Das Leopoldstädter Theater - bei LiTheS
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Zeitschrift für<br />
Literatur- und<br />
<strong>Theater</strong>soziologie<br />
Herausgegeben von Beatrix Müller-Kampel und Helmut Kuzmics<br />
SONDERBAND 1 (JUNI 2010)<br />
K asperl-La Roche<br />
Seine K unst, seine K omik und<br />
das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>
Medieninhaber und Verleger<br />
<strong>LiTheS</strong>. Ein Forschungs-, Dokumentations- und Lehrschwerpunkt<br />
am Institut für Germanistik der Universität Graz<br />
Leitung: Beatrix Müller-Kampel<br />
Herausgeber<br />
Ao. Univ.-Prof. Dr. Beatrix Müller-Kampel<br />
Institut für Germanistik der Universität Graz<br />
Mozartgasse 8 / P, A-8010 Graz<br />
Tel.: ++43 / (0)316 / 380–2453<br />
E-Mail: beatrix.mueller-kampel@uni-graz.at<br />
Fax: ++43 / (0)316 / 380–9761<br />
Ao. Univ.-Prof. Dr. Helmut Kuzmics<br />
Institut für Soziologie der Universität Graz<br />
Universitätsstraße 15 / G4, A-8010 Graz<br />
Tel.: ++43 / (0)316 / 380–3551<br />
E-Mail: helmut.kuzmics@uni-graz.at<br />
Umschlagillustration<br />
nach Beatrix Müller-Kampel: Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater<br />
im 18. Jahrhundert. Paderborn [u.a]: Schöningh 2003, Abb. 15: Johann Josef<br />
La Roche als ”Caspar der Hausknecht“ in Philipp Hafners ”Der von dreyen<br />
Schwiegersöhnen geplagte Odoardo, oder Hannswurst und Crispin die lächerlichen<br />
Schwestern von Prag“. Entwurf von Jean Antoine Watteau, wiedergegeben<br />
im Stich von Renard. Künstlerische Bear<strong>bei</strong>tung: Margarete Payer<br />
Satz<br />
mp – design und text / Dr. Margarete Payer<br />
Gartengasse 13 / 3/ 11, 8010 Graz<br />
Tel.: ++43 / (0)316 / 91 44 68 oder 0664 / 32 23 790<br />
E-Mail: mp@margarete-payer.at<br />
© Copyright<br />
»<strong>LiTheS</strong>. Zeitschrift für Literatur- und <strong>Theater</strong>soziologie« erscheint halbjährlich<br />
im Internet unter der Adresse »http://lithes.uni-graz.at/lithes/«. Ansicht,<br />
Download und Ausdruck sind kostenlos. Namentlich gezeichnete Beiträge<br />
geben immer die Meinung des Autors oder der Autorin wieder und müssen<br />
nicht mit jener der Herausgeber identisch sein. Wenn nicht anders vermerkt,<br />
verbleibt das Urheberrecht <strong>bei</strong> den einzelnen Beiträgern.<br />
Dieser Sonderband ist im Rahmen des FWF-Projektes Nr. P20468: Mäzene<br />
des Kasperls Johann Josef La Roche, unter der Leitung von Ao. Univ.-<br />
Prof. Dr. Beatrix Müller-Kampel und der Mitar<strong>bei</strong>t von Mag. Dr. Andrea<br />
Brandner-Kapfer und Mag. Jennyfer Gabriela Großauer-Zöbinger, unterstützt<br />
von der Universität Graz (Forschungsmanagement und -service und Dekanat<br />
der Geisteswissenschaftlichen Fakultät), entstanden.<br />
ISSN 2071-6346=<strong>LiTheS</strong>
INHALTSVERZEICHNIS<br />
<strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Sozialgeschichtliche und soziologische Verortungen eines<br />
Erfolgsmodelles 5<br />
Von Jennyfer Großauer-Zöbinger<br />
Positionierung(en) des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s im Feld 5<br />
Zwischen Kunst und Kommerz 5<br />
Moral und Bildung im <strong>Theater</strong> 14<br />
Ein Spielplan unter Aufsicht 23<br />
Kasperls Sozialisierung 29<br />
<strong>Das</strong> theatrale Feld 37<br />
Ausbildung des theatralen Felds in Wien, retrospektiv 38<br />
Materielle und lokale Bedingungen 45<br />
<strong>Theater</strong>-Praxis: Spielbeginn, Normatage und Eintrittspreise 51<br />
Kasperls komisches Habit<br />
Zur komischen Gestalt und zur Gestaltung der Komik<br />
in Erfolgsstücken des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s um 1800 56<br />
Von Andrea Brandner-Kapfer<br />
Johann Josef La Roche (1745–1806) 56<br />
Biografische Voraussetzungen 56<br />
Bedingungen seines Wirkens 67<br />
Die Kasperliade – Typenkomik in der Wiener Vorstadt 81<br />
Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer 84<br />
Joachim Perinet: Die Schwestern von Prag 90<br />
Karl Friedrich Hensler: Der Schornsteinfeger 94<br />
Karl Friedrich Hensler: Der unruhige Wanderer 98
Kasperl unter Kontrolle<br />
Zivilisations- und politikgeschichtliche Aspekte der<br />
Lustigen Figur um 1800 105<br />
Von Beatrix Müller-Kampel<br />
11 Komödien und ihre Karrieren 106<br />
Methodologische Zwischenbemerkung (1) 109<br />
Ehrbare Ehen und die Eifersucht 110<br />
Zwischenfazit (1) 116<br />
Exkurs: Hanswurstische Lumpenkerle und colombinische<br />
Kanaillen von einst 117<br />
Geschlechtlichkeit, Geschlechterrollen und<br />
Geschlechterkonzeptionen 121<br />
Zwischenfazit (2) 126<br />
Methodologische Zwischenbemerkung (2) 127<br />
Kasperl unter Kontrolle 128<br />
Literaturverzeichnis<br />
Quellen 135<br />
Forschungsliteratur 142
<strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Sozialgeschichtliche und soziologische Verortungen eines<br />
Erfolgsmodelles<br />
Von Jennyfer Großauer-Zöbinger 1<br />
Positionierung(en) des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s im Feld<br />
Zwischen Kunst und Kommerz<br />
Johann Josef La Roche wirkte von 1781–1806 2 als Kasperl-Darsteller an der von<br />
Karl Marinelli (mit)begründeten, stehenden Bühne in der Leopoldstadt. Dieser<br />
Zeitraum, der identisch ist mit dem noch in den Kinderschuhen steckenden „Zeitalter<br />
der belletristischen Lesekultur“ 3 (zu beachten ist da<strong>bei</strong>, dass der Großteil der<br />
Bevölkerung noch im Analphabetismus verhaftet war 4 , was das <strong>Theater</strong> für die bildungsfernen<br />
Schichten besonders interessant machte, da hier die zeitgenössische<br />
Dramenkunst unabhängig von der Lesefähigkeit des Einzelnen zu konsumieren<br />
war), bedarf einer näheren Betrachtung, um die historischen und soziologischen Bedingungen<br />
der Produktion, des Konsums sowie der Rezeption der für den Kasperl-<br />
Darsteller La Roche eigens gefertigten Komödientexte 5 besser verstehen zu können.<br />
Auf den folgenden Seiten soll nun nichts anderes als der wirkungsgeschichtliche<br />
Kontext der Literaturproduktion wie der Literaturrezeption am <strong>Leopoldstädter</strong> The-<br />
1 In: Andrea Brandner-Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger und Beatrix Müller-Kampel:<br />
Kasperl-La Roche. Seine Kunst, seine Komik und das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>. Graz: <strong>LiTheS</strong><br />
2010. (= <strong>LiTheS</strong>. Zeitschrift für Literatur- und <strong>Theater</strong>soziologie. Sonderband 1.) S. 5–55.<br />
2 Dieser Zeitraum erfasst sein Wirken an der stehenden Bühne in der Leopoldstadt und<br />
klammert somit vorangegangene Auftritte mit der Badner Gesellschaft in Wien und an<br />
sämtlichen anderen Spielstätten (in Baden, Graz und den diversen Kronländern) aus.<br />
3 Zwischen 1763 und 1805 verzehnfacht sich die Buchproduktion gegenüber dem Zeitraum<br />
von 1721 bis 1763. Vgl. Stefan Neuhaus: Literaturkritik. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck<br />
& Ruprecht 2004. (= UTB. 2482.) S. 32.<br />
4 Ebenda, S. 33.<br />
5 Im FWF-Projekt Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des<br />
<strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung gelang es, ein<br />
umfangreiches Textkorpus (im Detail 30 Komödientexte), verfasst von Ferdinand Eberl,<br />
Karl Friedrich Hensler, Leopold Huber, Karl von Marinelli und Joachim Perinet, zu edieren.<br />
Dieses Textkorpus wird als Basismaterial für die hier angelegte Studie verwendet. Vgl.<br />
FWF-Projekt Nr. P20468 (15. Jänner 2008–14. Juli 2009): Mäzene des Kasperls Johann<br />
Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s. Kritische Edition<br />
und literatursoziologische Verortung (2008/09). Mitar<strong>bei</strong>terinnen: Andrea Brandner-<br />
Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger; Leitung: Beatrix Müller-Kampel. I. d. F. zitiert als<br />
Mäzene des Kasperls. Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/maezene_startseite.html<br />
[Stand 2009].<br />
5
6<br />
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
ater erhoben werden – oder mit anderen Worten – sollen epochale Charakteristika<br />
des literarischen Feldes herausgestrichen werden, die ausgehend von der Feldtheorie<br />
Pierre Bourdieus eine literatursoziologische Verortung erfahren (die Methodik bzw.<br />
Vorgehensweise, Theorie und Praxis nicht zu trennen, sondern ad hoc miteinander<br />
zu verbinden, folgt ebenso dem Konzept Bourdieus).<br />
Der französische Soziologe Bourdieu nennt als eines der wichtigsten Charakteristika<br />
des literarischen Feldes immer dessen Heterogenität, die sich im Agieren der Literaturproduzenten<br />
manifestiert. Diese beziehen aufgrund der Verschiedenheit ihrer<br />
Merkmale eine bestimmte Position und verteidigen ihre Ansichten und Ausrichtungen<br />
vehement gegenüber anders Positionierten, sodass ein Kräftefeld entsteht,<br />
welches auf das literarische Feld angewandt eine Achse mit folgenden Endpunkten<br />
ausbildet: die auf den kommerziellen Erfolg abzielende Produktion für das Massenpublikum<br />
gegenüber der zweckfreien „reine Kunst“, die sich selbst genug, einzig<br />
auf Anerkennung unter den Produzenten ausgerichtet ist und wirtschaftlich wenig<br />
Ertrag abwirft. 6<br />
<strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> positioniert sich im beobachteten Zeitraum (1781–<br />
1806) ohne erkennbare Abweichung im Bereich des ersten der <strong>bei</strong>den Endpunkte.<br />
Was geboten wird, dient – natürlich unter Berücksichtigung der Zensurauflagen,<br />
aber hierzu später – der Unterhaltung der zahlenden Massen, infolgedessen sich die<br />
Produzenten am eingespielten Gewinn zu orientieren hatten, womit die Regelmäßigkeit,<br />
die Kunstfertigkeit und die Originalität der Dichtung an dieser Bühne ins<br />
Hintertreffen gerieten.<br />
Die von Gottsched 7 , Maria Theresia und Josef II. Mitte des 18. Jahrhunderts angestrebten<br />
Literarisierungsmaßnahmen 8 des Wiener <strong>Theater</strong>s (diese stehen für ein völ-<br />
6 Vgl. Pierre Bourdieu: Praktische Vernunft. Zur Theorie Th eorie des Handelns. Aus dem FranzösiFranzösischen von Hella Beister. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998. (= edition suhrkamp. 985.)<br />
S. 64–67.<br />
7 Gottsched will das von bürgerlich geachteten Komödianten betriebene Berufstheater als<br />
Instrument der ethischen, ästhetischen und politischen Erziehung des Bürgers nutzen,<br />
was notwendiger Weise mit einer <strong>Theater</strong>reform einhergeht. Er stellt die Forderung nach<br />
Dichtern, die der Poetik der Komödie und Tragödie kundig sind, nach einer festgelegten<br />
Dramentheorie ar<strong>bei</strong>ten, deren Einhaltung die Wahrscheinlichkeit von Charakteren und<br />
Handlung sowie die Einheit von Ort, Zeit und Handlung sichert. „Gottscheds ganz besonderes<br />
Mißfallen erregt der extemporierende Hanswurst – vor allem in den schwülstigen, allen<br />
Gesetzen der Wahrscheinlichkeit Hohn sprechenden Haupt- und Staatsaktionen. Doch<br />
auch in der Komödie erachtet er eine ,lustige Person‘ als stehenden Typus für weitgehend<br />
überflüssig – der Autor möge seine lustigen Einfälle in der Handlungsführung und in der<br />
Zeichnung der auftretenden Personen im allgemeinen beweisen.“ Hilde Haider-Pregler:<br />
Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters<br />
im 18. Jahrhundert. München: Jugend und Volk 1980, S. 139 und vgl. ebenda,<br />
S. 140–147.<br />
8 Die <strong>Theater</strong>reform Maria Theresias beabsichtigte das Wiener <strong>Theater</strong> in „ein literarisiertes,<br />
vom Staat gesichertes und beaufsichtigtes Nationaltheater als öffentliche Sittenschule“ umzuwandeln.<br />
Vgl. hierzu: Haider-Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 269.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
lig anderes Kunstverständnis, als es von Autoren, Darstellern und Rezipienten des<br />
<strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s gespielt und gelebt wird) setzten sich, abgesehen von den<br />
Erlässen zur Zensur, damit in der künstlerischen Orientierung des <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong>s nicht fort, was für die oben vorgenommene Definition des literarischen<br />
Feldes nach Bourdieu, auf diese Bühne angewandt, eine Modifizierung notwendig<br />
erscheinen lässt. So kristallisieren sich, die Funktion des <strong>Theater</strong>s betreffend, noch<br />
zwei zu berücksichtigende, disparate Positionen heraus: die von den Denkern der<br />
Aufklärung postulierte, zweckgebundene Auffassung vom <strong>Theater</strong> als pädagogischem<br />
Instrumentarium zur Anhebung des Bildungsniveaus und der Sozialtugenden<br />
(Moral, Sittlichkeit, Disziplin, Ethik etc.) sowie vom <strong>Theater</strong> als Boulevardtheater<br />
mit moralischen Auflagen, jedoch ohne höheren Bildungsanspruch (ein Nutzen<br />
des <strong>Theater</strong>s ist entbehrlich, es zählt zweckfreie Zerstreuung), das die Tradition des<br />
Hanswurst-<strong>Theater</strong>s, wie der Haupt- und Staatsaktion, in gemäßigter Weise fortsetzt<br />
und seine Bestimmung in der Erheiterung und kurzweiligen Unterhaltung des<br />
Publikums ortet. Auf die Symbolik einer Achse übertragen, entstehen damit zwei<br />
entgegengesetzte (und hier pauschal benannte) Kräftepole: das Bildungs- gegenüber<br />
dem Unterhaltungstheater.<br />
Abbildung 1: Exemplarischer Entwurf des literarischen Feldes des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s<br />
Die Positionierung des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s im Bereich des kommerziellen Unterhaltungstheaters<br />
wird von gesellschaftspolitischen Verordnungen mitbestimmt,<br />
die Mitte der 1750er Jahre ihren Anfang nehmen und bis in die 1780er Jahre sowie<br />
darüber hinaus nachwirken.<br />
Ursprünglich vom Staat nicht als Bildungsinstitution beachtet, richtet sich während<br />
der Regentschaft Maria Theresias der Fokus erstmals auf das Wiener <strong>Theater</strong> (und<br />
hier besonders auf dessen deutschsprachige Ausprägungen). Für die von pädagogi-<br />
7
8<br />
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
schen Bestrebungen gekennzeichnete Regierungsphase ganz programmatisch, wird<br />
nun auch das <strong>Theater</strong>- neben dem Schulwesen von Reformen ereilt, deren Ziel die<br />
Herausbildung von Institutionen zur Verbesserung des Bildungsniveaus (im Bereich<br />
der Sitten wie des Intellekts) der Bevölkerung ist. 9 Maßgeblichen Beitrag leistet etwa<br />
Joseph Heinrich Engelschall mit seiner Schrift Zufällige Gedanken über die Deutsche<br />
Schaubühne zu Wien, in der das <strong>Theater</strong> als Ergänzung zur Legislative, der religiösen<br />
Erziehung und dem Schulsystem zweckdienlich als staatliche Einrichtung zur Umsetzung<br />
aufklärerischer, tugendhafter Werte und als Ort, an dem das Angenehme<br />
mit dem Nützlichen einhergeht, angepriesen wird:<br />
„[…] daß bloß die Kenntniß von dem Nützlichen und von dem Angenehmen<br />
der Grund von der Bildung eines guten Geschmacks sey. Denn durch die weise<br />
Verbindung dieser beyden Eigenschaften in den Wirkungen unsrer Handlungen<br />
zeigen wir, ob unser Geschmack gut oder übel ist. Man pflegt aber alles<br />
dasjenige für Angenehm zuhalten, was äußerlich unsern Sinnen und innerlich<br />
unsern Neigungen gemäß ist. Da hingegen das Nützliche in allen Stücken auf<br />
die Vollkommenheit des Menschen, das ist, auf die Beförderung alles desjenigen<br />
siehet, was ihn zu dem Endzwecke, zu welchen er erschaffen ist, nämlich<br />
beständig glückselig zu seyn, führet. Woraus dann offenbar folget, daß<br />
der bloße Augenmerk des Angenehmen den Menschen in seinen Handlungen<br />
zu seiner Unvollkommenheit, zu seinem Unglücke führen kann; die Verbindung<br />
des Nützlichen aber mit dem Angenehmen ihn niemals fehlen läßt. […]<br />
Diese Wahrheiten sind so allgemein, daß ihnen nichts mit Grunde entgegen<br />
gesetzet werden kann. Sie sind aber auch zu gleicher Zeit die Quelle aller Betrachtungen,<br />
die ich hier über die Schauspielkunst, einen Theil der sittlichen<br />
Gelehrsamkeit, anzustellen gedenke. […] jedermann giebt mir recht, daß die<br />
vornehmste Bemühung, einen Staat glücklich zu machen, in der Sorgfalt bestehe,<br />
gute Sitten bey den Unterthanen einzuführen. Wodurch gelangt man aber<br />
zu diesem Zwecke? Der größte Theil unserer Polizeyverweser weiß nur von drey<br />
Wegen: Durch Anlegung guter Schulen; durch Sorgfalt für die reinen Lehren<br />
der Religion; und durch die Strenge der Gesetze. Wider alle diese drey Stücke<br />
habe ich nichts einzuwenden; es ist gewiß, sie sind in einem Staate unentbehrlich.<br />
Allein ich halte sie nach dem gemeinen Weltlaufe nicht für hinlänglich,<br />
und entdecke in der Schauspielkunst durch die Erfahrung noch einen vierten<br />
leichten Weg, zu meinem Zwecke zu gelangen. […] wenn ich des Menschen<br />
Neigungen zu gleicher Zeit schmeicheln, und ihn mit Lachen von sittlichen<br />
Wahrheiten überführen kann; wenn ich auch die Stunde seines Vergnügens mir<br />
zu nutze machen, und ihm in selbigen angenehmen Unterricht ertheilen kann;<br />
warum soll ich solches unterlaßen?“ 10<br />
9 Vgl. Carl Glossy: Zur Geschichte der Wiener Th <strong>Theater</strong>zensur. eaterzensur. I. In: Jahrbuch der GrillparGrillparzergesellschaft 7 (1897), S. 239.<br />
10 [Joseph Heinrich Engelschall]: Zufällige Gedanken über die deutsche Schaubühne zu<br />
Wien, von einem Verehrer des guten Geschmacks und guter Sitten. In: Philipp Hafner.<br />
Burlesken und Prosa. Mit Materialien zur Wiener <strong>Theater</strong>debatte. Hrsg. von Johann Sonnleitner.<br />
Wien: Lehner 2007, S. 252–257.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
<strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> ist <strong>bei</strong> Engelschall nicht mehr nur <strong>Theater</strong> um seiner selbst Willen, sondern<br />
didaktisches Mittel zur Bildung und Besserung der Gesellschaft. 11 Als die wesentlichsten<br />
Punkte der Reformempfehlungen Engelschalls für das Wiener <strong>Theater</strong><br />
wären die Eliminierung des Stegreiftheaters samt dessen Extempore-Einlagen 12 , die<br />
Überwachung des <strong>Theater</strong>s und deren Spielpläne durch staatliche Behörden 13 , die<br />
Forderung nach einer realistischen Handlung 14 sowie einem regelmäßigen Schauspiel<br />
15 auch für die unteren sozialen Schichten, den „Pöbel“ 16 , zu nennen.<br />
Der Kameralist und Zensor Joseph von Sonnenfels geht damit konform und streicht<br />
in seinen Reformbestrebungen ebenso die Nutzbarkeit des Bühnenspiels zur Bildung<br />
der unteren Schichten heraus. Während der Adel und das gebildete Bürgertum<br />
in der italienischen Oper sowie der französischen Komödie ihren Horizont erweiterten,<br />
blieb den weniger einkommensstarken bzw. privilegierten Bevölkerungsschichten<br />
nur das deutsche <strong>Theater</strong>. Diese Sparte des Mediums wurde aber nach Sonnenfels<br />
zu lange Zeit „gleichsam nur als ein zufälliger Theil angesehen und sich selber<br />
überlassen“ 17 , anstatt daraus gesellschaftsbildenden Nutzen zu ziehen.<br />
„Ist der Regent, ist der große Adel der einzige Gegenstand der öffentlichen<br />
Aufmerksamkeit? Verdient der übrige Theil der Bürger, welcher zu dem allgemeinen<br />
Wohl nicht minder das Seinige beyträgt, daß man seiner ganz [!] nicht<br />
gedenke? Giebt es nicht mehrere Klassen der Bürger, welchen der Staat, nach<br />
durchgear<strong>bei</strong>tetem Tage, eine Erholung zu verschaffen verpflichtet ist? Wäre<br />
es nun aber gleichgültig, diesen Theil der Bürger entweder in eine Gaucklerbude<br />
hinzuschicken, wo sie die Albernheit eines Possenspielers und seine Unhöflichkeiten<br />
mit Ekel anhören müssen, oder ihnen ein gesittetes Vergnügen<br />
zu verschaffen, wo sich ihre Stirne, ohne den Anstand schamroth zu machen,<br />
aufheitern kann.<br />
Der Mann aus der mittlern Klasse bedarf es so gar weit mehr, daß der Staat ihm<br />
eine anständige Ergötzung zu verschaffen suche als der Adel. Diesem kann es bey<br />
11 „Engelschall vertritt die Position, daß Kunst didaktisch im gesellschaftsverbessernden Sinn<br />
zu wirken hätte und daß ihre unterhaltende Funktion ein Hilfsmittel zu diesem Zweck<br />
wäre“. Haider-Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 324.<br />
12 „[…] und wer also immer der Schaubühne vorzustehen haben möchte, muß scharf darauf<br />
sehen, daß kein Wort von einem Schauspieler auf der Bühne gesprochen werde, das nicht<br />
in dem vorher gänzlich schriftlich abgefaßten und ihm zur Censur eingereichtem Stücke<br />
befindlich sey.“ Engelschall, Zufällige Gedanken über die deutsche Schaubühne, S. 267.<br />
13 Vgl. ebenda, S. 265–271.<br />
14 Vgl. ebenda, S. 261–262.<br />
15 Engelschall fordert Lustspiele „nach den Regeln der Kunst“. Vgl. ebenda, S. 263.<br />
16 Vgl. ebenda, S. 257.<br />
17 Zit. nach Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 255.<br />
9
10<br />
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
seinem großen Vermögen an Ergötzlichkeiten ganz [!] nicht fehlen, indessen der<br />
eingeschränkte Aufwand, den die untern Klassen zu machen fähig sind, sie auf<br />
die Schaubühne hauptsächlich herabsetzt, und wenn man sie dieser Ergötzung<br />
beraubt, auf solche zu verfallen verleitet, die den Sitten nachtheilig sind […]“ 18<br />
Die Überlegungen, das <strong>Theater</strong> als Instrumentarium zur Vermittlung sittlicher wie<br />
moralischer Werte und Tugenden zu benutzen, zeugen von einer Neudefinition des<br />
Mediums, die stark von den pädagogischen Bestrebungen des Theresianischen Zeitalters<br />
geprägt ist. Damit geht ein sozialer und kultureller Wandel einher, der im<br />
protestantischen Deutschland seinen Ursprung hat, nach und nach aber auf das kulturelle<br />
Feld Österreichs einzuwirken beginnt. Träger dieses Wandels sind gebildete<br />
Bürger mit protestantisch geprägtem Wertekanon (Pflicht, Fleiß, Ordnung etc.),<br />
der wie auf alle Lebensbereiche eben auch auf kulturelle Produktionen angewandt<br />
wird. Demnach werden Literatur und <strong>Theater</strong> mit einem Nutzen belegt, der weit<br />
über ihren unterhaltenden, zerstreuenden Charakter hinausreicht: Sie übernehmen<br />
fortan die leitende Position <strong>bei</strong> der Herausbildung moralischer Werte. 19 Kulturelle<br />
Produktionen werden nun nicht mehr daran gemessen, ob sie gefallen, sondern ob<br />
sie pflichtgemäß Anteil an der moralischen Erziehung der Bevölkerung nehmen.<br />
„Die von Wolff, Gottsched und anderen Geistesfürsten postulierte Moral der<br />
Aufklärung ließ den Mut zur Selbstbestimmung eben nicht gelten, und schon<br />
gar nicht im Hinblick auf Affekte und Begierden. Deren Spontaneität suchte<br />
man weitgehend zu unterdrücken. In einem Diktat des Nutzens, einem heutigen<br />
Utilitarismus recht ähnlich, verbanden insbesondere die norddeutschen, protestantischen<br />
Aufklärer Vernunft mit Pflichtbewußtsein, erklärten sie den Fleiß<br />
zur moralischen Bestimmung des Menschen und den Müßiggang zum Laster.<br />
Folglich mussten die Kultur und das Lesen einen Nutzen zeitigen; Unterhaltung<br />
ohne Lehre erachtete man als bedenkliche Frivolität. Körperliche Reize,<br />
Erotik, ,Wollust‘ traf die ganz heftige Intoleranz der Toleranzprediger.“ 20<br />
Von vorne herein steht fest, dass das <strong>Theater</strong> – und hier vor allem das deutsche<br />
<strong>Theater</strong>, das als Bindeglied zu den weniger privilegierten sozialen Schichten anzusehen<br />
ist – den geforderten Bildungsauftrag nur erfüllen kann, wenn von höherer<br />
Stelle überwacht wird, was auf der Bühne geboten wird. Hanswurst, Harlekin und<br />
Bernardon mit ihrer grotesk-derben körperlichen Komik, deren Witz stets auf den<br />
leiblichen Bedürfnissen des Menschen (Furzen, Scheißen, Kopulieren, Fressen und<br />
18 Joseph von Sonnenfels: Briefe über die Wienerische Schaubühne. Hrsg. von Hilde Haider-<br />
Pregler. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1988. (= Wiener Neudrucke. 9.)<br />
S. 411.<br />
19 Vgl. Klaus Zeyringer: Die Kanonfalle. �sthetische �sthetische Bildung und ihre Wertelisten. Literatur- Literatursoziologischer<br />
Essay. In: Lithes. Zeitschrift für Literatur- und <strong>Theater</strong>soziologie. Nr. 1: Was<br />
weiß Literatur? (Dezember 2008), S. 74–78.<br />
20 Ebenda, S. 75–76.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Saufen) beruhte, 21 waren mit ihrem oft von der Haupthandlung separierten, unregelmäßig-improvisierten<br />
Spiel und den für sie charakteristischen Prügelszenen nicht<br />
die geeigneten Identifikationsfiguren für die Vermittlung guter Sitten und höherer<br />
Moral. Und der von den Aufklärern postulierte Nutzen, den diese jeder Alltagsbeschäftigung<br />
abverlangten, um nicht dem Müßiggang zu verfallen, stellte sich <strong>bei</strong>m<br />
Konsum der Hanswurst- und Bernardon-Aktionen schon gar nicht ein. Stegreifspiel<br />
und Extempore-Einlagen waren, da sie zu viel Raum für individuelle Ausgestaltung<br />
bzw. Rede und nicht zuletzt für spaßigen Unsinn ließen, mit der erzieherischen<br />
Funktion von <strong>Theater</strong> generell unvereinbar, weshalb als logische Konsequenz der<br />
Erlass der <strong>Theater</strong>zensur (1765) 22 als Garant für den ausgesucht bildenden und belehrenden<br />
Inhalt der Komödientexte sowie Tilgung des improvisatorischen Spiels<br />
von der Bühne folgte (1769 war die extemporierte Komödie, zumindest von den<br />
Hoftheaterbühnen, verschwunden 23 ). Dieser Entwicklung vorausgegangen war eine<br />
neue Geisteshaltung eines Teils der <strong>Theater</strong>besucher, die mit ihrem Geschmacksurteil<br />
oppositionelle Position zum deutschen Spaßtheater bezogen. Die Lustigen Figuren<br />
Hanswurst und Bernardon wurden als Feindbilder des „guten Geschmacks“<br />
zunehmend öffentlich angefeindet, sodass in den moralischen Wochenschriften 24<br />
bald eine erbitterte Debatte um ihre <strong>Das</strong>einsberechtigung entbrannte (bekannt als<br />
„Hanswurststreit“). 25 „Je toller und ungeberdiger […] die lustige Person wurde, je<br />
mehr Unsinn und Zote sich ausbreiteten, desto lebhafter wurde die Opposition des<br />
denkenden Theils aus dem Publicum und das Begehren nach einer Reinigung der<br />
Bühne durch die Staatsgewalt.“ 26 Auf die „Censur des Geschmackes“, die in der<br />
gebildenten Öffentlichkeit immer mehr Befürworter erlangte, folgte nun die Zensur<br />
des Geisteslebens der Wiener durch die Staatsgewalt (1769/70 vertreten durch<br />
Joseph von Sonnenfels, danach durch den bekannten Zensor Franz Karl Hägelin).<br />
Alle für die Aufführung in der Reichshauptstadt vorgesehenen Bühnenstücke waren<br />
in schriftlichter, völlig ausformulierter Form der <strong>Theater</strong>zensurbehörde einzureichen<br />
21 Vgl. Beatrix Müller-Kampel: Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhun- Jahrhundert.<br />
Paderborn [u. a.]: Schöningh 2003, S. 91–112.<br />
22 Vgl. Gerhard Tanzer: Spectacle müssen seyn. Die Freizeit der Wiener im 18. Jahrhundert.<br />
Wien, Köln und Weimar: Böhlau 1992, S. 165.<br />
23 Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 258.<br />
24 Hafner, Heufeld, Klemm aber auch Weiskern sprechen sich in diversen Wochenblättern<br />
immer wieder gegen Sonnenfels aus. Sie lehnen das von ihm angestrebte „Hochstiltheater“<br />
ab, wenden sich aber ebenso gegen das extemporierte, den Diktaten der Wahrscheinlichkeit<br />
trotzende Possenspiel.<br />
25 Vgl. hierzu Karl Görner: Der Hans Wurst-Streit in Wien und Joseph von Sonnenfels. Wien:<br />
Konegen 1884.<br />
26 Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 253.<br />
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12<br />
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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und wurden – auch wenn es nicht immer den erwarteten Erfolg brachte 27 – präventiv<br />
zensiert. Je nachdem, ob die Texte „schlüpfrige“ Reden, sittlich inadäquate<br />
Aktionen und fragwürdige Charaktere enthielten, wurden sie zum Teil zensiert bzw.<br />
der Umar<strong>bei</strong>tung des Urhebers überlassen oder, wenn die gesamte Geschichte wie<br />
auch der Stoff selber für Sitten, Staat oder Religion bedenklich waren, zur Gänze<br />
indiziert. 28<br />
„Wenn ich einem Fürsten zu rathen hätte, so würd’ ich ihm nichts eifriger empfehlen,<br />
als – sein Volk in gute Laune zu setzen. Kurzsichtige Leute sehen nicht,<br />
wie viel auf diesen einzigen Umstand ankommt. Ein fröhliches Volk thut alles,<br />
was es zu tun hat, munterer und mit besserem Willen als ein […] schwermüthiges;<br />
[Nur wenn die Menschen] bey guter Laune sind, so vergessen sie über<br />
einer Komödie, einer neuen Tänzerin, einem neuen fröhlichen Liedchen, den<br />
Verdruß über eine verlorene Schlacht, oder die Schlimme Verwaltung ihrer<br />
öffentlichen Einkünfte.“ 29<br />
Es sind treffende Worte, die Christoph Martin Wieland seinem Diogenes von Sinope<br />
in den Mund gelegt hat. Denn vermutlich trug damals nichts mehr zur Aggressionsbewältigung<br />
und Triebreduktion <strong>bei</strong> und half besser über schlechte Zeiten und<br />
private Nöte hinweg, als das komische <strong>Theater</strong>. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts<br />
ist es das Marinellische <strong>Theater</strong> in der Leopoldstadt, das als prototypisches<br />
Lachtheater die Bewohner Wiens, aber auch Touristen aus dem Kaiserreich und<br />
diverse Staatsgäste <strong>bei</strong> Laune hält. Vor allem der Kasperl-Darsteller Johann Josef<br />
La Roche zog mit seiner individual-komischen Spielweise die Massen an und bot<br />
somit die passende Ablenkung von größeren und kleineren Sorgen des Alltages, vom<br />
politischen Geschehen oder, pauschaler beurteilt, vom Weltgeschehen überhaupt.<br />
So war den <strong>Theater</strong>reformern in der Mitte des 18. Jahrhundert zwar ein Schlag<br />
gegen das ungebändigte deutsche Spaßtheater samt seinen zotigen Figuren Hanswurst<br />
und Bernardon gelungen, sowie das Medium <strong>Theater</strong> (zumindest was die<br />
innerstädtischen stehenden Bühnen betrifft) von den Widrigkeiten gegen „die Sitten,<br />
den Staat und die Religion“ durch die Zensur bedingt zu befreien. Bei all den<br />
literarisierungspolitischen Maßnahmen des deutschen <strong>Theater</strong>s und hier v. a. der<br />
Komödie konnte und sollte aber die zweckfreie Unterhaltungslust der Wiener nicht<br />
eingedämmt werden. Sie wurde nun in gemäßigter Form im <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong><br />
gestillt.<br />
27 „Wie gering aber die Macht dieser <strong>Theater</strong>polizei war, geht schon daraus hervor, daß der<br />
Possenreißer sogar die Kühnheit hatte, von der Büchercensur zum Druck nicht zugelassene<br />
Liederstrophen dennoch auf der Bühne zu singen.“ Glossy, Zur Geschichte der Wiener<br />
<strong>Theater</strong>zensur, S. 253.<br />
28 Zu den Zensurrichtlinien siehe: Ebenda, S. 279–282.<br />
29 Christoph Martin Wieland: Nachlass des Diogenes von Sinope. Aus einer alten Hand-<br />
Christoph Martin Wieland: Nachlass des Diogenes von Sinope. Aus einer alten Handschrift.<br />
In: C. M. Wielands sämtliche Werke. Bd. 13. Leipzig: Göschen 1795, S. 3–148, hier<br />
S. 88.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Die meisten Punkte, die u. a. von den <strong>bei</strong>den Theoretikern Engelschall und Sonnenfels<br />
für die Reformierung des Wiener <strong>Theater</strong>s vorgeschlagen wurden, hatten ein<br />
gesellschaftspolitisches Echo sowie nach und nach entsprechende Erlässe von Seiten<br />
der Regierung zur Folge. Während das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> in der inhaltlichthematischen<br />
Ausrichtung seiner <strong>Theater</strong>stücke von den Reformbestrebungen, der<br />
Geschmacksdebatte, der Ernennung des Mediums zur Bildungsinstitution aufgrund<br />
von Zensurerlass und zumeist unumgänglicher behördlicher Kontrolle in Teilbereichen<br />
beeinflusst wurde, tangierte die geforderte konzeptionelle Neugestaltung<br />
der <strong>Theater</strong>stücke (Wahrscheinlichkeit, Regelmäßigkeit) und somit ihre angedachte<br />
Normierung und Literarisierung die künstlerische Ausrichtung des <strong>Theater</strong>s bestenfalls<br />
peripher.<br />
Vorerst in knapper Form dargestellt, fassen folgende Thesen den Einfluss des gewandelten<br />
Geisteslebens auf das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> zusammen:<br />
These 1: Die Forderung nach der pädagogischen Zweckgebundenheit des <strong>Theater</strong>s wurde<br />
am <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> bedingt umgesetzt. Dem Repertoire zufolge 30 dienten<br />
die meisten der am <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> gebotenen Produktionen der Unterhaltung.<br />
Der von den Denkern der Aufklärung propagierten Pflichtausübung in allen<br />
(alltäglichen) Tätigkeiten kam das <strong>Theater</strong> damit nur geringfügig nach. Letzte<br />
Geschmacksinstanz dieser Bühne war das nach Unterhaltung strebende Publikum,<br />
nicht der von den elitären Denkern der Aufklärung propagierte erbauende, bildende<br />
<strong>Theater</strong>kanon.<br />
These 2: Die Überwachung des Spielplans und der Produktion erfolgte in Bezug auf<br />
die schriftlich fixierten Komödientexte gänzlich, in Bezug auf die dramaturgische Umsetzung<br />
auf der Bühne bedingt.<br />
These 3: Die Forderung nach der Eliminierung des Stegreifspiels war damit nur bedingt<br />
erfüllt.<br />
These 4: Die Maßnahmen gegen die lustigen Volkstypen, die immer stärker um<br />
sich greifende protestantisch geprägte „Sinnenfeindlichkeit“ sowie die Tendenz zur<br />
Moralisierung kultureller Produkte bedingen eine Sozialisierung, Verbürgerlichung<br />
und Versittlichung des <strong>Leopoldstädter</strong> Kasperls, der um die obszön-derben Charakterattribute<br />
des Hanswurst gebracht, nur mehr eine oftmals auf die Nebenhandlung<br />
beschränkte Existenz als dessen Diminutiv führt.<br />
30 Vgl. hierzu Studie zum <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>. In: Jennyfer Großauer-Zöbinger: Karl von<br />
Marinelli (1745–1803). <strong>Das</strong> Gesamtwerk. Edition und Studie. Graz, Univ., Diss. [im Entstehen].<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
Moral und Bildung im <strong>Theater</strong><br />
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Die Forderung nach der pädagogischen Zweckgebundenheit des <strong>Theater</strong>s wurde am<br />
<strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>, wie behauptet, bedingt umgesetzt. Die Überwachung der<br />
Produktionen und des Spielplans durch die Zensurbehörde, die Neudefinition des<br />
<strong>Theater</strong>s als Erziehungsmedium, sowie generell der sich stetig verbreitende Einfluss<br />
der Geisteshaltung der Aufklärung gaben den Anlass zur Verar<strong>bei</strong>tung sittlich-moralischer<br />
Werte und gesellschaftlicher Tugenden in einem Teil der Repertoirestücke.<br />
Es sind v. a. die Komödien (überwiegend die reinen Sprechstücke ohne Musik)<br />
Henslers, Eberls und die bürgerlichen Komödien Marinellis 31 , die didaktisch aufbereitete,<br />
klischeehafte Moral enthalten und die Tendenzen eines Besserungsstückes<br />
aufweisen. Gepredigt wird da<strong>bei</strong> stets über dieselben sittlichen und moralischen<br />
Vergehen: über geplanten und vollzogenen Ehebruch, Kuppelei, Arglist, Prasserei<br />
(eigenartiger Weise sind es immer die Frauen, die verschwenderisch sind), Hochmut<br />
bis zum Adelsstolz, übersteigerte Arglosigkeit und Eifersucht (auch diese Unsitte<br />
wird fast stets an Frauen vorgeführt). Gepriesen werden hingegen der bedingungslose<br />
Gehorsam gegenüber dem Vater wie der Obrigkeit (Treue zum Regiment), die<br />
Pflichterfüllung gegenüber dem Kaiser, die Redlichkeit und der Fleiß des Bürgers,<br />
Ehrlichkeit und Sittsamkeit. Obwohl einige der eingesehenen Komödien diese lehrhaften<br />
Züge tragen, war der Hauptzweck des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s immer noch<br />
die Unterhaltung und nicht die Belehrung des Publikums. Diese Absicht zeigt sich<br />
v. a. in den Spieltexten Perinets, den Kasperliaden Marinellis und den Opernbear<strong>bei</strong>tungen<br />
Eberls, die kaum erzieherischen Wert haben und weitaus häufiger gespielt<br />
wurden, als jene mit Moral behafteten Stücke (Belege folgen unmittelbar).<br />
Im theatralen Feld positioniert sich das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> damit inhaltlich am<br />
äußersten Rand des zum Bildungstheater gehörenden Subfeldes des meinungs- und<br />
verhaltensbildenden <strong>Theater</strong>s.<br />
Ein moralischer Unterton findet sich in Kasperl’ der Mandolettikrämer, wo Ehebruch<br />
und Untreue angeprangert werden. Jeweils ein Part von drei Pärchen (jedes Pärchen<br />
stammt aus einer anderen Gesellschaftsschicht, was für die Zuseher im Publikum,<br />
die ebenso anderen Ständen angehörten, die Identifikation erleichterte) erfährt im<br />
Laufe des nahezu endlos gedehnten Handlungsprozesses seine Läuterung bezüglich<br />
Hinterlist und (angedachtem 32 ) Seitensprung. Als Vertreter der Aristokratie wird<br />
31 Im <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> kamen nur noch Marinellis Der Ungar in Wien und Der Bürger<br />
und der Soldat zur Aufführung. Beide sollen an dieser Stelle nicht besprochen werden, da<br />
in ihrer Personen-Konzeption die Figur des Kasperl nicht vorgesehen ist. Vgl. Karl von<br />
Marinelli: Der Ungar in Wien. Ein Originallustspiel in drey Aufzügen. Wien: [o. V.] 1773<br />
und Karl Marinelli: Der Bürger und der Soldat. Ein Originallustspiel in drey Aufzügen.<br />
Preßburg: Landerer [1775].<br />
32 Mehr gestattete die Zensur v. a. den weiblichen Charakteren eines Bühnenstückes nicht, so-<br />
Mehr gestattete die Zensur v. a. den weiblichen Charakteren eines Bühnenstückes nicht, sodass<br />
auf betrügerisch-hinterhältige Worte zumeist keine entsprechenden Handlungen folgten.<br />
Darstellbar waren nur der Versuch der Untreue bzw. der Scheinehebruch. Vgl. Glossy,<br />
Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 317.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Baron Wellbach für seine Untreue gegenüber seiner Angetrauten Amalia, die er mit<br />
deren selbst verschuldetem Verschwinden rechtfertigt, und seinen ständigen Annexionen<br />
des weiblichen Geschlechts à la Don Juan gescholten und schließlich auch<br />
bekehrt – als Moralinstanz bzw. nach Freud als „Über-Ich“ fungiert hier<strong>bei</strong> zumeist<br />
sein Bedienter Paul:<br />
„Paul. Aber lieber gnädiger Herr! – wenn werden Sie einmal aufhören, den<br />
irrenden Ritter zu spielen?<br />
Baron. Kerl, du wirst mir so lange deine Moral vorsingen, bis ich dir den Tact<br />
dazu gebe! –<br />
Paul. Schon gut! – […] Geburt, Erziehung, Vermögen, und tausend günstige<br />
Umstände – fordern sie recht auf, es zu werden, und eine einzige unglückliche<br />
Leidenschaft – ich will sagen Grille – hindert Sie es zu seyn.<br />
Baron. Hindert mich? – itzt seht doch einmal, den moralischen Schwätzer an<br />
[…] gieb mir Unsterblichkeit, und frage mich dann, welcher Wunsch mir noch<br />
übrig bleibt.<br />
Paul. Und haben alle Augenblick einen andern.<br />
Baron. Aber keinen lasse ich unbefriedigt, und das ist gerade das, was mich<br />
glücklich macht – Abwechslung ist die Würze des Vergnügens – kurz Kerl,<br />
wenn du nicht Eis statt Blut in deinen Adern hast, so sage mir, wer kann im<br />
Besitz solch eines Meisterstückes der Natur (er zeigt ihm das Portrait) für etwas<br />
andres noch Sinne haben?<br />
Paul. (<strong>Das</strong> Portrait betrachtend) schön! – wahrlich schön – fast so schön, als<br />
ihre Gemahlin!<br />
Baron. Dumkopf mit deiner Vergleichung – fast so schön als ihre Gemahlin –<br />
fast! – hab ich’s dir nicht ein für allemal verboten, nicht die geringste Erwähnung<br />
von ihr zu machen, gar nicht daran zu denken, daß ich verheurathet sey.<br />
Paul. Wahr – aber was kann ich dafür, daß ich ein besser Gedächtniß habe<br />
als Sie!<br />
Baron. Du sollst aber nicht!<br />
Paul. Und was soll ich dann?<br />
Baron. Was? – an meinem Glücke Theil nehmen – dich mit mir freuen, mit<br />
mir diese zauberische Schönheit bewundern – und –<br />
Paul. Morgen wieder eine andere suchen – versichre Sie – gnädiger Herr, es ist<br />
nicht die erste Trunkenheit der Seele, die ich an Ihnen erlebt habe.<br />
Baron. Und doch geb ich dir mein Wort – daß dies das non plus ultra der<br />
Liebe für mich ist – schwör dir’s, daß ich diesen Engel ewig, wohl – wohl<br />
gemerkt – ich sage ewig – treu bleiben will –<br />
[…]<br />
Paul. Aber gnädiger Herr, was wollen Sie dann nun machen?<br />
Baron. Was ich machen will – was ich machen will? – lieben will ich sie –<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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Paul. Und Ihre Frau?<br />
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Baron. Je zum Teufel fängst du schon wieder damit an – Meine Frau! sie mag<br />
nach Venedig reisen – und wenn sie da keinen Zeitvertreib findet, so wird es<br />
wohl nirgends als im Kloster welche für sie geben! Und nun kein Wort mehr –<br />
das rath ich dir! –<br />
[…]<br />
Mad. Buchw[ald]. Herr Baron dieser Ton? –<br />
Baron. Ist der Ton einer verwirrten, aber nicht ganz verdorbenen Herzens! –<br />
kurz es wäre zu boshaft von mir, wenn ich nicht durch das offenherzige Geständniß,<br />
daß weder mein Herz noch meine Hand in meiner Gewalt sind, eine<br />
Flamme zu unterdrücken mich bemühte, die vielleicht ein freyer Blick und der<br />
noch freyere Ton der grossen Welt in einem Augenblick anzufachen im Stande<br />
war! – Sie sind verheurathet Madame, die Arme Ihres Gemahles erwarten<br />
Sie! – Verzeihen Sie, daß ich den Ton der grossen Welt vergaß, und Ihnen keine<br />
Lüge sagte!! –<br />
Mad. Buchw[ald]. Sie wollen mich also nicht lieben? –<br />
Baron. Madame ich will zur Tugend zurückkehren, dieß Gelübd hab ich erst<br />
vor wenigen Augenblicken gemacht! […]“ 33<br />
Madame Buchwald ist die Zweite im Bunde der in Versuchung Geführten. Sie entstammt<br />
ursprünglich der bürgerlichen Oberschicht, fühlt sich aber im Geldadel<br />
heimischer. Sie wird wegen ihrer Rendezvousfreudigkeit mit fremden Männern, der<br />
öffentlichen Herabwürdigung ihres Mannes und seines Standes sowie wegen ihres<br />
an Prasserei grenzenden, auffälligen Putzes als Ausdruck des angestrebten mondänaristokratischen<br />
Lebensstils (die komische Deplatzierung als Folge des Agierens in<br />
einer sozialen Rolle, welche nur oberflächlich erworben, nicht aber vollständig habitualisiert<br />
wurde, lässt grüßen), der für die Gattin eines Kaufmanns wenig schicklich<br />
ist, ergebnislos angeklagt:<br />
„Klinger. Werden Sie bald selbst sehen – daß der Handel, den wir treffen wollen,<br />
ganz ein artig Stück Ar<strong>bei</strong>t ist! (Klinger nimmt den Baron bey der Hand, und<br />
führt ihn zur Madame Buchner [!].) Madame hier hab ich das Vergnügen, Ihnen<br />
in dem Freyherrn von Lindenthal einen der reichsten Cavalliere, den feurigsten<br />
Verehrer der weiblichen Schönheit aufzuführen! –<br />
Mad. Buchwald. (Mit einem affektirten Complement) Es ist mir ein großes<br />
Vergnügen einen so reichen und vornehmen Cavallier kennen zu lernen! –<br />
Baron. Ich werde um die Erlaubniß bitten – Sie Madame besuchen zu dürfen!–<br />
Mad. Buchwald. Ich würde es herzlich erlauben – aber ich hab gar einen abscheulich<br />
eifersüchtigen Mann […]<br />
33 Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner Portion. Ein<br />
Lustspiel in drey Aufzügen. [Wien:] Wallishausser 1789, S. 4–9 und S. 156–157. Hrsg. von<br />
Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.unigraz.at/maezene/eberl_mandolettikraemer.html<br />
[Stand 2009].
