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Titelthema<br />
Kunstdünger<br />
2 Kunstdünger? Kunstdünger!<br />
2 Kulturgeschichte des Kunstdüngers<br />
3 Leipziger Kulturvereine im Profil<br />
6 Das Leben des Kunstfälschers Edgar Mrugalla<br />
7 Porträt über den Leipziger Auftragsmaler Michael Schreckenberger<br />
8 Zu Besuch bei der Schriftklasse der HGB<br />
Elfenbeinturm<br />
Neues aus dem Institut<br />
10 Interview mit Monika Nachtwey<br />
13 Seminarrezension ›Bestattungskultur‹<br />
14 Kuwitag am 6.6.2009 im Kultiviert Anders! e.V.<br />
16 Interview mit Dr. Ewa Tomicka-Krumrey vom GWZO<br />
Studentenfutter<br />
studentische Angelegenheiten<br />
17 Buchrezension ›Wir sind die Stadt!‹<br />
19 Erasmus in London<br />
21 KuWi-Masterstudiengänge<br />
23 Magisterarbeit über nonverbalen Humor<br />
24 Interview mit Kunsthistoriker Moritz Lampe<br />
26 Baumpatenschaftsprojekt anlässlich des 600. Jubiläums der Uni Leipzig<br />
The Real World<br />
Praktisches aus dem wahren Leben<br />
27 Praktikum am Gewandhaus<br />
28 mephisto 97.6 – story of an insider<br />
30 Interview mit euro-scene-Direktorin Ann-Elisabeth Wolff<br />
Eigensinn<br />
Sinniges und Unsinniges von der Redaktion<br />
32 Einräumen<br />
33 Am Deich<br />
34 Rätsel<br />
36 Impressum
Titelthema<br />
Faksimile der 3. Auflage<br />
von Justus Liebigs<br />
›chemischen Briefen‹ ist<br />
unter www.archive.org/<br />
details/chemischebriefe<br />
00liebuoft erhältlich.<br />
Die Geschichte von Entdecker<br />
Humboldt und<br />
Gauß erzählt kurzweilig<br />
und preisgekrönt<br />
Daniel Kehlmanns<br />
›Vermessung der Welt‹.<br />
Thaer, Albrecht Daniel,<br />
Grundsätze der<br />
rationellen Landwirtschaft,<br />
4 Bde., Berlin<br />
1809 – 1812.<br />
Reisebeschreibungen<br />
und wissenswertes<br />
zu Thaer und seinem<br />
Leben in Brandenburg<br />
bei Fontane, Theodor,<br />
Wanderungen<br />
durch die Mark Brandenburg,<br />
8 Bde., Bd. 2<br />
Oderland. Barnim Lebus,<br />
Aufbau-Verlag 2005.<br />
Kunstdünger?<br />
Kunstdünger! Maja Neumann<br />
Beim Thema Kunstdünger, wie bei den<br />
meisten Titelthemen, gehen die Gedanken<br />
und Assoziationen der Redakteure oft<br />
ziemlich weit auseinander. Das ist auch<br />
gut so, denn das belebt sozusagen das Ge-<br />
schäft und unser Magazin. Düngemittel be-<br />
schleunigen das Wachstum von Kultur-<br />
pflanzen. Frei assoziiert muss Dünger<br />
nicht immer chemisch oder organisch<br />
sein, sondern in unserem Fall sind auch<br />
Leipzigs Kulturvereine Treibstoff für die<br />
lokale Kulturszene, sind Auftragsmaler<br />
und Kunstfälscher auch Dünger für die<br />
Kunstszene.<br />
Die künstlichen Düngemittel die hier nun<br />
doch nicht ganz so ausführlich beschrieben<br />
werden sollen, sind die Drogen und<br />
Halluzinogene, die so mancher Student<br />
doch immer wieder auf Partys und Festi-<br />
vals, ja selbst im Städteurlaub in fremden<br />
Ländern angeboten bekommt. Ob sich letz-<br />
ten Endes nur Puderzucker im Tütchen be-<br />
fand, wollte ich auch für einen Artikel nicht<br />
testen, daher folgt hier nun doch kein aus-<br />
führlicher Bericht zu Drogen als Düngemit-<br />
tel in der Musikszene und dergleichen. Ob<br />
und inwiefern hier auch die Musik-, Fes-<br />
tival-, und Clubkultur durch diese Kunst-<br />
düngemittel belebt und angeregt wird,<br />
muss daher leider erstmal offen bleiben.<br />
Dennoch wurden einige ausgewählte Artikel<br />
zum Titelthema zusammengetragen<br />
und wir hoffen, dass diese Anklang finden<br />
werden.<br />
Viel Spaß also in der Kulturszene und bei<br />
den Kunstfälschern und auch beim Ausflug<br />
in die Kulturgeschichte des Kunstdüngers.<br />
Ohne Kunstdünger<br />
keinen Rübenzucker!<br />
Die Erfindung des Kunstdüngers<br />
aus kulturhistorischer und<br />
konsumgeschichtlicher Perspektive<br />
von Juliane Scholz<br />
Für eine knappe historische Betrachtung<br />
dessen, was die moderne Landwirtschaft<br />
ausmacht, nämlich Kunstdünger und<br />
Fruchtfolge, die im 19. Jahrhundert mit ex-<br />
plosionsartiger Zunahme des Zuckerrü-<br />
benanbaus Preußen zum ›Zuckerrübenstaat‹<br />
krönte, dürfen zwei Namen nicht fehlen:<br />
Albrecht Daniel Thaer (1752 – 1828)<br />
und Justus Liebig (1803 – 1873). Beide<br />
fundierten, jeder auf seinem Gebiet, fast<br />
beiläufig die moderne Landwirtschaft.<br />
Thaer, Sohn eines Hofmedicus, schrieb<br />
seine ebenfalls medizinische Dissertation<br />
in Göttingen 1774 und ließ sich in sei-<br />
nem Heimatort Celle als praktischer Arzt<br />
nieder. Schon während seines Studiums<br />
der Chirurgie war er bald der Pathologie<br />
zugeneigt, da er beim Anblick von Blut<br />
regelmäßig in Ohnmacht fiel. Thaer interessierte<br />
sich zunehmend für Blumenzucht<br />
und Kreuzungsexperimente in seinem<br />
geräumigen Garten. Bald reichte<br />
der Garten nicht mehr aus und es musste<br />
ein Stück Land vor den Toren Celles<br />
gepachtet werden, wobei im Laufe der<br />
Jahre einige Morgen mehr dazu kamen.<br />
Thaer verfiel der Gärtnerei, blieb aber<br />
dennoch Arzt. 1786 ernannte man ihn so-<br />
gar zum Leibarzt von König Georg III.,<br />
dennoch trieb ihn der Ruf in die Natur. Er<br />
fragte sich, wie man Felder ergiebiger und<br />
besser beackern könnte und entnahm<br />
immer öfter Bodenproben, um die Zusam-<br />
mensetzung der Erde fruchtbarer machen<br />
zu können.<br />
Hier nun kommt Justus Liebig ins Spiel,<br />
der Wegbereiter der noch jungen Chemie.<br />
Hatte Thaer noch auf organische Dünger<br />
wie Guano gesetzt, basierte Liebigs Theorie<br />
von der Mineraldüngung auf der anorganischen<br />
Natur der Pflanzennahrung<br />
(aus K, Ca, Mg, P, S, Fe). Die bekannten<br />
Formeln auf Düngerfläschchen sind so<br />
leicht zu entschlüsseln: Das kryptische<br />
›N-P-K‹ auf der Pflanzennahrung ist also<br />
Dünger mit Stickstoff (N), Phosphat (P)<br />
und Kalium (K), meist sind die Mischungs-<br />
verhältnisse mit angegeben. Und deswe-<br />
gen jeder Pflanze ihren Dünger und jedem<br />
Boden eine besondere Behandlung.<br />
Liebig erkannte allerdings noch nicht die<br />
Bedeutung des Stickstoffs, dies gelang<br />
erst Emil Wolff (1818 – 1896). Seine ›che-<br />
mischen Briefe‹ aus dem Jahr 1844 legen<br />
jedoch den Grundstein der anorganischen<br />
Chemie und den Schluss nahe, dass von<br />
nun an Mineral- bzw. Kunstdünger bessere<br />
Erträge bringen könnte. Thaer hingegen<br />
floh 1804 wegen der napoleonischen Be-<br />
freiungskriege in die Mark Brandenburg<br />
nach Preußen und gründete in Möglin<br />
am Rande des Oderbruchs 1806 die ers-<br />
te deutsche landwirtschaftliche Lehran-<br />
stalt, in der er auch sein Hauptwerk ›Grund-<br />
sätze der rationellen Landwirtschaft‹ ver-<br />
fasste. So schreibt Thaer zum Begriff ›Land-<br />
wirtschaft‹, der Kulturwissenschaftler in<br />
seinem Ursprung ›Agricultur‹ doch an sein<br />
Wirkungsfeld erinnern sollte: » […] Die voll-<br />
kommenste Landwirtschaft ist die, welche<br />
den möglich höchsten, nachhaltigen Ge-<br />
winn aus ihrem Betriebe zieht. Nicht die<br />
möglich höchste Produktion, sondern der<br />
höchste reine Gewinn, nach Abzug der Kos-<br />
ten, ist Zweck des Landbaus.« Diese unternehmerische<br />
Sichtweise auf Produktion<br />
und Erträge setzte sich erst nach Ende<br />
des 2. Weltkriegs wirklich durch, obwohl<br />
schon 1862 der erste Lehrstuhl für Agrar-<br />
wissenschaften in Halle gegründet wurde.<br />
Dies geschah auf Forderungen Liebigs,<br />
der eine stärkere Akademisierung und Pro-<br />
fessionalisierung angemahnt hatte. So<br />
entstanden dank des Chemikers Liebig<br />
und des Mediziners und Landwirts Thaer<br />
die heute so beiläufig benutzten ›Kunstdünger‹.<br />
Diesen benutzte man seit Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts als ›Chilesalpeter‹,<br />
da man die Lagerstädten des Stoffes von<br />
Entdecker Alexander von Humboldt, der<br />
sie 1804 angelegt hatte, erst zu diesem<br />
Zeitpunkt gefunden hatte. Der Krieg tat<br />
sein übriges, denn die Knochen der Gefal-<br />
lenen wurden der ersten deutschen Super-<br />
phosphatfabrik in Lehrte zugeführt. Auch<br />
hier war Liebig inzwischen Aufsichtsrat.<br />
Jedoch konnte sich die Mineraldüngung<br />
erst seit Ende des 19. Jahrhunderts in Eu-<br />
ropa durchsetzten. Ohne den so genan-<br />
nten ›Kunstdünger‹ wäre wohl eine Ernäh-<br />
rung zu Zeiten der Industriellen Revolution<br />
mit ihrer Bevölkerungsexplosion gar nicht<br />
vorstellbar gewesen.<br />
Kultureller Nährboden<br />
Eine kleine Auswahl an Leipziger<br />
Kunstvereinen<br />
D21 Kunstraum<br />
Von Jenny Schönherr und<br />
Johanna Puchta<br />
Fotos: Jenny Schönherr,<br />
Kultiviert Anders!, Tom Bailey<br />
Gründung: April 2006<br />
Mitgliederzahl: ca. 30<br />
Mitgliedsbeitrag: 15/30 Euro pro Jahr<br />
Vorstand: Michael Moser, Constanze<br />
Müller, Jette Blümler, Regine Ehleiter<br />
Der Leipziger Kunstverein D21 gründete<br />
sich 2006 als alternativer Raum für zeitgenössische<br />
Kunst. In den Räumen eines<br />
Wächterhauses am Lindenauer Markt<br />
wird seitdem vor allem experimentelle<br />
Kunst junger, noch unbekannter Künstler<br />
aus dem In- und Ausland gezeigt. Die Reihe<br />
D21 Lab bietet den Künstlern die Möglichkeit,<br />
sich auszuprobieren und durch<br />
eine Ausstellung in Eigenregie ihre Werke<br />
der Öffentlichkeit zu präsentieren. Darüber<br />
hinaus organisiert der Kunstverein<br />
vier bis sechs kuratierte, überwiegend<br />
thematische Gruppen-Ausstellungen im<br />
Jahr.<br />
In der nächsten Ausstellung werden vom<br />
21. Oktober bis zum 1. November als Teil<br />
der Reihe D21 Lab Fotografien von Fabian<br />
Bechtle und Jan Mammey zu sehen sein.<br />
Umrahmt werden die Ausstellungen von ei-<br />
nem vielfältigen Veranstaltungsprogramm<br />
mit Lesungen, Performances, Experimen-<br />
talmusik-Konzerten und der Experimental-<br />
filmreihe, die jeden ersten Donnerstag<br />
im Monat stattfindet.<br />
Der Kunstraum D21 lebt vor allem vom<br />
ehrenamtlichen Engagement seiner Mitglieder<br />
und finanziert sich durch private<br />
Kunstförderer und öffentliche Fördermittel,<br />
die im Rahmen von Projektanträgen<br />
akquiriert werden. Laufende Betriebs-<br />
und Veranstaltungskosten werden aus<br />
den jeweiligen Erlösen und Mitgliedsbeiträgen<br />
gedeckt.<br />
Der künstlerische Leiter Michael Arzt be-<br />
2 3<br />
Titelthema<br />
Die D21-Vorstandsmitglieder<br />
Regine<br />
Ehleiter und Michael<br />
Moser vor den<br />
Räumen des Kulturvereins<br />
in der<br />
Demmeringstraße 21<br />
D21<br />
Demmeringstraße 21<br />
04177 Leipzig<br />
www.d21-leipzig.de
Titelthema<br />
Sprachlos Leipzig<br />
Ubiquity Theatre<br />
Kurt-Schumacher-Str. 49<br />
04105 Leipzig<br />
www.sprachlos-leipzig.de<br />
Doppelplusgut e.V.<br />
Kappellenstraße 16<br />
04315 Leipzig<br />
www.doppelplusgutleipzig.blogspot.com/<br />
stimmt das Profil des D21, doch es gibt<br />
für jeden, der Lust hat, viele Möglichkeiten,<br />
sich persönlich einzubringen. Eine<br />
Mitarbeit bei Projekten oder auch auf<br />
Dauer kann als Praktikum angerechnet<br />
werden.<br />
Sprachlos<br />
Gründung: Oktober 2007<br />
Gründer: Tom Bailey<br />
Mitglieder: ca. 20 Leute<br />
Mitgliedschaft kostenlos<br />
Vor acht Jahren kam der englische Theaterdirektor<br />
Tom Bailey aus Manchester<br />
über ein kulturelles Austauschprojekt<br />
nach Leipzig – und verliebte sich in die<br />
Stadt. Im September 2007 zog er dauerhaft<br />
hierher und rief das gemeinnützige<br />
Theater ›Sprachlos‹ ins Leben, das<br />
sich im Moment noch in der Phase der<br />
Vereinsgründung befindet. Das Projekt<br />
soll Laienschauspielern die Möglichkeit<br />
bieten, Theater auf möglichst professionellem<br />
Niveau zu spielen, ganz im Sinne<br />
der community theatres in England.<br />
Tom Bailey verfolgt eine ›open-door-policy‹:<br />
Jeder, der möchte, kann mithelfen<br />
und seine Ideen einbringen. Ziel des The-<br />
aterprojektes ist es, durch Teamwork, Em-<br />
pathie und Selbstvertrauen Brücken zwischen<br />
verschiedenen sozialen Gemeinschaften<br />
zu schlagen. Die Teilnehmer um-<br />
fassen daher alle Altersgruppen zwischen<br />
17 und 50 Jahren und kommen aus den<br />
unterschiedlichsten sozialen Milieus.<br />
Die erste Initiative von Sprachlos war ein<br />
Projekt in Zusammenarbeit mit der LVB im<br />
Sommer 2007. 28 Laiendarsteller, mit<br />
selbst gebastelten Masken verkleidet, er-<br />
zählten in Leipziger Straßenbahnen ihre<br />
persönliche Geschichte über Leipzig.<br />
Auch beim Leipziger Straßentheaterfestival<br />
war Sprachlos bereits zweimal dabei.<br />
Im vergangenen Jahr präsentierte die The-<br />
atergruppe eine 15minütige Version von<br />
König Drosselbart, die nur aus deutschen<br />
Sprichwörtern bestand. Dieses Jahr führte<br />
Sprachlos in Zusammenarbeit mit der<br />
Leipziger International School ›Das Tagebuch<br />
der Anne Frank‹ auf.<br />
Anfang 2010 wird Sprachlos sein neuestes<br />
Projekt an einem noch geheimen Ort<br />
präsentieren: Ein Märchen für Erwachsene,<br />
das erzählt, was in Leipzig passiert,<br />
nachdem der letzte Nachtbus um 3.33<br />
Uhr abgefahren ist. Statuen aus verschie-<br />
denen geschichtlichen Epochen wie der<br />
Gründerzeit, der Zeit von Johann Sebastian<br />
Bach oder der Wendezeit werden lebendig<br />
und erzählen, wie sie Leipzig erleben.<br />
Das Stück hat die Gruppe selbst<br />
geschrieben.<br />
Bisher waren alle Projekte für die Teilnehmer<br />
kostenlos. Tom Bailey, der in Leipzig<br />
als Englischlehrer arbeitet, kam bis auf<br />
wenige Ausnahmen für die anstehenden<br />
Kosten selbst auf. Sobald Sprachlos ein<br />
eingetragener Verein ist, will Tom Bailey<br />
jedoch Förderungen für seine jeweiligen<br />
Projekte beantragen.<br />
Sprachlos freut sich über jeden neuen<br />
Interessenten. Ein offizielles Praktikum<br />
kann hier bis zur Vereinsgründung noch<br />
nicht absolviert werden, aber ein Zeugnis<br />
über die Mitarbeit stellt Tom Bailey<br />
gerne aus.<br />
Doppelplusgut e.V.<br />
Gründung: Juli 2008<br />
Mitglieder: ca. 10<br />
Mitgliedschaft kostenlos<br />
Vorstand: Sebastian Gerdes, Paul Renk,<br />
Christina Waldvogel, Annika Bauer,<br />
Steffen Grosser, Claudia Koch, Marcel<br />
Hennes, Katrin Becker, Katharina Gahlert<br />
Die Idee, einen Kulturverein in Reudnitz<br />
zu eröffnen, um das Stadtviertel aufzuwer-<br />
ten, kam einigen Studenten vom FSR Ger-<br />
manistik im Frühjahr 2008. Der Name<br />
›Doppelplusgut‹ ist an den Roman ›1984‹<br />
von George Orwell angelehnt.<br />
Doppelplusgut will kreativen Menschen<br />
Raum für kulturelle Projekte unterschiedlichster<br />
Art zur Verfügung stellen. So veran-<br />
staltet der Kulturverein zum Beispiel wech-<br />
selnde Ausstellungen, Lesungen und Kon-<br />
zerte. Im vergangenen März richtete Doppelplusgut<br />
sogar ein kleines Jazzfestival<br />
in seinen Räumen aus. Außerdem beteiligte<br />
sich der Verein an der Ausstellung<br />
›Bei uns doch nicht!‹ über Rechtsradikale<br />
Übergriffe mit Hörbeispielen.<br />
Jeden Freitag findet ein Filmabend mit<br />
wechselnden Themen statt. Dienstags<br />
gibt es außerdem eine Volksküche: Ab<br />
20 Uhr kann man hier gegen eine kleine<br />
Spende vegetarisch und manchmal auch<br />
vegan essen.<br />
Volksküche bei Doppeltplus Gut:<br />
Christina Waldvogel mit ihren Vorstandskollegen<br />
Sebastian Gerdes und Paul Renk<br />
Die Finanzierung der Projekte und Räumlichkeiten<br />
erfolgt vor allem über kulturelle<br />
Veranstaltungen und Getränkespenden.<br />
Bis heute engagieren sich bei Doppelplus<br />
gut ausschließlich Studenten. Der Verein<br />
freut sich über jede Unterstützung. Die<br />
wöchentliche Vereinssitzung – jeden Frei-<br />
tag ab 19 Uhr – ist für jedermann offen.<br />
Praktische Mithilfe kann als Praktikum<br />
angerechnet werden.<br />
Kultiviert Anders!<br />
Gründung: Oktober 2006<br />
Mitglieder: 25 – 30<br />
Mitgliedsbeitrag: 12/24 Euro pro Jahr<br />
In geselliger Runde bei einem gemütlichen<br />
Glas Bier hatten einige Leipziger Kuwi-Studenten<br />
im Herbst 2006 die Idee,<br />
ihre theoretischen Kenntnisse des Studiums<br />
in die Praxis umsetzen zu wollen.<br />
Kurzerhand gründeten sie den Kulturver-<br />
ein ›Kultiviert Anders!‹. Nachdem im Erdgeschoss<br />
eines Wächterhauses in Plagwitz<br />
die geeigneten Räumlichkeiten gefun-<br />
den und diese eigenhändig von den Grün-<br />
dungsmitgliedern ausgebaut worden wa-<br />
ren, fand 2006 die erste legendäre ›Baustellen<br />
– Eröffnungsparty‹ statt. Mit dem<br />
Grundgedanken ›Vielfalt – alles ist möglich‹<br />
will der Verein regionalen, noch unbe-<br />
kannten Künstlern eine Plattform bieten,<br />
