75J - Caritasverband für das Bistum Aachen
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Caritas im <strong>Bistum</strong> <strong>Aachen</strong><br />
Caritas und anwaltschaftliche Interessenvertretung –<br />
Wenn Wirklichkeit auf Politik stößt<br />
„Politik ist die Weiterentwicklung<br />
des Bestehenden“, so sagt es<br />
der Reformpädagoge Hartmut<br />
von Hentig und - beziehen wir<br />
<strong>das</strong> in der Caritas darauf, wie<br />
wir anwaltschaftliche Interessenvertretung<br />
umsetzen – so<br />
wird schnell deutlich, <strong>das</strong>s anwaltschaftliches<br />
Engagement<br />
immer in der Spannung zwischen<br />
visionärer Herausforderung<br />
und herausfordernder<br />
Realität geschieht. Anders ausgedrückt:<br />
Anwaltschaftliche Interessenvertretung<br />
vollzieht sich<br />
in der zeitlichen Dimension zwischen<br />
„noch“ und „schon“.<br />
Im Berichtszeitraum 2004 bis<br />
2008 haben sich grundlegende<br />
Veränderungen im Sozialstaat<br />
vollzogen; deren Vorläufer waren<br />
bereits im März 2002 der<br />
Bericht der sog. Hartz-Kommission<br />
mit dem Titel „Moderne<br />
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“<br />
und <strong>das</strong> u.a. daraus resultierende<br />
politische Programm<br />
Agenda 2010 im März 2003.<br />
Beide Papiere prägten in den<br />
Folgejahren die Debatten und<br />
Richtungen in der Politik. Die Architektur<br />
unseres Sozialstaates<br />
– geprägt von der Sozialversicherungspolitik<br />
als Schutz vor<br />
den Risiken Krankheit, Alter,<br />
Pflege und Arbeitslosigkeit und<br />
von Fürsorge und Betreuung als<br />
Endstufe der sozialen Sicherung<br />
– gerät mächtig ins Wanken und<br />
massive Veränderungsprozesse<br />
halten Einzug in den sozialen<br />
Sektor. Eine zunehmende Ökonomisierung<br />
des Sozialen macht<br />
Klienten zu Kunden, Partner zu<br />
Konkurrenten und anwaltschaftliche<br />
Hilfe zu wettbewerbsorientierten<br />
Angeboten. Parallel dazu<br />
ist ein Prozess der fortschreitenden<br />
Individualisierung zu beachten.<br />
Wer nur eben kann, muss<br />
zur sozialen Absicherung private<br />
Ergänzungsleistungen aufbringen,<br />
damit später die Rente<br />
ausreicht und die Pflege finanzierbar<br />
bleibt, die Versorgung<br />
bei Krankheit genügt und – sollte<br />
einen diese Not treffen – bei<br />
Arbeitslosigkeit nicht der Absturz<br />
ins Existenzminimum<br />
zwangsläufige Folge ist. Finanzminister,<br />
Kämmerer und wirtschaftlich<br />
potente Sponsoren<br />
sind inzwischen die starken Akteure<br />
auf dem Markt des Sozialen<br />
geworden. Ethik und Ökonomie<br />
– bzw. wie viel Ökonomie<br />
und wie viel Ethik – sind inzwischen<br />
Kernfragen, die sich die<br />
Verantwortlichen in vielen Feldern<br />
der Caritas – insbesondere<br />
auch der unternehmerisch<br />
tätigen Caritas – stellen.<br />
Die verbandliche „Anwaltschaftlichkeit“<br />
gibt<br />
in diesem Dilemma eine<br />
Orientierungshilfe,<br />
muss aber immer wieder<br />
aktualisiert und<br />
konkretisiert werden.<br />
Prof. Konrad Hilpert,<br />
Gast in der DiCV-Vertreterversammlung<br />
im<br />
Jahr 2000, war einer derjenigen,<br />
der uns in der verbandlichen<br />
Caritas im <strong>Bistum</strong> <strong>Aachen</strong> die<br />
Anwaltfunktion der Caritas ins<br />
Stammbuch geschrieben hat.<br />
Er bezeichnet Anwaltschaftlichkeit<br />
als „eine besondere Art<br />
wahrzunehmen und zu sprechen“<br />
und wirbt da<strong>für</strong>, mit Anwaltschaftlichkeit<br />
der zunehmenden<br />
Individualisierung und<br />
der wachsenden Unempfindlichkeit<br />
gegenüber den Leiden<br />
anderer entgegenzuwirken.<br />
Prof. Hilpert sagt, Anwaltschaftlichkeit<br />
mache uns selber „wieder<br />
leidensfähig“.<br />
�<br />
Die Bierdeckelaktion<br />
erschüttert Stammtischparolen<br />
und Vorurteile.<br />
Not sehen und handeln. 2004 – 2008 13