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Baron. Allerliebst! […]<br />
Mad. Buchwald. Der Herr v. Klinger wird schon die Güte haben – Sie<br />
dort aufzuführen – und den reichen Herrn v. Katzenbalg kennt ja die ganze<br />
Stadt! –<br />
Baron. Von Katzenbalg – Ihre Frau Mama? –<br />
Mad. Buchwald. Ja diese ists – mein Hr. Papa ist erst Großritter der afrikanischen<br />
Erblande geworden – weßwegen er auch heute eine Akademie und Ball<br />
im Casino giebt! –<br />
[…]<br />
Herr Buchw[ald]. (geht verdrüßlich auf und ab, Madame sitzt in einem Sessel)<br />
Ein für allemal ich kann diese Lebensart nicht länger dulden.<br />
Mad. Buchw[ald]. (hönisch) Diese Lebensart? –<br />
Herr [Buchwald]. Diese Lebensart – ja Madame diese Lebensart! –<br />
Mad. [Buchwald]. Und was finden Sie denn gar so sehr an mir zu tadeln?<br />
Herr [Buchwald]. Was? – alles in allem – ihr Aufstehen – ihr Schlafengehen,<br />
ihren Putz – ihre Sitten – kurz Madame sie müssen sich ändern – oder ich muß<br />
andere Mittel ergreiffen! –<br />
Mad. [Buchwald]. (ihm nachäffend) ändern – oder andere Mittel ergreiffen –<br />
nu das ist ja allerliebst – in der That mein Herr so viel ich merke, so stimmen<br />
Sie den Ton des Zuchtmeisters an! –<br />
[…]<br />
Herr [Buchwald]. Ich will ein braves Weib aus dir machen – das will ich<br />
Schätzchen – und das werd ich; mit Gutem oder Bösem, das Mittel gilt mir<br />
einerlei – wenn ich nur meinen Zweck erreiche! – und so hast du nun vorläufig<br />
einige Regeln – itzt wollen wir auch einen Theil der Ausübung vornehmen – vor<br />
allen Dingen, diesen lächerlichen Kopfputz herab! –<br />
[…]<br />
Herr [Buchwald]. (Ganz gelassen und scherzhaft geht hin, führt sie zur Toilette,<br />
setzt sie nieder, hält sie mit einer Hand bey der Hand, und räumt ihr mit der<br />
andern Hand den Kopf ab) Ich sehe schon, Sie wollen mich zum Kammerdiener<br />
– kann Ihnen ja wohl auch diesen Gefallen erweisen – Sehn Sie ich weiß<br />
gut damit umzugehen! – so! – Nun sind Sie noch einmal so liebenswerth – nun<br />
will ich Sie küssen! (er will sie küssen)<br />
[…]<br />
Herr [Buchwald]. Roß und Wagen verkauft – Friesur und Kammermädchen<br />
abgedankt – Dinees und Souppees abgeschafft – Bälle und Spiele verbothen –<br />
das ist alles in der veränderten Lebensart begriffen! –<br />
Mad. [Buchwald]. (Geht weinend mit gefaltenen Händen umher) Ich möchte<br />
rasend werden – so herabgewürdiget – so beschimpfet; ich – die ich auf die<br />
Hand eines Grafens Ansprüche machen könnte – was bin ich nun? – Ein elendes<br />
Kaufmannsweib!! –<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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Herr [Buchwald]. (vom Affect überracht) Elendes Kaufmannsweib? Ha<br />
Weib! – laß dirs nicht gelüsten mich da anzugreifen (nach einer Pause) Kurz<br />
und gut! – es ist mein Wille, du mußt so leben, und nicht anders! –<br />
Mad. [Buchwald]. (wirft sich in einen Stuhl) Schon gut! – ich will das Ding<br />
schon umkehren – wollen doch sehen, ob sich das gemeine Volk so am Adel<br />
vergreifen darf. –<br />
Herr [Buchwald]. Was das Volk gegen den Adel darf? – weiß ich nicht! – was<br />
der Mann gegen ein närrisches Weib darf, sollen Sie, Madame sehen! – Gott<br />
befohlen! (er geht ab, und schlüßt die Thüre zu)“ 34<br />
Und schließlich wird noch der Bäcker und Unterhändler Kaspar wegen seiner ständigen<br />
Eifersüchtelei und seiner Doppelmoral (er selbst liebäugelt gerne mit diversen<br />
„Weibspersonen“, seine Frau beobachtet er hingegen mit Argusaugen, verbietet ihr<br />
jeglichen Umgang mit anderen Männern und markiert den eifersüchtig polternden<br />
Ehemann). Diese Figur ist es schließlich auch, die ihrem Typus gerecht die Lektion<br />
am härtesten lernen muss, hat sie zuvor doch ohne es zu ahnen, das eigene Weib (die<br />
Maske ist <strong>bei</strong> dieser nicht gelungenen, harmlosen Intrige das entscheidende Requisit)<br />
im wahrsten Sinne des Wortes an den Mann zu bringen versucht:<br />
„Baron. Was Sie wollen lieber redlicher Mann! –<br />
Kaspar. (Evgen hereinführend) Fikrament was fangen wir dann itzt mit den<br />
hübschen Weiberl an? –<br />
Baron. Je nun – das hübsche Weiberl wollen wir nun wiederum zu ihrem<br />
Mann bringen, damit ja heute alles in Ordnung kömmt! –<br />
Evgen. <strong>Das</strong> hab ich mir wohl gleich gedacht, daß ich dem Schlingel wiederum<br />
in die Hände kommen werde!<br />
Kaspar. Nein mein Herzenstäuberl, das sollen Sie nicht, ich will schon dafür<br />
sorgen, wenn Sie nur wollen? Herr Baron Sie überlassen mirs also? –<br />
Baron. Herzlich gerne!! –<br />
Kaspar. Tausendfikrament das ist lustig, itzt kommens nur geschwind mit<br />
mir! –<br />
Evgen. Aber ihre Frau? –<br />
Kaspar. So seyns nur kein Fratz nicht – die wird gar nichts inne davon – Sie<br />
gehn mit mir, und ich bring Sie an einen Ort, wo Sie gewiß nicht endeckt<br />
werden sollen!<br />
Evgen. Nu so ist mirs auch recht! – (sie nimmt die Masque ab.)<br />
34 Eberl, Mandolettikrämer, S. 65–66 und S. 70–77.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Kaspar. (der erschrickt) Alle Donner und’s Wetter! mein Weib – mein eignes<br />
Weib!<br />
Evgen. Ja du sauber’s Früchtel, ich bin’s selbst!! –<br />
Kaspar. Nein – nein das ist doch auch gar zu dumm, daß ich mein eignes Weib<br />
mit einem andern verhandeln wollte! – o! ich Esel! – ich Esel von allen Eseln! –<br />
Hr. Baron das kann ich Ihnen auf dem Todtenbette nicht verzeihen! – aber<br />
wart Weib, du, wann wir nach Hause kommen – freu dich!!<br />
Evgen. Du Schatzerl was macht denn die Jungfer Muhme?<br />
Kaspar. Still – still sey – ich bitt dich gar schön – ich seh schon, daß ich geprellt<br />
bin – die Jungfer Mahm ist fort – mach dir keinen Kummer mehr! –<br />
Baron. Siehst du, so gehts mit solchen Negozien wie du mit mir machen wolltest<br />
– kömmt nichts heraus, da nimm dein Weib, und bleib hübsch bey einem<br />
Gewerb – und nun meine liebe Amalia laß mich noch einmal hier meine feurigste<br />
Schwüre besiegeln!“ 35<br />
Zusammenfassend wird hier die Verwerflichkeit des Ehebruchs angeprangert (das<br />
Motto ist ja schon im Titelzusatz Jedes bleib bey seiner Portion erkennbar 36 ) und<br />
gegen alle Spielarten der Untreue gewettert. Gesellschaftskritik wird ebenso laut,<br />
indem mit der Figur der Madame Buchwald Neureiche wegen ihres gekünstelten,<br />
affektierten Lebensstils, der so gar nicht inkorporiert ist, belächelt werden.<br />
Abgesehen vom Mandolettikrämer finden sich auch in weiteren Komödien Eberls<br />
moralisch-belehrende Inhalte als Resultat der Neudefinition des <strong>Theater</strong>s als Bildungs-<br />
und Erziehungsmittel. So wird etwa in Der Tode und seine Hausfreunde erneut<br />
das Thema Ehebruch didaktisch aufbereitet: Während sich Kaspar tot stellt<br />
(ein Unterfangen, das dramaturgisch viel Komik in sich birgt), hält sein Eheweib<br />
Rose dem unmittelbar auf den Trauerfall einsetzenden Werben des bürgerlichen<br />
„Mannsvolks“ (es handelt sich um den Richter, den Schulmeister und den Gerichtsschreiber,<br />
alles honorige Mitglieder der Gesellschaft, hier alle drei in der Manier<br />
des Pantalone dargestellt) stand und erleichtert dieses als Strafe fürs Buhlen um<br />
deren gesamte Barschaft. Wie es der Anstand gebietet, wird die pekuniäre Beute<br />
schließlich den schnell her<strong>bei</strong>gerufenen Ehefrauen samt den schamroten, amourösen<br />
Anwärtern von Rose zurückgereicht (natürlich nicht ohne dass Rose als Belohnung<br />
für ihre Aufrichtigkeit selbst ein Stück vom Kuchen abbekommt), wo-<br />
35 Ebenda, S. 160–162.<br />
36 Abgesehen davon spielt der Titelzusatz natürlich auch auf den erzwungenen gesellschaftli-<br />
Abgesehen davon spielt der Titelzusatz natürlich auch auf den erzwungenen gesellschaftlichen<br />
Aufstieg und das lächerliche Vordringen in andere als die eigene Gesellschaftsschicht<br />
an.<br />
19
20<br />
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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mit am Ende der Komödie die übergeordnete Moral des Stücks „Ehrlich währt<br />
am längsten“ 37 , die ohnehin schon die ganze Zeit im Raum steht, den Rezipienten<br />
gänzlich zu erschlagen droht. Auch in Die Limonadehütte wird der Ehebruch als<br />
neueste Modeerscheinung dargestellt, bevor in der Tendenz eines Besserungsstückes<br />
alle Beteiligten plötzlich ein spätes Einsehen haben, zum angetrauten Partner zurückkehren<br />
und ihr Handeln als moralisch verwerflich bereuen.<br />
Hensler, der dem erzieherischen Auftrag in seinen Komödien für das <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong> am signifikantesten nachkam, stellt in Männerschwäche und ihre Folgen oder<br />
die Krida dar, wie eine sittlich verdorbene Bürgersfrau Tochter und Schwiegersohn<br />
ins Verderben führt, alle Bescheidenheit verliert, Intrigen spinnt, Geld verprasst und<br />
auch vor Trug und Lügen nicht halt macht.<br />
Während in den von belehrenden Inhalten frei gebliebenen Perinet-Stücken Pizichi,<br />
oder: Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten (1792), Megera. Erster Theil (1806), Caro,<br />
oder: Megärens zweyter Theil (1795), Die Schwestern von Prag (1794), <strong>Das</strong> lustige Beylager<br />
(1797) und Baron Baarfuß, oder der Wechselthaler (1803) Verwandlung, Klamauk<br />
(bis zum totalen Nonsens) und Aktion als Attribute an die Unterhaltung und<br />
Schaulust überwiegen, findet sich in einem frühen Originallustspiel Perinets mit<br />
dem Titel Die Eifersucht nach dem Tode (1791) ebenso ein moralischer Grundton<br />
wie auch ansatzweise in seiner Bear<strong>bei</strong>tung Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder<br />
der Hausteufel. In ersterem wird die Torheit einer krankhaft eifersüchtigen Ehefrau<br />
den Lachenden preisgegeben, die, um ihren Mann der Untreue zu überführen, ihren<br />
eigenen Tod vortäuscht (Komik entsteht v. a. durch das „Intrigen-Requisit“ 38 der<br />
Tapetentüre, die es erlaubt, die schreckhafte Dienerfigur Johann, die dem Personenverzeichnis<br />
nach La Roche verkörperte, das eine oder andere Mal glauben zu<br />
machen, den Geist der seligen Hausherrin gesehen zu haben, sowie ihn diverser<br />
Unaufrichtigkeiten gegenüber seiner Herrschaft zu überführen). Als Moralträger<br />
fungiert hier vordergründig der als opferbereit, ergeben, dankbar und sittenfest gezeichnete<br />
Charakter der Caroline. Person und Herkunft geben anfänglich Rätsel<br />
auf. <strong>Das</strong> Mädchen entpuppt sich aber bald, nachdem es bereits als neue Hausherrin<br />
gehandelt worden ist (dies die selbsterfüllende Prophezeiung der scheintoten Ehefrau<br />
hinter der Tapetentüre), als Tochter ihres Wohltäters, des Hausherren, aus früherer,<br />
natürlich ehelicher Beziehung. Aus Dankbarkeit für die erhaltenen Zuwendungen,<br />
auch aus Unwissenheit und rigorosem Pflichtgefühl ist Caroline bereit, den Hausherrn<br />
zu heiraten und das eigene Glück mit Walder, in den sie unsterblich verliebt<br />
ist, zu opfern:<br />
37 Ferdinand Eberl: Der Tode und seine Hausfreunde. Posse in einem Aufzug. Wien: Meyer<br />
und Patzowsky 1793, S. 31. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls<br />
(2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/eberl_tode.html [Stand 2009].<br />
38 Vgl. Peter von Matt: Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist. Hanser: München<br />
2006, S. 33–38.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
„[Caroline.] Mir ist so wohl und so wehe! – so wohl, daß ich nun bey<br />
ihm bin, dem Manne, den ich über alles schätze und liebe, und doch so<br />
wehe! Walder – der gute Walder! Unglücklicher! ich mußte mit dir brechen,<br />
meine Pflicht betäubte meine unbesonnene Liebe – du weißt<br />
nicht – – – Wie selig waren einst unsere Tage, und itzt in einem Hause,<br />
uns einander so nahe, und doch so weit von einander entfernt! –<br />
[…]<br />
Caroline. (ernst.) Walder – ich bin im Hause meines Wohlthäters, wie sie in<br />
dem ihres Freundes. Seyn sie nicht undankbar, lassen Sie mich nicht pflichtvergessen<br />
werden.<br />
[Caroline.] Ja wohl lieber, vortreflicher Mann; und ist es denn ein Verbrechen,<br />
wenn ich seufze, wenn mein lange verschlossener Schmerz endlich in Thränen<br />
ausbricht. – O Walder, Walder! Mein Herz war schwächer als meine Vernunft,<br />
aber meine Vernunft ist nun schwächer als mein Herz! – Ich soll dir entsagen? –<br />
ich muß dir entsagen; will Er es nicht so, Er, dem ich alles schuldig bin? – Ja ich<br />
bringe diese Opfer meiner Pflicht, zwar mit Thränen, aber aus Dankbarkeit!“ 39<br />
<strong>Das</strong> Happyend naht: der Hausherr entdeckt Carolines Herkunft, diese wird für ihre<br />
Standhaftigkeit und Loyalität mit der Legitimation ihrer Liebe zu Walder (hier liegt<br />
die Gesellschaftsmoral) belohnt. Die eifernde, tot geglaubte Ehefrau kehrt ebenso<br />
unter die Lebenden wie zu ihrem Gatten zurück und die <strong>bei</strong>den langfingrigen<br />
Dienstboten Johann und Kristine werden, angeschwärzt durch die alles beobachtende<br />
Ehefrau, als Konsequenz für ihre Unehrlichkeit mit „wer über seine Herrschaft<br />
schmäht, verdient nicht ihr Brod zu essen“ 40 aus dem Dienst entlassen. Caroline<br />
verkörpert den moralischen Charakter des Stückes. Dessen harmlose Gestaltung<br />
(die Ziererei <strong>bei</strong>m Eingehen einer Affäre, die selbst auferlegte Keuschheit, der Vorsatz,<br />
stets ehrenhaft zu handeln, die absolute Dankbarkeit gegenüber dem eigenen<br />
Brotgeber etc.) ist wohl zu einem Gutteil Resultat der Informationskontrolle durch<br />
die Zensur, die eine Darstellung von Unkeuschheit, Lasterhaftigkeit und Betrug der<br />
Bühne nicht dulden wollte. 41<br />
39 Joachim Perinet: Die Eifersucht nach dem Tode. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Wien:<br />
Schmidt 1791, S. 85 und S. 108. In: Theatralische Sammlung. 262. Wien: [o. V.] 1797,<br />
S. 71–158. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09).<br />
Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_eifersucht.html [Stand 2009].<br />
40 Ebenda, S. 157.<br />
41 Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 317–334.<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
Perinets Kasperls neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel 42 erzählt hingegen<br />
in komischer Weise von einem vor Liebe blinden Vater (Anton Schindel), der seine<br />
zweite Frau (Nannette) – das ist der Hausteufel, den der Untertitel nennt – über seine<br />
Kinder (Karl und Julchen) stellt, diese vorübergehend sogar des Hauses verweist,<br />
da sie es wagen, Kritik an der Stiefmutter zu äußern. Ebenso schablonenhaft finden<br />
sich auch hier die Moralinstanz (Wachtmeister Haubitz) sowie gute (der pflichttreue<br />
Karl, das keusche und tugendhafte Julchen) und verdorbene Charaktere (der<br />
Kuppler und Intrigant Hüpfau, der mit dem Hausteufel Nannette, einem ehemaligen<br />
Trossweib, den einfältigen Schindel zu hintergehen sucht), deren Ruchlosigkeit<br />
am Ende ins harmlose Verderben führt (sie sind die Geprellten und Verstoßenen).<br />
Eine Zwischenstellung nimmt Kaspar ein. Er ist bürgerlicher Kaffeesieder und der<br />
schlagfertige Gegenspieler der Nannette, der er alles zu Fleiß macht. Die kleinen<br />
Gaunereien, die er in seinem Etablissement treibt, werden ihm ohne Konsequenz<br />
nachgesehen.<br />
Zusammenfassend sei festgehalten, dass einige Repertoire-Stücke La Roches moralische<br />
Tendenzen oder zumindest einzelne, schablonenhaft von Komödie zu Komödie<br />
reproduzierte Moralinstanzen aufweisen. Für die pädagogisch-vorbildhaften<br />
Inhalte dürfte die Neudefinition des <strong>Theater</strong>s als Ort der Bildung, sowie das daraus<br />
resultierende Zensurdiktat verantwortlich gewesen sein. Die Moral bleibt dennoch<br />
eine klischeehaft-oberflächliche, auch überwiegen an dieser Bühne – die Aufführungszahlen<br />
43 als Indikator für die Beliebtheit der Repertoirestücke legen es nahe<br />
– jene Produktionen, die der Zerstreuung und nicht der Unterweisung des Publikums<br />
dienten. Diese Absicht zeigt sich v. a. in den Spieltexten Perinets und den<br />
Kasperliaden Marinellis, die zwar nichts Anstößiges, aber auch keinen erzieherischen<br />
Wert haben. Damit liegt der Schluss nahe, dass an dieser Bühne leichte Kost,<br />
aufgrund des behördlichen Diktates manchmal mit moralischem Beigeschmack,<br />
hauptsächlich aber unterhaltendes Spektakel, das sich gut verkaufen ließ, geboten<br />
wurde. Die moralischen Sentenzen der Kasperl-Stücke als Anlass für die Ortung des<br />
<strong>Theater</strong>s im Bereich des Bildungstheaters zu nehmen, führt zu weit, wie oben bereits<br />
erwähnt, ist dieses Medium bedingt durch die Bestrebungen der Pädagogisierung<br />
42 Joachim Perinet: Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel. Eine komische<br />
Oper in drey Aufzügen, nach einem Manuskripte für die k. k. privil. Schaubühne in der<br />
Leopoldstadt frey bear<strong>bei</strong>tet. Wien: Schmidt 1803. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger.<br />
In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_kaffeehaus.html<br />
[Stand 2009].<br />
43 Der Fagottist, oder: die Zauberzither. Ein Singspiel in drey Aufzügen kam von 1791–1819<br />
an die 129-mal zur Aufführung, Pizichi, oder: Fortsetzung, des Fagottisten. Ein Singspiel<br />
in drey Aufzügen erlebte von 1792–1795 47 Aufführungen. Vgl. Franz Hadamowsky: <strong>Das</strong><br />
<strong>Theater</strong> in der Wiener Leopoldstadt 1781–1860. Bibliotheks- und Archivbestände in der<br />
<strong>Theater</strong>sammlung der Nationalbibliothek Wien. Mit der Einleitung: Die <strong>Theater</strong>sammlung<br />
der Nationalbibliothek in den Jahren 1922–1932 von Joseph Gregor. Wien: Höfels 1934.<br />
(= Katalog der <strong>Theater</strong>sammlung der Nationalbibliothek in Wien. 3.) S. 133 und S. 227.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
und Normierung als Ausläufer oder entfernter Verwandter des Bildungstheaters zu<br />
klassifizieren: eben als punktuell meinungs- und verhaltensbildendes <strong>Theater</strong>.<br />
Ein Spielplan unter Aufsicht<br />
Die Überwachung des Spielplans erfolgte in Bezug auf die verschriftlichen Komödientexte<br />
gänzlich, in Bezug auf deren dramaturgische Umsetzung auf der Bühne<br />
bedingt. Grundsätzlich waren die für die Aufführung bestimmten <strong>Theater</strong>stücke<br />
vor der geplanten Premiere der Bücherzensur-Hofbehörde zur Kontrolle zu übergeben.<br />
Dem Usus folgend, hatten die Verantwortlichen stets zwei gleichlautende Abschriften<br />
einzureichen, wovon nach der Durchsicht eine, versehen mit Unterschrift<br />
und Zensurpass, wieder an den Einreichenden zurückgegeben wurde, die zweite<br />
aber, um nachträglicher Verfälschung vorzubauen, als Beleg für Vergleichszwecke<br />
<strong>bei</strong>m Zensor selbst verblieb. Als offizielle Affichen unterlagen <strong>Theater</strong>zettel ebenso<br />
wie althergebrachte Stücke mit Aufführungspraxis der (neuerlichen) Begutachtung<br />
durch die Zensurbehörde. 44 Von dieser Praxis künden heute noch die oft direkt an<br />
die Texte angeschlossenen handschriftlichen Zensurvermerke in diversen Druckund<br />
Handschriften.<br />
Exemplarisch für Vermerke in Druckschriften sei etwa ein Sammelband 45 angeführt,<br />
der sechs mit mehr oder weniger vielen Streichungen versehene Stücke verschiedener<br />
Autoren enthält. Abgesehen von den handschriftlichen Einträgen auf dem Titelblatt<br />
zu Eberls Kasperl’ der Mandolettikrämer (diese lauten: „Zum Soufflieren“ und in der<br />
Mitte ist „Karl Marinelli“ zu lesen) und dem Titelblatt zu Keinen Schwiegersohn ohne<br />
Amt (ganz oben „Leopoldstadt“, in der Mitte mit roter Tinte „Zum Soufflieren“ und<br />
weiter unten „Zur Vorstellung“) sind v. a. die handschriftlichen Zensurpässe am<br />
Ende der anonymen Stücke Keinen Schwiegersohn ohne Amt. Ein Lustspiel in einem<br />
Aufzug nach dem Französischen: Il lui faut un Etat (1801) und Armuth, um Liebe. Ein<br />
Schauspiel in drey Aufzügen (1787). Am Ende der ersten Druckschrift sind neben<br />
Marinellis Unterschrift die Worte „Bittet um baldige Beförderung“, daneben „Kann<br />
nach den Correcturen des […]“ und „Wird mit Correcturen zur Vorstellung paßirt“<br />
vermerkt, im Falle der zweiten Druckschrift findet sich „Wird mit correcturen paßiert.<br />
Hägelin“, was Marinelli wiederum mit seinem Namen abzeichnete.<br />
44 Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 260.<br />
45 Besagter Band findet sich in der <strong>Theater</strong>sammlung der Nationalbibliothek (ÖNB-<br />
TH Sig. 621749 A.Adl.4).<br />
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Abbildung 2: Zensurpass am Ende von Armuth, um Liebe. Ein Schauspiel in drey Aufzügen<br />
(1787)<br />
Etwas häufiger finden sich Zensurvermerke auf Handschriften, so etwa am Ende<br />
der anonymen Kasperliade (als deren Urheber wohl auch Marinelli vermutet werden<br />
darf 46 ) Weiber List oder die verliebten Kaufmanns Diener („wird paßirt. Hägelin“)<br />
oder im Anschluss an Marinellis Dom Juan oder Der steinerne Gast („wird mit correcturen<br />
paßirt. Hägelin“):<br />
46 [Karl von Marinelli:] Weiber List oder die verliebten Kaufmanns Diener und die schöne<br />
Saiffensieder, und Lebzelters Tochter wobey Kasperle einen lustigen Trager, verstellten Soldaten<br />
furchtsame Garten Statue und verliebten Kutscher spielt. [Ms]. Ediert in: Großauer-<br />
Zöbinger, Karl von Marinelli [im Entstehen].
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Abbildung 3: Letzte Seite der Handschrift Weiber List oder die verliebten Kaufmanns Diener<br />
mit Zensurvermerk<br />
Der <strong>bei</strong> den schriftlich fixierten Dramentexten als streng zu bezeichnenden Informationskontrolle<br />
ist eine weniger rigorose Kontrolle der Spielpraxis gegenüberzustellen.<br />
Obwohl spätestens ab 1793 47 während den Aufführungen Kontrollorgane<br />
(<strong>Theater</strong>polizei) anwesend waren, gelang es La Roche doch, die eine oder andere<br />
Bemerkung über das Stadtgeschehen fallen zu lassen, bzw. über den vorgeschriebenen<br />
Text hinweg sehend zu improvisieren.<br />
„Nun war auch die Zeit des Lustigmachers wieder gekommen und mit ihm<br />
auch die alte Freiheit des Hanswurst, der unter veränderten Namen des Kasperl<br />
es wieder wagen durfte, sich über alle Censurvorschriften rücksichtslos hinwegzusetzen<br />
und selbst politische Tagesfragen in den Kreis seiner Spässe zu ziehen.<br />
Es ist gewiß bezeichnend, daß in einer Zeit, in der mit Aengstlichkeit jede<br />
Bemerkung über die Staatsverfassung verhütet wurde, Kasperl sein Publicum<br />
durch folgende Anrede erheitern durfte: ,I will a allgemeine große Constitution<br />
geben. Die Gewalten will i hübsch fein und klug arrangiren; die ausübende<br />
b’halt i für mich selbst, die befehlende is a no mein, die unterlassende aber<br />
bleibt, wies recht is <strong>bei</strong>m Volk, das soll sich erlustigen und schnabuliren, im<br />
Prater Backhändel essen und sei Seitel dazu trinken – wann’s a Geld hat und<br />
zahlen kann.‘“ 48<br />
47 Vgl. Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 165.<br />
48 Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 292.<br />
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<strong>Das</strong>s La Roche zuweilen extemporiert haben dürfte, legt u. a. das von der Verfasserin<br />
edierte Textbuch Caro, oder: Megärens zweyter Theil nahe, eine Druckschrift<br />
mit Spuren von spielbegleitenden Ergänzungen, wie sie auch in Soufflier-Büchern<br />
(handschriftliche Einschübe, Streichungen und Hervorhebungen, die das Mitlesen<br />
erleichtern) oder in von der Zensur redigierten Druckschriften (Adaptionsvorschläge,<br />
Streichung der als anstößig empfundenen Textstellen etc.) zu finden sind.<br />
Interessant erscheint an der Druckschrift v. a. der handschriftliche Eintrag „Riepel<br />
Extempore“ 49 , demzufolge La Roche, hier dem Personenverzeichnis nach in der Rolle<br />
des Hausknechts Riepel, an besagter Stelle eine spontane, im wahrsten Sinne des<br />
Wortes nicht vorgeschriebene Einlage (welcher Art auch immer) darzubieten hatte.<br />
Neben La Roche (Riepel) hatte auch der Darsteller der Figur des Nigewitz (das Personenverzeichnis<br />
nennt Johann Sartory als diesen) zu extemporieren 50 , eine Gepflogenheit,<br />
die anwesenden Ordnungshütern gegenüber einer Verhöhnung gleichkam<br />
und zu deren endgültiger Eindämmung am 19. November 1801 schließlich folgender<br />
Erlass von der Hofbehörde erging:<br />
„Da es mehrmals vorgekommen sei, daß die Schauspieler in den drei Vorstadttheatern<br />
die <strong>Theater</strong>stücke nicht genau so vortragen, wie solche die Zensurbewilligung<br />
erhalten haben, sondern vielmehr jene Stellen, welche abgeändert<br />
oder durchgestrichen worden sind, <strong>bei</strong>behalten, nebstdem aber auch mit zweideutigen<br />
und sittenwidrigen Zusätzen vermehren, wird die Polizeioberdirektion<br />
beauftragt, den Unternehmern der Vorstadttheater zu bedeuten, daß derjenige<br />
Schauspieler, welcher sich <strong>bei</strong>kommen lasse, von dem wörtlichen Inhalt des zensurierten<br />
<strong>Theater</strong>stückes abzugehen, ohneweiters, und zwar gleich <strong>bei</strong>m ersten<br />
Betreten, mit einem achttägigen Polizeihausarrest bestraft werden würde.“ 51<br />
Allerdings wurden schon vor dem Jahr 1801 Zensurvergehen bestraft. Marinelli war<br />
davon 1789 anlässlich der Aufführung von Eberls <strong>Das</strong> listige Stubenmädchen oder<br />
Der Betrug von hinten 52 betroffen. Obwohl der Komödientext die Zensur passierte,<br />
hatte der Direktor des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s, Marinelli, wegen einer Spontanauslegung<br />
desselbigen – man extemporierte die Bestechung eines Beichtvaters, ein nicht<br />
49 Vgl. Joachim Perinet: Caro, oder: Megärens zweyter Theil. Wien: Schmidt 1795, S. 47.<br />
Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://<br />
lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_maegere_2.html [Stand 2009].<br />
50 Vgl. ebenda, S. 43.<br />
51 Glossy, Zur Geschichte der <strong>Theater</strong> Wiens, S. 4.<br />
52 [Ferdinand Eberl:] <strong>Das</strong> listige Stubenmädchen oder Der Betrug von hinten. Ein Original-<br />
Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: [o. V.] 1784 (ÖNB-Aug Sig. 392620-A 250).
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
unbedeutender Verstoß „wider die Religion“ 53 – 12 Dukaten Strafe zu bezahlen. 54<br />
Im Jahre 1800 diktierte die Behörde schließlich Heroine, oder Die schöne Griechin<br />
in Alexandria. Ein militärisches Schauspiel mit Gesang in drey Aufzügen abzusetzen 55 ,<br />
nachdem es schon sechs Mal gegeben worden war, was ebenfalls auf ein Extempore-<br />
Vergehen zurückgegangen sein dürfte (denn wäre das Textbuch anstößig gewesen,<br />
hätte man es erst gar nicht passieren lassen).<br />
<strong>Das</strong> Diktat der Verschriftlichung traf auf alle für die Aufführung bestimmten Spieltexte<br />
zu. Als dessen unmittelbare Folge sind in Bezug auf das Repertoire La Roches<br />
zwei, am Rande zu erwähnende (Neben-)Effekte der Zensurpraxis feststell-bar: erstens<br />
die Verschriftlichung der Komödien und damit ihre Konservierung für die<br />
Nachwelt 56 – eine für die Erforschung des Metiers dienliche Hilfestellung –, und<br />
zweitens die damit kausal zusammenhängende Verfälschung des Quellenmaterials<br />
aufgrund von Informationskontrolle und einem eng definierten Index des Darstellbaren<br />
(nichts wider Religion, Staat und Sitten), als deren unmittelbare Auswirkung<br />
sich in Bezug auf Kasperls Komik ein verzerrtes Bild ergibt.<br />
Primär ist die Zensur für „die Literarisierung und damit das Überleben der Altwiener<br />
Komödie“ 57 mitverantwortlich, was im weitersten Sinn als wesentliches, wenn<br />
auch nicht beabsichtigtes Verdienst zu werten ist. Es ist nur schwer zu erahnen, wie<br />
schlecht die Quellenlage für La Roches Spieltexte wäre, wären die <strong>Theater</strong>reformer<br />
nicht gegen das Stegreifspiel mit der Verschriftlichung der Texte für die Zensurbehörde<br />
vorgegangen.<br />
Die staatliche Kontrolle der Textbücher zu den Kasperliaden diente zwar ihrer Erhaltung,<br />
stellt für die heutige Komikforschung aber eine nicht weniger als fatal zu<br />
nennende Beeinträchtigung dar. So scheint es legitim, die noch zu dokumentierende<br />
„Fadheit“ der Kasperl-Figur, die mit an Naivität grenzenden, mehr lieblich-verklärt<br />
als zotig zu nennenden Charakterzügen ausgestattet ist, das Fehlen der Komik<br />
(harmlose Sprachkomik und mäßige Situationskomik, die vom lesenden Rezipienten<br />
nicht mehr nachzuvollziehen ist, einmal ausgenommen) in etwas weniger als<br />
zwei Drittel des Textkorpus der Zensur zuzuschreiben und wenn nicht ihr, dann<br />
53 Vgl. für Details dazu: Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 307–310.<br />
54 „Der Verfasser dieses Stückes ist der bekannte Eberl, der nämliche, in dessen Stücke, ,<strong>Das</strong><br />
listige Stubenmädchen‘ betitel, auf dem Marinellischen <strong>Theater</strong> ein Präsent für den Beichtvater<br />
extemporiert wurde und dem Marinelli zwölf Dukaten kostete“. Ebenda, S. 34–35<br />
und S. 282.<br />
55 Vgl. Wenzel Müller: Tagebuch. Übertragen aus der Handschrift der Wiener Stadt- und<br />
Landesbibliothek von Girid und Walter Schlögl. Bd. 1. Wien: [Typoskript i. d. Wienbibliothek]<br />
[o. J.], S. 217.<br />
56 Vgl. Haider-Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 347.<br />
57 Ebenda, S. 347.<br />
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zumindest den ihr vorausgegangenen pädagogisch motivierten Reformen, die die<br />
Zivilisierung 58 der Lustigen Figur nach sich ziehen. So stellen sich <strong>bei</strong> der Lektüre<br />
der Texte die Erwartungen, die man nach der Lektüre der Sekundärliteratur an<br />
den vielgepriesenen Kasperl stellt, nicht ein – augenscheinlich existiert eine nicht<br />
zu überwindende Diskrepanz zwischen dem von Zeitzeugen als überaus lustig beschrieben<br />
Spiel La Roches und dem farblosen, unwitzigen, in Nebenrollen agierenden<br />
Charakter der Dramentexte, die schon Friedrich Schlögl bemerkte:<br />
„Da machten gleich in den nächsten Jahren zwei Perinet’sche Possen Furore,<br />
deren Werth uns hochgebildeten Epigonen ein veritables Räthsel, deren ,Witze‘,<br />
wenn wir in den Textbüchern geneigtest blättern, uns nur ein mitleidiges<br />
Lächeln entlocken, obwohl es historisch verbürgt ist, daß sich unsere geehrten<br />
Ahnen da<strong>bei</strong> ,halbtodt‘ lachten. Ich meine das am 10. October 1793<br />
zum erstenmale gegebene ,Neusonntagskind‘ und die am 11. März 1794 erschienen<br />
,Schwestern von Prag‘, Stücke, die wirklich ,ganz Wien‘ sehen mußte<br />
und auch sah, und von deren hinreißender Wirkung noch in den Zwanziger-Jahren<br />
mir geistig achtbare Männer leuchtenden Auges erzählten.“ 59<br />
Möchte man alleine den Zensurerlass verantwortlich machen, liegt der Schluss<br />
nahe, dass die Autoren die Kasperl-Passagen von vorneherein harmloser anlegten,<br />
ihre Texte also schon vor der Zensur selbst zensierten, sodass der Kasperl-Charakter<br />
erst im Moment der Verkörperung durch den Schauspieler La Roche auf der Bühne<br />
an Drolligkeit und Komik gewannen, womit alle Komik am Typus des Schauspielers<br />
60 und der Umsetzung auf der Bühne gehaftet hätte. Für die Annahme der<br />
körperzentrierten Komik spricht die Anwesenheit nicht deutschsprachigen bzw. mit<br />
dem Wiener Dialekt wenig vertrauten Publikums 61 in den Kasperl-Komödien, die<br />
den lustigen Protagonisten nicht verstanden, ihn aber dennoch als amüsant empfanden.<br />
Eine durch den Körper bzw. die Verkörperung bedingte Komik lässt den<br />
58 Vgl. Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl, S. 187.<br />
59 Zu beachten gilt hier<strong>bei</strong>, dass das Neusonntagskind kein ausgewiesenes Kasperl-Stück ist.<br />
Friedrich Schlögl: Vom Wiener Volkstheater. Erinnerungen und Aufzeichnungen. Wien<br />
und Teschen: Prochaska 1883, S. 36.<br />
60 „Laroche (Kasperl) war ein gedrungener Mann, mittlerer Statur, mit lebhaften Augen und<br />
stark markierten Zügen. Alle seine Bewegungen waren eckig und wurden eben dadurch<br />
lächerlich. Sein Dialekt war der gemeine Wiener Dialekt, nur sprach er mehr breit als flüssig<br />
und hing oft an einzelne Worte, besonders an das Wort Er, ein a an, worüber man stets<br />
lachte. […] Ich möchte Laroche die personifizierte populäre Komik nennen […]“ Ignaz<br />
Franz Castelli: Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Erfundenes. Erlebtes und Erstrebtes.<br />
Mit einer Einleitung und Anmerkungen neu herausgegeben von Josef Bindtner.<br />
Bd. 1. München: Müller [o. J.]. (= Denkwürdigkeiten aus Alt-Österreich. 9.) S. 259–262.<br />
61 Exemplarisch seien genannt: Der Napoleon-Bezwinger Lord Horatio Nelson und seine Mä-<br />
Exemplarisch seien genannt: Der Napoleon-Bezwinger Lord Horatio Nelson und seine Mätresse<br />
Lady Emma Hamilton, ein nicht namentlich erwähnter türkischer Botschafter [d. i.<br />
vermutlich Ismail Efendi], Herzog Ludwig I., Ferdinand Philipp von Parma (1773–1803),<br />
1801–1803 Großherzog der Toskana, Ferdinand I. (1751–1825), 1759–1806 König von<br />
Neapel und Friedrich Wilhelm Karl Prinz von Preußen (1783–1851). Vgl. der Reihe nach:<br />
Müller, Tagebuch, S. 219–220, S. 183, S. 222–238, S. 101, S. 229, S. 269.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
geschriebenen wie gesprochenen Witz hinlänglich werden und „d’gnädigen Herrn<br />
und Fraun lachen […], bevor“ der Kasperl „’s Maul aufmacht“ 62 .<br />
Abgesehen davon lassen sich die Berichte über La Roches komische Darbietungen<br />
und den enormen Zulauf 63 angesichts der komikarmen Textbücher noch damit erklären,<br />
dass der Schauspieler, wie bereits zuvor angesprochen, von der zensierten<br />
Textgrundlage zuweilen abwich, sozusagen ein Schlupfloch 64 fand, die Behörde zu<br />
umgehen (den einen oder anderen Bezug auf das aktuelle Tagesgeschehen 65 einbrachte,<br />
oder ernsthafte Szenen sarkastisch interpretierte bzw. parodierte, wogegen<br />
die Zensur der Texte nichts ausrichten konnte).<br />
Es darf darüber spekuliert werden, ob die Zensur direkt für den Verlust der Komik<br />
in den schriftlichen Spieltexten verantwortlich ist, oder ob die untersuchten Dramen<br />
einfach als Lesedramen nicht taugten und erst während der Umsetzung auf der<br />
Bühne an Witz gewannen. Fest steht, dass der heutigen Forschung nur diese durch<br />
die Zensur verzerrten „Schriften“ zur Verfügung stehen, um das Spiel und Komik<br />
La Roches zu fassen. Hingegen wird La Roches Darbietungskunst, der Zeitzeugen<br />
Komik im höchsten Maße zusprechen, in der von der Textgrundlage gelösten Form<br />
wohl nie mehr vollständig rekonstruiert werden können.<br />
Kasperls Sozialisierung<br />
Ganz in der Tradition des Wiener Spaßtheaters setzte auch das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong><br />
<strong>bei</strong> der Unterhaltung des Publikums auf einen lustigen Zentraltypus – den<br />
Kasperl. Eine Folgeerscheinungen der Zensur ist die erzwungene Sozialisierung dieses<br />
Typus durch die Abtrennung der verpönten Charakterattribute der Hanswurst-<br />
Figur und die daraus resultierende Entwicklung eines zahmen, wenig anstößigen<br />
Volkstypus, dem die Unkeuschheit, die derbe Sprache, die Ferkeleien, die Kopulationsobsessionen<br />
und der obszöne Witz der Sexual- und Fäkalkomik abhanden<br />
gekommen sind. Damit wurde die Kasperl-Figur den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />
gemäß auf eine Schattenexistenz des Hanswurst – von dem nur mehr die<br />
Ess-, Sauf- und Prügellust in abgeschwächter Form, nicht aber mehr Häme, Arglist<br />
62 Eugen von Pannel: Josef Richter. Die Eipeldauer Briefe 1785–1797. In Auswahl herausge- herausgegeben,<br />
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen. Bd. 1. München: Müller 1917, S. 49.<br />
63 „Johann Laroche (der ,Magnet‘ der Truppe […])“. Schlögl, Vom Wiener Volkstheater,<br />
S. 35.<br />
64 In der Wiener <strong>Theater</strong>-Zeitung vom 3. Oktober 1807 findet sich eine Anspielung auf die Art<br />
und Weise, wie La Roche improvisierte, ohne die Zensur zu verstimmen: „[…] und wenn<br />
er gleich manchmal einen witzigen Gedanken zu sagen hatte, so benahm er sich immer so,<br />
als wenn er ihm entschlüpft sey, wie durch einen Zufall, wie auch manchmal eine blinde<br />
Henne ein Weitzenkörnchen findet; es lag in seinem ganzen Spiel mehr Kunst als in irgend<br />
seinen Nachfolger zusammen lag.“ <strong>Theater</strong>-Zeitung, Wien, Nr. 14 vom 3. Oktober 1807,<br />
S. 30.<br />
65 Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 292.<br />
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und Bösartigkeit ererbt wurden – zurechtgestutzt, was die Soziabilität des Kasperl<br />
im Prozess des sozialpolitischen und mentalitätsgeschichtlichen Wandels erhöhte.<br />
Ganz allgemein ist der lustige Zentraltypus nur in den <strong>bei</strong>den ältesten der edierten<br />
Texte „lustig“. In Die Liebesgeschichte in Hirschau (1780) und Der Spaziergang im<br />
Brader (1770) ist die Figur des Kasperl noch präsent und Garant für Lacher. In<br />
ersterem wird die klassische „Liebesgeschichte“ der Commedia dell’arte erzählt: Ein<br />
närrisch verliebter, geiziger, argwöhnischer Pantalone (hier Kilian) umwirbt ein viel<br />
jüngeres Weibsbild (Bonaventura), für das die Avancen des alten Zieraffen wenig attraktiv<br />
sind, weshalb sie sofort beginnt, sich nach einer besseren Partie umzusehen.<br />
Es dauert auch nicht lange, findet sich ein junger Liebhaber ganz im Stile Anselmos<br />
bzw. Octavios (hier der Leutnant Denckner), der, unterstützt von Colombine (Bonaventuras<br />
Magd Margereth) und den <strong>bei</strong>den harlekinischen Dienern (Kaspar und<br />
Jackel), den Alten narren, sodass dieser, weichgekocht von den zahlreichen Streichen,<br />
Beleidigungen, Betrügereien und Farcen am Ende gerne auf das Mädchen verzichtet<br />
und dem jungen Glück kein alter Geck mehr im Wege steht. (Eine Auswahl:<br />
Kaspar klebt ihm einen verpappten Brief ins Gesicht 66 , er übergießt den Alten mit<br />
Löschwasser 67 , bindet ihn und schoppt ihn mit Brei 68 – eben der klassische Kasperl<br />
in seinem Metier.)<br />
Kaspar tritt als gewitzter Scherenschleifer auf, der sich, einem Zuverdienst nicht<br />
abgeneigt (das leibliche Wohl steht wie immer <strong>bei</strong> dieser Figur über allem anderen),<br />
aber bald in Diensten des Leutnant Denckners begibt und als dessen Diener gemeinsam<br />
mit der zweiten Lustigen Figur, Jackel, bereitwillig als Brieferlträger, Unterhändler,<br />
Brautwerber, Mann fürs Grobe und Tunichtgut bzw. summa summarum<br />
als Adjutanten in Liebesdingen und Gegenspieler des (zu prellenden) Alten agiert.<br />
Die Handlung, die voller Aktion, Lebhaftigkeit, Schwung und Witz ist, wird v. a.<br />
durch die meist vom Kaspar initiierten Missverständnisse, Foppereien, Verwechslungen<br />
und Verkleidungen vorangetrieben. Kaspar bleibt nicht Kaspar – stattdessen<br />
absolviert die Figur nicht weniger als fünf komikstiftende Maskeraden: Einmal ist<br />
Kasperl unruhestiftender, stets prügelbereiter Rauchfangkehrer (Hanswurst lässt<br />
grüßen), wird kurz darauf zum edlen Herrn von Schweinburg, dessen höchstkomisches<br />
Charakteristikum, sich sogar in den primärsten Dingen von seinem Diener<br />
(Jackel) zur Hand gehen zu lassen („schneuz mich“), nicht wenig vergnügt (körperzentrierte<br />
Komik), brilliert danach in der Paraderolle des Kleinkindes, dem man die<br />
66 Vgl. [Karl von Marinelli:] Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Kasperle in sechserley<br />
Gestalten ein Lustspiel in drey Aufzügen. [Wien, den 10ten Jänner 1780] [Ms.], [3 v ], S. 10.<br />
Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://<br />
lithes.uni-graz.at/maezene/marinelli_liebesgeschichte.html [Stand 2009].<br />
67 Vgl. ebenda, [4 v ], S. 13.<br />
68 Vgl. ebenda, [10 v ], S. 29.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
33 Jahre 69 durchaus ansieht (Infantilitätskomik), mimt darüber hinaus noch einen<br />
Tambour, eine Allegorie des Winters und sein Alter Ego, den Scherenschleifer.<br />
Schmunzeln kann man über diese Kasperl-Figur auch noch in den Stücken Perinets<br />
und hier v. a. in den Hafnerbear<strong>bei</strong>tungen 70 , wo sie noch mit den typischen<br />
Attributen Hanswursts, wenn auch abgeschwächt, ausgestattet ist. Bis auf wenige<br />
Ausnahmen 71 ist die Komik des lustigen Protagonisten in Eberls, Henslers und Hubers<br />
Stücken bestenfalls als lau, wenn nicht als gänzlich verebbt zu bezeichnen. So<br />
findet sich in acht der 30 Komödien ein fader Kasperl ohne Tücke, Esprit und Witz,<br />
der einfach Teil des Textbuches, aber bestimmt nicht Träger der Handlung ist. Der<br />
zahme Charakter nimmt nur mehr Anleihen am komischen Volkstypus, steht den<br />
darauf angewiesenen Herrschaften manchmal noch in Liebesdingen zur Seite (er<br />
ist Überbringer von Billets und Regisseur diverser Rendezvous), ist selbst verliebt,<br />
aber nie ein frivoler Schürzenjäger, oft auch verheiratet und damit gänzlich um das<br />
Ausleben seiner sexuellen Triebe gebracht. Gerne verdreht er die Wahrheit, ohne<br />
jemandem ernsthaft zu schaden, inszeniert, wenn überhaupt, dann harmlose Verwechslungen.<br />
In gemäßigter Weise ist er auch eifersüchtig und streitlustig (droht wie<br />
schon Hanswurst mit dem spanischen Rohr), am Ende aber selbst der Geprellte, der<br />
wie im Mandolettikrämer, ohne es zu ahnen, alle Vorbereitung trifft 72 , sein eigenes<br />
Weib zu verkuppeln.<br />
In besagten Stücken steht die Figur auf einem unschädlichen Außenposten, hat nur<br />
wenige Auftritte und verübt keine „schlimmen“ Lazzi (zumindest nicht im fixierten<br />
Text). Sie ist farblos, ihr Witz auf wenige Szenen beschränkt, sodass der Schluss<br />
nahe liegt, die Kasperl-Figur sei nur alibihalber, aus Gründen der Promotion, in die<br />
Handlung integriert. Lustige Szenen, Faxen, Verwechslungen – nahezu alle Dinge,<br />
die den Kasperl ausmachen – werden ausgespart. Ein Gähnen entlocken auch jene,<br />
bestenfalls von netten Witzchen getragene Rollen, die den Kasperl entweder auf<br />
einen gutmütigen, redlichen Bürger oder einen alten, ärmlichen Gesellen reduzieren,<br />
wo<strong>bei</strong> v. a. die Kasperl-Figuren mit dem Attribut „alt“ auf jegliche ungestüme<br />
Komik, Zoten und Lazzi verzichten. Damit stellt sich unter Bezugnahme auf das<br />
Textkorpus dasselbe Ergebnis ein, welches Müller-Kampel schon in ihrem Über-<br />
69 Auf die Frage Kilians, wie alt er denn sei, antwortet der Kindskopf Kaspar „drey, und dreydreyßig Jahr“. Ebenda, [10r ], S. 28.<br />
70 Caro, oder: Megärens zweyter Theil, Die Schwestern von Prag, <strong>Das</strong> lustige Beylager und Megera.<br />
Erster Theil. Auch Perinets Zauberoper Baron Baarfuß, oder der Wechselthaler birgt<br />
einiges an Komik.<br />
71 Eberls Der Tode und seine Hausfreunde sowie Die Perüken in Konstantinopel; Henslers Volksmärchen<br />
Der unruhige Wanderer (<strong>bei</strong>de Teile) und deren Bear<strong>bei</strong>tung durch Leopold Huber<br />
Der eiserne Mann (<strong>bei</strong>de Teile).<br />
72 Zur Umsetzung kommt es nie und gescholten wird Kasperl auch dafür. Ohne die morali-<br />
Zur Umsetzung kommt es nie und gescholten wird Kasperl auch dafür. Ohne die moralische<br />
Komponente und dem Aufzeigen des Irrweges hätte das Stück die Zensur wohl nicht<br />
passiert. Vgl. „Gebrechen des Stoffes in Absicht auf die Sitten“ In: Glossy, Zur Geschichte<br />
der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 317–320.<br />
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blickswerk zum Spaßtheater im 18. Jahrhundert für die Entwicklung der Lustigen<br />
Figur und im speziellen der Kasperl-Figur auftut:<br />
„Zensur und Geschmack […] drängten die Lustigen Figuren in die Rollen<br />
ehrlicher, kindlich froher Domestikengestalten und paralysierten ihre groteske<br />
Leiblichkeitskomik ganz entscheidend. Im Vergleich mit Stranitzkys Hanswurst<br />
und Kurz’ Bernadon entdämonisiert, entzaubert und verharmlost, spielte<br />
der Kasperl zuletzt nur noch Nebenrollen.“ 73<br />
Zur „Versittlichung“ 74 des Kasperls passt auch, dass die Figur v. a. in den Produktionen<br />
von Ferdinand Eberl und Karl Friedrich Hensler nicht mehr ausschließlich, wie<br />
noch sein Ahnherr Hanswurst, an die losgelöste Dienerrolle ohne sozialen Hintergrund<br />
gebunden ist. Als Träger bürgerlicher Moral und häuslicher Tugenden erfährt<br />
der Kasperl eine Verankerung in den unterschiedlichsten Berufsständen, womit die<br />
Lustige Figur in das in den Stücken gespiegelte gesellschaftliche Leben eingebunden<br />
wird (sie hat Familie, eine berufliche und private Existenz etc.). Die Dienerfigur aus<br />
ihrer isolierten Funktion zu holen und mit bürgerlichen Pflichten zu belegen, muss<br />
ebenso Begleiterscheinung der Zensur sein, die keinen Lustigmacher dulden wollte,<br />
der keiner Moral verpflichtet ist, ausschweifende Liebschaften beginnt, ständig hinter<br />
jedem Rock her ist, keine Rechenschaft für dieses Verhalten ablegen muss und<br />
dem Publikum ein für die Vorbildwirkung fatales, lasterhaftes Leben präsentiert.<br />
Somit wundert es nicht, dass in den ausgewählten Texten der Kasperl, wenn er noch<br />
Diener ist, zumeist eine naive Verliebtheit an den Tag legt, die nie körperlich wird.<br />
Oder er mimt einen Bürger mit Beruf, lebt folglich mit seiner Partnerin (das lustige<br />
weibliche Gegenüber in der Tradition der Colombine) durch das Sakrament der<br />
Ehe 75 verbunden, in gesitteten Verhältnissen zusammen. Mit der Zuordnung des Familienstandes,<br />
der Reduktion der Lustigen Figur auf Ehemann und naiven Liebhaber<br />
werden die Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Der Verlust verschiedener<br />
althergebrachter Facetten der Komik ist logische Begleiterscheinung dieses Zurechtstutzens,<br />
als dessen Folge die Kasperl-Figur ausgesprochen lieblich, aber nicht im<br />
Entferntesten umtriebig erscheint.<br />
Wie heterogen das literarisch-theatrale Feld in den 1780er Jahren infolge der Geschmacksdebatten,<br />
die seit den 1750er Jahren andauerten und Publikum wie Pro-<br />
73 Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl, S. 187.<br />
74 Ebenda, S. 187.<br />
75 Verheiratet ist der Kasperl in Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner Portion,<br />
Der Tode und seine Hausfreunde, Die Limonadehütte, Alles weis, nichts schwarz, oder<br />
der Trauerschmaus, Der Schornsteinfeger, Männerschwäche und ihre Folgen; oder Die Krida,<br />
Der Großvater, oder Die 50 jährige Hochzeitfeyer, Die Marionettenbude, oder der Jahrmarkt<br />
zu Grünwald, Kasper Grünzinger, Der Glückshafen, Der eifersüchtige Schuster, Kasperl’s neu<br />
errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel und damit in 12 von 30 untersuchten Stücken.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
duzenten spalteten, zeigen die in diversen Flugschriften 76 und <strong>Theater</strong>zeitschriften 77<br />
ausgetragenen Diskussionen um die Bühnenberechtigung des Kasperl 78 , der die Zeitgenossen<br />
nicht minder polarisierte, wie es einst der Hanswurst getan hatte. Auch die<br />
Frage, ob das auf der <strong>Leopoldstädter</strong> Bühne Gebotene den Diktaten der Zensur entspreche,<br />
beschäftigte die differenzierte Öffentlichkeit – kritische Stimmen gegen die<br />
Bühnenleitung und Spielplanbeschaffenheit, die nicht immer frei von Befangenheit<br />
und Kalkül waren, wurden laut. Zum Beispiel ist der in manchen schmähenden Rezensionen<br />
getätigte Vorwurf, die Bühne und die spielenden Protagonisten verstoßen<br />
gegen Sitten, Religion und die Vorgaben des Staates, nicht mehr als der Versuch, ein<br />
auf Subjektivität beruhendes Geschmacksurteil bzw. Geschmacksdiktat durch die<br />
Berufung auf ein Zensur-Delikt zu legitimieren:<br />
„So auch im Gegentheile: wo eine ähnliche Sorgfalt für die Sittenverbesserung<br />
eines Volkes von dem Staate nicht nur vernachlässigt wird; sondern, wo der<br />
Staat, ohne es zu ahnden, zusieht: wie ein Marinelli aufgeblasen und kühn, wie<br />
ein kalekutischer Hahn wieder [!] alle Sitten und Religion selbst zu Felde zieht,<br />
und noch manch anderen Unfug treibt – wo der Staat also so wenig aufmerksam<br />
auf die Unterhaltung seines Volkes ist; da muß freilich auch der Pöbel <strong>bei</strong><br />
den sittenwidrigen Lustspielen eines Marinelli nicht nur gleichgültig bleiben,<br />
und Schauspieler und Dichter nicht <strong>bei</strong>m Schopf nehmen; sondern an diesen<br />
Vorstellungen endlich gar Gefallen finden, und dadurch jedes Gefühl von Sittlichkeit<br />
ersticken. – Aber, wird man sagen, der Staat hat ja eine Censur, und<br />
Polizeikommission festgesetzt, die über dergleichen Unordnungen wachen sollen?<br />
Ohne zu untersuchen, wie weit sich die Gesetze der ersten erstrecken, und<br />
76 Kasperl das Insekt unseres Zeitalters. Nebst einer Wahrnung [!] an seine Gönner. Wien:<br />
[o. V.] 1781. In: In: Gustav Gugitz: Der Weiland Kasperl (Johann La Roche). Ein Beitrag<br />
zur <strong>Theater</strong>- und Sitten-geschichte Alt-Wiens. Wien, Prag und Leipzig: Strache 1920,<br />
S. 75–82. Etwas für Kasperls Gönner. Wien: Hartl 1781. In: Ebenda, S. 83–98. Kurze Antwort<br />
auf die <strong>bei</strong>den Schmähschriften. I. Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters. II. Etwas für<br />
Kasperls Gönner. Wien: [o. V.] 1781. In: Ebenda, S. 99–107. Bitte an die Damen Wiens das<br />
<strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> betreffend. Wien: [o. V.] 1789. Antwort auf die unverschämte Kritik<br />
über die <strong>Leopoldstädter</strong> Cosa Rara. Wien: [o. V.] 1787. Ferdinand Eberl: Abgedrungene<br />
Antwort auf das im zweiten Vierteljahre des kritischen <strong>Theater</strong>-Journals erschienene sechste<br />
Stück, Wien: [o. V.] 1789.<br />
77 Kritisches <strong>Theater</strong>journal von Wien. Eine Wochenschrift. Wien: Ludwig 1788/89, Johann<br />
Friedrich Schink: Dramaturgische Fragmente. 4 Bände. Graz: [o. V.] 1781–1784, Johann<br />
Friedrich Schink: Dramaturgische Monate. Bd. 1. Schwerin: Bödner 1790, Johann Friedrich<br />
von Schink: Dramatische und andere Skizzen nebst Briefen über das <strong>Theater</strong>wesen zu<br />
Wien. Wien: Sonnleithner 1783.<br />
78 Der lustige Protagonist würde nur die „dümmsten Einfälle“ auf die Bühne bringen, „ab-<br />
Der lustige Protagonist würde nur die „dümmsten Einfälle“ auf die Bühne bringen, „abgedroschen“<br />
spielen (was ja nicht ganz von der Hand zu weisen ist), dass man wegen der<br />
Plumpheit (alles drehe sich nur um die eine Szene, in der Kasperl seinen Herrn „tüchtig<br />
herumkarwatscht“) „Gefahr läuft, Kopfweh zu bekommen“, summa summarum sei er kein<br />
sittlicher Charakter und ein schlechtes moralisches Vorbild für das Wiener Publikum – lauteten<br />
einige Vorwürfe der Kritiker. Nachzulesen in: Etwas für Kasperls Gönner, S. 86–97.<br />
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die Wachsamkeit der letzeren in Thätigkeit ist; treibt Hr. Marinelli der strengen<br />
Censur, und der wachsamen Polizey ungeachtet, sein Spielwerk immer fort;<br />
beschmutzt die Sitten, hämt der Religion – (des guten Geschmacks nicht zu<br />
gedenken) – und schlägt unterm Hüttchen sein Schnüppchen.“ 79<br />
Diese Zeilen beziehen sich auf Eberls Lustspiel <strong>Das</strong> listige Stubenmädchen oder Der<br />
Betrug von hinten 80 , das in erster Instanz von der Zensurbehörde genehmigt wurde,<br />
der <strong>Theater</strong>leitung des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s, nachdem „ein Präsent für den<br />
Beichtvater extemporiert“ 81 worden war (was nahelegt, dass die Textvorlage nicht<br />
das Anstößige war), eine Geldstrafe einbrachte, als deren Konsequenz man das<br />
Stück absetzte. <strong>Das</strong>s hinter den kritischen Worten dieser Rezension zu einem Gutteil<br />
ein übersteigertes Geschmacksurteil und – von dem unglücklichen Extempore<br />
einmal abgesehen – weniger ein Zuwiderhandeln gegen die Auflagen der Zensur<br />
steckte, zeigt die in Form einer Flugschrift zur Rechtfertigung dargebrachte Antwort<br />
Eberls – hier dargeboten in Auszügen:<br />
„Da aber diese Homunculi – als Meister ihres Gewerbes weislich vermutheten<br />
– daß Alle-Tags-Rezensenten Schimpf – nicht ganz mehr seine gewünschte<br />
Wirkung thun möchte; – so griffen sie die Sache gar fein an, – Sie traten als<br />
Schutzredner der geheiligten Religion und ihrer ehrwürdigen Priesterschaft<br />
auf; […] so möchte ich doch auch an diese Herrn die doch wenigstens halb so<br />
gelehrt, als fromm seyn müssen, einige Fragen über ihre Kenntnisse stellen, –<br />
nach denen Sie Ihr Urtheil zu bestimmen wissen werden; – und ich will es sogar<br />
mit deiner Erlaubniß – Publikum – in deinem Namen fodern: – denn da diese<br />
Herrn sich zu dem richterlichen Amte aufwerfen, von dem sie uns auf ihren<br />
Dreyfuß die Patente ausfertigen wollen, was dir gefallen darf, oder nicht – was<br />
du beklatschen – oder auspfeiffen – belachen – oder bestürmen sollst, da Sie<br />
das alles mit so grauem Ernste, und Weisheittriefender Miene herab kreischen;<br />
[…] Die Grundsätze dieser Herrn nach welchen Sie Stücke beurtheilen – kann<br />
ich nicht entziffern – […] so erklären Sie mir aber genau, bestimmt ohne kindlichen<br />
Wortspielen, was ist der gute Geschmack? […] Kennen Sie den Begrif [!]<br />
dieses Wortes nach seinem ganzen Umfange, so werden Sie mir darüber eine<br />
feste – bestimmte – für alle Orte, Zeiten, und Völker anwendbare Erklärung<br />
geben können. – Sie werden mir beweisen können – daß ein, nach der Meinung<br />
Ihres guten Geschmacks – gutes Stück in Frankreich und Italien – in Rußland<br />
und in Spanien – in England – und in Deutschland – auf gleiche Art, gleich gut<br />
gefallen müsse, und wo es nicht gefällt, dort gibt es keinen guten Geschmack –<br />
und man muß die Leute züchtigen – das heißt: einen Missionair von Ihnen<br />
dahin senden – der es dem Volke vor der Nase beweist, daß es ohne seiner<br />
Erlaubniß nichts gut finden dürfe. – Wenn aber erst wirklich – wie es denn ge-<br />
79 Kritisches <strong>Theater</strong>journal von Wien, 1789, S. 118–119.<br />
80 [Ferdinand Eberl]: <strong>Das</strong> listige Stubenmädchen oder der Betrug von Hinten. Ein Original-<br />
Lustspiel in drey Aufzügen vom Verfasser des Dichterlings. Wien: [o. V.] 1784.<br />
81 Karl Glossy: Zur Geschichte der <strong>Theater</strong> Wiens. In: Jahrbuch der Grillparzergesellschaft<br />
25 (1915), S. 1–323, hier S. 34f. und S. 282.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
wiß lächerlich ist – wenn aber wirklich der gute Geschmack fest zu bestimmen<br />
wäre – so frag ich Sie erst – ob diese Regeln des Geschmacks – Regeln seyn<br />
können, nach denen man ein Privattheater beurtheilen dürfte – es wäre denn,<br />
daß einer aus Ihrer Gesellschaft – den Unternehmer von Kopf und Herzen<br />
vorstellen wolle – der ohne Absicht auf seine Kassa so viele Philosophie hätte,<br />
sich und seine Leute von der Luft leben zu machen, um als ein Professor des<br />
guten Geschmackes die geschraubten Regelwerke eines trocknen Gehirns – für<br />
den Staub seiner Bänke vorzustellen; und darüber das Vergnügen zu finden –<br />
am ersten Donnerstag darauf sich in Ihren Blat [!] – als ein Bekehrer der Sitten<br />
verderbenden Zeit, mit Lorbern umwunden zu sehen – Nennen Sie uns also die<br />
Regeln nach denen ein Privattheater beurtheilet werden kann – Nennen Sie uns<br />
aber auch die Regeln nach welchen Sie Schaubühnen überhaupt, und insbesondere<br />
die Marinellische beurtheilen wollen; ich und kein Vernünftiger wird je<br />
eine andere, als das Gesetz des Wohlstandes erkennen – und mit welch einer<br />
frechen Stirne kann es die Verläumdung beweisen, daß bey Herrn Marinelli<br />
diese Gesetze vergessen würden – ich habe schon einmal gesagt – daß meine<br />
Stücke alle gedruckt erscheinen – und fordere also jeden auf, mir Unanständigkeiten<br />
und Schmutzereien darinnen zu erweisen. […] Wo sind dann aber<br />
auch Ihre Werke, auf die sie sich allenfalls berufen dürften, um doch einigermassen<br />
die Kühnheit zu rechtfertigen, mit der Sie sich vor dem Angesicht eines<br />
ganzen Publikums der Freyheit anmassen, über Geschmack und Sitte – über<br />
Schauspiele und Schauspieler – ein Urtheil hinzuschütten – das ein ganzes Publikum,<br />
als einen Machtspruch annehmen, und in dem Wohlgefallen seiner Unterhaltungen,<br />
sich nach den Grillen solcher Köpfe richten sollte? […] Darüber<br />
sich näher zu erklären: hätten Sie doch bey manchem auf dem Nationaltheater<br />
aufgeführtem Stücke Gelegenheit gehabt, – denn dieß ist der Ort wo sich Geschmack,<br />
und Verfeinerung handhaben läßt“. 82<br />
Für die öffentliche Diffamierung der <strong>Leopoldstädter</strong> Bühne waren angeprangerter<br />
Sittenverstoß und Religionshäme die schlagenden Argumente, hinter denen sich ein<br />
anderes Stil- und Geschmacksgefühl verbarg, als es an dieser Stätte des Schauspiels<br />
definiert wurde. Wesentlich an diesen zitierten Zeilen ist der auch unter Bourdieuschen<br />
Kriterien gültige Hinweis, dass „guter Geschmack“ etwas Relatives sei, das<br />
die Angehörigen eines sozial-kulturellen Feldes jeweils für sich selbst definieren, die<br />
wiederum zu anders Positionierten als Opponenten fungieren. Damit ist die innere<br />
Homogenität eines kulturellen Feldes, wie es das literarische Feld im 18. Jahrhundert<br />
darstellt, reine Fiktion und „guter Geschmack“ nicht eindeutig zu bestimmen,<br />
da es hiervon immer verschiedene Ausprägungen innerhalb eines Kräftefeldes gibt.<br />
Der Kunstbegriff der <strong>Leopoldstädter</strong> Bühne war damit nur einer unter mehreren<br />
und – Eberl deutet es an – größtenteils von kommerziellen und nicht ästhetischen<br />
Faktoren bestimmt. Die von den Kritikern in Form eines rigiden Anspruchs auf<br />
Definitionsmacht eingeforderten „Regelwerke“ ließen sich hier nicht verkaufen.<br />
Sie entsprachen nicht dem Profil der Bühne (gewinnorientiertes, auf Unterhaltung<br />
82 Ferdinand Eberl: Abgedrungene Antwort auf das im zweiten Vierteljahre des kritischen<br />
<strong>Theater</strong>-Journals erschienene sechste Stück. Wien: [o. V.] 1789, S. 6–22.<br />
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ausgerichtetes Privattheater) sondern erfüllten vielmehr den Kunstgeschmack des<br />
Nationaltheaters.<br />
Charakteristisch für den beobachteten Zeitraum sind die fließenden Übergänge<br />
zwischen den Bereichen „guter Geschmack“ und Zensur, oder mit anderen Worten,<br />
die implizite Auffassung, dass die publizistische Informationskontrolle als Richtschnur<br />
für den guten Geschmack auftrete bzw. die Zensur guten Geschmack garantiere.<br />
Wäre dem so gewesen, hätte es im theatralen Feld keine unterschiedlichen<br />
Positionierungen und Ausrichtungen gegeben und v. a. keinen Widerpart von Unterhaltungs-<br />
und Bildungstheater. So leistete das Unterhaltungstheater im „Raum<br />
des Möglichen“, was es unter Kontrolle der Zensur eben leisten konnte: Es bot Zerstreuung<br />
ohne erkennbaren Bildungsauftrag, dafür aber unter Berücksichtigung<br />
der moralischen Gebote der Zensur. So entsprachen die Ergötzungen des Volkes<br />
zumindest in ihrer Verschriftlichung den polizeilichen Vorgaben, auch wenn sie auf<br />
Kosten dessen gingen, was Kunstrichter und Normpoetiker als guten Geschmackes<br />
reklamierten (womit v. a. jene gemeint sind, die die Schau- und Sensationslust des<br />
Publikums stillten). 83 Es ist der berühmte Zensor Franz Karl Hägelin, der anlässlicheiner<br />
Denkschrift 84 festhält – sie stellt einen Leitfaden für <strong>Theater</strong>zensoren in<br />
Ungarn dar –, dass die Zensur keine Geschmacksurteile fälle, sondern über das subjektive<br />
Empfinden erhaben sei, solange die alte Devise – nichts was Staat, Religion<br />
und Sitten verletze – gewahrt bleibe:<br />
„Denn der Geschmack ist in verschiedenen Zeiten verschieden, und noch nicht<br />
ausgemacht, wo der wahre Geschmack wirklich existirt; denn einmal herrscht<br />
der Schackspearische [!] Geschmack, ein andermal jener der Rittergeschichten<br />
des mittleren Zeitalters, und so fort. […] Man kann auch den sogenannten<br />
Geschmack nicht bey jedem publicum fordern, besonders da der Staat nebst<br />
dem Hoftheater verschiedene Nebentheater privilegirt und auch wandernden<br />
Truppen zu spielen erlaubt, die ohnmöglich Stücke nach dem feinen Geschmacke<br />
aufzuführen im Stande sind; zumal wo in Deutschland, das aus so vielen<br />
kleinen und grösseren Höfen bestehet, der wahre Geschmack sich schwerlich<br />
an einem Orte einförmig fixiren und den Hauptton geben wird. Genug, wenn<br />
nichts ungereimtes und unanständiges wider die Sitten geduldet wird.<br />
83 Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, Th eaterzensur, S. 293. Auch Ferdinand Eberl legitilegitimiert seine Komödien über den Verweis (gleich zweimal), dass alle zur Aufführung gekommenen<br />
Stücke in gedruckter Form erschienen seien, was ohne Zustimmung von Bücherund<br />
<strong>Theater</strong>zensur nicht möglich gewesen sein dürfte. Vgl. Eberl, Abgedrungene Antwort,<br />
S. 7 und 13.<br />
84 Wiedergegeben in: Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 298–340. Wie<br />
die Musikwissenschaftlerin Lisa De Alwis (Institut für Musikwissenschaft der University<br />
of Southern California, Los Angeles) erst kürzlich anhand von zwei neu aufgefundenen<br />
Abschriften zeigen konnte, ist die Abschrift Glossys unvollständig. Glossy „zensierte“ den<br />
Leitfaden Hägelins und sparte in seiner Abschrift all jene Textpassagen, die sich der Thematisierung<br />
sexueller Inhalte auf der Bühne widmen zur Gänze aus. Vgl hierzu Lisa de<br />
Alwis: Zensieren des Zensors: Karl Glossys lückenhafte Übertragung (1896) von Franz Karl<br />
Hägelins Leitfaden der <strong>Theater</strong>zensur (1795) [im Entstehen].