sich darzustellen.<br />
Kultiviert Anders! entwirft jeden Monat ein<br />
Programm aus vier bis fünf Veranstaltungen<br />
wie Lesungen, Theateraufführungen,<br />
Ausstellungen und Konzerte. Nicht nur<br />
Künstler, die hier das erste Mal vor Publikum<br />
auf einer Bühne stehen, sondern<br />
auch bekannte Größen wie Manfred Maul-<br />
bracher oder Konrad Küchenmeister gestalten<br />
die vielseitigen Events des Vereins<br />
mit. Auch Lesungen, zum Beispiel im Rah-<br />
men der Leipziger Buchmesse, finden hier<br />
statt. Die Finanzierung des Vereins erfolgt<br />
ausschließlich über Sponsoren, Förderer<br />
und Veranstaltungsentgelte.<br />
Da die Vereinsmitglieder im Herbst jedoch<br />
in das Berufsleben eintreten, wird das re-<br />
gelmäßige Programm von Kultiviert Anders!<br />
ab November 2009 bis auf einzelne,<br />
unregelmäßig stattfindende Veranstaltun-<br />
gen eingestellt.<br />
Das vorläufig letzte Veranstaltungshigh-<br />
4 5<br />
Titelthema<br />
Kultiviert Anders!<br />
Zschochersche Str. 61<br />
/ Wächterhaus<br />
04229 Leipzig<br />
www.kultiviertanders.de
Titelthema<br />
Edgar Mrugalla<br />
© Kerstin Daras (2)<br />
light wird daher eine Vernissage mit Konzert<br />
am 10. Oktober sein. Der Leipziger<br />
Künstler Lysson präsentiert in der Ausstel-<br />
lung ›Traumwelten‹ seine Bilder, die er<br />
selbst als ›photorealistischen Surrealis-<br />
mus‹ bezeichnet. Den musikalischen Rah-<br />
men bilden die Bands Live from Las Ve-<br />
gas‹ und ›Elsterclub‹.<br />
Am 24. Oktober wird dann die letzte Abschlussveranstaltung<br />
des Vereins in den<br />
Räumen des Wächterhauses stattfinden<br />
– eine Gelegenheit, die man auf keinen<br />
Fall verpassen sollte!<br />
»Ich habe in meinem<br />
Leben schon vieles<br />
falsch gemacht – vor<br />
allem Bilder «<br />
Edgar Mrugalla, König der Kunstfälscher<br />
von Franziska Burstyn<br />
Das Leben Edgar Mrugallas ist bereits auf<br />
einen Blick alles andere als geradlinig<br />
oder eintönig. Allein der Name des Künst-<br />
lers, dessen Werke heutzutage ganz legal<br />
zu erwerben sind und bereits auf zahlreichen<br />
Ausstellungen zu bewundern waren,<br />
hat einen zwiespältigen Beigeschmack,<br />
denn er wird auch als ›König der Kunstfälscher‹<br />
bezeichnet. Und so nobel dieser<br />
Titel auch anmuten mag, so bezieht er sich<br />
doch auf die zwar geniale, aber illegale<br />
Tätigkeit seines früheren Lebens, die letzt-<br />
endlich von der Kripo aufgedeckt wurden<br />
und einen unermesslichen Schatz an Fäl-<br />
schungen zu Tage beförderte. Unter den<br />
beschlagnahmten Werken befanden sich<br />
unter anderem auch Duplikate weltberühmter<br />
Künstler wie Rembrandt oder Picasso,<br />
wobei besonders die Druckgra-<br />
phiken Mrugallas von erstklassiger Qualität<br />
zeugten. Trotz der Aufdeckung seiner<br />
Machenschaften behauptet Mrugalla,<br />
dass noch immer zahlreiche seiner Werke<br />
unerkannt in Museen und Galerien im<br />
Umlauf seien.<br />
Während diese Geschichte des großen<br />
Kunstfälschers nach der eines Genies<br />
klingt, verlief Mrugallas Leben doch bis zu<br />
dieser gipfelnden Entlarvung eher unauf-<br />
fällig und bescheiden. Nach einer eher<br />
dürftigen Schulausbildung übte er eine end-<br />
los lange Reihe von Aushilfsjobs aus, da-<br />
runter Hilfsbootsbauer, Bimmeljunge, Hei-<br />
zer, Kohle-, Öl- und Zeitungsfahrer, Tannen-<br />
händler und sogar Preisboxer. Als er 1968<br />
dann einen Trödelladen in Berlin eröffnete,<br />
in dem ihm zahlreiche wertvolle Antiquitäten<br />
und Gemälde von Kunsthändlern<br />
unter Wert abgeluchst wurden, begann er<br />
dann allmählich, sich mit der Malerei und<br />
auch mit der Restauration von Ölgemälden<br />
zu befassen – der Beginn einer Leidenschaft.<br />
In den darauffolgenden Jah-<br />
ren beschäftigte er sich nun intensiv mit<br />
der Malerei und fertigte eigene Kopien<br />
von großen Kunstwerken an, die bei den<br />
Händlern großen Anklang fanden und Mrugalla<br />
neben der Restauration zusätzlich<br />
Geld einbrachten. Ausgerechnet als er<br />
echte Kreidezeichnungen von Otto Müller<br />
bei einer Entrümpelung fand, wurde ein<br />
Kunsthändler aufgrund der hohen Anzahl<br />
misstrauisch und zeigte Mrugalla bei der<br />
Polizei an. Es folgte ein langwieriger Prozess,<br />
in dem Mrugalla zwar seine Unschuld<br />
beweisen konnte und letztendlich<br />
freigesprochen wurde, sein Name als Anti-<br />
quitätenhändler allerdings nahm großen<br />
Schaden. 1980 zog er sich aufgrund des-<br />
sen auch bald nach dem Prozess in ein<br />
kleines Dorf Schleswig-Holsteins zurück<br />
und führte sein Leben als Kunstfälscher<br />
zur Perfektion, in dem er um die 3000<br />
Werke kopierte, die durch diverse Galer-<br />
isten, Kunsthändler und Betrüger in Umlauf<br />
gebracht wurden. Sieben Jahre spä-<br />
ter wurde der Schwindel dann letztendlich<br />
von der Kripo aufgedeckt, woraufhin<br />
eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren<br />
folgte. Gerade durch dieses Auffliegen<br />
machte er sich einen Namen als großen<br />
Kunstfälscher, und wurde nunmehr mit An-<br />
erkennung, nicht aber mit Missmut bege-<br />
gnet. So folgten auch zahlreiche, ganz lega-<br />
le Ausstellungen seiner Werke, wobei die<br />
Fälschungen nun natürlich als solche gekennzeichnet<br />
sind.<br />
Seit April dieses Jahres sind in einem Düs-<br />
seldorfer Antiquariat Gemälde und Graphiken<br />
von Edgar Mrugalla zu bestaunen<br />
und zu erwerben. Auch auf Ebay kann man<br />
eine Auswahl seiner Werke ersteigern.<br />
Diese sind zwar zu einem großen Teil immer<br />
noch mit namenhaften Kunstwerken<br />
in Verbindung zu bringen, aber keineswegs<br />
mehr bloße Duplikate. So kann es passieren,<br />
dass man glaubt, einen originalen<br />
Franz Marc vor sich zu haben, dessen<br />
Motiv gänzlich unbekannt zu sein scheint.<br />
Im Gegensatz zu den originalen sind die<br />
Werke Mrugallas allerdings schon ab<br />
35 Euro für einen Holzschnitt relativ erschwinglich.<br />
Und wer kann schon behaup-<br />
ten einen echten Mrugalla in seiner Woh-<br />
nung hängen zu haben, dessen Werke<br />
sich möglicherweise noch heute Seite an<br />
Seite einen Platz mit denen weltberühmter<br />
Künstler teilen?<br />
Das Streben nach<br />
Vielseitigkeit<br />
Trotz Wirtschaftskrise geben immer<br />
noch viele Leipziger Bürger Gemälde bei<br />
Maler Michael Schreckenberger<br />
in Auftrag<br />
von Jenny Schönherr<br />
Michael Schreckenberger wurde am 31.<br />
03.1978 in Leipzig geboren. Bereits während<br />
seiner Schulzeit entwickelte er ein<br />
ausgeprägtes Bildverständnis, so dass sei-<br />
ne Skizzen und Zeichnungen bald auf Ver-<br />
anstaltungen gezeigt und prämiert wurden.<br />
Nach der Schule absolvierte Schreckenberger<br />
eine Ausbildung zum Gas- und<br />
Wasserinstallateur, jedoch lediglich um<br />
seine finanzielle Existenz zu sichern. Wäh-<br />
rend dieser Zeit reifte in ihm der Wunsch,<br />
ein eigenes Atelier aufzubauen, da ihm die<br />
Kunst neue Perspektiven und Platz für sei-<br />
ne geistige Entfaltung bot. So eröffnete<br />
er im Februar 2004 das ›Atelier Nord‹ in<br />
der Berliner Straße. Einerseits schaffte<br />
er sich hier eine Präsentationsplattform<br />
für seine eigenen Werke – zu seinen wenigen<br />
Vorbildern zählen die Künstler Edward<br />
Hopper und Hans Werner Sahm. Seit<br />
dem Ausbau des Atelies zur Galerie bietet<br />
Schreckenberger darüber hinaus aber<br />
auch anderen Künstlern aus der Region<br />
sowie Schülern aus den Bereichen Gestal-<br />
tung und Design eine Räumlichkeit zur<br />
Kreativitätsentfaltung. Für Schüler und<br />
Studenten von Grafik- und Design-Hochschulen<br />
bietet das Atelier auch die Möglichkeit<br />
eines Praktikums an.<br />
Die Idee zur Auftragsmalerei kam Schreckenberger<br />
aus einer ökonomischen Not-<br />
wendigkeit heraus. Aber auch »die Heraus-<br />
forderung, verrückte Sachen anzunehmen«<br />
– so der Künstler – trug zu seiner Ent-<br />
scheidung für diesen Nebenerwerb bei.<br />
Die Aufträge erhält er von Kunden aller<br />
Einkommens- und Altersschichten. Nicht<br />
nur Firmenkunden, welche ihre Büroräu-<br />
me, Hotelzimmer oder Restaurants aus-<br />
gestalten wollen, sondern auch Privatkunden<br />
geben Urlaubsfotos, Hochzeitsbil-<br />
der oder das Porträt eines verstorbenen<br />
Angehörigen zum Abmalen in Auftrag.<br />
»Die Menschen sind trotz Wirtschaftskrise<br />
immer noch bereit, Geld für individuelle,<br />
besondere Arbeiten auszugeben«,<br />
erzählt Schreckenberger. Ein solches individuell<br />
angefertigtes Bild kostet zwar<br />
nicht wenig, bleibt aber bezahlbar.<br />
Schreckenbergers Werke spiegeln Viel-<br />
schichtigkeit, Flexibilität und den Wunsch<br />
nach kompromissloser Veränderung wieder.<br />
Auch ohne hochgradigen Kunstabschluss<br />
beweist er mit seiner experimentierfreudigen<br />
Malerei, dass er durchaus<br />
mit Flächenstrukturierung, Komposition,<br />
Farbmischung und Lichteffekten umge-<br />
hen kann. Seine Kunst zeichnet sich durch<br />
6 7<br />
Titelthema<br />
Michael Schreckenberger<br />
bei der Bearbeitung<br />
einer Skulptur<br />
Atelier Nord<br />
Berliner Straße 12<br />
04105 Leipzig<br />
www.ateliernordleipzig.de
Titelthema<br />
Arbeit von Michael<br />
Schreckenberger<br />
vergrabene Phantasiekonstruktionen, re-<br />
alistische Architektur und dem Symbolwert<br />
von allgemeinem Weltschmerz aus.<br />
Schreckenbergers Markenzeichen, das<br />
sich auf vielen seiner Werke wieder findet,<br />
ist ein Streichholz. Es steht für die Natürlichkeit,<br />
da es lediglich aus den zwei<br />
unverfälschten Elementen Holz und<br />
Schwefel besteht. Der Mensch als Objekt<br />
bleibt in seinen Werken meist sekundär.<br />
Aus Zeitmangel gibt Schreckenberger<br />
einige seiner Aufträge auch an andere<br />
Künstler ab und gewinnt dadurch Zeit für<br />
seine eigenen Kunstarbeiten. Auftragsmalerei<br />
sowie Fassadengestaltung bleiben<br />
jedoch für die Kostendeckung der Ga-<br />
lerie eine Notwendigkeit. Darüber hinaus<br />
engagiert sich der Leipziger Künstler<br />
auch für gemeinnützige soziale Projekte.<br />
Hierzu zählt das durch die Europäische<br />
Union geförderte Projekt zur Schaffung<br />
eines ›Parthe Kunstparcours‹ unter<br />
dem Titel: ›Stadt, Land, Kunst‹, für welches<br />
ständig neue Projekte von anderen<br />
Künstlern gesucht werden, die sich hier<br />
verwirklichen wollen. Ein weiteres soziales<br />
Projekt betrifft das Anlegen verschiedener<br />
Bastel- und Malstrassen für Jung<br />
und Alt auf Stadtfesten.<br />
Auch das Fertigen von Skulpturen gehört<br />
zu Schreckenbergers Leidenschaften. Ne-<br />
ben Gasbeton und Metall verwendet er<br />
dafür Holz, welches er nicht nur mit Stech-<br />
beitel und Holzhammer, sondern bisweilen<br />
auch mit der Kettensäge bearbeitet.<br />
Die Herausforderung liegt dabei in der Grob-<br />
heit dieser Maschine. Das Produkt soll<br />
den emotionalen Zustand des Künstlers<br />
während des Schaffungsprozesses widerspiegeln.<br />
Im Laufe seiner künstlerischen Karriere<br />
hat Schreckenberger schon viele unterschiedliche<br />
künstlerische Projekte absol-<br />
viert. Zu seinen Referenzen zählen unter<br />
anderem die Ausstellung ›Licht und Raum‹<br />
im Lichtspielhaus Berlin in den Fischerhauspassagen<br />
im Jahre 2004, der Bau ei-<br />
ner Steinpictogramm-Pyramide an der Par-<br />
the in Borsdorf, sowie die Gestaltung des<br />
Hotels ›Palace‹ in Kopenhagen in Zusam-<br />
menarbeit mit anderen Künstlern 2008.<br />
Noch bis Ende des Jahres wird sich das<br />
Atelier Nord in den Räumen in der Berliner<br />
Straße befinden. Momentan ist der Künst-<br />
ler auf der Suche nach neuen Räumlich-<br />
keiten, diese werden dann Anfang 2010<br />
auf der Homepage zu finden sein.<br />
Schrift im Feld<br />
digitaler Medien<br />
Zu Besuch bei der Schriftklasse<br />
der Hochschule für Grafik und<br />
Buchkunst<br />
Von Maria Jakob<br />
Es gibt eine Klasse in der Hochschule für<br />
Grafik und Buchkunst, da sitzen die Studenten<br />
jeder vor einem Rechner und schei-<br />
nen etwas zu programmieren – und es sind<br />
nicht die Medienkünstler. Da fragt man<br />
sich: Ist das Kunst, was die da machen?<br />
Genau das fragen sich die, die da sitzen,<br />
oft selbst.<br />
Die Klasse für ›Schrift im Feld digitaler<br />
Medien‹ ist die einzige ihrer Art in Deutsch-<br />
land und auch innerhalb der HGB ein rech-<br />
tes Mysterium. Außenstehende verwechseln<br />
sie zudem häufig mit der Typographie-<br />
Klasse. Doch anders als in der Typographie<br />
geht es hier nicht um die Anwendung<br />
von und die Gestaltung mit Schrift, sondern,<br />
viel grundlegender, um den Entwurf<br />
von Schrift selbst, um die Gestaltung von<br />
Buchstabenformen.<br />
»Ich mag Schriftgestaltung, weil es die<br />
kleinste Arbeit ist, die man innerhalb der<br />
Gestaltung machen kann. Die Architektur<br />
ist das Größte, und die Schrift das Kleinste.“<br />
Aurelia ist, wie viele in der Klasse,<br />
eher zufällig dort gelandet. Die wenigsten<br />
kommen mit der erklärten Absicht, Schrift-<br />
gestaltung zu studieren an die HGB. Eher<br />
mit einer diffusen Neigung in Richtung<br />
Grafik-Design. Im gemeinsamen Grundstudium<br />
des Fachbereichs Buchkunst und<br />
Grafik-Design kommen sie dann zum ers-<br />
ten Mal auf elementare Weise mit Schrift<br />
in Kontakt, schneiden aus Papier das nur<br />
aus geraden Formen bestehende Wort<br />
ELEFANTEN aus und lernen bei dieser An-<br />
fängerübung mit Kontrasten, Strichstärken,<br />
optischen Gesetzen umzugehen. Aurelia:<br />
»Ich mag an Schrift auch, dass sie<br />
so schwarz-weiß ist. Es geht nicht um<br />
Farben und Bilder, sondern ausschließlich<br />
um die Gestaltung der Form.«<br />
Von der Idee bis zur fertigen Schrift vergehen<br />
oft Monate oder ganze Semester. Anfangs<br />
steht eine Inspiration oder eine Vor-<br />
stellung davon, wie ein bestimmter Buch-<br />
stabe oder ein Wortbild aussehen und wir-<br />
ken soll. Um am Ende aber eine funktio-<br />
nierende Textschrift zu erhalten, muss<br />
aus dem künstlerisch-kreativen ein geradezu<br />
ingenieurshafter Prozess werden.<br />
Fred Smeijers, der niederländische Professor<br />
der Klasse, beschreibt Schriftge-<br />
staltung als »irgendwo in der Mitte zwischen<br />
klassischem Ballett und Mathematik«.<br />
Bei einer handwerklich sauberen<br />
Schrift sollten die Proportionen stimmen,<br />
sollten die Winkel in einem harmonischen<br />
Verhältnis zueinander stehen und die<br />
Strichstärken zueinander passen, erklärt<br />
Franziska. Eine zu harmonische Schrift<br />
wirkt allerdings schnell glatt und langweilig.<br />
Anna Lena von Helldorf, künstlerische<br />
Mitarbeiterin des Studiengangs,<br />
macht den Charakter einer Schrift an den<br />
Entscheidungen fest, die im Gestaltungs-<br />
prozess getroffen werden: »Der Charakter<br />
kommt dadurch zustande, dass Entschei-<br />
dungen getroffen wurden und diese auch<br />
sichtbar werden. Es gibt Gestaltungsregeln,<br />
optische Phänomene, die nicht aus<br />
dem Weg zu räumen sind, und dann gibt<br />
es Entscheidungen, im Einklang mit diesen<br />
Regeln zu bleiben oder sich in ein<br />
Moment der Disharmonie mit ihnen zu<br />
stellen«.<br />
Patentrezepte gibt es aber keine, und die<br />
Diskussion darüber, was eine wirklich per-<br />
fekte Schrift ausmacht, ist in der Schriftklasse<br />
nie abgeschlossen.<br />
Abgesehen von einigen Skizzen am Anfang<br />
des Gestaltungsprozesses und even-<br />
tuellen Korrekturen am Ausdruck einzelner<br />
Buchstaben geschieht die Arbeit am<br />
Rechner, in speziellen Schriftentwurfspro-<br />
grammen wie dem gebräuchlichsten ›Font<br />
Lab‹ – und das prägt die ganze Klasse.<br />
Jeder steht am Anfang vor dem gleichen<br />
Problem, dass er lernen muss, mit dem<br />
Programm umzugehen und mit Vektoren,<br />
Grids, Metrics klarzukommen. Da entsteht<br />
Zusammenhalt – anders als in an-<br />
deren Klassen der HGB, wo jeder mehr<br />
sein eigenes Ding macht. Franziska ge-<br />
fällt es: »Das ist so ganz großes gemein-<br />
sames Lernen. Ich habe FontLab bei weitem<br />
noch nicht so richtig durchschaut.<br />
Und da sitzt dann Reymund in der Ecke und<br />
schaut sich irgendwelche Features und<br />
youtube-Tutorials an, und das hilft extrem,<br />
wenn man sieht, dass er das jetzt braucht<br />
und man sich das für später schon mal<br />
abgucken kann.«<br />
Aber Schriftgestaltung erschöpft sich<br />
nicht in technischem Wissen und gestalterischem<br />
Können. Genauso wichtig ist<br />
die Beschäftigung mit Schriftgeschichte<br />
und Schrifttheorie. Die Klasse beschäftigt<br />
sich dabei mit dem ganzen Spektrum<br />
