Fernsehproduktionsvolumen<br />

in Deutschland 1998: FOR-<br />

MATT-STUDIE über Konzentration und regionale<br />

Schwerpunkte der Auftragsproduktionsbranche.<br />

– S. 447 – 468<br />

„Die Nachfrage nach einheimischen Fernsehproduktionen<br />

hat sich in Deutschland in den letzten Jahren<br />

stark erhöht. Die Konturen der Auftragsproduktionsbranche<br />

bleiben indes wegen des rasanten und grundlegenden<br />

Wandels eher im Dunkeln. Eine Studie des<br />

FORMATT-Institutes ermittelte das Auftragsvolumen<br />

der Fernsehproduktion in Deutschland nach<br />

Genres und nach Regionen für das Jahr 1998, gleichzeitig<br />

wurden horizontale und vertikale Konzentrationstendenzen<br />

herausgearbeitet.“<br />

Hallenberger, Gerhard: Eurofiction 1998: Tendenz<br />

zu einheimischen Produktionen: Angebotsstruktur<br />

und Nutzung erstausgestrahlter<br />

einheimischer Fernsehproduktionen in<br />

Deutschland. – S. 469 – 479<br />

„Deutschland liegt im europäischen Vergleich bei fiktionalen<br />

Fernsehproduktionen mit Abstand an der<br />

Spitze: Den Ergebnissen der … Studie Eurofiction zufolge<br />

wurden 1998 im deutschen Fernsehen 1945


Stunden Erstausstrahlungen von insgesamt 373 einheimischen<br />

fiktionalen Fernsehproduktionen gezeigt<br />

…“ Der Beitrag stellt die Ergebnisse der Studie<br />

vor, die u. a. die Fiction-Produktion ländervergleichend<br />

darstellt und die Fernsehproduktionen in<br />

Deutschland hinsichtlich der Eigenproduktionen der<br />

einzelnen Sender differenziert und untersucht.<br />

Neckermann, Gerhard: Kinobranche im Aufund<br />

Umbruch: Filmbesuch und Kinostruktur<br />

in Deutschland 1991 – 1998. – S. 480 – 487<br />

Der Beitrag stellt die Entwicklung der Kinobranche in<br />

Deutschland seit 1991 dar, indem sowohl Ergebnisse<br />

der Besucherforschung aufgenommen als auch Aspekte<br />

des Filmmarktes und Untersuchungen über den<br />

Kinotheater-Wettbewerb berücksichtigt werden.<br />

Friccius, Enno: Fernsehen und Filmförderung<br />

in Deutschland: Beteiligung der Fernsehsender<br />

an den Filmförderungsinstitutionen von Bund<br />

und Ländern. – S. 488 – 491<br />

Der Artikel dokumentiert die Beteiligungen öffentlich-rechtlicher<br />

und privater Fernsehsender an der<br />

Filmförderung und enthält Überlegungen zu den Abhängigkeitsbeziehungen<br />

zwischen Sendern und Filmförderung:<br />

„Ein wesentliches Interesse der Sender bei<br />

der Filmförderung liegt … im Erwerb von Verwertungsrechten,<br />

sei es direkt von Fernsehproduktionen<br />

oder indirekt von Kinofilmen. Eine Beschneidung<br />

dieser ‚Kompensationsmöglichkeiten‘ für die aufgebrachten<br />

Sendermittel, wie sie derzeit in der Branche<br />

diskutiert wird, könnte daher kontraproduktiv wirken<br />

und einen Teilrückzug der Sender aus dem bestehenden<br />

Filmförderungssystem nach sich ziehen.“<br />

Bisselik, Sonja: Französische Filmpolitik: Erfolg<br />

durch Förderung?: Maßnahmen zur Förderung<br />

von Filmproduktion, -vertrieb und -abspiel<br />

in Frankreich. – S. 492 – 499<br />

„Der französischen Filmwirtschaft kommt im europäischen<br />

Vergleich eine Führungsrolle zu: Mit<br />

durchschnittlich 140 pro Jahr produzierten Kinofilmen<br />

und einem Marktanteil einheimischer Filme von<br />

etwa 40 Prozent kann sie sich zumindest auf heimischem<br />

Terrain relativ erfolgreich gegenüber der amerikanischen<br />

Dominanz behaupten. Neben dem bekannten<br />

kulturellen Bewusstsein Frankreichs dürfte<br />

diese Sonderstellung in erster Linie der französischen<br />

Filmförderung zu verdanken sein, die starke Anreize<br />

für einheimische Filmproduktionen setzt.“ Die Autorin<br />

stellt die französische Filmförderung auf der Folie<br />

finanzwirtschaftlicher Aspekte vor.<br />

Media Psychology<br />

Jg 1 (1999) Nr 3<br />

Houston, David A.; Doan, Kelly: Can You<br />

Back That Up?: Evidence (or Lack Thereof) for<br />

the Effects of Negative and Positive Political<br />

Communication. – S. 191 – 206<br />

Zillmann, Dolf; Gibson, Ronda; Sargent, Stephanie<br />

L.: Effects of Photographs in News-Magazine<br />

Reports on Issue Perception. – S. 207 –<br />

228<br />

Zeitschriftenlese<br />

Pettijohn, Terry F.; Tesser, Abraham: Popularity<br />

in Environmental<br />

Context: Facial Feature Assessment of American<br />

Movie Actresses. – S. 229 – 247<br />

McKenna, Katelyn Y. A.; Bargh, John A.:<br />

Causes and Consequences of Social Interaction<br />

on the Internet: A Conceptual Framework. –<br />

S. 249 – 269<br />

Goldstein, Jeffrey: The Attractions of Violent<br />

Entertainment. – S. 271 – 282<br />

Media, Culture & Society<br />

Jg 21 (1999) Nr 4<br />

Beale, Alison C. M.: From „Sophie’s choice“ to<br />

consumer choice: framing gender in cultural<br />

policy. – S. 435 – 458<br />

Pandian, Hannah: Engendering communication<br />

policy: key issues in the international women-and-media<br />

arena and obstacles to forging<br />

and enforcing policy. – S. 459 – 480<br />

Reading, Anna: Scarlet lips in Belsen: culture,<br />

gender and ethnicity in the policies of the holocaust.<br />

– S. 481 – 501<br />

Sterne, Jonathan: Television under construction:<br />

American television and the problem of<br />

distribution, 1926–62. – S. 503 – 530<br />

Hong, Junhao; Sun, Jungkuang: Taiwan’s film<br />

importation from China: a political analysis of<br />

changes and implications. – S. 531 – 547<br />

Fairchild, Charles: Deterritorializing radio: deregulation<br />

and the continuing triumph of the<br />

corporatist perspective in the USA. – S. 549 –<br />

561<br />

Jg 21 (1999) Nr 5<br />

Chomsky, Daniel: The mechanisms of management<br />

control at the „New York Times“. –<br />

S. 579 – 600<br />

Battani, Marshall: Organizational fields, cultural<br />

fields and art worlds: the early effort to<br />

make photographs and make photographers in<br />

the 19th century USA. – S. 601 – 626<br />

Galperin, Hernan: Cultural industries policy<br />

in regional trade agreements: the cases of<br />

NAFTA, the European Union and MERCO-<br />

SUR. – S. 627 – 648<br />

Barnett, Clive: The limits of media democratization<br />

in South Africa: politics, privatization<br />

and regulation. – S. 649 – 672<br />

143


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Roscoe, Timothy: The construction of the<br />

world wide web audience. – S. 673 – 684<br />

Der Autor beschäftigt sich mit zwei beobachteten<br />

Entwicklungen: Einerseits die Veränderung der öffentlichen<br />

Wahrnehmung des Internet von einem Medium<br />

individueller Kommunikation zu einem Massenmedium<br />

ähnlich dem Fernsehen, andererseits die<br />

Veränderung der technischen Basis des Internets. Er<br />

diskutiert die Beziehung dieser Entwicklung und fragt<br />

nach theoretisch fassbaren Hintergründen.<br />

<strong>Medien</strong> + Erziehung<br />

Jg 43 (1999) Nr 4<br />

Schiefele, Hans: Konkurrenz für Lehrer?: Vom<br />

Programmierten Unterricht zum Computerlehrprogramm.<br />

– S. 203 – 209<br />

Der Autor beschäftigt sich mit der Entwicklung von<br />

Lerntheorien und deren Bedeutung für aktuelle computergestützte<br />

Lehr-Lernprogramme, die seines Erachtens<br />

durchaus in Konkurrenz zu Lehrern treten<br />

(können): „Theoretisch begründete, multimedial konstruierte<br />

Lernprogramme sind in manchen Bereichen<br />

auch guten Lehrern überlegen. Diese werden dadurch<br />

entlastet und für Aufgaben freigestellt, die nur von<br />

Personen wahrgenommen werden können. Schlechte<br />

Lehrer werden überflüssig, nicht nur in der Schule<br />

und wahrscheinlich dort nicht einmal in erster Linie.<br />

Das sind keine schlechten Aussichten.“ (S. 209)<br />

Reinmann-Rothmeier, Gabi; Mandl, Heinz:<br />

Lernen mit dem Internet: Nur ein neuer Slogan?:<br />

Chancen und Grenzen für das schulische<br />

Lernen. – S. 210 – 215<br />

In der letzten Zeit werden immer wieder die Vorteile<br />

des Internets für das schulische Lernen gepriesen: Es<br />

erhöhe die Zugänglichkeit von Informationen, biete<br />

ein Höchstmaß an Flexibilität, verbessere die Prozesse<br />

und Ergebnisse des Lernens, steigere die Motivation<br />

u. v. m. Die Autoren setzen sich – entgegen der derzeit<br />

herrschenden Euphorie – kritisch mit den Möglichkeiten<br />

des Internets für das Lernen auseinander. Sie<br />

konstatieren, dass vielen der vermeintlichen Vorteile<br />

des neuen Mediums eine empirische Grundlage fehlt,<br />

zeigen aber anhand des konkreten Beispiels des ,Knowledge<br />

Integration Environment“ (KIE), einem System<br />

zur Gestaltung von Lernumgebungen, wie sich<br />

die Möglichkeiten des Internets für die Schule nutzen<br />

lassen. Als notwendig erachten die Autoren die Kooperation<br />

zwischen Wissenschaft und Praxis, um die<br />

Potenziale des Internets sinnvoll ausschöpfen zu können.<br />

Schorb, Bernd: Virtuelles Lernen lernen:<br />

Schlüsse aus der Beobachtung virtueller Seminare.<br />

– S. 216 – 220<br />

Virtuelle Seminare versprechen individuelles und flexibles<br />

Lernen, das von Ort, Zeit und Personen losgelöst<br />

ist. Anhand von Beobachtungen virtueller Seminare<br />

über den Zeitraum von drei Semestern stellt<br />

der Autor fest, dass Studienangebote via Internet aufgrund<br />

des hohen Betreuungsaufwandes, zahlreicher<br />

technischer Schwächen, organisatorischen und didaktischen<br />

Defiziten sowie dem Fehlen persönlicher<br />

Kontakte keinesfalls eine Alternative, sondern allenfalls<br />

eine Ergänzung zu den konventionellen Seminaren<br />

darstellen können.<br />

144<br />

Apel, Heino: Teleteaching und Teletutoring:<br />

Erfahrungen mit Online-Seminaren. – S. 221 –<br />

225<br />

Der Autor beschreibt anhand von vier durchgeführten<br />

Online-Seminaren an den Universitäten von Marburg<br />

und Gießen das Potenzial von Telelearning für selbst<br />

gesteuerte Lernprozesse. Seine Erfahrungen zeigen,<br />

dass das Gelingen eines Online-Seminars entscheidend<br />

von den technischen Zugangsmöglichkeiten, der<br />

Präsentation des Vorhabens in einer „Präsenzphase“,<br />

der Moderatorenkompetenz und den Voraussetzungen<br />

der Teilnehmer bezüglich selbst gesteuerten Lernens<br />

beeinflusst wird.<br />

Hooffacker, Gabriele: Visualisierung ist nicht<br />

alles: Bausteine für eine teamorientierte Online-Didaktik.<br />

– S. 226 – 229<br />

„Macht der Einsatz von Online-Angeboten andere,<br />

neue Lernformen erforderlich?“ Mit u. a. dieser Frage<br />

beschäftigt sich die Autorin und zeigt, dass Visualisierungen<br />

in Online-Angeboten für den Umgang mit<br />

dem neuen Medium nicht hinreichend, sondern dass<br />

neue Lehr- und Lernformen unbedingt notwendig<br />

sind. Diesbezüglich präsentiert sie in ihrem Beitrag<br />

zehn Bausteine für eine spezielle Online-Didaktik.<br />

Dichanz, Horst: Bildungsangebote in den neuen<br />

<strong>Medien</strong>verbünden und Netzwerkstrukturen:<br />

Die Rolle von Rundfunk und Fernsehen. –<br />

S. 230 – 236<br />

Fuchs, Wolfgang J.: Event im Weltraum: Star<br />

Wars: Episode I – die dunkle Bedrohung. –<br />

S. 237 – 240<br />

Jg 43 (1999) Nr 5<br />

Oelkers, Jürgen: Eine Passage des Bildungsprozesses:<br />

ästhetisches Lernen als Selbstformung. –<br />

S. 271 – 278<br />

Kinderzeichnungen bieten einen Einblick, wie Kinder<br />

ihre Umwelt wahrnehmen und wie sie Erlebnisse verarbeiten.<br />

Ästhetisches Lernen stellt einen Prozess der<br />

Selbstformung dar, der unabhängig ist von normativen<br />

Zielen und Maßstäben. Die angeführten Kinderzeichnungen<br />

laden ein, Vorstellungen vom „generalisierten<br />

Kind“ zu revidieren und sich auf die Sichtweise<br />

von Kindern einzulassen.<br />

Krapp, Helmut: Solange die Erzählung andauert,<br />

kann kein Unglück passieren. – S. 279 – 283<br />

„Entgegen der Meinung, die medialen Innovationen<br />

machten das Erzählen obsolet, spricht vieles dafür,<br />

dass es auch in Zukunft eine gesellschafts- und gemeinschaftsbildende<br />

Funktion hat.“ (S. 279)<br />

Jung, Fernand: Hautnah dabei sein!: was wollen<br />

Doku-Soaps erzählen?. – S. 284 – 287<br />

Der Autor beschreibt unmissverständlich seine Position<br />

gegenüber diesem noch jungen Genre, das als eine<br />

Kombination aus Daily-Soap und Dokumentationsbeitrag<br />

charakterisiert werden kann: „Es sind die<br />

Quotenfänger im hart umkämpften Unterhaltungsbereich<br />

zur Prime-Time, die mit der voyeuristischen<br />

Lust des Zuschauers am Schicksal anderer spielen und


somit eine Fortsetzung der Sensations- und Katastrophenberichte<br />

in den anderen Programmsparten darstellen,<br />

in die sie sich mühelos integrieren lassen.“<br />

(S. 286) Der Erfolg dieses Genres beim Publikum habe<br />

seiner Ansicht nach für seriöse Dokumentarfilme zur<br />

Folge, dass diese noch weiter ins Abseits gedrängt und<br />

wahrscheinlich keinen Platz in den geplanten so genannten<br />

„Dokumentar-Kanälen“ finden werden.<br />

Hug, Heinz: Mündliches Erzählen bewahren:<br />

Formen der oralen Tradition in der modernen<br />

afrikanischen Literatur. – S. 288 – 291<br />

Palme, Hans-Jürgen: Geschichten der interaktiven<br />

Art: Erzählweisen von Computerspielen.<br />

– S. 292 – 294<br />

Computerspiele bieten die Möglichkeit einer neuen,<br />

interaktiven Erzählform. Die Geschichten folgen<br />

nicht mehr einer festgelegten Dramaturgie, sondern<br />

entstehen erst durch das Spielen selbst. Der Computernutzer<br />

entscheidet über den Verlauf der Geschichte<br />

und wird somit zum Entdecker einer virtuellen<br />

Welt. Anhand konkreter Beispiele veranschaulicht der<br />

Autor das Erfolgsrezept dieser Spiele: ,Nicht die Erzähldramaturgie<br />

ist entscheidend, sondern die Rahmenkonstellation,<br />

die Neugierde schafft und die abrufbare<br />

Details bereithält, deren mehr oder weniger<br />

liebevolle Aufbereitung über den Erfolg entscheidet.“<br />

(S. 294)<br />

Eibl, Thomas: Informationsaustausch statt Erzählen:<br />

die Interaktivität und ihre <strong>Kommunikations</strong>formen.<br />

– S. 295 – 298<br />

Der Beitrag befasst sich mit der Veränderungen von<br />

Informationen und der traditionellen Erzählformen<br />

durch das Internet. Da das Medium auf Informationsaustausch<br />

basiert, ist jeder sowohl Rezipient als auch<br />

aktiver Nutzer und Produzent von Informationen,<br />

wodurch das traditionelle Machtverhältnis von Erzähler<br />

und Zuhörer aufgehoben wird.<br />

<strong>Medien</strong> Praktisch<br />

Jg 23 (1999) Nr 3<br />

Klingler, Walter: Die Wissenskluft-Hypothese:<br />

Anmerkungen zum aktuellen Umgang und zur<br />

Nutzung von Informationsangeboten in den<br />

Massenmedien. – S. 4 – 7<br />

Der Artikel beschäftigt sich vor dem Hintergrund der<br />

Wissenskluft-Hypothese mit der Nutzung medialer<br />

Informationsangebote und gibt einen Ausblick auf die<br />

Zukunft. Neben allgemeinen Forschungsergebnissen<br />

zur Wissenskluft-Hypothese werden die Nutzung<br />

von Fernsehen und Online-<strong>Medien</strong> sowie das Informationsverhalten<br />