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Man weiß auch, daß seine Kunstwercke nicht von jeder Theatralgesellschaft<br />
kustmäßig aufgeführt werden können; daß nicht jede Gattung des Publikums<br />
solche verstehen und Belieben daran finden würde, und daß einzelne Privatunternehmer,<br />
die auf die Kosten sehen müssen, grosse Künstler, welche zur Aufführung<br />
vortreflicher Schauspiele erfordert würden, nicht hinreichend besolden<br />
können. […] Die Zensur muß überall auf das Sittliche sehen, der Geschmack<br />
gehet die Kritik an. Es ist bekannt, daß etwas sehr ästhetisch schön sein kann,<br />
wenn es gleich sehr unmoralisch ist. Nur dann tritt die Zensur auch in Absicht<br />
auf den Geschmack ein, wenn es den sittlichen Wohlstand zugleich betrifft.“ 85<br />
Damit ist nicht nur die Basis für die Positionierung der <strong>Leopoldstädter</strong> Bühne im<br />
Feld gewährleistet, sondern auch der Beweis erbracht, dass der Kasperl – <strong>bei</strong> allen<br />
Extempore-Vergehen – von höherer Stelle legitimiert war, was auch seine Verteidiger<br />
zuweilen als Argument ins Feld führen. Der Verdacht gegen Kasperl als Verunstalter<br />
der Sitten ist damit nicht haltbar, sein Aufbegehren gegen die staatlichen Gesetze<br />
im Extempore-Spiel zu vermuten, gegen dessen Ausprägungen, wie es scheint, zu<br />
dieser Zeit noch mit verminderter Vehemenz vorgegangen wurde. Die Dispute in<br />
der öffentlichen Kritik sind als auf den unterschiedlichen Geschmack ihrer Urheber<br />
zurückzuführende Meinung und Gegenmeinung zu entlarven, eine für die Heterogenität<br />
des kulturellen Feldes (ein Kräftefeld, das stets von dem Kampf um Erhalt<br />
der eigenen Meinung und Veränderung der anderen geprägt ist) bezeichnende Eigenschaft.<br />
<strong>Das</strong> theatrale Feld<br />
Die <strong>Theater</strong>landschaft, in die das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> eingebettet war, kann in<br />
erster Linie dualistisch genannt werden, wo<strong>bei</strong> die inner- den vorstädtischen Vergnügungsfeldern<br />
gegenüber zu stellen sind. In der inneren Stadt befanden sich die<br />
<strong>bei</strong>den Hoftheater, bestehend aus Kärntnertor- und Burgtheater, denen entgegengesetzt<br />
sich in den Vorstädten ab den 1780er Jahren, beginnend mit dem <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong>, die weitaus jüngeren stehenden Privattheater zu etablieren begannen<br />
(<strong>Theater</strong> auf der Wieden, Josefstädter <strong>Theater</strong>). Abgesehen davon gab es in der<br />
Vorstadt mehrere zum Teil schon vor den genannten Vorstadttheatern existierende,<br />
durch wechselnde Prinzipale 86 und Gesellschaften permanent oder vorrübergehend<br />
85 Zit. nach ebenda, S. 299–300.<br />
86 Genannt seien exemplarisch etwa Felix Berner, Franz Jakob Scherzer, Johann Georg<br />
Wilhelm, Christoph Ludwig Seipp und Barbara Fuhrmann, die sich zum Teil für einen<br />
gewissen Zeitraum in den bestehenden Saaltheatern einmieteten.<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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bespielte Saaltheater 87 , familiäre Haus- und Laientheater (in Bürgerwohnungen)<br />
und natürlich, nicht zu vergessen, die althergebrachten Komödienhütten 88 (als Domäne<br />
des Marionettentheaters) auf den öffentlichen Plätzen der Innen- wie auch der<br />
Vorstädte Wiens – alles <strong>Theater</strong>betriebe, die noch ergänzend zu nennen sind.<br />
Ausbildung des theatralen Felds in Wien, retrospektiv<br />
In Wien entstehen die ersten „speziell für <strong>Theater</strong>aufführungen gebaute[n] feste[n]<br />
Häuser“ in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (zuvor war es Praxis, geräumige<br />
Säle in öffentlichen Gebäuden <strong>bei</strong> Bedarf umzugestalten). Als ältestes „städtisches“<br />
Wiener Schauspielhaus gilt das <strong>Theater</strong> nächst dem Kärntnertor 89 , das 1708 erbaut<br />
wurde. Es ist wie das 1741 entstandene Burgtheater 90 zur der Kategorie der „höfischöffentlichen“<br />
Schauspielhäuser zu zählen (das Kärntnertortheater und das Burgtheater<br />
sind die <strong>bei</strong>den k. k. Hoftheater Wiens), die aus „meist nicht autonome[n], einem<br />
größeren Baukomplex an- und eingepasste[r] Gebäude“ hervorgingen und sich<br />
innerhalb der Stadtmauern Wiens befanden. Sowohl das Kärntnertor- als auch das<br />
Burgtheater waren öffentliche, von staatlichen Behörden verwaltete, aber an diverse<br />
Pächter91 vermietete, dem Einfluss der <strong>Theater</strong>reformer sehr nahestehende92 Büh-<br />
87 Vgl. dazu: Franz Hadamowsky: Wien. <strong>Theater</strong>geschichte. Von den Anfängen bis zum<br />
Ende des Ersten Weltkrieges. Hrsg. von Felix Czeike. München und Wien: Jugend und<br />
Volk 1988. (= Geschichte der Stadt Wien. 3.) S. 455–482. Emil Karl Blümmel und Gustav<br />
Gugitz: Alt-Wiener Thespiskarren. Die Frühzeit der Wiener Vorstadtbühnen. Wien: Schroll<br />
1925, S. 38–102 und S. 103–165.<br />
88 Zum Beispiel auf der Freyung, am Graben, am Neuen und am Hohen Markt. Vgl. HadaHadamowsky, <strong>Theater</strong>geschichte, S. 577–579.<br />
89 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Kärntnertortheater“<br />
[Stand 2009] und Gustav Zechmeister: Die Wiener <strong>Theater</strong> nächst der Burg<br />
und nächst dem Kärntnerthor. Wien: Böhlau 1971. (= <strong>Theater</strong>geschichte Österreichs. 3.)<br />
90 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Burgtheater“<br />
[Stand 2009].<br />
91 „Beide <strong>Theater</strong> waren anfangs verpachtet; seit der Theresianischen <strong>Theater</strong>reform (1752)<br />
wurden sie zuerst von der Stadt Wien und vom Hof, und dann von diesem allein verwaltet.<br />
Nach dem Tod Franz Stephans von Lothringen […] verpachtete Maria Theresia <strong>bei</strong>de<br />
<strong>Theater</strong> an verschiedene Unternehmer, die sich aber nach kurzer Zeit von der Pachtung<br />
zurückzogen. Im Jahr 1770 übernahm die Hofbühnen der ungarische Graf Johann Koháry<br />
[…]“ Franz Hadamowsky: Die Josefinische <strong>Theater</strong>reform und das Spieljahr 1776/77 des<br />
Burgtheaters. Eine Dokumentation. Wien: Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften<br />
Österreichs 1978. (= Quellen zur <strong>Theater</strong>geschichte. 2.) S.<br />
92 Sonnenfels konnte 1769 ein von Christoph Willibald Gluck initiiertes, seine Th eaterre-<br />
Sonnenfels konnte 1769 ein von Christoph Willibald Gluck initiiertes, seine <strong>Theater</strong>reform<br />
in Gefahr bringendes Engagement der Badner Gesellschaft samt La Roche an das<br />
Kärntnertortheater vereiteln, was den Einfluss des späteren Zensors und Reformers auf diese<br />
Bühne ansehnlich geltend macht. Vgl. Zechmeister, Die Wiener <strong>Theater</strong>, S. 310.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
nen, die „sparten- und sprachübergreifend“ bespielt wurden. 93 Der mehrsprachige<br />
Spielplan ist auschlaggebend für die Publikumsstruktur dieser Bühnen und zugleich<br />
auch ein gewichtiger Unterschied gegenüber den später entstandenen Vorstadttheatern.<br />
Obwohl auch das Kärntnertortheater und das Burgtheater 94 deutschsprachige<br />
Bühnenproduktionen zur Aufführung brachten, überwogen diese an den privaten<br />
(Volks-)<strong>Theater</strong>n, deren Repertoire aus deutschen Sprechstücken, Singspielen und<br />
deutschsprachigen Opern 95 bestand, was mit der Pauschalbezeichnung dieser Bühnen<br />
als „Volkstheater“ 96 korreliert. Diese semantisch mehrfach besetzte 97 Bezeichnung,<br />
lässt sich u. a. auf die bildungsunabhängigen, für die Unterhaltung des einfachen<br />
Volkes gestalteten <strong>Theater</strong>formen anwenden, hat sich im unreflektierten, aber<br />
einschlägigen Sprachgebrauch zum Überbegriff für diverse Spielstätten Wiens verselbstständigt,<br />
deren Programm eben solche ,triviale‘, ohne Fremdsprachenkenntnisse<br />
zu verstehenden Bühnenproduktionen vorsah.<br />
Für die Vorstadttheatergründungen in den 1780er Jahren waren sowohl kulturpolitische<br />
als auch gesellschaftliche Veränderungen Voraussetzung. Wesentlich war das<br />
93 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Volkstheater“<br />
[Stand 2009] und Zechmeister, Die Wiener <strong>Theater</strong>, S. 399–562.<br />
94 Dieses v. a. nachdem es von Josef II. 1776 zum „Teutschen Nationaltheater“ erhoben wor- worden<br />
war.<br />
95 Man machte sich, wie diverse Opernbear<strong>bei</strong>tungen Perinets und Eberls zeigen, die Mühe<br />
italienische und französische Opernlibretti für die deutschsprachige Aufführung zu<br />
adaptieren (Auch wenn es nur in der Absicht geschah, den Spielplan zu bereichern, passt es<br />
dennoch zum Profil der Bühne.). Una cosa rara, o sia Bellezza ed onestá kommt in der Übersetzung<br />
von Eberl unter dem deutschen Titel Der seltene Fall oder Schönheit und Tugend.<br />
Ein italienisches Singspiel nach der Italienischen Opera Cosa rara des Abbate Lorenzo Daponte<br />
und L’arbore di Diana unter dem Titel Der Baum der Diana. Eine historisch-komische Oper<br />
in zwei Aufzügen von Lorenzo Daponte zur Aufführung. Hinter Der Talisman. Ein Singspiel<br />
in drei Aufzügen nach Goldoni verbirgt sich die von Eberl adaptierte italienische Oper Il Talismano.<br />
Joachim Perinet verfasste die deutsche Version der Opern Les Deux Petits Savoyards<br />
comédie mêlée d’ariettes (Die zween Savoyarden. Ein Singspiel in einem Aufzuge. Aus dem<br />
Französischen auf die Musik des Herrn Dalayrac übersetzt) und Raul von Crequi (Raul von<br />
Crequi oder die verhinderte Grausamkeit. Oper in drei Aufzügen nach Monvel) von Jacques-<br />
Marie Boutet de Monvel.<br />
96 „Wiener Volkstheater“ bezieht sich auf die Schauspieltradition Wiens im 18. und 19. Jahr- Jahrhundert<br />
und meint die „bürgerlichen, v. a. in den Vorstädten beheimateten Ableger des barocken<br />
Hoftheaters mit seinen z. T. sogar tragenden Musikanteilen“ Vgl. Österreichisches<br />
Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Volkstheater“ [Stand 2009].<br />
97 „[…] so erweist sich der genannte Begriff , dessen Implikationen sich in den letzten an-<br />
„[…] so erweist sich der genannte Begriff, dessen Implikationen sich in den letzten anderthalb<br />
Jahrhunderten immer wieder gewandelt haben, als äußerst unpräzis und deswegen<br />
irreführend.“ Roger Bauer: Wiener Volkstheater: Noch nicht und (oder) doch schon<br />
Literatur? In: R. B.: Laßt sie koaxen, die kritischen Frösch’ in Preußen und Sachsen! Zwei<br />
Jahrhunderte Literatur in Österreich. Wien: Europaverlag 1977, S. 119.<br />
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Ausrufen der „allgemeinen Spektakelfreiheit“ 98 im Jahre 1776 – eine für die Schauspielunternehmer<br />
entscheidende Neuorganisation des <strong>Theater</strong>wesens, die auf das<br />
liberale Verständnis Josefs II. zurückzuführen ist. Nach dem Bankrott der Hoftheaterpächter<br />
hebt der Monarch das 1728 erlassene Spiel-Privilegium der Hoftheater<br />
auf, wodurch das <strong>Theater</strong>spielen in Wien auf kaiserliche Anordnung hin für alle<br />
Schauspielertruppen ohne Abgabeleistungen an die Hoftheater möglich wird. 99 Die<br />
finanzielle Entlastung der saisonal in Wien anwesenden <strong>Theater</strong>unternehmer ließ<br />
manche von ihnen sesshaft werden und forcierte damit indirekt den Zuwachs an<br />
neuen <strong>Theater</strong>n.<br />
Fördernd wirkte, abgesehen davon, dass der Zeitabschnitt an sich weitgehend ohne<br />
kriegerische Auseinandersetzungen verlief 100 , die Erschließung der Vorstädte als<br />
Wohn- und Ar<strong>bei</strong>tsplatz, als deren Folge Bevölkerungszahl und Wohlstand zunahmen<br />
– eine soziale Umstrukturierung, die das potentielle Publikum für etwaige<br />
Vorstadttheater hervorbrachte. 101<br />
Als weiterer bestimmender Faktor für die Entstehung der Vorstadttheater sei das<br />
selbst erwirtschaftete Privatvermögen diverser Schauspielunternehmer genannt, die<br />
es nach dem Erlöschen des <strong>Theater</strong>monopols häufiger 102 als zuvor nach Wien zog.<br />
Ihre gute finanzielle Situation bildete die Basis für den Erwerb einer geeigneten Immobilie<br />
und erlaubte den Bau eines privat-„bürgerlichen“ 103 <strong>Theater</strong>gebäudes jenseits<br />
98 Am 23. März 1776 teilte Josef II. der „Nieder-Österreichischen Regierung“ mit, dass „hin- „hinfüro<br />
kein Privativum mehr ertheilet werden würde, sondern einem Jeden frey seyn solle, auf<br />
was immer für eine erdenkliche Art sowohl in – als vor der Stadt das Publicum zu unterhalten<br />
und sich einen Nutzen zu verschaffen.“ Zit. nach Hadamowsky, <strong>Theater</strong>geschichte,<br />
S. 255.<br />
99 Vgl. Hadamowsky, Die Josefinische <strong>Theater</strong>reform, S. 8–27<br />
100 Der Siebenjährige Krieg endete 1763, der Bayrische Erbfolgekrieg (1778/79) hatte den ChaCharakter eines Kabinettkrieges ohne größere Gefechte und war für die Bevölkerung daher<br />
auch weniger belastend, die Revolutionskriege (1792–1815) begannen erst nach der für die<br />
Vorstädte entscheidenden Wachstumsperiode.<br />
101 Blümml und Gugitz sprechen von den 1770er und 1780er Jahren als Zeitraum, der gegeprägt ist vom „Anwachsen der Vorstädte und des Wohlstandes der Wiener Bevölkerung<br />
in einer Zeit des Friedens“. Blümml und Gugitz, Thespiskarren, S. 103. Pezzl stellt einen<br />
Zusammenhang zwischen den sich in den 1780er Jahren in der Vorstadt häufenden Fabrikgründungen,<br />
den sich daraus ergebenden Wohlstand und der Beliebtheit des Josefstädter<br />
<strong>Theater</strong>s her. Vgl. Johann Pezzl: Mahlerische Darstellung der k. k. Haupt- und Residenz-<br />
Stadt Wien, oder kurzgefaßte Geschichte derselben von ihrem Ursprunge bis auf den gegenwärtigen<br />
Augenblick. Wien: Müller 1822, S. 252–253.<br />
102 In „den Siebzigerjahren des achtzehnten Jahrhunderts [zeigten sich] in den Wiener Vorstäd- Vorstädten<br />
mehr wandernde Schauspielertruppen als sonst“. Blümml und Gugitz, Thespiskarren,<br />
S. 103.<br />
103 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Schauspielhäuser“<br />
[Stand 2009].
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
der Innenstadt – <strong>bei</strong>des Dinge, die ohne ausreichendes ökonomisches Kapital nicht<br />
leistbar gewesen wären.<br />
Als Vorreiter für die stehenden Vorstadttheater fungierte das Marinellische <strong>Theater</strong><br />
in der Leopoldstadt, mit dessen Gründung eine „Ausweitung des Unterhaltungsangebotes<br />
für die Wiener Bevölkerung“ 104 erfolgte. Die Einspielquoten der Badner<br />
Gesellschaft, die schon seit 1770 ständig in der Wintersaison in der Leopoldstadt in<br />
einem zur Bühne umgestalteten Saal spielte, waren hoch, sodass ihre <strong>bei</strong>den Leiter,<br />
die Kompagnons von Menninger und Marinelli, bereits 1780 über genug Barschaft<br />
verfügten, <strong>bei</strong> der Hofbehörde und damit indirekt <strong>bei</strong> Kaiser Josef II. um den Bau<br />
eines privaten <strong>Theater</strong>gebäudes in der Leopoldstadt anzusuchen. Marinelli, der sich<br />
stets um die bürokratischen Angelegenheiten der Gesellschaft kümmerte, richtete<br />
folgende, für die Auslotung der sozialen Situation der Gesellschaft doch recht aufschlussreiche<br />
Worte an die kaiserliche Obrigkeit:<br />
„Durch diesen Beyfall [damit ist der Zustrom an Publikum, den die Gesellschaft<br />
in der Leopoldstadt erfuhr, gemeint] aufgemuntert, war ich Willens, ein eigenes<br />
etwas größeres Schauspielhaus in der Leopoldstadt zu erbauen, hätten mich<br />
nicht manche Kränkungen daran gehindert, denen ein <strong>Theater</strong> in Vorstädten<br />
ausgesetzt ist. Eine gewisse Vergleichung, eine Art der Behandlung von Seiten<br />
des Stadtmagistrats, der ich mich so, wie das gemeinste Marionettenspektakl<br />
unterziehen mußte, konnte für mich stets nur sehr demütigend seyn, und das<br />
Zutrauen einiger Massen vermindern, auf welches sonst eine an Ordnung gewohnte<br />
gesittete, Schauspielergesellschaft Anspruch machen dürfte. Lange sah<br />
ich dem glücklichen Zeitpunkt entgegen, wo ich eine gewünschte Gelegenheit<br />
finden konnte, mir die huldvolle Gnade Eurer Majestät allerunterthänigst zu<br />
erbitten, um wenigstens vor diesen Kränkungen gesichert zu seyn. Dieser Zeitpunkt<br />
hat sich genähert, und ich darf hoffen, da itzt nur ein einziges <strong>Theater</strong><br />
[d.i. das <strong>Theater</strong> ,Zum weißen Fasan‘ auf dem Neustift 105 ] in den Vorstädten<br />
besteht, meine allerunterthänigste Bitte einigen Eingang finden dürfte […]“ 106<br />
Der Privatbesitz, hier in erster Linie der Besitz eines eigenen Hauses, galt als Sinnbild<br />
geordneter Verhältnisse und war auch Voraussetzung für den Erwerb der Bürgerrech-<br />
104 Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 135.<br />
105 <strong>Das</strong> seit 1776 bespielte „Th „<strong>Theater</strong> eater zum weißen Fasan“ auf dem Neustift (zwischen Neustift- Neustiftgasse<br />
und Burggasse) kann als erstes stehendes Vorstadttheater Wiens gewertet werden.<br />
Vgl. hierzu: „<strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> zum weißen Fasan auf dem Neustift“ In: Blümml und Gugitz,<br />
Thespiskarren, S. 103–165.<br />
106 Fritz Brukner [Hrsg.]: Die Gründungsakten der <strong>Leopoldstädter</strong> Schaubühne. Aufgefunden<br />
und bear<strong>bei</strong>tet von Franz Hadamowsky. Wien: [o. V.] 1928, S. 4–8.<br />
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te. 107 Die Niederlassung ist somit nicht nur als Bühnengründung infolge günstiger<br />
gesellschaftshistorischer und lokaler Gegebenheiten, sondern auch als Positionierung<br />
der Schauspielgesellschaft im sozialen Gefüge Wiens zu sehen. Marinelli grenzt die<br />
Badner Gesellschaft eindeutig von den Betreibern mobiler Marionettenbuden ab,<br />
will nichts gemein haben mit dem „landstreicherische[n] Komödieantenvolk“ 108 ,<br />
was natürlich aufgrund der pekuniären Situation 109 der Gesellschaft und des bestehenden<br />
Spielkontrakts mit der Stadt Baden der Realität entsprach, aber auch einem<br />
mit Absicht vorgenommenen Präsentabelmachen der Gesellschaft diente, um<br />
das Ansinnen auf ein eigenes Spielhaus als gerechtfertigt auszuweisen. In jedem<br />
Fall aber ist der soziale Aufstieg der Schauspielergilde, der zuletzt mit der Sesshaftwerdung<br />
einhergeht, ebenso wenig von der Hand zu weisen wie der Zugewinn<br />
Marinellis an symbolischem Kapital, also an gesellschaftlichem Prestige, Status und<br />
an Reputation, durch das erteilte Recht sich fortan „einen kais. kön. privilegirten<br />
Schauspielunternehmer“ 110 schreiben zu dürfen, der über einen festen Wohnsitz und<br />
ein eigenes <strong>Theater</strong>gebäude besitzt.<br />
Die Betitelung „kais. kön. privilegirter Schauspielunternehmer“ ist nur eines der<br />
Privilegien 111 , die Marinelli für seine Bühne in der Leopoldstadt erwirkte und die<br />
fürdie weiteren, in den darauffolgenden Jahren in den Vorstädten entstehenden The-<br />
107 Marinelli erwarb das Grundstück, auf dem er das <strong>Theater</strong>gebäude errichten ließ, von der<br />
Geliebten und Erbin des 1780 verstorbenen <strong>Leopoldstädter</strong> Bürgers Anton Schreyer. Felix<br />
Czeike: Historisches Lexikon Wien in sechs Bänden. Wien: Kremayr & Scheriau 2004,<br />
Bd. 4, S. 39. Hadamowsky, <strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> in der Wiener Leopoldstadt, S. 46. Die Bürgerrechte<br />
wurden demjenigen zugesprochen, der Hausbesitz und Eigentum in der Stadt hatte,<br />
Steuern, Abgaben sowie seinen Beitrag zum Wehrdienst leistete. Letzterem kam Marinelli<br />
definitiv nach. Der Spion von Wien berichtet über Abgabeleistungen des <strong>Theater</strong>direktors,<br />
der sich bereit erklärte, „eine ansehnliche Summe als Kriegssteuer abzureichen, wenn sein<br />
<strong>Theater</strong>personale, wie jenes des National Hoftheaters von der Kriegssteuer befreit bleibe“.<br />
In der Folge bezahlte Marinelli „für sein sämtliches <strong>Theater</strong>personal 500 fl. Kriegssteuer aus<br />
seiner eigenen Börse“. Vgl. Der Spion von Wien. Eine Wochenschrift. Wien: [o. V.] 1789,<br />
Bd. 1, S. 10 und Bd. 2, S. 8.<br />
108 So die pauschal geurteilte und stark wertende Bezeichnung für fahrende Komödianten.<br />
Hadamowsky, <strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> in der Wiener Leopoldstadt, S. 41.<br />
109 Die Antwort des „Musicimpostamts-Administrator v. Zahlheimb“ auf ein Gesuch MenMenningers und Marinellis um Herabsetzung der an das Magistrat Wien zu entrichtenden Musikimpostgebühr<br />
gibt Aufschluss über die Geschäfte der Badner Gesellschaft. Die Höhe der<br />
Musikimpostgebühr lässt Rückschlüsse auf die Einnahmen der Gesellschaft zu: „Ich [d. i.<br />
Zahlheimb] habe diesen leztvergangenen Winter öfters um mein Geld verläßliche Leüthe<br />
in die <strong>Leopoldstädter</strong> Komödie geschikt, und in Antwort erhalten, daß die Supplicanten<br />
11 auch 12 Musicanten gehabt haben, so mittels eines Durchschnitts genohmen 8 fl. 15 Kr.<br />
jedesmal betraget. Deren Supplicanten Losung oder Einnahm, weillen die Pläze fast allezeit<br />
besezet sind, und vielmehr, weillen die Persohnen abzehlen lassen, belaufet sich einen Tag<br />
in den andern gerechnet über 100 f. […]. Diese Schauspiell Unternehmere sind vermögliche<br />
Leüte […].“ Brukner, Die Gründungsakten, S. 3.<br />
110 Ebenda, S. 6.<br />
111 Zu den anderen siehe ebenda, S. 6–8.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
ater, vor allem aber für das (Freihaus-)<strong>Theater</strong> auf der Wieden 112 , richtungsgebend<br />
sind. Diese letztgenannte, 1787 vom Wandergruppenprinzipal Christian Roßbach<br />
eröffnete und 1789 von Emanuel Schikaneder übernommene Spielstätte erhält die<br />
gleichen Rechte und Bedingungen wie das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> verliehen, was<br />
aus einer Archivstudie von Friedrich Arnold Meyer anlässlich der um 1900 aktuell<br />
gewordenen Privilegienfrage der <strong>bei</strong>den Schauspielhäuser deutlich hervorgeht: <strong>Das</strong><br />
„Zustellungsdecret 113 […] der Behörde an Marinelli ist die bekannte Magna charta<br />
des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s, aber, wie sich zeigen wird, auch die des <strong>Theater</strong>s an der<br />
Wien.“ Dieses Dokument wird „in allen späteren amtlichen Verhandlungen und<br />
Berichten“ rund um das <strong>Theater</strong> an der Wien „wörtlich citirt“, und als Schikaneder<br />
das „Privileg und die Concession zur <strong>Theater</strong>-Unternehmung“ verliehen wurde,<br />
geschah die Erteilung des Privilegiums „ausdrücklich in der Art, wie Marinelli es<br />
besitze“. 114<br />
Die <strong>bei</strong>den <strong>Theater</strong> erhielten nicht nur dieselben Privilegien. Gemeinsam war ihnen<br />
neben dem Standort in der Vorstadt auch die Ausgestaltung des Spielplans. <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong> und das <strong>Theater</strong> auf der Wieden gaben dem lokalen Volksstück,<br />
der Zauberposse, dem Singspiel und natürlich noch Ausläufern der Maschinenkomödie<br />
mit komischen Zentraltypen Raum, sprachen damit denselben Publikumsgeschmack<br />
an, was sie in erster Instanz natürlich zu erbitterten wirtschaftlichen<br />
Konkurrenten werden ließ, den Spielstätten aber auch eine gemeinsame Positionierung<br />
im theatralen Feld gegenüber den <strong>bei</strong>den Hoftheatern bescherte:<br />
„Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der Wien […]. Der Mann<br />
kennt sein Publikum, und weiß ihm zu geben was ihm schmeckt. Sein großer<br />
Vorzug ist Lokalität, deren er sich oft mit einer Freimütigkeit bedient, die ihm<br />
selbst und der Wiener Duldsamkeit noch Ehre macht. Ich habe auf seinem<br />
<strong>Theater</strong> über die Nationalnarrheiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge<br />
gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen, ohne sich von<br />
höherem Orte eine strenge Weisung über Vermessenheit zuzuziehen. […] Es<br />
ist den Wienern von feinem Ton und Geschmack gar nicht übel zu nehmen,<br />
daß sie zuweilen zu ihm und zu Kasperle herausfahren und das Nationaltheater<br />
und die Italiäner [Anspielung auf die italienischen Schauspielergesellschaften<br />
im Kärntnertortheater] leer lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt verhältnismäßig<br />
weit besser, als jene für die Burg. […] So lange Schikaneder Possen,<br />
Schnurren und seine eigenen tollen Operetten gibt, wo der Wiener Dialekt und<br />
der Ton des Orts nicht unangenehm mitwirkt, kann er auch Leute von gebilde-<br />
112 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Freihaustheater<br />
auf der Wieden“ [Stand 2009].<br />
113 Vgl. Brukner, Die Gründungsakten, S. 7–8. Eine offizielle Privilegiums-Urkunde, die über<br />
dieses an Marinelli zugestellte Dekret hinausgeht, dürfte gar nicht erlassen worden sein.<br />
Vgl. auch: Friedrich Arnold Mayer: Die Privilegien der Wiener Vorstadttheater. Eine Archivstudie.<br />
In: Neue Freie Presse vom 8. Juli 1900, S. 19.<br />
114 Mayer, Die Privilegien der Wiener Vorstadttheater, S. 19.<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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tem Geschmack einige mal vergnügen: aber wenn er sich an ernsthafte Stücke<br />
wagt, die höheres Studium und durchaus einen höheren Grad von Bildung<br />
erfordern, muß der Versuch allerdings immer sehr schlecht ausfallen. […] Die<br />
Herrn Kasperle und Schikaneder mögen ihre subordinierten Zwecke so ziemlich<br />
erreicht haben; aber das Nationaltheater ist, so wie ich es sah, noch weit<br />
entfernt, dem ersten Ort unseres Vaterlandes und der Residenz eines großen<br />
Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu machen.“ 115<br />
Hingegen wurden das Bildungstheater, die italienische und französische Oper vom<br />
Kärntnertor- und Burgtheater getragen. Im Ersteren fand sich das Bürgertum, im<br />
Zweiteren allen voran der Wiener (Hoch-)Adel ein. Der wirtschaftliche Aufschwung<br />
und das Anwachsen der Vorstädte, das Aufkeimen eines Mittelstandes, der sich sein<br />
Freizeitvergnügen abseits des bildungsnahen, fremdsprachigen <strong>Theater</strong>s suchte und<br />
auch die Umstrukturierung bzw. Intensivierung der Freizeitgestaltung 116 boten Platz<br />
für die Ausbildung von privat verwalteten, von der deutschen Sprache dominierten<br />
Kommerz-(Musik-)<strong>Theater</strong>n, die ihre Bestimmung in der Unterhaltung und Zerstreuung<br />
des Publikums fanden:<br />
„Uibrigens giebt sich diese Truppe sichtbare Mühe, sich über den Rang eines<br />
Nebentheaters empor zu ar<strong>bei</strong>ten, spielt neben den Faccen [!] auch verschiedene<br />
feine Stükke, die ihnen freilich noch blutschlecht gelingen, und nur durch einzelne<br />
Rollen, die nicht übel ausfallen, erträglich werden. Ihre Faccen aber fallen<br />
meists sehr gut aus, bringen auch brav Geld. Einige dieser Stükke werden oft<br />
in einem Monat zehn bis zwölfmal <strong>bei</strong> immer vollem Hause wiederholt, eine<br />
Ehre, die in Wien dem feinsten Stük nicht wiederfärt. Mit einem Wort […],<br />
ich halte wenn man nach verdrüslichen Geschäften nichts, als sein Zwergfell<br />
erschüttern will, dies <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> für eine recht gute Rekreazion.<br />
Feine Sachen, wahren pollirten Wiz mus man nicht hier suchen, aber der pollirte,<br />
feinere Wiz macht auch nur lächeln, und erschüttert das Zwergfell nicht.<br />
Wer seinen Geist nären will, hat überdem die Nazionalbühne, hingegen sind<br />
für den, der blos aus vollem Halse lachen will, was doch auch zu weilen gut und<br />
nüzlich ist, Kasperle und seine Konsorten trefliche Leute.“ 117<br />
Zur Entente der <strong>Theater</strong> mit derartiger Ausrichtung ist auch das 1788 errichtete,<br />
sich heute noch am selben Ort befindliche Josefstädter <strong>Theater</strong> 118 zu zählen, womit<br />
die drei größten Spielstätten in der Wiener Vorstadt komplett wären. Die „Grün-<br />
115 Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. In: J. G. S.: Werke in<br />
zwei Bänden. Hrsg. von Jörg Drews. Bd. 1. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag<br />
1993. (= Bibliothek deutscher Klassiker. 85.) S. 155–540, hier S. 190–191.<br />
116 Vgl. Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 133–276.<br />
117 Schink, Dramatische und andere Skizzen nebst Briefen, S. 126–127.<br />
118 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Josefstädter<br />
<strong>Theater</strong>“ [Stand 2009].