von Handschrift, Bleisatz, Buchdruck bis<br />
zur Digitalisierung, die den Umgang mit<br />
Schrift in den letzten 20 Jahren entscheidend<br />
geprägt hat. Und im learning-by-doing-Modus<br />
muss jeder der angehenden<br />
Schriftgestalter für sich selbst im Allge-<br />
meinen und für seine Schriftprojekte im<br />
Speziellen herausfinden, wie Schrift funk-<br />
tioniert und wie nicht. Eine Schrift, die zum<br />
Verkauf veröffentlicht werden soll, muss<br />
einwandfrei und vielfältig zu gebrauchen<br />
sein. Dazu gehört, dass sie verschiedene<br />
Schnitte von Light über Normal bis Bold<br />
und die jeweils entsprechenden kursiven<br />
Zeichen mitliefert sowie den kompletten<br />
Zeichensatz abdeckt – mit allen Sonderzei-<br />
chen und auch den zusätzlichen Zeichen,<br />
die für Sprachen wie Französisch, Schwe-<br />
disch oder Polnisch notwendig sind. Ex-<br />
tras wie Kleinbuchstabenzahlen und Kapi-<br />
tälchen kommen dazu. Und damit nicht ge-<br />
8 9<br />
www.ourtype.be<br />
Schriften von<br />
Fred Smeijers<br />
und einiger seiner<br />
Absolventen<br />
Titelthema
Titelthema | Elfenbeinturm<br />
nug, jetzt muss sich die Schrift auch noch<br />
zu einem harmonischen Textsatz fügen<br />
lassen. Durch genaues Anpassen der Vor-<br />
und Nachweiten der Buchstaben müssen<br />
diese beliebig kombinierbar bleiben ohne<br />
sich dabei einerseits zum Beispiel gegen-<br />
seitig zu verhaken, andererseits darf auch<br />
der Abstand zwischen ihnen nicht zu groß<br />
sein.<br />
Ein Thema, das alle in der Klasse beschäf-<br />
tigt, sind Haltungsfragen und die Selbst-<br />
reflexion als Künstler und Gestalter –<br />
schließlich ist die Schriftklasse trotz allem<br />
technischen Gefrickel immer noch<br />
Teil der HGB. Wie bearbeitet man den Kon-<br />
flikt, sich einerseits in der Schrift selbst<br />
wiederzufinden und etwas Persönliches<br />
schaffen zu wollen, und andererseits ein<br />
zum Verkauf bestimmtes Produkt entwickeln<br />
zu müssen? Wie geht man damit um,<br />
dass bestimmte Schriftarten geschichtlich<br />
vorbelastet sind? Christian findet et-<br />
wa Frakturschriften spannend. »Ich kann<br />
selbst einer Schaftstiefel-Grotesk-Schrift<br />
noch was abgewinnen. Aber es ist schwie-<br />
rig, weil man viele gerade härtere und<br />
stark gebrochene Schriften gleich in den<br />
Kontext Nationalsozialismus setzt. Dabei<br />
mag ich die einfach von den Formen her.«<br />
Wie steht man dazu, dass die eigene<br />
Schrift als Gestaltungselement in den ver-<br />
schiedensten Kontexten landen kann und<br />
was würde man tun, wenn die eigene<br />
Schrift für Inhalte benutzt würde, hinter<br />
denen man so gar nicht steht? Solche<br />
Überlegungen enden bei DVU-Veröffentlichungen,<br />
aber beginnen schon viel früher,<br />
beispielsweise bei Geschäftsberichten<br />
von bestimmten Unternehmen.<br />
Und kann man solche Fragen überhaupt<br />
stellen, wenn es erst einmal darum geht,<br />
ob man sich mit Schrift überhaupt über<br />
Wasser halten kann? Prinzipiell ist es<br />
nicht unmöglich, Schrift zum Lebensunter-<br />
halt zu entwerfen, meint Professor Smeijers,<br />
selbst das beste Beispiel. »Aber es<br />
ist natürlich immer gut, wenn man gestalterisch<br />
noch etwas mehr kann. Wenn<br />
dann ein Kunde kommt, der neben der<br />
Schrift auch noch Hilfe bei einem Logo an-<br />
fragt, ist es natürlich gut, wenn man seine<br />
Fähigkeiten auch als Gestalter ausnut-<br />
zen kann.«<br />
Elfenbeinturm<br />
Geschichten vom<br />
semiotischen Dreieck<br />
Ein Interview mit Monika Nachtwey<br />
<strong>anton</strong> sind<br />
Maria Jakob und Maja Neumann<br />
<strong>anton</strong>: Welches ist eigentlich Ihr<br />
liebstes Symbol, Frau Nachtwey?<br />
Das ist wirklich eine gute Frage. Das kann<br />
ich gar nicht beantworten.<br />
<strong>anton</strong>: Vielleicht haben Sie dann ein<br />
liebstes Zeichen?<br />
Wenn man sich damit beschäftigt, was Zeichen<br />
und Symbole eigentlich sind, kann<br />
man die Frage irgendwann nicht mehr be-<br />
antworten, denn am Ende ist nichts mehr<br />
Zeichen und doch alles. Es geht nämlich<br />
eher darum wie wir die Dinge erkennen<br />
können, mittels Zeichen und Symbolen.<br />
Deswegen habe ich kein liebstes Zeichen.<br />
Wobei, doch! Der Mercedesstern! Einfach<br />
wegen der Dreiteilung. Die entspricht ex-<br />
akt der Struktur des semiotischen Zeichenmodells.<br />
Da wären wir wieder bei der<br />
Semiotik und bei Charles Peirce.<br />
<strong>anton</strong>: Wie sind Sie überhaupt auf die<br />
Semiotik gekommen? Sie haben ja<br />
einige Fächer studiert. Germanis-<br />
tik, Geschichte, Literaturwis-<br />
senschaften, Anglistik, Erziehungswis-<br />
senschaften und Kulturwissen-<br />
schaften. Warum so viele und wie<br />
sind Sie dann bei der Semiotik<br />
gelandet?<br />
Ich habe so viele Fächer studiert, weil ich<br />
immer gerne studiert habe. Zunächst noch<br />
auf Lehramt, nur um festzustellen, dass<br />
ich keine Lehrerin werden möchte, bis ich<br />
schließlich meine Kombination gefunden<br />
habe – Germanistik, KuWi und Allgemeine<br />
und vergleichende Literaturwissenschaften.<br />
Während meines Literaturwissenschafts-<br />
studiums bin ich mit Umberto Eco in Kon-<br />
takt gekommen. Wenn man sich mit Eco<br />
als Literaturwissenschaftler und Kul-<br />
turtheoretiker auseinandersetzt, kommt<br />
man schnell auf Peirce. Schon weil er<br />
ein Zeichenmodell entworfen hat, welches<br />
Eco auch als Grundlage seiner Semiotik<br />
benutzt. Als ich damals das Seminar<br />
machte durch das ich Peirce kenne<br />
lernte, erinnerte ich mich an die Anfänge<br />
meines Studiums, in denen ich mich mit<br />
Cassirer beschäftigte und hatte das Gefühl,<br />
dass dort Ähnlichkeiten bestünden.<br />
Als ich später ein Magiserarbeitsthema<br />
suchte, fiel mir das wieder ein. Diesen ver-<br />
meintlichen Ähnlichkeiten wollte ich gerne<br />
mal auf den Grund gehen. So bin ich dann<br />
auf die Semiotik und auf Peirce gekommen,<br />
habe mich aber in der Magisterarbeit<br />
erstmal nur auf Cassirer beschränkt,<br />
weil es sonst den Rahmen gesprengt<br />
hätte.<br />
<strong>anton</strong>: Jetzt geben Sie die Seminare,<br />
mit denen Sie selbst mal angefangen<br />
haben.<br />
Das ist richtig. Ich habe ein Seminar zu<br />
Cassirer gemacht und es ist sehr span-<br />
nend die Thematik in diesem Kontext zu<br />
erarbeiten und auch zu sehen, dass die<br />
Studenten mit der Theorie sehr viel anfangen<br />
konnten. Das war ein sehr schönes<br />
Seminar!<br />
<strong>anton</strong>: Wie ist es denn, jetzt<br />
am selben Institut von der Studenten-<br />
auf die Dozentenseite zu wechseln?<br />
Ist das komisch?<br />
Ein sehr merkwürdiges Gefühl! Es ist mir<br />
am Anfang gar nicht so leicht gefallen, die<br />
ehemaligen Lehrer plötzlich als Kollegen<br />
anzusehen. Das war erstmal sehr eigenartig.<br />
In einer anderen Stadt an einem<br />
fremden Institut wäre das sicher etwas an-<br />
ders gewesen. Nun sind es fast zwei Jahre<br />
und man wächst auch in diese Rolle<br />
rein. Wir haben ja ein sehr kollegiales Institut<br />
und ich fühle mich dort sehr wohl.<br />
<strong>anton</strong>: Warum sind Sie nach dem Studium<br />
eigentlich in Leipzig geblieben?<br />
Das hat sich einfach so ergeben. Ich wollte<br />
gerne promovieren und hatte hier am Institut<br />
die Möglichkeit dazu. Es gab auch kei-<br />
nen direkten Grund wegzugehen. Ein Ta-<br />
petenwechsel wäre zwar ganz schön, aber<br />
in Leipzig kann man auch immer wieder<br />
Neues entdecken. Kanu fahren auf den<br />
Karl-Heine-Kanal zum Beispiel.<br />
<strong>anton</strong>: Haben Sie perspektivisch schon<br />
Pläne für die Zeit nach der Promotion?<br />
Na ja, Leipzig würde ich schon ganz gerne<br />
mal verlassen, auch wenn ich mich hier<br />
10 11<br />
Elfenbeinturm<br />
Geboren am 20.07.1978<br />
in Leinefelde im Eichsfeld.<br />
Studium der Kulturwissenschaften,Germanistik,<br />
Allgemeinen<br />
und Vergleichenden<br />
Literaturwissenschaft<br />
sowie der Anglistik, Geschichte<br />
und Erziehungswissenschaftliche<br />
Studien an der Universität<br />
Leipzig. Magisterarbeit<br />
zum Thema<br />
›Zeichen- und Symbolbegriff<br />
bei Ernst Cassirer‹.<br />
2006 Abschluss des<br />
Studiums und Beginn der<br />
Promotion zum Thema<br />
›Gelingendes Zeichenund<br />
Symbolverstehen bei<br />
Charles S. Peirce und<br />
Ernst Cassirer‹. Seit dem<br />
WS 2007/ 08 Mitarbeiterin<br />
am Institut für Kulturwissenschaften<br />
im Fachbereich Kulturphilosophie.<br />
Forschungsschwer-<br />
punkte: Kulturphiloso-<br />
phie und Semiotik<br />
Promotionsprojekt:<br />
Gelingendes Zeichenund<br />
Symbolverstehen<br />
bei Charles S. Peirce<br />
und Ernst Cassirer
Elfenbeinturm<br />
sehr wohl fühle. Aber momentan denke<br />
ich darüber noch nicht nach. Gerade denke<br />
ich erst mal daran die Arbeit zu schreiben.<br />
<strong>anton</strong>: Wie weit sind Sie denn mit<br />
der Promotion?<br />
Noch am schreiben. Ich sitze am ersten<br />
Kapitel. Drei sollen es insgesamt werden.<br />
Es ist also noch einiges zu tun. Danach<br />
werde ich sehen was ich machen möchte.<br />
<strong>anton</strong>: Aber Sie möchten schon in die<br />
Lehre gehen?<br />
Es macht mir großen Spaß und ich könnte<br />
mir das gut vorstellen. Aber man muss<br />
sich zunächst ja auch wissenschaftlich<br />
profilieren und dann sehen was man wei-<br />
ter machen kann. Meine Lebenserfahrung<br />
zeigt, dass es immer etwas kommt. Ich<br />
bin da offen und nicht auf etwas festgelegt.<br />
<strong>anton</strong>: Aber bei der Philosophie<br />
möchten Sie schon bleiben?<br />
Die Verbindung zwischen Kulturphilosophie<br />
und Semiotik ist schon etwas sehr<br />
spannendes und zudem noch wenig erforscht.<br />
Da gibt es noch so viele Möglichkeiten.<br />
Wie weit ich dabei mit meiner Arbeit<br />
noch komme, wird sich weisen.<br />
<strong>anton</strong>: Was bedeutet aus Ihrer<br />
Perspektive ›Kultur‹?<br />
Da muss ich überlegen. Es gibt viele Kulturbegriffe<br />
und der Begriff der bei uns zugrunde<br />
liegt, ist der der natura altera, der<br />
sowohl Lebenswelt als auch Lebensweisen<br />
des Menschen umfasst. Insofern kann<br />
man sagen, dass alles was der Mensch<br />
hervorgebracht hat Kultur ist. Was mich<br />
daran interessiert, ist, wie wir uns den Zu-<br />
gang zu Kultur herstellen. Und da leisten<br />
wieder Zeichen und Symbole die entschei-<br />
dende Funktion. Immer wenn wir etwas<br />
wahrnehmen, haben wir bereits interpre-<br />
tiert und es mit einer Bedeutung verse-<br />
hen. Das ermöglichen uns Zeichen und<br />
symbolische Formen als Medien. Und an<br />
diesem Prozess des Verstehens von et-<br />
was und damit des Aneignens von Kultur<br />
bin ich aus zeichen- und symboltheo-<br />
retischer Perspektive interessiert.<br />
<strong>anton</strong>: Sie haben letztes Semester<br />
ein Filmprojekt gemacht. Wie kam es<br />
denn dazu?<br />
Ich hatte im Semester zuvor ein Seminar<br />
zu Peirce und seiner Zeichentheorie angeboten.<br />
Eine Studentin wies mich darauf<br />
hin, dass es zu Juri Lotman, einem Semio-<br />
tiker, einen Film gäbe. Es ist ganz spontan<br />
die Idee entstanden auch eine Film zu Peirce<br />
zu machen. Aus dieser fixen Idee ist<br />
dann ein konkretes Projekt geworden.<br />
<strong>anton</strong>: Schulfernsehen?<br />
Nein, wir wollten keinen Lehrfilm machen.<br />
Wir wollten uns mit den Theorien beschäftigen<br />
und Verbindungen zur Alltagswelt<br />
aufzeigen. Wir wollten Theorie gerne<br />
lebendig werden lassen. Es ist etwas sehr<br />
kreatives geworden, ein freier Umgang mit<br />
der Theorie.<br />
Zunächst hatte ich Bedenken ob wir auch<br />
den technischen Aspekt des Filmprojekts<br />
hinbekommen, da ich keine Kameraführung,<br />
Schnitttechnik etc. beherrsche.Aber<br />
es hat sich alles ergeben und ein sehr<br />
engagiertes Team gefunden. Es hat alles<br />
immer reibungslos geklappt. An sich<br />
fand ich dieses Projekt sehr sinnvoll,<br />
da man sich wirklich mit den Theorien<br />
beschäftigt und sie verstanden haben<br />
muss, um sie umsetzen zu können.<br />
Anfang des Semesters wollen wir den Film<br />
auch gerne im Institut zeigen. Momentan<br />
sind wir noch beim Schnitt.<br />
<strong>anton</strong>: Würden Sie so ein Seminar<br />
wieder anbieten?<br />
Das kann ich mir gut vorstellen. Vielleicht<br />
nicht sofort, aber es war eine sehr gute<br />
Erfahrung. Das nächste mal dann vielleicht<br />
ein Seminar über zwei Semester, da<br />
hätte man genug Zeit.<br />
<strong>anton</strong>: Das wäre doch schön!<br />
Was machen Sie denn neben der<br />
theoretischen Arbeit in der Uni?<br />
Ganz wichtig neben der Arbeit am Schreib-<br />
tisch ist für mich Sport. Ich gehe joggen<br />
und Tango tanzen. Dabei kann man wunderbar<br />
abschalten. Den körperlichen Aus-<br />
gleich muss man sich einfach schaffen.<br />
Und Basketball spiele ich auch noch gerne.<br />
Ich kann auch mal ohne Bücher.<br />
Der Club der toten<br />
Soziologen<br />
Seminarrezension Bestattungskultur<br />
Von Maria Jakob<br />
Ich habe im Seminar viel gefehlt, will noch<br />
eine Hausarbeit abgeben und die Seminarleiterin<br />
ist eine mir äußerst sympathische<br />
Person. Keine guten Voraussetzungen,<br />
um diese Seminarrezension zu einem<br />
Verriss zu machen. Aber das hätte so ein<br />
interessant entspanntes Seminar wie das<br />
zu ›Bestattungskultur: Individualisierung<br />
oder Anonymisierung‹ bei Nicole Sachmerda-Schulz<br />
auch einfach nicht verdient.<br />
Banal, aber es ist so: Jeder Mensch stirbt<br />
irgendwann einmal, und so muss jede<br />
Gesellschaft mit dem Tod umgehen und<br />
umfasst ihn mit Gebräuchen, Riten, und<br />
Glaubenssätzen. Wie das passiert und<br />
mit welchen Bedeutungen Sterben belegt<br />
wird, lässt sich passabel erforschen.<br />
Im Fokus des Seminars stand der Wandel<br />
der Bestattungskultur in Deutschland<br />
in den vergangenen Jahrzehnten. Kurz zu-<br />
sammengefasst: Bestattung wird individueller,<br />
anonymer und zum Event.<br />
Für mich als Kind der süddeutschen Pro-<br />
vinz und einer obendrein betont katholi-<br />
schen Familie war vieles, was wir im Seminar<br />
thematisierten, erst einmal Neuland.<br />
Wenn bei uns jemand stirbt, wird er auf<br />
dem kleinen Friedhof hinter der kleinen<br />
Bergkirche bestattet. Dass jemand eingeäschert<br />
wird und statt dem Sarg eine Urne<br />
bestattet wird, wäre schon richtig exotisch.<br />
In Nord- und Ostdeutschland soll<br />
aber genau das die vorherrschende Bestattungsform<br />
sein! Und eine wachsende<br />
Anzahl von Leuten wird sogar anonym be-<br />
stattet, ohne eigenes Grab und ohne Grab-<br />
stein! Gottloses Volk. Wie so im Seminar<br />
die verschiedensten persönlichen Hinter-<br />
gründe und Herkünfte der Seminarteilnehmer<br />
und die damit verbundenen unter-<br />
schiedlichen Erfahrungen mit Bestattungen<br />
und Trauerkultur aufeinander trafen,<br />
war es ein Leichtes, eine engagierte Diskussion<br />
zu erzeugen.<br />
Leider blieb diese dann auch immer wieder<br />
auf einer sehr persönliche Ebene stehen.<br />
Wir diskutierten darüber, wer sich vor-<br />
12 13<br />
Elfenbeinturm<br />
Urnenbestattung auf<br />
dem Südfriedhof<br />
Gräberfeldbestattung<br />
auf dem Südfriedhof
Elfenbeinturm<br />
Absolventen- und Förder<br />
verein der Leipziger<br />
Kulturwissenschaften:<br />
www.cultura-leipzig.de<br />
Myspace Seite der<br />
Bands:<br />
www.myspace.com/<br />
pedromountainsmummy<br />
und<br />
www.myspace.com/<br />
kosmodromleipzig<br />
stellen kann, verbrannt zu werden, wer<br />
eine Erdbestattung des eigenen Körpers<br />
vorzieht und wessen Großtante wie begra-<br />
ben wurde – aber bei einer so intimen und<br />
netten Runde von meistens um die fünf<br />
Studenten plus Seminarleiterin ist man<br />
wohl automatisch schnell bei einem solchen<br />
Erfahrungsaustausch. Viele Meinungen,<br />
viele Vermutungen, wenig Fakten<br />
und wenig Theorie, dafür immer wieder Ent-<br />
deckungstouren gerade in die kurioseren<br />
Spielarten der Bestattungskultur, wie die<br />
der schwarzen Diamanten aus Asche, der<br />
virtuellen Friedhöfe im Internet oder der<br />
Rasenbestattung auf dem HSV-Fanfriedhof.<br />
Höhepunkt war unsere Exkursion auf den<br />
Südfriedhof. Albert Graichen, der Leiter<br />
der Abteilung Friedhöfe der Stadt Leipzig,<br />
nahm sich mehrere Stunden Zeit, um uns<br />
die Gemeinschaftsgräber und das Krema-<br />
torium zu zeigen. Für Graichen ist der Fried-<br />
hof ein Produkt, das es zu vermarkten<br />
gilt – und es war hochinteressant, zu er-<br />
fahren, welche Grabanlagen am schnells-<br />
ten ausgebucht sind, für welche sich die<br />
