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Dienstag, 13. Januar <strong>20</strong>09 5<br />
Der Silser Jürg Kienberger im Rondo Pontresina zu Gast<br />
Am Mittagstisch wie zu Zeiten Ludwigs XIV<br />
Kabarett mit besonderer<br />
Note gab es am Donnerstag<br />
im Pontresiner Rondo. Der<br />
Silser Musiker und Schauspieler<br />
Jürg Kienberger erzählte<br />
in seinem Soloprogramm<br />
«Ich bin ja so allein»<br />
von seiner Kindheit im Hotel<br />
Waldhaus in Sils Maria.<br />
Ismael Geissberger<br />
Jürg Kienberger wurde 1958 in Sils<br />
Maria geboren, wo er im bekannten<br />
Hotel Waldhaus aufwuchs. Nach der<br />
Matura folgten Reisejahre und Gelegenheitsarbeiten<br />
als Krankenpfleger,<br />
Orgelbaugehilfe, Weinkellner und<br />
Barpianist sowie ein Germanistikstudium<br />
in Zürich und Lausanne.<br />
Seit 1986 besteht die enge Zusammenarbeit<br />
mit Christoph Marthaler.<br />
Von 1992 bis 1997 lebte Kienberger<br />
in Berlin und gehörte vier Jahre<br />
lang als Schauspieler dem Ensemble<br />
der Volksbühne an. Ab 1996 folgten<br />
eigene Inszenierungen und Gastspiele<br />
in Berlin, Hamburg und Frankfurt.<br />
Heute wohnt Jürg Kienberger<br />
in St. Louis im Elsass.<br />
Als Kind in ständigem Kontakt mit<br />
dem Tourismus weiss Jürg Kienberger,<br />
dass es nicht immer rosig steht<br />
um den Tourismus. Insbesondere<br />
im Januarloch, wenn fünf einsamen<br />
Gästen 95 Angestellte gegenüber<br />
stehen. Kienbergers Grossvater eröffnete<br />
1908 das bekannte Hotel<br />
Waldhaus in Sils, das bis heute in den<br />
Händen der Kienbergers ist. Mit unterkühltem<br />
Sarkasmus «Tanzen Sie,<br />
wenn nötig!» verwandelte Kienberger<br />
am Donnerstag in Pontresina jedes<br />
Wort, jede Mimik und Bewegung<br />
in aberwitzige Szenen. «Der Mann<br />
Der Silser Schauspieler und Musiker Jürg Kienberger begeisterte am Donnerstag in Pontresina mit seinem Kabarettprogramm<br />
«Ich bin ja so alleine». Foto: Ismael Geissberger<br />
auf der Bühne» ... sitzt wie ein schunkelndes,<br />
um sich kreisendes Einmannorchester<br />
in einem Wienerwald-Orchester.<br />
1<strong>50</strong> gestohlene Konfitüren<br />
So erinnerte sich Kienberger noch<br />
daran, wie 1970 zur Erstellung des<br />
Hallenbads im Waldhaus ein Fels<br />
gesprengt werden musste. Dieses für<br />
den jungen Knaben einmalige und<br />
eindrückliche Erlebnis liess er sich<br />
nicht entgehen und zeichnete die<br />
Sprengung mit seinem Kassettengerät<br />
auf und wollte dies dem Publikum<br />
auch nicht vorenthalten. Die Felssplitter<br />
seien damals kilometerweit<br />
herumgeflogen; einer sogar in eine<br />
Nusstorte in der Bäckerei Schultze,<br />
ein zweiter wurde in Pontresina in<br />
einem Mohrenkopf entdeckt. Der<br />
«Beweis» durfte im Publikum herumgereicht<br />
werden.<br />
Ein anderes typisches Hotelerlebnis<br />
zwei Jahre später: Eine wohlbetuchte<br />
Dame meldete vor der Abreise den<br />
Diebstahl eines wertvollen Schmuckstücks.<br />
Die Mutter des Künstlers, die<br />
bekannt dafür war, solche Probleme<br />
zu lösen, öffnete den bereitgestellten<br />
Koffer und entdeckte nebst dem «ge-<br />
stohlenen» Schmuck 1<strong>50</strong> gestohlene<br />
Frühstückskonfitüren. Ein Intermezzo<br />