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
dungswelle“ der Privattheater in den Vorstädten kam erst 1794 zum Erliegen, als ein<br />
von der Hofbehörde erlassenes Dekret den Bau neuer <strong>Theater</strong> unterband. 119<br />
Materielle und lokale Bedingungen<br />
<strong>Das</strong> Marinellische <strong>Theater</strong>gebäude entstand im Erholungs- und Vergnügungsviertel<br />
der Wiener, gelegen vor den Toren der Stadt in unmittelbarer Nähe zum Prater120 wie auch zu dem an dessen Eingang befindlichen, mit Wirtshäusern, Kegelbahnen,<br />
Schaukeln und Ringelspielen lockenden Stadtgut121 , woran auch die in der<br />
Neuzeit aufkommende, sich im Städtebau niederschlagende Trennung der Bereiche<br />
Ar<strong>bei</strong>t und Freizeit deutlich zu erkennen ist. Damit ist die bloße Örtlichkeit<br />
einerseits Determinante für die Erbauung des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s, welches sich<br />
<strong>bei</strong> den sozialhistorischen Bedingungen dieser Epoche eben nur in der Vorstadt<br />
herausbilden konnte, sowie andererseits für dessen inhaltliche Ausrichtung als Lachund<br />
Belustigungstheater: „Absicht dieses Unternehmens“ war es, „für die heilsame<br />
Erschütterung des Zwergfells seiner Nazion zu sorgen“ 122 – oder anders ausgedrückt<br />
– „Lachen ist sein Endzweck, sein Brot und Ruhm.“ 123<br />
Die nähere Betrachtung der Spielstätte Kasperls ist ein wenig desillusionierend,<br />
da das Bild, das da<strong>bei</strong> entsteht, nicht mit den heutigen Vorstellungen von einem<br />
<strong>Theater</strong>gebäude korreliert. Es handelte sich <strong>bei</strong>m <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> nicht um<br />
ein freistehendes Gebäude, sondern vielmehr um einen in den Wohn- 124 und Wirtschaftskomplex<br />
der <strong>Theater</strong>gesellschaft integrierten, einfachen, im ersten Parterre<br />
fünf, im zweiten 15 Bankreihen fassenden Aufführungssaal von ca. 255m 2 , an den<br />
sich eine 16m breite und 10m tiefe Bühne anschloss. Beides war nur über einen in<br />
119 Baron Peter von Braun erhielt das Privileg für alle Stadttheater. Dieser Erlass kam der ZenZensurbehörde entgegen, die durch den verhinderten Zuwachs an neuen <strong>Theater</strong>n entlastet<br />
wurde, da Bühnen und Aufführungen umso leichter und intensiver zu überwachen waren,<br />
je weniger es davon gab. Vgl. Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 145.<br />
120 Erst 1766 wurde der Prater durch Josef II. allen Bewohnern Wiens als Erholungsgebiet<br />
zugänglich gemacht und bürgerlichen Kaffeesiedern wie Gastwirten die Eröffnung diverser<br />
Stätten zur Versorgung der Besucher gestattet. Vgl. hierzu: Czeike, Historisches Lexikon<br />
Wien, Bd. 4, S. 593.<br />
121 Vgl. ebenda, Bd. 5, S. 293.<br />
122 Schlögl, Vom Wiener Volkstheater, Erinnerungen, S. 34.<br />
123 Etwas für Kasperls Gönner, S. 87.<br />
124 Neben dem Marinellischen Wohnhaus befanden sich hier auch die Wohnungen mehrerer<br />
Ensemblemitglieder. Vgl. Gustav Gugitz: Die Totenprotokolle der Stadt Wien als Quelle<br />
zur Wiener <strong>Theater</strong>geschichte des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Gesellschaft für<br />
Wiener <strong>Theater</strong>forschung. 1953/ 54 (1958), S. 130 und Otto Schindler: <strong>Theater</strong>geschichte<br />
von Baden <strong>bei</strong> Wien im 18. Jahrhundert. Mit besonderer Berücksichtigung der „Badner<br />
Truppe“ und ihres Repertoires. Wien, Univ., Diss. 1971, S. 124.<br />
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den Kassenhof mündenden, schlecht beleuchteten Gang durch das Marinellische<br />
Wohnhaus erreichbar, welches der Straßenseite zugewandt, den Besucher empfing.<br />
„Die Worte ,das alte <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> sei eine Goldgrube‘ waren mehr als<br />
eitle Redensart […]. Wer hätte das dem kleinen, niedrigen und unscheinbaren<br />
Hause in der Jägerzeile angesehen, und vollends erst, wenn man in dasselbe<br />
durch einen schmalen, niedrigen Gang eingetreten war. Welch’ traurigen Anblick<br />
gewährte da das düstere, räumlich sehr beengte, unfreundliche und unsaubere<br />
Haus, das noch durch keinen Luster erhellt wurde, und dessen Schnürboden<br />
sich in einem solchen primitiven Zustande befand, daß die Decorationen<br />
nicht wie anderswo herabgelassen, sondern herabgerollt werden mußten – eine<br />
Manipulation, welche für die auf der Bühne Beschäftigten nicht ohne Gefahr<br />
war, denn da hieß es behutsam sein, daß Einem nicht eine Decoration mit<br />
ihrem schweren Holzrahmen als Einsäumung an den Kopf flog. Dieser Vorgang<br />
war auch für die Decorationen von schädlichem Einfluß, welche sich viel<br />
schneller als jetzt abnützten; – doch was lag an dem Stückchen Leinwand, auf<br />
welchem eben keine Meisterwerke gemalt waren, denn die schmale und niedrige<br />
Bühne erheischte nur ganz kleine Decorationen, die, einmal unbrauchbar<br />
geworden, ohne große Kosten durch neue ersetzt werden konnten. Und wie<br />
wenig Aufwand brauchte dieses kleine <strong>Theater</strong>chen für seine Ausschmückung?<br />
So viel wie gar keinen, denn was Luxus und Comfort war, davon wußte man<br />
in diesem Hause nichts.“ 125<br />
Die wertende Tendenz der Beschreibung Seyfrieds’ ist nicht von der Hand zu weisen;<br />
dennoch gibt es weitere Quellen, die mit der Schilderung des <strong>Theater</strong>s durch<br />
die Adjektive „unfreundlich und unsauber“ korrelieren sowie den als „primitiv“ beschriebenen<br />
„Zustand“ des <strong>Theater</strong>s (sei es nun dessen Publikumsraum, <strong>Theater</strong>apparat,<br />
Trottoir 126 oder Beleuchtung) herausstreichen. So ist eine Schilderung der<br />
Hygienebedingungen aus heutiger Sicht nicht nur amüsant zu lesen, sondern erhellt<br />
auch die Motive für die Darstellung des <strong>Theater</strong>s als sudelig:<br />
„Eine dritte Gattung Leute, welche, größere Sorgfalt für die Reinlichkeit ihrer<br />
Kleider, als die Gesundheit ihres Körpers zu haben schienen, war nimmermehr<br />
zu besänftigen, wenn kleine Kinder aus Unwissenheit, und ungezogene Purschen<br />
[!] und Dirnen aus Bosheit der Natur freyen Lauf liessen, und so die Kleidung<br />
ehrliebender Leute bewässerten, oder wohl gar eine Kanne Bier darüber<br />
vergossen.“ 127<br />
125 Aus: Ferdinand Ritter von Seyfried: Rückschau in das <strong>Theater</strong>leben Wiens seit den letzten<br />
fünfzig Jahren. Wien: Selbstverlag des Verfassers 1864, S. 47–49.<br />
126 „[…] eine gute Ordnung der Wägen bey der Zu- und Abfahrt, welche gegenwärtig noch im- immer<br />
fehlt, ein ihnen zur Stellung angewiesener Platz, ein vom sumpfichten [!] Kothe gereinigter<br />
Fußsteig […]“ etc. Gotthold August von Stranden: Unpartheyische Betrachtungen<br />
über das neuerbaute Schauspielhaus in der Leopoldstadt, und die sämtlichen Glieder der<br />
Gesellschaft. Von Gotthold August van der Stranden, gewesener Unternehmer einer Schauspielergesellschaft,<br />
nebst dessen Lebensgeschichte. Wien: Hartl und Grund 1781, S. 20.<br />
127 Ebenda, S. 22.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Wen wundert es da noch, wenn die Chronisten einen üblen Gestank 128 erwähnen,<br />
der das <strong>Theater</strong> erfüllte. Bleibt nur die Frage, wie sollte ein solcher <strong>bei</strong> dem herrschenden<br />
Verständnis von Körperhygiene in der damaligen Zeit auch vermieden<br />
werden?<br />
Abgesehen davon finden sich Belege, denen zufolge der Publikumsraum sich angeblich<br />
durch einen Mangel an Bequemlichkeit – die „Logen“ seien „schmal“, die Galerien<br />
„nieder“ 129 – und die Dekorationen bestenfalls durch ihre Zweckdienlichkeit<br />
auszeichneten (abgesehen von der vielgelobten Kortine 130 von Fibich) 131 . Dem gegenüber<br />
stehen die Schilderungen Hadamowskys, der von „herrlichen“ und „prächtigen<br />
Dekorationen und staunenerregenden Maschinerien“ spricht, sowie festhält, dass<br />
„die Verwandlung des Sylvio“ trotz des oben primitiv genannten Bühnenapparates<br />
„im Baum der Diana <strong>bei</strong> Marinelli pünktlich, im Hoftheater aber nie geriet.“ 132 Ob<br />
nun üble Nachrede oder übertriebene Stilisierung – die Wahrheit dürfte wie so oft<br />
in der Mitte liegen.<br />
Auf dem <strong>Theater</strong>gelände befanden sich außer dem Publikumsbereich und der <strong>Theater</strong>bühne<br />
auch noch das Marinellische Wohnhaus (am exponiertesten Platz), der<br />
Wohntrakt der Ensemblemitglieder und verschiedene Wirtschaftsgebäude (Tischlerei,<br />
Malerei, Bierschank 133 , Bäckerei); eine Gebäudeanordnung, die die örtliche<br />
Trennung von Wohn- und Ar<strong>bei</strong>tsplatz nur bedingt 134 umsetzte und daher in ihrer<br />
Spezifik einerseits als Überbleibsel der Kultur der Wanderschauspieler, die <strong>bei</strong>de<br />
Bereiche aus Gründen der Ökonomie nicht zu separieren wussten, andererseits auch<br />
128 Der üble Geruch, der im Th <strong>Theater</strong> eater herrschte, wird in den Quellen und Chroniken des ÖfteÖfteren erwähnt. Vgl. Friedrich Kaiser: Unter fünfzehn <strong>Theater</strong>-Direktoren. Bunte Bilder aus<br />
der Wiener Bühnenwelt. Wien: Waldheim 1870, S. 76 und Stranden, Unpartheyische Betrachtungen,<br />
S. 22.<br />
129 Kaiser, Unter fünfzehn <strong>Theater</strong>-Direktoren, S. 76. „[…] bey den Logen wäre mehr auf den<br />
Preis, als ihre Bequemlichkeit gesehen worden“, verlautbart Stranden über die Publikumsplätze<br />
im Marinellischen <strong>Theater</strong>. Stranden, Unpartheyische Betrachtungen, S. 22.<br />
130 Vgl. zu deren Konzeption Schink, Dramaturgische und anderen Skizzen, S. 127.<br />
131 Während Stranden die Kortine von Fibich lobt, bekrittelt er dessen restliche Malereien:<br />
„[…] und ich sah, daß Herr Fibich ganz gut ein fleißiger, aber eben nicht der geschickte Maler<br />
seyn mag, oder es wenigstens damals nicht gewesen ist, als er die obere Decke (Plafond)<br />
malte, an der man ungeachtet der Täuschung vieler brennender Lichter einen schweren Pinsel,<br />
fehlerhafte Zeichnung, und ein finsteres beynahe schmutziges Kolorit nicht verkennen<br />
konnte. Mit besserem Erfolge ar<strong>bei</strong>tete er an der Kortine […]“ Stranden, Unpartheyische<br />
Betrachtungen, S. 23–24.<br />
132 Hadamowsky, <strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> in der Wiener Leopoldstadt, S. 50–51.<br />
133 Vgl. Kaiser, Unter fünfzehn <strong>Theater</strong>-Direktoren, S. 75.<br />
134 Eine Trennung von öffentlichen und privaten Räumen liegt vor, allerdings befinden sich<br />
Ar<strong>bei</strong>ts- und Wohnstätte auf ein und demselben Gelände.<br />
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als Anzeichen der bürgerlichen Gepflogenheit, einen Raum multifunktional 135 (also<br />
Ar<strong>bei</strong>ts- bzw. Werkstätte und Wohnraum in einem) zu verwenden, gedeutet werden<br />
kann.<br />
Die Kombination aus Wohn- und Wirtschaftsgebäuden spricht für das Vorliegen<br />
einer „Ordnung des ganzen Hauses, die Herrschaftsbeziehung meint und zugleich<br />
eine wirtschaftliche Gemeinschaft“ darstellt und zu der außer dem engen Familienkreis<br />
– „wenn vorhanden – auch die Gesellen, Knechte, Mägde und anderes Gesinde“<br />
zählten. 136 Auch die Marinellische <strong>Theater</strong>gesellschaft definierte sich über alle<br />
ihre Mitglieder – ein Familienverband, der Ausdruck einer spezifischen Lebenswelt<br />
war und am ehesten als handwerklich-bürgerlich zu identifizieren ist. Die „hervorgehobene<br />
Stellung“ des „Hausvaters“ 137 war die Karl Marinellis, der dem Schauspielerensemble<br />
wie dem Rest des Gesindes 138 in patriarchalischer Weise vorzustehen<br />
pflegte, als Unternehmer die kleine wirtschaftlich-soziale Einheit in erster Instanz<br />
zusammen- aber auch am Funktionieren hielt.<br />
Die Kategorisierung „bürgerlich“ ist nicht nur auf Beschaffenheit und Konstitution<br />
des Unternehmens (Privatbesitz, Ar<strong>bei</strong>tskollektiv und hierarchisch-familiäre Ordnung)<br />
anwendbar, sondern auch bezeichnend für die herrschende Moral im Ensemble,<br />
dem Zeitzeugen Anstand, Manieren sowie geordnete Verhältnisse zusprachen:<br />
„Herr Marinelli, der ein äußerst redlicher und schätzbarer Mann seyn soll, hält<br />
solche Ordnung unter seinem Personale, daß es an Einigkeit, Sittlichkeit, Folgsamkeit,<br />
sowie die Aufführungen selbst an Pünktlichkeit und Ordnung vielen<br />
anderen zum Muster dienen könnte“, 139<br />
lautet ein solches Urteil, das Marinelli und den Mitgliedern seiner Gesellschaft im<br />
sozialen Gefüge der Stadt einen Platz in der Bürgerschicht zugestand. Der Schauspieler<br />
als Zugehöriger der untersten sozialen Schicht und die damit verbundene<br />
135 Vgl. Bernd Roeck: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der frühen Neuzeit. MünMünchen: Oldenburg 1991. (= Enzyklopädie deutscher Geschichte. 9.) S. 18.<br />
136 Ebenda, S. 14.<br />
137 Ebenda.<br />
138 Abgesehen vom Bühnenpersonal waren auch Handlanger, Zettelträger, Zimmerleute, Ma- Maler,<br />
Kassiere, Dekorateure, Maschinisten, Billeteure und Maler am <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong><br />
beschäftigt. Vgl. hierzu den Personalstand in: Wiener <strong>Theater</strong>almanach für das Jahr 1794.<br />
Wien: Kurzbeck 1794, S. 35–37, Wiener <strong>Theater</strong> Almanach 1795. Wien: Camesina 1795,<br />
S. LI–LIII, Wiener <strong>Theater</strong> Almanach für das Jahr 1796. Wien: Camesina 1796, S. XLIII–<br />
XLV, Joachim Perinet [Hrsg.]: Wiener <strong>Theater</strong> Almanach auf das Jahr 1803. Wien: Riedl<br />
1803, S. 146–151, Joachim Perinet [Hrsg.]: Wiener <strong>Theater</strong> Almanach auf das Jahr 1804.<br />
Wien: Riedl 1804, S. 157–162, Joachim Perinet [Hrsg.]: Wiener <strong>Theater</strong> Almanach auf das<br />
Jahr 1806. Wien: Riedl 1806, S. 110–114.<br />
139 Aus: Neuestes Sittengemälde von Wien. Wien: Pichler 1801, S. 13.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Herabwürdigung 140 seines Standes begannen folglich der Vergangenheit anzugehören<br />
(sofern die als pauschal einzustufende Verurteilung der Schauspieler überhaupt<br />
jemals auf die Badner Gesellschaft anwendbar war, was aufgrund der verliehenen<br />
Spielgenehmigung und den Privilegien für die Leopoldstadt von höchster Stelle<br />
recht unwahrscheinlich scheint 141 ).<br />
Wie andere Vorstadttheater 142 geriet auch das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>betrieb zuweilen<br />
in Verruf, in seinem Publikumsraum „leichte Mädchen“ zu beherbergen, was der<br />
Spielstätte nicht alleine die sittliche Disziplin absprechen mag, sondern viel mehr<br />
auf die zusätzliche Funktion als Umschlagplatz des gesellschaftlichen Lebens, in<br />
eben allen seinen Ausprägungen, verweist.<br />
„Wagen wir einmal einen Gang in das Innere des Hauses, so werden wir, abweichend<br />
von dem Gebrauche in andern <strong>Theater</strong>n, die Ecksperrsitze im Parterre<br />
zum großen Theile von weiblichen Wesen besetzt finden, deren häufig dick mit<br />
Schminke belegte Wangen und frech herausfordernde Blicke jedem Besucher,<br />
der eben nicht zu den Blöden zählte, die Ueberzeugung aufdringen mußten,<br />
diese lebendige Garnierung der Bänke bestehe ausschließlich aus ,gefälligen‘<br />
Damen. In dieser Beziehung hatte das in dem Hause herrschende Chair’ oscuro<br />
auch seine volle Berechtigung. Dieses <strong>Theater</strong> brauchte eben eine solche und<br />
keine andere Beleuchtung. Wie hätte auch die stets lauernde Polizei ein Treiben<br />
übersehen sollen, ohne dem Publicum gerade Aergerniß zu geben, wenn sich im<br />
hellerleuchteten Hause die Ecksitze periodisch leerten und nachher wieder füllten,<br />
jenachdem ihre Besitzerinnen in ,Geschäftsangelegenheiten‘ das <strong>Theater</strong><br />
zeitweilig verlassen mußten, um es später wieder zu besuchen. Es gibt Dinge,<br />
die eben kein helles Licht vertragen, und ein solches Ding war das Parterre des<br />
alten <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s bis in die Zwanzigerjahre mit seinen Besuchern<br />
und stereotypen Besucherinnen.“ 143<br />
„<strong>Das</strong> Leopold- und Josephstädter <strong>Theater</strong> ist dem Pöbel, den Huren, und denen<br />
die sie suchen, geweiht; es verdient nicht erst beschrieben zu werden. […]<br />
Um mich zu überzeugen, wie die Huren in Wien ihr Wesen treiben, ging ich<br />
140 Noch Joseph von Sonnenfels quittiert den Schauspielerberuf mit den wenig rühmlichen<br />
Worten, „jeder Vater“ ließe „den Sohn eher ins Zuchthaus sperren […] als Schauspieler<br />
werden“ und „jede Mutter verläugne ihre Tochter […], sobald sie Schauspielerin geworden“.<br />
Joseph von Sonnenfels: Der Mann ohne Vorurtheil. In: J. S.: Gesammelte Schriften. Bd. 3.<br />
Wien: Baumeister 1783, S. 99.<br />
141 In dem Eröffnungsstück Aller Anfang ist schwer aus der Feder Marinellis heißt es: „Marinelli.<br />
Der Schauspielerstand wird durch ein redliches, bürgerliches Betragen schätzbar. Und<br />
dies hat uns den höchsten Schutz, Gnade und Unterstützung der Gönner verschafft.“ Karl<br />
von Marinelli: Aller Anfang ist schwer. Ein Gelegenheitsstück in einem Aufzuge. Bey Eröfnung<br />
des neuerbauten Schauspielhauses in der Leopoldstadt. Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz,<br />
Der Weiland Kasperl, S. 53–73, hier S. 65.<br />
142 Vgl. auch: Johann Kaspar Riesbeck: Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an<br />
seinen Bruder in Paris. Bd. 1. [o. O.]: [o. V.] 1784, S. 231.<br />
143 Seyfried, Rückschau in das <strong>Theater</strong>leben Wiens, S. 50–54.<br />
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ins <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>, und setzte mich zu zwey Mädchen, die mir aus<br />
jener Klasse zu seyn schienen; ich versuchte es auf verschiedene Weise, an sie<br />
zu kommen; wurde aber spröde abgewiesen. Dieß konnte ich nicht enträthseln,<br />
bis sie im zweyten Akt sich entfernten, und die eine mir eine gedruckte Adresse<br />
in die Hand schob, worauf ihr Logis deutlich bemerkt stand. […] Ich erklärte<br />
ihr bald: daß ich nicht der Liebe wegen gekommen sey, sondern daß ich von ihr<br />
nur hören wolle, wie sie und ihres Gleichen in Wien lebten. […] ohne darüber<br />
böse zu werden, […] setzte sie sich auf den Sopha und hub an: […] Oeffentlich<br />
dürfen wir unsere Netze nicht aufstellen, sondern es muß in der Stille und mit<br />
Anstand geschehen; denn wenn wir uns öffentlich zeigten, wie wir sind, so<br />
holte uns die Polizey ab. Sie mein Herr, machten uns Ihre Anforderung viel zu<br />
deutlich im <strong>Theater</strong>, darum eilten wir, daß wir fortkamen, und ich gab Ihnen<br />
meine Addresse. Unsere Fangplätze sind die drey <strong>Theater</strong> an der Wien, in der<br />
Josephs- und Leopoldstadt. In das Kärntner Thor und auf die Burg dürfen wir<br />
nicht kommen; auch dürfen wir überhaupt nicht zu sehr entblößt gehen, weil<br />
wir sonst gewiß von rechtlichen Bürgersleuten beschimpft werden würden.“ 144<br />
<strong>Das</strong>s Freudenmädchen hier häufiger als in den übrigen <strong>Theater</strong>n Wiens auf Kundenfang<br />
gingen, entspricht wohl eher einem parteiischen Geschmacksurteil bis hin<br />
zur Denunziation als der Realität. Vielmehr gehörten sie zum <strong>Theater</strong>alltag, dessen<br />
gesellschaftliche Konzeption, bestehend aus der regelmäßigen Anwesenheit bunt gemischter<br />
Menschenmengen, den geeigneten Rahmen sowie beste Vorrausetzungen<br />
bot, um Kontakte (eben auch moralisch und sittlich verwerfliche) zu knüpfen und<br />
Geschäfte (welcher Art auch immer) anzubahnen. Der <strong>Theater</strong>besuch war der rechte<br />
Vorwand für das „Abschleppen“ von Kundschaft, was, einer echten Doppelmoral<br />
folgend, subtil und ohne Verstöße gegen den Anstand durch „eindeutig-zweideutige<br />
Zeichen“ und keinesfalls offen zu erfolgen hatte, bewegten sich die Prostituierten<br />
doch „in einer sozialen Umwelt, deren Strukturen fundamental von Ehe und Familie<br />
geprägt wurden; die gegenüber jeder Form der Sexualität außerhalb dieser Strukturen<br />
[…] in höchstem Maße intolerant sein konnte“, auf schmalem Grade. 145<br />
144 Wien und Berlin in Parallele. Nebst Bemerkungen auf der Reise von Berlin nach Wien<br />
durch Schlesien über die Felder des Krieges. Ein Seitenstück zu der Schrift: Vertraute<br />
Briefe über die innern Verhältnisse am preußischen Hofe seit dem Tode Friedrichs II. von<br />
F. v. C-n. Amsterdam und Cölln: Hammer 1808, S. 122–124.<br />
145 „Im Wien Maria Th eresias soll es ungeachtet der Aktivitäten der von der Kaiserin einge-<br />
„Im Wien Maria Theresias soll es ungeachtet der Aktivitäten der von der Kaiserin eingesetzten<br />
Keuschheitskommission nicht weniger als 10 000 gewöhnliche und 4000 ,bessere‘<br />
Dirnen gegeben haben.“ Im 18. Jahrhundert ist die Prostitution, die mit den moralischen<br />
Verständnis einer durch die christliche Religion geprägten Gesellschaft nicht zu vereinen,<br />
aber auch nicht auszumerzen war, „ins Halbdunkel gewandert; das mit dem Stadtfähnchen<br />
gekennzeichnete Freudenhaus weicht diskreten Etablissements“ – unauffälligeren Orten,<br />
wie eben dem Publikumsraum eines <strong>Theater</strong>s. Siehe: Sexualität und Marginalisierung.<br />
In: Bernd Roeck: Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der<br />
frühen Neuzeit. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1993. (= Kleine Vandenhoeck-<br />
Reihe. 1568.) S. 119–128.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Auch Räsonierer sprachen der Örtlichkeit <strong>bei</strong> aller Kritik als Nebenerscheinung des<br />
<strong>Theater</strong>besuchs die Stiftung von Sozialkontakten zu:<br />
„Ich bin überzeugt und will es zur Ehre unserer Nation glauben, daß besonders<br />
der denkende Teil der Menschen diesen Schauplatz nicht um der Schauspiele<br />
willen besucht, wovon keines der Aufmerksamkeit würdig ist, er besucht sie wie<br />
einen öffentlichen Gesellschaftsort – um seine Bekannten zu finden.“ 146<br />
Man sah im <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> in zweierlei Hinsicht und wurde gesehen, man<br />
tauschte hier Neuigkeiten aus, betrieb Konversation und vergnügte sich über den<br />
vordergründigen Besuch der Komödie hinaus. <strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> hatte unbestritten neuigkeits-<br />
und gesellschaftsstiftende Funktion, es war Unterhaltungs-Maschinerie im<br />
wahrsten Sinne des Wortes und abendfüllende Beschäftigung.<br />
<strong>Theater</strong>-Praxis: Spielbeginn, Normatage und Eintrittspreise<br />
Schon Joseph von Sonnenfels hielt die Abendstunden für den rechten Zeitpunkt,<br />
das <strong>Theater</strong> zu besuchen; v. a. „die Stunden von 6 bis 10 Uhr“, schrieb er, seien<br />
geeignet, „bey dem Schauspiele hingebracht zu werden“ 147 , eine Begleiterscheinung<br />
der neuzeitlichen Strukturierung des Tages, womit Aktivitäten des Nachmittags auf<br />
den Abend verschoben wurden (noch im ausgehenden Mittelalter begannen <strong>Theater</strong>vorstellungen<br />
in der Regel um ein Uhr Mittags und fanden um sieben Uhr<br />
abends, spätestens aber mit Einbruch der Dunkelheit ein Ende). 148 Die <strong>Theater</strong>zettel<br />
des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s nennen entweder „halb 7 Uhr“ oder „7 Uhr“ als Zeitpunkt<br />
für den Beginn der Vorstellung. 149<br />
Der Spielplan des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s ist in den ersten Jahren noch von dem<br />
von Maria Theresia 1752 erlassenen „Norma-Edikt“ geprägt, welches neben dem<br />
Verbot des Bernardon auch jene 50 Tage (Norma-Tage) benannte, die frei von The-<br />
146 Etwas für Kasperls Gönner, S. 86.<br />
147 Joseph von Sonnenfels: Der Mann ohne Vorurtheil. Eine Wochenschrift. 4 (1766), S. 680.<br />
148 Vgl. Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 63.<br />
149 Vgl. <strong>Theater</strong>zettel des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s in der Wienbibliothek im Rathaus. Bd. 1.<br />
Wien: [o. V.] 1781–1798 (Sig. C 64525).<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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atervorstellungen zu bleiben hatten. 150 1781 kam die Gesellschaft von Oktober (dem<br />
Eröffnungsmonat) bis Jahresende auf ungefähr 57 Spielabende 151 , wo<strong>bei</strong> Allerheiligen,<br />
Allerseelen nicht, jedoch die Adventzeit bis zum 21. Dezember gespielt wurde.<br />
1782 waren es bereits an die 151 Spielabende, eine durch die Sommerpause (die Gesellschaft<br />
weilte von Ende Mai bis Ende September in Baden) und das Spielverbot<br />
während der gesamten Fastenzeit bedingte geringe Anzahl an Abenden. <strong>Das</strong> Jahr<br />
1783 ist erstmals in Bezug auf die gespielten Abende und ihre Zunahme in den noch<br />
kommenden Jahren repräsentativ zu nennen, da auch den Sommer über durchgespielt<br />
wurde – abzüglich der Fastenzeit, diverser (hoher) Kirchenfeiertage 152 , Sterbe-,<br />
Gerburts-, und Namenstage der kaiserlichen Familie 153 zählt das Bühnentagebuch<br />
ca. 236 Spielabende. Erwähnenswert ist auch, dass in diesem Jahr Allerheiligen und<br />
Allerseelen, nach Maria Theresia <strong>bei</strong>des Norma-Tage, zum ersten Mal an dieser Bühne<br />
ein Schauspiel zur Aufführung kam: Marinellis Dom Juan oder Der steinerne Gast.<br />
<strong>Das</strong> Spielen an diesen <strong>bei</strong>den kirchlichen Gedenktagen ist als erstes Indiz für den<br />
stetigen Verlust an Einfluss des kaiserlichen Diktats von 1752 zu werten, die Spieltage<br />
beginnen tendenziell zu steigen, sodass nach und nach immer mehr Abende für<br />
<strong>Theater</strong>aufführungen gewonnen werden. 1787 sind es bereits 323 Spieltage, da in<br />
der Fastenzeit über auf Geheiß Josefs II. mit Ausnahme von Mittwoch, Freitag und<br />
150 „Norma Tage waren: 1) Die Adventszeit, vom 12. Dezember inklusive anzufangen, 2) die<br />
ganzen Fasten, 3) die Betwoche [auch Bitttage; christliche Gebets- und Prozessionstage<br />
vor dem Fest Christi Himmelfahrt], 4) das Fest der Dreifaltigkeit, 5) die Frauenfeste [alle<br />
Marienfeste] und deren Vorabende, auch wenn sie keine kirchlichen Festtage waren, 6) die<br />
Fronleichnamsoktav, 7) Quatembern, 8) die Allerheiligen und deren Vorabende, 9) Allerseelen,<br />
10) Christi Himmelfahrt, 11) Heilige Drei Könige, 12) 1. Oktober und 4. Novembern<br />
(Geburts- und Namenstag Karls VI.), 28. August und 18. November (Geburts- und<br />
Namenstag von Elisabeth Christina), 19. und 20. Oktober (Jahresgedächtnis von Karl VI.),<br />
15) nach Weihnachts- und Osterzeit, sowie Pfingsten durfte jedesmal erst am folgenden<br />
Mittwoch oder Donnerstag mit dem Spiel begonnen werden. – <strong>Das</strong> vor dieser Verordnung<br />
auf 260 Spieltage anberaumte <strong>Theater</strong>jahr wurde damit auf 210 Spieltage reduziert, was zugleich<br />
einer drastischen Reduzierung der möglichen Einnahmen gleichkam.“ Aus: Haider-<br />
Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 454.<br />
151 Zu deren Anzahl vgl. Müller, Tagebuch, S. 6 –298.<br />
152 Am <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> eingehaltene Norma-Tage anlässlich von Kirchenfeiertagen<br />
sind etwa: bis 1783 Allerheiligen und Allerseelen, bis 1787 die gesamte Fastenzeit (Aschermittwoch<br />
bis einschließlich Ostersonntag), dann bis 1793 in der Fastenzeit jeder Mittwoch,<br />
Freitag und Samstag und danach nur mehr der Aschermittwoch und die 10 Tage<br />
von Palmsamstag bis Ostersonntag, das Pfingstwochenende bzw. ab 1786 nur mehr der<br />
Pfingstsonntag, Fronleichnam, die Weihnachtsfeiertage (meist von 22. bis 25. Dezember)<br />
und die Marienfeiertage (8. September Mariä Geburt etc.).<br />
153 Exemplarisch seien genannt: sämtliche Trauerzeiten anlässlich des Todes von Angehörigen<br />
des Herrscherhauses, jährlich die Sterbetage von Maria Theresia (28./29. November), Maria<br />
Josepha (15. Oktober; d. i. eine Tochter Maria Theresias; † 1767), Josef II. (20. Februar),<br />
Kaiser Franz I. (18. August) und Leopold II. (1. März) etc.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Samstag bzw. Sonntag 154 Schauspiele inszeniert werden durften, ab 1793 spielt man<br />
in der Fastenzeit an allen Tagen außer an Palmsamstag und -sonntag, der Karwoche,<br />
sowie dem Osterwochenende, was die Anzahl der Spieltage auf 340 erhöht, eine<br />
Zahl, die bis 1806 annähernd konstant bleibt. Einbrüche stellen nur das Jahr 1790<br />
(296 Spieltage) und 1792 (290 Spieltage) dar, die Todesjahre von Kaiser Josef II. und<br />
Kaiser Leopold II., in denen mehrwöchige Trauerzeiten ausgerufen wurden, die mit<br />
Aufführungsverboten einhergingen und infolge für die Schauspielunternehmer arge<br />
finanziellen Einbußen bedeuteten. Marinelli, der im Februar seiner Gesellschaft alljährlich<br />
die doppelte Gage gab 155 , vermutlich um seinem Ensemble so finanziell über<br />
die spielfreie Fastenzeit zu helfen, zahlte auch während der Trauerzeiten die vollen<br />
Gagen der Mitar<strong>bei</strong>ter weiter. 156 Galt nach dem Erlass des „Norma-Edikts“ noch<br />
an 155 Tagen im Jahr Spielverbot, waren es um 1806 nur mehr durchschnittlich<br />
25 Tage, an denen sich der Vorhang der <strong>Leopoldstädter</strong> Bühne nicht hob.<br />
Im Eröffnungsjahr 1781 verlautete der <strong>Theater</strong>zettel des zweiten Spielabends (gegeben<br />
wurden die gleichen Stücke wie am Tag der Eröffnung: Aller Anfang ist schwer<br />
und Der Wittwer mit seinen Töchtern, oder Mädln wollen Männer) die folgenden<br />
nach der jeweiligen Sitzkategorie abgestuften Eintrittspreise:<br />
„Eine große Loge, worein acht Personen gelassen werden, kostet täglich 5 fl. /<br />
Eine kleine Loge worein vier Personen 2 fl 30 kr. / Auf dem ersten Parterre,<br />
und ersten Gallerie bezahlt die Person 34 kr. 157 / Auf dem zweyten Parterre, und<br />
zweyten Gallerie 17 kr. / Im dritten Stockwerk 7 kr. […]“. 158<br />
Die preisliche Abstufung der Areale des Zuschauerraumes stellte sich in der Mitte<br />
des 18. Jahrhunderts aufgrund des aufkeimenden Interesses von Adel und Hof an<br />
den „Produktionen Fahrender“ ein, was eine örtliche „Abgrenzung der Stände“ nach<br />
sich zog, um die gesellschaftlichen Unterschiede wie die Etikette während den Vorstellungen<br />
zu wahren. 159 Auch das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> wies, wie die <strong>Theater</strong>zettel<br />
zeigen, eine räumliche Strukturierung des Publikumsraumes auf, anhand derer der<br />
154 Müller nennt zwar den Sonntag als Norma-Tag, im Bühnentagebuch ist aber immer am<br />
Samstag ein „nichts“ anstatt einer Vorstellung eingetragen. Vgl. Müller, Tagebuch, S. 56–<br />
57.<br />
155 „Den ersten Freytag nach Aschermittwoch bekam die ganze Gesellschaft jedes Jahr ohne<br />
ausnahme [!] doppelte Gage von H. Marinelli“. Ebenda, S. 57.<br />
156 Vgl. ebenda, S. 92 und S. 116.<br />
157 „[…] die damals kursirenden Viertelkronen, welche 34 kr galten“ wurden „allgemein Kas- Kasperln“<br />
genannt „und zwar darum, weil auch der Eintrittspreis in das Parterre des <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong>s auf 34 kr. festgesetzt war“ Aus: Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1,<br />
S. 257.<br />
158 Vgl. <strong>Theater</strong>zettel vom 21. Oktober 1781. In: <strong>Theater</strong>zettel des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s in<br />
der Wienbibliothek im Rathaus. Bd. 1. Wien: [o. V.] 1781–1798 (Sig. C 64525).<br />
159 Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 136.<br />
53
54<br />
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
gesellschaftliche Status bzw. das Vermögen der dort Platz Nehmenden ablesbar waren.<br />
Ein Logenplatz kostete mit knapp 63 Kreuzern fast doppelt soviel wie ein Platz<br />
am ersten Parterre bzw. der ersten Galerie – eine preisliche Nuancierung, <strong>bei</strong> der sich<br />
die Frage nach der selektiven Wirkung erübrigt.<br />
Dreierlei Dinge sind es, die im Zusammenhang mit den Eintrittspreisen dieses <strong>Theater</strong>s<br />
bemerkenswert erscheinen: Erstens verfügte schon der alte Spielort der Badner<br />
Gesellschaft in der Leopoldstadt, der Czerninsche Saal, über verschiedene Sitzkategorien,<br />
zweitens zeigen die <strong>Theater</strong>zettel, die die Preise dieser Sitzkategorien nennen,<br />
dass mit der Eröffnung des stehenden <strong>Theater</strong>s keine Teuerung vorgenommen<br />
wurde, d. h. die Gesellschaft spielte immer noch um annähernd den selben Preis,<br />
wie sie es 1766 160 in der Kurstadt Baden und 1769 161 und 1780 162 im Czernischen<br />
Gartenpalais getan hatte. Drittens erfolgte auch nach 1781 – trotz des regen Zulaufes<br />
und des anhaltenden Erfolgs – bis zur Pachtübernahme durch Karl Friedrich<br />
Hensler im Jahr 1803 keine Preiserhöhung der <strong>Theater</strong>-Billets. Hensler informierte<br />
das Publikum über die preisliche Neuerung schließlich in einer eigens dafür verfassten<br />
Nachricht, die gegenüber 1781 leicht veränderte Kategorien aufweist:<br />
„Meine Ausgaben, die sich seit der Pachtung durch jede Rubrik meiner theatralischen<br />
Bedürfnisse so sehr vermehrt haben, nöthigen mich von dem heutigen<br />
Tage an das Entree um einen geringen Preiß zu erhöhen. Ich bin von der Billigkeitsliebe<br />
des verehrungswürdigen Publikums überzeugt, daß mir Niemand<br />
diese geringe Preißerhöhung verargen wird, indem ich bereits schon durch die<br />
Reinlichkeit des äusseren Schausplatzes sowohl als auch durch innere Einrichtung<br />
der Bühne und Dekorationen dafür gesorgt habe, das gnädige und verehrungswürdige<br />
Publikum nach Würde zu unterhalten. […] Preise der Plätze:<br />
Eine Loge kostet 3 fl. / Ein gesperrter Sitz[ 163 ] auf dem ersten Parterre und<br />
der ersten Gallerie 48 kr. / Erstes Parterre und erste Gallerie 36 kr. / Zweytes<br />
160 „Der Schauplatz ist bekannt. <strong>Das</strong> Leeggeld ist auf den ersten Partere 34 Kr. Auf den zwey- zweyten<br />
17 Kr. Auf den letzten Platz 7 Kr.“. <strong>Theater</strong>zettel der Badner Gesellschaft. In: Schindler,<br />
<strong>Theater</strong>geschichte von Baden <strong>bei</strong> Wien, S. 292.<br />
161 „Auf dem ersten Parterre, und auf der ersten Gallerie bezahlt die Person 34 kr. Auf dem<br />
zweytern Parterre 17 kr. Auf der zweyten Gallerie 7 kr.“. <strong>Theater</strong>zettel der Badner Gesellschaft.<br />
In: Ebenda, S. 308.<br />
162 „Eine Loge, in welche vier Personen eingelassen werden, kostet täglich 2 fl. Auf dem ersten<br />
Parterre und Gallerie bezahlet die Person 34 kr. Auf dem zweyten Parterre und Gallerie<br />
17 kr. Im dritten Platz 7 kr.“. <strong>Theater</strong>zettel der Badner Gesellschaft. In: Schindler, <strong>Theater</strong>geschichte<br />
von Baden <strong>bei</strong> Wien, S. 312.<br />
163 Eine Sitzkategorie, die im Eröffnungsjahr 1781 noch nicht berücksichtigt wurde, auf einem<br />
<strong>Theater</strong>zettel vom 27. Dezember 1803 allerdings schon erwähnt wird: „die Logen und gesperrten<br />
Sitze“ sind „nicht allein im <strong>Theater</strong>hause in der Leopoldstadt, sondern auch in der<br />
Stadt im Kaffeehause […] auf dem Peters-Platz Nro. 603“ zu bestellen. <strong>Theater</strong>zettel des<br />
<strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s. In: <strong>Theater</strong>zettel des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s in der Wienbibliothek<br />
im Rathaus. Bd. 1. Wien: [o. V.] 1781–1798 (Sig. C 64525).
Jennyfer Großauer-Zöbinger: <strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> (1781–1806)<br />
Parterre und zweyte Gallerie 20 kr. / Dritte Gallerie 10 kr. / Karl Friedrich<br />
Hensler. Pächter und Directeur des k. k. priv. <strong>Theater</strong>s in der Leopoldstadt.“ 164<br />
Beim Vergleich der Entree-Gelder des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s mit denen der Hoftheater<br />
zeigt sich, dass im Burgtheater bereits 1763 kein Platz um 7 Kreuzer zu<br />
haben war. Hier logierte die (aristokratische) Ober- und Mittelschicht unter Einbeziehung<br />
des Hauspersonals – das vermutlich auf die billigsten Ränge im vierten<br />
Stock befohlen war, wo das Billet 17 Kreuzer kostete. <strong>Das</strong> Kärntnertortheater, Unterhaltungsstätte<br />
des Bürgertums, schrieb Karten der günstigsten Kategorie <strong>bei</strong> den<br />
italienischen Komödianten mit 17 Kreuzern aus; für 7 Kreuzer erhielt man lediglich<br />
einen Platz im vierten Stock <strong>bei</strong> den deutschen Komödianten, was den Schluss<br />
nahe legt, dass die deutsche Komödie von jeher für das wenigste Geld und somit<br />
für die einkommensschwachen Schichten zu sehen waren. 165 Ebenso günstig waren<br />
die „Kreuzerkomödien“, laut Perinet „der Sammelplatz von Zottenreißern und<br />
Schweinigeln“ und damit ein erwähnenswertes soziales „Aergerniß“, <strong>bei</strong> denen um<br />
7 Kreuzer ein Sitz im „Parterre noble“ erstanden werden konnte („Siebnerplatz“).<br />
Zielgruppe waren v. a. „Kinder, Mägde“ und der „Kaufmannsdieneradel“ 166 – also<br />
zumeist deutschsprachiges Publikum aus den unteren Schichten. Auch in den Komödienhütten<br />
am Graben (wo vermutlich ebenso Kreuzerkomödien gespielt wurden)<br />
zahlte man 1793 7 Kreuzer fürs „Parterre noble“ 167 , gleich viel wie 1769–1803<br />
für die billigste Kategorie in der Leopoldstadt.<br />
Schon wegen des Preisgefälles von den Hoftheatern über die Vorstadttheater zu den<br />
Komödienhütten scheint die den <strong>Theater</strong>besuchern zugesprochene freie Wahl von<br />
Spielstätte und Art der Unterhaltung reine Illusion zu sein.<br />
164 Nachricht. In: Ebenda.<br />
165 Vgl. hierzu: Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 138 –139.<br />
166 Joachim Perinet: 29 Aergernisse. Wien: Torricella 1786, S. 32–33.<br />
167 Blümmel und Gugitz, Thespiskarren, S. 319.<br />
55
56<br />
Kasperls komisches Habit<br />
Zur komischen Gestalt und zur Gestaltung der Komik in Erfolgsstücken<br />
des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s um 1800<br />
Von Andrea Brandner-Kapfer 1<br />
Johann Josef La Roche 2 (1745–1806)<br />
Biografische Voraussetzungen<br />
Für den 1. April des Jahres 1745 verzeichnen die Taufmatrikel des Pressburger Martinsdomes<br />
die Taufe des Knaben, der später als Schauspieler die Charge des Kasperl<br />
übernehmen sollte und dieser Gestalt „feste Umrisse gab und sie zu einem Typus<br />
machte, so daß [… er] dann zum Kasperl überhaupt wurde“ 3 , und um den<br />
„zu sehen, zu hören, zu bewundern, zu belachen, zu beklatschen, täglich hundert<br />
rollende Kutschen und mehrere hundert schnaubende Fußgänger zum Roten<br />
Turm hinausjagen, um sich die Grillen des Tages von der Stirne zu scheuchen<br />
und zum frohen Abendmahl Stoff zum Gespräch zu holen.“ 4<br />
1 In: Andrea Brandner-Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger und Beatrix Müller-Kampel:<br />
Kasperl-La Roche. Seine Kunst, seine Komik und das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>. Graz: Li-<br />
TheS 2010. (= <strong>LiTheS</strong>. Zeitschrift für Literatur- und <strong>Theater</strong>soziologie. Sonderband 1.)<br />
S. 56–104.<br />
2 Für die Biografie wurden herangezogen: La Roche. In: Constant von Wurzbach: Biographisches<br />
Lexikon des Kaisertums Österreich, Bd. 14. Wien: Verlag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei,<br />
S. 161–163. Otto G. Schindler und Christian Fastl: La Roche (Laroche), Familie.<br />
In: Österreichisches Musiklexikon. Kommission für Musikforschung. Wien: Verlag<br />
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2002. Online: http://epub.oeaw.ac.at/<br />
ml/musik_L/La_Roche_Familie_2.xml [Stand 2009-06-15]. Marlena Zahubień: Joachim<br />
Perinet, Schauspieler und <strong>Theater</strong>schriftsteller. Edition und Studie. Graz, Univ., Mag.-Arb.<br />
2008. Gustav Gugitz: Der Weiland Kasperl (Johann La Roche). Ein Beitrag zur <strong>Theater</strong>-<br />
und Sittengeschichte Alt-Wiens. Wien, Prag und Leipzig: Strache 1920. Otto Rommel:<br />
Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte vom barocken Welttheater bis zum Tode<br />
Nestroys. Wien: Schroll 1952. Ignaz Franz Castelli: Memoiren meines Lebens. Gefundenes<br />
und Erfundenes. Erlebtes und Erstrebtes. Mit einer Einleitung und Anmerkungen neu hrsg.<br />
von Josef Bindtner. Bd. 1 und Bd. 2. München: Müller [o. J.] (= Denkwürdigkeiten aus<br />
Alt-Österreich. 9.). Josef Kürschner: Laroche. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 17.<br />
Leipzig: Duncker & Humblot 1883, S. 717.<br />
3 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 429.<br />
4 Johann Pezzl: Skizze von Wien. Ein Kultur- und Sittenbild aus der josefinischen Zeit. Hrsg.<br />
von Gustav Gugitz und Anton Schlossar. Graz: Leykam 1923, S. 320.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Viel ist aus seiner Jugendzeit nicht bekannt, geboren wird La Roche in Bratislava<br />
(Poszony, Pressburg) 5 als Sohn eines Lakaien im Dienste des Grafen Nádasdy 6 und<br />
man weiß, dass er wohl den Beruf eines Barbiers ausübte, doch seine Ausbildung<br />
und auch seine Wanderjahre bleiben im Dunkeln. 1764 befindet sich La Roche<br />
in Graz. Hier tritt der knapp 20-jährige erstmals als Sänger und Schauspieler in<br />
Erscheinung. Zumindest vier Jahre lang ist La Roche Mitglied der Brunianschen<br />
Gesellschaft 7 , eventuell war er schon zuvor im Engagement <strong>bei</strong> Brunian und begleitete<br />
dessen Truppe von Prag nach Graz, hier verkörperte er Bediente, Hausknechte<br />
und vor allem den Kasperl, 8 den er später „als theatralische Großmacht“ 9 etablieren<br />
sollte.<br />
Als Matthias Menninger 1768 mit seiner Truppe in Graz gastiert, übernimmt dieser<br />
La Roche in seine Gesellschaft, 10 ein Entschluss, der vermutlich durch den Abgang<br />
5 Über seine Herkunft bzw. seine Abstammung berichtet La Roche in späterer Zeit auf der<br />
Bühne: „Mein Großvater ein Franzose, mein Vater ein Schwabe, meine Mutter eine Österreicherin,<br />
ich ein halber Wiener und ein geborener Preßburger“. Karl von Marinelli: Der<br />
Anfang muß empfehlen. Ein Vorspiel in einem Aufzuge. Bey Eröffnung der Schaubühne in<br />
der Leopoldstadt, von den Unternehmern Menninger, und Marinelli. Wien: Schulz [1777].<br />
In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 38–39.<br />
6 Vgl. den Eintrag in das Taufbuch von St. Martin in Pressburg. Zit. nach Gugitz, Der Weiland<br />
Kasperl, S. 288.<br />
7 Geleitet von Johann Josef Brunian (1733–1781), der auch in Brünn und Prag spielte und<br />
selbst die Rolle des Burlin übernahm. In der Steiermark trat die Bruniansche Gesellschaft<br />
am Grazer Tummelplatz und in verschiedenen Schlosstheatern auf. Möglicherweise stand<br />
La Roche schon zuvor im Engagement der Brunianschen Gesellschaft und gelangte in diesem<br />
Verband nach Graz; ein Eintrag in Müllers Theatral-Neuigkeiten lässt dies vermuten,<br />
da unmittelbar nach Ankündigung der Gesellschaft („Nach Hrn Moser kam Hr. von Brunian<br />
ohngefehr im Jahr 1764 mit seiner starken und geschickten Gesellschaft von Prag auf<br />
Gräz“) La Roche als Mitglied der in Graz spielenden Truppe genannt wird. Vgl. Johann<br />
Heinrich Friedrich Müller: Theatral-Neuigkeiten. Nebst einem Lustspiele und der dazu<br />
gehörigen Musik, wie auch die in Kupfer gestochenen Vorstellungen, des <strong>Theater</strong>s. Wien:<br />
Ghelen 1773, S. 191–192.<br />
8 Vgl. Müller: Theatral-Neuigkeiten, S. 193. Müller äußert sich geradezu euphorisch über<br />
die Darstellungskunst der Mitglieder der Brunianischen Gesellschaft: „Sein <strong>Theater</strong> war<br />
glänzend, seine Schauspieler gut, seine Kleider prächtig und seine Ballette einnehmend. Er<br />
versäumte nicht, so gar mit seinem eigenen Schaden, das Publikum zu vergnügen. Unter<br />
ihm sahe man seit des Mingotti Zeiten, die ersten großen, doch viel bessere Ballette, wieder.<br />
Regelmäßige Stücke der Inn- und Ausländer, Operetten und sparsam abwechselnde Burlesquen,<br />
machten seine Schaubühne zu einem Garten für jeden.“ Ebenda, S. 192.<br />
9 Gerhard Ebert: Der Schauspieler. Geschichte eines Berufes. Ein Abriß. Berlin: Henschel<br />
1991, S. 205.<br />
10 Im Rahmen der Festvorstellung (Cornelius von Ayrenhoff: Trajan und Aurel oder Wettstreit<br />
zwischen Liebe und Gerechtigkeit), die Menninger im Oktober (anlässlich des Namenstages<br />
Maria Theresias) ankündigte, wurde als Beschluss – so es die Zeit erlaube – der „Casperle<br />
mit einem lustigen Nachspiel“ am <strong>Theater</strong>zettel avisiert. Vgl. Kasperl erstmals erwähnt. In:<br />
Landeschronik Steiermark. Hrsg. von Walter Zitzenbacher. Wien, München: Brandstätter<br />
1988, S. 179.<br />
57
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
58<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
Brunians „wegen Überschuldung“ 11 nach Prag unterstützt wurde und der absolut<br />
entscheidend die Entwicklung des Wiener <strong>Theater</strong>lebens beeinflussen sollte. Doch<br />
zunächst verbleibt die Gesellschaft in Baden, hier in der südlich von Wien gelegenen<br />
Kurstadt reüssiert La Roche als Kasperl. Bereits seit 1767 spielte die Menningersche<br />
Gesellschaft sommers in Baden, im Winter reiste die Truppe nach Pressburg<br />
(1765–1767 sowie 1772/73), Pest (1770/71 und 1774/75) und schon zuvor, nämlich<br />
1768/69 hatte Menninger „den weitesten Vorstoß unternommen, nach Graz, wo das<br />
Engagement Kasperls gelang“ 12 . Einem anonymen Broschürenautor 13 zufolge trat<br />
La Roche während des Interims von Graz nach Wien auch am Wiener Kärntnertortheater<br />
auf, und zwar als Tänzer:<br />
„Dies geschah und La Roche schuf für die Bühne einen neuen Charakter. –<br />
Denn er war der erste Kasperl. Kaspars witzige Einfälle ließen bald die niedrigsten<br />
Späße der Bernardons und Hanswurste vergessen; er kam von da unter<br />
Noverres Zeiten nach Wien, spielte im Kärntnertortheater in den Balletts; ging<br />
von da nach Baden zu der Direktion der Herren Menninger und Marinelli;<br />
kam mit letzterem wieder nach Wien; spielte im Czerninischen Garten bis zur<br />
Erbauung der jetzigen Leopoldstädtischen Bühne; und es bleibt erwiesene Tatsache,<br />
daß er den Grundstein zum Wohlstande des letztern legte.“ 14<br />
Gugitz beruft sich auf den Hauskomponisten des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s Wenzel<br />
Müller, der anlässlich des Todes von La Roche in seinem <strong>Theater</strong>-Tagebuch von<br />
einem mehr als 40-jährigen Engagement des Kasperl-Darstellers auf der <strong>Leopoldstädter</strong><br />
Bühne spricht 15 , und wähnt in der Verpflichtung am Kärntnertor einen<br />
„vorübergehende[n] Versuch“ oder gar ein „Mißverständnis“ 16 – auszuschließen ist<br />
ein Gastspiel jedoch nicht, zumal auch Müller in seiner Chronik vor Pauschalierungen<br />
nicht gefeit war. Bekannt ist, dass der in Wien tätige <strong>Theater</strong>pächter Giuseppe<br />
11 Schindler und Fastl, La Roche (Laroche), Online.<br />
12 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 414.<br />
13 La Roches erster – namentlich nicht fassbarer – Biograf, veröffentlichte unter dem Titel<br />
Gedrängter Auszug aus dem Leben des verstorbenen Johann La Roche, sogenannten Kasperls<br />
die erste Vita La Roches. Diese ist dem ersten der Totengespräche La Roches als Prolog<br />
<strong>bei</strong>gefügt. Vgl. La Roche’s Todtenfeyer, oder des sogenannten Kasperls Gespräch am jenseitigen<br />
Ufer des Styx mit dem Schatten einer seiner Directeure. In Knittelversen. Vorher ein<br />
gedrängter Auszug aus seinem Leben. Wien: Rehm 1806. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl,<br />
S. 111–115. Schon Joachim Perinet bemängelte an dieser ersten Biografie deren Fehlerhaftigkeit.<br />
Vgl. Gugitz, ebenda, S. 282.<br />
14 Gedrängter Auszug aus dem Leben des verstorbenen Johann La Roche, sogenannten Kasperls.<br />
In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 112.<br />
15 Vgl. Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 337.<br />
16 Ebenda, S. 243.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
d’Affligio 17 versuchte, „das zaghaft aufblühende regelmäßige Stück zu knicken“ 18<br />
und dazu unter anderem Menninger mit dessen Truppe zu engagieren. 19 Obschon<br />
es d’Affligio nicht gelang, die Truppe Menningers und mit ihr La Roche an das<br />
Kärntnertortheater zu binden, wurde die Schau- und Lachlust des Wiener Publikums<br />
durch den Auftritt einer neugeprägten lustigen Figur befriedigt. Seit dem<br />
Winter 1777 trat La Roche in Menningers Truppe in der Leopoldstadt (zu diesem<br />
Zeitpunkt noch eine Vorstadt Wiens), und zwar im Czerninischen (auch „Wimmerischen“)<br />
Saal auf (in Baden agierte die Gesellschaft nach wie vor bis 1783 während<br />
der Sommermonate). Ein <strong>Theater</strong>zettel sucht ein durchaus gemischtes Publikum in<br />
die Komödie zu locken:<br />
„Avertissement: ‚Auf Verordnung einer k. k. privilegirten deutschen Theatraldirection<br />
wird Herr Meninger mit seiner bekannten baadnerischen Schauspielergesellschaft<br />
den sämmtlichen Gönnern mit ausgesuchten lustigen Komödien<br />
auf einige Zeit eine Unterhaltung zu machen suchen. Kosten, Müh, und Fleiß<br />
sind nicht gesparet worden, den Schauplatz, und die Bühne, bequem, und ordentlich<br />
auszu zieren, damit sowol der Adel, als das Publikum in Ansehung der<br />
Gemächlichkeit bestens bedienet werden kann. Sonntag den 15. Weinmonats,<br />
wird zum Erstenmal ein Lustspiel aufgeführet werden. Der Schauplatz ist in<br />
der Leopoldstadt unweit der Jägerzeil im Wimmerischen, oder sogenannten<br />
Zserninischen Saal.‘“ 20<br />
17 Giuseppe d’Affligio (d’Afflisio, Afflissio) (16. März 1722–23. Juni 1788), <strong>Theater</strong>pächter<br />
und Reisender. Seine Reisen führten ihn seit Anfang der 1740er Jahre durch italienische<br />
und französische Städte, nach Dresden und Innsbruck, München, Paris und London. Um<br />
1750/51 gelangte er erstmals nach Wien, 1756 und 1760/61 zwei weitere Male, ehe er im<br />
Mai 1767 hier einen Vertrag unterzeichnete, durch den ihm die Pacht des Wiener Burgtheaters<br />
und des Kärntnertortheaters für zehn Jahre zugesprochen wurde. Schon 1769 musste er,<br />
der ausgesprochen schlecht wirtschaftete, Teilhaber und Investoren aufnehmen (Christoph<br />