Kunden kaum interessieren und wie die<br />
Macher des Friedhofs versuchen, eine<br />
Brücke zwischen immer individuelleren<br />
Kundenwünschen und der immer noch<br />
recht rigorosen deutschen Friedhofsordnung<br />
zu schlagen. Das Detail-Highlight<br />
der Führung: Zu DDR-Zeiten herrschte<br />
akuter Baummangel, und so konnte die<br />
Hauptachse des Friedhofs erst nach<br />
1989 vollständig mit Nadelhölzern bepflanzt<br />
werden. So kommt sie mittlerweile<br />
schön einheitlich daher, und ist – gemeinsam<br />
mit den Gräberfeldern zur Rechten<br />
und zur Linken und dem eindrucksvollen<br />
Krematorium – eine ehrliche Empfehlung<br />
für eine Entdeckungstour, sollte man einen<br />
Nachmittag Zeit haben.<br />
Kulturwissenschaftler<br />
können alles<br />
Rückblick auf den KuWi-Tag am<br />
6.6.2009 im Kultiviert Anders! e.V.<br />
von Juliane Scholz<br />
Wenn die Uni 600. Jubiläum feiert, bege-<br />
hen dies natürlich auch die Kulturwissen-<br />
schaften (no gender, aber natürlich die sind<br />
Frauen hier inbegriffen). Im lauschigen<br />
›Kultiviert Anders!‹ in Plagwitz wollten die<br />
Organisatoren des Kuwi-Tages den Spa-<br />
gat zwischen Alumnitreffen, informativen<br />
Podien, Konzert und Party bewältigen.<br />
Man kann vorausschicken, dass dies dem<br />
ehrenamtlich arbeitenden Team bestehend<br />
aus Nadine Weise, Matthias Rosen-<br />
dahl, Andreas Möllenkamp und Juliane<br />
Scholz trefflich gelungen ist. Trotz regnerischen<br />
Wetters trafen ab 15 Uhr immer<br />
mehr Interessierte und ehemalige Studenten<br />
der KuWi im Wohnzimmereckclub<br />
ein. Nach Begrüßungssekt und kurzem<br />
Plausch folgte die gut besuchte Podiumsdiskussion,<br />
in der Prof. Ute Kösser, Dr.<br />
Harald Homann und Stura-Sprecher Sven<br />
Deichfuß sich mit der Vergangenheit, Ge-<br />
genwart und Zukunft der Leipziger Kultur-<br />
wissenschaften auseinandersetzen. Differenziert<br />
und ohne ein früher-war-allesbesser<br />
wurde ausgeteilt aber auch Gutes<br />
am BA-System und das familiäre Flair und<br />
gute Klima des interdisziplinären Institutes<br />
gelobt. Diskussion gab es im Wesent-<br />
lichen über die Umsetzung des Bologna-<br />
Prozesses, die insbesondere von Sven<br />
Deichfuss kritisiert wurde. Das Institut sei<br />
sich aber der misslichen Situation bewusst<br />
und möchte in einem gemeinsamen<br />
Diskussionsprozess die Lage der Stu-<br />
dieren verbessern, verweist aber zu recht<br />
auf die mangelhafte personelle Ausstattung.<br />
Die zweite Gesprächsrunde setzte sich<br />
mit den Berufsaussichten und der Situation<br />
von Kulturwissenschaftlern auf<br />
dem Arbeitsmarkt auseinander. Moderator<br />
Matthias Rosendahl (Cultura e.V.) berichtete<br />
einleitend über die vielfältigen<br />
Arbeitsfelder von Leipziger Kulturwissen-<br />
schaftlern und stellte zugleich eine empi-<br />
rische Studie vor, die den Leipziger Kulturwissenschaftlern<br />
breite Tätigkeitsfelder<br />
in diversen Branchen bescheinigte. Von<br />
Wissenschaft, über Kulturbetriebe, Kultur-<br />
verwaltung oder PR-Branche: Kulturwis-<br />
senschaftler scheinen das alles zu beherrschen.<br />
Dieses weite berufliche Spektrum<br />
wurde auch in der Podiumsdiskussion<br />
mit Doktorandin Monika Nachtwey<br />
(wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich<br />
Kulturphilosophie), Melanie Böhme<br />
(Marketingassistentin bei Nintendo of Eu-<br />
rope und freiberufliche Projektmanagerin<br />
einer Konzertagentur) sowie Marco<br />
Karthe (Doktorand und stellvertretender<br />
Pressesprecher in der Stiftung Schloss<br />
Friedenstein in Gotha) deutlich. Auffällig<br />
war, dass Melanie Böhme nicht direkt<br />
nach dem Studium eine Stelle ergattern<br />
konnten, sondern sich innerhalb einer ein-<br />
jährigen Bewerbungsphase die berufliche<br />
Perspektive der Absolventin erst ge-<br />
schärft und fokussiert hatte. Mario Karthe<br />
hatte hingegen schon seine Studienwahl<br />
auf spätere Tätigkeiten in der Öffent-<br />
lichkeitsarbeit, Kunstgeschichte und in<br />
Museen ausgerichtet. Seit seinem Haupt-<br />
studium sei er im Förderverein des Gohliser<br />
Schlösschens aktiv gewesen und en-<br />
gagierte sich, dessen endgültige Schließung<br />
abzuwenden. Seit Mai 2008 arbeitet<br />
Karthe in Gotha als Museumspädagoge,<br />
im Besucherservice sowie in der Öffentlichkeitsarbeit.<br />
Monika Nachtwey berich-<br />
tete zuerst von ihren Umwegen während<br />
der Studienzeit, die mit Anglistik und Ge-<br />
schichte auf Lehramt begann und über<br />
die Germanistik schließlich als Querein-<br />
steigerin zum Hauptfach Kulturwissen-<br />
schaften führte. Der Wunsch zur Promotion<br />
und weiteren wissenschaftlichen Quali-<br />
fikation wurde nun von Problemen der<br />
Finanzierung der Dissertation begleitet.<br />
Nachtwey bewarb sich um Stipendien und<br />
bekam schließlich eine Stelle als wissen-<br />
schaftliche Hilfskraft beim DAAD und<br />
nach anderthalb Jahren schließlich eine<br />
halbe wissenschaftliche Qualifikations-<br />
stelle beim Institut für Kulturwissenschaf-<br />
ten am Lehrstuhl Kulturphilosophie. Auf<br />
die Frage warum sie den Studiengang<br />
KuWi gewählt habe, antwortete Melanie<br />
Böhme dies sei reines Ausschlussprinzip<br />
gewesen, da sie BWL und Anderes beim<br />
Studienstart nicht interessiert habe, obwohl<br />
sie die späteren Berufsperspektiven<br />
und Tragweite des KuWi-Studiums erst<br />
im Hauptstudium und während der Praktika<br />
im ›Werk II‹ und ›Goethe-Institut‹ genau<br />
abzuschätzen vermochte. Nachtwey<br />
hingegen hätte wegen ihrer Erfahrungen<br />
in anderen Studiengängen genügend Zeit<br />
gehabt, sich mit der Bandbreite des Ku-<br />
Wi-Studiums auseinander zu setzten und<br />
zu wissen was sie innerhalb des intersdisziplinären<br />
Instituts erwartet.<br />
Die Zeit nach dem Abschluss empfanden<br />
die drei Alumni als neue Herausforderung,<br />
die viel Eigeninitiative bedurfte. Ob Bewer-<br />
bungen, Broterwerb, Projektarbeit, Kultur-<br />
politik: Die Übergangszeit zum ersten Job,<br />
ohne konkrete Zukunftsaussichten, erleb-<br />
ten alle als Vorlauf für die spätere Berufs-<br />
praxis und nutzten sie zum Aufbau von<br />
Netzwerken. Karthe betont, dass es für<br />
Studenten besonders wichtig sei sich<br />
schon während des Studiums durch Prak-<br />
tika und Nebenjobs ein gewisses Profil<br />
zuzulegen. Rarer gesät seien Stellen inner-<br />
halb der Lehre und Forschung wie Nachtwey<br />
berichtet. Während des Studiums<br />
habe sie sich auf die Pflichtpraktika und<br />
eine Stelle als studentische Hilfskraft in<br />
der Uni-Verwaltung beschränkt, denn sie<br />
sah und sieht sich sich selbst eher als<br />
theoretisch denn praktisch veranlagten<br />
Menschen. Abschließend plädierte die<br />
Doktorandin dafür, eigene Interessen und<br />
Ziele zu verfolgen und alles aus tiefster<br />
innerer Überzeugung zu tun, um erfolgreich<br />
sein zu können.<br />
Diese drei unterschiedlichen Werdegänge<br />
würden auch durch Studien belegt, so Moderator<br />
Rosendahl. Diese besagen, dass<br />
Geistes- und Sozialwissenschaftler in<br />
Deutschland durchschnittlich zwei Jahre<br />
bis zur ersten Zeit für Jobsuche brauchen,<br />
wohingegen Ingieneure nur vier Monate<br />
Zeit bis zu ihrem ersten Arbeitsvertrag<br />
nach dem Universitätsabschluss benötigen.<br />
Erfahrungen in der ›freien‹ Wirtschaft<br />
hat Melanie Böhme vorzuweisen. Sie ist<br />
der Auffassung, Nintendo habe sie ausgewählt,<br />
da sie nötige Softskills und Flexibilität<br />
besitze, also insbesondere Japanisch<br />
und Englisch spreche und es im<br />
Endeffekt nicht darauf ankam, welchen<br />
Studiengang genau sie abgeschlossen<br />
habe. Die Projektmanagerin fasst zusam-<br />
men, dass der Vorteil der Geistes- und<br />
Sozialwissenschaftlern in der Fähigkeit<br />
bestehe, sich in neue Aufgaben schnell<br />
einzuarbeiten und einzufühlen zu können.<br />
Korthe fügt hinzu, dass man über den Tel-<br />
lerrand hinausschauen solle und zukünftig<br />
in Kulturbetrieben diverse Bereiche<br />
abdecken müsse.<br />
Es folge die feierliche Verabschiedung der<br />
KuWi-Absolventen und die Verleihung eines<br />
Preises an die jeweils besten Abschlussarbeiten<br />
aus den Bereichen Kul-<br />
turphilosophie und Ästhetik, Vergleichende<br />
Kultur- und Gesellschaftsgeschichte<br />
und Kultursoziologie. Die Arbeiten der<br />
14 15<br />
Elfenbeinturm<br />
Das ›kultiviert Anders!‹.<br />
Tolle Location von<br />
KuWis in Eigenregie<br />
betrieben, neu dabei das<br />
Filmquiz jeden zweiten<br />
Donnerstag. Gesucht<br />
dringend neue feste Mitarbeiter<br />
und Leute mit<br />
Herzblut, die den Betrieb<br />
weiterführen wollen,<br />
ansonsten ist Ende dieses<br />
Jahres leider<br />
Schluss! Offenes Treffen:<br />
jeden 1. Montag im<br />
Monat, 20 Uhr.<br />
www.kultiviertanders.de
Elfenbeinturm<br />
Foto:<br />
Dr. Ewa Tomicka-Krumrey<br />
Projektassistentin<br />
am Geisteswissenschaftlichen<br />
Zentrum Geschichte<br />
und Kultur Ostmitteleuropas<br />
(GWZO),<br />
Luppenstraße 1b,<br />
04177 Leipzig<br />
www.uni-leipzig.de/<br />
gwzo<br />
geb. 1959 in Warschau<br />
1978 – 1982 Studium der<br />
Wirtschaftswissenschaften<br />
an der<br />
Handelshochschule<br />
Leipzig 1983 – 1987<br />
Forschungsstudium<br />
1987 Promotion im Fach<br />
Wirtschaftsgeschichte<br />
über die Wirtschaft<br />
Polens 1945 – 1956<br />
1987 – 1992 wissenschaftlicheMitarbeiterin<br />
im Universitätsarchiv<br />
Leipzig<br />
1991 – 1993 postgradualer<br />
Studiengang ›Wissenschaftsinformation‹<br />
an der HU-Berlin<br />
1992 – 1994 wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin<br />
an der Sächsischen<br />
Akademie der Wissenschaften<br />
seit 1993<br />
Geschäftsführerin der<br />
Societas Jablonoviana<br />
1994 – 1996 wissenschaftlicheMitarbeiterin<br />
an der Universität<br />
Leipzig, Institut für Slavistik<br />
seit 1996<br />
tätig im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit<br />
am GWZO.<br />
Preisträger einte laut Dr. Homann ihr exemplarischer<br />
Charakter für das jeweilige<br />
Forschungsfeld. Freuen konnten sich die<br />
Absolventen Sonja Engel (A), Katrin Böttrich,<br />
Thielko Grieß (B), und Sophie Pfaff<br />
(C), die mit der neuen Institutsgeschichte<br />
aus der Feder von Professorin Uta<br />
Kösser belohnt wurden.<br />
Anschließend luden ein Büfett und die Bar<br />
zum angeregten Plausch zwischen Dozen-<br />
ten und Studenten. Danach spielte die<br />
junge Berliner Band ›Pedro Mountains<br />
Mummy‹ heizte mit Beat und Jamrock ein.<br />
Die Leipziger Russenska-Combo ›Kosmodrom‹<br />
eines ihrer ersten öffentlichen Kon-<br />
zerte, dessen ordentlich zum abtanzen an-<br />
regten. Die Aftershowparty bestritten DJ<br />
D’Dread und Fishfinger sowie die Shakehands-Crew<br />
mit Mr. Mono und Martin Le-<br />
ander. Getanzt wurde bis zum Morgengrau-<br />
en. Als sich die Türen des ›Kultiviert An-<br />
ders!‹ schließen, hat sich der Regen des<br />
Vortages verflüchtigt und die ersten Sonnenstrahlen<br />
streifen den Giebel des Wäch-<br />
terhauses.<br />
Handel und Wandel<br />
Dr. Ewa Tomicka-Krumrey (GWZO)<br />
über Studium und Forschung, Freiheit<br />
und Sicherheit, Öffentlichkeitsarbeit<br />
und fehlende Brötchen<br />
<strong>anton</strong> ist Frank Henschel<br />
<strong>anton</strong>: Liebe Frau Tomicka-Krumrey,<br />
Sie haben Wirtschaftswissenschaften<br />
in Leipzig studiert, zur Wirtschafts<br />
geschichte promoviert, zur Wissenschaftsgeschichte<br />
geforscht, in<br />
der Slavistik gelehrt und sind nun Projektassistentin<br />
im GWZO.<br />
Konnten Sie sich nicht entscheiden,<br />
haben Sie so viele Fähigkeiten oder<br />
wie kam es zu diesem Werdegang?<br />
Also in der Schule hatte ich überall gute<br />
Leistungen und ich dachte, dass in der<br />
Wirtschaftswissenschaft Geistes- und Na-<br />
turwissenschaft zusammenkommen. Darum<br />
hat mich das gereizt. Deutsch lern-<br />
te ich auch schon länger und dank meiner<br />
Leistungen konnte ich so in Leipzig an der<br />
Handelshochschule studieren. Das Fach<br />
selbst war sehr ideologie befrachtet, aber<br />
zum Glück hatte ich auch Wirtschaftsgeschichte,<br />
und da auch mein Vater Histori-<br />
ker war und es bei uns immer um Geschichte<br />
ging, fand ich dort meinen Platz,<br />
besonders in der Wirtschaftsgeschichte<br />
Polens in der Nachkriegszeit, worüber ich<br />
promovierte.<br />
Wie ging es nach der Promotion weiter?<br />
Bekamen Sie sofort eine Stelle?<br />
Ja, damals hat sich die Universität sehr um<br />
ihre Absolventen bemüht – eigentlich zu<br />
sehr, es gab da keine großen Freiheiten<br />
wie es sie heute mit der projektbasierten<br />
wissenschaftlichen Arbeit gibt. Ich kam<br />
ins Archiv der Handelshochschule, die,<br />
1889 gegründet, die älteste in Deutschland<br />
war und sollte die riesigen Bestände<br />
aufarbeiten und für das Jubiläum 1989<br />
auswerten.<br />
Das fiel dann in eine Zeit der<br />
Umbrüche. Wie ging es für Sie weiter?<br />
Erstmal wurden alle Mitarbeiter der Hoch-<br />
schule entlassen, inklusive mir, da man<br />
das ›sowjetische Bildungssystem‹ abschaffen<br />
wollte, obwohl diese praxisorientierte<br />
Hochschule, wie gesagt, schon<br />
viel älter war. Sie wurde dann auch in<br />
privater Trägerschaft neu gegründet. Der<br />
neue Direktor des Universitätsarchivs<br />
aber bat mich um Mitarbeit in seinem neu-<br />
en Projekt zur ›Societas Jablonoviana‹, ei-<br />
ne wissenschaftliche Gesellschaft, die<br />
der polnische Philanthrop Aleksander Józef<br />
Jab_onowski 1774 in Leipzig gründete<br />
und die später Anstoß zum Aufbau der<br />
Sächsischen Akademie der Wissenschaf-<br />
ten gab. Ich erforschte seine Biographie<br />
und sein Werk. Wie das aber mit Projekten<br />
ist, laufen die irgendwann aus und man<br />
muss sich etwas Neues suchen. Ich hatte<br />
da zwar ein wenig Angst vor, schließlich<br />
hatte ich schon Kinder, aber es öffnete<br />
mir auch neue Möglichkeiten.<br />
Wiederum wechselten sie ihr Tätigkeitsfeld<br />
und kamen an die Universität.<br />
1994 kam ich als Vertretung zu den Slavisten,<br />
aber auch nur mit kurzfristigen Ver-<br />
trägen. Nebenbei hatte ich zuvor ein post-<br />
graduales Studium in ›Wissensinformati-<br />
on‹ an der HU-Berlin absolviert, in dem es<br />
um bibliothekswissenschaftliche, organisatorische<br />
und kommunikative Aspekte<br />
der Wissenschaft ging und Kontakte zur<br />
Berliner Forschungsgruppe ›Geschichte<br />
und Kultur Ostmitteleuropas‹ geknüpft,<br />
aus der nach einem Umzug nach Leipzig<br />
1996 das GWZO unter der Leitung von Prof.<br />
Winfried Eberhard entstand. Als dort die<br />
Stellen für Verwaltung, Bibliothek und Assistenzen<br />
ausgeschrieben wurden, habe<br />
ich mich beworben und wurde ›Projektassistentin‹.<br />
Was hat sich so für Sie verändert?<br />
Im Endeffekt musste ich auf die Wissen-<br />
schaft verzichten, da ich hauptsächlich<br />
mit organisatorischen und konzeptionel-<br />
len Dingen beschäftigt bin. Das zum Glück<br />
in Festanstellung, aber ich mochte ja immer<br />
die Abwechslung und Freiheit, die in<br />
der Forschung nach der Wende möglich<br />
war. Diese andere Seite meiner Interessen<br />
kann ich aber als Geschäftführerin<br />
der immer noch als Verein existierenden<br />
›Societas Jablonoviana‹ einbringen, wo<br />
ich weiter forsche und publiziere.<br />
Was kann man sich unter ihrer Tätig-<br />
keit am GWZO vorstellen?<br />
Ob Konferenzen, Tagungen, Vorträge, Aus-<br />
stellungen, Flyer, Plakate, im Prinzip alles<br />
was Öffentlichkeitsarbeit betrifft, landet<br />
bei mir. Von der ursprünglichen angedach-<br />
ten Tätigkeit, also für die einzelnen Projekte<br />
und Mitarbeiter Bibliographien erstel-<br />
len, Datenbanken durchforsten, Archive<br />
und Bibliotheken recherchieren, ist heute<br />
nicht mehr viel übrig, da es Hiwis und,<br />
vor allem, das Internet gibt. Als ich anfing,<br />
war das alles noch Zukunftsmusik. Kann<br />
man sich gar nicht mehr vorstellen, oder?<br />
(lacht) Ich habe aber auch früh angeregt<br />
selbst eine Website für das GWZO zu kon-<br />
zipieren und diese auch als Archiv und<br />
Datenbank zu nutzen. Da waren wir ganz<br />
vorn dabei.<br />
Öffentlichkeitsarbeit ist heute ja<br />
auch eine Abteilung ›sine qua non‹<br />
[Deutsch: ›ohne die es nicht geht‹],<br />
ob in Unternehmen oder der Wissenschaft.<br />
Und sie bestimmt<br />
eben das Bild in der Öffentlichkeit.<br />
Ist Ihnen, zum Abschluss, denn<br />
schon mal ein richtiger Lapsus passiert,<br />
der dieses Bild gefährdete?<br />
Naja, insgesamt gab es von Anfang an positives<br />
Feedback. Aber natürlich klingeln<br />