von Jugendlichen betrachtet. Die<br />

Darstellungen zeigen, dass schichtspezifische Unterschiede<br />

und Informationsungleichheiten bestehen<br />

und auch in Zukunft existieren werden bzw. eine zunehmende<br />

Spaltung der Gesellschaft in Informationsarme<br />

und -reiche zu erwarten ist (vgl. Klingler u. a.<br />

1998). „‚Wissenskluft‘ als gesellschaftliche Problemstellung<br />

bleibt damit mit Sicherheit ein Problem gesellschaftlicher<br />

Entwicklung – und eine der großen<br />

Herausforderungen für die Gestaltung zukünftiger<br />

Chancengleichheit in der Gesellschaft“ (S. 7).<br />

Zeitschriftenlese<br />

Opaschowski, Horst W.: User & Loser: Die gespaltene<br />

Informationsgesellschaft. – S. 8 – 9<br />

Nach Ansicht des Autors steht der Informationsgesellschaft<br />

eine neue Spaltung bevor und damit verbunden<br />

eine neue Zweiklassengesellschaft von <strong>Medien</strong>-<br />

Analphabeten und Angehörigen einer Wissenselite.<br />

Für den Autor scheint der Ausweg aus diesem Dilemma<br />

simpel: „Die Entwicklung neuer technischer Systeme<br />

fördern, deren Handhabung so einfach ist, dass<br />

sie jeder nutzen kann. Und: mehr in neue Lernprogramme<br />

investieren, die den kompetenten <strong>Medien</strong>nutzer<br />

zum Ziel haben“ (S. 8).<br />

Kübler, Hans-Dieter: Wie zerklüftet ist Wissen?:<br />

Aporien und Desiderate der Wissens-<br />

(kluft)debatte. – S. 10 – 17<br />

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, was gesellschaftlich<br />

als Wissen bezeichnet wird, wie es zustande<br />

kommt, welchen Anteil Bildung, Schule und die <strong>Medien</strong><br />

daran haben. Der Autor kritisiert, dass den meisten<br />

Untersuchungen zur Wissensgesellschaft bzw. zur<br />

Wissenskluftforschung entweder kein theoretisch begründeter<br />

oder lediglich ein unklarer und defizitärer<br />

Wissensbegriff zugrunde liegt.<br />

Winterhoff-Spurk, Peter: Auf dem Weg in<br />

die mediale Klassengesellschaft: Psychologische<br />

Beiträge zur Wissenskluftforschung. –<br />

S. 17 – 22<br />

Der Autor nimmt vor dem Hintergrund bisheriger<br />

Forschungsergebnisse zur Wissenskluft-Debatte und<br />

zu den Wirkungen des Bildungsfernsehen (am Beispiel<br />

der „Sesamstraße“) eine vergleichsweise entdramatisierende<br />

Position zu dem Thema ein: ,Nach allem<br />

können wir also feststellen, dass unterschiedliches<br />

Wissen in den verschiedenen Schichten unserer Gesellschaft<br />

unterschiedlich verteilt ist und dass unterschiedliche<br />

Nutzungsstrategien der Massenmedien in<br />

den sozialen Klassen diese Unterschiede im allgemein<br />

eher verstärken als verringern. Ferner lässt sich konstatieren,<br />

dass zwar mit Hilfe von eigens produzierten<br />

Bildungssendungen durchaus Wissenszuwächse bei<br />

Zuschauern im Kindes- und Jugendalter erzielbar<br />

sind. Allerdings tragen Sendungen dieser Art im Allgemeinen<br />

nur wenig zum Abbau von Wissensunterschieden<br />

in der Gesamtbevölkerung bei, da die Mittelund<br />

Oberschicht von diesen Sendungen vergleichsweise<br />

stärker profitiert als die Unterschicht. Allerdings<br />

findet sich auch, dass gründlich konzipierte und<br />

systematisch evaluierte Curricula zur technik-, selbstund<br />

sozialbezogenen <strong>Medien</strong>nutzung deutlich zur<br />

Entwicklung von <strong>Medien</strong>kompetenz – und damit zum<br />

Abbau von Wissensunterschieden – beitragen können.<br />

Wir bilanzieren also: Die Wissenskluft oder -differenz<br />

existiert zwar, sie ist aber kein unabwendbares<br />

Schicksal der sozial- und bildungsmäßig unterprivilegierten<br />

Schichten.“ (S. 21)<br />

Hipfl, Brigitte: <strong>Medien</strong>pädagogik der Anderen:<br />

Ein Plädoyer für Cyborgs. S. 23 – 28<br />

Unter den Bedingungen einer postmodernen Gesellschaft<br />

wird die Identitätsentwicklung zu einem Balanceakt<br />

zwischen Chancen und Gefahren. Die Autorin<br />

beschäftigt sich mit der Frage: Wie muss unter diesen<br />

Bedingungen eine Pädagogik beschaffen sein, die<br />

Heranwachsende mit Kompetenzen ausstattet? Sie<br />

stellt psycholanalytische Konzepte zur Bedeutung des<br />

145


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Anderen für die Identitätsentwicklung dar und illustriert<br />

,den respektvoellen Umgang mit Differenz“ (S.<br />

23) anhand des Sciencefiktionfilmes „Enemy Mine –<br />

Geliebter Feind“. Abschließend zeigt sie mögliche<br />

Ansatzpunkte für einen Umgang mit ,dem Anderen“<br />

im schulischen Kontext auf, z. B. dass <strong>Medien</strong> zur<br />

Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, aber<br />

auch als Ausdrucksmittel genutzt werden.<br />

Temborius, Stephanie: Lesen im Cyberspace:<br />

Bildungs- und schichtspezifische Einflüsse auf<br />

die <strong>Medien</strong>nutzung. – S. 28 – 30<br />

Der Artikel dreht sich nicht – wie aufgrund des Titels<br />

zu erwarten wäre – um die Rezeption netzbasierter<br />

Texte. Vielmehr handelt es sich vor dem Hintergrund<br />

sich vergrößernder Wissensklüfte um ein Plädoyer für<br />

eine allgemeine Leseförderung, um auch benachteiligten<br />

Kindern und Jugendlichen eine kompetente Nutzung<br />

elektronischer <strong>Medien</strong> zu ermöglichen. Dieser<br />

kann Ansicht der Autorin nach jedoch nur fruchtbar<br />

sein, wenn Kinderliteratur stärker als bisher die Veränderungen<br />

von Kindheit und damit verbunden auch<br />

die Bedeutung alter und neuer <strong>Medien</strong> im Alltag von<br />

Kindern berücksichtigt und reflektiert: „Für die Leseförderung<br />

bieten sich gerade jene Bücher an, die Spannung<br />

und Unterhaltung mit Möglichkeiten zur Reflexion<br />

über Computerspiele, Chancen und Gefahren<br />

von Cyberspace und die eigene Nutzung verbinden,<br />

ohne zu moralisieren oder von vornherein zu verurteilen.“<br />

(S. 30)<br />

Eble, Karin: Radioarbeit: mit Kindern und Jugendlichen<br />

mit geringen Bildungsvoraussetzungen.<br />

– S. 31 – 33<br />

Die Autorin beschreibt den Ansatz lebensweltorientierter<br />

Radioarbeit und die damit verbundenen Chancen<br />

für Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen<br />

anhand konkreter Projekte, die vom Jugendhilfswerk<br />

in Freiburg durchgeführt wurden. „<strong>Medien</strong><br />

dienen so als Mittel der Identitätsfindung und Selbstauseinandersetzung.<br />

Kinder und Jugendliche lernen,<br />

das Medium Hörfunk bewußt zu nutzen, und erwerben<br />

Fähigkeiten, es aktiv und kompetent zu handhaben,<br />

und bringen auf diesem Wege ihre Belange an die<br />

Öffentlichkeit. […] Wie die bisherigen Erfahrungen<br />

zeigen, wird dabei in einem Lernprozeß am Medium<br />

die Funktionsweise einzelner <strong>Medien</strong> und des <strong>Medien</strong>systems<br />

als Ganzem gelernt“ (S. 32).<br />

Mikos, Lothar: Erlebnisse im intertextuellen<br />

Universum der Populärkultur: Strukturfunktionale<br />

Film- und Fernsehanalyse. – S. 44 – 48<br />

Techentin-Bauer, Imme: Mann, Macht, Mythos:<br />

Die Darstellung von US-Präsidenten in<br />

amerikanischen Kinofilmen der 90er Jahre. –<br />

S. 49 – 54<br />

Gehrke, Barbara: Musen und Cybernauten:<br />

Auf dem Weg zum interdisziplinären Museum<br />

von morgen. – S. 55 – 58<br />

Schroll-Decker, Irmgard; Peicher, Inga: Zur<br />

Qualität von Hörspielkassetten für Kinder. –<br />

S. 58 – 62<br />

146<br />

<strong>Medien</strong>psychologie<br />

Jg 11 (1999) Nr 3<br />

Burst, Michael: Zuschauerpersönlichkeit als<br />

Voraussetzung für Fernsehmotive und Programmpräferenzen.<br />

– S. 157–181<br />

Bommert, Hanko: Sensation seeking: ein medienpsychologischer<br />

Grundpfeiler?: Kommentar<br />

zu Michael Burst. – S. 182 – 185<br />

Berth, Hendrik; Romppel, Matthias: Darstellung<br />

und Erleben der Wende in Massenmedien:<br />

inhaltsanalytische Untersuchungen am Wendekorpus<br />

– zehn Jahre danach. – S. 185 – 199<br />

Trepte, Sabine: Forschungsstand der <strong>Medien</strong>psychologie.<br />

– S. 200 – 218<br />

Message<br />

Jg 1 (1999) Nr 1<br />

Kunczik, Michael: Wie man Feindbilder aufbaut.<br />

– S. 12 – 18<br />

Varchaver, Nicholas: CNN takes over the<br />

world. – S. 52 – 59<br />

Geffken, Michael: Pizza per Fernbedienung. –<br />

S. 68 – 71<br />

Jg 1 (1999) Nr 2<br />

Leyendecker, Hans: Auf Kuscheltour mit der<br />

Macht. – S. 10 – 12<br />

Esser, Frank: Gehemmter Investigativgeist. –<br />

S. 26 – 31<br />

Reinemann, Carsten: Nicht mal Zeit zum Niesen.<br />

– S. 66 – 71<br />

Multimedia und Recht<br />

Jg 2 (1999) Nr 7<br />

Wieland, Joachim; Enderle, Bettina: Rechtsprobleme<br />

der Netzzusammenschaltung: Zum<br />

Spannungsverhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht<br />

und Verfassungsrecht. – S. 379 – 384<br />

Mit der nunmehr von der Reg TP veröffentlichten Anhörung<br />

und Stellungnahme über die regulatorische<br />

Behandlung von Verbindungsnetzen und öffentlichen<br />

TK-Netzen im Hinblick auf die Netzzusammenschaltungsvorschriften<br />

des TKG ist die Diskussion über<br />

Netzzusammenschaltung zu einem vorläufigen Abschluss<br />

gekommen. Nahezu gänzlich unbeachtet blieb<br />

in ihr die vorgelagerte Frage, ob die europarechtlichen<br />

Vorgaben für das deutsche TKG überhaupt eine Differenzierung<br />

nach Betreibern öffentlicher TK-Netze<br />

und den übrigen Diensteanbietern nicht nur hinsichtlich<br />

des Anspruchs auf Netzzusammenschaltung,<br />

sondern auch für das Anordnungsverfahren vor der<br />

Reg TP zulassen. Der Beitrag untersucht diese Frage<br />

am Beispiel der ersten durch die Reg TP getroffenen


Zusammenschaltungsanordnung und stellt ihre Konsequenzen<br />

sowie deren Vereinbarkeit mit dem deutschen<br />

Verfassungsrecht dar.<br />

Weber, Martin: Internet-Emissionen. – S. 385 –<br />

390<br />

Virtuelle Börsengänge erobern seit Mitte der neunziger<br />

Jahre weltweit immer größere Teile des Emissionsgeschäfts.<br />

Stehen zurzeit noch kleinere Wachstumsfirmen<br />

im Vordergrund, die sich auf diesem<br />

Wege, als Alternative zu Venture Capital Firmen, eigenfinanzieren,<br />

könnten es in Zukunft, aufgrund der<br />

erheblichen Kostenvorteile, auch immer mehr größere<br />

Unternehmen sein, die zu virtuellen Geldsammlungen<br />

aufbrechen. Mittlerweile jedenfalls haben diese<br />

Entwicklung auch in Deutschland die großen Kreditinstitute<br />

aufmerksam registriert und beginnen,<br />

nach dem Vorbild großer US-Investmenthäuser zu<br />

agieren. Der Beitrag zeigt die Hintergründe dieser<br />

Entwicklung auf, stellt beispielhaft die Abwicklung<br />

der Transaktion aus Sicht eines „Net-Investors“ dar<br />

und beleuchtet zentrale kollisions- und kapitalmarktrechtliche<br />

Aspekte des virtuellen Emissions-Geschäfts.<br />

Dressel, Christian: Strafbarkeit von Piraterie-<br />

Angriffen gegen Zugangsberechtigungssysteme<br />

von Pay-TV-Anbietern. – S. 390 – 395<br />

Piraterie-Angriffe auf verschlüsselte Dienste, insbesondere<br />

Pay-TV-Angebote, verursachen – so der Autor<br />

– weltweit mittlerweile Schäden in erheblichem<br />

Ausmaß. Darauf hat die EU neben anderen Initiativen<br />

mit der sog. Conditional Access-Richtlinie reagiert,<br />

um den Schutz der Anbieter zu verbessern. Allerdings<br />

fehlt der EU die Zuständigkeit auf dem Gebiet des<br />

Strafrechts. Daher stellt sich die Frage, inwieweit das<br />

deutsche Strafrecht Möglichkeiten zur Ahndung derartiger<br />

Piraterie-Akte bietet. Der Verfasser geht dieser<br />

Frage nach und kommt zu dem Ergebnis, dass das materielle<br />

Strafrecht zwar Instrumente zur Bekämpfung<br />

dieser Delikte zur Verfügung stellt, jedoch im Sinne<br />

der verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsnormenklarheit<br />

