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Studentenfutter<br />
Silke Steets<br />
»Wir sind die Stadt!«<br />
Kulturelle Netzwerke<br />
und die Konstitution<br />
städtischer Räume in<br />
Leipzig. Campus Verlag,<br />
Frankfurt/New York<br />
2008 289 Seiten,<br />
34,90 Euro<br />
wie der Vielfalt der gegenwärtigen Akteure<br />
in diesem Feld, konzentriert sie ihre Unter-<br />
suchung auf eine Auswahl von Akteuren der<br />
lokalen Kulturwirtschaft. Als empirische<br />
Grundlage dieser von der Chicago School<br />
inspirierten ethnografischen community<br />
study hat sie zwischen 2001 und 2006<br />
ihre Erfahrungen teilnehmender Beobach-<br />
tung in einem Feldtagebuch festgehalten,<br />
ein Archiv mit Dokumenten angelegt und<br />
insgesamt 14 Experteninterviews geführt.<br />
Einen guten Überblick über die untersuch-<br />
ten Projekte, Orte und Akteure sowie de-<br />
ren Zusammenhänge ermöglichen mehrere<br />
Netzwerkübersichten und ein Index, die<br />
der Arbeit angefügt sind (s. Abbildung).<br />
Die Auswahl der Interviewpartner ist zwar<br />
im Sinne eines theoretischen Samplings<br />
auf Heterogenität ausgelegt und umfasst<br />
auch relativ viele Arbeitsfelder, dennoch<br />
bleibt die Auswahl notwendigerweise selektiv<br />
und konzentriert sich auf selbstorga-<br />
nisierte und freischaffende Kulturproduzenten<br />
aus der Alterskohorte der 1970er<br />
Jahrgänge (vgl. S. 136–139). Eine Reflek-<br />
tion darüber, welche Felder und Akteure<br />
dabei nicht in den Blick kommen und wie<br />
das Sample im Gesamtkontext der Leipziger<br />
Kultur(-wirtschaft) zu charakterisieren<br />
ist, kommt dabei leider zu kurz.<br />
Theoretischer Ausgangspunkt von Silke<br />
Steets ist der raumsoziologische Ansatz<br />
ihrer Betreuerin Martina Löw, die an der<br />
Technischen Universität Darmstadt lehrt.<br />
Der Ansatz ist dadurch gekennzeichnet,<br />
Räume als die (An)Ordnung von sozialen<br />
Gütern und Menschen zu verstehen, die<br />
aktiv über Wahrnehmungs-, Vorstellungs-<br />
oder Erinnerungsprozesse konstituiert<br />
werden. Durch dieses relationale Raumverständnis<br />
kommen Räume als Resultat<br />
und Voraussetzung von Handlungen in<br />
den Blick, sie sind sowohl Medium als<br />
auch materielles Produkt gesellschaftlicher<br />
Verhältnisse. Wie lässt sich Leipzig<br />
nun als spezifische Form der Verräumlichung<br />
charakterisieren? Was ist das Besondere<br />
an Leipzig?<br />
In den Kapiteln 6 und 7 fasst die Autorin<br />
ihre Beobachtungen, analysierten Doku-<br />
mente und Interviews zu dichten Beschrei-<br />
bungen der Stadtkultur zusammen. Nach<br />
einem Abriss der historischen Stadtentwicklung<br />
beginnt sie im 5. Kapitel mit einer<br />
Beschreibung der Praktiken und Diskurse<br />
von Expertinnen der Stadtplanung und<br />
des Stadtmarketings nach 1989. Leipzig<br />
wird darin mit seiner bürgerlichen Kultur-<br />
tradition als Klassiker einer europäischen<br />
Metropole entworfen, dessen Potential<br />
durch Krieg und DDR verschüttet wurde.<br />
Die vielfach vorhandenen Brachflächen<br />
der »perforierten Stadt« werden dabei als<br />
Möglichkeitsräume umgedeutet und Leip-<br />
zig als Ort persönlicher Entfaltungsmöglichkeiten<br />
inszeniert. Nach dem Boomtown-Slogan<br />
»Leipzig kommt!« setzt das<br />
Stadtmarketing seit 2002 auf die »Leipziger<br />
Freiheit«: Leipzig als Dornröschen,<br />
das darauf wartet, wachgeküsst zu werden!<br />
Vor diesem Hintergrund erscheinen insbe-<br />
sondere die Bauten der ostdeutschen Mo-<br />
derne als Störfaktor. Dies macht Silke<br />
Steets am Beispiel der Auseinanderset-<br />
zungen um die Wohnhochhäuser am Brühl<br />
deutlich. Vor dem Verkauf und Abriss der<br />
innerstädtischen Wohnscheiben, setzten<br />
sich mehrere kulturelle und künstlerische<br />
Projekte in der Stadt mit dem (städtebau-<br />
lichen) Erbe der DDR-Moderne und der<br />
Erinnerungspolitik auf städtischer Ebene<br />
auseinander. Nach dem Vorbild der Situa-<br />