Gastwissenschaftler aus dem Ausland im-<br />
mer mich an, wenn sie morgens um sieben<br />
oder abends um zehn vor der Instituts-<br />
tür stehen und nicht wissen wohin (lacht).<br />
Einmal hatten wir zu einer Tagung mit etwa<br />
50 Leuten nur 50 Brötchen geliefert bekom-men<br />
und noch keine Hiwis, die man<br />
schnell schicken kann. Zum Glück fand ich<br />
in letzter Minute noch einen Catering-Ser-<br />
vice, der mir in der Pause nochmal 100<br />
Stück liefern konnte. Nicht auszudenken<br />
… hungrige Wissenschaftler (lacht).<br />
Wo die Couch in den<br />
Club umzieht und<br />
Dornröschen wachge-<br />
küsst wird<br />
Eine Buchrezension<br />
Studentenfutter<br />
von Andreas Möllenkamp<br />
»Was ist Leipzig?« fragt die Soziologin Silke<br />
Steets in ihrer Dissertation »Wir sind die<br />
Stadt!« Kulturelle Netzwerke und die Kon-<br />
stitution städtischer Räume in Leipzig, die<br />
2008 im Campus Verlag erschienen ist. Sie<br />
interessiert sich dafür, wie sich die Stadt-<br />
kultur Leipzigs beschreiben lässt und wel-<br />
che Akteure dabei an der Konstruktion des<br />
Stadtbildes beteiligt sind. Angesichts der<br />
historischen Komplexität des Themas so-<br />
16 17<br />
Elfenbeinturm | Studentenfutter
Studentenfutter<br />
Silke Steets<br />
»Wir sind die Stadt!«<br />
Kulturelle Netzwerke<br />
und die Konstitution<br />
städtischer Räume in<br />
Leipzig. Campus Verlag,<br />
Frankfurt/New York<br />
2008 289 Seiten,<br />
34,90 Euro<br />
wie der Vielfalt der gegenwärtigen Akteure<br />
in diesem Feld, konzentriert sie ihre Unter-<br />
suchung auf eine Auswahl von Akteuren der<br />
lokalen Kulturwirtschaft. Als empirische<br />
Grundlage dieser von der Chicago School<br />
inspirierten ethnografischen community<br />
study hat sie zwischen 2001 und 2006<br />
ihre Erfahrungen teilnehmender Beobach-<br />
tung in einem Feldtagebuch festgehalten,<br />
ein Archiv mit Dokumenten angelegt und<br />
insgesamt 14 Experteninterviews geführt.<br />
Einen guten Überblick über die untersuch-<br />
ten Projekte, Orte und Akteure sowie de-<br />
ren Zusammenhänge ermöglichen mehrere<br />
Netzwerkübersichten und ein Index, die<br />
der Arbeit angefügt sind (s. Abbildung).<br />
Die Auswahl der Interviewpartner ist zwar<br />
im Sinne eines theoretischen Samplings<br />
auf Heterogenität ausgelegt und umfasst<br />
auch relativ viele Arbeitsfelder, dennoch<br />
bleibt die Auswahl notwendigerweise selektiv<br />
und konzentriert sich auf selbstorga-<br />
nisierte und freischaffende Kulturproduzenten<br />
aus der Alterskohorte der 1970er<br />
Jahrgänge (vgl. S. 136–139). Eine Reflek-<br />
tion darüber, welche Felder und Akteure<br />
dabei nicht in den Blick kommen und wie<br />
das Sample im Gesamtkontext der Leipziger<br />
Kultur(-wirtschaft) zu charakterisieren<br />
ist, kommt dabei leider zu kurz.<br />
Theoretischer Ausgangspunkt von Silke<br />
Steets ist der raumsoziologische Ansatz<br />
ihrer Betreuerin Martina Löw, die an der<br />
Technischen Universität Darmstadt lehrt.<br />
Der Ansatz ist dadurch gekennzeichnet,<br />
Räume als die (An)Ordnung von sozialen<br />
Gütern und Menschen zu verstehen, die<br />
aktiv über Wahrnehmungs-, Vorstellungs-<br />
oder Erinnerungsprozesse konstituiert<br />
werden. Durch dieses relationale Raumverständnis<br />
kommen Räume als Resultat<br />
und Voraussetzung von Handlungen in<br />
den Blick, sie sind sowohl Medium als<br />
auch materielles Produkt gesellschaftlicher<br />
Verhältnisse. Wie lässt sich Leipzig<br />
nun als spezifische Form der Verräumlichung<br />
charakterisieren? Was ist das Besondere<br />
an Leipzig?<br />
In den Kapiteln 6 und 7 fasst die Autorin<br />
ihre Beobachtungen, analysierten Doku-<br />
mente und Interviews zu dichten Beschrei-<br />
bungen der Stadtkultur zusammen. Nach<br />
einem Abriss der historischen Stadtentwicklung<br />
beginnt sie im 5. Kapitel mit einer<br />
Beschreibung der Praktiken und Diskurse<br />
von Expertinnen der Stadtplanung und<br />
des Stadtmarketings nach 1989. Leipzig<br />
wird darin mit seiner bürgerlichen Kultur-<br />
tradition als Klassiker einer europäischen<br />
Metropole entworfen, dessen Potential<br />
durch Krieg und DDR verschüttet wurde.<br />
Die vielfach vorhandenen Brachflächen<br />
der »perforierten Stadt« werden dabei als<br />
Möglichkeitsräume umgedeutet und Leip-<br />
zig als Ort persönlicher Entfaltungsmöglichkeiten<br />
inszeniert. Nach dem Boomtown-Slogan<br />
»Leipzig kommt!« setzt das<br />
Stadtmarketing seit 2002 auf die »Leipziger<br />
Freiheit«: Leipzig als Dornröschen,<br />
das darauf wartet, wachgeküsst zu werden!<br />
Vor diesem Hintergrund erscheinen insbe-<br />
sondere die Bauten der ostdeutschen Mo-<br />
derne als Störfaktor. Dies macht Silke<br />
Steets am Beispiel der Auseinanderset-<br />
zungen um die Wohnhochhäuser am Brühl<br />
deutlich. Vor dem Verkauf und Abriss der<br />
innerstädtischen Wohnscheiben, setzten<br />
sich mehrere kulturelle und künstlerische<br />
Projekte in der Stadt mit dem (städtebau-<br />
lichen) Erbe der DDR-Moderne und der<br />
Erinnerungspolitik auf städtischer Ebene<br />
auseinander. Nach dem Vorbild der Situa-<br />
tionistischen Internationale wurden dabei<br />
performative Interventionen entwickelt,<br />
die die Lebendigkeit, den praktischen Nut-<br />
zen und die städtebaulichen Qualitäten<br />
der Gebäude erlebbar machen sollten, um<br />
so Einfluss auf die städtischen Planungs-<br />
prozesse zu nehmen.<br />
Eine interessante Besonderheit der Arbeit<br />
liegt dabei in der Doppelrolle der Autorin<br />
als Wissenschaftlerin und Akteurin im<br />
(Konflikt-)Feld. Als Mitglied der Künstler-<br />
gruppe niko.31 war sie selbst an der Ent-<br />
wicklung der beschriebenen künstlerischen<br />
Projekte beteiligt. Durch die Beschreibung<br />
ihrer eigenen Rolle und die Re-<br />
flektion ihrer Arbeitsweise gelingt es ihr,<br />
sowohl eine ethnografische Beschreibung<br />
der Auseinandersetzung anzufertigen,<br />
aber auch ihre Kritik an der Vorgehensweise<br />
der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft<br />
deutlich zu machen.<br />
Ein ähnlicher Zusammenhang mit der Ma-<br />
terialität der Stadt wird auch beim zweiten<br />
von ihr beschriebenen Raum deutlich,<br />
der charakteristisch für Leipzig ist: Das<br />
öffentliche Wohnzimmer. War die Couch-<br />
ecke nach dem Zweiten Weltkrieg zum<br />
Inbegriff des Privaten und der familiären<br />
Binnenkommunikation geworden, so wan-<br />
delt sie ihren Charakter, wenn sie in den<br />
Club umzieht: In Kneipen und Clubs wie<br />
dem (Noch) Besser Leben oder Ilses Erika<br />
sind mit den öffentlichen Wohnzimmern<br />
ortsspezifische Praxisformen entstanden,<br />
die Vertrautheit und Nutzungsoffenheit<br />
miteinander verbinden und damit zudem<br />
an die DDR-Alternativkulturen der 1980er<br />
Jahre anknüpfen.<br />
Fazit: Die Arbeit bietet eine spannende Lek-<br />
türe und einen sehr guten Einblick in die<br />
Arbeitsweise und Vernetzung freischaffender<br />
Kulturproduzenten sowie erinne-<br />
rungs- und kulturpolitische Diskurse in<br />
Leipzig. Sie ist sehr gut geschrieben und<br />
vermittelt selbst die theoretischen Ansätze<br />
mit anschaulichen Beispielen aus<br />
der Geschichte der Raumtheorie und Stadt-<br />
forschung. Im Gegensatz zu den städtischen<br />
Planungs- und Marketingstrategien<br />
schärft Silke Steets so den Blick für ein<br />
Leipzig der Nischen, Frei- und Experimen-<br />
tierräume.<br />
Wo Fuchs und Hase<br />
sich ›Gute Nacht‹ sagen<br />
Erasmus in London<br />
von Franziska Burstyn<br />
Ich sitze in meinem zehn Quadratmeter<br />
großen Zimmer mit Dachschräge – nur die<br />
Hälfte davon begehbar – und lese. Gestern<br />
war der Bop, DIE Campusparty, wie<br />
jeden Freitag und ich bin furchtbar müde.<br />
Aber nicht weil ich bis zum Ende bei der<br />
Party war, sondern weil ich in meinem Zim-<br />
mer gelesen hab, bis spät in die Nacht.<br />
Welcome in Roehampton: Open spaces,<br />
open minds. Wer diesen Slogan entworfen<br />
hat, hat sich vorher nicht mein Zimmer an-<br />
gesehen. Aber ich will mich nicht beklagen,<br />
denn das Zimmer ist schön und meine<br />
Mitbewohner sehr ruhig, besonders wenn<br />
sie nicht da sind. Und es gibt ja auch noch<br />
die Southland’s Bar in die ich immer mit<br />
Eleri, Robin und Dave gehe. Ich hätte auch<br />
jede Woche zu Party Hits der 90er tanzen<br />
können, aber ich sitze lieber mit den drei-<br />
en zusammen und rede. Um 23 Uhr geht<br />
es dann nach Hause, weil die Campus Bar<br />
zu macht und Dave trinkt sowieso lieber<br />
Milch als Alkohol.<br />
Das klingt alles relativ vorbildlich, bis ich<br />
meine Kurstitel verrate: »What? You’re<br />
reading cook books in you’re ›Literature<br />
of Food‹ course? How cool is that?« bis<br />
hin zu »You’re talking about Lesbian Sex<br />
in Sexist Language? That’s actually a<br />
course at university? Awesome!« Und eigentlich<br />
ist es das auch. Meine Professoren<br />
sind höchst engagiert und die Kurse,<br />
die ich belege, sind alles andere als lang-<br />
weilig. Hier habe ich mein erstes feminis-<br />
18 19<br />
Studentenfutter
Titelthema<br />
tisches Märchen geschrieben, war bei Vor-<br />
lesungen im Globe Theatre und in der be-<br />
eindruckenden British Library. Roehamp-<br />
ton, laut Slogan right in the heart of London<br />
liegt eigentlich in kompletter Abgeschiedenheit,<br />
mit naturbewachsenem Cam-<br />
pus, ein paar Häusern und weniger Ge-<br />
schäften als eine Kleinstadt. Aber wenn<br />
ich mich ins neue Seminargebäude der<br />
Universität Leipzig begebe und ich die<br />
grauen Steinplatten betrete, dann denke<br />
ich doch sehnsüchtig an die efeubewachs-<br />
enen Bäume des Campus in Roehampton,<br />
auf dem dicke Eichhörnchen ihr Unwe-sen<br />
treiben und den Studenten Bonbons<br />
und Pizzareste wegnehmen.<br />
Die Erfahrungen im Ausland, besonders<br />
in einer Metropole wie London, sind abhängig<br />
davon, was man daraus macht.<br />
Die Erasmusveranstaltungen an der Roe-<br />
hampton University kann man an einer<br />
Hand abzählen, aber der Halt zwischen<br />
den Internationals war da, zumindest für<br />
diejenigen, die sich anschließen. Als Magister<br />
Student bin ich zum ersten Mal auf<br />
strenge Abgabetermine gestoßen und da-<br />
rauf, dass das Studium in Großbritannien<br />
als Nicht-Erasmus-Student finanziell oft<br />
nur schwer zu bewerkstelligen ist. Anders<br />
als in Leipzig hatte ich in Roehampton je-<br />
doch nur drei Module pro Semester, die<br />
zu je einer Veranstaltung zusammengefasst<br />
maximal drei Tage in der Woche<br />
beansprucht haben. Zeit genug also, um<br />
sich Freitag Abends in eine der vier Campus<br />
Bars zu setzen und den verkleideten<br />
Briten bei der Modeschau vor der großen<br />
Party zuzusehen, denn hier gibt es ausschließlich<br />
Motto-Parties, wie Ahoy Saylor,<br />
Cave Man oder Beauty and the Geek.<br />
Auf dem Nachhauseweg bestaune ich<br />
dann das richtige Nachtleben von Roehampton,<br />
wo Füchse ungestört die Straßen<br />
durchwandern, um sich einen Mitter-<br />
nachtssnack zu erhaschen.<br />
Master of the Universe<br />
KuWi jenseits des Bachelors<br />
von Frank Henschel<br />
Die drängende Frage, die sich wohl jeder<br />
Leipziger Student, und besonders die Ku<br />
Wis – denn wir können bekanntlich alles –<br />
in der Endphase seines Studiums, die seit<br />
Einführung der BA-Studiengänge ziemlich<br />
nah an den Studienbeginn herangerückt<br />
ist, stellt, ist jene nach dem wie weiter?<br />
Wer neben dem Studium nicht gerade<br />
Zeit hatte, zwölf Praktika zu absolvieren<br />
und sich daraus (bei ebensolcher Sympathie<br />
von der Gegenseite her) ein Rosin-<br />
chen für den beruflichen Werdegang herauspicken<br />
konnte, dem bietet sich die Ver-<br />
vollkommnung der ersten wissenschaftlichen<br />
Ausbildung in einem Masterstudium<br />
an. So soll’s ja auch sein. Da aber die<br />
Plätze in Leipzig wohl kaum für jeden Willigen<br />
ausreichen werden (trotz nimmermü-<br />
der Beteuerungen seitens der Offizialität)<br />
und ihr vielleicht einen Luftwechsel gut<br />
vertragen könntet, wagt ANTON einen<br />
Sprung in die bunte Welt der Masterstudiengänge<br />
in Deutschland und stellt euch<br />
acht Unis vor, die entweder offensicht-<br />
lich Anknüpfungsfähiges oder potenziell<br />
Innovatives für den Leipziger Absolventen<br />
versprechen. Alle Angaben sind ohne Ge-<br />
währ und unter Haftungsausschluss als<br />
Be- oder Abratung zu verstehen.<br />
Die HU-Berlin präsentiert einen interessanten<br />
Mix aus dem, was Leipziger Absol-<br />
venten unter Kulturwissenschaft kennen,<br />
mit dekonstruktivistischen und struktura-<br />
listischen Versatzstücken im M.A. Kultur-<br />
wissenschaft (Singular!). Gender-Kritik,<br />
Ästhetik und die Analyse von David-Lynch<br />
Filmen gehören zum Seminarplan, garniert<br />
mit kulturhistorischen und -philosophi-<br />
schen und -soziologischen Veranstaltun-<br />
gen. Man will sich allen geisteswissenschaftlichen<br />
Absolventen und gar Natur-<br />
wissenschaftlern öffnen, also könnte das<br />
mit der Kapazität schnell zum Hemm-<br />
schuh werden. Wer unbedingt in die Haupt-<br />
stadt muss, aber den breiten Horizont der<br />
Leipziger KuWi schätzt, den wird das Angebot<br />
begeistern.<br />
21<br />
Studentenfutter
Studentenfutter<br />
Straighter geht es in der Ruhr-Metropole<br />
Bochum zu. Hier hat man aus kulturwis-<br />
senschaftlichen, historiographischen, wirt-<br />
schaftswissenschaftlichen und rechtswissenschaftlichen<br />
Einzelteilen den M.A.<br />
›Europäische Kultur und Wirtschaft‹ zusammenmontiert.<br />
Hier gibt man sich recht<br />
zugeknöpft, ein eigenes Vorlesungsverzeichnis<br />
existiert gar nicht und die Beschreibung<br />
des Studiengangs fährt Ge-<br />
meinplätze auf, von wegen Untersuchung<br />
von Konvergenzen und Divergenzen des gemeinsamen<br />
europäischen Raumes. Gäh-<br />
nend und ratlos bleibt man zurück.<br />
Irgendwie angenehmer lässt sich die<br />
knappe Beschreibung des M.A. ›Kulturanalyse<br />
und Kulturvermittlung‹ der Nachbar-TU<br />
Dortmund an: Hier werden die Fächer<br />
›Kulturanthropologie des Textilen‹,<br />
›Kunstwissenschaft‹ und ›Musikwissenschaft‹<br />
kombiniert, ein entsprechend ähn-<br />
lich gelagertes B.A.-Studium ist darum<br />
obligatorisch. Insgesamt liegt die Fokussierung<br />
eher auf der Empirie und dem<br />
Management, obwohl auch die theoreti-<br />
sche Unterfütterung nicht vernachlässigt<br />
werden soll.<br />
Mannigfaltige Perspektiven soll der M.A.<br />
›Euroculture‹ der Uni Göttingen dem Absolventen<br />
bieten. Vom Europaabgeordneten<br />
über den Bibliothekar bis zum Personalmanager,<br />
Kompetenzen und Wissen<br />
über die Integrationsprozesse des Kontinentalzipfels<br />
Europa sollten alle haben<br />
und dies soll in drei Semestern vermittelt<br />
werden. Allerdings muss man sich<br />
die Lehrveranstaltungen zusammenstückeln,<br />
zudem wechselt beim Springen<br />
durch die Seiten ständig die Sprache zwi-<br />
schen Deutsch und Englisch. Kernkompetenz<br />
Geduld ist schon mal gefragt, eben-<br />
so wie ein geweitetes Portemonnaie, denn<br />
Gebühren von 950 Euro pro Semester (!)<br />
reißen so manches Loch ins Sparbuch.<br />
Versprochen wird dafür optimale Betreuung<br />
und Begleitung. Wir glauben das<br />
mal fürs Erste.<br />
Eines der interessantesten, und momen-<br />
tan noch gebührenfreien, Angebote präsentiert<br />
das nicht allzu weit entfernte<br />
thüringische Jena. Der Master ›Bildung<br />
– Kultur – Anthropologie‹ vereint nicht<br />
weniger als fünf (5!) Studienfächer zu einem<br />
interdisziplinären Konglomerat rund<br />
um das Thema Bildung. Dabei wirft er kul-<br />
turwissenschaftliche, soziologische, pädagogische,<br />
theologische und germanistische<br />
Perspektiven und Fragen auf, um<br />
sich dem in Jena ohnehin institutionali-<br />
sierten Thema der gesellschaftlichen<br />
Transformation während der und durch<br />
die Aufklärung zu nähern. Denn wenn ihr<br />
nach dem M.A. noch nicht genug habt,<br />
könnt ihr noch eine Promotion in der<br />
Doktorandenschule ›Laboratorium Aufklärung‹<br />
nachschieben. Zudem wird hier<br />
noch mehr geboten: der M.A. ›Kulturmana-<br />
gement‹, der sich aber eher in Richtung<br />
Musikwissenschaften bewegt, so dass<br />
mindestens die Blockflöte beherrscht wer-<br />
den sollte; der M.A. ›Volkskunde/Kulturge-<br />
schichte‹ der stärker Alltagshistorischen<br />
Fragestellungen gewidmet ist; der M.A.<br />
›Interkulturelle Personalentwicklung und<br />
Kommunikationsmanagement‹ usw.. Für<br />
KuWis finden sich in Jena mannigfache<br />
Anknüpfungspunkte und neue Perspektiven.<br />