Willibald Gluck, Philipp Jacob Baron Bender und Franz Lopresti). 1770 trat er schließlich<br />
alle <strong>Theater</strong>vollmachten an Johann Nepomuk Graf von Koháry ab, verließ Wien und wandte<br />
sich in den Süden. 1778 wurde d’Affligio wegen Finanzbetrugs in Bologna zu lebenslanger<br />
Strafar<strong>bei</strong>t verurteilt.<br />
18 Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 244.<br />
19 Die Gründe dafür sind wohl finanzieller Natur. Auch versuchte d’Affligio im selben Jahr<br />
aus einem Neuengagement des gealterten Komödianten und ehemaligen Bühnengröße des<br />
Kärntnertortheaters Johann Joseph Felix von Kurz (1717–1784) Kapital zu schlagen, doch<br />
der Plan scheiterte ebenso wie der Versuch, Menninger bzw. La Roche an das Kärntnertortheater<br />
zu binden. Vgl. Andrea Brandner-Kapfer: Johann Joseph Felix von Kurz – Lebens-<br />
und Werkchronik. In: A. B.-K.: Johann Joseph Felix von Kurz. <strong>Das</strong> Komödienwerk.<br />
Historisch-Kritische Edition. Graz, Univ., Diss. 2007, S. 785, Anm.1 und Hilde Haider-<br />
Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des<br />
Berufstheaters im 18. Jahrhundert. München: Jugend und Volk 1980, S. 495, Anm. 239.<br />
20 <strong>Theater</strong>zettel des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s a. d. Jahr 1769. Zit. nach Franz Hadamowsky:<br />
<strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> in der Wiener Leopoldstadt 1781–1860. Bibliotheks- und Archivbestände in<br />
der <strong>Theater</strong>sammlung der Nationalbibliothek Wien. Mit der Einleitung: Die <strong>Theater</strong>sammlung<br />
der Nationalbibliothek in den Jahren 1922–1932 von Joseph Gregor. Wien: Höfels<br />
1934. (= Katalog der <strong>Theater</strong>sammlung der Nationalbibliothek. 3.) S. 43.<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
Die Menningersche Gesellschaft konnte sofort unglaubliche Erfolge verbuchen<br />
und La Roche füllte die Leere, die der Abgang des Johann Joseph<br />
Felix von Kurz (1717–1784, Rolle des Bernardon) bzw. der Tod Gottfried Prehausers<br />
(1699–1769, Rolle des Hanswurst) in Wien hinterlassen hatten. Wie sehr die Tradition<br />
die Anfänge der Menningerschen Truppe bestimmte, beweist exemplarisch<br />
ein <strong>Theater</strong>zettel, der (nach ihrem anderen Schauplatz bezeichneten) Badner Gesellschaft<br />
mit La Roches Auftritt in der Leopoldstadt:<br />
„Ein auf die Person des Casperle eingerichtetes Lustspiel unter dem Titel: Casperle<br />
der unschuldige Missethäter, oder der falsche und ungegründete Verdacht,<br />
mit Hanswurst, dem geschickten Narrenfopper und groben Postenträger nebst<br />
Colombine und Isabelle, den ungleichen Freundinnen der Mannspersonen.<br />
NB. Casperle wird diesen Charakter nach lebhafter Natur spielen.“ 21<br />
Seit 1761 gehört der Truppe, die, dem harten Urteil Rommels zufolge, „außer Laroche-Kasperl<br />
keine einzige Persönlichkeit von Rang“ 22 aufweisen kann, auch Karl<br />
Marinelli an. Dieser wird 1777 zum Kompagnon Menningers und zur wirtschaftlich<br />
geschickt agierenden und treibenden Kraft der Gesellschaft, die zu diesem<br />
Zeitpunkt noch aus relativ wenigen, überwiegend familiär verbundenen Personen<br />
besteht. 23 Marinelli verdankt das Wiener Publikum nicht nur die Förderung und<br />
Weiterentwicklung alter Burlesken, Singspiele und Komödien, ihm verdankt es<br />
auch die Schaffung einer neuen Spielstätte für all die genannten Genres und der<br />
sich schlussendlich entwickelnden Kasperliade: am 4. November 1780 ergeht das<br />
Gesuch Marinellis, in der Leopoldstadt ein ordentliches, mit den kaiserlich-königlichen<br />
Privilegien versehenes Schauspielhaus errichten zu dürfen; am 20. Oktober<br />
1781 wird das neue <strong>Theater</strong> in der Leopoldstadt (das „Kasperltheater“) eröffnet, und<br />
es dauert nicht lange, bis Kasperl zur tragenden Figur der Bühne wird, die auch<br />
schnell den Spielplan prägt – Wurzbach erklärt, La Roche wäre gar „meteorartig in<br />
den Vordergrund“ 24 getreten. La Roche betritt in jedem Monat etwa fünfzehnmal<br />
als Kasperl die Bühne und beherrscht diese fortan für viele Jahre. Ungeachtet der<br />
21 <strong>Theater</strong>zettel vom 25. Oktober 1769. Zit. nach Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 244–245.<br />
22 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 416.<br />
23 Vgl. dazu die Kurzbiographien: Biographische Skizzen der Angehörigen des <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong>betriebes (Mäzene des Kasperls). Zusammengestellt von Andrea Brandner-Kapfer.<br />
In: FWF-Projekt Nr. P20468 (15. Jänner 2008–14. Juli 2009): Mäzene des Kasperls<br />
Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s. Kritische<br />
Edition und literatursoziologische Verortung (2008/09). Mitar<strong>bei</strong>terinnen: Andrea<br />
Brandner-Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger; Leitung: Beatrix Müller-Kampel. I. d. F.<br />
zitiert als Mäzene des Kasperls. Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/maezene_startseite.html<br />
[Stand 2009], hier: http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/maezene_kurzbio.pdf<br />
[Stand 2009].<br />
24 Constant von Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich. Bd. 14.<br />
Wien: Verlag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei Biographisches Lexikon des Kaisertums<br />
Österreich 1865, S. 161.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
anderen Komiker, die ihr Glück als Kasperl versuchen 25 , die aber tatsächlich nicht<br />
in der Lage waren, La Roches Ausdrucksweise zu erreichen, gelang es La Roche, sich<br />
förmlich in die erste Reihe der Wiener Vorstadtkomiker „zu spielen“. 26 Erst als das<br />
Singspiel in Mode gerät, können auch andere Komiker (etwa Anton und Friedrich<br />
Baumann, Johann Sartory und Anton Hasenhut) an die Erfolge Kasperls anschließen,<br />
da der „stimmlich schlecht ausgerüstete[...]“ 27 La Roche in dieser Hinsicht auf<br />
seine komischen Partner angewiesen ist.<br />
Auch als Schriftsteller versucht sich La Roche. Er<br />
„schrieb auch und zwar gewöhnlich die Stücke für seine Einnahmen. <strong>Das</strong> waren<br />
dann immer förmliche <strong>Theater</strong>ereignisse; acht Tage zuvor wurden die Logen<br />
bestellt, und am Tage der Vorstellung drängte sich das Publicum in Haufen<br />
vor dem Schau spielhause. Alles wollte an diesem Tage dem Mann, der es das<br />
ganze Jahr mit seiner grotesken Laune ergötzt hatte, sein Schärflein <strong>bei</strong>tragen.<br />
Die Gegengabe, welche dem Publicum Kasperl mit seinem Stücke dargebracht,<br />
war aber eine dramatische Unge heuerlichkeit, die jedoch immer um so wirksamer<br />
war, von je kolossalerem Unsinn sie strotzte.“ 28<br />
Diese Benefizstücke, die der Chronist Pezzl als „für seine Person zwar passend, im<br />
ganzen aber höchst elend“ 29 bezeichnet und der <strong>Theater</strong>dichter Adolph Bäuerle als<br />
„selbst komponierte Faxen“ 30 abtut, wurden nicht gedruckt und sind zum gegenwärtigen<br />
Zeitpunkt auch als Manuskript in den Bibliotheken nicht auffindbar. Eben<br />
so wenig gibt es aufschlussreiche Zeugnisse über La Roches Gastspiel in Graz, der<br />
Stadt seiner ersten Erfolge, welches er mutmaßlich im Jahr 1800 absolvierte. 31<br />
25 Etwa Philipp Burghuber (* um 1758–1794), der einen sehr bäuerischen Kasperl verkörperte<br />
und der mehrfach jährlich das Engagement wechseln musste. Vgl. Rommel, Alt-Wiener<br />
Volkskomödie, S. 429.<br />
26 Joachim Perinet lässt im Theatralischen Guckkasten Bajazzo einen Blick in die Anfangszeiten<br />
der Gesellschaft um Kasperl werfen: „So sind die Directeurs als gute Fratelli Herr<br />
Menninger und der brave **** [Marinelli] hinaus in die Leopoldstadt in Saal zum Czernini,<br />
um dort zu sammeln die Ducatini. La Roche der Kasperl war ihr Auf und um, sie hatten viel<br />
Zulauf vom Publikum, es regnete Geld, und in kurzer Frist ward jeder bald ein Kapitalist.“<br />
Joachim Perinet: Theatralischer Guckkasten mit Dekorationen vergangener, gegenwärtiger<br />
und künftiger Zeit. Wien: [o. V.] 1807, S. 4.<br />
27 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 431. Siehe auch Castelli: „Er sang auch Couplets,<br />
aber ganz ent setzlich.“ Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 260.<br />
28 Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 14, S. 162.<br />
29 Pezzl, Skizze von Wien, S. 324.<br />
30 Alt-Wiener Kulturbilder. Aus Adolf Bäuerle’s Memoiren. Hrsg. von Josef Bindtner. Wien:<br />
Steyrermühl 1926. (= Tagblatt-Bibliothek. 322. 323.) S. 61.<br />
31 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 431.<br />
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Auch sein Privatleben liegt weitgehend im Dunkeln. Man weiß, Adolph Bäuerles<br />
Memoiren zufolge, dass er im Leben „ernst und gemessen“ war; er<br />
„vermochte nicht den geringsten Scherz vorzutragen, liebte auch Gesellschaft<br />
nicht, besuchte weder Gast- noch Kaffeehäuser und lebte nur für seine Frau<br />
und Kinder. Von seinen Kollegen ging er nur mit Anton Baumann um, den er<br />
einen echten Komiker nannte. ‚Ich muß mich glücklich schätzen‘, sagte er oft,<br />
‚daß das Publikum nicht meinen Geschmack hat, denn dächte es wie ich, so<br />
würde der Kasperl längst ausgespielt haben.‘“ 32<br />
Bekanntermaßen neigt Bäuerle dazu, die Geschichte als Künstler zu betrachten,<br />
und so seine Memoiren – wie auch seine biografischen Romane über Therese Krones<br />
oder Ferdinand Raimund – mit wesentlichen Anteilen an Fiktion zu vermengen.<br />
Widersprüchlich ist etwa die Behauptung, La Roche hätte keine Wirtshäuser besucht,<br />
zu anderen diesbezüglichen Aussagen; so vermerkt Eduard Bauernfeld, dass<br />
La Roche vor Auftritten wiederholt „mit Mühe aus dem Bierhause her<strong>bei</strong>geholt“ 33<br />
werden musste, Karl Marinelli selbst legt La Roche, den er <strong>bei</strong>m Eröffnungsstück<br />
des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s Aller Anfang ist schwer als La Roche selber auf die Bühne<br />
bringt, folgende bezeichnende Worte in den Mund: „Ich bin ohnehin ein Wasserkind,<br />
das <strong>bei</strong>m Wein aufgewachsen ist“ 34 , und seine Stimme klang gar – glaubt man<br />
seinen Kritikern – „versoffen“ 35 .<br />
Obschon ein Rollenbild 36 und eine Silhouette 37 La Roches über sein Aussehen Auskunft<br />
geben, vermitteln doch die Aussagen seiner Zeitgenossen und Chronisten ein<br />
wesentlich lebendigeres Bild: Er war in „seiner Frühzeit [...] nach allen Zeugnissen<br />
von einer unerhörten Beweglichkeit und Lebendigkeit“ 38 , später wurde er, „wie es<br />
scheint [...] ziemlich dick“ 39 ; auf „sein ‚Erbsengesicht‘, das heißt auf seine Blatternar-<br />
32 Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 60.<br />
33 Eduard Bauernfeld: Gesammelte Schriften. Bd. 12: Aus Alt- und Neu-Wien. Wien: Braumüller<br />
1873, S. 39.<br />
34 Karl Marinelli: Aller Anfang ist schwer. Ein Gelegenheitsstück in einem Aufzuge. Bey Eröfnung<br />
des neuerbauten Schauspielhauses in der Leopoldstadt. Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz,<br />
Der Weiland Kasperl, S. 51–73, hier S. 58.<br />
35 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 432.<br />
36 Vgl. u. a. Franz Hadamowsky: Wien. <strong>Theater</strong>geschichte. Von den Anfängen bis zum Ende<br />
des Ersten Weltkrieges. Hrsg. von Felix Czeike. München und Wien: Jugend und Volk<br />
1988. (= Geschichte der Stadt Wien. 3.) Tafel XXIV.<br />
37 Vgl. Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 240 a.<br />
38 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 432.<br />
39 Ebenda. Bauernfeld (Aus Alt- und Neu-Wien, S. 39) nennt La Roche dick und behaglich.<br />
Vgl. auch die Komödien, wo ihn seine Mitspieler wiederholt als „dicken Wampel“ bezeichnen.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
bigkeit, wird oft angespielt. ‚Zerrissen‘ nennt Perinet in Kaspars Zögling (1791) sein<br />
Gesicht.“ 40 Ignaz Franz Castelli charakterisiert La Roche als „gedrungene[n] Mann,<br />
mittlerer Statur, mit lebhaften Augen und stark markierten Zügen“ 41 , und La Roche<br />
bezeichnet sich in einer Posse selbst als „Knerzel“ 42 . Alles in allem scheint schon das<br />
�ußere La Roches eher einer komischen als einer ernsten Rolle entgegenzukommen.<br />
<strong>Das</strong> Kostüm Kasperls entsprach zunächst dem seines hanswurstischen Vorfahren:<br />
Er trug die Bauernkleidung mit weiter Hose und Jacke und zuweilen auch den berühmten<br />
schwarzen Bart, den er jedoch <strong>bei</strong> Bedarf ablegen konnte.<br />
„Um 1790 ging der Wiener Kasperl ‚schon sehr moderner‘ in ‚Charakterkleidung,<br />
je nachdem es seine Rollen erforderten‘, und ein Kasperl im Sommertheater<br />
in Brünn, der noch in der alten stereotypen Kleidung auftrat, wurde schon<br />
als veraltet empfunden.“ 43<br />
Mehr noch als die Kleidung prägten seine Erscheinung, sein Auftreten die Figur,<br />
wie zahlreiche Quellen belegen. La Roche hätte sich durch seine „komische<br />
Pöbelphysiognomie“ 44 ausgezeichnet, schreibt der Biograf Wurzbach, nur ein Mittel,<br />
dessen Kasperl sich bediente, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen, besser,<br />
zu amüsieren, zum Lachen zu bringen und auch die <strong>Theater</strong>zeitung thematisiert in<br />
einer Reminiszenz aus dem Jahr 1807 das Gesicht und die Mimik La Roches:<br />
„<strong>Das</strong> Stück 45 ist daher eins von den wenigen alten, wo Kasperle eine bestimmte<br />
Physiognomie von dem Dichter erhalten hat, Dummheit, Gutmüthigkeit und<br />
Laune liegen in seinem Charakter, welches die spätern Dichter oft außer Acht<br />
ließen, und ihren Helden noch ein Quintchen Witz und Verschmitztheit zuwogen.<br />
Der unvergeßliche La Roche wußte derley Mißgriffe immer zu beschönigen,<br />
und wenn er gleich manchmal einen witzigen Gedanken zu sagen hatte, so<br />
benahm er sich immer so, als wenn er ihm entschlüpft sey, wie durch einen Zufall,<br />
wie auch manchmal eine blinde Henne ein Weitzenkörnchen findet; es lag<br />
40 Ebenda.<br />
41 Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 259.<br />
42 Joachim Perinet: Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus oder Der Hausteufel. Eine komische<br />
Oper in drey Aufzügen nach einem Manuskripte für die k. k. privil. Schaubühne in der<br />
Leopoldstadt frey bear<strong>bei</strong>tet. Wien: Schmidt 1803, S. 12. Hrsg. von Jennyfer Großauer-<br />
Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezenepdfs/translit_perinet_kaffeehaus.pdf<br />
[Stand 2009].<br />
43 Hadamowsky, <strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> in der Wiener Leopoldstadt, S. 48.<br />
44 Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 14, S. 162. Vgl. auch Pezzl, Skizze von Wien,<br />
S. 324.<br />
45 Kasperl, der Hausherr in der Narrengasse; eine Komödie, die auf Basilisco di Bernagasso zurückgeht<br />
und in verschiedenen Variationen am Wiener Volkstheater häufig zu sehen war.<br />
Vgl. u. a. Otto G. Schindler: Commedia dell’arte as children’s theatre. The Landlord in the<br />
Fool’s Street, 1828 at Sopron. 30. September 2003. Online: http://www.kakanien.ac.at/<br />
<strong>bei</strong>tr/fallstudie /OSchindler1.pdf [Stand 2009-07-09].<br />
63
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http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
in seinem ganzen Spiel mehr Kunst als in irgend seinen Nachfolger zusammen<br />
lag. Mit den Situationen und Um gebungen war er immer beschäftigt, er wußte<br />
stets das Ensemble herauszurechnen, immer Harmonie in die Darstellung zu legen.<br />
So sah ich ihn einmal im lustigen Beylager, wo er mit Haspel eine Scene hat,<br />
die ohne dem andern Komiker seine Lazzi zu verderben, ganz ausdrucksvoll und<br />
höchst scherzreich durchbrach. Seine Grimassen hatten auch immer Rundung,<br />
Verträglichkeit und passende Umrisse. <strong>Das</strong> Erstaunen, die Furcht, die Noth, die<br />
Freude, das Erwachen, Sehnsucht, Hunger, und Durst verschied sich immer richtig<br />
und motiviert, und fiel niemahls albern, unsittlich oder fad in die Augen.“ 46<br />
Derartiger Würdigung steht natürlich auch Einwand gegenüber: Beanstandungen<br />
gab es nicht nur von Seiten derer, die Kasperl generell ablehnten – wie noch im Folgenden<br />
zu lesen sein wird –; der Reisende von der Stranden beklagt, dass La Roche<br />
„wenig Mühe auf die Erlernung der Rollen verwende, und sich nicht befleiße, statt<br />
der alltäglichen Grimassen, die Zuschauer mit einem neuen abwechselnden Spiel zu<br />
unterhalten“ 47 , doch offensichtlich taten die öfters bemängelnden Grimassen 48 der<br />
Beliebtheit des und dem Zulauf zu Kasperl keinen Abbruch. Vergleichbares gilt für<br />
La Roches Stimme, per se das wichtigste Bühneninstrument eines jeden Schauspielers,<br />
das besonders im weit gefassten europäischen <strong>Theater</strong>betrieb um 1800 autodidaktisch<br />
oder später zunehmend institutionell gesanglich und sprachlich zu schulen<br />
war. La Roche war keineswegs ein ausgezeichneter Sänger und Kritiker sprechen<br />
überhaupt von einer schnarrenden Stimme des Schauspielers, ein weiteres Charakteristikum,<br />
das zur Besonderheit des Kasperl <strong>bei</strong>trug. Auch sprach er, wie es den<br />
meisten seiner eigens verfassten Rollen einge schrieben war, Dialekt, genauer den<br />
„gemeine[n] Wiener Dialekt, nur sprach er ihn mehr breit als rund und hing oft<br />
an einzelne Worte, besonders an das Wort ‚Er‘ ein a an, worüber man nicht wenig<br />
lachte“ 49 . Gerade die frühen Rollen des Repertoires (Händler unterschiedlichster<br />
Waren, Wirte, Bediente, Handwerker) verlangten die Verwendung des Dialektes<br />
und dieser wiederum zeichnete die Bühnenfigur als „nichts mehr, als einen österreichischen<br />
Bauern“ 50 ; ein Bild, das wiederholt die Darstellungsweise La Roches zu<br />
kennzeichnen versucht:<br />
46 Zeitung für <strong>Theater</strong>, Musik und Poesie. Nr.14 vom 3. Oktober 1807, S. 30.<br />
47 Gotthold August von der Stranden: Unpartheyische Betrachtungen über das neuerbaute<br />
Schauspielhaus in der Leopoldstadt, und die sämtlichen Glieder der Gesellschaft. Wien:<br />
Hartl und Grund 1781, S. 28.<br />
48 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 433; Pezzl, Skizze von Wien, S. 324. Zeitung<br />
für <strong>Theater</strong>, Musik und Poesie. Nr.14 vom 3. Oktober 1807, S. 30.<br />
49 Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 14, S. 162.<br />
50 Johann Friedrich von Schink: Dramatische und andere Skizzen nebst Briefen über das <strong>Theater</strong>wesen<br />
zu Wien. Wien: Sonnleithner 1783, S. 123–124.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
„Was ist der Kasperl? Nichts anders als ein steiermärkischer Bauer, mit den<br />
Sitten und der Sprache eines solchen Bauers, gewöhnlich in der Rolle eines<br />
Bedienten, der durch Tölpeleien, durch Mißverstehen, durch Dummheiten, zu<br />
Zeiten auch durch Witz, Lachen zu erregen sucht, der seine Nase und seine<br />
Zunge, ja seine Hände und Füße überall hat, der die beste Sache verdirbt und<br />
<strong>bei</strong> der schlechtesten immer gut wegkommt, der unerhört grob und <strong>bei</strong>ßend ist<br />
und den kein Herr nur eine Stunde als Bedienter im Hause leiden könnte. Dies<br />
ist Kasperl.“ 51<br />
Die oben bereits angesprochene Fabulierlust Bäuerles weiß zu vermelden, dass sich<br />
La Roche in seinen späteren Jahren im Repertoire des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s nur<br />
noch schwer zurechtfand – sein Förderer Marinelli war zu diesem Zeitpunkt bereits<br />
verstorben 52 und dessen Nachfolger als Direktor, Hensler, fügte sich dem Zeitgeschmack<br />
und baute den Spielplan zwar sorgsam aber doch beträchtlich um:<br />
„Laroche empfand dies schmerzlich; er war alt geworden und fühlte es. Auch<br />
Hensler merkte, daß die Zeit des Kasperls vorüber sei. Es kamen andere Stücke<br />
auf die Bühne, die Lokallustspiele. Hensler ließ es ihm [!] empfinden, daß er<br />
der Kasse kein Geld mehr einbringe. Er feindete ihn an und warf ihm vor, seine<br />
Gage nicht mehr zu verdienen. <strong>Das</strong> nahm sich der alternde Kasperl zu Herzen,<br />
er begann zu kränkeln und nicht lange darauf war er tot.“ 53<br />
Aus den Aufzeichnungen des Kapellmeisters und Komponisten Wenzel Müller geht<br />
jedoch hervor, dass La Roche verlässlich <strong>bei</strong>nahe jeden zweiten Tag auf der <strong>Leopoldstädter</strong><br />
Bühne spielte. Im Dezember des Jahres 1802 erkrankt La Roche so schwer, 54<br />
dass ihm ein Priester bereits das Sakrament der Krankensalbung 55 spendet. Erst<br />
nach gezählten 58 Tagen 56 scheint La Roche geheilt und tritt als Kasperl am 3. Februar<br />
1803 wieder auf die Bühne. Nichtsdestoweniger kränkelt der Kasperl seit dieser<br />
51 Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 256.<br />
52 Karl Friedrich Hensler übernimmt die Direktion des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s förmlich am<br />
29. September 1803. Vgl. Andrea Brandner-Kapfer: Karl Friedrich Hensler. Biographie,<br />
S. 4. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/<br />
bio_hensler.pdf [Stand 2009]. Marinelli stirbt am 25. Jänner1803. Vgl. Jennyfer Großauer-<br />
Zöbinger: Karl von Marinelli. Biographie, S. 10. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online:<br />
http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/bio_marinelli.pdf [Stand 2009].<br />
53 Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 61.<br />
54 Vgl. Wenzel Müller: Tagebuch. Übertragen aus der Handschrift der Wiener Stadt- und<br />
Landesbibliothek von Girid und Walter Schlögl. Bd. 1 und Bd. 2. Wien [o. J.] [Typoskript<br />
i. d. Wienbibliothek.], S. 248.<br />
55 <strong>Das</strong> ursprüngliche, v .a. im Volksmund so bezeichnete, heilige Sakrament „Letzte Ölung“<br />
wurde von der katholischen Kirche umbenannt, da das Sakrament „die Hoffnung auf<br />
Besserung der Krankheit“ in sich birgt. Vgl. Wolfgang Schallhofer: Krankensalbung ein<br />
Sakrament-Lexikon. Online: http://www.kirchenweb.at /sakramente/sakrament/krankensalbung.htm<br />
[Stand 2009-07-09].<br />
56 Vgl. Müller, Tagebuch, S. 250.<br />
65
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http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
Zeit und eine vollständige Genesung tritt nicht ein. Am 8. Juni 1806 stirbt Johann<br />
La Roche an Hydropisis (Wassersucht) in Wien, nur knappe vier Monate nach seinem<br />
letzten Auftritt in Perinets Megera 57 am 14. März 1806.<br />
Die Hinterbliebenen von La Roche – seine erste Gattin Barbara, auch sie war<br />
Schauspielerin am <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> („spielt Koketen, und Karakterrollen<br />
mit Beyfall“ 58 ), starb bereits 1788 59 – waren seine Witwe Regina (Regina starb im<br />
Jahr 1843) 60 und zwei Kinder 61 : die Tochter Therese (1795–1823), die als Tänzerin<br />
und Sängerin (Columbina) unter anderem am <strong>Theater</strong> an der Wien (1812–1814)<br />
engagiert war, und der Sohn Michael Johann (1805–1870), dessen Ausbildung zum<br />
Tänzer im Kinderballett des <strong>Theater</strong>s an der Wien seinen Anfang nahm und der<br />
dort bis zu seinem Abgang an das königliche bayrische Hoftheater in München im<br />
Jahr 1822 engagiert blieb. 62 Ein Pflegesohn La Roches schließlich, nämlich Johann<br />
(oder Josef?) Handel, sollte die Rolle des Kasperl übernehmen und weiterführen,<br />
La Roche „selbst hatte gehofft, sich […] einen solchen zu erziehen; aber es stellte<br />
sich bald heraus, daß dieser nur zu einem Episodisten taugte, der sich bald in die<br />
Pantomime flüchtete“ 63 . Damit wurde die Frage des Nachfolgers von Kasperl zu<br />
einem Problem. Am <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> versuchte sich der aus Troppau stammende<br />
Michael Mayer als Kasperl. Obschon er mehrfach den Kasperl geben sollte, 64<br />
57 Joachim Perinet: Megera. Erster Theil. Eine Zauberoper in drey Aufzügen, nach Weil[and]<br />
Hafner neu bear<strong>bei</strong>tet. Die Musik ist von Herrn Wenzel Müller, Kapellmeister. Wien:<br />
Wallishausser 1806. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls<br />
(2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/translit_perinet_megaere_2.pdf<br />
[Stand 2009].<br />
58 Stranden, Unpartheyische Betrachtungen, S. 30.<br />
59 Vgl. Gustav Gugitz: Die Totenprotokolle der Stadt Wien als Quelle zur Wiener Th <strong>Theater</strong>geeatergeschichte des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Wiener <strong>Theater</strong>forschung.<br />
1953/54 (1958), S. 114–145, hier S. 130.<br />
60 Vgl. Gustav Gugitz: Anmerkung zum Begleitwort. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl,<br />
S. 342.<br />
61 Vgl. Schindler und Fastl, La Roche (Laroche), Online.<br />
62 Wiederum gibt Bäuerle ein fiktives Bild des tatsächlichen Sachverhaltes: Bäuerle weiß von<br />
zwei Töchtern, deren eine – die jüngere – eine Rolle am <strong>Theater</strong> an der Wien bekommen<br />
haben soll, nachdem sie sich, Hensler schickte die Kinder La Roches nach dessen Tod aus<br />
ihrem Quartier – da er nicht für diese aufkommen wollte – um Unterstützung an Herrn<br />
Zitterbarth, den Eigentümer des <strong>Theater</strong>s an der Wien wandte und dieser <strong>bei</strong>de Mädchen<br />
vorspielen ließ. Vgl. dazu Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 61–62. Über den Wahrheitsgehalt<br />
dieser Darstellung können keine seriösen Aussagen getroffen werden.<br />
63 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 618.<br />
64 Michael Mayer spielte am 1. Juli 1806 in Henslers Teufelsmühle am Wienerberg und am<br />
11. Juli 1806 in Perinets Die Schwestern von Prag (hier den Hausknecht/Kasperl). Vgl. Rommel,<br />
Alt-Wiener Volkskomödie, S. 618.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
zeichnete sich ein unabwendbares Scheitern schon anlässlich seines Debüts in der<br />
wesentlichen Rolle dieser Bühne ab:<br />
„Es war bald nach dem Tode des Schauspielers la Roche der auf dem hiesigen<br />
<strong>Leopoldstädter</strong>-<strong>Theater</strong> durch lange Jahre sich beliebt und berühmt machte,<br />
daß Herr Mayer vom Troppauer-<strong>Theater</strong> in der Teufelsmühle am Wienerberg<br />
als Kaspar debütirte. <strong>Das</strong> Haus war zum Erdrücken voll, und Alles sah dem<br />
Fremden mit einer Art Neugierde entgegen die auffallend war. Endlich erschien<br />
er, und siehe da mit ihm auch die Kabale. Bey seiner ersten Scene die er so leidenschaftlich<br />
spielte, wurde gezischt, bey seinem Gesange, das freylich häßlich<br />
sich vernehmen ließ, gepocht und kein Wort mehr beklatscht als das einzige<br />
Impromtu: Ich bin nicht der wahre Kasperl, ich bin nur der nachgemachte.<br />
Später trat er als Hausknecht in den zwey Schwestern von Prag auf, und gefiel<br />
noch weniger als das erste Mahl; warum? wissen wir wirklich nicht zu behaupten:<br />
vermuthlich wußten es gewisse Menschen – so einzuleiten.“ 65<br />
„Aber einen Ersatz für Laroche-Kasperl gab es nicht und konnte es nicht geben“ 66<br />
schreibt Rommel <strong>bei</strong>nahe schwermütig; es tut auch nichts zur Sache, dass, wie<br />
im oben genannten Zitat ausgesprochen, gewisse Menschen den Misserfolg eines<br />
„Nachfolgers“ einzuleiten wussten, d. h. den Schauspieler, der sich in der Rolle des<br />
Kasperl versuchte, auszischten; denn La Roches Ausstrahlung und sein Gepräge, das<br />
er dem Kasperl gab, waren offenbar einzigartig. Ein Weiterleben der Figur wurde<br />
nach La Roches Tod ebenso wie eine Renaissance unmöglich; auch auf anderen <strong>Theater</strong>n<br />
mussten die Akteure, die sich der „längst stereotyp gewordenen Mätzchen“ 67<br />
befleißigten, und die <strong>Theater</strong>dichter einsehen, dass eine das Repertoire derart bestimmende<br />
Typenkomik mit La Roche zu Grabe getragen worden war.<br />
Bedingungen seines Wirkens<br />
„<strong>Das</strong> <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> war es nun, welches ausschließlich auf der Individualität<br />
dieses Schauspielers aufgebaut wurde, der mit seinem Kasperltypus<br />
einen vermittelnden Übergang von der Comedia dell’arte zum regelmäßigen<br />
Lustspiel gab und damit hinreißende Erfolge erzielte. Man stürmte das Haus,<br />
wenn La Roche auf trat, und es blieb leer, wenn man kein Kasperlstück gab.“ 68<br />
Die Wirkung, welche die Person und vor allem das Spiel Johann Josef La Roches auf<br />
sein Publikum ausübte, wird in vielerlei Quellen beschworen: Zeitgenössische Kritiken<br />
stehen neben Erinnerungen von Schriftstellern, Chronisten sowie Biografen<br />
und geben ein vielfach beschworenes Bild, wie es La Roche gelang, seine Zuschauer<br />
65 Christiani: Der neue Kasperl in Wien. In: Wiener <strong>Theater</strong>-Zeitung. Nro. 2 vom 8. Juli<br />
1806, S. 23.<br />
66 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 618.<br />
67 Ebenda.<br />
68 Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 241.<br />
67
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
68<br />
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zu fesseln. Im Folgenden seien zwei namhafte österreichische Schriftsteller zitiert,<br />
deren Erinnerung uns eine Ahnung von der Bühnengewalt La Roches vermitteln<br />
sollen.<br />
Eduard von Bauernfeld: „In den genannten Stücken erweckte der dicke,<br />
behagliche La Roche den alten Hannswurst zu neuem Leben in dem beliebten<br />
Kasperl. Wenn der Ritter nach einem pathetischen Monolog seinen Knappen<br />
her<strong>bei</strong> rief: ‚Käsperle, wo bleibst du?‘ so stand wohl schon La Roche, mit Mühe<br />
aus dem Bier hause her<strong>bei</strong>geholt, noch kaum halb für seine Rolle angekleidet,<br />
hinter den Coulissen und schickte seine Stimme voraus. Auf das schnarrende:<br />
‚Er-r – kommt schon!‘ erhob sich ein Vorjubel auf den Galerien wie im Parterre,<br />
ein Vorgeschmack der so lang ersehnten komischen Seligkeit – und wenn endlich<br />
der Knappe Käsperle mit den geschwärzten Augenbrauen, dem ziegelroth<br />
angestrichenen Gesicht und den noch halb herunter hängenden Inexpressibles,<br />
die er erst im Auftreten völlig zu nestelte, vor Ritter und Publicum mit einer<br />
ziemlich derb angedeuteten Ent schuldigung seines Verspätens erschien und<br />
seine übrigen Dummheiten vorbrachte, da kannte der Enthusiasmus kein Ziel<br />
und Maß! – Glückliche, kindische oder kindliche Wiener!“ 69<br />
„Glückliche, kindische oder kindliche Wiener!“ schreibt der spätere Hausdichter des<br />
Wiener Burgtheaters Eduard von Bauernfeld (1802–1890) 70 in seiner Erinnerung<br />
und Franz Grillparzer ruft sich und den Lesern seiner Selbstbiografie einen seiner<br />
frühen <strong>Theater</strong>besuche ins Gedächtnis:<br />
„Sonst führte man uns Kinder höchstens an Namenstagen ins <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong>, wo uns die Ritter- und Geisterstücke mit dem Käsperle Laroche schon<br />
besser unterhielten. Noch sehe ich aus den zwölf schlafenden Jungfrauen die<br />
Szene vor mir, wo Ritter Willibald eine der Jungfrauen aus einer Feuersbrunst<br />
rettet. <strong>Das</strong> Gebäude war eine schmale Seitenkulisse und die Flammen wurden<br />
durch herausgeblasenes Kolophonium-Feuer dargestellt, damals aber schien es<br />
mir von schauerlicher Naturwahrheit. Vor allem aber bewunderte ich die Verwandlung<br />
eines in schleppende Gewänder gehüllten Greises mit einer Fackel<br />
in der Hand, in einen rot gekleideten Ritter, wo<strong>bei</strong> mir als das Wunderbarste<br />
erschien, daß der rote Ritter auch eine Fackel in der Hand hielt, was eben die<br />
schwache Seite der Verwandlung war, und von meinem damaligen Scharfsinn<br />
keine vorteilhafte Meinung gibt.“ 71<br />
69 Eduard Bauernfeld: Gesammelte Schriften. Bd. 12: Aus Alt- und Neu Wien. Wien: Braumüller<br />
1873, S. 38–39.<br />
70 Vgl. Birgit Scholz: Eduard von Bauernfeld. Biographie. In: Briefe an Anastasius Grün.<br />
Hrsg. von Birgit Scholz und Margarete Payer (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/<br />
downloads/ bauernfeld_bio.pdf [Stand 2009-07-13].<br />
71 Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Hrsg. und mit Einleitungen versehen von August Sauer.<br />
Bd. 19: Selbstbiographie [u. a.]. Stuttgart: Cotta [1893], S. 19–20.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
So illustrativ diese Erinnerungen auch sein mögen, so vermitteln sie doch ein rein<br />
subjektives Bild der Darstellungskunst La Roches. Überhaupt muss man Rommel<br />
zustimmen, wenn dieser den Mangel an sachlichen Urteilen kritisiert:<br />
„Wir sind über den eigentlichen Zauber der Kasperl-Komik vielfach nicht<br />
besser unterrichtet als über die des Wienerischen Ur-Hanswurst. Es fehlt ein<br />
authentisches Bild seiner Reifezeit, es fehlen zeitgenössische Besprechungen,<br />
die nicht Pamphlete oder Erwiderungen auf Pamphlete, also alles andere als<br />
objektive Würdigungen sind.“ 72<br />
Pamphlete und Erwiderungen gibt es zuhauf, der Kasperl spaltete die Gemüter, Lob<br />
auf der einen, Verständnislosigkeit und vehemente Kritik auf der anderen Seite prägen<br />
mitunter die Rezensionen in den Zeitungen und auch einige der Broschüren<br />
Wiens. Ein anonymer Broschürenschreiber etwa versucht über die „Damen Wiens“ 73<br />
auf deren Männer zu wirken. In fünf Abteilungen fasst er das Wesen des <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong>s, das Wirken der Schauspieler und Dichter und die Frage, ob „der<br />
Staat diese Bühne dulden soll“, zusammen, um sich abschließend im sechsten Kapitel<br />
direkt an den Direktor Karl von Marinelli zu wenden und dessen Integrität in<br />
Frage zu stellen. Anlass für die Abfassung der Broschüre ist der Skandal, den der<br />
<strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>dichter Ferdinand Eberl mit seinen direkten Anspielungen<br />
auf eine angesehene bourgeoise Wiener Familie in seinem Stück Kasperl’, der Mandolettikrämer<br />
ausgelöst hatte. 74 <strong>Das</strong>s vor diesem Hintergrund auch La Roche – „ein<br />
Lustigmacher für den Pöbel“ 75 – und dessen Spiel – „unnatürliche Geberden“ 76 –<br />
keine Gnade <strong>bei</strong> dem Autor finden, muss nicht eigens ausgeführt werden.<br />
Selbstverständlich wird auch die Persönlichkeit Johann Josef La Roches selbst in den<br />
Blickpunkt so mancher Broschüre gerückt. In seinem Sammelband Der Weiland<br />
Kasperl (Johann La Roche) aus dem Jahr 1920 vereinigt Gugitz unterschiedlichste<br />
Schriften, deren Bindeglied die Person La Roche darstellt. Es finden sich darin drei<br />
72 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 432.<br />
73 Bitte an die Damen Wiens das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> betreffend. Wien: [o. V.] 1789.<br />
74 Vgl. dazu weiter unten die Besprechung des Textes.<br />
75 Bitte an die Damen Wiens, S. 17.<br />
76 Ebenda, S. 18.<br />
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relevante Gelegenheitsstücke 77 , Anti-Kasperl-Broschüren, Pro-Kasperl-Broschüren,<br />
die erste bekannte Biografie 78 La Roches und Joachim Perinets Huldigung 79 an den<br />
großen Kasperl-Mimen. Von besonderem Interesse sind hier<strong>bei</strong> in unserem Kontext<br />
die Pro- bzw. Kontra-Kasperl-Broschüren, da in ihnen der gesellschaftsrelevante<br />
Duktus Kasperls bzw. La Roches manifest wird. Die erste Anti-Kasperl Broschüre<br />
trägt den Titel Kasperl das Insekt unseres Zeitalters. Nebst einer Wahrnung an seine<br />
Gönner, sie erschien anonym im Jahr 1781. 80 Schon zu Beginn stellt der Verfasser<br />
fest, „daß es gut gesitteten Menschen nicht anstehe, an einem so verderblichen<br />
und häßlichen Abenteuer, wie euer Kasperl ist, ein Vergnügen zu finden“ 81 ; der<br />
gottschedianische Einfluss auf den Urheber des Textes ist also unüberlesbar und<br />
wird in vielen Passagen der Broschüre evident. „Leute, die noch einen Funken vom<br />
fühlenden Menschen besitzen, versicherten mich, daß man ihn in manchen seiner<br />
Spiele nicht aushalten könnte,“ urteilt er über Kasperl weiter, „so sehr beleidigt er<br />
die Menschen durch seine Worte“; muss aber auch Zugeständnisse an La Roches<br />
Selbstverständnis machen: „[D]emungeachtet kennt er doch seine Auditoren und<br />
weiß den Applaus zu erhaschen, wenn er eine Reihe von Zoten und Possen im vollen<br />
Gallope heraussagt.“ 82 Diese, wie auch die im Folgenden zu besprechende Broschüre<br />
bezeichnet der Kompilator Gugitz – dessen Intention „durch Vereinigung an einer<br />
77 Karl von Marinelli: Der Anfang muß empfehlen. Ein Vorspiel in einem Aufzuge. Wien:<br />
Schulzische Schriften [1774]. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 5–29. Karl von<br />
Marinelli: Der Anfang muß empfehlen. Ein Vorspiel in einem Aufzuge. Bey Eröffnung der<br />
Schaubühne in der Leopoldstadt von den Unternehmern Menninger, und Marinelli. Wien:<br />
mit Schulzischen Schriften [1777]. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 32–49. Marinelli,<br />
Aller Anfang ist schwer. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 51–73. Zur Datierung und zur<br />
Entstehung dieser Gelegenheitsstücke, in denen bemerkenswerterweise sämtliche Schauspieler<br />
der Menninger-Marinellischen Gesellschaft unter eigenem Namen auftreten vgl.<br />
ausführlich: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 275–279.<br />
78 Gedrängter Auszug aus dem Leben des verstorbenen Johann La Roche, sogenannten Kasperl.<br />
In: La Roche’s Todtenfeyer, oder des sogenannten Kasperls Gespräch am jenseitigen<br />
Ufer des Styxs mit dem Schatten einer seiner Directeure. In Knittelversen. Wien: Rehm<br />
1806. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 109–122.<br />
79 Der Weyland Casperl aus der Leopoldstadt, im Reiche der Todten. Ein auferbauliches Gespräch<br />
in Knittelreimen zwischen ihm, Charon, Prehauser, Stranitzky, Bernardon, Brenner<br />
und noch einem Schatten. Hrsg. von Joachim Perinet. Wien: 1806. In: Gugitz, Der Weiland<br />
Kasperl, S. 123–237. Die Totengespräche erstrecken sich über insgesamt sechs Hefte<br />
mit je unterschiedlichen Titeln und bilden eine „Revue von Wiener <strong>Theater</strong>- und Sittenverhältnissen,<br />
welche Kasperl und seine Kumpane noch im Jenseits durchhächeln“. Gugitz,<br />
Der Weiland Kasperl, S. 282.<br />
80 Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters. Nebst einer Wahrnung an seine Gönner. Wien:<br />
[o. V.] 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 75–82. Als Verfasser vermutet Gugitz<br />
einen Journalisten mit Namen Claiton. Vgl. ebenda, S. 280.<br />
81 Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters, S. 77.<br />
82 Ebenda, S. 80–81.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Stelle dem Forscher und Liebhaber zugänglich zu machen“ 83 auch der Anspruch zu<br />
unterhalten unterschwellig innewohnt – als „Wichtigtuereien eines Pseudoliteratentums,<br />
das alles mißverstand und mit angelesenen Phrasen des Gottschedianismus<br />
prunkte.“ Dies mag unter gewissen Aspekten auch korrekt sein, doch übersieht dieser<br />
Standpunkt die Aussagekraft des subjektiv Geäußerten; denn wenngleich Gugitz<br />
den Verfassern der Broschüren zugesteht, dass „dort, wo sie sich an die Tatsachen<br />
hielten“ 84 , die Texte auch von dokumentarischem Wert wären, ignoriert er doch die<br />
implizite Problematik des je nach den unterschiedlichen Anschauungen variierenden<br />
Wahrheits gehaltes, oder verkürzt: Auch Gugitz argumentiert subjektiv, ortet<br />
die Wahrheit auf Seiten der Pro-Kasperl-Autoren und negiert gleichzeitig den Tatsachenanspruch<br />
der Kasperlgegner. So übersieht der Kompilator auch das zum Teil<br />
ironische Gepräge der Broschüre Etwas für Kasperls Gönner 85 aus dem Jahr 1781:<br />
„Eine Scene Kasperls Gönnern gewidmet. Aus einem nagelneuen, wunderschönen,<br />
durchaus zum Lachen eingerichteten, mit Dekorationen, <strong>Theater</strong>verzierungen,<br />
Maschinen, Flugwerken, Versenkungen, Verschwindungen, Verkleidungen<br />
versehenen, auf die Person des Kasperls besonders eingerichteten,<br />
mit vielen Arien, Duetten, Terzetten, Quartetten, Quintetten, Sextetten, Chören<br />
und Tänzen besetzten, so gut, als von ihm selbst verfaßten Piece, genannt:<br />
<strong>Das</strong> Spiel der Liebe und des Glückes, oder Kasperl, der geglaubte Prinz der<br />
Insul Csiri Csari.“ 86<br />
Diese Ankündigung weist auf eine Szene, die mitten in die Broschüre eingerückt<br />
ist. Überhaupt mutet der Text Etwas für Kasperls Gönner wie ein Sammelsurium,<br />
ein – um in der Diktion der Zeit zu bleiben – ‚Mischmasch‘ an, das möglichst Unterschiedliches<br />
zur Sprache bringen möchte. Zunächst zum Aufbau des Broschürentextes:<br />
Sogar am Titel ist eine Art Widmung zu finden: „Wer wird den Kasperl sehen,<br />
der nicht von Herzen lachet. Da dieser liebe Narr so schöne Gsichter machet?“<br />
(Nichts ist lächerlicher als lächerliches Lachen). 87 Auf der Rückseite des Titels findet<br />
sich dann das Catull entlehnte Motto: „Nam risu inepto res ineptior nulla est“ 88 –<br />
schon hier erkennt der Leser die Intention des Arguments. Indem der Autor Kasperl<br />
nicht von vornherein ablehnt, sondern ihn, seine Spielweise und seine Wirkung zu<br />
erkennen versucht, kann er ihm – mit Worten – entgegentreten. Die Broschüre vereint<br />
allgemeine Bemerkungen zur Absicht des Kasperltheaters und über das Lachen<br />
83 Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 274.<br />
84 Ebenda, S. 280.<br />
85 Etwas für Kasperls Gönner. Wien: Hartl 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 83–<br />
98.<br />
86 Etwas für Kasperls Gönner, S. 88.<br />
87 Ebenda, S. 83.<br />
88 Aus: Catulls Carmen 39 („An Egnatius“, Vers 16). Vgl. Volltext in Latein. Online: http://<br />
www.negenborn.net/catullus/text2/l39.htm [Stand 2009-07-14].<br />
71
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(„Kasperl lacht ja auch – – und mit Recht – – Lachen ist sein Endzweck, sein Brot<br />
und Ruhm“ 89 ), Ausführungen über die „Zuseher <strong>bei</strong> Spektakeln“ 90 und schlussendlich<br />
natürlich die Forderung nach einer<br />
„National-Schaubühne, welche der weiseste Monarch, dessen einzige Absicht<br />
das Glück seiner Völker ist, zum Besten der Nation in jenen Stand gesetzt hat,<br />
daß sie eine Schule der edlen Sitten und des guten Geschmacks ist“ 91 . Ungeachtet<br />
so mancher bekannter Argumente und Forderungen ar<strong>bei</strong>tet der Verfasser<br />
eine beachtenswerte Szene in den Text seiner Broschüre, die – vollständig unkommentiert<br />
– das Wesen einer Kasperliade exakt auf den Punkt bringt. Die<br />
schon oben zitierte Ankündigung widmet dieses kurze Stück „Kasperls Gönnern“<br />
und ist „auf die Person des Kasperls besonders eingerichtet“ 92 .<br />
Es ist ganz im Stile einer Bernardoniade verfasst, erinnert sei an das Druckdatum<br />
der Broschüre 1781, und zeigt Kasperl im charakteristischen Duktus seiner Anfangsjahre:<br />
„<strong>Das</strong> Spiel der Liebe und des Glückes, oder Kasperl, der geglaubte Prinz der Insul<br />
Csiri Csari.<br />
[…]<br />
Valerio. Wie hast du den Brief an Angeolina bestellt? Rede, sage wo ist die<br />
Antwort? (Kasperl gibt ihm eine Maulschelle.)<br />
Valerio (läuft nach dem Degen). Diese Verwegenheit kostet dich dein Leben!<br />
richte deine zerraufte Seele in Ordnung, du mußt sterben!<br />
Kasperl (fällt ihm zu Füßen, schreit erbärmlich). O jeges! O jeges! verschonts<br />
mai jungs Lebn, i bin jo meiner Mueder ihr schönster Sun, si hot jo gar kann<br />
ondern ghobt.<br />
Valerio. Sprich, Bestie, wo du nicht willst, daß deine spitzbübische Seele auf<br />
der Spitze meiner Klinge zittere.<br />
Kasperl. Jo jo, i wills alls bstehn.<br />
Valerio. Rede, Elephanten-Schlingel, antworte, Mißgeburt.<br />
Kasperl. No, ös hobts gsogt, nit wohr, ös hobts gsogt, wos gsogt hobts. […]<br />
<strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> verwandelt sich in einen Wald, Kasperl tritt auf, seinen Wanderbinkel<br />
auf dem Rücken, eine Spansau auf dem Arm, singt:<br />
89 Etwas für Kasperls Gönner, S. 87.<br />
90 Ebenda, S. 94.<br />
91 Ebenda, S. 97.<br />
92 Ebenda, S. 88.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Aria:<br />
Armer Kasperl, nix zu lebn,<br />
Nix den Madeln Pratzl gebn,<br />
Nichts mehr sagen als wie eh,<br />
Armer Kasperl hat Baucherweh [!].<br />
(Die Spansau schreit.)<br />
Sei still, lieber Narr, schweig still, i hob mir hold an guaden Raskompagnion<br />
gnuma, won mi hungert, kon in vor lauter Lieb freßn. Main Mogn schrait a<br />
so ollwail Kälberbradl, Kälberbradl. Geh, wort auf a weni. (Will der Spansau<br />
aufwarten lernen, sie läuft ihm davon und verschwindet. Er läuft nach, plätzlich<br />
verwandelt sich ein Baum in ein Ungeheuer, welches Feuer ausspeit, die Zauberin<br />
Mägera kommt in einer Wolke, Kasper fällt für Schrecken zu Boden und macht<br />
entsetzliche Grimassen.) […]<br />
Mägera (gibt ein Zeichen, es entstehet ein heftiges Ungewitter, aus der Erde und<br />
Luft kommen viele Gespenster, Geister und Teufel; Kasperl schreit erbärmlich: O<br />
jeges, o jeges, helfts m’r, die teuflischen Teufeln; er versteckt sich hinter Mägerens<br />
Mantel). […]<br />
Die Bühne verwandelt sich in den prächtigen königlichen Palast der Insul Csiri<br />
Csari. Kasperl in kalikutischer Kleidung liegt auf einem Ruhebett und schläft; er<br />
erwacht, besiehet sich und sagt): hannts, wo bin i denn? main Handkuß sieht<br />
spaßig aus, es muß do nit richti zugehn. (Der Großkanzler und die ersten Minister<br />
der Insul Csiri Csari treten auf.)“ 93<br />
<strong>Das</strong> kurze Szenar vereint die gängigsten Charakteristiken Kasperls bzw. seiner Spielvorlagen:<br />
Mord- und Totschlag, Prügeleien, Maschinenspektakel, prunkvolle Verwandlungen,<br />
exotische Menschen und Landschaften, Kasperls Fress- und Liebeslust,<br />
Schimpfwörter, sprachliche Verwirrungen und Dialekte. Dies alles waren die<br />
Ingre dienzien der Vorstadtkomödie, die das Publikum zum Lachen brachten und<br />
die – auf die zu diesem Zeitpunkt bereits ruhmvolle Tradition der Wiener Komödie<br />
des 18. Jahrhunderts zurückgreifend – für La Roche das Fundament seiner Laufbahn<br />
bildeten.<br />
Der Verfasser der Travestie persifliert in diesem kurzen Szenar quasi idealtypisch<br />
jede Kasperliade und jede Aufführung der Marinellischen Gesellschaft und illustriert<br />
damit die Absurdität der <strong>bei</strong>m Publikum so beliebten Vorstadtkomödien.<br />
Überdies unterstellt er dem Publikum – und das betrifft nun auch manchen Besucher<br />
der Nationalbühnen –, am Geschehen auf der Bühne ohnehin nicht interessiert<br />
zu sein, denn geselliges Geschwätz wäre das eigentliche Anliegen vieler Besucher<br />
und dies wiederum eine Zumutung für tatsächlich interessierte <strong>Theater</strong>liebhaber:<br />
„Überaus hab’ ich gefunden, daß wenige den Endzweck der Spektakeln kennen<br />
und dadurch Menschen von Geschmack zur Last werden, denkende durch ihr Ge-<br />
93 Ebenda, S. 88–93.<br />
73
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
schwätz stören“ 94 , und er folgert: „Wie wäre es zu wünschen, daß alle platonischen<br />
Menschen, welche die edle Absicht des <strong>Theater</strong>s nicht kennen, Ochsenteilung oder<br />
Hahnenhetze zum Gegenstand ihres Spektakels wählten oder wenigstens mit Kasperl<br />
sich begnügten.“ 95 Kasperl – der Stein des Anstoßes – und sein Gebaren auf der<br />
Bühne werden umgehend aber auch verteidigt, was sei „Böses an Kasperl! Wann hat<br />
er je etwas Schmutziges oder eine Zote gesagt?“ 96 fragt der ebenfalls anonyme Verfasser<br />
einer weiteren Broschüre, genauer einer Antwort auf die <strong>bei</strong>den vorgenannten<br />
Kontra-Kasperl-Schriften. Mit dem Verweis auf die zensurbedingte Unmöglichkeit<br />
grobianischer Sprache auf der Bühne und dem Vorwurf, Unwahrheiten zu verbreiten,<br />
ereifert sich der Autor der Verteidigungsschrift derart, dass er sich am Ende gar<br />
zu drohen bemüßigt fühlt: „Zum Beschluß soll noch was Eindringendes gesagt werden“,<br />
schreibt er, „und dies sei, daß sich Kasperl niemals mehr in ein Federgefecht<br />
mit seinen Gegnern einlassen, sondern die, die’s zu arg treiben, <strong>bei</strong> der Behörde zu<br />
belangen wissen wird.“ 97 Da<strong>bei</strong> übersieht er vollkommen, dass einige der aufgestellten<br />
Behauptungen durchaus der Wahrheit entsprechen: Beispielsweise moniert der<br />
„Gönner“ Kasperls die Vorhaltung von Raufhändeln zwischen Herr und Bedienstetem<br />
auf der Bühne, denn „wie kann bewiesen werden, daß Kasperl jemals seinen<br />
Herrn geprügelt, und daß diese gemeiniglich die wichtigste Stelle sei? Dieses ist niemals<br />
und wird in Zukunft nie geschehen.“ 98 Beipflichten wiederum muss man ihm<br />
in einem sehr wesentlichen Punkt, nämlich dass niemand das Recht haben darf, von<br />
der Rolle auf die Person zu schließen, d. h. La Roche anzugreifen, wenn er Kasperl<br />
meint. Bezug nehmend auf die Broschüre Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters fällt<br />
die Verteidigung La Roches in zwar letztlich wieder nicht absolut korrekten, aber<br />
immerhin nachvollziehbar die Menschenwürde einfordernden Worten aus:<br />
„Hier werden alle Zuseher zu Zeugen genommen, ob Kasperl je die Rolle eines<br />
Besoffenen gespielt? ob sie ihn je darin excellieren gesehen? Niemals! Was tastet<br />
der Pasquillant also seinen moralischen Charakter an und will ihn aller Welt als<br />
einen Trunkenbold zeigen? Warum bleibt er nicht <strong>bei</strong>m <strong>Theater</strong>? Soll ihm unbekannt<br />
sein, daß persönliche Beleidigungen, klare Pasquille verboten sind?“ 99<br />
94 Ebenda, S. 96.<br />
95 Ebenda, S. 97.<br />
96 Kurze Antwort auf die beyden Schmähschriften I. Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters.<br />
II. Etwas für Kasperls Gönner. Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 99–<br />
107, hier S. 102.<br />
97 Ebenda, S. 107.<br />
98 Ebenda, S. 106.<br />
99 Ebenda, S. 103.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Von Zotenhaftigkeit und grimassierender Spielweise 100 war schon die Rede. Von der<br />
„erniedrigende[n] Furie eines Kasperltheaters“ 101 , die der Ehre des Wiener Geschmackes<br />