und -bestimmtheit ein Tätigwerden des nationalen<br />

Gesetzgebers geboten ist.<br />

Kamlah, Wulf: Das SCHUFA-Verfahren und<br />

seine datenschutzrechtliche Zulässigkeit. –<br />

S. 395 – 404<br />

Der Beitrag nimmt Bezug auf einen in MMR 1998<br />

(S. 650 ff.) erschienenen Beitrag von Kloepfer/<br />

Kutzschbach, in dem diese sich mit der Funktion und<br />

Bedeutung der SCHUFA sowie der datenschutzrechtlichen<br />

Bewertung des SCHUFA-Verfahrens<br />

auseinander setzen. Kamlah zufolge gehen die Verfasser<br />

jedoch von fehlerhaften Annahmen aus, die ihrerseits<br />

wiederum auf teilweise veralteten Informationen<br />

beruhen. Die aufgrund der Annahmen vom<br />

SCHUFA-Verfahren gezogenen Schlussfolgerungen<br />

seien geeignet, nicht nur von der SCHUFA einen<br />

falschen Eindruck zu erwecken. Mittelbar betroffen<br />

seien auch die das SCHUFA-Verfahren tragende kreditgebende<br />

deutsche Wirtschaft sowie die für den Datenschutz<br />

zuständigen Aufsichtsbehörden, welche mit<br />

der SCHUFA in einem ständigen Dialog stehen, um<br />

die datenschutzrechtliche Zulässigkeit des SCHUFA-<br />

Verfahrens sicherzustellen.<br />

Zeitschriftenlese<br />

Ladeur, Karl-Heinz: Terrestrische Übertragungsformen<br />

für digitalen Fernseh- und Hörfunk<br />

(DVB-T und DAB-T). – S. 404 – 409<br />

Die Einführung terrestrischer Übertragungsformen<br />

für digitalen Hörfunk stellt die Regulierung vor erhebliche<br />

Probleme. In einem ersten Beitrag (MMR<br />

1999, 266 ff.) hat der Autor die Rechtsfragen der Projektgestaltung<br />

erörtert. In diesem zweiten Beitrag<br />

werden die Probleme der Konvergenz von Rundfunk<br />

und Telekommunikation am Beispiel der neuen<br />

Dienstleistung des Bitratenmanagements dargestellt,<br />

die aufgrund der neuen Form der Zuweisung von<br />

„Frequenzblöcken“ erforderlich wird. Diese können<br />

für eine Vielzahl von Übertragungen genutzt werden<br />

und treten an die Stelle der Zuordnung fester Frequenzen<br />

für festgelegte Zwecke. Im Gegensatz zum<br />

englischen Recht ist diese Funktion in Deutschland<br />

nicht besonders geregelt worden. Angesichts der mit<br />

der Konvergenz einhergehenden Interessenkonflikte<br />

ist dies umso problematischer, als das deutsche Recht<br />

(außerhalb des raumbezogenen Planungsrechts) nicht<br />

über administrative Traditionen in der Regulierung<br />

komplexer Technologien verfügt. Dies soll ein Vergleich<br />

mit dem angloamerikanischen Recht belegen.<br />

Jg 2 (1999) Nr 8<br />

Telecommunication Laws in Europe – Towards<br />

a Fully Liberalised Environment. –<br />

S. 1 – 40<br />

Diese MMR-BEILAGE enthält acht Artikel zum Telekommunikationsrecht<br />

in Europa; sieben von ihnen<br />

beobachten die Entwicklung des Telekommunikationsrechts<br />

in Großbritannien, Belgien, Frankreich, Italien,<br />

den Niederlanden, Schweden und Spanien.<br />

Paulus, Christoph G.: Multimedia: Herausforderung<br />

an das Wirtschaftsrecht. – S. 443 – 447<br />

In dem Beitrag werden die Auswirkungen der zunehmenden<br />

Verbreitung der Computertechnologie und<br />

des Internets auf verschiedene Rechtsbereiche wie<br />

Vertrags-, Arbeits- und Urheberrecht angesprochen.<br />

Außerdem wird die Vergabe von Domain Names und<br />

die Herausforderungen des E-Commerce beleuchtet.<br />

Metz, Frank: Rechtsberatungs-Hotlines. –<br />

S. 447 – 452<br />

In dem Beitrag wird die Zulässigkeit von Rechtsberatungs-Hotlines<br />

unter dem Gesichtspunkt des anwaltlichen<br />

Berufsrecht (Rechtsberatungsgesetz, Gebührenrecht)<br />

untersucht. Der Autor hält die gegenwärtige<br />

Praxis auf diesem Gebiet für rechtswidrig.<br />

Kleinwächter, Wolfgang: ICANN als United<br />

Nations der Informationsgesellschaft?: Der<br />

lange Weg zur Selbstregulierung des Internet. –<br />

S. 452 – 459<br />

„Im Oktober 1998 wurde die ‚Internet Corporation<br />

for the Assigned Numbers and Names‘ (ICANN) unter<br />

kalifornischem Recht gegründet. Die ICANN repräsentiert<br />

die globale Internet-Gemeinschaft und hat<br />

vorrangig die Aufgabe, die technischen Protokolle des<br />

Internet zu koordinieren und die Verwaltung der Internet-Adressen<br />

und -Namen zu überwachen. Der<br />

Artikel beschreibt das Internet Domain Name System<br />

sowie die verschiedenen Anstrengungen, eine interna-<br />

147


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

tionale Regelung dafür zu finden. Nachdem ein anfänglicher<br />

Versuch unter der Ägide der ITU gescheitert<br />

war, entwickelte sich die ICANN auf der Basis<br />

des von US-Präsident Clinton veröffentlichten Strategiepapiers<br />

zum globalen elektronischen Geschäftsverkehr.<br />

Unklar ist noch die zukünftige Rolle der<br />

ICANN im internationalen System: Während die einen<br />

der ICANN eine ausschließlich technische Rolle<br />

zuordnen, sehen andere in der ICANN eine Art ,United<br />

Nations‘ des Informationszeitalters.“<br />

Knieps, Günter: „Review 1999“ der EU-Kommission:<br />

IC-Regulierungsreform aus netzökonomischer<br />

Sicht. – S. 460 – 464<br />

„Im Rahmen des ,Review 1999‘ gilt es, die Interconnection-Regulierung<br />

(IC-Regulierung) der nächsten<br />

Jahre auf den tatsächlichen Restregulierungsbedarf<br />

zurückzuführen. Die Access Notice stellt mit der Essential-Facilities<br />

Doktrin ein geeignetes wettbewerbspolitisches<br />

Konzept bereit, das mit Hilfe des disaggregierten<br />

Regulierungsansatzes für die praktische<br />

Umsetzung präzisiert und konkretisiert werden kann.<br />

Die IC-Regulierung muss auf solche Zusammenschaltungsprobleme<br />

beschränkt werden, bei denen zumindest<br />

auf einer Seite netzspezifische Marktmacht<br />

(monopolistischer Bottleneck) vorhanden ist. Beim<br />

derzeitigen Stand der Technik gilt dies lediglich noch<br />

für die Teilnehmeranschlussnetze (Local Loops). Aber<br />

auch in diesem Bereich muss Überregulierung (Entbündelungsgebot,<br />

Verpflichtung zur Bereitstellung<br />

von Bitstream-Access) vermieden werden.“<br />

Noll, Alfons E.: The International Telecommunication<br />

Union (ITU): Its Conception, Evolution<br />

and Innate, Constant Reform Process. –<br />

S. 465 – 469<br />

„Die Internationale Fernmeldeunion (ITU), die mit<br />

ihrer Gründung im Jahre 1865 die älteste der heutigen<br />

Sonderorganisationen der Vereinten Nationen (UN)<br />

ist, ist auch nach fast 135 Jahren weiterhin aktuell in<br />

ihrer Themenstellung. Es soll verdeutlicht werden,<br />

wie eine, am Anfang gewiss kleine und auf Europa beschränkte,<br />

internationale Organisation sich über ein<br />

Jahrhundert und einige Jahrzehnte hinweg behauptet<br />

und weiterentwickelt hat und – auf Grund und gerade<br />

dank der ständig neuen und sich jagenden und unablässig<br />

überstürzenden, technologischen Herausforderungen,<br />

mit denen sie sich konfrontiert sah und die es<br />

für sie und durch sie allein zu meistern galt, – zu einer<br />

universalen, heute 188 Mitgliedstaaten umfassenden<br />

Weltorganisation geworden ist. Ferner soll aufgezeigt<br />

werden, dass es der technische und damit ständig weiterstrebende<br />

Charakter der ITU ist, der ihr immer<br />

wieder Anstoß, Auftrieb, Motivation und Elan gegeben<br />

hat, vital zu bleiben und den Anforderungen der<br />

immer schnelllebigeren und heute bereits stark weltraumorientierten<br />

Zeit und Gegebenheiten nicht nur<br />

gerecht zu werden, sondern sie sogar zu erfüllen und<br />

im Rahmen des technisch-rechtlich-politisch Möglichen<br />

zu befriedigen.“ Der Artikel enthält u. a. eine<br />

Übersicht der Struktur der ITU.<br />

Jg 2 (1999) Nr 9<br />

Müller, Ulf; Schuster, Fabian: 18 Monate Regulierungsbehörde:<br />

eine kritische Bestandsaufnahme.<br />

– S. 507 – 515<br />

148<br />

„Der Regulierungsbehörde für Telekommunikation<br />

und Post (Reg TP) kommt auf dem Spielfeld der Liberalisierung<br />

des TK-Marktes die Rolle des Schiedsrichters<br />

zu. Sie muss zwischen […] der Deutschen Telekom<br />

AG (DTAG) und […] den Wettbewerbern […]<br />

vermitteln und entscheiden.“ In dem Beitrag wird die<br />

Auffassung vertreten, dass „es zahlreiche Entscheidungen<br />

der Reg TP gibt, die mit dem TKG nicht in<br />

Einklang zu bringen sind.“ Nach der Darstellung der<br />

Geschichte, des Aufbaus und der Aufgaben der<br />

Behörde werden einige Entscheidungen der Einzelkritik<br />

unterzogen. Es wird u. a. auf die Missbrauchsaufsicht<br />

und die Entgeltregulierung eingegangen.<br />

Tettenborn, Alexander: Die Evaluierung des<br />

IuKDG: Erfahrungen, Erkenntnisse und<br />

Schlußfolgerungen. – S. 516 – 521<br />

„Die Bundesregierung hat im Juni 1999 auf Wunsch<br />

des Deutschen Bundestages den Bericht zur Evaluierung<br />

des Informations- und <strong>Kommunikations</strong>dienste-Gesetzes<br />

(IuKDG) vorgelegt. Der Bericht behandelt<br />

die ganze Spannbreite der Erfahrungen mit<br />

dem Gesetz. In diesem Artikel werden einige ausgewählte<br />

Themen erörtert, die im Zentrum der Diskussion<br />

standen bzw. für die Fortentwicklung des <strong>Medien</strong>ordnungsrahmens<br />

in Deutschland von besonderer<br />

Bedeutung sind. Dies betrifft Abgrenzungsfragen<br />

zu den Schnittstellen Telekommunikation, Tele-/<strong>Medien</strong>dienste<br />

und Rundfunk sowie den Datenschutz<br />

und die Regelungen der digitalen Signaturen.“<br />

Engels, Stefan; Schuster, Fabian: Haftung für<br />

„werbende Links“ in online-Angeboten. –<br />

S. 522 – 524<br />

„Die rasante Entwicklung des World-Wide-Web<br />

(www) ist nicht zuletzt dadurch beschleunigt worden,<br />

dass die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage Online-<br />

Ableger ihrer Printobjekte gegründet haben und weiter<br />

gründen. Standen dabei zunächst in erster Linie Innovation<br />

und Image im Vordergrund, so spielen nach<br />

und nach auch handfeste wirtschaftliche Interessen<br />

eine Rolle. So gehören die Online-Ableger der Printobjekte<br />

zu den meistbesuchten Seiten im www. Diese<br />

hohen Nutzerzahlen machen diese Online-Angebote<br />

auch und immer mehr für die Werbewirtschaft attraktiv,<br />

die durch die Schaltung von Online-Anzeigen für<br />

eine Finanzierung der Online-Ableger der Verlage<br />

sorgt. Damit stellt sich für die Verlage allerdings die<br />

wichtigste Frage, ob und inwieweit sie (oder besser:<br />

ihr Online-Angebot) für die Online-Anzeigen und<br />

deren Inhalt zur Verantwortung gezogen werden<br />

können. Denn neben den traditionellen Regeln der<br />

Haftung für Anzeigen im Pressebereich greifen nun<br />

spezielle Regelungen nach dem Teledienste-Gesetz<br />

des Bundes (TDG) oder dem <strong>Medien</strong>dienstestaatsvertrag<br />

der Länder (MDStV).“ In dem Beitrag wird der<br />

Frage nachgegangen, ob und wie diese beiden Haftungsansätze<br />

harmonisiert werden können.<br />

Vassilaki, Irini E.: <strong>Kommunikations</strong>rechtliche,<br />

computer- und internetspezifische Entscheidungen<br />

der Strafgerichte: Einfluss der Informations-<br />

und Telekommunikationstechnik auf<br />

die Strafrechtsfortbildung im Jahre 1998. –<br />

S. 525 – 532


Jg 2 (1999) Nr 10<br />

Schneider, Gerhard: Die Wirksamkeit der<br />

Sperrung von Internet-Zugriffen. S. 571 – 577<br />

„Über das Internet sind weltweit Millionen von Rechnern<br />

verbunden. Zahlreiche Rechner bieten dabei<br />

auch Server-Dienste an und gestatten insbesondere<br />

den Abruf von Informationen. Da es sich beim Internet<br />

um ein weltweites <strong>Kommunikations</strong>netz handelt,<br />

ist auch von deutschen Rechnern über Internet ein Zugriff<br />

auf [ausländische] Server möglich.“ Daraus ergibt<br />

sich die Frage, „inwieweit es technisch machbar und<br />

zumutbar ist, den Zugang zu strafrechtlich möglicherweise<br />

relevanten Informationen über das Internet zu<br />

unterbinden. Da die dabei vorgeschlagenen Eingriffe<br />

in die technische Funktionsfähigkeit des Internet auch<br />

von anderer Seite aufgegriffen werden könnten, ist es<br />

notwendig, sie unter Berücksichtigung der Internet-<br />

Technologie näher zu analysieren.“ Der Autor bezweifelt<br />

die Wirksamkeit von Filtermethoden.<br />

Gravesen, Gavan G.; Dumortier, Jos; van<br />

Eecke, Patrick: Die europäische Signaturrichtlinie<br />

– Regulative Funktion und Bedeutung der<br />

Rechtswirkung. – S. 577 – 585<br />

„Die Rahmenrichtlinie für elektronische Signaturen<br />

vom 22.4.1999 (RLeS) weist eine Gleichstellung mit<br />

der konventionellen Unterschrift für elektronische<br />

Authentifizierungsverfahren an. Hierbei vermittelt sie<br />

zwischen divergenten Rechtstraditionen und vertritt<br />

einen gemeinsamen Standpunkt mit der Kommission,<br />

die in einer generellen und gemeinschaftsweiten<br />

Rechtsgültigkeit ein unverzichtbares politisches Signal<br />

sieht. Der Beitrag beschreibt, welche Ausichten die<br />

Gleichstellung gegenüber einzelstaatlichen Bedenken<br />

faktisch hat, inwieweit diese Bedenken sich in der<br />

RLeS durchsetzen, und in welcher Form die deutschen<br />

Erfahrungen Bestandteil der politisch-regulativen<br />

Grundlage wurden. Untrennbar hiervon ist das<br />

strittige Verständnis rechtlich relevanter Kommunikation<br />

und die Klassifizierung elektronischer Authentifizierungsverfahren<br />

als Signatur. Dieser Beitrag untersucht<br />

diese Fragen im Hinblick auf den regulativen<br />

Ansatz zur Rechtswirkung, das technikoffene Konzept,<br />

Einsatzmöglichkeiten der elektronischen Signaturen<br />

und der technischen Normung, in deren Rahmen<br />

alternative Lösungsmodelle zur Rechtsgültigkeit<br />

durch Gleichstellung angedeutet werden.“<br />

Hahn, Bernhard: AGB in TK-Dienstleistungsverträgen:<br />

Fälligkeits-, DV-, Haftungs-, Kündigungs-,<br />

Sperr- und Einwendungsausschlußklauseln.<br />

– S. 586 – 592<br />

„Als Realvertragstyp und Massenvertrag sind Verträge<br />

über Telekommunikations(TK)-Dienstleistungen<br />

ohne die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />

(AGB) nicht denkbar. Die expandierende<br />

TK-Branche betritt mit ihren vielgestaltigen Verträgen<br />

teilweise juristisches Neuland, was erklärt, warum<br />

die gerichtliche Überprüfung von Formularverträgen<br />

im Wege von Inzidentkontrollen und im Rahmen von<br />

Verbandsklageverfahren erst am Anfang steht. Die Inhaltskontrolle<br />

der Verträge erfolgt im Schwerpunkt<br />

nach dem AGB-Gesetz, sie hat freilich die sich aus<br />

dem tk-rechtsspezifischen Regelungsumfeld ergebenden<br />

besonderen Wertungsgesichtspunkte mit zu<br />

berücksichtigen. Im Anschluss an den Beitrag in<br />

Zeitschriftenlese<br />

MMR 1999, 251 ff. werden […] Fälligkeits-, Lastschrift-,<br />

Vorfälligkeits-, Datenverarbeitungs-, Haftungs-,<br />

Kündigungs- und Sperrklauseln sowie Einwendungsausschlussklauseln<br />

AGB- und tk-rechtlich<br />

beleuchtet.“<br />

Huber, Andrea; von Mayerhofen, Martina:<br />

„Review 1999“ der EU-Kommission: Beibehaltung<br />

des status quo oder echte Reform des<br />

europäischen Regelwerks für den TK-Sektor. –<br />

S. 593 – 596<br />

„Der ‚Review 1999‘, die Überprüfung der Telekommunikations(TK)-Regulierung<br />

auf EU-Ebene und<br />

deren Anpassung an die bisherige und zukünftige<br />

technologische und wettbewerbliche Entwicklung,<br />

soll den europäischen TK-Markt für die kommende<br />

Dekade mitgestalten. Er stellt damit einen Meilenstein<br />

für die weitere Entwicklung eines wesentlichen<br />

Wachstumsmarktes dar. Der […] Beitrag gibt einen<br />

Überblick über den Stand der Diskussion und stellt<br />

die grundsätzlichen Anforderungen dar, denen der<br />

‚Review 1999‘ gerecht werden muss, wenn er zu einer<br />

echten Reform des europäischen Regelwerks führen<br />

soll.“<br />

Noll, Alfons E.: „Telecom“-Developments:<br />

Selected Aspects Relating to the International<br />

Telecommunications Law. – S. 597 – 602<br />

„Im Anschluss an ‚The International Telecommunication<br />

Union (ITU)‘, MMR 1999, 465 ff. behandelt der<br />

[…] Beitrag vornehmlich fernmeldetechnische Entwicklungen,<br />

die unter dem allgemeinen Begriff ‚telecom-developments‘<br />

zusammengefasst wurden. Sie alle<br />

stehen in direktem oder indirektem Zusammenhang<br />

mit dem internationalen Fernmelderecht, gleichgültig<br />

ob sie im Rahmen der ITU oder unter ihren Auspizien<br />

entstanden sind oder nicht. Die diesbezügliche<br />

Auswahl erfolgte aus der subjektiven, eher juristischen<br />

Sicht des Autors und impliziert daher keineswegs<br />

ein Werturteil über andere ‚telecom‘-Entwicklungen,<br />

über die hier nicht berichtet wird. Im letzten<br />

Kapitel dieses Beitrages wagt der Autor schließlich<br />

eine vorsichtige Prognose der Aussichten des Fernmeldewesens<br />

und seines Rechts sowie ihrer Bedeutung<br />

für die ‚juristische Zunft‘ im 21. Jahrhundert. Die<br />

für das Internationale Fernmeldewesen wichtigen,<br />

jüngsten Ergebnisse der letzten ITU Regierungsbevollmächtigten-Konferenz<br />

dieses Jahrhunderts, die im<br />

Oktober/November 1998 in Minneapolis/Minnesota<br />

(USA) stattfand, werden gesondert dargestellt.“<br />

new media & society<br />

Jg 1 (1999) Nr 2<br />

Mansell, Robin: New media competition and<br />

access. – S. 155 – 182<br />

Der Autor setzt sich mit einem der Mythen im Zusammenhang<br />

mit den neuen <strong>Medien</strong> auseinander,<br />

nämlich mit der Annahme, dass das Internet mit zunehmender<br />

Verbreitung für alle gleichermaßen zugänglich<br />

und quasi von allein konsumentenfreundlich<br />

wird. Er argumentiert, dass auch die neuen <strong>Medien</strong>umgebungen<br />