Wer die Soziologie vermisst, dem sei Oldenburg<br />
empfohlen. Hier geht’s gleich<br />
knackig unter dem Titel ›Kulturanalysen:<br />
Repräsentation, Performativität, Gender‹<br />
zu Werke; wobei diese arg parataktische<br />
Bezeichnung einiger Erklärungen bedarf,<br />
die ANTON nur aus zweiter Hand vornehmen<br />
kann:<br />
»Im Zentrum stehen sozial markierte, vergeschlechtlichte<br />
und ethnisierte Körperbilder<br />
und -praxen, Einkleidungen und Le-<br />
bensstile – im Alltag wie in öffentlichen,<br />
nationalen und transnationalen Institutio-<br />
nen.« Alles klar!? Klingt auf jeden Fall auf-<br />
regend und - irgendwie - radikal (passt<br />
auch zum Namensgeber der Uni: Carl von<br />
Ossietzky).<br />
Ein ähnlich verklausuliertes Angebot rich-<br />
tet die Universität Bremen aus: den M.A.<br />
›Transkulturelle Studien‹. Hybridität, Alterität<br />
und Kulturtransfer sind Schlagworte<br />
in diesem mit gender- und post-colonial An-<br />
sätzen gespickten Studienprogramm. Ab-<br />
straktions- und Reflexionsvermögen sind<br />
also – ungenannte – Voraussetzungen.<br />
Wer dann doch lieber »managen« als »dis-<br />
kutieren« will, dem sei der Weg gen Süden<br />
gewiesen, und zwar nicht an eine Univer-<br />
sität, sondern an die Pädagogische Hoch-<br />
schule Ludwigsburg (bei Stuttgart). Hier<br />
wird in zwei Jahren nochmals alles kom-<br />
piliert und eingetrichtert, was der Leipzi-<br />
ger können könnte/sollte: von Kulturge-<br />
schichte, über -philosophie, -soziologie<br />
hin zum Schwerpunkt, dem Management.<br />
Praktika, Projekte und Exkursionen sind<br />
obligatorisch und lassen einem wirklich<br />
keine freie Zeit mehr. Dem, dem es in Leip-<br />
zig zu lahm war, sei das ans Herz gelegt.<br />
Je nach Bundesland müsst ihr mit Studiengebühren<br />
rechnen, einige Studiengänge<br />
wollen neben gutem Abschluss auch Motivationsschreiben<br />
beigefügt haben (z.B.<br />
Berlin, Oldenburg, Bremen). Auf jeden Fall<br />
solltet ihr euch nicht erst nach der B.A.-<br />
Arbeit zu orientieren Anfang, sondern früh-<br />
zeitig die Alternativen miteinander verglei-<br />
chen.<br />
<strong>anton</strong> hofft, euch zumindest einen klei-<br />
nen Eindruck von dem vermittelt zu haben,<br />
was der im weitesten Sinne kulturwissen-<br />
schaftliche Master in Deutschland so bie-<br />
tet. Die Masterlandschaft ist jung und wird<br />
sicherlich noch einige Male umgepflügt<br />
werden, also bleibt dran!<br />
Alles Weitere, Tiefere und Höhere findet ihr auf den<br />
Websites der Unis selbst. Manchmal muss man sich<br />
durchklicken, manchmal ist es hübsch geordnet:<br />
www2.culture.hu-berlin.de/institut | www.ruhr-<br />
uni-bochum.de/ecue/de | www.tu-dortmund.de |<br />
www.uni-goettingen.de/de/37749.html |<br />
www.uni-jena.de/masterstudium | www.uni-<br />
oldenburg.de | www.kulturmanagement.<br />
ph-ludwigsburg.de | www.dbs.uni-bremen.de<br />
Ganz in der Manier<br />
des Slapstick<br />
Magisterarbeit in Theaterwissen-<br />
schaften<br />
von Franziska Burstyn<br />
Maria Heß studiert im Magisterstudien-<br />
gang Theaterwissenschaft, Allgemeine<br />
Vergleichende Literaturwissenschaft und<br />
Anglistik an der Universität Leipzig. Derzeit<br />
schreibt sie bei Professor Dr. Günther<br />
Heeg ihre Magisterarbeit über nonverba-<br />
len Humor – eine besondere Herausforderung<br />
für eine Theaterwissenschaftlerin,<br />
wird hier doch der verbale Aspekt des<br />
Theaters gerade ausgeklammert.<br />
Der vollständige Titel von Marias Magisterarbeit<br />
lautet ›Nonverbaler Humor. Zur Wirkungsweise<br />
körpersprachlicher Komik.‹<br />
Dabei möchte die Studentin untersuchen,<br />
wie nonverbaler Humor eigentlich wirkt.<br />
Warum lachen Menschen, obwohl nichts<br />
gesagt und kein Witz erzählt wird?<br />
Die Idee zu diesem Thema begleitete Maria<br />
seit ihrem ersten Semester, als sie<br />
von einer Freundin ein Buch über Buster<br />
Keaton, Harold Lloyd, Stan Laurel und<br />
Oliver Hardy in die Hand gedrückt bekam.<br />
Schon damals kam ihr der Gedanke, dass<br />
man daraus ein super Magisterarbeits-<br />
thema entwickeln könnte. Je mehr sie in<br />
den darauf folgenden Semestern dazu<br />
lernte, desto mehr gefiel ihr der Aspekt<br />
des Körperlichen im Theater. Etwa ein Jahr<br />
vor der Anmeldung setzte sich das Thema<br />
des nonverbalen Humors dann in ihrem<br />
Kopf fest.<br />
Als das Thema nun endlich feststand, stel-<br />
lte sich der Gang zu einem möglichen Be-<br />
treuer eher als Odyssee heraus. Als Maria<br />
letztendlich bei Prof. Dr. Heeg angelangt<br />
war, musste sie beharrlich an ihrem Thema<br />
festhalten, um nicht letztendlich mit<br />
Buster Keaton als Hauptthema dazustehen.<br />
Gerade der theoretische Aspekt war<br />
es ja, der ihre Aufmerksamkeit auf den nonverbalen<br />
Humor gelenkt hatte. Bei eher<br />
ungewöhnlichen Themen und solchen, die<br />
kein ernsthaftes Sujet haben, scheint es<br />
zuweilen schwierig zu sein, die Dozenten<br />
von der Tauglichkeit der Themen zu überzeugen.<br />
Aber man sollte einfach dranbleiben.<br />
Marias Zweitgutachterin war nämlich<br />
total begeistert von ihrem Thema.<br />
Marias Magisterarbeit umfasst ein brei-<br />
tes Themenspektrum. So beinhaltet die<br />
Arbeit zum einen Theorien, wie Humor ge-<br />
schaffen wird und versucht, den Begriff<br />
›Humor‹ an sich zu definieren, wobei sie<br />
insbesondere auf nonverbale Kommunikation<br />
eingeht. So beleuchtet sie sowohl<br />
den semiotischen, als auch den linguistischen<br />
Aspekt von Humor näher und be-<br />
zieht sich damit auch direkt auf ihre Nebenfächer,<br />
zum Beispiel auf ein Anglistik-<br />
22 23<br />
Studentenfutter
Studentenfutter<br />
Seminar über ›Linguistic Approaches to<br />
Humour‹ und auf ein AVL-Seminar über den<br />
Semiotiker Umberto Eco. Besonders wich-<br />
tig ist für Maria dabei auch der Blick auf<br />
die Rezeption. Was wird wann und wie als<br />
komisch wahrgenommen? Wann wird non-<br />
verbaler Humor als ästhetisches Mittel<br />
eingesetzt? Hier bilden (Kognitions-)Psychologie,<br />
Anthropologie und Theaterpraxis<br />
die jeweiligen Ausgangspunkte. Das<br />
alles führt Maria schließlich am praktischen<br />
Beispiel von Buster Keaton zusam-<br />
men. Denn dieser auch als ›Stoneface‹<br />
bekanntgewordene Komiker der Stummfilmära<br />
betont, wie auch seine zeitgenös-<br />
sischen Kollegen, die visuelle Komik. So<br />
legt er zum Beispiel wiederholt Stürze hin,<br />
ganz in der Manier des Slapstick, die ge-<br />
rade aufgrund der fehlenden Mimik durch<br />
seinen stoischen Gesichtsausdruck zur<br />
Wirkung kommen.<br />
Der Wandel des<br />
Totenkults in der frühen<br />
Neuzeit<br />
<strong>anton</strong> sind: Juliane Scholz und<br />
Frank Henschel<br />
Kunsthistoriker Moritz Lampe über schwie-<br />
rige Archivarbeiten und seine Forschungs-<br />
ergebnisse zum Epitaph des Heinrich Hei-<br />
deck aus der Leipziger Paulinerkirche.<br />
An einem sonnigen Julinachmittag vis-avis<br />
mit dem geisteswissenschaftlichen<br />
Zentrum gilt es, Moritz Lampe zu den For-<br />
schungsergebnissen seiner Magisterarbeit<br />
zum Epitaph des Heinrich Heideck<br />
(1570 – 1603) zu befragen. Epitaphe sind<br />
eine besondere Form des christlichen<br />
Grabdenkmals: Zum einen waren sie seit<br />
dem 14. Jahrhundert ein wesentliches Ele-<br />
ment der Gedächtniskultur, denn sie sol-<br />
lten die Zeit der Buße im Fegefeuer für den<br />
Verstorbenen verkürzen. Zum anderen<br />
symbolisierten sie die Hoffnung auf Auf-<br />
erstehung und dienten der sozialen Selbst-<br />
darstellung. Meist kamen nur angesehene<br />
Bürger und Adlige in den Genuss ein solches<br />
Epitaph gestiftet zu bekommen. Moritz<br />
Lampe hat dies beispielhaft am Epi-<br />
taph für Heinrich Heideck aus der ehemali-<br />
gen Universitätskirche St. Pauli nachvollzogen<br />
und konnte letztendlich auch die umstrittene<br />
Frage nach dem ausführenden<br />
Künstler klären. Lampe reichte die Arbeit<br />
vor ihrer Publikation bei Prof. Dr. Frank<br />
Zöllner (Kunstgeschichte) und PD Dr. Rudolf<br />
Hiller von Gaertringen (Kustodie Universität<br />
Leipzig) ein.<br />
<strong>anton</strong>: Moritz, Deine Magisterarbeit<br />
zum Epitaph des Heinrich Heideck<br />
wurde vor einigen Monaten im Leipziger<br />
Plöttner Verlag publiziert. Zu<br />
deiner Buchpräsentation im Cafe<br />
Pilot sprach unter anderem Michael<br />
Faber, der neue Kulturbürgermeister<br />
von Leipzig. Das ist ganz schön viel<br />
Prominenz für eine Magisterarbeit.<br />
Wie schafft man den Sprung in die<br />
Buchwelt?<br />
Als ich mit der Magisterarbeit angefangen<br />
habe, hätte ich auch nicht im Traum gedacht,<br />
dass sie mal als Buch erscheint. Es<br />
ist ja auch nicht gerade ein Thema für die<br />
Massen. Der Erfolg kam dann dadurch,<br />
glaube ich, dass zum einen die Epitaphe<br />
der Universitätskirche im letzten Jahrhun-<br />
dert kaum wissenschaftlich bearbeitet<br />
wurden. In der ersten Hälfte des 20. Jahr-<br />
hunderts hatte sich niemand dafür interessiert<br />
und nach der Sprengung der Kirche<br />
durch die DDR-Regierung 1968 war<br />
die Beschäftigung mit den Kunstschätzen<br />
der Kirche ohnehin ein Tabu. Die geretteten<br />
Werke lagen versteckt in irgendwelchen<br />
Depots und erst nach der Wende be-<br />
gann man, den Bestand zu inventarisieren.<br />
Es wusste ja niemand mehr genau, was<br />
überhaupt noch vorhanden war. Meine Ar-<br />
beit war dann die erste, die sich so ausführlich<br />
mit einem der Werke aus der Pau-<br />
luskirche beschäftigt hat. Das hat, denke<br />
ich, auch eine Rolle bei der Veröffentlichung<br />
gespielt.<br />
<strong>anton</strong>: Hat das 600-jährige Jubiläum<br />
der Universität auch das Interesse an<br />
deiner Arbeit gesteigert?<br />
Das war auf jeden Fall der zweite wichtige<br />
Aspekt. Die Erforschung der protestanti-<br />
schen Memorialkultur ist insgesamt in die-<br />
sem Bereich noch sehr jung. Das Jubiläum<br />
hat daher nicht nur zusätzliches Interesse<br />
an der Kunst aus der Universitätskirche<br />
geschaffen, sondern es konnten so<br />
auch Geldmittel für den Druck gewonnen<br />
werden, die es in einem anderen Zusammenhang<br />
vielleicht nicht gegeben hätte.<br />
Die zweite Hälfte der Druckkosten wurde<br />
dann von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz<br />
beigesteuert, die schon zuvor<br />
die Restaurierung des Epitaphs finanziert<br />
hatte. Der größte Teil des Geldes aus dem<br />
Verkauf des Buches fließt auch direkt an<br />
das Institut für Kunstgeschichte zurück,<br />
um damit weitere Forschungsprojekte zu<br />
unterstützen.<br />
<strong>anton</strong>: Du hast selbst gesagt, dass<br />
ein Epitaph nicht gerade ein Thema für<br />
die Massen ist. Wie bist Du darauf<br />
gekommen?<br />
Es musste ja Grundlegendes geklärt wer-<br />
den: Wer war der Stifter des Epitaphs, wel-<br />
che Aussage hatte das Bildprogramm, wer<br />
hat das Kunstwerk vor über 400 Jahren<br />
geschaffen? Das fand ich spannend und<br />
habe das dann ja auch in meiner Magisterarbeit<br />
gemacht. Dazu kommt: Das Hei-<br />
deck-Epitaph ist ein besonders schönes<br />
Grabmal mit drei eindrucksvollen Relief-<br />
bildern. Es ist das größte erhaltene Werk<br />
aus der Paulinerkirche und es war das ers-<br />
te, das restauriert wurde.<br />
<strong>anton</strong>: Wie hast Du recherchiert?<br />
Der Anfang war nicht ganz leicht: Zu den<br />
Epitaphen aus der Universitätskirche gab<br />
es bisher kaum Arbeiten. Ich habe einige<br />
einleitende Aufsätze zur Grab- und Erinnerungskultur<br />
der frühen Neuzeit gelesen<br />
und habe Quellen und Vergleichsmöglich-<br />
keiten recherchiert. Das Epitaph selbst habe<br />
ich natürlich auch in Augenschein ge-<br />
nommen. Ich habe viele Photos gemacht,<br />
um die Details auch zu Hause untersuchen<br />
zu können, die Reliefs, die Perspektiven<br />
und die Modellierungen. Für den sozialge-<br />
schichtlichen Kontext war dann das Archiv<br />
der Universität Leipzig sehr wichtig, in dem<br />
sich viele Akten zu den Bestattungen des<br />
17. Jahrhunderts überliefert haben. Aber<br />
auch das Archiv des Naumburger Doms.<br />
Es war also viel Schreib- und Bibliotheksarbeit<br />
mit gelegentlichen Ausflügen zu den<br />
Kirchen in der Umgebung Leipzigs.<br />
<strong>anton</strong>: Wie würdest die Bedeutung<br />
des Epitaphs des Heinrich Heideck innerhalb<br />
der sächsischen oder gar der<br />
europäischen Bildhauerei der Früh-<br />
neuzeit einschätzen?<br />
Die Leipziger Bildhauerkunst der Spätrenaissance<br />
ist bisher kaum erforscht worden.<br />
Daher kann man zur Bedeutung des<br />
Epitaphs für die Region nur allgemein sagen,<br />
dass es zu einem der aufwendigsten<br />
und originellsten Epitaphe zählt. Aller-<br />
dings konnte ich zeigen, dass es von dem<br />
Leipziger Bildhauer Valentin Silbermann<br />
angefertigt wurde, der um 1600 sehr bedeutend<br />
gewesen sein muss. Zuvor wurde<br />
spekuliert, dass es ein niederländischer<br />
oder italienischer Bildhauer war, der es<br />
hier vor Ort schuf, da die Qualität so einzig-<br />
artig ist. Das liegt aber auch daran, dass<br />
viele Epitaphe über die Jahrhunderte zer-<br />
stört worden sind und sich somit kaum Ver-<br />
gleichsmöglichkeiten bieten. Es müsste<br />
also noch weiter Grundlagenforschung be-<br />
trieben werden.<br />
<strong>anton</strong>: Wie sah denn der kunst- und<br />
sozialhistorische Kontext aus,<br />
den du rekonstruiert hast?<br />
Den Wandel der Bedeutung der Epitaphe<br />
konnte ich zum Beispiel in Schriften Luthers<br />
und Aufsätzen zu diesem Thema gut<br />
nachzuvollziehen. Luther favorisierte eine<br />
Bestattung vor den Toren der Stadt. Das<br />
war in Leipzig seit 1545 der damals noch<br />
außerhalb der Stadtmauern liegende Johannisfriedhof,<br />
dort, wo heute das Grassi-<br />
museum steht. Nachdem der Stadtrat die-<br />
se Form der Bestattung vorschrieb, kon-<br />
nten sich nur noch reiche Bürger und Universitätsangehörige<br />
eine Zeremonie und<br />
Bestattung innerhalb der Stadt leisten.<br />
Heideck selbst war Jurist, im 17. Jahrhun-<br />
derts ein typischer Aufsteigerberuf, der<br />
es Bürgern erlaubte einen dem Adel vergleichbaren<br />
sozialen Status zu erlangen.<br />
Daher konnte er sich sogar im Chor in der<br />
24 25<br />
Studentenfutter<br />
Heideck-Epitaph<br />
in der Universitätskirche,<br />
um 1955<br />
Heideck-Epitaph<br />
(nach der Restaurierung),<br />
Gesamtansicht
Studentenfutter<br />
Lampe, Moritz, Zwischen<br />
Endzeiterwartung und<br />
Repräsentation.<br />
Das Epitaph des Heinrich<br />
Heideck (1570 – 1603)<br />
aus der Leipziger<br />
Universitätskirche St.<br />
Pauli, Plöttner Verlag,<br />
Leipzig 2009.<br />
Universitätskirche bestatten lassen. Eine<br />
Szene seines Epitaphs zeigt deshalb auch<br />
ein Relief, das auf diese privilegierte Form<br />
der Bestattung anspielt. Gestiftet wurde<br />
das Epitaph, da Heideck jung verstarb, von<br />
seiner verwitweten Mutter, wie sich aus<br />
der Leichenpredigt, den Inschriften auf der<br />
Grabplatte und dem Epitaph selbst ergibt.<br />
<strong>anton</strong>: Was sind deine aktuellen wissenschaftlichen<br />
Projekte? Widmest<br />
du dich weiterhin diesem und anderen<br />
Epitaphen oder möchtest du in eine<br />
völlig andere Richtung?<br />
Ich habe jetzt angefangen in Kunstgeschichte<br />
zu promovieren. In meiner Disser-<br />
tation beschäftige ich mich aber mit einem<br />
ganz anderen Themengebiet. Es soll<br />
um das Sprichwort »Jeder Maler malt sich<br />
selbst« und um den künstlerischen Selbst-<br />
ausdruck in der Kunstliteratur vom 15.<br />
bis zum 18. Jahrhundert gehen.<br />
<strong>anton</strong>: Hilft dir die Publikation<br />
bei der Finanzierung der Dissertation,<br />
konntest du zum Beispiel bei der<br />
Bewerbung um ein Stipendium damit<br />
punkten?<br />
Also bisher hat sich das noch nicht bemerkbar<br />
gemacht. Aber das geht sicherlich<br />
vielen Geisteswissenschaftlern so,<br />
die doch immer etwas länger in den Beruf<br />
brauchen…<br />
<strong>anton</strong>: … wie eine Studie ergab, sind<br />
es durchschnittlich 14 Monate …<br />
… ach ja? Na dann passe ich da wohl rein<br />
(lacht).<br />
Moritz Lampe, geboren 1980 in Bonn, lebt seit<br />
2001 in Leipzig. Hier und in Rom studierte<br />
er Kunstgeschichte, Buchwissenschaften und Soziologie.<br />
Gegenwärtig arbeitet er zu Fragen<br />
des künstlerischen Selbstausdrucks in Kunst<br />
und Kunsttheorie der Frühen Neuzeit.<br />
Leipzig muss grüner<br />
werden –<br />
schon ab 5 Euro!<br />
Baumpatenschaftsprojekt anlässlich<br />
des 600. Jubiläums der Uni Leipzig<br />
von Thomas Seifert<br />