auf der Bühne übernahm Kienbergers<br />
Onkel alias Kienberger himself.<br />
Die exzessive Langsamkeit in den<br />
Bewegungen und der Sprache und<br />
das immer wieder gespielte Stück<br />
«Ballade pour Adeline» machten fast<br />
ohnmächtig und rissen das Publikum<br />
zum Lachen hin.<br />
Verwandlungskünstler<br />
Mit Zitaten aus dem Kulturprogramm<br />
des Kurvereins Arosa erinnerte<br />
Kienberger an seinen Auftritt<br />
Die Freie Bühne Chur begeistert in St. Moritz mit «Doppelhas und Beltrametti»<br />
Wunderbare Geschichten aus dem Wunderland<br />
Zu ihrem 40. Geburtstag<br />
hat die Freie Bühne Chur<br />
Linard Bardills «Gschichta<br />
usem blaua Wunderland»<br />
als Bühnenstück aufgeführt.<br />
Klein und Gross liess sich<br />
am Samstag in St. Moritz ins<br />
blaue Wunderland entführen.<br />
Reto Stifel<br />
Aufruhr im blauen Wunderland!<br />
Prinzessin Pingali ist von einem<br />
Skorpion entführt worden und ihr<br />
Prinz Pingalo gerade anderweitig<br />
beschäftigt. Eine Aufgabe wie geschaffen<br />
für Doppelhas und Brummbär<br />
Beltrametti. Der ansonsten eher<br />
etwas behäbige Brummbär wird zum<br />
Helden, vertreibt den Skorpion, rettet<br />
die Prinzessin und bekommt dafür<br />
von ihr einen Kuss. Wenn das Frau<br />
Brummbär wüsste… Zuvor hatten<br />
die beiden unzertrennlichen Freunde<br />
schon viele andere Abenteuer zu bestehen.<br />
Auf den Flügeln von Adler<br />
Aguila sind sie hoch in die Berge<br />
geflogen, um Pfarrer zu spielen für<br />
den Eiszapfen Saltimbocca, der seine<br />
wunderschöne rote Blume Saxifraga<br />
heiratet. Sie mussten auf den<br />
Mond, weil der Kopf von Beltramettis<br />
Tochter Muzzina nach einer Ohrfeige<br />
ihres Vaters dort gelandet ist.<br />
Sie haben zusammen mit Zwerg<br />
Gimmli das Gänsemädchen Jeanne<br />
von einer Fliegenpilzvergiftung kuriert,<br />
haben im blauen Wunderland<br />
nach einer Kuh gesucht, die zwar<br />
noch niemand gesehen hat, die aufgrund<br />
der vielen Kuhfladen auf den<br />
saftig grünen Matten irgendwo sein<br />
muss…<br />
Ein Klassiker<br />
Linard Bardills «Doppelhas und<br />
Beltrametti <strong>–</strong> Gschichta usem blaua<br />
Wunderland» ist ein Klassiker unter<br />
den Kinderbüchern. Zu ihrem 40.<br />
Geburtstag hat sich die Freie Bühne<br />
Chur die nicht einfache Aufgabe<br />
gestellt, diese Geschichten zu einem<br />
Bühnenstück umzuschreiben. Regisseur<br />
René Schnoz und die zahlreichen<br />
Laienschauspielerinnen und<br />
-schauspieler haben die Herausforderung<br />
sehr gut gemeistert. Obwohl<br />
das Bühnenbild in St. Moritz wegen<br />
der Bühnengrösse nicht ganz so üp-<br />
pig aufgestellt werden konnte wie im<br />
Theater in Chur, liess sich das Publikum<br />
in der bis zum letzten Platz besetzten<br />
Aula des Schulhauses Grevas<br />
in St. Moritz von der ersten Minute<br />
an ins blaue Wunderland entführen.<br />
Die Schauspieler schienen sich auch<br />
auf der St. Moritzer Bühne gut zu-<br />
Entführen ins blaue Wunderland: Doppelhas, Brummbär Beltrametti und die beiden sprechenden Kakteen Pizzikato<br />
und Flums (von links). Foto: Reto Stifel<br />
vor sechs Jahren am dortigen Humorfestival.<br />
Überhaupt verstand es<br />
der Künstler hervorragend sich zu<br />