nicht immun gegen Monopolisierungstendenzen<br />

sind und dass sich Konsumentenfreundlichkeit<br />

nicht von allein nur durch den Wettbewerb<br />

herstellt.<br />

149


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Cuilenburg, Jan van: On competition, access<br />

and diversity in media, old and new. – S. 183 –<br />

207<br />

Zugangsmöglichkeit und Vielfalt werden als zentrale<br />

Konzepte von <strong>Kommunikations</strong>politik entwickelt<br />

und in ihrem Zusammenhang diskutiert; der Autor<br />

entwickelt daraus Hypothesen und Überlegungen zur<br />

Weiterentwicklung von <strong>Kommunikations</strong>politik<br />

Leung, Louis; Wei, Ran: Who are the mobile<br />

phone have-nots. – S. 209 – 226<br />

Eine innovationstheoretisch angelegte Untersuchung<br />

in Hongkong ergibt, dass es eher ältere, ärmere und<br />

weibliche Menschen sind, die kein mobiles Telefon<br />

(stattdessen eher einen Pager) haben. Die polarisierende<br />

ökonomische Entwicklung lässt erwarten, dass die<br />

Unterschiede zwischen Besitzern und Nichtbesitzern<br />

von mobilen Telefonen stärker werden.<br />

Dwyer, Tim; Stockbridge, Sally: Putting violence<br />

to work in new media policies: Trends in<br />

Australian Internet, computer game and video<br />

regulation. – S. 227 – 249<br />

Political Communication<br />

Jg 16 (1999) Nr 3<br />

Blumler, Jay G.; Kavanagh, Dennis: The Third<br />

Age of Political Communication: influences<br />

and features. – S. 209 – 230<br />

Das Schwerpunktheft nimmt die Ergebnisse eines<br />

Symposions auf, das der Frage nach einer neuen, dritten<br />

Epoche der politischen <strong>Kommunikations</strong>forschung<br />

gewidmet war. Ausgangsthese war die Vermutung,<br />

dass die heutigen sozialen, technischen und<br />

ökonomischen Veränderungen die alte politische<br />

Ordnung und den Beitrag der <strong>Medien</strong> und der Kommunikation<br />

dazu radikal beeinflussen.<br />

Mancini, Paolo: New frontiers in political professionalism.<br />

– S. 231 – 246<br />

Mazzoleni, Gianpietro; Schulz, Winfried: „Mediatization“<br />

of politics: a challenge for democracy?.<br />

– S. 247 – 262<br />

Schlesinger, Philip: Changing spaces of political<br />

communication: the case of the European<br />

Union. – S. 263 – 280<br />

Gurevitch, Michael: Whither the future?: some<br />

afterthoughts. – S. 281 – 284<br />

Sapiro, Virginia; Soss, Joe: Spectacular politics,<br />

dramatics interpretations: multiple meanings in<br />

the Thomas-Hill-Hearings. – S. 285 – 314<br />

McLeod, Jack M.; Scheufele, Dietram A.; Moy,<br />

Patricia: Community, communication, and<br />

participation: the role of mass media and interpersonal<br />

discussion in local political participation.<br />

– S. 315 – 336<br />

Babad, Elisha: Preferential treatment in television<br />

interviewing: evidence from nonverbal behavior.<br />

– S. 337 – 358<br />

150<br />

Public Opinion Quarterly<br />

Jg 63 (1999) Nr 2<br />

Erikson, Robert S.; Wlezien, Christopher:<br />

Presidential polls as a time series: the case of<br />

1996. – S. 163 – 177<br />

Green, Donald P.; Gerber, Alan S.; Boef,<br />

Suzanna L. de: Tracking opinion over time: a<br />

method for reducing sampling error. – S. 178 –<br />

192<br />

Chen, Jie: Comparing mass and elite subjective<br />

orientations in urban China. – S. 193 – 219<br />

Martin, Elizabeth: Who knows who lives here?:<br />

within-household disagreements as a source of<br />

survey coverage error. – S. 220 – 236<br />

Burden, Barry C.; Mughan, Anthony: Public<br />

opinion and Hillary Rodham Clinton. –<br />

S. 237 – 250<br />

Singer, Eleanor; Groves, Robert M.; Corning,<br />

Amy D.: Differential incentives: beliefs about<br />

practices, perceptions of equity, and effects on<br />

survey participation. – S. 251 – 260<br />

Publizistik<br />

Jg 44 (1999) Nr 3<br />

Schönhagen, Philomen: Der Journalist als unbeteiligter<br />

Beobachter. – S. 271 – 287<br />

„Auf der Basis gesellschaftstheoretischer Überlegungen<br />

– ausgehend vom Symbolischen Interaktionismus,<br />

Wissenssoziologie und Konstruktivismus –<br />

wird die zentrale Rolle des Journalismus im Prozeß<br />

der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit diskutiert<br />

…“<br />

Sutter, Tilmann: <strong>Medien</strong>kommunikation als<br />

Interaktion?: Über den Aufklärungsbedarf eines<br />

spannungsreichen Problemfeldes. – S. 288 –<br />

300<br />

Der Autor entwickelt auf der Basis systemtheoretischer<br />

Theoreme eine kritische Auffassung gegenüber<br />

Ansätzen, die „interaktive“ <strong>Medien</strong>kommunikation<br />

mit Hilfe der Kategorie „soziale Interaktion“ analysieren.<br />

Im Schlussteil des Aufsatzes werden Überlegungen<br />

„zur Stellung interaktionstheoretischer Analysen<br />

bei der Erforschung neuer <strong>Kommunikations</strong>räume“<br />

angestellt.<br />

Staschen, Björn; Ohlemacher, Thomas: Informantennetzwerke<br />

und Berichterstattung einer<br />

Großstadtzeitung. Komplexitätserweiterung<br />

durch Spezialisierung?. – S. 301 – 316<br />

Tenscher, Jens: „Sabine Christiansen“ und<br />

„Talk im Turm“. Eine Fallanalyse politischer<br />

Fernsehtalkshows. – S. 317 – 333


tv diskurs<br />

(1999) Nr 9<br />

von Gottberg, Joachim: Selbstkontrolle – ein<br />

Modell für Europa?: 200 europäische Experten<br />

diskutieren über <strong>Medien</strong>regulierung. – S. 4 – 7<br />

Schlußfolgerungen des Expertenseminars zur<br />

Selbstkontrolle im <strong>Medien</strong>bereich. – S. 8 – 11<br />

Jugendschutz in Europa: Filmfreigaben im<br />

Vergleich. – S. 12 – 13<br />

Schmitt, Georg Joachim: Krieg in der Schöpfung:<br />

Filme als Rezipienten des Gewaltdiskurses.<br />

– S. 14 – 17<br />

Freitag, Burkhard: Katharsis. – S. 18 – 27<br />

Cornelißen, Waltraud: Alltagswelt und Fernseherlebnis.<br />

– S. 35 – 36<br />

Bachmair, Ben: Horrorfilme im Kopf: Wie<br />

Mädchen Szenen aus Horrorfilmen mit Angst<br />

und ihren Themen verbinden. – S. 37 – 51<br />

von Gottberg, Joachim: Der Blick ins Monströse<br />

und wiederhergestellte Maßstäbe: Bei<br />

der Aufarbeitung von Talkshows spielt die Moderation<br />

eine entscheidende Rolle. – S. 52 – 57<br />

Talkshows in der öffentlichen Meinung: Ergebnisse<br />

einer forsa-Umfrage. – S. 58 – 62<br />

von Gottberg, Joachim: Heftiger Streit und<br />

Überraschungsgäste: Nach einer Häufung von<br />

Problemfällen geht es in Talkshows wieder ruhiger<br />

zu. – S. 63 – 65<br />

Knoll, Joachim H.: Jugendliche und Jugendschutz:<br />

Einige Anmerkungen wider einen statistischen<br />

„Jugend“-Begriff. – S. 66 – 75<br />

Mohr, Inge: Die Praxis in der ARD: Jugendschutz<br />

im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. –<br />

S. 76 – 81<br />

Zeitschrift für Urheber- und <strong>Medien</strong>recht<br />

Jg 43 (1999) Nr 7<br />

Ossenbühl, Fritz: <strong>Medien</strong>freiheit und Persönlichkeitsschutz:<br />

Die Entscheidungsstruktur des<br />

Bundesverfassungsgerichts in kritischer Perspektive.<br />

– S. 505 – 513<br />

Der Verfasser erläutert die Kriterien, nach denen das<br />

Bundesverfassungsgericht Persönlichkeitrechtsverletzungen<br />

durch Meinungsäußerungen – innerhalb und<br />

außerhalb von Presseerzeugnissen und Rundfunksendungen<br />

– beurteilt. Er betont zunächst, dass das Gericht<br />

stets die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit<br />

hervorhebt; es bezeichnet sie als „schlechthin<br />

konstituierendes Element“ der demokratischen<br />

Staatsordnung und unabdingbare Voraussetzung<br />

eines freien und offenen politischen Prozesses. Im<br />

nächsten Schritt geht der Verfasser auf die sog. Ver-<br />

Zeitschriftenlese<br />

mutungsformel ein, wonach eine grundsätzliche Vermutung<br />

zu Gunsten der freien Rede in einer die Öffentlichkeit<br />

wesentlich berührenden Frage spricht.<br />

Der Ehrenschutz trete dadurch gegenüber der Meinungsäußerung<br />

fast völlig zurück. Die äußerste Grenze<br />

werde lediglich durch die Formalbeleidigung und<br />

die sog. Schmähkritik markiert. Von Schmähkritik<br />

könne erst gesprochen werden, wenn es nicht mehr<br />

um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern<br />

die Diffamierung einer Person im Vordergrund<br />

steht. Das Fazit des Autors lautet: „Der Ehrenschutz<br />

wird damit einer vermeintlich gefährdeten Funktionsfähigkeit<br />

der öffentlichen Meinungsbildung geopfert.“<br />

Anschließend werden die Kriterien beleuchtet,<br />

nach denen das Bundesverfassungsgericht zwischen<br />

Tatsachenbehauptung und Werturteilen unterscheidet<br />

(erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen<br />

sind vom Schutz durch die Meinungsfreiheit<br />

ausgenommen) und die Behauptung von Tatsachen<br />

beurteilt, deren Wahrheit oder Unwahrheit sich<br />

nicht beweisen lässt. Hier bemängelt der Autor, dass<br />

das Gericht in Zweifelsfällen Äußerungen als Meinungsäußerungen<br />

einstuft und bei Tatsachenbehauptungen<br />

die dem Äußernden auferlegten Recherchepflichen<br />

zu „niedrig gehängt“ werden. Anschließend<br />

wendet sich der Verfasser der Frage zu, aus welcher<br />

Perspektive die jeweilige Äußerung beurteilt wird.<br />

Das Gericht stelle zwar auf das Verständnis eines<br />

durchschnittlichen, verständigen Empfänger ab, lasse<br />

aber häufig die subjektive Sicht des Äußernden mit<br />

einfließen. Im letzten Schritt wird die Deutung der jeweiligen<br />

Äußerung durch das Gericht untersucht. Das<br />

Bundesverfassungsgericht schließt zunächst alle objektiv<br />

unmöglichen Deutungen aus. Von den verbleibenden<br />

Deutungsmöglichkeiten dürfen die Fachgerichte<br />

die für den Äußernden günstigen nicht unbeachtet<br />

lassen, sondern nur mit tragfähigen Gründen<br />

ausschließen. Der Autor kritisiert, dass bei Zurückweisung<br />

der Entscheidung an die Fachgerichte diesen<br />

aufgrund der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts<br />

kaum noch Spielraum verbleibe. Verdeutlicht<br />

wird diese Ansicht mit zwei Beispielen: Die „Soldaten<br />

sind Mörder“- und die „TITANIC/ geb. Mörder“-<br />

Entscheidung (BVerfG NJW 1994, 2943; BVerfGE 93,<br />

266; 86, 1).<br />

Schulz, Wolfgang; Wasner, Utz: Rundfunkrechtlich<br />

relevante Fragen der Lizenzierung<br />

und Frequenzverwaltung nach dem TKG. –<br />

S. 513 – 528<br />

Das Zusammenspiel zwischen telekommunikationsrechtlichen<br />

und rundfunkrechtlichen Frequenzregeln<br />

ist an vielen Stellen noch recht disharmonisch. Nach<br />

der Darstellung der verfassungsrechtlichen Prämissen,<br />

die ein Spannungsfeld zwischen ökonomischem und<br />

publizistisch orientiertem Regelungsansatz erzeugen,<br />

das durch unterschiedliche Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen<br />

noch zusätzlich aufgeladen<br />

wird, beleuchten die Autoren einige strittige Punkte<br />

des einfachgesetzlichen Rechts. Während die Frage,<br />

unter welchen Voraussetzungen der Betrieb von<br />

Rundfunksendeanlagen einer telekommunikationsrechtlichen<br />

Lizenz bedarf, noch recht unproblematisch<br />

zu beantworten ist, zeigt sich bei der Frequenzregulierung<br />

die komplizierte Verzahnung zwischen<br />

den beiden Regelungsregimes. Die Erstellung von<br />

Frequenzbereichszuweisungsplänen und Frequenznutzungsplänen<br />

wird durch das TKG bzw. hierzu erlassene<br />

Verordnungen geregelt. Die für Rundfunk-<br />

151


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

dienste vorgesehenen Frequenzen werden dann rundfunkrechtlich<br />

den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten<br />

oder der jeweiligen Landesmedienanstalt zugewiesen,<br />

die für die Frequenzverteilung an die<br />

privaten Rundfunkveranstalter zuständig ist. Die<br />

Frequenz wird dann nach Telekommunikationsrecht<br />

per Verwaltungsakt zugeteilt. Ungeregelt ist beispielsweise,<br />

unter welchen Voraussetzungen die Regulierungsbehörde<br />

für Post und Telekommunikation die<br />

Länder über ungenutzte Rundfunkfrequenzen informieren<br />

muss. Auch die Tatsache, dass die Grundlage<br />

des mehrstufigen Frequenzverteilungsverfahrens, der<br />

Frequenzbereichszuweisungsplan, noch nicht erlassen<br />

worden ist, sorgt für Rechtsunsicherheit. Die Autoren<br />

gehen kurz auf internationale Vorgaben und das<br />

EU-Grünbuch für Frequenzpolitik ein. Zudem weisen<br />

sie darauf hin, dass noch ungeklärt ist, welcher<br />

Rundfunkbegriff dem TKG zugrunde liegt und welche<br />

Frequenzträger Gegenstand der telekommunikationsrechtlichen<br />

Frequenzordnung sind (Streitpunkt<br />

sind vor allem die Kabelfrequenzen). Die Regeln über<br />

die Zuteilung bestimmter Frequenzbereiche für den<br />

Rundfunk sind nach Auffassung der Autoren dahingehend<br />

verfassungskonform auszulegen, dass in diesem<br />

Bereich eine Zusammenarbeit zwischen Bund<br />

und den für Rundfunk zuständigen Ländern erforderlich<br />

ist. In Bezug auf die konkrete Festlegung der Frequenznutzung<br />

werden verfassungsrechtliche Bedenken<br />

geäußert, da lediglich die Zustimmung des Bundesrates<br />

vorgesehen ist. Auch die Frequenzzuteilung<br />

wird als problematisch angesehen, da als Voraussetzung<br />

hierfür das Vorliegen einer medienrechtlichen<br />

Genehmigung verlangt wird, aber unklar bleibt, wie<br />

sich diese Regelung in Bezug auf die Programme öffentlich-rechtlicher<br />

Rundfunkanstalten sowie auf zulassungsfreie<br />

<strong>Medien</strong>dienste auswirkt.<br />

Frey, Dieter: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen<br />

im Wettbewerbsrecht der EG. – S. 528 –<br />

542<br />

Die europarechtliche Zulässigkeit der Finanzierung<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist seit langer Zeit<br />