(Projektleiter ›600 Bäume zum 600.<br />
Jubiläum der Universität Leipzig‹)<br />
Seit dem 1. April 2009 besteht die Mög-<br />
lichkeit, im Rahmen des studentischen<br />
Umweltschutzprojektes ›600 Bäume zum<br />
600. Jubiläum der Universität Leipzig‹ ei-<br />
ne Baumpatenschaft zu übernehmen.<br />
Hauptanliegen dieser Initiative des Vereins<br />
›Studierende 2009 e.V.‹ ist es, Verant-<br />
wortung für die Umwelt und den eigenen<br />
Lebensraum spür- und erlebbar zu machen.<br />
Die Schirmherren des Projektes sind<br />
Sigmar Gabriel (Bundesumweltminister),<br />
Klaus Töpfer (Bundesumweltminister a.D.)<br />
und Johannes Lichdi (MdL Sachsen).<br />
Patenschaften können ab 5 Euro für 10<br />
Setzlinge und ab 125 Euro bzw. 250 Euro<br />
für einen Starkbaum (7 cm Stammdurchmesser)<br />
übernommen werden. Die Setzlinge<br />
werden am 23. Oktober und 14. No-<br />
vember in Großzössen (ca. 25 km von Leipzig)<br />
während eines studentischen Pflanz-<br />
flashs, die Starkbäume hingegen in Leipzigs<br />
Parks und Straßen gepflanzt. Zu dem<br />
Termin am 14. November werden bis zu<br />
70 Helfer/innen benötigt. Interessenten<br />
sind dazu natürlich herzlich eingeladen.<br />
Die Bilanz des Projektes nach sechs Mo-<br />
naten ist erfreulich. Der aktuelle Spenden-<br />
stand beträgt 11980 Euro. Davon werden<br />
2360 Setzlinge und 48 Patenbäume ermöglicht.<br />
Bisher haben 121 Studenten,<br />
Dozenten, Institute, Fachschaftsräte, der<br />
StudentInnenRat der Universität Leipzig,<br />
der Studentenrat der HTWK, bis hin zu<br />
Alumnis, Seniorenstudenten, dem Rektor,<br />
die Dekane und das Rektoratskollegium<br />
gespendet.<br />
Trotz dieser erfreulichen Bilanz darf dies<br />
aber kein Grund sein sich auszuruhen, son-<br />
dern es wird weiterhin um jede/n Spender/in<br />
geworben. Wenn auch Du Baumpate/in<br />
werden möchtest oder eine Baum-<br />
patenschaft verschenken möchtest, dann<br />
schau einfach auf der Homepage des Pro-<br />
jektes vorbei.<br />
Zum Dank wird jede/r Pate/in auf der Homepage<br />
namentlich erwähnt. Möchtest<br />
Du nicht namentlich genannt werden, ergänze<br />
bitte beim Überweisungsvorgang<br />
im Betreff ›anonym‹.<br />
Den richtigen Ton<br />
finden …<br />
The Real World<br />
Praktikum in der Abteilung<br />
Musikvermittlung des Gewandhauses<br />
<strong>anton</strong> ist Johanna Puchta<br />
Sarah Niebergall studiert Kulturwissenschaften,<br />
Italianistik und Musikwissen-<br />
schaften auf Magister an der Uni Leipzig.<br />
Außerdem ist sie ein begeistertes Mitglied<br />
des Universitätsorchesters. Von Mitte Feb-<br />
ruar bis Ende Mai absolvierte sie ein unver-<br />
gütetes Praktikum in der Abteilung Musik-<br />
vermittlung im Gewandhaus, das dem Kon-<br />
zertbüro angegliedert ist. <strong>anton</strong> hat sie zu<br />
ihren Erfahrungen dort befragt.<br />
<strong>anton</strong>: Wie bist du an das Praktikum<br />
gekommen?<br />
Ich hatte das Glück, rechtzeitig zu erfahren,<br />
dass in der Musikvermittlung dringend<br />
jemand gesucht wird. Daraufhin habe ich<br />
mich beworben und wurde zu einem Vorstellungsgespräch<br />
eingeladen. Mit meiner<br />
Betreuerin Annika Schmitz habe ich mich<br />
sofort super verstanden.<br />
<strong>anton</strong>: Welche Aufgaben hast du in<br />
der Musikvermittlung des<br />
Gewandhauses übernommen?<br />
Meine Aufgaben waren extrem vielfältig.<br />
Was es zu tun gab, hing einfach davon ab,<br />
welches Projekt gerade aktuell war und in<br />
welcher Phase der Vorbereitung wir damit<br />
standen. Ein Teil meiner Arbeit bestand<br />
aus Büroaufgaben: Ich habe Informatio-<br />
nen zu bestimmten Musikstücken recher-<br />
chiert und organisatorische Aufgaben er-<br />
ledigt, Zeit- und Ablaufpläne für bestim-<br />
mte Abschnitte einzelner Projekte erstellt<br />
und Projekte dokumentiert. Außerdem ge-<br />
hörte es zu meinen Aufgaben, Telefondienste<br />
zu übernehmen, Noten für Musi-<br />
ker zu setzen, Aushilfen zu organisieren,<br />
Programmtexte zu verfassen und noch vie-<br />
les andere. Dank der großen Abwechslung<br />
war es fast nie langweilig.<br />
Besonders gefallen hat mir, dass ich zum<br />
Teil konzeptionell mitarbeiten durfte. Die<br />
grundlegenden Ideen der Projekte waren<br />
natürlich schon lange im Voraus entwickelt<br />
worden, aber nicht unbedingt bis<br />
ins Detail. Es war toll, dass ich dazu gefragt<br />
wurde und dass meine Ideen Eingang<br />
gefunden haben.<br />
Einige Male durfte ich selbst Musikvermit-<br />
tlerin sein. Dabei habe ich zum Beispiel<br />
den Probenbesuch einer Schülergruppe<br />
im Gewandhaus geleitet. Dazu habe ich<br />
den Einführungsvortrag gehalten, die Grup-<br />
pe durchs Haus begleitet und zusammen<br />
mit einem Musiker des Orchesters eine Instrumentenvorstellung<br />
gemacht. Zudem<br />
habe ich auch zwei Taschenkonzerte gestaltet<br />
– das sind kleine Konzerte, bei de-<br />
nen Gewandhausmusiker in die Kindergärten<br />
und Schulen gehen und für die Kin-<br />
der musizieren, ihnen Instrumente vorstel-<br />
len und kleine Themen erklären. Es ist an-<br />
spruchsvoll, jeweils zu überlegen, wie man<br />
den unterschiedlichen Zielgruppen etwas<br />
über Musik vermittelt. Die Ansprache<br />
muss genau passen. Aber ich glaube, dass<br />
es genauso wichtig ist, die eigene Begeiste-<br />
rung für die Sache zu vermitteln, ganz<br />
gleich vor wem man spricht.<br />
<strong>anton</strong>: … das klingt ja nach einem<br />
Vollzeitpraktikum …<br />
Nein, das war es nicht. Ich habe drei Tage<br />
26 27<br />
The Real World<br />
Thomas Seifert,<br />
Rektor Prof. Dr. Franz<br />
Häuser, Schirmherr<br />
Johannes Lichdi MdL<br />
und Bürgermeister<br />
Heiko Rosenthal (v.l.)<br />
Foto: Sven Jaros.<br />
www.600baeume.de<br />
E-Mail: 600baeume@<br />
studierende2009.de
The Real World<br />
in der Woche dort gearbeitet. In speziel-<br />
len Phasen, wenn sehr viel zu tun war, war<br />
ich auch öfter bzw. länger dort.<br />
<strong>anton</strong>: Liefen besondere Projekte<br />
während deiner Zeit dort?<br />
Es gab Projekte am laufenden Band. Dass<br />
es so viele kurz hintereinander waren, war<br />
nicht selbstverständlich, für mich aber<br />
großes Glück, weil ich ein sehr breites<br />
Spektrum der Arbeit im Bereich Kulturver-<br />
mittlung miterleben konnte. Angefangen<br />
hat es mit dem Bachprojekt, bei dem Gym-<br />
nasialschüler ein Theaterstück mit Musik-<br />
elementen aufgeführt haben. Das hat des-<br />
halb besonders viel Spaß gemacht, weil<br />
ich spontan selbst in dem kleinen Orches-<br />
ter Geige mitspielen durfte und einfach<br />
mittendrin war.<br />
Gegen Ende des Praktikums habe ich<br />
beim Echo-Projekt die Assistenz übernom-<br />
men. Das Echo-Projekt war ein kreatives<br />
Musikprojekt mit zwei Schulklassen, die<br />
in Workshops selbst Musik komponiert<br />
und sie dann zusammen mit Gewandhaus-<br />
musikern aufgeführt haben. Ich war an al-<br />
len Phasen des Projektes beteiligt. Anfangs<br />
habe ich meine Chefin vor allem bei<br />
Terminen mit den Beteiligten begleitet<br />
und konnte sehen, wie die verschiedenen<br />
Ideen zusammenflossen und das Projekt<br />
langsam Gestalt annahm. Später, in der<br />
Endphase und am Konzerttag selbst, be-<br />
deutete die Assistenzarbeit einfach, Mäd-<br />
chen für alles zu sein. Ich war Ansprechpartnerin<br />
für jedermann und habe von der<br />
Gruppenbetreuung bis zum Beschaffen eines<br />
fehlenden Notenständers von irgend-<br />
wo aus dem Haus her alle anfallenden Auf-<br />
gaben übernommen. Diese letzte Phase<br />
war sehr anstrengend, aber auch besonders<br />
schön. Gerade in diesem Projekt kam<br />
von den Kindern sehr viel Begeisterung,<br />
Zustimmung und Freude zurück.<br />
<strong>anton</strong>: Hat dir das Praktikum etwas<br />
für dein Studium gebracht? Hast<br />
du etwas Besonderes dabei gelernt?<br />
Für mein Studium hat mir das Praktikum<br />
nicht unbedingt was gebracht. Umgekehrt<br />
eher: Sich schnell in neue Themen hinein-<br />
arbeiten zu können und darüber dann einen<br />
Vortrag zu halten – wie wir es eben<br />
in der Uni gelernt haben, war sehr wichtig<br />
für meine Arbeit im Gewandhaus.<br />
Sonst habe ich Dinge gelernt, die eher<br />
indirekt wichtig sein werden: Die Fähigkeit,<br />
vieles parallel im Kopf zu behalten<br />
und immer den neusten Stand jedes Projektes<br />
abrufen zu können. Schnell und<br />
flexibel Lösungen für plötzlich auftauchende<br />
Probleme zu finden – irgendwas<br />
passiert ja immer! Außerdem habe ich<br />
gelernt, gute, übersichtliche Pläne zu erstellen<br />
und mit viele Kenntnisse über diverse<br />
Musikinstrumente angeeignet …<br />
Für mich persönlich habe ich besonders<br />
durch den Umgang mit vielen unterschied-<br />
lichen Menschen sehr viel mitgenommen.<br />
<strong>anton</strong>: Hast du noch<br />
Kontakt zu den Leuten dort?<br />
Ja, zu meiner Chefin. Die anderen sehe ich<br />
meistens, wenn ich ins Konzert gehe.<br />
<strong>anton</strong>: Kannst du das Praktikum<br />
weiter empfehlen?<br />
Ich kann auf jeden Fall ein Praktikum im Ge-<br />
wandhaus empfehlen. Allerdings wird es<br />
den Praktikumsplatz in der Musikvermittlung<br />
in dieser Form leider nicht mehr geben.<br />
Das Gewandhaus bietet aber viele<br />
Vollzeitpraktika über einen längeren Zeitraum<br />
an – allerdings ohne Bezahlung. Ob<br />
dieses Angebot von Studierenden wahrgenommen<br />
werden kann, da bin ich mir<br />
nicht so sicher.<br />
mephisto 97.6<br />
– story of an insider<br />
»Guten Abend, Sie hören mephisto 97.6<br />
und ich begrüße Sie herzlich<br />
zu einer Stunde Lauschangriff.«<br />
von Maria Kaduk<br />
Es ist Montag Abend, Zeit für ›Radiokunst‹<br />
bei mephisto 97.6, dem Lokalradio der Uni<br />
Leipzig, es läuft der Lauschangriff, die Hör-<br />
spiel-, Feature- und Themensendung. Seit<br />
gut einem Semester leite ich nun dieses<br />
Ressort und manchmal frage ich mich<br />
noch immer, wie es eigentlich dazu gekom-<br />
men ist.<br />
Ich studiere seit dem Wintersemester<br />
2007 in Leipzig, und habe es erfolgreich<br />
geschafft mephisto 97.6 ein Jahr lang zu<br />
ignorieren. Im letzten Wintersemester jedoch<br />
ist mir der Sender dann doch mal<br />
über den Weg gelaufen.<br />
Der Werbeaktion für das Schnupperwochenende<br />
in der Kultursoziologie Vorlesung<br />
konnte ich trotz Zuspätkommens<br />
nicht entgehen. Ich habe mich einfach an-<br />
gemeldet, ein bisschen Ehrgeiz kann ja<br />
schließlich nicht schaden. »Wenn’s doof<br />
wird, kann ich ja immer noch gehen«, dach-<br />
te ich mir.<br />
So fand ich mich dann Anfang November<br />
an einem Samstagmorgen in der Ritterstraße<br />
wieder, wurde mit Brötchen und<br />
Getränken ruhig gestellt und hörte mir<br />
Infos über den Sender an.<br />
Das erste Mal auf Sendung ging mephisto<br />
97.6 am 31. Mai 1995 um 18 Uhr. Seit-<br />
dem gibt es jede Woche von 10 – 12 Uhr<br />
und von 18 – 20 Uhr studentisches Radio<br />
in Leipzig auf der Frequenz 97.6, die es<br />
sich mit R.SA teilt.<br />
Täglich laufen die Sendungen ›Faustschlag‹<br />
und ›Direkt‹. ›Faustschlag‹ ist das<br />
Vormittagsmagazin bei mephisto 97.6,<br />
mit lokaler Kultur und Politik, Sport und<br />
alles was am Morgen sonst noch interes-<br />
sant zu hören ist.<br />
Abends folgt um 18 Uhr ›Direkt‹, zu hören<br />
sind tagesaktuelle Informationen aus<br />
Leipzig, und um 19 Uhr folgen die vierten<br />
Stunden, montags der ›Lauschangriff‹,<br />
Dienstag der ›Kultstatus‹, Mittwoch ›M19‹<br />
– das lange Interview, Donnerstag der<br />
›Tonleiter‹ und am Freitag der ›Nachschlag‹<br />
– der satirische Wochenrückblick.<br />
mephisto 97.6 ist in erster Linie ein Ausbildungsradio,<br />
das heißt, wir werden aus-<br />
gebildet und bilden aus. Das Prinzip Erfahrener-Mitarbeiter-bildet-neuen-Mitarbeiter-aus<br />
wird ergänzt durch diverse<br />
Seminare, in denen man genaueres über<br />
die Radioarbeit lernen kann.<br />
Aber zurück zum Schnupperwochenende.<br />
Ich blieb erstmal skeptisch, das kann nie<br />
schaden. Aber schon im Laufe des ersten<br />
Vormittags, als ich die Aufgaben, die man<br />
mir gestellt hatte, erledigte, wurde meine<br />
Begeisterung entfacht.<br />
Ich durfte einen Beitrag zusammen schnei-<br />
den – etwas von dem ich nie gedacht hät-<br />
te, dass ich es kann – vor allem nicht innerhalb<br />
von vier Stunden.<br />
Inzwischen stehe ich total auf unser<br />
Schnittprogramm, am besten sind eigent-<br />
lich die Ganzen verrückten Dinge die man<br />
damit anstellen kann, das hat etwas von<br />
Experimentalkästen für Große.<br />
Ich beschloss also, da erstmal mit zu ma-<br />
chen, freie Mitarbeit nennt man das.<br />
Zu dem Zeitpunkt wusste ich, wie man den<br />
Rechner bedient, die Mikros richtig hält<br />
und in das Mikro im Aufnahmestudio<br />
spricht – mehr nicht. Ich wusste noch nicht<br />
mal richtig, was die anderen komischen<br />
Menschen dort im Sender eigentlich mach-<br />
ten. Es war für mich relativ schwierig, mich<br />
in die dort bestehende Struktur herein zu<br />
finden, was auch dementsprechend lange<br />
gedauert hat.<br />
Merkwürdig war dann auch, dass ich nach<br />
meinen ersten drei Beiträgen gleich die Re-<br />
ssortleitung des ›Lauschangriffs‹ angebo-<br />
ten bekam. Nun, ich denke nach wie vor,<br />
dass ich eine Art Notlösung war, weil sich<br />
kein anderer gefunden hat. Aber es war<br />
eine Herausforderung, die ich nur zu gerne<br />
angenommen habe.<br />
Wie genau sieht die Arbeit bei mephisto<br />
97.6 nun eigentlich aus? Radio machen,<br />
wie läuft das? Ich habe früher beim Hören<br />
ehrlich gesagt nie drüber nachgedacht,<br />
wie so ein Beitrag entsteht, wie die Struk-<br />
tur für eine Sendung aussehen muss oder<br />
wie man professionell spricht.<br />
Ich für meinen Teil arbeite im »Lausch-<br />
angriff – der Hörspiel-, Feature- und The-<br />
mensendung bei mephisto 97.6«. Diesen<br />
Satz kann ich auswendig, da ich ihn jede<br />
Woche mindestens einmal in irgendein<br />
Mikro spreche, um meine Sendung anzu-<br />
teasen!<br />
›Sendung haben‹ heißt eine ganze Stunde<br />
muss ›gefüllt‹ werden, mit Beiträgen und<br />
Musik, das bedeutet, dass man mindestens<br />
30 Minuten Wortbeiträge produzieren<br />
muss. Ebenso heißt ›Sendung haben‹,<br />
dass Moderationen geschrieben und Sen-<br />
deablaufpläne erstellt werden müssen,<br />
ebenso wie die Playlist und Internetartikel<br />
zu den jeweiligen Beiträgen.<br />
28 29<br />
The Real World<br />
Mephisto 97.6<br />
Moderator<br />
Thielko Grieß<br />
im Studio –<br />
er moderierte<br />
Mias erste<br />
Lauschangriff-<br />
Sendung
The Real World<br />
Sendungen entstehen bei mir meistens<br />
längerfristig. Zuerst ist da das Thema,<br />
zum Beispiel wird das Fischstäbchen<br />
dieses Jahr 50 Jahre alt. In Folge dieses<br />
weltumschmeißenden Ereignisses setze<br />
ich mich mit meinen Redakteuren zusam-<br />
men und wir überlegen, wie man das große<br />
Thema ›Fischstäbchen‹ umsetzen kann. Es<br />
entstehen verschiedene Beitragsideen<br />
zum Beispiel: Fischstäbchen von verschie-<br />
denen Herstellern testen, mal einen Ernährungsberater<br />
fragen WAS da eigentlich<br />
so alles drin ist und auf jeden Fall eine<br />
Kolumne, »Was haben die Menschen früher<br />
nur ohne Fischstäbchen gemacht«.<br />
Dann wird recherchiert, Interviews werden<br />
geführt, Skripte geschrieben und aufgenommen,<br />
produziert, geschnitten, mit Mu-<br />
sik und Geräuschen unterlegt – und fertig<br />
ist der Beitrag.<br />
Klingt wahrscheinlich einfacher als es ist,<br />
aber macht irrsinnig Spaß.<br />
Es lohnt sich also. Man lebt für diese Arbeit,<br />
auch wenn man kein Geld dafür be-<br />
kommt, was schon merkwürdig ist. Eine<br />
quasi-Vollzeitstelle ohne Bezahlung.<br />
Manchmal frage ich mich, woher bei all<br />
den vielen Menschen, mit denen ich zusammenarbeite,<br />
der Antrieb kommt. Inzwischen<br />
denke ich, Radiomachen ist eine<br />
Sucht, die auch mich voll ergriffen hat.<br />
Auch wenn es stressig ist – planen, schnei-<br />
den, organisieren – manchmal verbringt<br />
man ganze Tage und halbe Nächte nur mit<br />
und im Radio. Es ist ein Teil meines Lebens<br />
geworden, auf den ich nicht mehr verzich-<br />
ten möchte. Allerdings gab und gibt es im-<br />
mer wieder Zweifel. Zum einen bei mir und<br />
zum anderen gibt es auch Menschen in<br />
meinem Umfeld, die nicht so positiv auf<br />
meine Entscheidung reagiert haben, die<br />
Ressortleitung zu übernehmen und damit<br />
relativ viel Zeit in den Sender zu investie-<br />
ren und die deshalb letztendlich ihre Kon-<br />
sequenzen zogen.<br />
Am ersten Abend des Schnupperwochen-<br />
endes trafen wir uns noch einmal im Sen-<br />