großen Schaden zufüge, spricht der Chronist Joseph Krepler – und dennoch<br />
sei La Roche „die nie erlöschende Liebe der Wiener“ 102 gewesen, ablesbar an den<br />
Besucherzahlen des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s, und auch die Bewunderung ausländischer<br />
Zeitgenossen war ihm sicher. Bekannt ist, dass Ismael Effendi, ein türkischer<br />
Beamter, 103 gerne das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> besuchte, da er „in den Mienen und<br />
der Gesticulation des Herrn La Roche alles wohl verstehe und begreife, was seine<br />
Wörter etwa enthalten mochten.“ 104 Vermutlich besser verstand den Kasperl, zumindest<br />
sprachlich, Johann Gottfried Seume, der generell die Qualitäten der Schauspieler,<br />
Sänger und Tänzer der Wiener Vorstadttheater denen der Nationaltheater<br />
vorzog, 105 Friedrich Nicolai gab in seinen Reisebeschreibungen nach dem <strong>Theater</strong>besuch<br />
Ratschläge zur besseren Ausformung der Kasperl-Rolle 106 , und auch der aus<br />
Erlangen gebürtige und spätere Wiener Schriftsteller Johann Rautenstrauch gesteht<br />
La Roche „alle moeglichen Talente zu einem grossen komischen Schauspieler“ zu;<br />
einzig die mangelhafte Ausbildung könne man ihm ankreiden; dennoch wäre er in<br />
der Lage durch „seine Sprache, sein[en] Ton und besonders sein[em] Geberdenspiel<br />
[…] auch einen Kato lachen“ zu machen 107 .<br />
Neben dem genannten Minister Ismael Effendi besuchten auch andere Staatsmänner<br />
das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> und seinen Kasperl, unter ihnen Kaiser Josef II. 108<br />
100 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 433.<br />
101 <strong>Theater</strong>chronik von der Sündfluth bis auf den grossen Kasperle in der Leopoldstadt. Hrsg.<br />
von Joseph Krepler. Wien: Hartl 1782, S. 18.<br />
102 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 433.<br />
103 Ismail Effendi Eff endi (Hamm�m�zade (Hamm�m�zade Ismael Dede Efendi), 1778–1846, war klassischer osmaniosmanischer Komponist und hoher Beamter im türkischen Finanzministerium. Vgl. In: Republic<br />
of Turkey. Ministry of Culture and Tourism. Online: http://www.kultur.gov.tr/DE/Genel/BelgeGoster.aspx?<br />
48BD9BC89B9B89DA6407999D5EC50F89DF36587C4B003136<br />
[Stand 2010-02-10].<br />
104 Überblick des Überblickes des neuesten Zustandes der Literatur, des <strong>Theater</strong>s und des Geschmackes<br />
in Wien von C** X**, nebst einem Anhange von H** X**. Wien: Pichler 1802,<br />
S. 78. Zit. nach Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 339, Anm. 28.<br />
105 Vgl. Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. In: J. G. S. Werke<br />
in zwei Bänden. Hrsg. von Jörg Drews. Bd. 1. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker<br />
Verlag 1993. (= Bibliothek deutscher Klassiker. 85.) S. 190–191.<br />
106 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 442.<br />
107 Johann Rautenstrauch: Der Kasperl. In: Aufklärung auf wienerisch. Hrsg. und mit einem<br />
Nachwort versehen von Joachim Schondorff. Wien, Hamburg: Zsolnay 1980, S. 126.<br />
108 Vgl. Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 24 und Hadamowsky, <strong>Theater</strong>geschichte, S. 486.<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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und der russische Großfürst Paul I. (d. i. Pawel Petrovič, 1754–1801) 109 . Der Chronist<br />
Pezzl beschreibt die ständische Zusammensetzung des Publikums als ausgesprochen<br />
heterogen:<br />
„Er kennt so den Geschmack des Publikums; weiß mit seinen Gebärden, Gesichterschneiden,<br />
seinem Stegreifwitz die Hände der in den Logen anwesenden<br />
hohen Adeligen, der auf dem zweiten Parterre versammelten Beamten und<br />
Bürger und des im dritten Stock gepressten Janhagels so zu elekrisieren, daß<br />
des Klatschens kein Ende ist. Bei seinem Auftritte, und wenn ihr auch nur<br />
eine Fußspitze oder seinen Rücken sehen könnt, wird schon gelacht; er hat den<br />
Mund noch nicht geöffnet und doch stehen schon die Mäuler der Zuschauer<br />
offen und harren auf seinen ersten Spaß.“ 110<br />
Adelige, Bürger und Bedienstete, Gelehrte 111 und Menschen, die sich einfach unterhalten<br />
wollten, besuchen das <strong>Theater</strong> und erfreuen sich der Späße La Roches und<br />
seiner Kollegen. <strong>Das</strong> Publikum, und das war dem Unternehmer Karl von Marinelli<br />
bestens bewusst, war der maßgebende Faktor, wollte er das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong><br />
erfolgreich führen. 112 Marinelli betrachtete La Roche als „lebendiges Kapital“ 113 ,<br />
hatte er ihm doch<br />
„zu seiner Wohlhabenheit verholfen, denn nur um ihn zu sehen und zu hören,<br />
rollten Hunderte von Kutschen in die Jägerzeile, wo Marinelli bereits aus den<br />
Summen, die ihm Kasperl eingebracht, ein eigenes Schauspielhaus erbaut hatte.<br />
Kasperl erschien nun auf diesem <strong>Theater</strong>, und da ein regelmäßiges Schauspiel<br />
fest gegründet war, sich des Schutzes des Kaisers und der lebendigen Theilnahme<br />
der besseren Stände erfreute, so war für ein Abirren des Geschmackes<br />
nichts mehr zu besorgen; aber das Kasperltheater war für ein Publicum, das sich<br />
ergötzen wollte, eben so nothwendig geworden wie das höhere Schauspiel, für<br />
welches das Interesse in jenen Tagen immer mehr zunahm.“ 114<br />
<strong>Das</strong> Publikum suchte überdies die Abwechslung von den ernsten Stücken der Nationaltheater<br />
115 und auch die Befriedigung lukullischer Genüsse: „Auf dem zweiten<br />
und dritten Platz dieses <strong>Theater</strong>s werden Bier, Brod und Würste zum Kauf herumgetragen;<br />
eine sehr willkommene Bequemlichkeit für das durch Lachen ausgetrock-<br />
109 Vgl. Schindler und Fastl, La Roche (Laroche).<br />
110 Pezzl, Skizze von Wien, S. 321.<br />
111 Vgl. ebenda.<br />
112 Vgl. dazu auch: Reinhard Urbach: Die Wiener Komödie und ihr Publikum. Stranitzky und<br />
die Folgen. München: Jugend und Volk 1973, S. 64–66.<br />
113 Pezzl, Skizze von Wien, S. 321.<br />
114 Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 14, S. 161.<br />
115 Vgl. Pezzl, Skizze von Wien, S. 321.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
nete und ermüdete Publikum!“ 116 Die Beliebtheit Kasperls – der im Laufe der Jahre<br />
zu einem wahren Publikumsmagneten 117 wurde – ermöglicht sogar Grobheiten gegenüber<br />
dem zahlenden Publikum:<br />
„Laroche machte Marinelli durch die zahlreichen Einnahmen, die er ihm verschaffte,<br />
nicht nur außerordentlich stolz und übermütig, sondern auch brutal<br />
gegen das Publikum. Stand der Name des Kasperls auf dem <strong>Theater</strong>zettel, so<br />
konnte man sicher sein, daß am frühen Morgen schon alle Logen und Sperrsitze<br />
vergriffen waren. Der Zudrang war ungeheuer und das Volk belagerte schon<br />
um ein Uhr mittags das Schauspielhaus. Um diese Stunde tafelte Herr Marinelli.<br />
Es ging natürlich nicht ohne Spektakel ab. Die Leute zankten, schimpften<br />
und prügelten einander. Wenn Herr Marinelli dies hörte, eilte er auf den Gang<br />
hinaus. ‚Ihr verflucht’s G’sindel‘, redete er sein Galeriepublikum an, ‚wollt’s<br />
mich nit ruawig (ruhig) essen lassen?! Noch einen Laut gebt von euch und<br />
ich lass’ den Kasperl gar nit spiel’n. Wart’s, ich werd euch schon derwischen<br />
(erwischen)!‘“ 118<br />
�hnliche Anekdoten berichten vom Umgang La Roches mit seinem Publikum:<br />
„Was Laroche überhaupt für eine Gewalt bloß durch den Ton seiner Stimme<br />
auf das Publikum ausübte, mag auch folgender Umstand beweisen. Manchmal<br />
geschah es, daß Kasperl noch nicht angekleidet war, wenn er schon auf die<br />
Szene treten sollte. Wenn nun ein Schauspieler schon extemporierte, um statt<br />
dessen die Lücke aus zu füllen, und der <strong>Theater</strong>inspizient in die Garderobe lief<br />
und ängstlich rief: ‚Herr Laroche, ich bitte Sie, es ist schon höchste Zeit‘, da<br />
antwortete Laroche ganz phleg matisch: ‚Mach’ die Türe auf!‘ Und nun schrie<br />
er aus vollem Halse: ‚Auwedl! Auwedl! Auwedl!‘ und in diesem Augenblick<br />
hörte man auch das schallende Gelächter des Publikums, welches an diesen<br />
Worten, womit er fast immer aufzutreten pflegte, seinen Liebling erkannte, bis<br />
in die Garderobe hinauf.“ 119<br />
„Laroche war nicht nur ein Kasperl, sondern auch ein guter Schauspieler. Er<br />
bewährte den tüchtigen Darsteller, den denkenden Künstler, wenn er einen<br />
gut gezeichneten Charakter vorzuführen hatte. Nur wenn er der Kasperl sein<br />
mußte, trieb er es bunt, schnitt Gesichter, zappelte mit Händen und Füßen<br />
und machte Lazzi. – Wenn das Publikum hinter den Kulissen seine Stimme<br />
hörte, geriet es schon außer sich. Wenn er sich dann näherte, seinen Gönnern<br />
zuerst einen Fuß, eine Hand, am liebsten das Hinterteil zeigte, konnte man<br />
glauben, das Publikum sei von der Tarantel gestochen worden, aber nicht etwa<br />
nur das auf der letzten Galerie, sondern auch das in den Logen und im ersten<br />
116 Ebenda, S. 322.<br />
117 Pezzl betont eigens, dass er mehrere Leute kenne, die das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> täglich<br />
besuchten. Vgl. ebenda, S. 324.<br />
118 Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 59–60.<br />
119 Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 262.<br />
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Parterre. Selbst die feineren Kreise Wiens, der höhere Adel, waren in den<br />
Kasperl verliebt. Wenige fanden kein Behagen an ihm und zu diesen gehörte<br />
der Hof. Kaiser Franz sah den Kasperl nur einmal und nicht wieder. Als Direktor<br />
Marinelli den Kaiser <strong>bei</strong>m Verlassen des <strong>Theater</strong>s mit silbernen Armleuchtern<br />
über die Stiege bis zum Wagen begleitete, bemerkte dieser: ‚Nun<br />
hab’ ich das Wundertier auch gesehen, über welches ganz Wien lacht; ich<br />
muß gestehen, ich habe nicht lachen können. Der Mann macht doch gar zu<br />
gemeine Faxen und schreit so sehr, daß mir noch die Ohren gellen. Ich ersuche<br />
Sie jedoch, Herr Marinelli, dies Ihrem Laroche nicht wieder zu sagen.<br />
Ich möchte nicht den Mann kränken, der meine Wiener so gut unterhält.‘“ 120<br />
Ein wesentlicher Teil der Komik La Roches rührt von den Extempores her, steht<br />
Kasperl ja in der hanswurstischen Tradition. Auch wenn die „Anreden eines Schauspielers<br />
an das Parterre […] auch auf kleinen Volkstheatern […] nicht immer wohl<br />
schicklich“ sind, 121 so sollen La Roches Anspielungen auf Stadtereignissen gerade<br />
in seinen frühen Jahren „einen besonderen Reiz seines Spieles ausgemacht haben,<br />
obwohl es natürlich Gegner gab, die sich über ‚Grobheiten und antastende Worte‘<br />
entrüsteten“ 122 . Die Wienerische Kronik spricht von „launichte[n] Einfälle[n]“, die<br />
einer „gewissen schalkhaften Feinheit“ 123 nicht entbehren. Wie sah nun das Extemporespiel<br />
La Roches aus? Als guter Beobachter 124 seiner Zeit und Zeitgenossen<br />
brauchte er nicht zu viel Phantasie, um einige „Wiener Tagesbegebenheiten und<br />
Stadtereignisse“ 125 auf die Bühne bringen zu können.<br />
„Er war ein lebendiges Neuigkeitsblatt, hechelte alle Unsitten und Torheiten<br />
durch und schonte niemand. Seine Satire richtet sich gegen alle Stände und<br />
man würde sich heute von einem Komiker nicht den hundertsten Teil dessen,<br />
was Laroche an Ausfällen, Anspielungen und handgreiflichen Andeutungen<br />
leistet, gefallen lassen.<br />
[…]<br />
Ein in Wien sehr bekannter Kaufmann machte Krida. Er fiel dem tollen Aufwand<br />
seiner Frau zum Opfer. Dieser Kaufmann hieß Wagener und hatte seine<br />
Niederlage <strong>bei</strong>m ‚Scharfen Eck‘ in der Wollzeile. Es wurde ein Stück gegeben,<br />
das den Titel führte: ‚Der Hausherr in der Narrengasse‘. Laroche spielte den<br />
Hausknecht. Der Hausherr fragt ihn, was es in Wien Neues gebe? ‚In der Woll-<br />
120 Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 60.<br />
121 <strong>Theater</strong>zeitung vom 5. Oktober 1811, S. 315.<br />
122 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 433.<br />
123 Ebenda, S. 436.<br />
124 Vgl. Zahubien, Joachim Perinet, S. 63.<br />
125 Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 58.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
zeile‘, berichtet dieser, ‚hat ein Kaufmann statt seinem Kutscher die Zügel seiner<br />
Frau in die Hand gegeben. Beim ‚Scharfen Eck‘ hat sie umgeworfen und<br />
ihren Mann so grausam angeschleudert, daß er sich verblutet hat. Sie ist mit<br />
heiler Haut davongekommen, aber das Kalesch hat dermaßen Schaden gelitten,<br />
daß es der Wagner nicht mehr herstellen kann.‘“ 126<br />
La Roches Stegreifspiel übte wohl große Anziehungskraft auf das Publikum aus,<br />
Wurzbach weiß zu berichten, dass er viel extemporiert hätte, und „der Beifall [jedoch]<br />
mehr dem Gesichterschneiden, den Lazzis und der geschickten Unbehilflichkeit<br />
[galt], womit er sich zu benehmen wußte“ 127 . Schindler zitiert Castelli, der<br />
La Roche gar als „personifizierte populäre Komik“ bezeichnete, nach dem „kein<br />
Komiker mehr so ganz die Populance für sich zu gewinnen“ 128 wusste.<br />
Natürlich war auch die Wahl der Stücke ausschlaggebend für La Roches Erfolg. <strong>Das</strong><br />
Repertoire, in dem Kasperl auftrat, wechselte im Laufe der Zeit von Burlesken in<br />
der Anfangszeit über Singspiele und regelmäßige Lustspiele bis hin zu Lokal- und<br />
Volksstücken in den letzten Jahren La Roches. Mit Ausnahme von Parodien agierte<br />
Kasperl in sämtlichen bekannten und am Vorstadttheater beliebten Genres. 129<br />
„Die Hauptmasse der für Kasperl eingerichteten Stücke sind Burlesken, die<br />
zweifellos unter dem Einfluß der Stegreifburleske aus der Prehauser-Zeit stehen,<br />
ohne daß sich direkte Beziehungen nachweisen ließen. Es sieht vielmehr<br />
so aus, als seien die zahllosen Verkleidungen sozial etwas niedriger gegriffen:<br />
Lumpen-, Hechel- und Mausfallenkrämer, Limonihändler, Sesselträger, Anstreicher,<br />
Stockmeister, Totengräber. Aber Laroche spielt auch noch einen<br />
Krautschneider, wie weiland Stranitzky, und Kammerlakaien, Haushofmeister,<br />
Friseure, Porträtmaler, Rekruten, lustige Bediente und vor allem ‚böse Wiener<br />
Früchteln‘ wie Prehauser, und wie dieser exzelliert er in seiner Jugend in<br />
Verwandlungsrollen.“ 130<br />
Die Rollen, die La Roche in seiner Frühzeit als Kasperl verkörpert, entstammen<br />
zumeist dem Repertoire, 131 welches von der damals noch kleinen Badner Gesellschaft<br />
unter dem Prinzipal Marinelli (bzw. Menninger) während derer Wanderjahre<br />
zusammengetragen worden war: Harlekinaden, Maschinenkomödien, Bernardoniaden<br />
und sogar – wenngleich selten – Haupt- und Staatsaktionen befinden sich auf<br />
126 Ebenda.<br />
127 Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 14, S. 162.<br />
128 Schindler und Fastl, La Roche (Laroche).<br />
129 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 436.<br />
130 Ebenda, S. 437–438.<br />
131 Vgl. Jennyfer Großauer-Zöbinger: Karl von Marinelli (1745–1803). <strong>Das</strong> Gesamtwerk. Edition<br />
und Studie. Graz, Univ., Diss. (im Entstehen)<br />
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dem Spielplan. Seit Mitte der achtziger Jahre bear<strong>bei</strong>tet Joachim Perinet ältere Texte<br />
und schafft Zauberkomödien und Feenmärchen, doch<br />
„diese Zauberkomödie schien nicht gedeihen zu wollen, obwohl es ein Interesse<br />
dafür gab, wie die Neubear<strong>bei</strong>tungen von Perinet beweisen, und obwohl das<br />
<strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> für diese Gattung bühnentechnisch gut ausgestattet<br />
war. Man könnte vermuten, daß der vorsichtige Marinelli an der Ausstattung<br />
sparte. Aber die Tatsache, daß man sich mit Modernisierungen alter Stücke<br />
behelfen mußte, läßt wohl ein Versiegen der seelischen Spannungen erkennen,<br />
aus denen das barocke Spiel mit Diesseits und Jenseits erwachsen war.“ 132<br />
Es kam zu einem regelrechten „Notstand“, Textbücher wurden dringend benötigt,<br />
„denn sein führenden Komiker, der in dieser seiner ersten Entwicklungsperiode<br />
ganz auf burleskes Spiel gestellt war, konnte der Möglichkeiten eines raschen<br />
Szenen- und Gestaltenwechsels, die das Zauberstück gewährleistet, nicht gut<br />
entraten. Er hat tatsächlich in seinen Anfängen auch in der Burleske ohne Zauber<br />
nur Verwandlungsrollen gespielt und stieß mit diesen Stücken auf stärksten<br />
und – nach den zwei erhaltenen schwachen Burlesken zu schließen – gewiß<br />
nicht unberechtigten Widerstand.“ 133<br />
Marinelli erkannte, dass er mit dem alten Repertoire der Wandergesellschaft keinen<br />
abwechslungsreichen und ansprechenden Spielplan zusammenstellen konnte. So<br />
„baute [er] zuerst den Spielplan nach der Seite des Musikdramas hin aus“ 134 und<br />
nahm Musiker, Sänger und Tänzer in das Ensemble auf (unter ihnen die Brüder<br />
Baumann und den Komponisten Wenzel Müller, die für das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong><br />
zu tragenden Personen wurden). Dem Singspiel zur Seite gestellt wurde bald die Komödie<br />
mit Gesangseinlagen, die „Kasperl und dem um ihn versammelten Ensemble<br />
Gelegenheit zur Entfaltung ihrer eigensten Gabe der komischen Spiegelung des<br />
Wiener Lebens bot“ 135 . Doch der Gattungen und Genres gab es wesentlich mehr,<br />
ungemein vielfältig sind die Bezeichnungen, vielfältig die Möglichkeiten, Kasperl in<br />
die Komödie zu integrieren: Regelmäßige Lustspiele, bürgerliche Schauspiele, Sittenkomödien,<br />
Soldaten- und Zeitstücke, Lokalstücke, Ritter- und Geisterstücke,<br />
Zauberstücke und natürlich und nicht zuletzt das romantisch-komische Volksmärchen,<br />
dem La Roche sein ganz besonderes Gepräge verlieh:<br />
„[…] und die – aus Mangel an Stücken nur wenig ausgenützte und <strong>bei</strong>nahe<br />
zur Seite geschobene – komische Kraft des Kasperl, welche die Zeit gegen sich<br />
zu haben schien. Und dennoch, was geschehen mußte, gelang: die neue Form<br />
des romantisch-komischen Volksmärchens, die sich in wenigen Jahren über das<br />
ganze deutsche <strong>Theater</strong> ausbreitete und weitere neue Formen in sich barg. Diese<br />
132 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 438.<br />
133 Ebenda, S. 439–440.<br />
134 Ebenda, S. 441.<br />
135 Ebenda.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
neue Form ist nicht die Schöpfung eines einzelnen. Sie ‚machte sich selbst‘, wie<br />
Cavour 136 vom Werden seines Staates gesagt haben soll und wie es immer geschieht,<br />
wenn eine Entwicklung reif ist. Die schöpferische Potenz, um die sich<br />
<strong>bei</strong> diesem Vorgange alles drehte, war die Urkraft der Kasperl-Komik. Daher<br />
konnte die neue Form auch nur in dem kleinen Hause in der Leopoldstadt entstehen,<br />
das Kasperl-<strong>Theater</strong> hieß und in dem allein Kasperl noch immer sicher<br />
war, ‚seine‘ Zuschauerschaft zu finden, während der ihm kongeniale Hasenhut<br />
sich in dem prächtigen Hause an der Wien […] bald vereinsamt fand.“ 137<br />
Die Kasperliade – Typenkomik in der Wiener Vorstadt<br />
Karl Marinelli engagierte Dichter, die eigens für den Wiener Kasperl Johann<br />
Josef La Roche Komödien verfassten. Schon sein Aussehen („ein gedrungener Mann,<br />
mittlerer Statur, mit lebhaften Augen und stark markierten Zügen“ 138 ) bewog das<br />
Publikum zu lachen, seine Sprache („der gemeine Wiener Dialekt“ 139 ) tat ein Übriges<br />
und vor allem die Verbindung von Sprache mit Spiel, Gestik und Mimik, Unausgesprochenem<br />
und Dargestelltem schien den besonderen Reiz auszumachen, mit<br />
dem La Roche das Publikum jahrzehntelang begeisterte, wie Castelli beschreibt:<br />
„So z. B., wenn ihm sein Herr befahl: ‚Kasperl, geh’ jetzt in jenes Haus und<br />
trage den Brief hinein‘, und er sich ein paar Mal gegen diesen Befehl geweigert<br />
hatte, der Herr ihm dann mit dem Degen drohte, so antwortete er: ‚Laßt’s<br />
stecken, er a geht schon!‘ Und hierauf ging er mit langen Schritten, die <strong>bei</strong>den<br />
Arme vor sich ausstreckend, in das Haus.“ 140<br />
Eine weitere Anekdote Castellis beweist, dass La Roches Anziehungskraft weit über<br />
das einfache Schauspiel und Rezitieren von Textvorlagen hinausging:<br />
„In einem Stücke kniet Kasperls Herr vor seiner Geliebten und erklärt ihr seine<br />
Liebe; da öffnet Kasperl die Türe und schreit herein: ‚Steh’ auf, alter Bettelstudent,<br />
d’ Hosen g’hört nit dein!‘ und ist wieder verschwunden. [...] In einem anderen<br />
Stücke spielt Kasperl einen verstellten Stummen; als man ihn aber fragt,<br />
wie lang er stumm sei, antwortet er, sich vergessend: ‚Vier Jahre!‘ Da er aber<br />
136 Camillo Benso Conte di Cavour (10. August 1810–6. Juni 1861) verfolgte als sardinischer<br />
Premierminister (seit 1852) die Idee eines geeinten Italien, konnte diese in Folge von Kriegen<br />
(etwa gegen Österreich 1859) und Bündnissen (u. a. mit Napoleon) verwirklichen und<br />
wurde schließlich der erste Ministerpräsident des im Jahr 1861 vereinten Königreichs Italien<br />
(erst 1866 gehörten auch Venetien und 1870 Rom dem Königreich Italien an).<br />
137 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 542.<br />
138 Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 260.<br />
139 Ebenda.<br />
140 Ebenda.<br />
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http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
dann dies Versehen wieder gut machen will, so antwortet er im ganzen Stück<br />
auf alle an ihn gestellten Fragen nur immer dieselben Worte: ‚Vier Jahre!‘“ 141<br />
Leider sind die Berichte über La Roches darstellerischen Esprit auf derartige Anekdötchen<br />
und kaum verifizierbare Aussagen in Broschüren oder Chroniken beschränkt –<br />
für eine weitere Analyse muss auf die erhaltenen Textgrundlagen zurückgegriffen<br />
werden: auf Szenare und Kanevasse, auf die textlich fixierten Spielgrundlagen, deren<br />
Ausgestaltung durch die Sänger und Schauspieler nur erahnt werden kann.<br />
Exemplarisch für die Masse der <strong>Theater</strong>stücke des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s stehen<br />
nachgenannte Komödien, jede von ihnen lässt eine je leicht variierte Kasperlrolle<br />
erkennen, Rollen, deren Gesamtheit den Kasperltypus präsentiert. Aus den 30<br />
im Projekt Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire<br />
des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung<br />
(2008/09) 142 edierten Kasperliaden wurden folgende hinsichtlich ihrer Kasperl-Komik<br />
analysiert:<br />
Ferdinand Eberl<br />
Kasperl’ der Mandolettikrämer (1789) 143<br />
Karl Friedrich Hensler<br />
Der Schornsteinfeger (1791) 144<br />
Der unruhige Wanderer (1796) 145<br />
Joachim Perinet<br />
Die Schwestern von Prag (1794) 146 .<br />
141 Ebenda.<br />
142 Vgl. online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/ maezene_startseite.html<br />
143 Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner Portion.<br />
Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Wallishausser 1789. Hrsg. von Jennyfer Großauer-<br />
Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/<br />
eberl_mandolettikraemer.html [Stand 2009].<br />
144 Karl Friedrich Hensler: Der Schornsteinfeger. Ein Original Lustspiel in drey Aufzügen.<br />
Wien: Wallishauser 1791, S. 8. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls<br />
(2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_schornsteinfeger.html<br />
[Stand 2009].<br />
145 Karl Friedrich Hensler: Der unruhige Wanderer, oder Kasperls lezter Tag. Erster Theil Ein<br />
Original-Feemärchen in vier Aufzügen für die Marinellische Schaubühne. Wien: Schmidt<br />
1796. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online:<br />
http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_wanderer_1.html [Stand 2009].<br />
146 Joachim Perinet: Die Schwestern von Prag. Als Singspiel in zwey Aufzügen, nach dem Lust-<br />
Joachim Perinet: Die Schwestern von Prag. Als Singspiel in zwey Aufzügen, nach dem Lustspiele<br />
des Weyland Herrn Hafner, für dieses <strong>Theater</strong> bear<strong>bei</strong>tet von J. P., <strong>Theater</strong>dichter,<br />
und Mitgliede dieser Gesellschaft. Wien: Schmidt 1794. Hrsg. von Jennyfer Großauer-<br />
Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/<br />
perinet_schwestern.html [Stand 2009].
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Die Auswahl erfolgte einerseits durch die Präsenz der Kasperlrolle im jeweiligen Text<br />
sowie andererseits durch die ihr je intendierte Relevanz für die komische Handlung<br />
(Qualität und Quantität der Kasperlrolle).<br />
„Die Textdichter Kasperls werden nicht müde, für ihn immer neue Situationen<br />
zu finden, in denen sich diese seine Komik ausleben kann. […] Besonders lustig<br />
war es aber offenbar, wenn er von einem Ungeheuer durch die Luft entführt<br />
wurde, denn dieser Trick wird fast in jedem Stück wiederholt. Oft genug verwandelt<br />
sich der Baum, auf dem er festen Halt sucht, in ein Untier, das mit ihm<br />
davonfliegt, oder in eine Windmühle, die ihn herumwirbelt. Die Komik der<br />
Hilflosigkeit, die <strong>bei</strong> solchen Gelegenheiten an ihm in Erscheinung trat, war<br />
offenbar so überwältigend, daß die Dramatiker eine geradezu sadistische Phantasie<br />
an den Tag legten, um Kasperl in immer neue Verlegenheiten zu bringen,<br />
und gute wie böse Zauberer, erlösungsbedürftige, von Tragik und Grauen umwitterte<br />
Gespenster, ganz zu schweigen von gutgelaunten Feen und spitzbübischen<br />
kleinen Schutzgeistern <strong>bei</strong>derlei Geschlechts, beteiligen sich eifrig an<br />
dem Unfug. Sehr verlockend war es, den stets ess- und trinklustigen Kasperl<br />
ein wenig Tantalusqualen ausstehen zu lassen.“ 147<br />
Kasperl, der als Kaspar, Kasperl oder auch Käsperle auf die Bühne tritt, ist stets und<br />
in allen Stücken der <strong>Leopoldstädter</strong> Bühne als ‚besondere Person‘ gekennzeichnet –<br />
nicht durch seine ständische Zugehörigkeit oder durch seinen Beruf, sondern durch<br />
sein Verhalten, das ihn zum ersten von den anderen Rollen klar unterscheidet und<br />
das er gleichzeitig und zum zweiten dem Publikum gegenüber zeigt. Immer wieder<br />
fällt Kasperl aus der Rolle und durchbricht die Bühnenillusion für lustige Zwischenbemerkungen,<br />
um die Handlung zu kommentieren oder gar zu hinterfragen und<br />
um die Protagonisten zu bewerten. „Kasperl wirkt gegen die Idee und gegen die<br />
Handlung der Stücke, denn er steht in keiner echten Beziehung zu den anderen<br />
dramatischen Personen, sondern bleibt für sich, hat er gelegentlich auch mit ihnen<br />
zu tun“ 148 , schreibt Binder in ihrer Ar<strong>bei</strong>t und spricht damit vor allem die frühen<br />
Stücke an, die die Marinellische Gesellschaft zur Aufführung brachte. Auch in den<br />
romantisch-komischen Volksmärchen Henslers und generell den um 1800 entstandenen<br />
Lustspielen ist diese dem Kasperl typische Eigenart noch augenscheinlich,<br />
obschon Kasperl zusehends in das Spiel integriert wird. Dadurch nimmt seine Selbständigkeit<br />
in den Lazzi zwar ab, doch gerade in den jüngeren Stücken interagiert<br />
Kasperl vermehrt mit dem Publikum, wie dies aus den Nebentextanweisungen der<br />
Lustspieldrucke hervorgeht.<br />
147 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 575.<br />
148 Marika Binder: La Roche – Kasperl in Karl Friedrich Henslers Stücken. Wien, Univ., Dipl.-<br />
Arb. 1994, S. 76.<br />
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Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
Ein ausgesprochen fragwürdiger Charakter haftet dem Kasperl in Ferdinand Eberls<br />
Kasperl’ der Mandolettikrämer 149 an.<br />
Angesprochen auf seine Vergangenheit, gibt er sich seinem einstigen ‚Weggefährten‘,<br />
dem inkognito reisenden Baron Karl Wellbach (der sich ‚Lindenthal‘ nennt) als Jäger<br />
Franz zu erkennen, der in Graz ein „ganz artiges Kapitälchen zu schneiden“ 150<br />
wusste und sich dann nach Wien wandte, denn „wer auf der langen Kegelstadt<br />
seines Lebens einmal neune scheibt – der soll zu spielen aufhören, denn zweymal<br />
geräths selten“ 151 . In Wien betreibt er, der sich nun Kaspar Ellenbogen rufen lässt,<br />
gemeinsam mit Everl, seiner Frau, ein Bäckergewölbe und vertreibt als fliegender<br />
Händler Mandoletti und andere Backwaren. <strong>Das</strong>s dies nicht sein einziges Einkommen<br />
ist, gesteht er seinem früheren Bekannten, dem Schwerenöter Baron Wellbach,<br />
gleich <strong>bei</strong> ihrem Wiedersehen in der Hauptstadt Wien. Kaspar vermietet auch –<br />
recht unverblümt, da er seinen Bäckerladen mit dem Zeichen des Cupido versieht –<br />
„ganz niedlich eingerichtete Zimmer“ 152 zu verschiedenen Lustbarkeiten seiner verschwiegenen,<br />
aber gut zahlenden Gäste. In Kaspars Räumlichkeiten werden sich im<br />
Laufe der Handlung die Intrigen kumulieren, verdichten, schlussendlich in allgemeiner<br />
Konfusion aufbrechen und sich wieder lösen. Hauptangelpunkt der Kabalen<br />
ist Baron Wellbach. Wellbach ist unmittelbar nach seiner eigenen Hochzeit mit<br />
dem Stubenmädchen Lisette durchgebrannt; diese lebt, vorerst noch von allen unerkannt,<br />
in Kaspars Haus, als dessen vorgebliche Muhme. Seit dieser Flucht verführt<br />
er unter wechselnden Namen Frauen (<strong>bei</strong>nahe) jeder sozialen Schicht: Er umwirbt<br />
Dienstmädchen genauso wie Bürgersfrauen oder adlige Damen. Ungeachtet seiner<br />
aufkeimenden Liebe, die er für Blande empfindet (die niemand anders ist als seine<br />
eigene Gattin Amalia), macht er Kasperls Frau Everl den Hof, als diese Backwaren<br />
austrägt. Sie ist naiv genug, sich auf ein Abenteuer mit dem Baron einlassen zu<br />
wollen, doch Wellbach erkennt ihre Einfalt als Ehrlichkeit und möchte nicht zum<br />
„Urheber ihres Verderbens“ 153 werden, das die unausweichliche Folge einer Affäre<br />
wäre. Stattdessen besinnt er sich gewisser adeliger Tugenden 154 und möchte Kaspar<br />
149 Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner Portion.<br />
Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Wallishausser 1789. Hrsg. von Jennyfer Großauer-<br />
Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/<br />
eberl_mandolettikraemer.html [Stand 2009].<br />
150 Eberl, Mandolettikrämer, S. 15.<br />
151 Ebenda.<br />
152 Ebenda.<br />
153 Ebenda, S. 26.<br />
154 Der Text lässt keine genaue Charakterisierung der Figur Wellbachs zu; sein plötzlicher<br />
Sinneswandel wirkt durch die mangelnde Beschreibung jedweder moralischen Gesinnung<br />
unmotiviert und keinesfalls begründbar.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Ellenbogen eine Lehre erteilen („aber Spaß solls mit den sinnreichen Kaspar Ellenbogen<br />
geben – der ihm gewiß die Luft nehmen soll – je wieder den Unterhändler<br />
zu spielen!“ 155 ). Sein anderes Engagement nimmt er jedoch zusehends ernster: Lindenthal<br />
(bzw. Baron Karl Wellbach) spricht persönlich <strong>bei</strong> Blande (bzw. Baronin<br />
Amalia Wellbach) vor, nachdem der Kuppler Klinger sich seine Dienste zwar bezahlen<br />
ließ, sie aber nicht ausführte. Erst weist Blande Lindenthal zurück, doch auch<br />
sie verliebt sich in ihn und identifiziert zuletzt ihren Mann in ihm. Nicht nur das<br />
Paar Wellbach muss noch etliche Hürden bewältigen 156 , ehe die finale Versöhnung<br />
stattfinden kann. In diese Intrigen sind weiters verwickelt: Kaspar Ellenbogen und<br />
Everl, Herr und Frau Katzbalg – die Protagonisten der an die Tradition des Abc-<br />
Schützen anschließenden Nebenhandlung 157 , deren Sohn, der Dümmling Jakob,<br />
und die ehebrecherische, verheiratete Tochter Madame Buchwald (die eine durch<br />
Klinger arrangierte Affäre mit dem Baron Wellbach eingehen möchte, da sie glaubt,<br />
sich dadurch gesellschaftlich bessern zu können) sowie ihr moralisch integrer Gatte<br />
Herr Buchwald. Hauptschauplatz sind stets die zwielichtigen Räumlichkeiten des<br />
‚Mandolettikrämers‘ Kaspar.<br />
Everl charakterisiert ihren Mann zwar nicht als alt oder hässlich, aber doch als „mürrisch<br />
– eifersüchtig – geizig“ 158 und bezeichnet ihn als „mein altes Erbsen gesicht“ 159.<br />
Er selber schildert sich, wenn auch indirekt, weit genauer:<br />
„Baron. Nu! das versteht sich ja – und damit du siehst, daß ich dein Vertrauen<br />
erwiedere, so hör einmal – Ich hab so eine kleine Liebesavanture vor – und da<br />
sollst du mir dabey helfen! –<br />
Kaspar. Herzlich gerne – bin mit Leib und Seele dabey!! –<br />
Baron. Ja aber die Affaire ist ein bisgen –<br />
Kaspar. Kitzlicht – verstehs schon – aber machen wir nichts daraus – ich geb<br />
Ihnen mein Wort – Sie sollen mit mir wacker bedient seyn!<br />
Baron. Nu das will ich sehen es ist ein eifersüchtiger, mürrischer Mann im<br />
Weg! –<br />
Kaspar. Kinderey – den Narren schaffen wir halt auf die Seite – oder wir betrügen<br />
ihn vor der Nase –<br />
155 Eberl, Mandolettikrämer, S. 26–27.<br />
156 So erkauft sich Baron Wellbach <strong>bei</strong>spielsweise von Lisette ihr Schweigen. Vgl. ebenda,<br />
S. 21.<br />
157 Vgl. Johann Joseph Felix von Kurz: Bernardon der 30jährige ABC-Schütz. In: Brandner-<br />
Kapfer [Hrsg.]: Johann Joseph Felix von Kurz, S. 338–364.<br />
158 Eberl, Mandolettikrämer, S. 10.<br />
159 Ebenda, S. 11.<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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Baron. Und das Weibchen ist ein bisgen schüchtern – weiß sich nicht recht<br />
anzuschicken!<br />
Kaspar. Itzt gehens mit solchen Kleinigkeiten – ein Weib – sich nicht recht<br />
anzuschicken – nu! nur Geduld – Sie werden doch ihre gelben Sprachmeister<br />
nicht vergessen? –<br />
Baron. War das schon je bey mir Frage? –<br />
Kaspar. Nu so sind wir schon zu Hauß! –<br />
Baron. 200 Dukaten sollen heute noch dein seyn – wenn das Weibchen mein<br />
wird!<br />
Kaspar. 200 Dukaten – o! Fikrament! – nu! ich habs ja erst gesagt – das Ihnen<br />
um ein hübsches Gesichtl kein Dukatl zu rund ist, 200 Dukaten – mir ist als<br />
ob Sie mirs schon aufzählten – sollen sehen – daß das Weiberl eben so reden<br />
lernen, als der Esel von einem Mann blind werden muß, kommen Sie nur in<br />
einer Stunde in mein Magazin – und da wird mein Plan fertig – und alles zu<br />
Ihren Diensten bereit seyn! – Fikrament 200 Dukaten sagen Sie? –<br />
Baron. 200 Dukaten! –<br />
Kaspar. Vezeihens mir! – aber könnte ich nicht etwelche sehen – nur sehen – es<br />
wird mir völlig kurios – wann ich die Dinger nur anschauen kann – die guten<br />
Gedanken kommen mir völlig als wie ein Platzregen –“ 160<br />
Dies Zitat kennzeichnet Kaspar, so wie Eberl sich ihn vorstellt, in hervorragender<br />
Weise. Kaspar ist gleichermaßen eilfertig („Herzlich gerne – bin mit Leib und Seele<br />
dabey!!“), jedes Mittel scheint ihm recht („den Narren schaffen wir halt auf die Seite<br />
– oder wir betrügen ihn vor der Nase“), dumm (er bemerkt nicht, dass er selbst<br />
der Gefoppte sein wird) und schlau („Kitzlicht – verstehs schon“); Kaspar kennt die<br />
notwendigen Mittel („gelben Sprachmeister“) und auch die Frauen („Itzt gehens mit<br />
solchen Kleinigkeiten – ein Weib – sich nicht recht anzuschicken“), Kaspar agiert<br />
anderen gegenüber abschätzig (verbal: „Kinderey“) und betrügerisch, zugleich aber<br />
auch ehrlich („ich geb Ihnen mein Wort“), und zwar immer dann, wenn er sich<br />
einen Vorteil erwartet. Eberls Kaspar ist alles andere als redlich. Augenzwinkernd<br />
erinnert er den Baron Wellbach an Erlebnisse ihrer gemeinsamen Vergangenheit:<br />
„Kaspar. […] warn so oft mitsammen auf der Jagd in Gratz – erinnern Sie sich<br />
denn gar nimmer auf den ehrlichen Kerl, der sie so manchmal des Nachts, mit<br />
dem werthen Herrn Hofmeister zum Fenster hinaus praciticiren half – wofür<br />
so mancher ehrsamer Dukaten in meinen Schubsack flog.“ 161<br />
Nun verfügt er über eine „ganz besondere Einrichtung in meinem Hause […] im<br />
ersten Stock ganz niedlich eingerichtete Zimmer […] ober meinem Quartier steht<br />
160 Ebenda, S. 19–21.<br />
161 Ebenda, S 14.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Cassino – können also nicht fehlen – zu ebener Erde ist meine Boutique – und der<br />
Schild heißt beym Cupido auf dem grossen Ring“. 162 Kaspars insgeheim erwirtschafteter<br />
Verdienst stammt also unter anderem aus passiver Kuppelei, ein Geschäft,<br />
das durchaus lukrativ zu sein scheint, bedenkt man <strong>bei</strong>spielsweise die oben zitierte<br />
beträchtliche Summe von 200 Dukaten, die der Baron Kaspar verspricht, oder die<br />
fünfzig Souverän der Katzenbalg, die einerseits ein „Piknik“ 163 im offiziellen Kasino<br />
Kaspars und andererseits ein „Extrazimmer […] ganz von aller Gesellschaft<br />
gesondert“ 164 gegen Bezahlung von weiteren Dukaten ordert. Als ein Kunde, der<br />
Hochstapler Schevallier de Grand Fortune (eigentlich ein Friseur), nicht zahlen<br />
kann, wird Kaspar grob – eine Eigenart, die übrigens in Eberls Text auch anderen<br />
Figuren eigen ist, so wird sogar der an sich redliche Herr Buchwald seiner Frau gegenüber<br />
handgreiflich 165 , als er diese an einen anderen Mann zu verlieren fürchtet.<br />
Kaspar greift den Betrüger und Zechpreller tätlich an und macht ihn verächtlich:<br />
„Kaspar. Lumpengesindel? einen ehrlichen Burgers Mann? wart ich will dichs<br />
lehren du Windbeutel – itzt bezahl, oder ich schlag dich blau! – (alle Köche und<br />
Köchinnen umrungen den Chevalier, der auf die Knie niederfällt und bitt)<br />
Chev[alier]. Ik bitten tausendmal um der Verzeihung – aber ik nit aben Geld<br />
bey mir!<br />
Kaspar. Was? – heraus mit die Dukaten!<br />
Chev[alier]. (zieht den Beutel heraus) Ah bien Pardon! – es sind dir nik Dukat!<br />
–<br />
Kaspar. Was – keine Dukaten also Dantes? Ih du Gottloßer Leutbetrüger –<br />
wart ich will dich lehren (zu den Leuten) nehmt ihm etwas weg! –<br />
Koch. Den Hut! –<br />
Kaspar. Der ist zerlumpt! –<br />
Koch. Den Degen! –<br />
Kaspar. (versuchts) der ist ja angenäht – nichts da – den Harbeutel! –<br />
Chev[alier]. Ah mon dieu ik bitt – bitten um alles in der Welt nur – nur lassen<br />
meiner Arbeutel! –<br />
Alle Köche. Nichts da! – nur her – (sie lösen ihm den Harbeutel ab)<br />
Chev[alier]. Ah verdammte Streik – itzt wo ik nehm Arbeutel – ah quelle<br />
Sottise! (lauft ab)<br />
162 Ebenda, S. 15–16.<br />
163 Ebenda, S. 40.<br />
164 Ebenda, S. 41.<br />
165 Vgl. ebenda, S. 74.<br />
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Kaspar. Ha! – ha! – nicht übel – ein franzöischer Harbeutel, itzt da mach ich<br />
eine Kastrollpastete darüber, und gieb ihn heute beym Souppe als das vierte<br />
Eingemachte! – (alle lachen)“ 166<br />
Auch wenn die Komik derartiger Szenen aus dem Verständnis des 21. Jahrhunderts<br />
kaum noch nachzuvollziehen ist, hatte Eberls Text beachtliche Wirkung auf das<br />
zeitgenössische Publikum. Nach der Uraufführung des Lustspiels am 13. Dezember<br />
1787 wurde Kasperl’ der Mandolettikrämer am <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> 15-mal im<br />
Laufe zweier Jahre wiederholt und kam auch an anderen Vorstadttheatern zur Aufführung.<br />
167 Castelli berichtet anlässlich einer dieser Aufführungen:<br />
„Ich ging eines Tages durch die Praterstraße (Jägerzeile) spazieren und sah von<br />
dem noch geschlossenen <strong>Theater</strong>tore eine große Menge Menschen stehen, welche<br />
auf das Aufsperren wartete. Ich besah den daneben ausgehängten Zettel,<br />
man gab: ‚Kasperl, der Mandolettikrämer‘. Die Versammelten waren in einen<br />
dichten Knäeuel zusammen gepfercht und lärmten, stießen schrien und drängten,<br />
weil jeder der nächste am Tore sein wollte, um ja gewiß einen guten Platz<br />
zu bekommen.“ 168<br />
Ungewiss ist, aus welchem Grund das Publikum tatsächlich in die Aufführung<br />
schwärmte. Fraglos zog La Roche viele Menschen an, wenn sein Name auf der Ankündigung<br />
zu lesen war, denkbar ist aber zusätzlich zu seiner viel beschworenen<br />
Beliebtheit auch das sicher unstillbare Bedürfnis des Publikums nach Neuigkeiten<br />
(vielmehr Stadtgespräche oder auch Lästerreden), das die Wiener ins <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong> – natürlich auch in die anderen Vorstadttheater – drängte. Unterstützung<br />
findet diese Hypothese in der Tatsache, dass es sich <strong>bei</strong> Eberls Text um eine Gelegenheitsdichtung<br />
handelte, die dieser anlässlich eines konkreten Skandals in der<br />
Wiener Gesellschaft verfasst hatte 169 und die wiederum skandalisiert und damit weiter<br />
öffentlich thematisiert wurde, wie dies etwa in der schon genannten Broschüre<br />
Bitte an die Damen Wiens das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> betreffend geschah, in der der<br />
<strong>Theater</strong>dichter Ferdinand Eberl als ein die Fakten überzeichnender und schadenfroher<br />
Mensch kritisiert wurde:<br />
166 Ebenda, S. 68–69.<br />
167 Vgl. Jennyfer Zöbinger: Dokumentation. Kasperl’ der Mandolettikrämer. Entstehung und<br />
Aufführung. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/eberl_mandolettikraemer.html<br />
[Stand 2009].<br />
168 Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 258.<br />
169 Vgl. Maria Anna Spöttl, die ‚Sardellenkönigin‘. In: Blümmel, Gugitz, Von Leuten und Zeiten<br />
im alten Wien, S. 222–237, sowie Zöbinger, Dokumentation, Kasperl’ der Mandolettikrämer,<br />
S. 4–5.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
„Er hat sich zur Kopirung – mit manch’ falschem Zusaz – eine Familie gewählt,<br />
die dadurch zum Gespötte der Stadt geworden. Er war auch schadenfroh<br />
genug, die Familie unter seinen Freunden selbst zu nennen, in Furcht, er möchte<br />
sie verzeichnet haben.“ 170<br />
Sogar der Direktor des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s Karl Marinelli wurde als Günstling<br />
(„Sie waren dennoch klein ec. genug, sich auf Unkosten dieser Familie zu –<br />
mästen“ 171 ) angegriffen. So empörend der Skandal um die tatsächlichen Geschehnisse<br />
auch sein mochte, im <strong>Theater</strong>text strebt die Handlung einer moralisch möglichst<br />
makellosen Lösung zu. Kaspar, der in seinem „Lebtag mehr solche Prozesse unter<br />
den Händen gehabt“ 172 hat, soll seiner Läuterung zugeführt werden – dies ist die<br />
Absicht des mittlerweile selbst einsichtigen Barons. Dieser versichert Everl, dass der<br />
von ihm geplante „Spas […] deinen Mann von all jenen Geldtragenden Projekten –<br />
die der Beutelschneiderey so ähnlich sehen, mit einem zurücke bringen [soll]“. 173<br />
Während sich Kasper noch seiner Betrügereien und Kuppeleien erfreut und selbst<br />
als der Baron ihn außerordentlich schroff zurückweist („Zum Teufel sollst du dich<br />
scheren, ich will allein seyn!“ 174 ), verfolgt er noch seinen unseligen Weg und begreift<br />
die Veränderungen um ihn herum nicht. Kaspar bemächtigt sich der verkleideten<br />
Everl und führt sie gleich einer Beute ab, 175 nur um sich das Kopfgeld des Barons zu<br />
sichern. Selbst als alle Intrigen aufgeklärt sind (noch glaubt Kaspar seine Frau Everl<br />
außer Haus), irrt er als einziger und letzter immer noch:<br />
„Kaspar. ([das maskierte] Evgen hereinführend) Fikrament was fangen wir dann<br />
itzt mit den hübschen Weiberl an? –<br />
Baron. Je nun – das hübsche Weiberl wollen wir nun wiederum zu ihrem<br />
Mann bringen, damit ja heute alles in Ordnung kömmt! –<br />
Evgen. <strong>Das</strong> hab ich mir wohl gleich gedacht, daß ich dem Schlingel wiederum<br />
in die Hände kommen werde!<br />
Kaspar. Nein mein Herzenstäuberl, das sollen sie nicht, ich will schon dafür<br />
sorgen, wenn Sie nur wollen? Herr Baron Sie überlassen mirs also? –<br />
Baron. Herzlich gerne!! –<br />
Kaspar. Tausendfikrament das ist lutzig, itzt kommens nur geschwind mit mir! –<br />
Evgen. Aber ihre Frau? –<br />
170 Bitte an die Damen Wiens, S. 16.<br />
171 Ebenda, S. 27–28.<br />
172 Eberl, Mandolettikrämer, S. 115.<br />
173 Ebenda, S. 114.<br />
174 Ebenda, S. 155.<br />
175 Vgl. ebenda, S. 156.<br />
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Kaspar. So seyns nur kein Fratz nicht – die wird gar nichts inne davon – Sie<br />
gehn mit mir, und ich bring Sie an einen Ort, wo Sie gewiß nicht endeckt<br />
werden sollen!<br />
Evgen. Nu so ist mirs auch recht! – (sie nimmt die Masque ab.)<br />
Kaspar. (der erschrickt) Alle Donner und’s Wetter! mein Weib – mein eignes<br />
Weib!<br />
Evgen. Ja du sauber’s Früchtel, ich bin’s selbst!! –<br />
Kaspar. Nein – nein das ist doch auch gar zu dumm, daß ich mein eignes Weib<br />
mit einem andern verhandeln wollte! – o! ich Esel! – ich Esel von allen Eseln! –<br />
Hr. Baron das kann ich Ihnen auf dem Todtenbette nicht verzeihen! – aber<br />
wart Weib, du, wann wir nach Hause kommen – freu dich!!“ 176<br />
Joachim Perinet: Die Schwestern von Prag177 Kaspar ist Odoardos Hausknecht, der sich – er fühlt sich oft ungerecht behandelt –<br />
gegen seinen Herrn wenden wird, um dem jungen Liebespaar zu helfen. Doch zunächst<br />
zum Haushalt Odoardos.<br />
Odoardo, verehelicht mit Kunigunde, ist der Vater Mitzerls, der drei Verehrer den<br />
Hof machen: der französische Chevalier Chemise, der versoffene Baron Papendeckel<br />
und Marquis Kletzenbrod, Dienstgeber des Johann Schneck. Alle drei begehren<br />
Einlass ins Haus, doch Kaspar ist dazu angehalten, niemanden ins Haus zu lassen.<br />
Er versieht seinen Dienst, so gut er kann, d. h. es gelingt nur dem schlauen Johann<br />
Schneck, Kaspar zu übertölpeln und ins Haus zu kriechen:<br />
„Kaspar: Krieche lieber Hanns, kriech zu!<br />
O du braves Schneckerl du!<br />
Bitt’ dich gar schön, kriech hinein!<br />
Wie wird das den Herrn nicht freun! [...]<br />
Mein Herr ist doch ein feiner Strick! Vom Kriechen hat er kein Wort nicht<br />
g’sagt.“ 178<br />
Zu den Liebhabern gesellt sich der vazierende Schneidergeselle Krispin, der sich<br />
in das Stubenmädchen Lorchen verliebt und aus sich bietender Gelegenheit in die<br />
Dienste des Baron Papendeckel tritt. Auf Baron Papendeckel wiederum hat es Kunigunde<br />
abgesehen, die ihm einen anonymen Brief zukommen lässt, anhand ihrer<br />
176 Ebenda, S. 160–161.<br />
177 Joachim Perinet: Die Schwestern von Prag. Als Singspiel in zwey Aufzügen, nach dem LustLustspiele des Weyland Herrn Hafner, für dieses <strong>Theater</strong> bear<strong>bei</strong>tet von J. P., <strong>Theater</strong>dichter,<br />
und Mitgliede dieser Gesellschaft. Wien: Schmidt 1794. Hrsg. von Jennyfer Großauer-<br />
Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/<br />
perinet_schwestern.html [Stand 2009].<br />
178 Perinet, Die Schwestern von Prag, S. 18–19.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Schrift aber später als Skribentin demaskiert werden kann. Und auch Odoardo verfasst<br />
einen Liebesbrief, dieser ist an das Stubenmädchen Lorchen gerichtet.<br />
Abends, als Mitzerl und Lorchen an das Fenster treten, beginnt zunächst ein wahrer<br />
Reigen von Ständchen und schließlich ein handfester Raufhandel, in den alle<br />
Liebhaber verwickelt werden und dem der Ruf des Nachtwächters ein Ende setzt.<br />
Odoardo lässt Kasperl wegen seiner Unachtsamkeit über Nacht in Arrest führen.<br />
Am folgenden Morgen kehrt Kaspar verstimmt zurück und erklärt sich bereit, den<br />
Marquis Kletzenbrod zu unterstützen. Dieser verabredet mit Mitzerl, die den Marquis<br />
schon seit geraumer Zeit wiederliebt, eine List, <strong>bei</strong> der Kaspar helfen soll. Odoardo<br />
wartet unterdessen auf seine Schwester aus Prag, die Mitzerl <strong>bei</strong> der Wahl ihres<br />
künftigen Gatten beraten will. Als sich Mitzerl für krank ausgibt, holt Kaspar den<br />
als Mediziner verkleideten Marquis Kletzenbrod, der eine gemeinsame Flucht vorbereitet,<br />
sollte der eigentliche Plan scheitern, nämlich Johann als Schwester auszugeben,<br />
<strong>bei</strong> der die Wahl selbstverständlich auf Kletzenbrod fiele. Und zunächst sieht<br />
es auch aus, als wäre das Liebespaar in Nöten, denn auch Krispin hat erfahren, dass<br />
Odoardo seine Schwester lange Jahre nicht mehr gesehen hat, und verkleidet sich<br />
kurzerhand als Schwester. Doch er stellt sich derart ungeschickt an, dass er <strong>bei</strong>m<br />
Eintreffen des verkleideten Johann demaskiert wird. Johann heißt (als „richtige“<br />
Schwester) die Verbindung zwischen Mitzerl und dem Marquis gut, Odoardo und<br />
Kunigunde stimmen dem auch zu, bis Johann enttarnt wird. Doch Kletzenbrod<br />
und Johann, die mittlerweile im Besitz der <strong>bei</strong>den Liebesbriefe sind, erpressen das<br />
Ehepaar, welches die Hochzeit schließlich von Herzen billigt.<br />
Die Komödie Joachim Perinets ist eine Bear<strong>bei</strong>tung der älteren Burleske Der von<br />
dreyen Schwiegersöhnen geplagte Odoardo von Philipp Hafner. Die Schwestern von<br />
Prag wurde am 11. März 1794 uraufgeführt und entwickelte sich zu einem ausgesprochen<br />
erfolgreichen Stück, das bis 1859 über 130 Wiederholungen erlebte. <strong>Das</strong><br />
wesentliche Verdienst Perinets <strong>bei</strong> der Bear<strong>bei</strong>tung ist die Verdichtung des ursprünglich<br />
„recht ungleichmäßig gewebt[en]“ 179 Lustspiels von Philipp Hafner. Perinet<br />
vermehrt die Liebesgeschichte um jenes des alternden Ehepaares, neu ist auch die<br />
zentrale nächtliche Szene, in der die Tumulte auf der Bühne eskalierten. Bei Hafner<br />
brachten die Liebhaber ihre Ständchen der Reihe nach dar, <strong>bei</strong> Perinet kommt es zu<br />
einer „Nuit à l’Italienne [...], in die schließlich alle Personen des Stückes verwickelt<br />
werden“ 180 , und die zur Kernszene des neu eingeführten Kaspars wird.<br />
Doch zunächst zur Rolle La Roches. Kaspar ist der zwar treue, jedoch ausnehmend<br />
dumme Bedienstete, der den Auftrag seines Herrn nur allzu wörtlich nimmt. Es erfüllt<br />
ihn mit Stolz, wenn er seinem Herren dienlich sein kann, doch die Befriedigung wird<br />
179 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 547.<br />
180 Ebenda, S. 548.<br />
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je ins Gegenteil gekehrt und lässt Kaspar sich schließlich gegen Odoardo wenden,<br />
als er von diesem geprügelt, verhöhnt und sogar in den Arrest geschickt wird, ohne<br />