ein Streitpunkt, selbst nachdem die Regierungsvertreter<br />

im sog. Amsterdamer Protokoll bestimmt haben,<br />

dass die Bestimmungen über unzulässige Beihilfe<br />

nicht die Kompetenz der Mitgliedstaaten berühren,<br />

für die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks zu<br />

sorgen, damit dieser seine öffentlichen Aufgaben<br />

wahrnehmen kann. Der Autor erläutert die europarechtlichen<br />

Normen, die für den öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk relevant sein können: die Freistellung<br />

wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen vom<br />

Kartellverbot sowie die Beihilferegeln. Hierzu geht er<br />

auch auf die Entscheidungspraxis der Kommission<br />

ein. Kern seiner Ausführungen ist Art. 86 Abs. 2 EGV,<br />

wonach für Unternehmen, die mit Dienstleistungen<br />

von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut<br />

sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben,<br />

die Wettbewerbsregeln nur insoweit gelten, als<br />

die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung<br />

der ihnen übertragenen Aufgabe verhindert. Anwendungsfälle<br />

dieser Norm waren insbesondere die<br />

Entscheidungen in Bezug auf den Erwerb von Sportrechten<br />

durch die EBU und die Kommissionsentscheidung<br />

zur Gebührenfinanzierung von Kinderkanal<br />

und Phoenix.<br />

Mayer, Patrick: Rechtsschutzmöglichkeiten<br />

privater Rundfunkveranstaltergegen die Pro-<br />

152<br />

grammexpansion öffentlich-rechtlicher An<br />

stalten: Die Programmzahlbegrenzung nach § 3<br />

SWR-Staatsvertrag auf dem Prüfstand des Verwaltungsgerichtshofs<br />

Baden-Würtemberg. –<br />

S. 543 – 547<br />

Der Autor setzt sich mit einer Entscheidung des VGH<br />

Mannheim (vgl. ZUM 1999, S. 588) auseinander, wonach<br />

die Programmzahlbegrenzungen im SWR-<br />

Staatsvertrag nicht dem Schutz privater Rundfunkveranstalter<br />

dienen und diese somit aus der Norm keinen<br />

Anspruch auf Einschreiten der Rechtsaufsicht herleiten<br />

können. Insbesondere weist der Autor auf alternative<br />

Rechtsschutzmöglichkeiten der privaten Anbieter<br />

hin: die Normenkontrollklage gegen die Nutzungsplanverordnung,<br />

die die Frequenzvergabe regelt, sowie<br />

die wettbewerbrechtliche Unterlassungsklage (§ 1<br />

UWG). Er betont aber auch, dass die Novellierung des<br />

Landesmediengesetz von Baden-Württemberg voraussichtlich<br />

zur Aufgabe der Frequenzvergabe mit<br />

dem Instrument der Nutzungsplanverordnung führen<br />

wird.<br />

Köhler, Markus R.: Der Schutz von Websites<br />

gemäß §§ 87a ff. UrhG. – S. 548 – 555<br />

§§ 87 a ff. UrhG, die durch Art. 7 IuKDG eingefügt<br />

wurden, schließen die Rechtsschutzlücke für diejenigen<br />

Gestalter von Websites, die die hohen Hürden der<br />

§§ 2, (Werkbegriff: gestalterische Höhe, persönlich<br />

geistige Schöpfung) 4 Abs. 2 UrhG (Datenbankwerke<br />

in Form von Sammelwerken) oder des jeweiligen Leistungsschutzrechts<br />

(§§ 70 – 87 UrhG) nicht überwinden<br />

können. Die neuen Normen schützen Datenbanken<br />

dann, wenn sie zwar keinen Werkcharakter aufweisen,<br />

aber das Ergebnis einer erheblichen Investition<br />

sind. Der Autor untersucht die Voraussetzungen<br />

für das Vorliegen einer Datenbank, das Kriterium der<br />

wesentlichen Investition und wendet sich zuletzt der<br />

Frage nach dem Schutzsubjekt der § 87 a ff. UrhG zu.<br />

Müller, Bianca: Die Klage gegen unberechtigtes<br />

Sampling. – S. 555 – 560<br />

Jg 43 (1999) Nr 8 – 9<br />

Eifert, Martin: Die Zuordnung der Säulen des<br />

Dualen Rundfunksystems. – S. 595 – 603<br />

Der Autor bemängelt, dass das Verhältnis zwischen<br />

öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk in vielen<br />

Punkten noch ungeklärt sei. Den verfassungsrechtlichen<br />

Strukturvorgaben lässt sich zwar mit dem<br />

Bundesverfassungsgericht entnehmen, dass der private<br />

Rundfunk an die Erfüllung des klassischen Auftrags<br />

durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gebunden<br />

ist, sie sagen aber wenig über die vielfältigen Zuordnungen<br />

auf den verschiedenen Märkten für den „Normalfall“<br />

aus. In dem Beitrag wird zunächst das dem<br />

dualen System zugrunde liegende Konzept der strukturellen<br />

Diversifikation erläutert und der „verfassungsrechtliche<br />

Korridor“ für die öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunkanstalten beschrieben, der zwischen<br />

Marginalisierungs- und Marktverstopfungsverbot liege.<br />

Den Schwerpunkt des Textes bildet die Auseinandersetzung<br />

mit der Steuerung des Umfangs des Programmangebots<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunks.<br />

Der Autor hält gesetzliche Programmzahlbegrenzungen<br />

wegen fehlender Staatsfreiheit für verfassungs-


widrig und schlägt stattdessen eine prozedurale Steuerung<br />

vor, die bei der Frequenzverteilung ansetzt und<br />

dem Gebührenfestsetzungsverfahren entspricht, bei<br />

dem zwischen der Bedarfsanmeldung der Rundfunkanstalten<br />

und der Festsetzung durch den Gesetzgeber<br />

ein unabhängiges Expertengremium eingeschaltet<br />

wird.<br />

Hepach, Stefan: Die Kommission zur Ermittlung<br />

der Konzentration im <strong>Medien</strong>bereich:<br />

Verselbständigungstendenzen eines Organs<br />

unter Berufung auf das rundfunkspezifische<br />

Gebot einer effizienten Konzentrationskontrolle?<br />

– S. 603 – 614<br />

Der Autor setzt sich mit mehreren Beschlüssen der<br />

Kommission zur Ermittlung der Konzentration im<br />

<strong>Medien</strong>bereich (KEK) auseinander (u. a. ,Premiere<br />

Digital“, Untätigkeit beim Prüfverfahren „Discovery<br />

Channel“). Aufgrund der 50%igen Beteiligung der<br />

KirchGruppe an der Discovery Channel Betriebs<br />

GmbH beschloss die KEK, das Verfahren in die bereits<br />

aufgenommenen Prüfungen (u. a. DSF, „Premiere<br />

Digital“) einzubeziehen. Im Rahmen dieses Verfahrens<br />

kam es zur Auseinandersetzung um die Frage, ob<br />

die marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens<br />

auf dem Zuschauermarkt vom Erreichen eines bestimmten<br />

Prozentsatzes abhängt, oder ob auch qualitative<br />

Kriterien herangezogen werden können. Nach<br />

Ansicht des Autors ist eine marktbeherrschende Stel-<br />

Zeitschriftenlese<br />

lung erst ab 28,5 % Zuschauermarktanteil denkbar.<br />

Bei der Entscheidung zu „Premiere Digital“ ging die<br />

KEK davon aus, dass auch Marktzutrittsschranken,<br />

die von technischen Bedingungen abhängen, in die Bewertung<br />

einzubeziehen seien. Der Autor ist der Auffassung,<br />

dass Zugangsfragen, wie sie in § 53 RStV thematisiert<br />

werden, nicht in den Kompetenzbereich der<br />

für Konzentrationskontrolle zuständigen KEK fallen.<br />

Die Märkte für technische Dienstleistungen könnten<br />

nicht als verwandte Märkte im Sinne des § 26 Abs. 2<br />

RStV eingestuft werden. Die KEK habe somit ihren<br />

Funktions- und Aufgabenbereich in den genannten<br />

Entscheidungen überschritten. Im letzten Schritt werden<br />

die Verfahren dargestellt, mit denen gegen ein<br />

mögliches Fehlverhalten der KEK vorgegangen werden<br />

kann.<br />

Deuschle, Thomas: Anmerkungen zum Beschluß<br />

des BayVGH vom 18.12.1998 zur<br />

Untersagung künftiger Schleichwerbung. –<br />

S. 614 – 618<br />

Leßmann, Andreas: Die vertragliche Nutzungsrechtseinräumung<br />

an Datenbanken in der<br />

Informationsgesellschaft. – S. 623 – 628<br />

Gabel, Detlev; von Lackum, Jens: Zur Schutzfähigkeit<br />

von Wortkreationen, auf der Grundlage<br />

des Urheberrechtsgesetzes. – S. 629 – 632<br />

153


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Literaturverzeichnis<br />

11 Bibliographien. Lexika<br />

12 Jahrbücher. Geschäftsberichte<br />

21 <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> und -forschung<br />

22 Journalismus. <strong>Medien</strong>berufe<br />

23 Publizistische Persönlichkeiten<br />

24 <strong>Medien</strong>institute<br />

31 Kommunikation<br />

32 <strong>Kommunikations</strong>politik<br />

33 Lokalkommunikation. Bundesländer<br />

41 Massenkommunikation Politik<br />

42 Massenkommunikation Gesellschaft<br />

43 Massenkommunikation Kultur<br />

11 Bibliographien. Lexika<br />

ABC der ARD. – Baden-Baden: Nomos, 1999.<br />

– 190 S.<br />

12 Jahrbücher. Geschäftsberichte<br />

ARD-Jahrbuch 99. – Hamburg: Verlag Hans-<br />

Bredow-Institut; Nomos, 1999. – 526 S.<br />

Filmstatistisches Taschenbuch 1999. – Wiesbaden:<br />

Spitzenorganisation der Filmwirtschaft,<br />

1999. – 74 S.<br />

Geschäftsbericht 1998/Deutsche Welle, DW<br />

(Hrsg.). – Köln: DW, 1999. – 63 S.<br />

Geschäftsbericht 1998/Bayerischen Rundfunk<br />

(Hrsg.). – München: BR, 1999. – 98 S.<br />

Geschäftsbericht 1998. – Stuttgart: SWR, 1999.<br />

– 116 S.<br />

Jahresbericht 1998: 50 Jahre NDR / Norddeutscher<br />

Rundfunk (Hrsg.). – Hamburg: NDR,<br />

1999. – 86 S.<br />

Rechenschaftsbericht der HAM für das Haushaltsjahr<br />

1998/Hamburgische Anstalt für Neue<br />

<strong>Medien</strong>, HAM (Hrsg.). – Hamburg: HAM,<br />

1999. – 38 S.<br />

Rechenschaftsbericht des Direktors für das Jahr<br />

1998 / Unabhängige Landesanstalt für das<br />

Rundfunkwesen, ULR (Hrsg.). – Kiel: ULR,<br />

1999. – 57 S.<br />

Zeitungen 99. – Bonn: ZV Zeitungs-Verlag Service,<br />

1999. – 435 S.<br />

21 <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> und<br />

-forschung<br />

Merten, Klaus: Einführung in die <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />

Bd 1/1: Grundlagen der<br />

<strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>. – Münster: Lit,<br />

154<br />

51 Telekommunikation. Informationsgesellschaft<br />

52 Neue Technologien. Multimedia<br />

62 Europa Kommunikation<br />

71 Massenmedien, allgemein<br />

72 <strong>Medien</strong> Bildung<br />

73 <strong>Medien</strong> Ökonomie<br />

74 <strong>Medien</strong> Recht<br />

75 Rundfunk<br />

76 Werbung<br />

81 Publikum. <strong>Medien</strong>nutzung<br />

82 Rezeptionsforschung<br />

83 Kinder Jugendliche <strong>Medien</strong><br />

91 Literatur zu einzelnen Ländern<br />

1999. – 585 S. (Aktuelle <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong>forschung;<br />

1)<br />

Von der Stimme zum Internet: Texte aus der<br />

Geschichte der <strong>Medien</strong>analyse / Schöttker,<br />

Detlev (Hrsg.). – Göttingen: Vandenhoeck &<br />

Ruprecht, 1999. – 246 S.<br />

22 Journalismus. <strong>Medien</strong>berufe<br />

Belz, Christopher: Berufsbilder im Journalismus:<br />

von den alten zu den neuen <strong>Medien</strong>. –<br />

Konstanz: UVK, 1999. – 173 S. (edition sage &<br />

schreibe; 2)<br />

Berufe mit … Film, Funk, Fernsehen und Foto.<br />

– Nürnberg: Bildung und Wissen BW Verlag,<br />

1999. – 220 S.<br />

Friedrichs, Jürgen: Das journalistische Interview.<br />

– Opladen: Westdeutscher, 1999. – 221 S.<br />

Günther, Klaus: Fairness in der <strong>Medien</strong>. –<br />

Münster: agenda, 1999. – 99 S.<br />

Journalismus in Theorie und Praxis: Beiträge<br />

zur universitären Journalistenausbildung: Festschrift<br />

für Kurt Koszyk / Schäfer, Ulrich P.<br />

(Hrsg.). – Konstanz: Universitätsverlag, 1999. –<br />

347 S. (Journalismus, neue Folge; 38)<br />

<strong>Medien</strong>ethik: die Frage der Verantwortung /<br />

Funiok, Rüdiger (Hrsg.). – Bonn: Bundeszentrale<br />

für politische Bildung, 1999. – 366 S.<br />

Nowag, Werner: Kommentar und Glosse. –<br />

Konstanz: UVK, 1999. – 363 S. (Reihe praktischer<br />

Journalismus; 33)<br />

23 Publizistische Persönlichkeiten<br />

Henschke, Thomas: Hans Rosenthal: ein Leben<br />

für die Unterhaltung. – Berlin: Schwarzkopf &<br />

Schwarzkopf, 1999. – 255 S.