der mit den damaligen Ressortleitern. Ich<br />
kann mich noch genau daran erinnern,<br />
dass ich nach dem Bild, das mephisto<br />
97.6 in der Öffentlichkeit hat, gefragt wur-<br />
de. Damals konnte ich nicht viel dazu sagen,<br />
aber mir hat sich eingeprägt, dass<br />
das Gerücht besteht, dass der Sender<br />
eine Art Sekte sei. Heute kann ich das<br />
bestätigen. mephisto 97.6 ist definitiv ei-<br />
ne Sekte, aber ’ne verdammt coole! Wie<br />
eine Krake, mit tausend Armen und wenn<br />
man einmal kleben bleibt, kommt und will<br />
man nicht mehr von ihr los!<br />
›Sonnenfinsternis‹<br />
auf Leipziger Bühnen<br />
Ein Interview mit der Direktorin<br />
des euro-scene-Theaterfestivals<br />
Ann-Elisabeth Wolff<br />
<strong>anton</strong> ist Franziska Burstyn<br />
Bereits zum 19. Mal bringt das Theater-<br />
und Tanzfestivals euro-scene Leipzig vom<br />
3. – 8. November 2009 ein abwechslungs-<br />
reiches Programm nach Leipzig. Zu den<br />
Festivalhöhepunkten zählen die Gastspiele<br />
des Cullberg Ballet aus Stockholm,<br />
des Muziektheater Transparant aus Antwerpen<br />
unter Mitwirkung des A-cappella-<br />
Chors Collegium Vocale Gent, die Aufführung<br />
von ›Ruhe‹ von Josse De Pauw sowie<br />
einer ›Hamlet‹-Inszenierung des litauischen<br />
Regisseurs Oskaras Korsunovas<br />
aus Vilnius. Der Wettbewerb ›Das beste<br />
deutsche Tanzsolo‹ findet außerdem<br />
bereits zum 9. Mal statt. Aber nicht nur die<br />
Stücke der euro-scene Leipzig sind ungewöhnlich,<br />
sondern auch die Veranstaltungsorte:<br />
So nehmen dieses Jahr sowohl<br />
etablierte Spielstätten wie die Oper Leipzig,<br />
das Gewandhaus und das Central-<br />
theater teil, als auch ungewöhnliche Orte<br />
wie das Leipziger Stadtbad. <strong>anton</strong> hat ei-<br />
nen Blick hinter die Kulissen geworfen<br />
und die Festivaldirektorin Ann-Elisabeth<br />
Wolff persönlich zu Ablauf und Organisation<br />
des Theaterfestivals befragt.<br />
<strong>anton</strong>: Sie waren ja schon zu Beginn<br />
des Festivals 1991 dabei, vorerst als<br />
Künstlerische Mitarbeiterin.<br />
Was hat sich seitdem verändert?<br />
Die euro-scene Leipzig war natürlich am<br />
Anfang ein ganz junges, unbedarftes Fes-<br />
tival. Es hat sich dann über die Jahre von<br />
einem lokal durchaus sehr gut besuchten<br />
Festival zu einem der großen europäischen<br />
Theaterfestivals entwickelt. Die<br />
Grundkonzeption war schon zu Beginn so<br />
gut überlegt, dass sie bis heute beibehal-<br />
ten wurde: Es geht um Theater und Tanz,<br />
alle Formen von Theater, vor allem spartenüberschreitend.<br />
Außerdem will die euro-scene<br />
Leipzig berühmte Künstler neben<br />
eher unbekannte zu stellen. Jedes<br />
Jahr kommen zwei bis drei europäische<br />
Größen. Bei den unbekannten Künstlern<br />
handelt es sich allerdings nicht um Laien,<br />
sondern um solche, die bereits einen ge-<br />
wissen Bekanntheitsgrad im eigenen<br />
Land haben. Natürlich besteht auch ein<br />
Anspruch an den inhaltlichen Aspekt der<br />
Stücke, die sozialkritische und gesellschaftlich<br />
brisante Themen auf die Bühne<br />
bringen sollen.<br />
<strong>anton</strong>: Die Stücke werden dann von<br />
Ihnen ausgewählt?<br />
Das ist richtig. Die Stücke wähle ich aus,<br />
aber ich lasse mir natürlich aus ganz Europa<br />
Hinweise geben. Wir haben auch einen<br />
künstlerischen Beirat, der aus fünf<br />
hoch-karätigen Fachleuten besteht. Seit<br />
einigen Jahren gibt es zudem die Carte<br />
blanche, bei dem ein Mitglied dieses Bei-<br />
rates ein Gastspiel entscheidet, dieses<br />
Jahr war es Sigrid Gareis, die Gründungs-<br />
direktorin ist und bis Juni 2009 künstlerische<br />
Leiterin des Tanzquartier Wien war.<br />
Insgesamt muss in der Stückauswahl<br />
auch eine Beschränkung bestehen um sich<br />
von anderen Festivals abzugrenzen und<br />
dem eigenen Konzept treu zu bleiben.<br />
<strong>anton</strong>: Gibt es so etwas wie einen<br />
typischen Tagesablauf während des<br />
Festivals?<br />
Für das Team dauert die Vorbereitung un-<br />
gefähr zwei Jahre. Der Festivalablauf an<br />
sich ist nur noch das i-Tüpfelchen, da ist<br />
schon fast alles getan. Die Praktikanten<br />
kommen 6 bis 2 Wochen vor Festivalbeginn<br />
dazu. Ohne diese würde die Vorführung<br />
des Festivals zusammenbrechen,<br />
denn zahlreiche Vorgänge laufen bei ihnen<br />
ab: Die Compagnien werden betreut,<br />
die Werbematerialien müssen verteilt und<br />
die technischen Einrichtungen in den Spiel-<br />
stätten begleitet werden. Hinzu kommen<br />
die tägliche Teamsitzung um 13 Uhr sowie<br />
die Abenddienste. Meist geht der Tag für<br />
die Praktikanten gegen 8 – 9 Uhr los und<br />
endet nach Mitternacht. Im Festivalcafé<br />
kann man schließlich nach der letzten Vor-<br />
stellung entspannen und mit den Künstlern<br />
plauschen, doch auch hier gilt es noch<br />
die eine oder andere Frage zu beantwor-<br />
ten oder überraschend auftretende Pro-<br />
bleme für den nächsten Tag zu klären. Je-<br />
der einzelne Praktikant vertritt das Festival<br />
nach außen, man muss Ruhe bewahren<br />
und schnell reagieren können. Man<br />
muss auch verschwiegen und diplomatisch<br />
sein, denn ein Theaterfestival hat<br />
mit verschiedenen Nationalitäten, unterschiedlichen<br />
Mentalitäten und verschiedenen<br />
Publikumsansprüchen zu tun. Und<br />
schließlich ist Theater keine Filmspule, al-<br />
les wird live von Menschen für Menschen<br />
gemacht, das ist sehr spannend. Bei der<br />
langen Vorbreitung bricht nach dem Festival<br />
eine gewisse Traurigkeit aus, ähnlich<br />
wie bei den Regisseuren nach dem Tag der<br />
Premiere.<br />
<strong>anton</strong>: Wie verhält es sich denn mit<br />
dem Publikum der euro-scene<br />
Leipzig? Sieht man da alljährlich<br />
viele bekannte Gesichter?<br />
Die gibt es tatsächlich. Ich kenne Leute,<br />
die seit 1991 in jedem Gastspiel sitzen,<br />
das ist toll. Es finden auch ganze Klassen-<br />
treffen in der Woche statt. Eine Gruppe<br />
aus Chemnitz kommt extra zur euro-scene<br />
Leipzig und trifft sich hier einmal im Jahr.<br />
Neben dieser Fan-Gemeinde kommen na-<br />
türlich jedes Jahr viele junge Leute, darunter<br />
auch zahlreiche Studenten. Es ist<br />
schön, dass die euro-scene Leipzig ein so<br />
weites Spektrum erreicht und auch Zuschauer<br />
anzieht, die sonst eher in die Oper<br />
oder ins Gewandhaus gehen.<br />
<strong>anton</strong>: Was erwartet uns auf der<br />
diesjährigen euro-scene Leipzig unter<br />
dem Motto ›Sonnenfinsternis‹?<br />
Das Festival trägt seit vielen Jahren ein<br />
Motto, am Anfang war das noch nicht so.<br />
Diesmal ergab sich das durch die Eröffnungsvorstellung,<br />
ein Tanzstück, welches<br />
ja den Namen ›Point of eclipse‹ trägt, ›Mo-<br />
ment der Verfinsterung‹. Dadurch bin ich<br />
darauf aufmerksam geworden, dass in vielen<br />
der ausgewählten Stücke die momen-<br />
tane Gefahr eine Rolle spielt, die aber<br />
auch wieder vorüber geht. Die Sonnenfins-<br />
ternis steht als Sinnbild für eine außerge-<br />
wöhnliche Situation, für Gefahr und Angst,<br />
das Geheimnis der Dunkelheit, doch auch<br />
für die Hoffnung auf neues Licht. Das jeweilige<br />
Motto jeder euro-scene Leipzig er-<br />
gibt sich eigentlich immer aus einer Reihe<br />
von Stücken, aber dass es direkt auf ein<br />
einzelnes Stück zurückzuführen ist wie<br />
dieses Jahr, geschieht eher selten.<br />
<strong>anton</strong>: Gibt es ein bestimmtes<br />
Stück, das für Sie dieses Jahr Ihr<br />
persönliches Highlight darstellt?<br />
30 31<br />
The Real World
The Real World<br />
euro-scene Leipzig<br />
3. – 8.11.2009<br />
Infos und Karten:<br />
www.euro-scene.de<br />
Mail: info@euro-scene.de<br />
Tel.: (0341) 980 02 84<br />
OKT / Oskaras Korsunovas<br />
Theatre, Vilnius<br />
›Hamletas‹ (›Hamlet‹)<br />
Inszenierung: Oskaras<br />
Korsunovas<br />
Foto: Dmitrij Matvejev<br />
Das ist eine ganz schwierige Frage, weil ja<br />
jedes ausgewählte Stück schon für sich<br />
ein Highlight ist. Das berühmte Cullberg<br />
Ballet aus Stockholm, unsere Festivaleröff-<br />
nung, ist natürlich ein Highlight, wie auch<br />
die ›Hamlet‹-Inszenierung des litauischen<br />
Regisseurs Oskaras Korsunovas, die erstaunlich<br />
nahe am Original bleibt und trotz-<br />
dem unsere Zeit wiederspiegelt, ohne das<br />
Shakespeare Stück an sich auf den Kopf<br />
zu stellen.<br />
<strong>anton</strong>: Ich habe gesehen, dass Julien<br />
Cottereau, der bereits vor zwei<br />
Jahren mit dem Stück ›Imagine-toi‹<br />
(Stell Dir vor) dabei war, auch dieses<br />
Jahr wieder mit dem gleichen Stück<br />
zu bestaunen ist.<br />
Das ist in anderer Form ein Highlight. Die-<br />
ses Stück von Julien Cottereau ist das ein-<br />
zige in 19 Jahren, das ein zweites Mal auf<br />
der euro-scene Leipzig gezeigt wird. Der<br />
Eigensinn<br />
Grund dafür ist, dass der Phantasie des<br />
Zuschauers die Hauptrolle zugedacht ist.<br />
Der Darsteller hat eine Aura, die einen<br />
in ihrer Schlichtheit absolut gefangen<br />
nimmt. Das Faszinierende daran ist, dass<br />
mit fast nichts, sprich ohne Bühnenbild,<br />
ohne Text und nur wenig Musik so viel im<br />
Theater zu erreichen ist. Er steht ganz allein<br />
auf der Bühne und zeigt eine Welt.<br />
Das schafft natürlich nur ein ganz großer<br />
Künstler.<br />
von Arthur Missa<br />
Am Deich von Frank Henschel<br />
Bedrückt schlich er um seine Tasche herum.<br />
Grau-grün, ausgebeult und an den ver-<br />
schiedensten Ecken zerfranst, hielt sie<br />
dennoch ihren bescheidenen Inhalt. Das,<br />
was von seinem Leben übrig war, passte<br />
in diese Stoffwurst mit Reißverschluss.<br />
»Geh. Bitte,« hatte sie ihn ohne jeden aggressiven<br />
Unterton am Frühstückstisch<br />
aufgefordert.<br />
Er hatte dem nichts entgegen zu setzen.<br />
Was auch? »Nein, ich bin doch dein Mär-<br />
chenprinz!«, „Wie kommst du darauf,<br />
Schatz?« oder wenigstens „Wohin denn?“<br />
Das ist ihr sowieso egal. Nur weg. Weg. End-<br />
lich weg mit ihm. Das musste sie sich in<br />
den letzten Wochen ständig gedacht haben.<br />
Kein Erfolg. Keine Ambitionen. Er<br />
schlief die meiste Zeit. Als ob er für irgend-<br />
etwas Kraft tanken müsste. Wie der Küchenschwamm<br />
in der Spüle lag er den gan-<br />
zen Tag herum, bereit benutzt zu werden,<br />
doch sonst ohne jeden Zweck. Und er fing<br />
an zu stinken.<br />
»Ein Küchenschwamm hat keine Eigeninitiative,«<br />
hatte er mal zu ihr gesagt, als sie<br />
schweigend am Tisch saßen. Sie hatte ihn<br />
angeschaut, als verstünde sie sofort, was<br />
er meinte, als wäre dieser Satz die Quintessenz<br />
seiner Persönlichkeit, und er hatte<br />
sie in diesem Moment endlich ausgesprochen.<br />
Wortlos war sie aufgestanden und<br />
unter die Dusche gegangen. Er war am<br />
Tisch sitzen geblieben, in seine Tasse star-<br />
rend, und hatte dem elektrischen Summen<br />
der Lampe gelauscht, bis es unerträglich<br />
geworden war und er sich mit dröhnendem<br />
Schädel auf die Couch gelegt hatte.<br />
Sie schliefen schon länger getrennt. Sie er-<br />
trug ihn nicht mehr neben sich. Wie ein<br />
Küchenschwamm. Er duschte kaum noch,<br />
trug dieselben Klamotten tagelang und<br />
mit ihnen die verschiedensten Gerüche.<br />
Es hätte ausgewrungen werden müssen,<br />
aber sie hatte keine Kraft mehr dazu. Jeden<br />
Morgen um 7 Uhr verschwand sie. Zur<br />
Arbeit, wie sie behauptete. Er traute ihr<br />
nicht. Meist kehrte sie erst zwischen 19<br />
und 20 Uhr zurück. Blass. Müde. Nicht zu<br />
einem Gespräch bereit. Dann schaute sie<br />
ihn nur mitleidig an, vielleicht etwas vorwurfsvoll,<br />
doch sagte sie nie ein böses<br />
Wort. Bis heute morgen.<br />
»Geh. Bitte.«<br />
Er war gegangen. Hatte seine paar Habse-<br />
ligkeiten in die verranzte Tasche geworfen,<br />
sie noch um 20 Euro gebeten, die sie ihm<br />
widerspruchslos und fast hektisch, erleich-<br />
tert aus dem Portemonnaie suchte.<br />
Jetzt stand er am Busbahnhof. Es war 11<br />
Uhr, Sonntag, 4. März. Nebel und fieseli-<br />
ger Regen ließen die Umgebung nur sche-<br />
menhaft im Verschwommenen auftauchen.<br />
Kühl-feucht zerrte der Wind aus stän-<br />
dig wechselnder Richtung an seiner zusam-<br />
mengefallen Gestalt. Ihm tränten die Augen,<br />
ohne dass er jedwedes Gefühl der Trau-<br />
er oder Reue empfand, nur wegen des Win-<br />
des.<br />
Er wollte zum Hafen. Ein Schiff, ein Tanker,<br />
eine Plattform. Wo keiner Fragen stellte<br />
und die anderen Arbeiter ihn in ihrem Kau-<br />
derwelsch aus Englisch, Französisch, Viet-<br />
namesisch, Polnisch, Portugiesisch, Unga-<br />
risch unbehelligt ließen.<br />
Der Bus fuhr vor, der Fahrer sah ihm erst<br />
verwundert, aber dann verständnisvoll<br />
und gleichgültig zugleich ins Gesicht, als<br />
er die Fahrkarte herausgab. Er war allein<br />
und der rollende Kasten wand sich geschmeidig<br />
durch die engen Straßen und<br />
über die schmalen Deiche. Links und<br />
rechts öffneten sich seinen Augen nur<br />
Äcker und Wiesen, überzogen von schlam-<br />
migen Pfützen, von Windkraftanlagen in<br />
einer Art Raster geordnet.<br />
Als der Bus ihn entließ, hatte der Wind ab-<br />
geflaut.<br />
»Von hier müssn’se noch so zehn Minuten<br />
die Straße da runter,« hatte ihm der Fahrer<br />
erklärt, ohne einen Grund für die Un-<br />
sinnigkeit anzuführen, eine Linie zum Ha-<br />
fen eingerichtet zu haben, aber diese nicht<br />
bis zum Endpunkt zu bedienen.<br />
Er schlich auf einem kleinen Weg am<br />
Straßenrand entlang, immer wieder<br />
Modder und Schlammpfützen ausweichend.<br />
Rechts von im verlief ein mächtiger,<br />
grasbewachsener Deich, in regel-<br />
mäßigen Abständen von Zäunen durchbrochen,<br />
die Weidezonen für Schafe von-<br />
einander abgrenzten. Links fiel das flache<br />
Land ab, auf dem der feuchte Dunst ers-<br />
ten Sonnenstrahle weichen musste. Die<br />
vereinzelten Bäume wirkten, wie einem<br />
mächtigen Sturm trotzend, obwohl kaum<br />
mehr ein Lüftchen zu spüren war. Die<br />
ständigen Böen von der See hatten ihre<br />
Kronen und Stämme gen Südost gedrückt,<br />
sie hatten sich der stärkeren<br />
Macht beugen müssen. So aber konnten<br />
sie sich die eine Seite umso mehr von<br />
der Sonne bescheinen lassen.<br />
Auch er spürte nun die warmen Strahlen<br />
im Gesicht.<br />
32 33<br />
Eigensinn
Eigensinn<br />
Rätsel<br />
ausgetüftelt von Johanna Puchta<br />
34<br />
Waagerecht:<br />
1. Beim Fußball: Des einen<br />
Freud, ist des anderen Leid<br />
2. Klassischer Ort in der Nähe<br />
von Leipzig<br />
3. Schlimme Klausur oder<br />
Nachricht, auch ein Werkzeug<br />
4. Auf der Mauer, auf der …<br />
5. Ältestes Gemäuer, in dem<br />
sich Leipziger Studenten<br />
so herumtreiben<br />
6. Mittelalterliches Wort<br />
für Verhaltenskritik<br />
7. Lat.: Ort<br />
8. Leipzigs Nachbarstadt<br />
in Sachsen-Anhalt<br />
9. Zur Klasse der Reptilien<br />
gehöriges Tier<br />
10. Laubbaum der Birkengewächse<br />
11. Ostafrikanischer Binnenstaat<br />
12. Kleinste Vertreterin der Rabenvögel<br />
13. Frauenname<br />
14. Krankheitserreger, der Menschen<br />
und Computer gleichermaßen<br />
befällt<br />
15. Note, die jeder gerne bekommt<br />
16. Sächsische Residenzstadt<br />
17. Mittelalterlicher Volksheld, dem<br />
sogar ein Lied gewidmet wurde<br />
3 19 20 4<br />
1<br />
5 23 24<br />
18 7<br />
Senkrecht:<br />
8 21<br />
9<br />
10<br />
11 12 25 27<br />
16<br />
14<br />
17<br />
8. Zufluchtsort, besonders<br />
untertags für Kinder<br />
18. Mediterrane, lorbeerartige Pflanze<br />
19. Anerkannte Handlungsmuster<br />
und Wertvorstellungen in<br />
einer Gemeinschaft<br />
20. Nicht sie<br />
21. Abgleiten von Erd- und<br />
Gesteinsmassen<br />
1. Erdzeitalter und Dreiergespann<br />
bei den alten Römern<br />
22. Arbeitseinheiten, die sich<br />
Studenten gerne vornehmen<br />
und am Ende meistens doch<br />
nicht einhalten<br />
7. Kulinarische Spezialität Leipzigs<br />
23. Kohlkopf, noch ziemlich grün<br />
hinter den Ohren<br />
4. Häufige Zutat für eine Quiche<br />
24. Antiquiert für ›Party‹<br />
25. Mittelalterlicher Vorläufer des<br />
modernen Diplomaten<br />
26. Staat im nordöstlichen Afrika,<br />
grenzt an das Rote Meer<br />
27. Metall und chemisches Element<br />
28. Glücklicher Sohn der Stadt Leipzig<br />
29. Laut Ferdinand Tönnies trägt jeder<br />
von uns gleich mehrere davon<br />
2 26 28 29<br />
6<br />
13<br />
15<br />
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Senkrecht: 1. Trias 7. Lerche 8. Hort 4. Lauch 18. Oleander<br />
19. Moral 20. er 21. Erdrutsch 22. Tagespensen 23. Broccoli 24. Sause<br />
25. Herold 26. Eritrea 27. Eisen 28. Mendelssohn 29. Rolle<br />
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