verwandeln; sei es als sich selbst, seinen<br />
Onkel oder als Soundchecker.<br />
Meisterhaft simulierte Kienberger<br />
auf einer Glasharfe eine Schifffahrt<br />
mit hohem Wellengang und Unwetter<br />
und leitete über an seine Erinnerungen,<br />
wie er als Kind gratis auf<br />
dem Silsersee Schiff fahren durfte;<br />
als Gegenleistung wurde Franco,<br />
dem Kapitän, gratis Unterkunft im<br />
Hotel gewährt.<br />
Unvergesslich erinnerten die Mittagstafeln<br />
im grossen Familienkreis<br />
an Tafeln wie zu Zeiten Ludwigs XIV.<br />
Tante Seppl, Tante Reich (ehemalige<br />
Erzieherin des Vaters), Fräulein Biolay<br />
(Betreuerin von Tante Reich),<br />
Tante Gertrud und Onkel Oskar<br />
(Vater des Bruders, der 40 Jahre lang<br />
infolge eines Missverständnis salzlos<br />
ass) gesellten sich zur Familie. Höhepunkt<br />
war jeweils, wenn um 12.30<br />
Uhr auf Radio Beromünster die<br />
Nachrichten gehört werden mussten<br />
und Tante Gertrud bereits alle Neuigkeiten<br />
wusste, weil sie sich die 10-<br />
Uhr-Ausgabe der Nachrichten schon<br />
angehört hatte.<br />
Auch das Hausorchester des Hotels<br />
Waldhaus spielte eine wichtige<br />
Funktion im Leben des Künstlers,<br />
fand er doch so Zugang zur Musik<br />
und durfte später einmal an einer<br />
Hochzeit in Poschiavo als Ersatz<br />
für den erkrankten Pianisten auftreten.<br />
Im Fishing Blues wurde das<br />
Publikum zum Schluss nochmals<br />
aktiv ins sehr unterhaltsame Programm<br />
miteinbezogen und rundete<br />
es mit einem gebührenden Lachchor<br />
ab.<br />
rechtzufinden und in ihren Rollen<br />
haben sie sowieso überzeugt. Sei es<br />
als sprechende Kakteen Pizzikato<br />
und Flums, als Geiss Freudenfrass, als<br />
Adler Aquila, als Zwerg Gimmli oder<br />
eben als Doppelhas und Beltrametti.<br />
Die beiden Protagonisten sowie die<br />
sprechenden Kakteen hatten eine<br />
sehr grosse Bühnenpräsenz und waren<br />
entsprechend gefordert.<br />
Abenteuerlich und poetisch<br />
Linard Bardills mal abenteuerliche,<br />
mal poetische, sicher aber immer<br />
überraschende Geschichten<br />
leben nicht zuletzt von den Liedern<br />
des Künstlers. Der musikalische Leiter<br />
Franco Mettler hat viele Lieder<br />
umgeschrieben, live gespielt werden<br />
sie vom Unterwasserorchester der<br />
Musikschule Chur. Wie Regisseur<br />
René Schnoz gegenüber der «EP/<br />
PL» sagte, war Linard Bardill von<br />
der Uraufführung in Chur begeistert.<br />
Die Lieder <strong>–</strong> darunter auch so bekannte<br />
Stücke wie «Sunnestrahl»<br />
oder «Luege was der Mond so macht»<br />
<strong>–</strong> führen in einem schönen Bogen von<br />
einem Abenteuer zum anderen. Und<br />
damit das Ganze nicht zuviel Drive<br />
bekommt und der äusserst gesprächige<br />
Doppelhas <strong>–</strong> der eigentlich<br />
Hoppelhas heisst, von seinen Freunden<br />
aber so genannt wird weil er alles<br />
doppelt sagt <strong>–</strong> nicht völlig abhebt,<br />
wirken der phlegmatische Brummbär<br />
Beltrametti und der von Zwerg<br />
Gimmli gebraute Spitzwegerichsirup.<br />
Nach 90 Minuten heisst es Abschied<br />
nehmen vom blauen Wunderland<br />
und seinen sympathischen Figuren.<br />
Und um es in den Worten von Doppelhas<br />
zu sagen: «Schön war es, das<br />
Theater, war es!»