31 Kommunikation<br />

Genosko, Gary: McLuhan and Baudrillard: the<br />

masters of implosion. – London: Routledge,<br />

1999. – 140 S.<br />

Haase, Frank: <strong>Medien</strong>, Codes, Menschmaschinen:<br />

<strong>Medien</strong>theoretische Studien zum 19. und<br />

20. Jahrhundert. – Opladen: Westdeutscher,<br />

1999. – 173 S.<br />

Kooperation in der Kommunikation: Festschrift<br />

für Elmar Bartsch / Mönnich, Annette<br />

(Hrsg.). – München: Reinhardt, 1999. – 247 S.<br />

Kursbuch <strong>Medien</strong>kultur: die maßgeblichen<br />

Theorien von Brecht bis Baudrillard / Engell,<br />

Lorenz u. a. (Hrsg.). – Stuttgart: DVA, 1999. –<br />

544 S.<br />

<strong>Medien</strong>fiktionen: Illusion – Inszenierung – Simulation;<br />

Festschrift für Helmut Schanze zum<br />

60. Geburtstag / Bolik, Sibylle u. a. (Hrsg.). –<br />

Frankfurt: Lang, 1999. – 469 S.<br />

33 Lokalkommunikation. Bundesländer<br />

Ein Jahrzehnt <strong>Medien</strong>entwicklung im Land<br />

Bremen: die Bremische Landesmedienanstalt. –<br />

Bremen: Bremische Landesmedienanstalt,<br />

1999. – 44 S.<br />

Geschwandtner-Andreß, Petra: <strong>Medien</strong>wirtschaft<br />

in Köln: Theoretische Erklärungsansätze<br />

und politische Bestimmungsfaktoren eines regionalen<br />

Produktionsclusters <strong>Medien</strong>. – Köln:<br />

Institut für Rundfunkökonomie, 1999. – 70 S.<br />

(Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie<br />

an der Universität zu Köln; 116)<br />

Image und Akzeptanz lokaler Werbeträger in<br />

Bayern 1998: Studie im Auftrag der Bayerischen<br />

Landeszentrale für neue <strong>Medien</strong>, BLM. –<br />

München: R. Fischer, 1999. – 145 S. (BLM-<br />

Schriftenreihe; 55)<br />

Löschen und vernichten oder bewahren und<br />

nutzen: Kolloquium zur Archivierung von<br />

Rundfunkproduktionen bei privaten Anbietern<br />

in Bayern. – München: R. Fischer, 1999. –<br />

102 S. (BLM-Schriftenreihe; 52)<br />

Lokal-TV zwischen Heimat- und Regionalfernsehen:<br />

Anbieter und Nutzer des privaten<br />

Lokalfernsehens Sachsens. – Berlin: Vistas,<br />

1999. – 255 S. (Schriftenreihe der SLM; 8)<br />

Stettner, Rupert: Die Stellung der Bayerischen<br />

Landeszentrale für neue <strong>Medien</strong> im Rundfunksystem<br />

nach dem Bayerischen <strong>Medien</strong>gesetz:<br />

Rechtsgutachten im Auftrag der BLM. – Mün-<br />

Literaturverzeichnis<br />

chen: R. Fischer, 1999. – 224 S. (BLM-Schriftenreihe;<br />

53)<br />

Struktur der Thüringer Kabelnetze: ein Beispiel<br />

für die Struktur ostdeutscher Kabelnetze.<br />

– München: Kopäd, 1999. – 142 S. (TLM-<br />

Schriftenreihe; 7)<br />

41 Massenkommunikation Politik<br />

Bellamy, Christine: Governing in the Information<br />

Age. – Buckingham: Open University<br />

Press, 1998. – 196 S.<br />

Elektronische Demokratie: Perspektiven politischer<br />

Partizipation / Kamps, Klaus (Hrsg.). –<br />

Opladen: Westdeutscher, 1999. – 279 S.<br />

Konken, Michael: Pressekonferenz und <strong>Medien</strong>reise:<br />

Informationen professionell präsentieren.<br />

– Limburgerhof: FBV-<strong>Medien</strong>-Verlag,<br />

1999. – 211 S.<br />

McNair, Brian: An introduction to political<br />

communication. – London: Routledge, 1999. –<br />

235 S.<br />

Noelle-Neumann, Elisabeth: Kampa: Meinungsklima<br />

und <strong>Medien</strong>wirkung im Bundestagswahlkampf<br />

1998. – Freiburg: Alber, 1999<br />

(Alber-Reihe Kommunikation; 25)<br />

NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit: Edition<br />

und Dokumentation Bd 6, Teil 4, 1938:<br />

Register / Bohrmann, Hans (Hrsg.). – München:<br />

Saur, 1999. – getr. S.<br />

Persuasion und Propaganda in der öffentlichen<br />

Kommunikation: Beiträge zur Tagung der DG-<br />

PuK-Fachgruppe „Public Relations/Organisationskommunikation“<br />

vom 14. bis 16.10.1999<br />

in Naumburg / Liebert, Tobias (Hrsg.). – Leipzig:<br />

Institut für <strong>Kommunikations</strong>- und <strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>,<br />

1999. – 120 S. (Leipziger<br />

Skripten für Public Relations und <strong>Kommunikations</strong>management;<br />

4)<br />

Vierte Gewalt?: <strong>Medien</strong> und <strong>Medien</strong>kontrolle;<br />

Baden-Württemberg-Kolloquium (16) / Graevenitz,<br />

Gerhart von (Hrsg.). – Konstanz: UVK,<br />

1999. – 195 S.<br />

Wie die <strong>Medien</strong> die Wirklichkeit steuern und<br />

selber gesteuert werden / Rolke, Lothar<br />

(Hrsg.). – Opladen: Westdeutscher, 1999. –<br />

279 S.<br />

42 Massenkommunikation Gesellschaft<br />

<strong>Medien</strong>inszenierung im Wandel: interdisziplinäre<br />

Zugänge/Schicha, Christian (Hrsg.). –<br />

155


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Münster: Lit, 1999. – 266 S. (ikö-Publikationen;<br />

1)<br />

43 Massenkommunikation Kultur<br />

Fassler, Manfred: Cyber-Moderne: <strong>Medien</strong>evolution,<br />

globale Netzwerke und die Künste<br />

der Kommunikation. – Berlin: Springer, 1999. –<br />

264 S.<br />

Higgins, John: Raymond Williams: Literature,<br />

marxism and cultural materialism. – London:<br />

Routledge, 1999. – 229 S.<br />

51 Telekommunikation. Informationsgesellschaft<br />

Alkas, Hasan: Rabattstrategien marktbeherrschender<br />

Unternehmen im Telekommunikationsbereich.<br />

– Bad Honnef: Wiss. Inst. f. <strong>Kommunikations</strong>dienste,<br />

199. – 76 S. (Diskussionsbeiträge;<br />

195)<br />

Arbeit: Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung<br />

und Arbeitspolitik: Heft 3/99:<br />

Neue <strong>Medien</strong>. – Opladen: Westdeutscher,<br />

1999. – getr. S.<br />

Dijk, Jan van: The network society: social aspects<br />

of new media.–London: Sage, 1999. –<br />

267 S.<br />

Distelkamp, Matin: Möglichkeiten des Wettbewerbs<br />

im Orts- und Anschlußbereich des Telekommunikationsnetzes.<br />

– Bad Honnef: WIK,<br />

1999. – 103 S. (Diskussionsbeiträge; 196)<br />

Dörrenbächer, Christoph: Vom Hoflieferanten<br />

zum Global Player: Unternehmensreorganisation<br />

und nationale Politik in der Welttelekommunikationsindustrie.<br />

– Berlin: edition sigma,<br />

1999. – 226 S.<br />

Everard, Jerry: Virtual states: the Internet and<br />

the boundaries of the nation-state. – London:<br />

Routledge, 2000. – 174 S.<br />

Flimmernde Zeiten: vom Tempo der <strong>Medien</strong> /<br />

Schneider, Manuel (Hrsg.). – Stuttgart: Hirzel,<br />

1999. – 321 S.<br />

Global productions: labor in the making of<br />

the „Information Society“/Sussman, Gerald<br />

(Hrsg.). – Cresskill: Hampton Press, 1999. –<br />

317 S.<br />

Gramlich, Ludwig: Gesetzliche Exklusivlizenz,<br />

Universalpflichten und „höherwertige“<br />

Dienstleistungen im PostG 1997. – Bad Honnef:<br />

WIK, 1999. – 99 S. (Diskussionsbeiträge;<br />

194)<br />

156<br />

Hakken, David: Cyborg@Cyberspace: an ethnographer<br />

looks to the future. – London: Routledge,<br />

1999. – 264 S.<br />

Levinson, Paul: The soft edge: a natural history<br />

and future of the information revolution. –<br />

London: Routledge, 1997. – 257 S.<br />

Mainzer, Klaus: Computernetze und virtuelle<br />

Realität: Leben in der Wissensgesellschaft. –<br />

Berlin: Springer, 1999. – 300 S.<br />

Perspektiven der <strong>Medien</strong>wirtschaft: Kompetenz,<br />

Akzeptanz, Geschäftsfelder / Szyperski,<br />

Norbert (Hrsg.). – Lohmar: Eul, 1999. – 467 S.<br />

(Telekommunikation @ <strong>Medien</strong>dienste; 5)<br />

52 neue Technologien. Multimedia<br />

Braun, Oliver: SpiWWW: das Bild des Sports<br />

im WWW: Ergebnisse der ersten umfassenden<br />

Inhaltsanalyse sportjournalistischer Berichterstattung<br />

im deutschsprachigen World Wide<br />

Web. – Bornheim: Braun, 1999. – 174 S.<br />

Goldhammer, Klaus: Rundfunk online: Entwicklung<br />

und Perspektiven des Internets für<br />

Hörfunk- und Fernsehanbieter. – Berlin: Vistas,<br />

1999. – 361 S. (Schriftenreihe der Landesmedienanstalten;<br />

14)<br />

Hoberg, Almuth: Film und Computer: wie digitale<br />

Bilder den Spielfilm verändern. – Frankfurt:<br />

Campus, 1999. – 242 S. (Campus-Forschung;<br />

788)<br />

Interaktive <strong>Medien</strong>, interdisziplinär vernetzt /<br />

Berghaus, Margot (Hrsg.). – Opladen: Westdeutscher<br />

Verlag, 1999. – 203 S.<br />

Multimedia: Informationssysteme zwischen<br />

Bild und Sprache / Lehner, Franz (Hrsg.). –<br />

Konstanz: DUV, 1999. – 276 S.<br />

Rada, Holger: Von der Druckerpresse zum<br />

Web-Server: Zeitungen und Magazine im<br />

Internet. – Berlin: Wissenschaftlicher Verlag,<br />

1999. – 328 S.<br />

Rank, Gerhard: Entwicklung und Akzeptanz<br />

multimedialer Zeitschriften. – München: R.<br />

Fischer, 1999. – 276 S. (Reihe <strong>Medien</strong> Skripten;<br />

33)<br />

61 internationale Kommunikation<br />

Ting-Toomey, Stella: Communicating across<br />

cultures. – New York: Guilford Press, 1999. –<br />

310 S.<br />

Volkmer, Ingrid: News in the global sphere: a<br />

study of CNN and its impact on global com-


munication. – Luton: University Press, 1999. –<br />

236 S.<br />

62 Europa Kommunikation<br />

Andersen, Arthur: Deal Survey 1998: Fakten<br />

und Trends in der europäischen Unterhaltungsindustrie.<br />

– Berlin: Communications, Media<br />

& Entertainment Group, 1999. – 25 S.<br />

Collins, Richard: From satellite to single market:<br />

New communication technology and<br />

European public service television. – London:<br />

Routledge, 1999. – 297 S.<br />

Frenzel, Dirk: Kulturelle Eye-dentity: Die<br />

Kulturpolitik der EU am Beispiel der Filmförderung.<br />

– Frankfurt: Lang, 1999. – 144 S.<br />

(Beiträge zur Politik<strong>wissenschaft</strong>; 74)<br />

Naumann, Michael: Freiwillige Selbstkontrolle<br />

im <strong>Medien</strong>bereich auf europäischer Ebene:<br />

Eröffnungsrede Internationales <strong>Medien</strong>seminar<br />

1999, Saarbrücken. – Bonn: Presse- und Informationsamt<br />

der Bundesregierung, 1999. –<br />

getr. S. (Bulletin; 28/99)<br />

Zeller, Rüdiger: Die EBU: Union Européene<br />

de Radio-Télévision (UER): European Broadcasting<br />

Union (EBU): internationale Rundfunkkooperation<br />

im Wandel. – Baden-Baden:<br />

Nomos, 1999. – 322 S. (Wirtschaftsrecht der internationalen<br />

Telekommunikation; 39)<br />

71 Massenmedien, allgemein<br />

Bechdolf, Ute: Puzzling gender: Re- und De-<br />

Konstruktionen von Geschlechterverhältnissen<br />

im und beim Musikfernsehen. – Weinheim:<br />

Beltz, 1999. – 277 S.<br />

Classen, Christoph: Bilder der Vergangenheit:<br />

die Zeit des Nationalsozialismus im Fernsehen<br />

der Bundesrepublik Deutschland 1955–1965. –<br />

Köln: Böhlau, 1999. – 242 S. (<strong>Medien</strong> in Geschichte<br />

und Gegenwart; 13)<br />

Kosovo, Nato-Krieg in Europa. – Berlin: Verein<br />

für friedenspolitische Publizistik e. V., 1999. –<br />

146 S. (Antimilitarismusinformation, AMI;<br />

7/99)<br />

<strong>Medien</strong> und Straftaten: Vorschläge zur Vermeidung<br />

diskriminierender Berichterstattung<br />

über Einwanderer und Flüchtlinge. – Duisburg:<br />

DISS, 1999. – 60 S.<br />

Negrine, Ralph M.: Parliament and the media: a<br />

study of Britain, Germany and France. – London:<br />

Pinter, 1998. – 164 S.<br />

Literaturverzeichnis<br />

Niederhauser, Jürg: Wissenschaftssprache und<br />

populär<strong>wissenschaft</strong>liche Vermittlung. – Tübingen:<br />

Narr, 1999. – 275 S. (Forum für Fachsprachen-Forschung;<br />

53)<br />

Reading the homeless: the media’s image of the<br />

homeless culture / Min, Eungjun (Hrsg.). –<br />

Westport: Praeger, 1999. – 222 S.<br />

Schallenberger, Stefan: Moralisierung und<br />

Kriegsdiskurs: eine Analyse von Printmedienbeiträgen<br />

zum Golfkrieg und zum Vietnamkrieg.<br />

– Frankfurt: Lang, 1999. – 280 S. (Theorie<br />

und Vermittlung der Sprache; 31)<br />

Weichert, Stefan-Alexander: Der Tag der Deutschen<br />

Einheit im Fernsehen: eine explorative<br />

Analyse zur Fernsehberichterstattung über den<br />

3. Oktober. – Hamburg: Universität, Mag.-<br />

Arb., 1999. – 163 S. plus Anhang<br />

72 <strong>Medien</strong> Bildung<br />

Breiter, Andreas: Informationstechnologie<br />

Planer für Schulen: Leitfaden für allgemeinbildende<br />

Schulen zur Planung, Kostenabschätzung<br />

und Finanzierung der <strong>Medien</strong>integration.<br />

– Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 1999. –<br />

104 S.<br />

Handbuch <strong>Medien</strong>: <strong>Medien</strong>kompetenz: Modelle<br />

und Projekte / Baacke, Dieter u. a.<br />

(Hrsg.). – Bonn: Bundeszentrale für politische<br />

Bildung, 1999. – 308 S.<br />

Schawinsky, Karl: <strong>Medien</strong>kompetenz: Schlüssel-Qualifikation<br />

in der Wissensgesellschaft. –<br />

Köln: DIV, 1999. – 16 S.<br />

73 <strong>Medien</strong> Ökonomie<br />

Alger, Dean: Megamedia: How giant corporations<br />

dominate mass media, distort competition<br />

and endanger democracy. – Lanham: Rowman<br />

& Littlefield, 1999. – 276 S.<br />

Entwicklung und Perspektiven der Programmindustrie<br />

/ Schröder, Hermann-Dieter (Hrsg.).<br />

– Baden-Baden: Nomos, 1999. – 166 S. (Symposien<br />

des Hans-Bredow-Instituts; 17)<br />

Fachpresse Statistik 98. – Frankfurt: Deutsche<br />

Fachpresse, 1999. – getr. S.<br />

Heinrich, Jürgen: <strong>Medien</strong>ökonomie 2: Hörfunk<br />

und Fernsehen. – Opladen: Westdeutscher,<br />

1999. – 647 S.<br />

Jahresbericht der Kommission zur Ermittlung<br />

der Konzentration im <strong>Medien</strong>bereich (KEK):<br />

157


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Berichtszeitraum 1. Juli 1998 bis 30. Juni 1999.<br />

