LÜNEBURG AKTUELL KULTUR KUNST PORTRÄT ... - Quadrat
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ALLGEMEINE BESONDERHEITEN<br />
OKTOBER 2010<br />
kolumne � quadrat 10 / 2010 03<br />
Das vergessliche Schwein<br />
Eine Freundin von mir beklagte sich neulich, dass es<br />
einfacher sei, mit drei Katzen und einem Hund eine<br />
neue Wohnung zu fi nden als mit vier Kindern, denn<br />
dann gelte man in den Augen vieler schon als asozial<br />
und für Makler als schwer vermittelbar, denn: da seien<br />
ja der Lärm und die Beschwerde schon vorprogrammiert.<br />
Die Wohnungssuche meiner Freundin und ihrer<br />
Familie zog sich schon über ein halbes Jahr hin, und<br />
alle waren derweil mit ihren Nerven am Ende.<br />
Nach einem gemeinsamen Kaffeenachmittag, wo sie<br />
mir erzürnt von ihrer Lage berichtete, ging ich, meinen<br />
Gedanken nachhängend, durch die öffentlichen Parkanlagen<br />
heimwärts. Auf der verlockend grünen Rasenfl<br />
äche verbot ein Spielverderberschild das Betreten.<br />
Bei der abendlichen Zeitungslektüre erfuhr ich, dass<br />
der gesetzlich vorgeschriebene Mindestraum pro Biolegehenne<br />
für intensive Auslaufhaltung ganze vier<br />
<strong>Quadrat</strong>meter beträgt, einen halben Meter im <strong>Quadrat</strong><br />
mehr als die „pädagogische Grundfl äche“ für ein Kind<br />
in den etwaigen Betreuungsstätten. Wer, bitte, legt<br />
denn so etwas fest? Klar, freier Raum wird immer<br />
knapper und damit teurer, aber die Welt erscheint mir<br />
doch auch immer verständnisloser, was mir die oben<br />
beschriebenen Tatsachen bestätigen. Lärmendes Toben<br />
unerwünscht, Betreten verboten und Eltern haften für<br />
ihre Kinder. Kein Verständnis für letztere, wenn sie die<br />
(Frei-) Räume der Großen stören und begrenzen – die<br />
Toleranzgrenze gestaltet sich zunehmend enger. Wie<br />
zur Bestätigung bepöbelt dann auch noch der bierbäuchige<br />
Glatzkopf von gegenüber die tobenden Nachbarskinder<br />
und fordert endlich Ruhe. Am folgenden<br />
Tag will ich mit dem Bus fahren. An der Bushaltestelle<br />
versuche ich einzusteigen, die vordere Tür schwingt<br />
auf und mir prallt lautes Kindergebrüll entgegen. Ich<br />
suche mir einen Platz im überfüllt stickigen Fahrgastraum<br />
und meine Gedanken kreisen um die gestrigen<br />
Erkenntnisse. Beim Versuch, quengelndes Kind nebst<br />
schimpfender Mutter zu ignorieren, versage ich kläglich.<br />
Ganz anders der Mitvierziger im Maßanzug neben<br />
mir: Der entblödet sich tatsächlich, die Mutter zu fragen,<br />
ob es den kleinen Terroristen auch in leise gäbe<br />
und wo es denn seinen „Aus-Knopf“ hätte. Unglaublicherweise<br />
protestierte niemand ob der verbalen<br />
Frechheiten dieses männlichen Vollpfostens. Ich lasse<br />
es mir zwar nicht nehmen, ihm in der nächsten Kurve<br />
ungeschickterweise meinen Ellbogen in die Nieren zu<br />
rammen, aber die Worte, die mir auf der Zunge liegen,<br />
fi nden ihren Weg nicht über meine Lippen. Entnervt<br />
steigen Schnösel und gestresste Mutter nebst Nachwuchs<br />
an der nächsten Haltestelle aus. Notgedrungen,<br />
um den Verkehr nicht weiter zu behindern, hilft er<br />
beim Ausladen des Kinderwagens. Schadenfroh beobachte<br />
ich, wie der neu ernannte kleine „Terrorist“<br />
zum Abschied die Schöße seines Designer-Jacketts<br />
geschickt mit einer Rotzbombe verziert. Geschieht ihm<br />
recht, wer auf Kinder so verständnislos und kaltschnäuzig<br />
reagiert, den führt das Leben manchmal<br />
einer gerechten Bestrafung zu, und schmunzelnd erinnere<br />
ich mich an den verständnisvollen Kommentar<br />
meines Vaters: Ein Schwein sollte nie vergessen, dass<br />
es auch mal ein Ferkel war.<br />
In diesem Sinne – ärgern Sie sich leise und<br />
wundern Sie sich laut,