tionistischen Internationale wurden dabei<br />
performative Interventionen entwickelt,<br />
die die Lebendigkeit, den praktischen Nut-<br />
zen und die städtebaulichen Qualitäten<br />
der Gebäude erlebbar machen sollten, um<br />
so Einfluss auf die städtischen Planungs-<br />
prozesse zu nehmen.<br />
Eine interessante Besonderheit der Arbeit<br />
liegt dabei in der Doppelrolle der Autorin<br />
als Wissenschaftlerin und Akteurin im<br />
(Konflikt-)Feld. Als Mitglied der Künstler-<br />
gruppe niko.31 war sie selbst an der Ent-<br />
wicklung der beschriebenen künstlerischen<br />
Projekte beteiligt. Durch die Beschreibung<br />
ihrer eigenen Rolle und die Re-<br />
flektion ihrer Arbeitsweise gelingt es ihr,<br />
sowohl eine ethnografische Beschreibung<br />
der Auseinandersetzung anzufertigen,<br />
aber auch ihre Kritik an der Vorgehensweise<br />
der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft<br />
deutlich zu machen.<br />
Ein ähnlicher Zusammenhang mit der Ma-<br />
terialität der Stadt wird auch beim zweiten<br />
von ihr beschriebenen Raum deutlich,<br />
der charakteristisch für Leipzig ist: Das<br />
öffentliche Wohnzimmer. War die Couch-<br />
ecke nach dem Zweiten Weltkrieg zum<br />
Inbegriff des Privaten und der familiären<br />
Binnenkommunikation geworden, so wan-<br />
delt sie ihren Charakter, wenn sie in den<br />
Club umzieht: In Kneipen und Clubs wie<br />
dem (Noch) Besser Leben oder Ilses Erika<br />
sind mit den öffentlichen Wohnzimmern<br />
ortsspezifische Praxisformen entstanden,<br />
die Vertrautheit und Nutzungsoffenheit<br />
miteinander verbinden und damit zudem<br />
an die DDR-Alternativkulturen der 1980er<br />
Jahre anknüpfen.<br />
Fazit: Die Arbeit bietet eine spannende Lek-<br />
türe und einen sehr guten Einblick in die<br />
Arbeitsweise und Vernetzung freischaffender<br />
Kulturproduzenten sowie erinne-<br />
rungs- und kulturpolitische Diskurse in<br />
Leipzig. Sie ist sehr gut geschrieben und<br />
vermittelt selbst die theoretischen Ansätze<br />
mit anschaulichen Beispielen aus<br />
der Geschichte der Raumtheorie und Stadt-<br />
forschung. Im Gegensatz zu den städtischen<br />
Planungs- und Marketingstrategien<br />
schärft Silke Steets so den Blick für ein<br />
Leipzig der Nischen, Frei- und Experimen-<br />
tierräume.<br />
Wo Fuchs und Hase<br />
sich ›Gute Nacht‹ sagen<br />
Erasmus in London<br />
von Franziska Burstyn<br />
Ich sitze in meinem zehn Quadratmeter<br />
großen Zimmer mit Dachschräge – nur die<br />
Hälfte davon begehbar – und lese. Gestern<br />
war der Bop, DIE Campusparty, wie<br />
jeden Freitag und ich bin furchtbar müde.<br />
Aber nicht weil ich bis zum Ende bei der<br />
Party war, sondern weil ich in meinem Zim-<br />
mer gelesen hab, bis spät in die Nacht.<br />
Welcome in Roehampton: Open spaces,<br />
open minds. Wer diesen Slogan entworfen<br />
hat, hat sich vorher nicht mein Zimmer an-<br />
gesehen. Aber ich will mich nicht beklagen,<br />
denn das Zimmer ist schön und meine<br />
Mitbewohner sehr ruhig, besonders wenn<br />
sie nicht da sind. Und es gibt ja auch noch<br />
die Southland’s Bar in die ich immer mit<br />
Eleri, Robin und Dave gehe. Ich hätte auch<br />
jede Woche zu Party Hits der 90er tanzen<br />
können, aber ich sitze lieber mit den drei-<br />
en zusammen und rede. Um 23 Uhr geht<br />
es dann nach Hause, weil die Campus Bar<br />
zu macht und Dave trinkt sowieso lieber<br />
Milch als Alkohol.<br />
Das klingt alles relativ vorbildlich, bis ich<br />
meine Kurstitel verrate: »What? You’re<br />
reading cook books in you’re ›Literature<br />
of Food‹ course? How cool is that?« bis<br />
hin zu »You’re talking about Lesbian Sex<br />
in Sexist Language? That’s actually a<br />
course at university? Awesome!« Und eigentlich<br />
ist es das auch. Meine Professoren<br />
sind höchst engagiert und die Kurse,<br />
die ich belege, sind alles andere als lang-<br />
weilig. Hier habe ich mein erstes feminis-<br />
18 19<br />
Studentenfutter