– Potsdam: KEK, 1999. – getr. S.<br />

Strukturwandel der <strong>Medien</strong>wirtschaft im Zeitalter<br />

digitaler Kommunikation / Knoche, Manfred<br />

(Hrsg.). – München: Fischer, 1999. – 218 S.<br />

Wirtschaftliche Bedeutung des TV-Marktes für<br />

die deutsche Filmwirtschaft 1997: Studie im<br />

Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für<br />

neue <strong>Medien</strong>: Endbericht. – München: R. Fischer,<br />

1999. – 172 S. (BLM-Schriftenreihe; 54)<br />

74 <strong>Medien</strong> Recht<br />

Baars, Wiebke: Kooperation und Kommunikation<br />

durch Landesmedienanstalten: eine Analyse<br />

ihres Aufgaben- und Funktionsbereichs. –<br />

Baden-Baden: Nomos, 1999. – 387 S. (Materialien<br />

zur interdisziplinären <strong>Medien</strong>forschung;<br />

35)<br />

Charissé, Peter: Die Rundfunkveranstaltungsfreiheit<br />

und das Zulassungsregime der Rundfunk-<br />

und <strong>Medien</strong>gesetze: eine verfassungsund<br />

europarechtliche Untersuchung der subjektiv-rechtlichen<br />

Stellung privater Rundfunkveranstalter.<br />

– Frankfurt: Lang, 1999. – 277 S.<br />

(Studien zum deutschen und europäischen <strong>Medien</strong>recht;<br />

1)<br />

Determann, Lothar: <strong>Kommunikations</strong>freiheit<br />

im Internet: Freiheitsrechte und gesetzliche Beschränkungen.<br />

– Baden-Baden: Nomos, 1999. –<br />

653 S. (Law and economics of international telecommunications;<br />

41)<br />

Gersdorf, Hubertus: Vergabe terrestrischer<br />

Frequenzen an <strong>Medien</strong>dienste: chancengleicher<br />

Zugang von <strong>Medien</strong>diensten zu Übertragungskapazitäten<br />

am Beispiel des reinen Einkaufssenders<br />

Home Order Television (H.O.T.):<br />

Rechtsgutachten im Auftrag des Landesrundfunkausschusses<br />

für Sachsen-Anhalt, LRA. –<br />

Berlin: Vistas, 1999. – 65 S. (Schriftenreihe der<br />

LRA; 1)<br />

Jaeger-Lenz, Andrea: Werberecht: Recht der<br />

Werbung in Internet, Film, Funk und Printmedien:<br />

Kampagnen-Ratgeber für Werbeagenturen.<br />

– Weinheim: WILEY-VCH, 1999. – 211 S.<br />

Knickenberg, Daniel: Programmfreiheit contra<br />

Sponsoring. – Lohmar: Eul, 1999. – 153 S.<br />

Kops, Manfred: Nationale Konzentrationsschranken<br />

und internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />

von Fernsehveranstaltern. – Köln: Institut<br />

für Rundfunkökonomie, 1999. – 55 S.<br />

(Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie<br />

an der Universität zu Köln; 115)<br />

158<br />

Kühling, Jürgen: Die <strong>Kommunikations</strong>freiheit<br />

als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht. –<br />

Berlin: Duncker & Humblot, 1999. – 579 S.<br />

(Schriften zum europäischen Recht; 60)<br />

Mandry, Rüdiger: Rundfunk im World Wide<br />

Web: eine Bestandsaufnahme der online-Angebote<br />

öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunkveranstalter.<br />

– Leipzig: Univ., Dipl.-Arb.,<br />

1998. – 187 S.<br />

Müntinga, Maren: Die journalistischen Wahrheits-<br />

und Sorgfaltspflichten und die Möglichkeiten<br />

ihrer Durchsetzung: eine Untersuchung<br />

anhand der Landesmediengesetzen. – Baden-<br />

Baden: Nomos, 1999. – 133 S. (Nomos Universitätsschriften;<br />

18)<br />

Ossyra, Markus: Konzentrationskontrolle über<br />

private Rundfunkveranstalter: Eine verfassungsrechtliche<br />

Analyse konzentrationsrechtlicher<br />

Regelungsansätze. – Frankfurt: Lang,<br />

1999. – 224 S. (Europäische Hochschulschriften,<br />

Reihe 02; 2639)<br />

Paulweber, Michael: Regulierungszuständigkeiten<br />

in der Telekommunikation: sektorspezifische<br />

Wettbewerbsaufsicht nach dem TKG<br />

durch die Regulierungsbehörde im Verhältnis<br />

zu den allgemeinen kartellrechtlichen Kompetenzen<br />

des Bundeskartellamts und der Europäischen<br />

Kommission. – Baden-Baden: Nomos,<br />

1999. – 292 S. (Law and economics of international<br />

telecommunications; 40)<br />

Wojahn, Jörg: Konzentration globaler <strong>Medien</strong>macht<br />

und das Recht auf Information. – Frankfurt:<br />

Lang, 1999. – 292 S. (Europäische Hochschulschriften,<br />

Reihe 02; 2687)<br />

75 Rundfunk<br />

Aberg, Carin: The sounds of radio: on radio as<br />

an auditive means of communication. – Stockholm:<br />

Departmernt of Journalism, Media and<br />

Communication, 1999. – 229 S. plus Anhang<br />

Booking 2000: Daten und Porträts deutscher<br />

Hörfunk- und Fernsehsender mit Hörfunkmarkt<br />

Österreich. – München: Neue <strong>Medien</strong>gesellschaft<br />

Ulm, 1999. – 153 S. (Media; 1)<br />

Controlling-Praxis in <strong>Medien</strong>unternehmen /<br />

Schneider, Beate (Hrsg.). – Neuwied: Luchterhand,<br />

1999. – 252 S.<br />

Corner, John: Critical ideas in television studies.<br />

– Oxford: Clarendon, 1999. – 139 S.<br />

Fromm, Bettina: Privatgespräche vor Millionen:<br />

Fernsehauftritte aus psychologischer und


soziologischer Perspektive. – Konstanz: UVK,<br />

1999. – 426 S. (Wissenschaftsforum; 6)<br />

<strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>en und <strong>Medien</strong>wertung /<br />

Ludes, Peter (Hrsg.). – Opladen: Westdeutscher,<br />

1999. – 223 S.<br />

Mit Sinn und Verstand: das Programmunternehmen<br />

WDR als Kultur- und Wirtschaftsfaktor<br />

in Nordrhein-Westfalen. – Köln: WDR,<br />

1999. – 50 S.<br />

Plake, Klaus: Talkshows: die Industrialisierung<br />

der Kommunikation. – Darmstadt: Primus,<br />

1999. – 175 S.<br />

Programmbericht zur Lage und Entwicklung<br />

des Fernsehens in Deutschland 1998/99. – Berlin:<br />

Ullstein, 1999. – 352 S.<br />

Quellen zur Programmgeschichte des deutschen<br />

Hörfunks und Fernsehens / Dussel, Konrad<br />

(Hrsg.). – Göttingen: Musterschmidt, 1999.<br />

– 460 S. (Quellensammlung zur Kulturgeschichte;<br />

24)<br />

Rundfunkpolitik in Deutschland: Wettbewerb<br />

und Öffentlichkeit Bd 1+2 / Schwarzkopf,<br />

Dietrich (Hrsg.). – München: dtv, 1999. – 612 S.<br />

(dtv-Taschenbuch; 30714)<br />

Schneider, Sandra: Neue Anforderungen an die<br />

Personalarbeit privater Fernsehveranstalter. –<br />

Köln: Institut für Rundfunkökonomie, 1999. –<br />

18 S. (Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie<br />

an der Universität zu Köln;<br />

117)<br />

Semeria, Stefano: Talk als Show, Show als Talk:<br />

deutsche und US-amerikanische Daytime<br />

Talkshows im Vergleich. – Opladen: Westdeutscher,<br />

1999. – 255 S.<br />

Strukturwandel medialer Programme: vom<br />

Fernsehen zu Multimedia / Paech, Joachim<br />

(Hrsg.). – Konstanz: UVK, 1999. – 200 S.<br />

Vom Sendespiel zur <strong>Medien</strong>kunst: die Geschichte<br />

des Hörspiels im Bayerischen Rundfunk:<br />

das Gesamtverzeichnis der Hörspielproduktion<br />

des Bayerischen Rundfunks 1949 –<br />

1999 / Kapfer, Herbert (Hrsg.). – München:<br />

Belleville, 1999. – 485 S.<br />

Weber, Wolfgang Maria: 50 Jahre deutsches<br />

Fernsehen: ein Rückblick auf die Lieblingssendungen<br />

in West und Ost. – München: Battenberg,<br />

1999. – 200 S.<br />

76 Werbung<br />

Dastyari, Soheil: Antimaterie Mann: Männlichkeit<br />

in der Werbung. – Bardowick: Wissen-<br />

Literaturverzeichnis<br />

schaftler Verlag, 1999. – 119 S. (IfAM-Arbeitsberichte;<br />

17)<br />

Engelhardt, Alexander von: Werbewirkungsmessung:<br />

Hintergründe, Methoden, Möglichkeiten<br />

und Grenzen. – München: R. Fischer,<br />

1999. – 203 S. (Angeandte <strong>Medien</strong>forschung;<br />

11)<br />

Planungsdaten Radio 2000. – Frankfurt: ARD-<br />

Werbung Media Marketing, 1999. – 114 S.<br />

82 Rezeptionsforschung<br />

Bonfadelli, Heinz: <strong>Medien</strong>wirkungsforschung<br />

Bd 1: Grundlagen und theoretische Perspektiven.<br />

– Konstanz: UVK, 1999. – 276 S. (Reihe<br />

Uni.papers; 10)<br />

Fowles, Jib: The case for television violence. –<br />

London: Sage, 1999. – 160 S.<br />

Gauntlett, David: Living tv: television, culture,<br />

and everyday life. – London: Routledge, 1999.<br />

– 313 S.<br />

Hamilton, James T.: Channeling violence: the<br />

economic market for violent television programming.<br />

– Princeton: Princeton University<br />

Press, 1999. – 390 S.<br />

Hartley, John: The uses of television. – London:<br />

Routledge, 1999. – 246 S.<br />

Isenbart, Jan: Das entfesselte Medium: Fernsehen<br />

und Forschung in Deutschland 1928 bis<br />

1998. – Kronberg: IP Deutschland, 1999. – 98 S.<br />

Jäckel, Michael: <strong>Medien</strong>wirkungen: ein Studienbuch<br />

zur Einführung. – Opladen: Westdeutscher<br />

Verlag, 1999. – 313 S.<br />

Kultur – <strong>Medien</strong> – Macht: cultural studies und<br />

<strong>Medien</strong>analyse / Hepp, Andreas (Hrsg.). – Opladen:<br />

Westdeutscher, 1999. – 384 S.<br />

Publikumsbindungen: <strong>Medien</strong>rezeption zwischen<br />

Individualisierung und Integration / Hasebrink,<br />

Uwe (Hrsg.). – München: R. Fischer,<br />

1999. – 193 S. (Angewandte <strong>Medien</strong>forschung;<br />

12)<br />

Rethinking the media audience: the new agenda<br />

/ Alasuutari, Pertti (Hrsg.). – London: Sage,<br />

1999. – 210 S.<br />

Television and common knowledge / Gripsrud,<br />

Jostein (Hrsg.). – London: Routledge, 1999. –<br />

209 S.<br />

Tudor, Andrew: Decoding culture: Theory and<br />

method in cultural studies. – London: Sage,<br />

Sage. – 208 S.<br />

159


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

Winterhoff-Spurk, Peter: <strong>Medien</strong>psychologie:<br />

eine Einführung. – Stuttgart: Kohlhammer,<br />

1999. – 178 S.<br />

83 Kinder Jugendliche <strong>Medien</strong><br />

Ästhetik der Kinder: interdisziplinäre Beirtäge<br />

zur ästhetischen Erfahrung von Kindern /<br />

Neuß, Norbert (Hrsg.). – Frankfurt: GEP,<br />

1999. – 376 S. (Beiträge zur <strong>Medien</strong>pädagogik;<br />

5)<br />

Aufenanger, Stefan: Alles Werbung, oder was?:<br />

medienpädagogische Ansätze zur Vermittlung<br />

von Werbekompetenz im Kindergarten. – Kiel:<br />

ULR, 1999. – 276 S. (Themen, Thesen, Theorien;<br />

13)<br />

Fromme, Johannes: Computerspiele in der Kinderkultur.<br />

– Opladen: Leske + Budrich, 2000. –<br />

251 S. (Virtuelle Welten; 1)<br />

Götz, Maya: Mädchen und Fernsehen: Facetten<br />

der <strong>Medien</strong>aneignung in der weiblichen Adoleszenz.<br />

– München: Kopäd, 1999. – 400 S.<br />

<strong>Medien</strong>-Generation: Beiträge zum 16. Kongreß<br />

der Deutschen der Deutschen Gesellschaft für<br />

Erziehungs<strong>wissenschaft</strong> / Gogolin, Ingrid<br />

(Hrsg.). – Opladen: Leske + Budrich, 1999. –<br />

430 S.<br />

Neue und alte <strong>Medien</strong> im Alltag von Kindern<br />

und Jugendlichen: deutsche Teilergebnisse einer<br />

europäischen Studie. – Hamburg: Hans-<br />

Bredow-Institut, 1999. – 142 S.<br />

Opaschowski, Horst W.: generation @: die <strong>Medien</strong>revolution<br />

entläßt ihre Kinder: Leben im<br />

Informationszeitalter. – Hamburg: BAT, 1999.<br />

– 221 S.<br />

Ploetz, Anke von: Werbekompetenz von Kindern<br />

im Kindergartenalter: ein Experiment<br />

zum Erkennen von Werbung. – München:<br />

Kopäd, 1999. – 134 S. (Förderpreis <strong>Medien</strong>pädagogik;<br />

1)<br />

Selbstsozialisation, Kinderkultur und <strong>Medien</strong>nutzung<br />

/ Fromme, Johannes u. a. (Hrsg.). –<br />

Opladen: Leske + Budrich, 1999. – 384 S. (Reihe<br />

Kindheitsforschung; 12)<br />

Talkshows im Alltag von Jugendlichen: der tägliche<br />

Balanceakt zwischen Orientierung, Amüsement<br />

und Ablehnung. – Opladen: Leske +<br />

Budrich, 1999. – 557 S. (Schriftenreihe <strong>Medien</strong>forschung<br />

der Landesanstalt für Rundfunk<br />

Nordrhein-Westfalen; 32)<br />

160<br />

91 Literatur zu einzelnen Ländern<br />

Aufderheide, Patricia: Communications policy<br />

and the public interest: The Telecommunication<br />

Act of 1996. – New York: Guilford Press,<br />

1999. – 322 S.<br />

Caspi, Dan: The in/outsiders: the mass media in<br />

Israel.–Cresskill: Hampton Press, 1999.– 342 S.<br />

Cultural diversity and the U.S. media / Kamalipour,<br />

Yahya R. (Hrsg.). – Albany: State Univ.<br />

of New York Press, 1998. – 307 S.<br />

Davis, Richard: The web of politics: the internet’s<br />

impact on the American political system.<br />

– New York: Oxford Univ. Press, 1999. –<br />

225 S.<br />

Deutsche Welle in Russia: focus-group research<br />

in St. Petersburg, Novosibirsk, Novgorod<br />

1999. – Köln: DW, 1999. – 72 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

Hübner, Peter: Pressefreiheit in Rußland:<br />

Großaktionäre als Zensoren?. – Köln: Bundesinstitut<br />

für ost<strong>wissenschaft</strong>liche und internationale<br />

Studien, 1999. – getr. S.<br />

Images of Germany in the American media /<br />

Willis, Jim (Hrsg.). – Westport: Praeger, 1999.<br />

– 191 S.<br />

<strong>Medien</strong>situation und <strong>Medien</strong>untersuchung in<br />

China 1995. – Köln: DW, 1998. – 23 S. (DW<br />

<strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>situation und <strong>Medien</strong>untersuchung in<br />

China 1997, 1999. – Köln: DW, 1999. – 27 S.<br />

(DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>situation und <strong>Medien</strong>untersuchung in<br />

den Baltischen Staaten 1997. – Köln: DW, 1998.<br />

– 19 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>situation und <strong>Medien</strong>untersuchung in<br />

der Russischen Föderation 1997. – Köln: DW,<br />

1998. – 21 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>situation und <strong>Medien</strong>untersuchung in<br />

der Slowakei 1997. – Köln: DW, 1998. – 19 S.<br />

(DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>situation und <strong>Medien</strong>untersuchung in<br />

der Tschechischen Republik 1997. – Köln: DW,<br />

1998. – 21 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>situation und <strong>Medien</strong>untersuchung in<br />

Rumänien 1997. – Köln: DW, 1998. – 21 S.<br />

(DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in Äthiopien 1997. –<br />

Köln: DW, 1998. – 18 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)


<strong>Medien</strong>untersuchung in Afghanistan 1998. –<br />

Köln: DW, 1999. – 22 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in Brasilien 1998. – Köln:<br />

DW, 1999. – 26 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in Bulgarien 1997. –<br />

Köln: DW, 1998. – 25 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in Chile 1998. – Köln:<br />

DW, 1999. – 25 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in Costa Rica. – Köln:<br />

DW, 1999. – 8 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in den USA 1998. – Köln:<br />

DW, 1999. – 25 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in der Russischen Föderation<br />

1998. – Köln: DW, 1999. – 19 S. (DW<br />

<strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in der Türkei 1999. –<br />

Köln: DW, 1999. – 21 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

Literaturverzeichnis<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in Jugoslawien (Serbien<br />

und Montenegro) 1998. – Köln: DW, 1999. –<br />

21 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in Panama. – Köln: DW,<br />

1999. – 4 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

<strong>Medien</strong>untersuchung in Polen 1997. – Köln:<br />

DW, 1998. – 24 S. (DW <strong>Medien</strong>forschung)<br />

Die Nutzung von Auslandsrundfunk bei kosovarischen<br />

Flüchtlingen in Albanien. – Köln:<br />

DW, 1999. – 8 S.<br />

Pfeifer, Bruno: Fernsehordnung in Italien: Status<br />

quo und Reform. – Berlin: Duncker &<br />

Humblot, 1999. – 241 S. (Tübinger Schriften<br />

zum internationalen und europäischen Recht;<br />

50)<br />

Sadkovich, James J.: The US media and Yugoslavia,<br />

1991 – 1995. – Westport: Praeger, 1999.–<br />

272 S.<br />

Sinclair, John: Latin American television: a global<br />

view. – Oxford: Oxford University Press,<br />

1999. – 187 S.<br />

161


English Abstracts<br />

Wolfgang Hoffmann-Riem: Theses on the regulation of the dual broadcasting system<br />