eigentlich zu erkennen, warum. Kaspar möchte alles richtig machen, doch er vermag<br />
dies kaum; zu karg sind seine geistigen Ressourcen, und auch wenn er sich bemüht,<br />
misslingt ihm der Auftrag. Schon zu Beginn der Komödie versagt Kaspar zu hundert<br />
Prozent:<br />
„Odoardo. [...] Aber wie hat denn der Chevalier einsteigen können?<br />
Kaspar. Er ist halt auf’s Gatter zu ebner Erd g’stiegen, da hat er sich oben an<br />
G’sims ang’halten, und hat hinauf kraxeln wollen.<br />
Odoardo. Und was hast denn du dabey gemacht?<br />
Kaspar. (lacht) Ich? Ich hab’s gar fein g’macht. Ich hab g’schrieen, ,He! he! Der<br />
Herr kann sich ja zersprageln, oder gar den Hals brechen, wann er so herumkraxelt:<br />
Was brauchts denn die Talkerey da? Wann der Herr expressi einsteigen<br />
will, so kann ich ihm ja eine Leiter hohlen?‘ – Dictum factum, ich geh her,<br />
bring ihm d’ Feuerleiter, und da ist er ganz kommod eing’stiegen.<br />
Odoardo. Was! der Franzos hat über nacht in meinem Haus kampirt?<br />
Kaspar. Die Fräula Mitzerl hat ihn ja nicht hineing’lassen, und es ist ja besser,<br />
daß einer spienzelt, als daß er ein Krüppel wird?<br />
Odoardo. Hab ich dir nicht befohlen, keinen Menschen in’s Haus zu lassen?<br />
Kaspar: Sie haben g’sagt; Stell dich vor die Thür, und laß keinen Menschen<br />
hinein, aber vom Fenster haben sie nichts gesagt; das können Sie nicht reden<br />
als ein braver Mann: und ich hab all mein Lebtag ghört, Fensterln därf man<br />
aber nicht thürln.“ 181<br />
Indem er den Auftrag buchstäblich ausführt, lässt er den Galan zwar nicht zur<br />
Tür hinein, doch er unterstützt ihn am alternativen Weg, der durch das Fenster<br />
führt. Dies ist das erste, aber <strong>bei</strong>leibe nicht das einzige Missverständnis, das zum<br />
Lachen auffordert. Kaspar ist dumm, treu, ehrlich, hilfsbereit, Kaspar steht neben<br />
sich und neben allen anderen und will niemandem Böses. Natürlich ist Kaspar in<br />
bester hanswurstischer Tradition großsprecherisch. Noch zu Beginn rühmt er seine,<br />
dem Hausknecht eigene, Stärke in einem Lied („Ein Hausknecht wird überall stark<br />
honorirt, Weil jeder des Hausknechts sein Faust respectirt“ 182 ), kurz darauf muss er<br />
Schläge einstecken („Kletzenbrod. Mit dem Kerl ist nichts anzufangen; der taugt<br />
gar nicht in die Welt [...] (Er giebt Kasparn mit der flachen Klinge einen Hieb über den<br />
Rücken.) Bleib stehen, Ochs!“ 183 ), und als er schon im nächsten Auftritt auch vom<br />
zweiten Liebhaber bedroht wird, schreit er aus Leibeskräften um Hilfe („Papendeckel.<br />
Wohlan Kerl! so will ich dich, wie eine Kröte spießen. (zieht) Kaspar. (schreyt)<br />
181 Perinet, Die Schwestern von Prag, S. 7–8.<br />
182 Ebenda, S. 10.<br />
183 Ebenda, S. 13.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
He! Leute! Menschen, Kinder, Katzen, Mäus’ und Ratten kommt mir zu Hülfe!“ 184 ).<br />
Für Kasperl ist es selbstverständlich, Liebende zu unterstützen, ist er doch selbst,<br />
allerdings in erster Linie jungen, Frauen nicht unbedingt abgeneigt. Zunächst ist er<br />
<strong>bei</strong>m Rendezvous des Marquis mit Mitzerl der „Ehrenhüter“ 185 des Fräuleins. Die<br />
<strong>bei</strong>den versichern ihm, nur miteinander reden zu wollen, und Kaspar sorgt tatsächlich<br />
für einen gebührenden Abstand zwischen den Zweien. Vorerst lässt er sich zwar<br />
bestechen, doch als sie sich hinter seinem Rücken küssen wollen, streckt er seine<br />
Hellebarde dazwischen und treibt schließlich den Marquis fort 186 . Im zweiten Aufzug<br />
hat Kaspar neuerlich eine Schlüsselrolle in der Liebeshandlung: Er übernimmt<br />
die Verkleidung des Doktors, nachdem sich der Marquis ins Haus geschlichen hat,<br />
stellt ein Rezept aus und verstellt sich als würdevoller Gelehrter:<br />
„Odoardo. Nun wie stehts, Herr Doktor?<br />
Kunegunde. Geben Sie Hoffnung?<br />
Kaspar nickt mit dem Kopfe, deutet, daß sie schlummere: giebt ihnen das Rezept,<br />
und will ab.<br />
Odoardo. Nehmen Sie doch für ihre Mühe! (giebt ihm Geld)<br />
Kunegunde. Und sehen Sie bald wieder nach.<br />
(Kaspar steckt das Geld gravitätisch ein, nickt mit dem Kopfe und läßt sich bis vor<br />
die Thüre hinaus begleiten.)“ 187 .<br />
Solche Szenen, wie auch die folgende, boten mit Sicherheit viel Raum für Lazzi und<br />
es ist anzunehmen, dass La Roche auch kürzeste Auftritte mit reichlich übertriebener<br />
Gestik spielte:<br />
„Kaspar kommt gähnend aus dem Hause und dehnt sich. Izt hab’ ich g’schlafen<br />
wie ein Prinz, izt wollt ich wieder die ganze Nacht munter seyn. Der Schne-<br />
ckenhannsel ist auch wieder herausgekrochen, und izt will ich auf meinen Herren<br />
warten, damit er sieht, was ich für ein Mordkerl bin.“ 188<br />
Den Höhepunkt der Schwestern von Prag bildete gewiss die Nachtszene im Garten,<br />
als alle Darsteller nach und nach die Bühne betraten und, von unterschiedlichen<br />
Instrumenten (Requisiten und als Arienbegleitung reale Instrumente) begleitet ihre<br />
Musiknummern vortrugen. Auch Kaspar, dessen Darsteller La Roche über keine<br />
besonders schöne Singstimme verfügte, wie mehrere Chronisten bezeugten, durfte<br />
dem Stubenmädchen ein Ständchen bringen, dazu begleitete er sich selbst mit einem<br />
„hölzernen Gelächter“ (einem Xylophon):<br />
184 Ebenda, S. 15.<br />
185 Ebenda, S. 35.<br />
186 Vgl. ebenda, S. 14.<br />
187 Ebenda, S. 89.<br />
188 Ebenda, S. 33–34.<br />
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„Kaspar kommt mit einem hölzernen Gelächter auf dem Buckel.<br />
O jemine, o jemine!<br />
Mit thut schon fast der Buckel weh.<br />
Ich bring mein Instrument mit mir,<br />
Und spiels den Madeln vor der Thür’.<br />
Ich hab’, weil ich mein Lebtag g’lacht.<br />
Ein hölzerns G’lachter mitgebracht.<br />
(Kaspar legt es auf den Eckstein und schlägt)<br />
Hippedi, Huppedi, Klapp, klapp, klapp!<br />
Der Tact, der geht bey mir im Trabb.<br />
Ich sag dirs Lenorl! mein Herz hackt auch so,<br />
Und liegt auch, wie’s hölzerne G’lächter auf Stroh<br />
Hippedi, huppedi! Klabb, klabb, klabb!<br />
Schütt’s mir nur nichts auf’m Schädel herab.“ 189<br />
Karl Friedrich Hensler: Der Schornsteinfeger<br />
Die bemerkenswerteste „Entwicklung“ durchläuft Kasperl im Oeuvre Karl Friedrich<br />
Henslers. Da<strong>bei</strong> avanciert die Figur vom rührigen und meist redlichen Familienvater<br />
in den bürgerlichen Stücken zum verschlagenen und bramarbasierenden<br />
Knappen in den romantisch-komischen Volksmärchen, als deren ‚Vater‘ Hensler in<br />
die Literatur- und <strong>Theater</strong>geschichtsschreibung eingegangen ist. Da<strong>bei</strong> verläuft die<br />
Metamorphose vom bürgerlichen Biedermann zum komischen Faktotum in märchenhafter<br />
Kulisse in die eigentliche Handlung stets begleitenden Rollen, obschon<br />
Kasperl in vielen Fällen die Titel gebende Person ist. Der Kasperltypus wandelt sich<br />
merklich, doch immer bleibt er dumm, feige aber auch grundehrlich – damit sind<br />
seine Haupteigenschaften umrissen, die ihn in allen Komödien ‚begleiten‘.<br />
In den bürgerlichen Stücken Henslers (etwa Männerschwäche und ihre Folgen oder<br />
Die Krida; Der Großvater oder Die fünzigjährige Hochzeitsfeyer; Kasper, der Schornsteinfeger)<br />
„müssen sich ‚wackere‘ Bürger und tugendhafte Mädchen aufregender<br />
Verfolgungen seitens schurkischer Beamter erwehren und nur durch ein überraschendes<br />
Zusammentreffen günstiger Umstände, das ein Eingreifen des Fürsten<br />
her<strong>bei</strong>führt, können sie in letzter Stunde gerettet werden“ 190 . Da<strong>bei</strong> werden „alle<br />
Schurkerei[en ...] rechtzeitig abgewendet [...]. Die Gequälten tragen ihr unverdientes<br />
Leiden auf stoisch tugendhafte Art und Weise. Der Fürst übernimmt die Rolle der<br />
Vorsehung“ 191 . „Unbedeutende Liebes- und Heiratsgeschichten bilden den Inhalt.<br />
189 Ebenda, S. 52–53.<br />
190 Binder, La Roche, S. 32.<br />
191 Ebenda.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Immer dreht es sich darum, dass ein Liebespaar einen verhassten oder zumindest<br />
sehr ungebetenen Dritten, der das Mädchen umwirbt, abschüttelt.“ 192<br />
In Henslers „Original Lustspiel“ Der Schornsteinfeger 193 verkörperte La Roche die<br />
Titelfigur Kaspar Puff, der gemeinsam mit seiner Frau Susanna zwei Pflegekinder<br />
aufzieht: Antonia und Karlchen. Karlchens leibliche Eltern sind (und dies wird sich<br />
erst im Laufe der Handlung herausstellen) Antonia und Karl, ein heimlich verheiratetes<br />
Paar. Auch Karls wahre Identität ist ein Geheimnis: Zwar gibt er sich als<br />
Rauchfangkehrergeselle aus, jedoch ist er Seeoffizier Graf von Steinburg und Sohn<br />
des Gouverneurs Graf Bolla. Begünstigt durch dieses familiäre Geflecht können die<br />
Intrigen vom Stadtsyndikus Wilhelm (er ist der durch Neid verblendete Stiefbruder<br />
Karls) und dessen Handlanger, dem Baron Walter, in Gang gebracht werden.<br />
Kaspar ist ein Handwerker, der seine Jugend längst hinter sich gelassen hat („mein<br />
lieber Alter“ 194 ), ar<strong>bei</strong>tsam, redlich, verschroben, kurz: von einfachem Gemüte.<br />
Schon zu Beginn bescheinigt ihm der ehemalige Hofmeister Kluger (die moralische<br />
Instanz der Komödie) seine Fehlerlosigkeit („Klug[er]. (<strong>bei</strong>s.) Kasper Puff ist ein<br />
ehrlicher Mann“). Rechtschaffenheit und biedere Zurückhaltung prägen die bürgerliche<br />
Komödie Henslers, dessen Intention durch zwei Sentenzen zusammengefasst<br />
werden kann:<br />
„Wilh[elm]. [...] Ja, es sey, wo das Schicksal dem Glück der Menschen Einhalt<br />
thut, da muß unser Witz zu Hilfe kommen, und eine List durch Witz ausgeführt,<br />
muß gelten, auch wenn so bisweilen eine kleine Feinheit unterläuft.“ 195<br />
„Klug[er]. [...] wirst du deine Grundsätze, die so schön in dem Munde des<br />
ehrlichen Mannes stehen, verlassen, wirst dein Herz hören, das als Hausvater<br />
so schön für deine Familie schlägt, wirst ein glücklicher Großvater seyn, ohne<br />
nach Rang und Würde gestrebt zu haben.“ 196<br />
Der ‚Witz‘ wird als Motor des Geschehens betrachtet, List und Kabalen treiben die<br />
Entscheidungen, an deren Ende neben der Zufriedenheit aller auch der Erkenntnis-<br />
192 Norbert Wiltsch: Karl Friedrich Hensler: Ein Beitrag zur Geschichte des Alt-Wiener <strong>Theater</strong>s.<br />
Wien, Univ., Diss. 1926, S. 31.<br />
193 Uraufführung am 13. Oktober 1789, Erstdruck 1791.<br />
194 Karl Friedrich Hensler: Der Schornsteinfeger. Ein Original Lustspiel in drey Aufzügen.<br />
Wien: Wallishauser 1791, S. 8. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls<br />
(2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_schornsteinfeger.html<br />
[Stand 2009].<br />
195 Hensler, Schornsteinfeger, S. 19.<br />
196 Ebenda, S. 15.<br />
95
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
gewinn der Ehrbarkeit bürgerlicher Tugenden (natürlich möglichst auch des Publikums)<br />
stehen soll, an. „Grundsätze“ 197 und „Politik“ sind relevante und den schriftlich<br />
fixierten Text prägende Begriffe. In Erinnerung gerufen sei an dieser Stelle die<br />
(zeitgenössische) Definition des Terminus Politik:<br />
„Die Politīk: Fertigkeit, alles was in der bürgerlichen Gesellschaft vorkommt,<br />
vernünftig zu beurtheilen, die nach den Verhältnissen der Staatsverbindung<br />
bestimmte Klugheit; die Staatsklugheit, S. auch Staatswissenschaft. Ingleichen,<br />
objective, der Inbegriff aller dahin gehörigen Wahrheiten. In weiterer Bedeutung<br />
wird auch die Klugheit, so fern sie sich in dem Umgange mit andern äußert,<br />
die Politik genannt.“ 198<br />
Politisch zu sein und zu agieren kennzeichnet den edelsinnigen, würdevollen Charakter<br />
– die Negation dessen enthüllt eine reaktionäre Gesinnung. Noch ehe der<br />
Zuschauer (respektive der Leser) erfährt, dass Wilhelm gegen seinen Stiefbruder<br />
Karl intrigiert, offenbart er in einem Gespräch mit Kluger sein wahres Wesen: „Kluger!<br />
sie sind meines Bruders Erzieher, also sein vertrautester Freund, verwünscht sey<br />
aber die Stunde, worinn sie ihm zum erstenmale jene gefährlichen Grundsätze der<br />
Politik einprägten.“ 199 Die Positionen stehen fest und die Intrigen können beginnen.<br />
In diesem Rahmen (Rückkehr des verlorengeglaubten Sohnes, dessen Wiedereingliederung<br />
in die Gesellschaft, zugleich dessen Aufstieg in der ständischen Hierarchie<br />
durch glückhafte Erlangung eines prestigeträchtigen Amtes, die Aufdeckung<br />
der Vergangenheit und offiziöse Anerkennung seiner geheimgehaltenen Ehe und<br />
Vaterschaft) wird der Typus des Kasperl <strong>bei</strong>nahe mühsam eingefügt. Als Handwerker<br />
gibt er dem vermeintlichen Gesellen Karl die Möglichkeit, sich sowohl seiner<br />
primären Familie (Vater und Stiefbruder; noch unerkannt) als auch seiner Herzensfamilie<br />
(Antonia und Karlchen) nach langer unverschuldeter Abwesenheit wieder<br />
anzunähern. Während Karls Absenz hat Kaspar, ohne es zu wissen, die Obsorge<br />
für dessen Frau und Sohn übernommen, pflichtergeben dient er dem Allgemeinwohl<br />
und letztlich auch seiner Frau, obschon er diese für närrisch und hochfahrend<br />
hält und sie schließlich sogar als herrschsüchtig und überheblich demaskiert. Diese<br />
Beziehungen (Kaspar–Ehefrau Susanna; Kaspar–Gouverneur Bolla; Kaspar–Karl,<br />
Schornsteinfegergeselle bzw. Graf von Steinburg) bilden den Raum, in welchem<br />
La Roche seinen Kasperl ‚inszeniert‘. Die in der Forschung beständig genannten<br />
197 Zwei Beispiele aus dem Text mögen zur Illustration genügen: „[...] deine Grundsätze, die so<br />
schön in dem Munde des ehrlichen Mannes stehen“ (Kluger prophezeit Kaspers Zukunft).<br />
Hensler, Schornsteinfeger, S. 15 und „Ihr habt edle Grundsätze, guter Mann“ (Kluger zu<br />
Kasper). Ebenda, S. 29.<br />
198 Politik. In: Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeut- hochdeutschen<br />
Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der<br />
Oberdeutschen. 2., vermehrte und verbesserte Auflage. Bd. 3. Leipzig: Breitkopf und Compagnie<br />
1793–1801, S. 803. Elektronische Volltext- und Faksimile-Edition nach der Ausgabe<br />
letzter Hand. Online: http://www.zeno.org/Adelung-1793/-/Hauptseite [Stand 2009].<br />
199 Hensler, Schornsteinfeger, S. 21.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Merkmale Kasperls 200 (Streit und Zank im Alltag des kasperlischen Haushaltes, Eifersucht<br />
auf seine Frau, Dummheit, die er aber im Nachhinein immer einsieht,<br />
Sprachwitz, Missverständnisse, falsches Wörtlichnehmen, Unvereinbarkeit von<br />
Sprache und Dingen; Infantilität und Naivität Kasperls) kehren auch im Schornsteinfeger<br />
unverkennbar zu Tage, werden jedoch durch eine zusätzliche Eigenart Kasperls<br />
erweitert: La Roche stellt Kasperl als zärtlichen Familienvater vor, „der seine<br />
Kinder liebt, sie zu ehrlichen und ordentlichen Handwerkern“ 201 erziehen möchte,<br />
und dies stets mit der Betonung der Begrenztheit des Standes 202 .<br />
Belehrend und unterhaltsam zugleich sind vorrangig jene Passagen, in denen Kasper<br />
sich mit Kluger unterhält. Des Kasperls Sprachkomik und seine Infantilität kommen<br />
gleichermaßen zum Ausdruck wie auch seine (und vor allem Karl Friedrich<br />
Henslers) grundsätzliche vorgenannte politische Auffassung:<br />
„Kasp[ar]. Mein Weib prophezeyt mir auch so Narrheiten, daß das Madl noch<br />
eine vornehme Dame wird, und da gehts s’Weib beständig auf die Männer Jagd<br />
aus, damit ihre Prophezeyhung eintreffen soll, s’Madl setzt sich z’letzt das Ding<br />
in Kopf, glaubts selber, weil’s die Mutter glaubt, und vertreibt mir jeden ehrlichen,<br />
braven Burgerssohn, der Sie heurathen will; aber nur Geduld, eh 8 Tage<br />
vergehen, werd ichs Madl fort transportiren.<br />
Klug[er]. Und wohin, wenn ich fragen darf.<br />
Kasp[ar]. In den heiligen Ehestand, sonst hats keine Ruh mehr; [...]<br />
Klug[er]. Habt ihr denn schon einen Mann für Sie gefunden.<br />
Kasp[ar]. Hab einen, aber der Teufel weiß, wo er seit 3 Tagen steckt. [...] Herr,<br />
ein Kerl wie gedrechselt, – von Geburt ist er ein Wälscher, aus – aus – wie heißt<br />
man doch das Land – aus – aus Flo – Flor –<br />
Klug[er]. Florenz.<br />
Kasp[ar]. Richtig, Florenz, – und dem thät ichs’ Madl von Herzen gönnen.<br />
Klug[er]. Wer ist er denn, wenn ichs wissen darf?<br />
Kasp[ar]. Was wird er seyn, ein Schornsteinfeger ist er, und ein Schornsteinfeger<br />
ist ein groß, großes Thier, – warum? weil er ein Mitglied des Staates ist.<br />
Klug[er]. Ein Mitglied des Staats, – wie das?<br />
200 Vgl. allgemein Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie sowie Beatrix Müller-Kampel: Hans- Hanswurst,<br />
Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert. Paderborn [u. a.]: Schöningh<br />
2003 und zu Henslers Komödien dezidiert Binder, La Roche, S. 33–36.<br />
201 Binder, La Roche, S. 36.<br />
202 Vgl. ebenda.<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
Kasp[ar]. Wer den Staat vor Gefahren schützt, ist ein Mitglied desselben, der<br />
Schornsteinfeger schützt den Staat vor Feuersgefahr, ergo – ist der Schornsteinfeger<br />
ein Mitglied des Staats, da hat ers jetzt, als wenn’s auf ein Buttersemel<br />
aufgestrichen wär.“ 203<br />
<strong>Das</strong>s die staatstragenden Ausführungen Kasperls mit der Erwähnung einer Buttersemmel<br />
enden, ist alles andere als abwegig. Für ihn gehen seine Grundbedürfnisse<br />
Hand in Hand und die rechtliche oder finanzielle Absicherung seiner Familie wie<br />
auch das Stillen seines Hungers wiegen für ihn gleich schwer. Kommt ihm da<strong>bei</strong><br />
jemand in die Quere, scheut er auch vor Handgreiflichkeiten nicht zurück: „[...] oder<br />
Blitz Sapperment! wenn einmal der Kasper Puff ins Puffen kommt, Herr! da gibt’s<br />
Puffer, dass sich der Herr Stadtsyndicus verwundern wird.“ 204 Da<strong>bei</strong> ist es Kasperl<br />
einerlei, ob sein Gegner ein Handwerker wie er oder ein Angehöriger des Adels ist.<br />
So kommt er auch mit dem Gouverneur der Seestadt, Graf Bolla, ins Handgemenge,<br />
als dieser Karlchen (der sich als Enkel <strong>bei</strong>der herausgestellt hat) zu sich nehmen<br />
will:<br />
„Casp[ar]. (Wie er den alten Bolla Krlchen [!] wegtragen sieht) He, he, Blitz Fikerment,<br />
wer trägt mir denn meinen Jungen davon, (hält ihn zurück, nimmt ihn<br />
dem Alten weg) Euer Excellenz, der Knabe ist mein.<br />
Boll[a]. Er ist aber meines Sohnes Kind, gebt mir meinen Enkel (nimmt ihm<br />
wieder auf seinen Arm)<br />
Casp[ar]. Blitz Fickerment! Euer Excellenz! der Junge gehört mein.“ 205<br />
Karl Friedrich Hensler: Der unruhige Wanderer<br />
Von Furchtsamkeit als wesentlichem Kennzeichen des Kasperls kann in den bürgerlichen<br />
Komödien Henslers kaum die Rede sein – gänzlich anders verhält es sich<br />
damit in den später entstandenen Lustspielen, hauptsächlich aber in den bereits genannten<br />
romantisch-komischen Volksmärchen, in welchen die Furchtsamkeit Kasperls<br />
zur seinem <strong>bei</strong>nahe obligaten Charakteristikum wird. „Hier“, schreibt Binder<br />
in ihrer Ar<strong>bei</strong>t über das Zusammenwirken La Roches und Henslers,<br />
„entdeckt man Kasperls stark ausgeprägte Furchtsamkeit, die sich wie ein ‚roter<br />
Faden durch die einzelnen Stücke zieht und das Publikum zum Lachen trieb.<br />
Es scheint mir eine urmenschliche Reaktion zu sein, dass man sich über einen<br />
‚zerkugeln‘ kann, nur weil er sich fürchtet und dies obendrein noch zugibt.<br />
203 Hensler, Schornsteinfeger, S. 10–11.<br />
204 Ebenda, S. 28–29.<br />
205 Ebenda, S. 47.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Dieses Lachen tritt natürlich nur dort auf, wo man sich in Sicherheit (sprich:<br />
Zuschauerraum) wähnt.“ 206<br />
Der Furchtsamkeit, wie auch der Infantilität, die sich die Kasperlrolle im Laufe der<br />
Entwicklung <strong>bei</strong>behalten hatte, gesellt sich in den Volksmärchen ein Lazzo hinzu,<br />
nämlich der des Nachäffens, 207 der typisch für den Kasperl La Roches wird. Dieser<br />
Form der Komik fügt Binder in ihrer Betrachtung von Henslers Donauweibchen<br />
weitere an, die wohl auch für den Unruhigen Wanderer u. a. romantisch-komische<br />
Volksmärchen Henslers gelten können und hier nur kurz in Form einer Auflistung<br />
wiedergegeben werden sollen: Angst, Kindlichkeitskomik, Naturhaftigkeit, Dummheit,<br />
Vergesslichkeit, Unkenntnis, Analphabetismus, Furchtsamkeit, Betrunkenheit,<br />
Dienertreue, Prügel und Ohrfeigen. Diesen gesellt sich die Hilflosigkeit übermächtigen<br />
Gegnern und dem einfachen Alltag gegenüber hinzu. 208<br />
Am 13. Mai 1796 erfährt das ‚erste‘ romantisch-komische Volksmärchen am <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong> seine Uraufführung. Der Verfasser Hensler bezeichnet die Komödie<br />
im Untertitel als Original-Feemärchen in vier Aufzügen und widmet das Stück<br />
explizit „seinem Freund Johann Laroche [...] zu seiner jährlichen freyen Einnahme“:<br />
Der unruhige Wanderer, oder Kasperls lezter Tag. Erster Theil 209 . Wie erfolgreich<br />
La Roche und das Ensemble der <strong>Leopoldstädter</strong> Bühne diese Komödie spielten,<br />
bezeugt unter anderem 210 die Häufigkeit seiner Wiederholungen: Bis 1806 gelangte<br />
das Stück 43-mal zur Aufführung. Entsprechend seiner Konzeption und seinem<br />
Gattungsverständnis kommt es Hensler „auf die lebendige Zentralgestalt an, nicht<br />
206 Binder, La Roche, S. 39.<br />
207 Ebenda, S. 63 bezeichnet das Nachäffen sogar als ‚stehenden‘ Lazzo.<br />
208 Vgl. ebenda.<br />
209 Karl Friedrich Hensler: Der unruhige Wanderer, oder Kasperls lezter Tag. Erster Theil Ein<br />
Original-Feemärchen in vier Aufzügen für die Marinellische Schaubühne. Wien: Schmidt<br />
1796. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online:<br />
http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/translit_hensler_wanderer_1.pdf [Stand 2009].<br />
210 Auch die Tatsache, dass Hensler eine Fortsetzung verfertigte, beweist die Publikumswirksamkeit<br />
des Feenmärchens (ob Hensler, wie Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 555<br />
versichert, schon während der Ar<strong>bei</strong>t am ersten Teil einen allfälligen zweiten Teil mitkonzipierte,<br />
ist zwar nicht bewiesen, doch auch nicht abwegig, bedenkt man, dass ihm mit den<br />
Romanen des Christian Heinrich Spieß, derer sich Hensler wiederholt als Quelle (bspw.<br />
<strong>Das</strong> Petermännchen, Geistergeschichte von Spieß: <strong>Das</strong> Petermännchen, Schauspiel mit Gesang<br />
von Hensler, 1794 oder Die zwölf schlafenden Jungfrauen, Geistergeschichte von Spieß,<br />
1795/96: Die zwölf schlafenden Jungfrauen, Schauspiel mit Gesang von Hensler, 1797) bediente,<br />
zahlreiche Vorlagen zur Verfügung standen). Vgl. Karl Friedrich Hensler: Kasperl<br />
der unruhige Wanderer. Zweyter und letzter Theil. Ein Original-Feemärchen mit Gesang<br />
in drey Aufzügen für die Marinellische Schaubühne. Wien: Schmidt 1799. Hrsg. von<br />
Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.unigraz.at/maezene-pdfs/translit_hensler_wanderer_2.pdf<br />
[Stand 2009].<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
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auf die Handlung. Diese ist ein Feenmärchen, wie es schon oft über die Bühne gegangen<br />
war.“ 211<br />
„Den Inhalt der Rahmenhandlung festzuhalten lohnt sich kaum. Da ist eine<br />
stolze Königin Evana, die auf ihrer Insel ein Amazonenreich begründet hat.<br />
Männer, die sich auf die Insel verirren, macht man durch einen Zauberwein gefügig<br />
und lässt sie spinnen. Von den neugeborenen Kindern werden alle männlichen<br />
getötet. Eifersüchtig wacht Evana über die Erhaltung ihres ,Gesetzes‘,<br />
für das durchaus nicht alle Amazonen begeistert sind, und fühlt sich deshalb<br />
besonders gereizt durch die Weigerung ihrer Ziehtochter, es <strong>bei</strong> einer Art Jugendweihe<br />
zu beschwören. Hat sie doch selbst ihr eigenes Söhnlein wenige Tage<br />
nach der Geburt ertränken lassen. Unnötig zu sagen, daß Evana schließlich<br />
bekehrt wird, und zwar am Ende des ersten Stückes äußerlich, am Ende des<br />
zweiten auch innerlich. Jetzt stellt sich selbstverständlich heraus, daß einer ihrer<br />
Gefangenen, der lieber den Hungertod sterben als Frauenar<strong>bei</strong>t im Spinnsaal<br />
verrichten wollte, ihr Sohn ist und ihre Ziehtochter liebt. Motiv und Milieu<br />
entsprechen ganz dem Vorbilde der orientalisierenden Märchen der Sammlung<br />
,Dschinnistan‘. <strong>Das</strong> Beste hat natürlich die gute Fee Chara zu tun, die über<br />
dem Ganzen ihre Hand hält, und der lustige ,kleine Schutzgeist‘, den sie mit<br />
der Fürsorge für Kasperl betraut hat. Auch der Mohr Mongogul, der diesmal<br />
verliebte Amazonen und gefangene Männer zugleich zu bewachen hat, gehört<br />
zum ständigen Personal der ,Contes des Fées‘. Er hatte weder im ,Fagottisten‘<br />
noch in der ,Zauberflöte‘ gefehlt und hatte schon in Stephanie-Mozarts ,Entführung<br />
aus dem Serail‘ (1782) sein Spiel getrieben. Neu ist nur, daß Kasperl<br />
im Dienste der Fee Chara, deren Name wohl ,Freude‘ bedeuten soll, die Aufgabe<br />
bekommt, der verkrampften Unnatur des Amazonenrechtes ein Ende zu<br />
machen.“ 212<br />
Kasperl setzt dem Treiben ein Ende, natürlich nicht ohne zuvor auch für Tumult,<br />
Verwirrung, Verfolgungen und vieles mehr gesorgt zu haben. Durch das Einwirken<br />
Charas, der „Beschützerinn der Menschenfreuden“ 213 , wird Kasperl, der „reduzirte[...]<br />
Hofnarr“ 214 , durch die Handlung getrieben. Sie übernimmt die Funktion des<br />
Schicksals und bedient sich förmlich der <strong>bei</strong>den männlichen ‚guten‘ Protagonisten<br />
im Kampf gegen die das Bösen verkörpernden Amazonen und deren männliche<br />
Untergebene. Während dem jungen Abenteurer Samor jedwede Unterstützung für<br />
seine Heldentaten zuteil wird, sieht sich Kasperl indes unentwegt unterschiedlichsten<br />
Hindernissen gegenüber. Die erste Tat Charas ist die Verjüngung Kasperls, die<br />
Voraussetzung für Kasperls Eingreifen in die Handlung: Kasperl eröffnet das <strong>Theater</strong>stück<br />
mit einem Schläfchen auf der Bühne, das durch Kinder gestört wird. Als<br />
Kasperl erwacht, hält er einen sein bisheriges Leben resümierenden Monolog:<br />
211 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 554.<br />
212 Ebenda, S. 554.<br />
213 Hensler, Der unruhige Wanderer, S. 2.<br />
214 Ebenda.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
„Kasperl (allein, gähnt, streckt sich aus). Ha, ha, ha! da heist’s wohl, s’kann einem<br />
nicht närrischer träumen! Nun ja! (er will aufstehen, zittert, setzt sich wieder)<br />
da haben wir’s! es geht nimmer! die Füße! die Füße! wenn ich ihnen auch noch<br />
so gute Worte gäb, es wär kein Tanzl mehr aus ihnen heraus z’holen! (Pause,<br />
lacht mit innerer Zufriedenheit) ha, ha, ha! wie ich immer sag, wenn man lang<br />
lebt, so wird man alt, und wenn man alt wird, so werden einem d’Spazierhölzer<br />
zu eng, und wenn’s auch im obern Stockwerk noch so lustig aussieht, was hilfts!<br />
wo der Hausmeister logirt, (deutet auf die Füsse) da singt man s’Lamentabile<br />
s’ganze Jahr! (Er steht mit Mühe auf, lehnt sich auf seinen Knotenstock, und nähert<br />
sich dem Tischchen) Der Appetit ruckt auch schon wieder an – ich muß<br />
doch nachschauen, was mir die Frau Fee aus ihrer Hofkuchel bescheert hat.“ 215<br />
Diesen Monolog bezeichnet Rommel als „das vielleicht echteste und reinste Dokument<br />
seiner [La Roches] Komik“ 216 , denn, so führt dieser weiter aus:<br />
„Seine Komik, auf die es in erster Linie ankam, war ja von jeher in hohem<br />
Grade unabhängig von dem ihm zugeteilten Handlungsmotiv gewesen. Kasperl<br />
wirkte immer durch das, was er war, und nicht durch das, was er auf der<br />
Bühne zu tun bekam. Er ist überhaupt in dieser seiner letzten, durch Henslers<br />
Stücke repräsentierten Entwicklungsepoche nicht mehr bloß eine Bühnenfigur.<br />
Er wirkt offenbar – auf der Bühne wie im Leben – durch sein Menschentum.<br />
Johann Laroche zählte erst 51 Jahre, als Hensler ihm im ‚Unruhigen Wanderer‘<br />
die Rolle eines ganz alten Mannes vorschrieb.“ 217<br />
Indem der alte Kasperl einige Prüfungen und Neckereien Charas besteht (<strong>bei</strong>spielsweise<br />
muss er die als Alte verkleidete Chara küssen), erweist er sich als geeignet,<br />
um Samor und andere Männer aus der Gefangenschaft der Amazonen zu befreien.<br />
Dazu verwandelt sie Kasperl in einen jungen „Tirolerbauer[n]“ 218 und stattet ihn mit<br />
mehreren Requisiten aus, die ihn auf seinem Weg unterstützen sollen. Prädestiniert<br />
als ehemaliger Narr des Tiroler Hofes („war ehedem Hofnarr – wie ich aber das Project<br />
g’macht hab, dass alle Ehemänner, die ihren Weibern ungetreu sind, rothe Perücken<br />
tragen sollten, so haben sie mir die Schellenkapp um den Kopf geschlagen, und<br />
mich aus dem Land gejagt.“) 219 macht er sich zur Rettung der Männer auf. Da<strong>bei</strong><br />
treten seine typischen Eigenschaften immer wieder zutage: Kasperl ist weinerlich,<br />
trotzig und ausgesprochen furchtsam, den ihm eigenen kindlichen Zug vermag er<br />
bis zum Ende der Komödie, zu seinem Tod am Abend seines titelgebenden letzten<br />
Tages, nicht abzulegen:<br />
215 Ebenda, S. 4–5.<br />
216 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 555.<br />
217 Ebenda, S. 554–555.<br />
218 Hensler, Der unruhige Wanderer, S. 17.<br />
219 Ebenda, S. 7.<br />
101
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
102<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
„Kasperl. Also – also muß es wirklich gestorben seyn? (weinend) Also ist wirklich<br />
der heutige Tag mein letzter Tag?<br />
Chara. Geniesse die Ruhe, des Glückes fröhlicher Menschen, damit du einst<br />
vorsichtiger vollendest deine zweyte Wallfahrt auf Erden.<br />
Kasperl. (beginnt zu senken) Wenn – wenn ich halt noch einmal auf die Welt<br />
kommen soll, so bitt ich mir wieder so ein Glöckl aus – will – will mich hernach<br />
schon gescheiter aufführen –<br />
König[in]. Mongogul! vollziehe deine Pflicht! (Mongogul erhebt seine Keule –<br />
Kasperl verschwindet. Es erscheint ein Grabhügel. Donnerschlag.)“ 220<br />
Eine sehr wesentliche Eigenschaft, die bislang noch kaum Erwähnung fand, ist<br />
Kasperls ständiger Hunger und Durst: Im Unruhigen Wanderer wird die Essenslust<br />
Kasperls fortwährend thematisiert, 221 doch gerade der Genuss von Wein ist ihm<br />
strengstens untersagt:<br />
„Kasperl. O ich armer Teufel! nirgends hab’ ich eine bleibende Stätte – die<br />
Weiber machen Jagd auf mich, und wenn sie mich erwischen, so spießen sie<br />
mich an ihre Fahneln. (laut schluchzend) S’ g’schieht mir – s’ g’schieht mir aber<br />
recht – warum hab’ ich in meinen alten Tagen noch solche Kindereyen anfangen<br />
müssen. (lauter schluchzend) Keinen Wein soll ich auch nicht trinken, vom<br />
Wasser stirbt man – und dürsten thut michs, wie – wie –<br />
Hirtenj[unge]. Hast du Durst – da trink – Milch von unsern Lämmern, genährt<br />
auf unsern fetten Fluren – sie wird dir köstlich schmecken – trink!<br />
Kasperl. Jetzt geh mit deiner Milch – bring mir lieber Wein.“ 222<br />
Der Durst übermannt Kasperl, so dass er schon bereit ist, Milch zu trinken, als er<br />
plötzlich einer Flasche Wein gewahr wird:<br />
„Kasperl. Milch! Milch! – so lang du mir keinen Wein – – (er erblickt die<br />
Flasche von Mongogul), Alle Wetter! was seh ich da – da wär freylich so etwas,<br />
womit man den Durst – wenn nur mein verdammtes Glöckl nicht wär – (er<br />
nimmt die Mütze ab) ich – ich würde – (er sieht immer nach dem Glöckl) ich würde<br />
trinken – (er nimmt die Flasche) Nun! nun! – rührt sich nichts? ich trink –<br />
(Pause) ich trink – (wie er ansetzen will, kommt Florina mit einer Eulenlarve, er<br />
erschrickt heftig).“ 223<br />
220 Ebenda, S. 86–87.<br />
221 Einige Beispiele seien hier genannt: „O – o – o ich armer Teufel! nix zu essen, nix zu trinken“<br />
(Hensler, Der unruhige Wanderer, S. 5); „Ihr wohnet in einem so schönen Land – ein<br />
Weinl – ein Weinl soll bey euch wachsen wie ein Provanzer-Oehl!“ (Ebenda, S. 35); „Also<br />
Wein hast du da? Wein! laß doch einmal“ (Ebenda, S. 49).<br />
222 Hensler, Der unruhige Wanderer, S. 58.<br />
223 Ebenda, S. 59.
Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit<br />
Seine Mütze, die er von Chara bekommen hat, warnt Kasperl. Erst als er diese ablegt<br />
– die Amazone Florina überredet ihn teils schmeichelnd, teils Hand anlegend,<br />
dies zu tun – trinkt er vom Wein und empfängt prompt die Strafe – ihm wachsen<br />
lange Ohren („O ich dummer Eselskopf!“). 224<br />
<strong>Das</strong> Requisit, bzw. das Motiv der Schellenkappe übernimmt Hensler notabene auch<br />
in seine letzte Komödie, nämlich die einaktige Allegorie <strong>Das</strong> friedliche Dörfchen 225 ,<br />
deren Uraufführung am 29. September 1803 Henslers Direktion des <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong>s einleitet. Hier ist Kasperl ein Spielmann, der die <strong>bei</strong>den Genien Gesang<br />
und Scherz auf ihrer Reise nach Wien begleitet und im ‚friedlichen Dörfchen‘ den<br />
Menschenhasser durch seine Fröhlichkeit (und dank der Hilfe der Schutzgöttin des<br />
Fleißes) besiegt.<br />
„Immer scherzen, immer lachen<br />
Liebe Leute! wollen wir.<br />
Allen Menschen Freude machen,<br />
Nimm die Hand – ich schwör’ es dir.<br />
[...]<br />
Der Beyfall dort ist unser Ruhm.<br />
Vom edlen Wiener Publikum!“ 226<br />
Kasperl führt auf seiner Reise durch das friedliche Dörfchen u. a. eine Larve (Wenn<br />
ich die vor’s Gesicht nehme, so seh’ ich jedem an, was er ist“ 227 ) und besagte Schellenkappe<br />
(„wenn ich die auf den Kopf setz, da strömt mir die Wahrheit zum Maul<br />
heraus, als wenn ich ein Hofnarr wär“ 228 ) mit sich, mit denen er den Menschhasser<br />
foppt und das Publikum unterhält und natürlich auch hofiert. Beschlossen wird<br />
die Allegorie mit einem Lob auf die Kunst und deren Gönner (dem Publikum des<br />
<strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s).<br />
„,Der Kasperl macht allemal den nämlichen Spaß und’s muß einer halt doch<br />
lachen‘, meint der Eipeldauer und findet richtig den Grund der Dauerhaftigkeit<br />
dieser Wirkung: ‚Der Kasperl kommt mir vor wie ’s liebe Brot, das man nicht<br />
satt wird.‘ Es war das Naturhafte dieser Komik, der diametrale Gegensatz jeder<br />
Possenreißerei. Weil er eine Natur war, sah ihn auch Ernst Moritz Arndt immer<br />
wieder gerne, ‚besonders aber um der Freude willen, die man an dem ganzen<br />
Publikum hat, welches sympathetisch alle kasperlichen Falten seines Gemü-<br />
224 Ebenda, S. 81.<br />
225 Karl Friedrich Hensler: <strong>Das</strong> friedliche Dörfchen. Ein allegorisches Singspiel in einem Aufzuge.<br />
Wien: Schmidt 1803. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls<br />
(2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/translit_hensler_doerfchen.pdf<br />
[Stand 2009].<br />
226 Ebenda, S. 21–22.<br />
227 Ebenda, S. 23.<br />
228 Ebenda.<br />
103
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
104<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
tes in einem entzückten Gesicht entdeckt und durch witzige Bemerkungen,<br />
Nachempfindungen und Nachgespräche oder durch ein lautes Klatschen sich<br />
offenbart.‘“ 229<br />
Als La Roche starb, starb mit ihm die Kasperl-Komik, 230 denn seine potentiellen<br />
Nachfolger konnten keinesfalls an seinen Ruhm anschließen. Joachim Perinet lässt<br />
La Roche nach dessen Tod noch einmal zu Worte kommen und sich von seinem<br />
Publikum, das er jahrzehntelang zum Lachen brachte, verabschieden:<br />
„La Roche. Nimm auch meinen letzten Dank an’s liebe Publikum mit –<br />
Ich leg’ mich itzt schlafen und will aufhören zu diskurieren,<br />
Denn ich fürchte am Ende meine gütigen Leser zu molestieren.<br />
Sag’ allen Freunden und Gönnern in meinem Namen,<br />
Ich hoff’, über lang oder kurz kommen wir wieder zusammen,<br />
Sie sollen mich nicht ganz vergessen – nur jährlich einmal auf mich denken –<br />
Sonst müßt ich mich aus Jammer als tot noch erhenken; –<br />
Es küßt für alles genossene Gute noch’mal dankbar die Hand,<br />
Ihr ewig ergebner La Roche – sonst Kasperl genannt.“ 231<br />
229 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 576.<br />
230 Vgl. ebenda, S. 576.<br />
231 Der Jahrmarkt in der Unterwelt oder Sechster und letzter Heft [!] des Gespräches im Reiche<br />
der Todten zwischen La Roche, Bernardon, Prehauser, Stranitzky, Brenner, dem bekannten<br />
männlich- und weiblichen Schatten, Guardasoni, Ignaz Sartory, Madame Menninger,<br />
Madame La Roche, Perinets erster Frau und Charon, dem Redacteur der neuesten Weltberichte.<br />
Hrsg. von Joachim Perinet. Im Tartarus 1806. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl,<br />
S. 221–237.
Kasperl unter Kontrolle<br />
Zivilisations- und politikgeschichtliche Aspekte der<br />
Lustigen Figur um 1800<br />
Von Beatrix Müller-Kampel 1<br />
Als „Lachtheater Europas“, wie Otto Rommel es in seinem monumentalen Standardwerk<br />
etwas überzogen nannte, wird man das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> in Wien<br />
allenfalls im Vormärz nennen dürfen, 2 doch stellen gerade die Jahre zwischen 1790<br />
und 1806 das dar, was man, bezogen auf die Erfolgsphasen von Unternehmen, die<br />
erste Konsolidierungsphase nach der expansiven Pionierphase nennt. Profitorientiert,<br />
wie sich das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> in der künstlerischen Landschaft Wiens<br />
positioniert hatte, bemaßen sich Konzept und Spielpraxis an jenen, die den Profit<br />
bedingten beziehungsweise verbürgten: Josef II. (Kaiser von 1765 bis 1790) und<br />
Franz II./I. (Kaiser 1792 bis 1806 bzw. 1804 bis 1835), die über Privilegerteilung<br />
und Zensur die juridischen Grenzen absteckten, und Johann Josef La Roche, als erster<br />
Komiker am <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> Garant für den Erfolg. Zwischen 1790, als<br />
Josef II. verstarb und Hoffnungen auf eine Lockerung der Zensur bestanden (leider<br />
vergeblich, wie sich herausstellen sollte), und La Roches Todesjahr 1806 präsentierte<br />
das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> in schneller Abfolge eine Unzahl von Possen, Singspielen,<br />
Maschinenkomödien, Zauberopern, Volksmärchen, Pantomimen, Ritterstücken,<br />
Soldatenstücken, Tanzspielen, Feenmärchen und komischen Zeitstücken.<br />
Sie stammten zu einem Gutteil von den Hausautoren des <strong>Theater</strong>s: Neben dem<br />
Gründer und Leiter des <strong>Theater</strong>s, Karl Marinelli, waren dies der Schauspieler und<br />
<strong>Theater</strong>dichter Ferdinand Eberl, der spätere Direktor des <strong>Theater</strong>s an der Wien und<br />
des <strong>Theater</strong>s in der Josefstadt Karl Friedrich Hensler, der <strong>Theater</strong>dichter Leopold<br />
Huber und der Schauspieler und <strong>Theater</strong>dichter Joachim Perinet.<br />
Im Gegensatz zum kindlichen Kasperl, wie er seit Beginn des 20. Jahrhunderts und<br />
vollends nach 1945 im Puppentheater üblich wurde, hat man sich den Kasperl-<br />
La Roche um 1800 als (für damalige Begriffe) gesetzteren Mann vorzustellen: 1781<br />
empfiehlt er sich <strong>bei</strong> der Eröffnung des <strong>Theater</strong>s als 36-Jähriger dem Publikum, und<br />
im Todesjahr 1806 wählt der 61-jährige Philipp Hafners Mägera, die förchterliche<br />
Hexe, oder das bezauberte Schloß des Herrn von Einhorn zu seinem letzten Benefiz. 3<br />
1 In: Andrea Brandner-Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger und Beatrix Müller-Kampel:<br />
Kasperl-La Roche. Seine Kunst, seine Komik und das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>. Graz:<br />
<strong>LiTheS</strong> 2010. (= <strong>LiTheS</strong>. Zeitschrift für Literatur- und <strong>Theater</strong>soziologie. Sonderband 1.)<br />
S. 105–134.<br />
2 Otto Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte vom barocken Welt-<strong>Theater</strong><br />
bis zum Tode Nestroys. Wien: Schroll 1952, S. 585–858.<br />
3 Vgl. ebenda, S. 56.<br />
105
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
106<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
(Bei dem 1762 oder 1763 uraufgeführten Zauberlustspiel hatte, doch dies nur neben<strong>bei</strong>,<br />
der 63-jährige Gottfried Prehauser den Hanswurst gespielt – auch er war<br />
damals bereits eine lebende Legende.)<br />
11 Komödien und ihre Karrieren<br />
Aus den insgesamt 30 im Rahmen des FWF-Projekts Mäzene des Kasperls Johann<br />
Josef La Roche 4 edierten Komödien von fünf Autoren und einem Anonymus (oder einer<br />
Anonyma?) wähle ich zwei von jedem Autor aus, um sie auf Themen und Motive<br />
der Affekte, der Emotionen und ihrer Kontrolle hin zu durchforsten. 5 Ausnahmslos<br />
alle Stücke sind Komödien, ausnahmslos allen geht es um Liebesgeschichten und<br />
Heiratssachen und den meisten auch um Geld (das man nicht hat oder verloren<br />
hat, das Mann oder Frau sich erar<strong>bei</strong>ten, erkämpfen, erschwindeln, erheiraten, erzaubern<br />
wollen). <strong>Das</strong> Prinzip der repräsentativen Stichprobe rechtfertigt sich durch<br />
die Gattung Komödie, wie sie am <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> gepflegt wurde: nämlich<br />
als (nach einem Begriff von Hans Dieter Zimmermann) „Schema-Dramatik“, die<br />
im Gegensatz zur sogenannten „künstlerischen“ Dramatik, 6 d. h. in den theatralen<br />
Feldern dieser Zeit: im Gegensatz zum Bildungstheater einerseits, zum Hoftheater<br />
andrerseits, weder auf ästhetische Innovation noch auf Originalität abgestellt war,<br />
sondern im Gegenteil Variationen altbekannter Themen und Geschichten bieten<br />
wollte – und das immer auch komisch drapiert. Die Textgrundlage umfasst:<br />
Ferdinand Eberl<br />
Die Limonadehütte (1792) 7<br />
Der Tode und seine Hausfreunde (1793) 8<br />
4 FWF-Projekt Nr. P20468 (15. Jänner 2008–14. Juli 2009): Mäzene des Kasperls Johann<br />
Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s. Kritische Edition<br />
und literatursoziologische Verortung (2008/09). Mitar<strong>bei</strong>terinnen: Andrea Brandner-<br />
Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger; Leitung: Beatrix Müller-Kampel. I. d. F. zitiert als<br />
Mäzene des Kasperls. Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/maezene_startseite.html<br />
[Stand 2009].<br />
5 Joachim Perinets und Wenzel Müllers Parallelaktionen zu Mozarts und Schikaneders Zauberflöte,<br />
Kaspar, der Fagottist und dessen Forsetzung Pitzichi, werden als ein Doppelwerk<br />
betrachtet.<br />
6 Vgl. den programmatischen Titel von Hans Dieter Zimmermann: Trivialliteratur? Schema-<br />
Literatur! Entstehung, Formen, Bewertung. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer 1982. (= Urban<br />
Taschenbücher. 299.)<br />
7 Ferdinand Eberl: Die Limonadehütte. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Meyer und<br />
Patzowsky 1793. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09).<br />
Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/eberl_limonadehuette.html [Stand 2009].<br />
8 Ferdinand Eberl: Der Tode und seine Hausfreunde. Posse in einem Aufzug. Wien: Meyer<br />
und Patzowsky 1793. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Ebenda, http://lithes.unigraz.at/maezene/eberl_tode.html<br />
[Stand 2009].
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
Karl Friedrich Hensler<br />
Der Großvater, oder Die 50 jährige Hochzeitfeyer (1792) 9<br />
Männerschwäche und ihre Folgen; oder Die Krida (1791) 10<br />
Leopold Huber<br />
Der eifersüchtige Schuster (1791) 11<br />
Kasperl der lustige Schaafhirt, oder das Mayfest auf den Alpen (1791) 12<br />
Karl von Marinelli<br />
Dom Juan, oder Der steinerne Gast (1783) 13<br />
Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Kasperle in sechserley Gestalten (1780) 14<br />
9 Karl Friedrich Hensler: Der Großvater, oder Die 50 jährige Hochzeitfeyer. Ein Originallustspiel<br />
in 4. Aufzügen, mit Gesang und Tanz für die Marinellische Schaubühne. Wien:<br />
Goldhannsche Schriften 1792. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Ebenda, http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_grossvater.html<br />
[Stand 2009].<br />
10 Karl Friedrich Hensler: Männerschwäche und ihre Folgen; oder Die Krida. Ein Original-Lustspiel<br />
in drey Aufzügen. Wien: Wallishausser 1791. Hrsg. von Andrea Brandner-<br />
Kapfer. In: Ebenda, http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_maennerschwaeche.html<br />
[Stand 2009].<br />
11 Leopold Huber: Der eifersüchtige Schuster. Ein Lustspiel in 3 Aufzügen. Wien, 1791. In:<br />
Sammlung einiger ganz neuen <strong>Theater</strong>stücke. Drittes Bändchen. Wien: Mit Goldhannschen<br />
Schriften 1791. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Ebenda, http://lithes.unigraz.at/maezene/huber_schuster.html<br />
[Stand 2009].<br />
12 Leopold Huber: Kasperl der lustige Schaafhirt, oder das Mayfest auf den Alpen. Ein komisches<br />
Singspiel in zwey Aufzügen für die Marinellische Kinderschule. Die Musik ist von<br />
Herrn Ferdinand Kauer, Lehrer der Singschule. Wien: Goldhannsche Schriften 1791. Hrsg.<br />
von Andrea Brandner-Kapfer. In: Ebenda, http://lithes.uni-graz.at/maezene/huber_mayfest.html<br />
[Stand 2009].<br />
13 Karl von Marinelli: Dom Juan, oder Der steinerne Gast. Lustspiel in vier Aufzügen nach<br />
Molieren, und dem spanischen des Tirso de Molina „el Combidado de piedra“ für dies<br />
<strong>Theater</strong> [d. i. das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>, Wien] bear<strong>bei</strong>tet mit Kaspars Lustbarkeit. [Wien,<br />
1783]. In: Otto Rommel [Hrsg.]: Die romantisch-komischen Volksmärchen. Leipzig: Reclam<br />
1936. (= Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in<br />
Entwicklungsreihen. Reihe Barock. Barocktradition im österreichisch-bayrischen Volkstheater.<br />
2.) S. 53–96.<br />
14 [Karl von Marinelli:] Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Kasperle in sechserley Ge-<br />
Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Kasperle in sechserley Gestalten<br />
ein Lustspiel in drey Aufzügen. [Wien, 1780] [Ms.] Hrsg. von Jennyfer Großauer-<br />
Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/<br />
marinelli_liebesgeschichte.html. [Stand 2009].<br />
107
108<br />
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
Joachim Perinet<br />
Kaspar, der Fagottist, oder: die Zauberzither (1791) 15<br />
Pizichi, oder: Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten (1792) 16<br />
Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel (1803). 17<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
Mit Marinellis Dom-Juan-Stück wie auch dessen Liebesgeschichte in Hirschau, die<br />
bislang nur in einer zum Teil schwerst leserlichen Handschrift der Wienbibliothek<br />
im Rathaus zugänglich war, 18 sind auch zwei in doppelter Hinsicht eigentlich aus<br />
dem zeitlichen Rahmen fallende Stücke aufgenommen: Zum einen stammen sie aus<br />
den frühen 1780er-Jahren (und nicht aus den 1790ern und 1800ern), zum anderen<br />
gehört Karl von Marinelli mit dem Geburtsjahr 1745 zu einer anderen Generation<br />
als Eberl, Huber und Perinet (*1762, *1766, *1763), und in damaligen Dimensionen<br />
gedacht, dürfte selbst der 14 Jahre nach Marinelli geborene Hensler (*1759)<br />
als ‚Junger‘ gegolten haben. Bei etwaigen Unterschieden in Konzept, Motivik und<br />
Dramaturgie wird zu überlegen sein, ob diese nicht auf altersbedingt unterschiedliche<br />
Auffassungen, Erfahrungen und Gewohnheiten <strong>bei</strong>m Sückeschreiben zurückzuführen<br />
sind.<br />
Vorerst zu den ‚Karrieren‘ der Komödien auf dem <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>. Zu Eberls<br />
Stücken Die Limonadehütte und Der Tode und seine Hausfreunde enthält Hadamowskys<br />
Verzeichnis 19 keine Einträge. Henslers Männerschwäche gelangte insgesamt<br />
nur 7-mal (1790), dessen Großvater 19-mal (1790–1798) auf die Bühne des<br />
Kasperl-<strong>Theater</strong>s; zu Hubers Der eifersüchtige Schuster ist <strong>bei</strong> Hadamowsky abermals<br />
15 Joachim Perinet: Kaspar, der Fagottist, oder: die Zauberzither. Ein Singspiel in drey Aufzügen.<br />
Die Musik ist von Wenzel Müller. Wien: Schmidt 1791. In: Otto Rommel [Hrsg.]: Die<br />
Maschinenkomödie. Leipzig: Reclam 1935. (= Deutsche Literatur. Sammlung literarischer<br />
Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Barock. Barocktradition im<br />
österreichisch-bayrischen Volkstheater. 1.) S. 206–262.<br />
16 Joachim Perinet: Pizichi, oder: Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten. Ein Original-Singspiel<br />
in drey Aufzügen mit Maschinen und Flugwerken. Die Musik ist vom Hrn. Wenzel<br />
Müller, Kapellmeister dieses <strong>Theater</strong>s. Aufgeführt auf dem k. k. priv. Marinellischen <strong>Theater</strong>.<br />
Wien: Schmidt. 1792. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls<br />
(2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_pizichi.html. [Stand 2009].<br />
17 Joachim Perinet: Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel. Eine komische<br />
Oper in drey Aufzügen, nach einem Manuskripte für die k. k. privil. Schaubühne in der Leopoldstadt<br />
frey bear<strong>bei</strong>tet. Die Musik ist vom Herrn Wenzel Müller, Kapellmeister. Wien:<br />
Schmidt 1803. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Ebenda, http://lithes.uni-graz.<br />
at/maezene/perinet_kaffeehaus.html. [Stand 2009].<br />
18 Die Handschrift wurde von Jennyfer Großauer-Zöbinger schließlich im Rahmen des FWF-<br />
Projekts Mäzene des Kasperls (2008/09) transkribiert. Vgl. online: http://lithes.uni-graz.at/<br />
maezene/marinelli_liebesgeschichte.html [Stand 2009].<br />
19 Die Zahlen bzw. Leerbelege stammen i. d. F. von Franz Hadamowsky: <strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> in der<br />
Wiener Leopoldstadt 1781–1860. Bibliotheks- und Archivbestände in der <strong>Theater</strong>sammlung<br />
der Nationalbibliothek Wien. Mit der Einleitung: Die <strong>Theater</strong>sammlung der Nationalbibliothek<br />
in den Jahren 1922–1932 von Joseph Gregor. Wien: Höfels 1934. (= Katalog<br />
der <strong>Theater</strong>sammlung der Nationalbibliothek in Wien. 3.)