(Thesen zur Regulierung der dualen Rundfunkordnung), pp. 7 – 21<br />

The dual broadcasting system has proven its worth in Germany. Its regulation, however,<br />

must be adapted to changing multimedia markets. The future regulation of the media<br />

will have to focus more strongly on the organisation of upstream, sidestream and downstream<br />

activities. Above all, equal opportunities need to be guaranteed with respect to<br />

access. Self-regulation is indispensable for the media, but it requires supplementary state<br />

safeguards to ensure the workability of the media order.<br />

Otfried Jarren: Societal integration through the media? On the justification of normative<br />

requirements for the media (Gesellschaftliche Integration durch <strong>Medien</strong>?<br />

Zur Begründung normativer Anforderungen an <strong>Medien</strong>), pp. 22 – 41<br />

The article addresses the integration concepts on media communication currently discussed<br />

in the scientific community. Traditional concepts often overrate the integration<br />

potential of the media by expecting concrete material accomplishment. This expectation<br />

finds its expression in specific normative targets. More recent systems-theory reflections,<br />

on the other hand, scale down, so to speak, these integrative accomplishment to<br />

communication processes. Apparently, normative requirements are then no longer necessary.<br />

The author shows that, by handling and making themes available from all societal<br />

subsystems, the media are able to, de facto as well as symbolically, make an integrative<br />

contribution. This does not, on the other hand, make the normative requirements<br />

on integrative communication obsolete: through these requirements media organisations<br />

are set a societal orientation, since the actors of society are able to critically address<br />

concrete accomplishments. Through media policy safeguards (structural diversity in the<br />

media system), accomplishment-focused mandates for the media, and editorial requirements<br />

of (self-)evaluation or quality management the commitment to integrative communication<br />

can be stabilised.<br />

Ralph Weiss: “Practical meaning”, social identity and tele-vision. A concept for the<br />

analysis of how cultural action is embedded in the everyday world (“Praktischer<br />

Sinn”, soziale Identität und Fern-Sehen: Ein Konzept für die Analyse der Einbettung<br />

kulturellen Handelns in die Alltagswelt), pp. 42 – 62<br />

The analysis of the life world context in which media use is embedded plays a key role<br />

for the development of theory formation in the field of communications research. The<br />

article demonstrates this by referring to both the framing approach and the cultural studies<br />

discussion. On the basis of Bourdieu’s theory of practice a system of generative principles<br />

of action and of perception is outlined. The system offers a frame of reference for<br />

the analysis of action-guiding themes that characterise the subjective meaning of media<br />

use. The meaning media use can have is inferable from the “subjective forms” into which<br />

media cultural objectivations are translated. In order to characterise these forms the<br />

approach falls back on Hegel’s psychology. A particular focus is the recipience of the<br />

audiovisual medium television. The heuristic potential of these “intellectual tools” is<br />

subsequently discussed by referring to a study on parasocial relations.<br />

162


English Abstracts<br />

Britta M. Schultheiss/Stefan A. Jenzowsky: Infotainment: The influence of emotionalising<br />

and affectively-orientated presentation on credibility (Infotainment: Der<br />

Einfluss emotionalisierend-affektionierter Darstellung auf die Glaubwürdigkeit),<br />

pp. 63 – 84<br />

Infotainment programmes on television are becoming increasingly popular. The acceptance<br />

and entertainment value of these programmes is apparently based to a major extent<br />

on an emotionalising and affectively-orientated presentation of information. In order to<br />

examine the influence of this manner of presentation under the condition of a constant<br />

information content the emotionalising content of the infotainment programme “Die<br />

Reporter” on the TV channel Pro-7 was manipulated in an experiment. In an experimental<br />

2x2 design the emotionalising and affectively-orientated content a) of three individual<br />

contributions and b) of three presentation lead-ins to the contributions were varied,<br />

with professional versions being created with the help of the reporters. It became<br />

clear that (with the assessment of informativeness remaining the same) an increased degree<br />

of emotionalising presentation led to a clearly reduced credibility. Furthermore, the<br />

credibility of the information presented was influenced to equal degrees by an emotionalising<br />

presentation in the contributions and in the presentation lead-ins.<br />

Ulrich Saxer: Myth of the Postmodern: Communications research reservations<br />

(Mythos Postmoderne: <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>liche Bedenken), pp. 85 – 92<br />

Particularly in France, the traditional and established set of research tools is being deconstructed<br />

under the concept of the “Postmodern”. Indeed, the verdict of naive rationalism<br />

is passed on the term “modern” and, correspondingly, a “wild” and exceedingly<br />

anti-empirical way of thinking regarding societal matters, in particular media communication<br />

is fostered. A certain proximity to the subject-orientated radical constructivism<br />

cannot be overlooked, a group with which the Postmodernists share the lack of structural<br />

resemblance, of isomorphism of their theories with a subject such as the media,<br />

which is strongly determined by meso- and macro-level influences. Empirical communications<br />

research, a basis from which the line of argument presented here emanates, is,<br />

for all these reasons, definitely advisable, in order to avoid being taken in by a fashionable<br />

Postmodernism, even more so in view of the fact that the term “Postmodern” is<br />

never really clarified. The latter thus remains a myth, which, unfortunately, once again<br />

impairs the recipience to suggestions from the Romance-language area.<br />

Karl-Heinz Ladeur: The “functional mandate” of public-service broadcasting –<br />

committed to “integration” or self-defined? Comments on three legal opinions (Der<br />

“Funktionsauftrag” des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – auf “Integration” festgelegt<br />

oder selbst definiert? Anmerkungen zu drei Rechtsgutachten), pp. 93 – 106<br />

The recent disccussion about the “functional mandate” of public broadcasting attempts<br />

to legally manage the crisis of integration broadcasting through the different strategies.<br />

Bullinger’s legal opinion seeks to commit public-servive broadcasting to its traditional<br />

political and cultural tasks through “substantive” statutory provisions. The legal opinions<br />

of Holznagel and Vesting, on the other hand, would like to grant greater autonomy<br />

to the professional component of public-service broadcasting. The article tries to<br />

analyse the advantages and weaknesses of the two concepts.<br />

163


Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Heftes<br />

PD Dr. Joan Kristin Bleicher, Literatur<strong>wissenschaft</strong>liches Seminar, Universität Hamburg<br />

· Dr. Thomas Bruns, Universität Duisburg · Dr. Elisabeth Clausen-Muradian,<br />

AVE Gesellschaft für Hörfunkbeteiligungen mbH, Hannover · Prof. Dr. Dieter<br />

Dörr, LS für Öffentliches Recht einschl. Völker- und Europarecht, Johannes-Gutenberg-Universität<br />

Mainz · Dr. Christiane Eilders, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung,<br />

Berlin · Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, Bundesverfassungsgericht<br />

Karlsruhe, FB Rechts<strong>wissenschaft</strong> der Universität Hamburg · Prof. Dr. Michael<br />

Jäckel, LS für Konsum- und <strong>Kommunikations</strong>forschung, Universität Trier · Prof. Dr.<br />

Otfried Jarren, Institut für Publizistik<strong>wissenschaft</strong> und <strong>Medien</strong>forschung an der Universität<br />

Zürich, Hans-Bredow-Institut für <strong>Medien</strong>forschung an der Universität Hamburg<br />

· Stefan Jenzowsky, M. A., Institut für <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> (ZW),<br />

Ludwig-Maximilians-Universität München · Prof. Dr. Karl-Heinz Ladeur, European<br />

University Institute, Department of Law, Florenz, FB Rechts<strong>wissenschaft</strong> der Universität<br />

Hamburg · Dr. Udo Michael Krüger, IFEM Institut für empirische <strong>Medien</strong>forschung<br />

GmbH, Köln · Prof. Dr. Hans-Dieter Kübler, FB Bibliothek und Information,<br />

FH Hamburg · Dr. Margret Lünenborg, Institut für <strong>Kommunikations</strong>- und<br />

<strong>Medien</strong><strong>wissenschaft</strong>, Universität Leipzig · Prof. Dr. Roland Mangold, Vertretung des<br />

Lehrstuhls Psychologie III, Universität Mannheim · Prof. Dr. Ulrich Saxer, Universität<br />

Lugano · Britta M. Schultheiss, Institut für <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong> (ZW),<br />

Ludwig-Maximilians-Universität München · PD Dr. Tilmann Sutter, Psychologisches<br />

Institut, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg · Dipl.-Psych. Sabine Trepte,<br />

Institut für Journalistik und <strong>Kommunikations</strong>forschung, Hochschule für Musik und<br />

Theater Hannover<br />

164


Hinweise für Autorinnen und Autoren<br />

Die <strong>wissenschaft</strong>liche Vierteljahreszeitschrift „<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“<br />

(bis Ende 1999 „Rundfunk und Fernsehen – Zeitschrift für <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“)<br />

wird seit 1953 vom Hans-Bredow-Institut herausgegeben<br />

und redaktionell betreut. Die Zeitschrift ist ein interdisziplinäres Forum für theoretische<br />

und empirische Beiträge aus der gesamten <strong>Medien</strong>- und <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>.<br />

Für die Publikation in „<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“ kommen folgende<br />

Textsorten in Betracht:<br />

• Aufsätze sollen ein Moment originärer theoretischer Leistung beinhalten bzw. einen<br />

theoretisch weiterführenden Argumentationsgang bieten;<br />

• Berichte sollen Befunde zu einem ausgewiesenen Problem von theoretischer oder<br />

medienpraktischer Relevanz darstellen;<br />

• Unter der Rubrik Diskussion sollen Beiträge erscheinen, die innerhalb eines <strong>wissenschaft</strong>lichen<br />

Diskurses Position beziehen und die Diskussion voranbringen können.<br />

Dabei können auch spekulative Betrachtungen fruchtbar sein.<br />

• Literaturberichte/-aufsätze sollen Literatur bzw. ausgewählte Literatur zu bestimmten<br />

Problemstellungen systematisch und vergleichend zusammenfassen und<br />

eine Übersicht über den Stand der Theorie und/oder Empirie geben.<br />

Die Redaktion bietet außerdem die Möglichkeit zur Stellungnahme und Erwiderung zu<br />

publizierten Beiträgen der oben genannten Kategorien. Stellungnahmen und Erwiderungen,<br />

die den in „<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“ üblichen inhaltlichen und<br />

formalen Standards entsprechen und geeignet sind, die <strong>wissenschaft</strong>liche Diskussion zu<br />

fördern, werden im nächstmöglichen Heft publiziert. Die Redaktion räumt dabei dem<br />

Autor bzw. der Autorin des Beitrages, auf den sich die Stellungnahme bezieht, die Möglichkeit<br />

einer Erwiderung ein.<br />

Manuskripte, die zur Publikation in „<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>“ eingereicht<br />

werden, dürfen nicht anderweitig veröffentlicht sein und bis Abschluss des Begutachtungsverfahrens<br />

nicht anderen Stellen zur Veröffentlichung angeboten werden.<br />

Im Sinne der Förderung des <strong>wissenschaft</strong>lichen Diskurses und der kumulativen Forschung<br />

sowie der Qualitätssicherung legt die Redaktion bei der Begutachtung von Beiträgen<br />

besonderen Wert darauf, dass größtmögliche Transparenz hinsichtlich der verwendeten<br />

Daten hergestellt wird. Autorinnen und Autoren empirischer Beiträge verpflichten<br />

sich mit der Einreichung des Manuskripts, dass sie die Art und Weise der Datenerhebung<br />

bzw. den Zugang zu Datenbeständen, die von Dritten (z. B. Datenbanken) zur<br />

Verfügung gestellt worden sind, ausreichend dokumentieren, um so die Voraussetzungen<br />

für Sekundäranalysen und Replikationen zu schaffen. Zugleich erklären sie sich bereit,<br />

die verwendeten Daten bei <strong>wissenschaft</strong>lich begründeten Anfragen im Rahmen der jeweils<br />

gegebenen Möglichkeiten für weitere Analysen zur Verfügung zu stellen.<br />

Formalien:<br />

• Manuskripte sind der Redaktion in dreifacher Ausfertigung zuzuschicken.<br />

• Da die eingereichten Manuskripte anonymisiert begutachtet werden, sind zwei Titelblätter<br />

erforderlich: eines mit Angabe des Titels und der Namen und Anschriften<br />

der Autorinnen und Autoren, eines ohne Anführung der Namen und Adressen. Das<br />

Manuskript selbst darf keine Hinweise auf die Autorinnen und Autoren enthalten.


M&K 48. Jahrgang 1/2000<br />

• Beizufügen ist eine kurze Zusammenfassung des Beitrags (max. 15 Zeilen), die dem<br />

Leser als selbständiger Text einen hinreichenden Eindruck vom Inhalt des jeweiligen<br />

Beitrags vermittelt.<br />

• Der Umfang der Beiträge soll 20 Manuskriptseiten (36.000 Zeichen) nicht überschreiten.<br />

• Die Manuskriptseiten müssen im DIN A4-Format (einseitig), anderthalbzeilig beschrieben<br />

und mit ausreichendem Rand versehen sein.<br />

• Gliederung des Textes: Jedes Kapitel und Unterkapitel sollte mit einer Überschrift<br />

(in Dezimalzählung) versehen sein.<br />

• Hervorhebungen im Text sind kursiv oder fett zu kennzeichnen.<br />

• Für Hinweise und Literaturbelege bestehen wahlweise zwei Möglichkeiten:<br />

a) durch Angabe von Autor, Erscheinungsjahr und Seitenziffer im fortlaufenden<br />

Text – z. B.: . . . (Müller, 1990: 37 – 40) . . . –, wobei der vollständige bibliographische<br />

Nachweis über ein Literaturverzeichnis im Anschluss an den Beitrag erfolgt;<br />

b) über durchnumerierte Anmerkungsziffern, wobei der Text der Anmerkung auf<br />

der entsprechenden Seite aufgeführt wird.<br />

Über eine Annahme des Manuskripts und den Zeitpunkt der Veröffentlichung entscheidet<br />

die Redaktion auf der Grundlage redaktionsinterner und externer Gutachten.<br />

Dem/der Autor/in wird die Redaktionsentscheidung schriftlich mitgeteilt. Im Falle einer<br />

Entscheidung für Überarbeitung, Neueinreichung oder Ablehnung legt die Redaktion<br />

die Gründe für ihre Entscheidung offen. Dazu werden die anonymisierten Gutachten,<br />

evtl. auch nur in Auszügen, zugesandt. Das Begutachtungsverfahren ist in der<br />

Regel sechs Wochen nach Eingang des Manuskripts abgeschlossen; falls die Begutachtung<br />

längere Zeit erfordert, werden die Autor/inn/en benachrichtigt.<br />

Von jedem Originalbeitrag werden 20 Sonderdrucke kostenlos zur Verfügung gestellt.<br />

Weitere Sonderdrucke können bei Rückgabe der Fahnenkorrektur an die Redaktion<br />

schriftlich gegen Rechnung bestellt werden.<br />

Verlag und Redaktion haften nicht für Manuskripte, die unverlangt eingereicht werden.<br />

Mit der Annahme eines Manuskripts erwirbt der Verlag von den Autorinnen und Autoren<br />

alle Rechte, insbesondere auch das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen<br />

Zwecken im Wege des fotomechanischen oder eines anderen Verfahrens.<br />

Anschrift der Redaktion: Hans-Bredow-Institut<br />

Heimhuder Straße 21, 20148 Hamburg (Tel. 0 40/45 02 17-41)<br />

<strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong><br />

Herausgegeben vom Hans-Bredow-Institut für <strong>Medien</strong>forschung an der Universität Hamburg<br />

ISSN 0035-9874<br />

Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung,<br />

die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des<br />

Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und<br />

die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, Hamburg 2000. Printed in Germany.<br />

Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich (4 Hefte jährlich), Jahresabonnement 98,– DM, Jahresabonnement<br />

für Studenten 50,– DM (gegen Nachweis), Einzelheft 28,– DM, jeweils zuzügl. Versandkosten<br />

(inkl. MwSt); Bestellungen nehmen der Buchhandel und der Verlag entgegen; Abbestellungen vierteljährlich zum<br />

Jahresende. Zahlung jeweils im Voraus an Nomos Verlagsgesellschaft, Postscheckk. Karlsruhe 736 36-751 und<br />

Stadtsparkasse Baden-Baden, Konto 5-002 266.<br />

Verlag und Anzeigenannahme: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, 76520 Baden-Baden,<br />

Telefon: (0 72 21) 21 04-0, Telefax: 21 04 27.


M&K 2000/1 <strong>Medien</strong> & <strong>Kommunikations</strong><strong>wissenschaft</strong>

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