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
nichts zu finden, dessen Kasperl der lustige Schaafhirt wurde 11-mal (1791–1792)<br />
gespielt. Marinellis Dom Juan-Komödie konnte sich von ihrer Uraufführung am<br />
31. Oktober 1783 bis 1821 als Allerseelenstück behaupten und wurde noch 1821<br />
von Josef Alois Gleich (1772–1841) für das <strong>Theater</strong> in der Josefstadt eingerichtet. 20<br />
Auf dem <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> wurde der Dom Juan innerhalb von 40 Jahren<br />
87-mal gespielt (1783–1821), 21 die Liebesgeschichte in Hirschau 41-mal (1782–1800).<br />
Perinets und Wenzel Müllers Kaspar, der Fagottist gab man allein im Jahr der Uraufführung,<br />
sie hatte am 8. Juni 1791 stattgefunden, 59-mal; bis 1819 konnte der<br />
Fagottist 129 Aufführungen verbuchen; allerdings fiel dessen Fortsetzung Pizichi<br />
mit insgesamt 47 Aufführungen (1792–1795) im Vergleich damit eindeutig ab.<br />
Über Aufführungszahlen von Perinets Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus ist bislang<br />
ebenfalls nichts Näheres bekannt. Bemessen an der in der Wiener <strong>Theater</strong>- und Unterhaltungslandschaft<br />
um 1800 konkurrenzbedingt verstärkten Jagd auf Quote befanden<br />
sich sogenannte Nieten (wie Henslers Männerschwäche oder Hubers Kasperl<br />
der lustige Schaafhirt) ebenso darunter wie absolute Renner nach Art von Perinets<br />
Kaspar, der Fagottist.<br />
In Relation mit den komischen Subgattungen scheint eines auffällig (sofern man<br />
den angegebenen Untertiteln überhaupt trauen kann): Singspiele und Komische<br />
Opern sind beliebter als Komödien mit wenig oder ohne Musik; Stücke mit forcierter<br />
komischer Reihenstruktur beziehungsweise paradigmatischer Spielstruktur <strong>bei</strong><br />
zugleich nebengeordnetem oder nicht vorhandenem moralischen Konflikt (wie Marinellis<br />
Liebesgeschichte in Hirschau oder Pernets Kaspar, der Fagottist) erfolgreicher<br />
als schlecht verhehlte Besserungsstücke (wie jene von Hensler, die vor Sittsamkeit<br />
und Untertanengeist geradezu triefen). Und Stücke, die dem Kasperl Josef La Roche<br />
viel Text und Spaß zugestanden (wie Hubers Der eifersüchtige Schuster sowie die Komödien<br />
von Marinelli und Perinet), garantierten – auch auf Dauer – eher Publikum<br />
als jene, die ihn auf Nebenrollen verwiesen oder nicht komisch sein ließen.<br />
Methodologische Zwischenbemerkung (1)<br />
Mit dem Aspekt der Affekte und der Affektkontrolle der Lustigen Figur ist das Erkenntnisperspektiv<br />
einerseits auf Liebesgeschichten und Heiratssachen, Sich Verlieben<br />
wie Verlassen Werden, auf gelebte und gespielte Leidenschaften eingestellt, andrerseits<br />
auf die Lustige Figur und ihre Komik, welche letztere, so steht zu vermuten,<br />
in den Spielen wohl die großen wie die kleinen Gefühle modelliert. Will man sich<br />
<strong>bei</strong> der Analyse der Gefühle und deren Kontrolle nicht mit der objektsprachlichen<br />
Gefühlsdiktion der Komödien begnügen, liegt es nahe, sich <strong>bei</strong> der Emotionsforschung<br />
umzusehen. Nicht, dass ich von dem darum herum ausgerufenen „Emotional<br />
Turn“ in den Kulturwissenschaften viel hielte – das Tempo, mit dem die „Turns“,<br />
vom Linguistic Turn über den Cultural, Interpretive, Performative, Literary, Post-<br />
20 Vgl. Rommel, Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 211–212 und S. 1037.<br />
21 Zahlen i. d. F. wieder nach Hadamowsky, <strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> in der Wiener Leopoldstadt.<br />
109
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
colonial, Translational, Iconic, Spatial bis zum Emotional Turn wechseln, nähert<br />
sich mittlerweile jenem saisonaler Wegwerfware an. Immerhin hat die philologische<br />
Emotionsforschung das Instrumentarium zur textinternen und kontextuellen<br />
Analyse von Affekt- und Emotionsmotiven geschärft. Prinzipiell sind (nach Thomas<br />
Anz) zwei Möglichkeiten der philologischen Emotionsforschung zu unterscheiden:<br />
die Analyse von „literarischen Thematisierungen und Darstellungen von Emotionen,<br />
wo<strong>bei</strong> es in der Regel um Emotionen geht, die in einem Text irgendwelchen<br />
Figuren oder personifizierten Gegenständen zugeschrieben werden“ – was schlicht<br />
der traditionellen Interpretation eines Motivs, nämlich jenem von Gefühlen, entspricht<br />
–, und zweitens, die „historische Rekonstruktion kultureller Bewertungen<br />
und Repräsentationsformen diverser Emotionen.“ 22 Was die dramatisch-sprachliche<br />
Darstellung von Emotionen anlangt, stehen in der Emotionsforschung mediale und<br />
mentalitätsgeschichtliche Aspekte im Mittelpunkt. 23 Worin bestehen sie nun, die<br />
Emotionen, die sich zwischen Kasperl und den Frauen um 1800 auf dem <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong> entspinnen, sich steigern, ausbreiten und verflüchtigen, und mit welchen<br />
dramaturgischen Techniken führen die <strong>Theater</strong>autoren diese Emotionen dem<br />
Publikum vor? 24 Kasperl, so das überraschende Fazit vorweg, ist um 1800 Hagestolz<br />
oder treuer Ehemann geworden.<br />
Ehrbare Ehen und die Eifersucht<br />
Bei Ferdinand Eberl führen Kasperl und seine Maria eine friedliche ehrbare Ehe.<br />
Um den ökonomischen Ruin abzuwenden – Kasperl kann halt nicht wirtschaften<br />
und wird es auch nicht mehr lernen –, kümmert sich die Ehefrau um Konzession<br />
und Eröffnung der Limonadehütte im Prater. 25 In Eberls Der Tode und seine Haus-<br />
22 Thomas Anz: Literaturwissenschaftliche Text- und Emotionsanalyse. Beobachtungen und<br />
Vorschläge zur Gefühlsforschung. In: Literatur und �sthetik. Texte von und für Heinz Gockel.<br />
Hrsg. von Julia Schöll. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008, S. 39–66, hier<br />
S. 46. D. s. Auszüge aus: Th. A.: Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen,<br />
Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung. In: Im Rücken<br />
der Kulturen. Hrsg. von Karl Eibl, Katja Mellmann und Rüdiger Zymner. Paderborn:<br />
mentis Verlag 2007. (= Poetogenesis.) Vgl. auch Th. A.: Emotional Turn? Beobachtungen<br />
zur Gefühlsforschung. In: literaturkritik.de (Dezember 2006), Nr. 12: Schwerpunkt:<br />
Emotionen. Online: www.literaturkritik.de/public/rezension.php%3Frez_id%3D10267<br />
[Stand 2010-01-09].<br />
23 Rüdiger Schnell nennt überdies performative, geistesgeschichtliche, wortgeschichtliche,<br />
semiotische, narratologische, psychohistorische, gattungsgeschichtliche, anthropologische<br />
und psychoanalytische Aspekte der literarisch-sprachlichen Darstellung von Emotionen:<br />
Erzähler – Protagonist – Rezipient im Mittelalter, oder: Was ist der Gegenstand der literaturwissenschaftlichen<br />
Emotionsforschung? In: IASL. Internationales Archiv für Sozialgeschichte<br />
der deutschen Literatur 33 (2008), H. 2, S. 1–51, hier bes. S. 2–5.<br />
24 Vgl. Anz, Literaturwissenschaftliche Text- und Emotionsanalyse, S. 48.<br />
25 Vgl. Eberl, Limonadehütte, bes. S. 7.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
freunde singt Kasperl tatsächlich ein Loblied auf „das Weib“ – sein eigenes wagt bald<br />
darauf sehr viel für ihn: Auch hier gilt es, den finanziellen Ruin des kasperlschen<br />
Haushalts abzuwenden, und so hält Rose den Ehegespons an, sich tot zu stellen und<br />
unter einem Leintuch zu verstecken. Kaum haben Roses Verehrer erfahren, dass<br />
Kasperl das Zeitliche gesegnet hat, stellen sie sich voller Hoffnung <strong>bei</strong> ihr ein. Doch<br />
sie weiß ihr Fell teuer zu verkaufen – und die prospektiven Liebhaber haben den<br />
Schaden und den Spott dazu. Am Beginn sitzt Kasperl<br />
„mit der Schlafhauben, ohne Ueberrock am Tisch, und liest aus dem Buche. ‚Lieben<br />
Brüder! [...] Ein Weib ist ein vortreffliches Geschöpf; denn sie ist das Kleinod,<br />
das ihres Mannes Ehre schmückt, sie ist das Spezereikästel, die [!] seine<br />
Wunden heilt, sie ist das Labsall, welches die Bürden des kümmerlichen Lebens<br />
erleichtert. – Darum sag’ ich euch – ihr werdet wohl thun, wenn ihr Euch eine<br />
nehmet, sie mag braun oder weiß – groß oder klein – mager oder fett sey; sie<br />
wird immer die Hälfte von euch ausmachen, nämlich – denn sie ist aus dem<br />
nämlichen Stoffe, aus dem ihr geschaffen seyd – weßwegen, wenn ihr 2 Speckseiten<br />
im Sauerkraut habt – ihr ja genau mit ihr theilen, und sie so gut halten<br />
sollt, als euern Leib!“ 26<br />
Die von Karl Friedrich Hensler im Titel angesprochene Männerschwäche ist nicht<br />
jene, die man wohl auch damals assoziierte; vielmehr ist damit die pädagogischmoralische<br />
Nachsicht gegenüber Frau und Kindern gemeint. 27 <strong>Das</strong> „Original-Lustspiel“<br />
ist nichts weniger als komisch und spielt in der Textilbranche beziehungsweise<br />
in der Familie des Seidenfabrikanten Brugge. La Roche gab darin den einfachen Seidenweber<br />
Kasper Ehrlich, eine Zierde seines Namens, der seiner bär<strong>bei</strong>ßigen Frau<br />
ein nachgiebiger Mann ist. Kasperls zweite Frau ist im Gegensatz zur verstorbenen<br />
ersten ein faules verschwenderisches Stück, wie das Genrebild zu Beginn des 3. Aufzugs<br />
sinnig belegt: „Kaspers Zimmer, Felicitas [Kasperls Frau] mit unterstemmten<br />
Armen vor Kasper, der sich fürchtet, sie und Xaver [der gemeinsame Sohn] neben<strong>bei</strong><br />
trinken mit vieler Behaglichkeit Koffe.“ 28 An seinem ehelichen Unglück ist er selber<br />
schuld, wie er weiß und zugibt:<br />
„Kasper. Herr! die grauen Locken da, und wenn ein Mann mit dieser Schneeperücke<br />
wieder ans Heurathen denkt, den soll man trepaniren.<br />
Mot[te]. Und wie das?<br />
Kasp[er]. Es [sey] ihnen genug, wenn ich ihnen sag daß ich von 1ten Jän[ner]<br />
bis auf den 31ten Dezember nicht soviel im Haus reden darf, als ich jetzt <strong>bei</strong><br />
ihnen geredt hab. [...] Und dann ist mein Weib auf das Geld wie der Luzifer auf<br />
n’fromme Seel, ein Stückel um das andere spaziert aus der Haushaltung. [...]<br />
26 Eberl, Der Tode und seine Hausfreunde, S. 3–4.<br />
27 Vgl. Hensler, Männerschwäche, bes. S. 171.<br />
28 Ebenda, S. 135.<br />
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<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
Mot[te]. Mit euren Kindern seyd ihr also sehr glücklich?<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
Kasp[er]. Ja, wenn mich mein Weib nicht mit einer Nachbruth versehen hätt,<br />
ich sags ja, wenn die Jahr einmal da sind, soll man nicht mehr an so was denken<br />
[...]. Mein Xaver ist so dumm wie die egyptische Finsterniß; er geht ins 14te<br />
Jahr, und hats noch nicht weiter gebracht, als daß er weiß, daß 2. – 2. 4 ist.“ 29<br />
Wenn dem Hausdrachen danach ist, lässt er Kasperl nicht einmal <strong>bei</strong> der Tür hinein,<br />
denn: „der soll schon so früh nach Haus kommen, der Lump hält seine richtige<br />
Stund – vor 12 Uhr läßt ihn das Wirthshaus nicht fort, nichts – das ist Fopperey.<br />
Schlägt das Fenster zu.“ 30 1792, ein Jahr nach Die Männerschwäche, weist Hensler in<br />
Der Großvater, oder Die 50 jährige Hochzeitfeyer La Roche abermals eine Vaterrolle<br />
zu, allerdings jene eines liebenden und fleißigen Bergmanns. Der komische Part<br />
kommt hier eher dem im Titel angesprochenen 96-jährigen Großvater zu, der sich<br />
mit seiner 88-jährigen, schwerhörigen Frau (ein steter Quell der Komik – eigentlich<br />
der einzige), auf seine goldene Hochzeit freut, noch wacker in der Grube ar<strong>bei</strong>tet<br />
und seine Schwiegertochter anweist, die Enkerln in die Schule zu schicken. Kasperl<br />
ist ein ebenso respektabler wie liebevoller Vater und Ehemann. Am allermeisten<br />
freut ihn,<br />
„wenn einem denn so sein gesundes Weib entgegen kommt mit einem freundlichen<br />
Gesicht, an jeder Hand ein paar Fratzen dem Vater entgegen führt, und<br />
alle so in einer Melodie einem zuruffen – Grüß euch Gott, Vater!<br />
Christ[oph]. Gott! was giebt es für glückliche Menschen!<br />
Kasp[er]. Ha, meiner Six! da kruselts einem durchs Herz, daß man gleich in<br />
die ganze Schöpfung n’Jubelschrey werfen möchte, um der Welt zu sagen, wie<br />
glücklich man ist.“ 31<br />
Was den Kasperl in mehreren Stücken zur Raserei bringt, ist seine grundlose Eifersucht.<br />
Der eifersüchtige Schuster aus Leopold Hubers gleich betitelter Komödie von<br />
1791, das ist Kasper Knieriem, der den ganzen lieben Tag vor Galle nur so überquillt:<br />
wegen seiner Frau Marthe, die er mit seiner blinden Eifersucht bis aufs Blut<br />
quält (und regelmäßig verprügelt); wegen seiner Ziehtochter Röschen, das nicht den<br />
kurios-dümmlichen Schulmeister, sondern den Feldwebel Liebenthal heiraten will;<br />
wegen seines „Taxl“ Maxl, des Lehrbuben, der alles falsch macht, auch noch frech<br />
ist und eine diebische Elster dazu. Ein Wutanfall des Kasperl gegen seine Frau liest<br />
sich dann so:<br />
„Marthe. Aber sag mir nur, du Widhopf! mußt den ganzen Tag nichts als<br />
brummen und knausen; früh Morgens hebt’s Liedel an, und dauert, bis dir<br />
deine Bocksaugen zu pappen; sogar <strong>bei</strong> der Nacht murrt der Tanzbär noch –<br />
29 Ebenda, S. 124–125.<br />
30 Ebenda, S. 133.<br />
31 Hensler, Der Großvater, S. 44.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
Kasper. Schau, schau, Prunzessin [!] von China, wenn man eng Mähren die<br />
Wahrheit sagt, so geht der Schnabel auf. Willst mir etwan ein Leichtpredigt<br />
machen, und thut’s Herzenweiberl kitzeln, wenn ich den Schuhknecht ’n wenig<br />
hunz? Aber ich weiß, d’Mirl wird’s noch so weit bringen, daß ich’s ins Speckkammerl<br />
werd einsperren müssen, ’s ist mit dir eine rechte Schand und Spott<br />
keinen sichern Schritt kann ich aus dem Haus machen. Kommt kein Fremder,<br />
so hast du mit dem jungen Lecker da deinen Techtelmechtel. – Ja, ja, mit dem<br />
hab’ ich mir nicht wenig blaubuklichte Kollonisten in den Pelz gesetzt. O heuriger<br />
Februari, Marzi und Aprill! – –<br />
Marthe. Aber – hm! du toller Schöps! ich will nur sehen, wenn du einmal<br />
aufhören wirst, dir mit deiner närrischen Eifersucht selbst den Balg abzuschinden.<br />
Kasper. So bald Madam das thun wird, was Unsereiner befohlen hat. Auf<br />
deinen [!] Zimmer sollst du hübsch hocken bleiben, und da will ich haben, daß<br />
kein fremdes Ungeziefer über die Hausschwelle glitschen soll.<br />
Marthe. Schäme dich doch, du unchristlicher Bärnhäuter! in deinen rothen<br />
Judasbart hinein. Du – du kannst von einem Weib so was fordern? Darüber<br />
müßte sich selbst der Hanswurst die Lungel aus dem Leib heraus lachen.“ 32<br />
Dem Kasperl gilt es als ausgemachte Sache, dass man den „Weibsbildern“ alles so<br />
„vorkäuen“ muss, „wie den Kindern ’s Koch. Steht man nicht beständig hinter euch<br />
mit der Hetzpeitsche, so ist man alle Augenblick betrogen und belogen.“ 33 Kurzum:<br />
„es schadt nicht, wenn man den Weibern auf die Kappen geht, und ihnen den<br />
Wurm nimmt.“ 34 Was daraus folgt: „er prügelt Marthen wacker ab; sie versetzt ihm<br />
eine derbe Ohrfeige, rauft die Perücke vom Kopf, und lauft schreiend ab“, 35 oder: „er<br />
prügelt sie wacker herum [...] er zieht sie mit Gewalt mit sich fort wart Weiberl, jetzt<br />
will ich dich erst in die Zucht nehmen.“ 36 Am Ende fleht er zerknirscht:<br />
„Herzensweibl! Sieh deinen ehlichen allergetreuesten Hörnertrager zu deinen<br />
Füßen! Ich bitte, ich beschwöre dich <strong>bei</strong> allen Ehe-Frauen der ganzen Welt,<br />
erhöre meine Gurgel und laß mein Geschrei zu dir kommen!“ 37<br />
32 Huber, Der eifersüchtige Schuster, S. 17–18.<br />
33 Ebenda, S. 18.<br />
34 Ebenda, S. 26.<br />
35 Ebenda, S. 20.<br />
36 Ebenda, S. 38.<br />
37 Ebenda, S. 97.<br />
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Selbst der Verprügelten gelten jedoch die Prügel letztendlich als Liebesbeweis, denn<br />
„obwohl er mich mit seiner barbarischen Eifersucht Tag und Nacht quällt, so bin ich<br />
doch überzeugt, daß er mich liebt“. 38<br />
In Leopold Hubers und Ferdinand Kauers „komischem Singsspiel“ Kasperl der lustige<br />
Schaafhirt, oder das Mayfest auf den Alpen von 1791 wurde die Titelpartie nicht<br />
von La Roche gespielt, sondern von Georg Gruber, einem Kinderdarsteller und Sänger<br />
am <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>; der Grund: <strong>Das</strong> Singspiel war laut Untertitel „für<br />
die Marinellische Kinderschule“ verfasst, die Anfang der 1790er-Jahre unter der<br />
Leitung von Marinellis zweitem Kapellmeister Ferdinand Kauer eingerichtet worden<br />
war und die die ständigen Repertoire- und Besetzungsschwierigkeiten beheben<br />
sollte. 39 Wohl auch deshalb ist das Stück als Abfolge von Nummern und handlungsmäßig<br />
als kindliches älplerisches Schulspiel angelegt. Einerseits markiert der<br />
kindliche Kasperl als Hirte zwar den Luftikus und singt:<br />
„Ueberall, wo Mädchen sind,<br />
Da bin ich dabey –<br />
Grillen schlag ich in den Wind,<br />
Haß’ das Einerley –<br />
Bald ists diese, bald ists jene,<br />
Süß ist mir das Wandern –<br />
Zur Brunette, zur Blondine –<br />
Bald zu einer andern –“. 40<br />
An und für sich ist Kaspel jedoch ein braver Bub: „du [Christel] weißt, ich hab deine<br />
Schwester die Gretl auch gern – so lang aber dein Vater nicht Ja sagt, – ja so wird<br />
aus der ganzen Pastete nichts werden“, 41 versichert er treuherzig. Dann singt der<br />
verliebte Gimpel die eine oder andere Arie der Art:<br />
„Mein Gretl ist so wunderschön,<br />
Hat Aepfelrothe Backen,<br />
Krieg ich sie einmal nur zu sehn –<br />
So nimm ich’s an dem Nacken,<br />
Und küsse sie von Herzen mein,<br />
Und hab mit ihr mein Spiel –<br />
Sie ist n’ Diendl zart und fein,<br />
So schlank, wie Besenstiehl.“ 42<br />
38 Ebenda, S. 31.<br />
39 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 441.<br />
40 Huber, Kasperl der lustige Schaafhirt, S. 14–15.<br />
41 Ebenda, S. 7.<br />
42 Ebenda, S. 8–9.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
Die hier nicht ganz grundlose Eifersucht plagt ihn freilich auch:<br />
„N’Madel ist ein närrisch G’wächs,<br />
Ganz lieblich anzuschauen –<br />
So schelmisch aber, wie n’ Hex.<br />
Da ist nit viel zu trauen –<br />
Je freundlicher die Madeln sind,<br />
Je wirblicher sind sie, wie Wind –<br />
Da kratzen sie ein’m s’Goderl,<br />
Da lecken sie ein’m s’Pfoderl –<br />
Und richten noch von Hauß zu Hauß.<br />
Uns arme Männer wacker aus –<br />
Und doch – Narrethey!<br />
S’bleibt halt doch dabey –<br />
N’Mädel ist ec.“ 43<br />
Zu ähnlichen Texten singen die – fast allesamt Lustigen – Figuren in Joachim Perinets<br />
und Wenzel Müllers Singspielen Kaspar, der Fagottist, oder: die Zauberzither<br />
von 1791 und Pizichi, oder: Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten von 1792. Worauf<br />
es Librettist und Komponist am allermeisten ankam, steht programmatisch im<br />
Untertitel der Fortsetzung; demnach handelt es sich um ein „Original-Singspiel in<br />
drey Aufzügen mit Maschinen und Flugwerken“ – und tatsächlich werden aktionistisch<br />
Einfälle, Späße, Zaubereien unter Aufbietung aller nur technisch möglichen<br />
Maschinenkunststücke aneinandergereiht. Perinet und Müller verknüpften die ins<br />
Feen- und Zauberreich verlegten Kriminalhandlungen um die Entführung einer<br />
jungen Frau (im zweiten Teil sind es gleich mehrere) sowie die daraus folgenden Befreiungs-<br />
und Mordmotive entlang parallelisierter Liebeskonflikte im Herren- und<br />
Dienermilieu mit je einem männlichen Nebenbuhler als Störenfried. Dramaturgisch<br />
setzten sie auf eine zyklische Abfolge von Maschinenkunststücken, Gesangseinlagen<br />
und akustischen Überraschungseffekten, die in der Fortsetzung die Handlungslogik<br />
der gedoppelten Liebesgeschichte sowie deren kriminalistischen Rahmen mehrmals<br />
sprengt. Kasperl liebt Palmire und bleibt ihr treu, obwohl man ihm Gift ins Ohr<br />
träufelt:<br />
„Sie möchten mich gern papierln, und hernach brennen? aber anpumpt! Reiner,<br />
keuscher, sittsamer Mond, sichelkrummes Ebenbild, du bist Zeuge, daß ich<br />
meiner Palmire getreu bin. So lang ich diese Zeilen ansehe, so lang kommt<br />
keine [andere] Lieb in mein Herz. er zieht ein Papier heraus. <strong>Das</strong> ist ihre eigene<br />
manupropria – als wanns gestochen wär, und noch obendrein französisch:<br />
Je vous aime<br />
Und das Extrem!“ 44<br />
43 Ebenda, S. 35.<br />
44 Perinet, Pizichi, S. 85–86.<br />
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Rund ein Jahrzehnt danach begegnet Kasperl, wie schon in Ferdinand Eberls Limonadehütte,<br />
dem Publikum als Cafetier: in Joachim Perinets und Wenzel Müllers<br />
„komischer Oper“ Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel von 1803.<br />
Und wieder kann das Einvernehmen mit Frau und Kind eigentlich nichts trüben<br />
außer der Armut. Aber selbst die scheut er nicht, wenn ihm die unmoralischen Zustände<br />
im Haus seines Herrn gegen den Strich gehen:<br />
Kaspar. „Ein jedes Hasel hat sein Grasel, hat man kein Rindfleisch, so ißt man<br />
ein Bratel – ich hab nur vier Kinder, zwey von meiner ersten, und zwey von<br />
meiner Zweyten. Einen Tag essen die ersten zwey, den andern Tag die letzten<br />
zwey nichts. Ey was! der Himmel verlaßt keinen rechtschaffenen Kerl; ich will<br />
lieber betteln, als da [unter der keifenden Wirtschafterin] im Haus bleiben.“ 45<br />
<strong>Das</strong> heißt nicht, dass er <strong>bei</strong> Bedarf nicht mit Armut und Kinderreichtum hausieren<br />
geht: Auf die Frage „Hat er noch mehr Kinder“ antwortet der Kasperl: „Acht Kinder<br />
hat mir die Katz gefressen, und sechs sind noch auf der Reis“. 46 Alles in allem ist<br />
Kasperls Ehe ganz in Ordnung – weil Mann und Frau auch auf Ordnung halten,<br />
wie Kasperls Frau mit einer „Polonaise“ bezeugt:<br />
„Ich geb euch Männern Brief und Siegel,<br />
Bey Weibern hilft kein Schloß noch Riegel,<br />
Hält man sie gar zu kurz am Zügel,<br />
So reißen sie den Strang entzwey.<br />
Doch schenkt ihr Männer! Euern Frauen,<br />
Nur ohne Eifersucht Vertrauen,<br />
So könnt ihr auf uns Häuser bauen.<br />
Und ewig bleiben wir euch treu.<br />
Drum folget meinen Lehren;<br />
Wolt ihr die Männer recht bekehren,<br />
So haltet sie auch hübsch in Ehren,<br />
Und lebet nicht in Saus und Braus!<br />
Wenn Weiber hübsch die Ordnung halten,<br />
In Lieb und Treue nicht erkalten,<br />
Die jungen Männer, wie die Alten,<br />
Die bleiben dann auch gern zu Haus.“ 47<br />
Zwischenfazit (1)<br />
Die Lust- und Singspiel-Kasperliaden von Ferdinand Eberl, Karl Friedrich Hensler,<br />
Leopold Huber / Ferdinand Kauer und Joachim Perinet / Wenzel Müller fördern<br />
ein überaus enges und vor allem moralisch ziemlich <strong>bei</strong>spielhaftes Gefühls-<br />
45 Perinet, Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, S. 15.<br />
46 Ebenda, S. 35.<br />
47 Ebenda, S. 48.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
repertoire des Kasperl zutage. Affektiv agiert er allenfalls, wenn die Eifersucht ihn<br />
packt – doch die gilt stückintern stets als Liebes-, ja Treuezeichen. Die vorgeführten<br />
Emotionen entsprachen sowohl den bürgerlichen Normen wie (bis auf die Eifersucht)<br />
dem christlichen Dekalog, mitunter gar grundiert von einem empfindsamen<br />
Zug. Kasperls Affekte und Emotionen auch nur zu konstatieren und schon gar zu<br />
deuten fällt nicht leicht, ist doch Kasperl kaum noch Lustige Zentralfigur und selbst<br />
als figurales Requisit nur schwer zu fassen. Jedenfalls erstaunt Kasperls narrative,<br />
dramaturgische und komödiantische Bedeutungslosigkeit im <strong>Leopoldstädter</strong> Repertoire<br />
um 1800 – das doch für ihn und um ihn herum geschrieben worden war, wie<br />
es heißt. Wie, wenn mit seinen Affekten und seinem Affekthaushalt, das heißt <strong>bei</strong>m<br />
Kasperl: mit seiner Obszönität, sich die Komik verflüchtigt und die Autoren tatsächlich<br />
nicht mehr gewusst hätten, was anzufangen sei mit ihm? In dem Maße, wie<br />
der Kasperl kein Frauensammler und Sexualphantast mehr sein darf, kein Zotenreißer<br />
und Hosenscheißer wie Hanswurst, kommt ihm textlich auch das Komische<br />
abhanden, das wohl tatsächlich ganz prinzipiell von einem lebt: dem Bruch von und<br />
dem Spiel mit Tabus. Wie tief und entschieden dieser Fall vom phallischen Typus<br />
zum ehrsamen Ar<strong>bei</strong>ter und Ehemann vonstatten ging, belegt ein vergleichender<br />
Blick auf die hanswurstischen Liebschaften von einst.<br />
Exkurs: Hanswurstische Lumpenkerle und colombinische Kanaillen<br />
von einst 48<br />
Der Hanswurst der Haupt-und Staatsaktionen von Stranitzky kannte nur zweierlei<br />
Frauenkategorien: „junge feine Mädl“ und „alte Rindfiher“. 49 In seinem sexualmetaphorischen<br />
Jargon (in bezug auf Frauen beherrscht Stranitzkys Hanswurst<br />
keinen anderen) lauten die dazugehörigen Funktionszuschreibungen: „Madratzen<br />
der Vergnügenheit“ 50 sowie „überdragene Madratzen“. 51 Damit eine solche Matratze<br />
48 I. d. F. nach Beatrix Müller-Kampel: Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im<br />
18. Jahrhundert. Paderborn [u. a.]: Schöningh 2003, S. 128–139.<br />
49 Der Tempel Dianae oder Der Spiegl wahrer und treuer Freundschafft mit H:W: Den sehr<br />
übl geplagten Jungengesellen von zwey alten Weiberen Componirt Von einen In Vienn an<br />
Wesenden Comico. Monsieur stranützkü minu [?]. In: Joseph Anton Stranitzky [Verfasserschaft<br />
ungesichert]: Wiener Haupt- und Staatsaktionen. Eingeleitet und hrsg. von Rudolf<br />
Payer von Thurn. Bd. 2. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1910. (= Schriften<br />
des Literarischen Vereins in Wien. 13.) S. 1–62, hier S. 20.<br />
50 Ebenda, S. 9.<br />
51 Der Großmüthige Überwinder Seiner selbst mit HW: den übl belohnten Liebhaber vieller<br />
Weibsbilder oder Hw der Meister, böse Weiber gutt zu machen. Mehrers wird die Action<br />
selbst dem geneigten Leser vorstellen. In Wienn den 7 August 1724. In: Joseph Anton Stranitzky<br />
[Verfasserschaft ungesichert]: Wiener Haupt- und Staatsaktionen. Eingeleitet und<br />
hrsg. von Rudolf Payer von Thurn. Bd. 1. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien<br />
1908. (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 10.) S. 403–457, hier S. 432. I. d. F.<br />
zitiert als: Cosroes.<br />
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ihre hanswurstische Funktion erfüllen kann, muss sie nicht unbedingt schön, in<br />
jedem Fall jedoch jung, wohlfeil und geschwind zu besteigen sein. Trifft letzteres<br />
zu, so sieht Hanswurst über mancherlei hinweg, denn: „de gustibus ist nicht zu Disputirn,<br />
es leckt wohl öffter die Kuhe ihren schmirigen Hintern ab und schmeckt ihr<br />
wohl, destwegen ist ein Fleisch so gutt als das andre.“ 52 In der gemäßigteren Diktion<br />
von Hafners Hannswurst heißt dies: „Mir ist das alls eins, wanns nur ein Weibsbild<br />
ist, die mich aushalt, das andre besteht so nur in der Einbildung; und man gewohnt<br />
die Wilde so gut als die Schöne“. 53 Infolge vergeblicher Werbungs- und Liebesmüh<br />
gar den Tod zu suchen, ist dem Narren der Gipfel an Närrischkeit. 54 Trotz oder gerade<br />
wegen seiner reichhaltigen Sachkenntnis hat sich Hafners Hannswurst nie zur<br />
Ehe entschließen können,<br />
„ich hab allzeit ein Hagen und ein Nisi gefunden; bald war eine zu wild, bald<br />
eine zu schön, eine war mir zu groß, eine zu klein, eine zu freundlich, die andere<br />
zu trutzig, eine hat gar ein kindisches Gesicht gehabt, die andere wieder einen<br />
Bart, wie ein Kutscher, eine jede hat halt ein Nisi gehabt“. 55<br />
So großzügig der Wurstel über Fehler und Mängel seiner Gespielin hinwegsehen<br />
mag (zumindest wenn diese ihn nicht halten oder heiraten will), <strong>bei</strong> einem versteht<br />
er keinen Spaß: ihrem Alter. Eine in die Jahre gekommene Frau auf Männerschau<br />
ist ihm ein „runselte[r] Baurenstiffl“, 56 eine vertrocknete „Saublumen“, 57 ein „alte[r]<br />
52 Nicht diesem, den es zugedacht, Sondern dem daß Glücke lacht oder Der großmüthige<br />
Frauenwechsel unter Königlichen Personen mit Hanß Wurst den verrathenen Intriganten<br />
und übel belohnten Liebs-Envoye. Viennae Die 21 Julij Anno MDCCXXIV. In: Wiener<br />
Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 1, S. 203–261, hier S. 233.<br />
I. d. F. zitiert als: Pyrrhus.<br />
53 Philipp Hafner: Der förchterlichen Hexe Megära zweyter Theil; unter dem Titel: die in eine<br />
dauerhaffte Freundschaft sich verwandelnde Rache. Von Philipp Hafner. Aufgeführt auf<br />
dem k. k. <strong>Theater</strong>. Wien: Kurtzböcken 1765. In: Philipp Hafners Gesammelte Werke. Eingeleitet<br />
und hrsg. von Ernst Baum. Bd. 2. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien<br />
1915. (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 21.) S. 5–101, hier S. 24.<br />
54 Waß sein soll Daß schickt sich wohl oder Die unvergleichliche Beständigkeit zeyer Verliebten<br />
Mit HW: den seltsamen Großmütigen und übl belohnten Kupler. In: Wiener Haupt-<br />
und Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 2, S. 319–378, hier S. 376.<br />
55 Hafner, Mägera II, S. 25.<br />
56 Der Tempel DIANAE oder Der Spiegl wahrer und treuer Freundschafft mit H:W: Den sehr<br />
übl geplagten Jungengesellen von zwey alten Weiberen Componirt Von eInen In Vienn an<br />
WesenDen CoMICo. Monsieur stranützkü minu [?]. In: Wiener Haupt- und Staatsaktio- Staatsaktionen<br />
(hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 2, S. 1–62, hier S. 20.<br />
57 Der Besiegte Obsieger Adalbertus König in Wälschlandt oder Die Wurckungen deß Betruchs<br />
bey gezwungener Liebe Mit HW: Den betrogenen breutigam, verwihrten Auffstecher,<br />
übl belohnten alten Weiber Spotter, gezwungenen Ehmann, Allamodischen Ambasadeur,<br />
sehenden Blinden und hörenden Tauben ec. ec. Componirt Ao+ 1724 von einem<br />
Comico. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 2, S. 185–<br />
250, hier S. 207.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
Fuchsbalck“, 58 ein „altes Madratzenmuster“ 59 oder ein „alter Backofen“ 60 – allesamt<br />
sind sie schlichtweg „verfluchte Teufflviecher“. 61 Gerade unter den angejahrten Ammen,<br />
Erzieherinnen und Kammermädchen erfreut sich Hanswurst jedoch größter<br />
Beliebtheit. Gerät er dennoch in die Lage, ein solches Exemplum zur Frau nehmen<br />
zu müssen, stößt er gefährliche Drohungen aus oder denkt an Selbstmord: Wenn<br />
„der Thorwärtl Thamerl“ einen „Heuraths Contract“ für die Ehe mit der alten Dorella<br />
aufsetze, werde er „ihm in 1000 Stück zerhaue[n]“; 62 er „schwerd“, die dann<br />
Angetraute „täglich 9mahl zu brüglen und einmahl zu frsßen geben“, 63 er wolle<br />
lieber „hängen“ oder „sterben als sie heurathen“, 64 lasse sich „lieber zwicken, und<br />
braten, so komm ich doch einmal aus der Welt. [...] Eh ich einen solchen Ehstands-<br />
Partikel ins Haus nehm, stirbt der Kaspar Larifari den Tod eines Helden.“ 65<br />
Ob schön oder häßlich, jung oder alt, ob <strong>bei</strong> Stranitzky, Kurz oder Hafner: Hanswurst<br />
gilt es als unumstößliches Faktum, „daß ein Weibsbild [...] ein Diabulus dulcis, und<br />
58 Triumph Römischer Tugendt und Tapferkeit oder GORDIANUS der Grosse Mit Hanß<br />
Wurst den lächerlichen Liebes-Ambaßadeur, curieusen Befelchshaber, vermeinten Todten,<br />
ungeschickten Mörder, gezwungenen Spion ec. und waß noch mehr die Comoedie selbsten<br />
erkhlaren wirdt. Componirt In diesen 1724 Jahr, den 23 Jenner. In: Wiener Haupt- und<br />
Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 1, S. 1–67, hier S. 66.<br />
59 Adalbertus, S. 246.<br />
60 Karl Friedrich Hensler: <strong>Das</strong> Donauweibchen. Erster Theil. Ein romantisch-komisches<br />
Volksmährchen mit Gesang in drey Aufzügen, nach einer Sage der Vorzeit für die k. k.<br />
priv. Marinellische Schaubühne. Die Musik ist von Herrn Ferdinand Kauer, Musikdirektor.<br />
Wien: Kamesina 1798. In: Rommel [Hrsg.], Die romantisch-komischen Volksmärchen,<br />
S. 97–158, hier S. 119.<br />
61 Adalbertus, S. 209.<br />
62 Ifigenia, S. 7.<br />
63 Ebenda, S. 61.<br />
64 Gordianus, S. 65. Vgl. auch Cosroes, S. 433.<br />
65 Hensler, <strong>Das</strong> Donauweibchen, S. 15.<br />
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necessarius“ 66 oder ein „animal variabile“ ist. 67 Ganz generell gelten dem Wurstel die<br />
Frauen als verlogen, scheinheilig, hinterlistig und verschlagen – und die den Stücken<br />
eingeschriebene Geschlechtsrollentypik gibt ihm darin durchaus recht. Die „Verstellung“<br />
sei „generis foeminini“, 68 „die Weiber seind falsch und betrügerisch“, 69 „Foemina<br />
grande malum, ein Weibsbild ist wie ein Cameleon, der alle Augenblick seine<br />
Färben verändert.“ 70 „Heyrathen? Ey!“ reimt sich in Kurz’ Neuem Krummen Teufel auf<br />
„Narredey“, 71 „copuliren“ gar auf auf „crepiren“. 72 Eine Aria des vom Johannistrieb geplagten<br />
Lustgreises Arnoldus klärt über die Gründe für ein solch abgrundtiefes Misstrauen<br />
gegenüber Frau, Liebe und Ehe auf: Fazit: „Der eim Weib traut, ist ein Narr.“ 73<br />
Namentlich gilt dies in Dingen sexueller oder ehelicher Treue, in der „die Weibsbilder<br />
so unbeständig als wie ein Thurnfänhl.“ 74 Die unweigerliche und unabwendbare<br />
Untreue der Frau ist auf ihre beständige sexuelle Begehrlichkeit zurückzuführen.<br />
66 Philipp Hafner: Ein neues Zauberlustspiel, betitelt: Mägera, die förchterliche Hexe, oder das<br />
bezauberte Schloß des Herrn von Einhorn. Verfaßt von Philipp Hafner, aufgeführt auf dem<br />
kaiserl. königl. <strong>Theater</strong>. Auf vielfältiges Verlangen im Druck gegeben. Wien: Kurtzböck<br />
[1764]. In: Philipp Hafners Gesammelte Werke. Eingeleitet und hrsg. von Ernst Baum.<br />
Bd. 1. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1914. (= Schriften des Literarischen<br />
Vereins in Wien. 19.) S. 115–212, hier S. 118.<br />
67 Philipp Hafner: Die Bürgerliche Dame, oder die bezämmten Ausschweiffungen eines zügellosen<br />
Eheweibes, mit Hannswurst und Colombina, zweyen Mustern heutiger Dienstbothen.<br />
Aufgeführt in dem k. k. privilegirten <strong>Theater</strong>. Wien: Kurzböcken 1763. In: Philipp<br />
Hafners Gesammelte Werke. Eingeleitet und hrsg. von Ernst Baum. Bd. 2. Wien: Verlag<br />
des Literarischen Vereins in Wien 1915. (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 21.)<br />
S. 279–363, hier S. 308.<br />
68 Hafner, Mägera I, S. 120.<br />
69 Adalbertus, S. 213.<br />
70 Die Verfolgung auß Liebe oder Die grausame Königin der Tegeanten Atalanta Mit Hanß<br />
Wurscht Den lächerlichen Liebs-Ambasadeur, betrognen Curiositäten-Seher, einfältigen<br />
Meichlmörder, Intressirten Kammerdiener, übl belohnten Beederachsltrager, unschuldigen<br />
Arrestanten, Intresirten Aufstecher, wohl exercirten Soldaten und Inspector über die bey<br />
Hoff auf der Stiegen Esßende Gallantomo. ec. ec. Im Jahr 1724, den 10 July. In: Wiener<br />
Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 1, S. 133–201, hier S. 147.<br />
71 Johann Joseph Felix von Kurz: Der neue Krumme Teufel. Eine Opera-Comique von<br />
zwey Aufzügen; nebst einer Kinder-Pantomime, betitult: Arlequin, der neue Abgott Ram<br />
in America. In: J.J.F.v.K.: <strong>Das</strong> Komödienwerk. Historisch-Kritische Edition. Hrsg. von<br />
Andrea Brandner-Kapfer. Graz, Univ., Diss. 2007, S. 93–130, hier S. 102.<br />
72 Ebenda, S. 100.<br />
73 Johann Joseph Felix von Kurz: Der aufs neue begeisterte und belebte Bernardon. Nebst<br />
Zweyen Pantomimischen Kinder-Balletten: Der durch Magische Kraft und durch Würkung<br />
der Göttin Lachasis wieder aufs neue belebte Bernardon. <strong>Das</strong> wankelmütige Frauenzimmer<br />
oder: La Fille Coquette. In: Kurz, <strong>Das</strong> Komödienwerk (hrsg. von Brandner-<br />
Kapfer), S. 166–176, hier S. 175.<br />
74 Pyrrhus, S. 220. Vgl. auch Adalbertus, S. 213.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
Ein Mann, bekennt Colombine in Hafners zweitem Teil der Mägera, sei ihr „so lieb<br />
als das tägliche Brod“, 75 weshalb dessen Mangel sie in Verzweiflung stürzt: „keinen<br />
Mann hab ich nicht, keinen Mann krieg ich nicht, und eh ich mich auslachen laß,<br />
will ich lieber crepiren.“ 76 Letztlich trösten sich die „Weibspersonen“ 77 immer rasch,<br />
denn „wer Teufel soll wegen einen Amanten so viel Verdruß leiden, es giebt ja tausend<br />
Mannsbilder auf der Welt“. 78<br />
Zu alledem sind Hanswursts „Menscher“ geschwätzig, faul, erbarmungslos und gewalttätig.<br />
„[E]in Weibsbildermaul und eine Windmihl schweigen nicht leichtlich<br />
still, wann sie nur eine Ursach haben.“ 79 Im Lügen und Betrügen, �rgern und Quälen,<br />
Schimpfen und Schelten: darin gefallen sich die „Menscher“ Hanswursts, und<br />
darin besteht ihre Natur. Freilich stehen die Mannsbilder den Frauen in Treulosigkeit,<br />
Falschheit und „Maulmacherey“ um nichts nach.<br />
Geschlechtlichkeit, Geschlechterrollen und Geschlechterkonzeptionen<br />
Zurück zum Repertoire des Kasperls Johann Josef La Roche um 1800. Die stets<br />
sexuell-sexistische Affektivität, mit der Hanswurst einst textlich / sprachlich agiert<br />
hatte, haben sich um 1800 verflüchtigt und mit ihr die Komik, die vorwiegend<br />
mit Geschlechtlichkeit und Geschlechterrollen gespielt hatte. Karl Marinelli freilich,<br />
der wie erwähnt einer anderen, früheren Generation angehört als Eberl, Huber,<br />
Hensler, Perinet und auch der Komponist Wenzel Müller (* 1767), bietet in seinen<br />
Komödien durchaus noch Lustige Figuren, Komik und auch Affekte, die in eine<br />
andere, weniger empfindsame, weniger aufgeklärte, weniger moralische Komödienpoetik<br />
zurückreichen. Dies gilt <strong>bei</strong>spielshalber für die zwei Stücke aus den frühen<br />
1780ern: Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Kasperle in sechserley Gestalten und<br />
Dom Juan, oder Der steinerne Gast. Die Liebesgeschichte hält sich dramaturgisch an<br />
das klassische Muster der Posse mit Reihungen aus komischen Verwechslungen,<br />
Verkleidungen und raschen Situationswechseln. Es überwiegen eindeutig die Situationskomik<br />
und die damit einhergehende, vor allem auf Kleiderwechsel basierende<br />
Typenkomik. Obwohl die <strong>bei</strong>den Diener Kasperl und Jackel herausragende<br />
komische Parts innehaben, sind sie nicht als Zentralfiguren anzusprechen; vielmehr<br />
haben ausnahmslos alle Figuren komische Funktionen inne – wie überhaupt das<br />
Setting, stofflich und dramaturgisch, auf alte Muster der Commedia dell’arte zurückgeht,<br />
vor allem den Pantalone, dem der lächerliche alte Gockel Kilian gleicht.<br />
75 Hafner, Mägera II, S. 9.<br />
76 Ebenda, S. 10.<br />
77 Hafner, Mägera I, S. 171.<br />
78 Ebenda, S. 193.<br />
79 Cosroes, S. 417.<br />
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Dramaturgie und Choreographie sind auf hohes Tempo hin angelegt; es wird viel<br />
von der Bühne und auf die Bühne gerannt, viel geschimpft und geschrieen und<br />
Schabernack getrieben, so dass der Schreiber Partelme am Ende nicht weiß, „bin<br />
ich gesotten, oder gebratten.“ 80 Kasperl tritt in sechserley Gestalten auf – als Scherenschleifer,<br />
Rauchfangkehrer, Bettlerin, Wickelkind, Herr von Schweinburg, Winter<br />
mit Glutpfanne –, nur Liebeshändel pflegt er merkwürdigerweise nicht. Auch in<br />
Marinellis Dom Juan überlässt der Kasperl diese seinem Herrn, dem gleichsam größten<br />
Experten dafür – allerdings graut ihm jedesmal vor den immer gleichen, den<br />
tödlichen Folgen: „Schöner Auftrag“, beschwert sich Kasperl, als er wieder einmal<br />
eine von Don Juans Leichen wegräumen muss, „mein Herr kuriert die Leut zu tod,<br />
und ich soll der Todtengraber sein“. 81 Mögen Marinellis Komik und Dramaturgie<br />
von jener von Eberl, Hensler, Huber und Perinet abweichen – auch hier spielt<br />
der Kasperl keine so große Rolle mehr wie der Hanswurst von einst. Auf Leidenschaften,<br />
und seien sie auch nur gespielt, lässt er sich nicht ein – nicht einmal auf<br />
Gspusis, die ihm pekuniär oder gastronomisch etwas bringen könnten (wie dies an<br />
Hanswursts einstiger Vorliebe für reiche Witwen und für Köchinnen zu beobachten<br />
war). Grosso modo ist er weniger zügellos und hemmungslos als weinerlich und<br />
beschränkt, eher ungeschickt als boshaft, 82 eher guten Willens als giftig und gallig:<br />
„Ich will mich bessern,“, verspricht er seinem Herrn – und will auch fleißig flunkern<br />
dafür. 83<br />
Geschlechtlichkeit, Geschlechterrollen und Geschlechterkonzeptionen standen neben<br />
der Gewalt (will sagen: seriellen Wutausbrüchen und Prügeleien) im Mittelpunkt<br />
der früheren hanswurstischen Komik. In den Komödien um 1800 sind die<br />
Geschlechterkonflikte mit der Komik, die von Kasperl (zumindest laut den „Bücheln“)<br />
abgezogen scheint, keineswegs verschwunden. Sie werden sogar integrale<br />
Bestandteile des Konzepts – das, bis auf die <strong>bei</strong>den Beispiele von Marinelli, kein rein<br />
komisches mehr ist –, und des Fabula docet – das, wenn es die Komödien schon<br />
nicht überformt, diese doch vielfach durchwächst. Ar<strong>bei</strong>t, Fleiß und Sparsamkeit,<br />
Gehorsam und Bescheidenheit: das sind die Tugenden, denen entlang die textlich<br />
weitestgehend komiklosen Liebes- und Heiratskonflikte konstruiert sind. Den Platz<br />
des Störenfrieds im narrativen Schema von Kennenlernen / Verlieben – Hindernisse<br />
– Beseitigung der Hindernisse / Happy End nehmen konzeptionell ganze<br />
bestimmte Laster und figural, ein bemerkenswerter Befund, meist die Mütter der<br />
heiratsfähigen (und durchaus heiratswilligen) Töchter ein. Oft verhätscheln sie die<br />
Kinder bis zur Charakterlosigkeit, wählen grundfalsche Schwiegersöhne aus (nämlich<br />
nach Maßgabe allein des Geldes und des Standes) und nehmen sich außerdem<br />
noch befremdende Freiheiten heraus – die den Ehemann in Verzweiflung stürzen<br />
80 Marinelli, Liebesgeschichte, [10 v ], S. 30.<br />
81 Marinelli, Dom Juan, S. 83.<br />
82 Vgl. ebenda, S. 87.<br />
83 Ebenda, S. 58.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
und die Familie zu zerstören drohen. In Eberls Limonadehütte soll die Tochter an<br />
einen reichen Nichtsnutz verkuppelt werden:<br />
„Flor. Die Heurath betrifft die Tochter; ein Mädchen von ungefähr 15 Jahren<br />
– die man an einen reichen Schafskopf zu verhandeln sucht; und ihr unter<br />
dem Worte Ehe das Privilegium für jede Art von Ausschweifung versichert. [...]<br />
<strong>Das</strong> ganze Hauswesen ist zerrüttet, die Gläubger stürmen täglich Thüren und<br />
Fenster – und mit jeder aufgehenden Sonne stehen Juden und Geldmäkler auf<br />
jeden Wink bereit, die letzten Hoffnungen dieser Dame zu verschlingen“. 84<br />
Was in einem solchen Kopf und Herzen vorgeht, spricht die eingebildete Salonnière<br />
Frau von Altenbach in einem Aparte aus:<br />
„Wahrhaftig ich muß für Sonderlich gelten – das geb ich der Welt gerne zu –<br />
original ist wenig in unsern Tagen, der Gedanke, daß ein Weib die Präsidentinn<br />
eines Zirkels schöner Geister – und junger Männer seyn will – sie zucken<br />
die Achseln, sie machen Anmerkungen – aber was hat all dies Gewäsche auf<br />
mein System für Einfluß – Sie beschuldigen mich der Cokketterie, und es ist<br />
doch heller purer Zeitvertreib – den ich mir mit den possirlichen Püpchens<br />
mache“. 85<br />
In Henslers Männerschwäche führt der mütterliche Hang zu Großtuerei und Verschwendung<br />
<strong>bei</strong>nahe zu dem, was im zweigliedrigen Titel als Zweites angeführt<br />
ist: zur Krida, dem (hier durch Verschwendung her<strong>bei</strong>geführten) Bankrott des Familienunternehmens,<br />
einer Seidenfabrik. Ferdinand, der Schwiegersohn des alten<br />
Fabrikanten, weiß nicht aus noch ein:<br />
„Ferdinand. Gestern noch bezahlte ich einen halbjährigen Conto an die Putzhändlerin<br />
von 480 fl. für dich und deine Mutter; minder stärkere von dem<br />
Schuster und Schneider liegen auf dem Komtoir, unsere Handlung ist in dem<br />
schlechtesten Zustand, so, daß ich zweifle, ob wir uns noch 3 Tage halten können.<br />
Soph[ie]. Gott! ich bin verlohren.<br />
Ferd[inand]. Du siehst Sophie, ich gehe in diesem schlichten Rock einher,<br />
um ein ehrlicher Mann zu bleiben; des Morgens um 7 Uhr gehe ich an meine<br />
Ar<strong>bei</strong>t, und des Abends bin ich der Letzte auf dem Komtoir, du hältst auf Anstiften<br />
dieser Dame, [ihrer Mutter] Bediente, Kammermädchen, Kindweiber<br />
und Kutscher; erhebst dich um 11 Uhr aus dem Bett, und sitzest bis um 2 Uhr<br />
an der Toilette.<br />
Soph[ie]. Halt ein Ferdinand!<br />
Ferd[inand]. Bekümmerst dich nur um deine Kinder, wenn sie über ihren<br />
Stand nach der neuesten Mode gekleidet seyn sollen, um ja nicht den Zeitpunkt<br />
zu versäumen, die Knaben recht früh zu Taugenichts, und die Mädchen zu<br />
84 Eberl, Limonadehütte, S. 51.<br />
85 Ebenda, S. 26–27.<br />
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Puppen zu bilden, vergißt darüber die süßesten Pflichten, die würdigste Bestimmung,<br />
die die Natur in das Herz des Weibes schrieb, Mutter zu seyn Pause.<br />
F[rau] v[on] B[rugge]. Hat jetzt der Herr Sohn genug philosophirt? hat er<br />
vielleicht noch mehr zu sagen?<br />
Ferd[inand] geht zu ihr hin, ergreift ihre Hand. Nichts mehr, als das; daß wir<br />
durch sie, durch sie, morgen Bettler sind.“ 86<br />
Auch Gretl, Kasperls Schatz aus Hubers Kasperl der lustige Schaafhirt, hat ähnliche<br />
Flausen im Kopf:<br />
„Mein Kasperl ist ein grober Schroll,<br />
Der gnädige Herr ist fein –<br />
Und ich, die schöne Gretl soll<br />
Des Kasperls Weib noch seyn?<br />
Nein, nein! ich werde gnädige Frau,<br />
Dann gaft [!] man mich wohl an –<br />
Dann brüßt’ ich mich trotz einem Pfau,<br />
Dann ruft, wer rufen kann –<br />
Da geht die schöne gnädige Frau –<br />
Da seht die Gretl an.“ 87<br />
In Marinellis Liebesgeschichte in Hirschau hat sich der alte Gockel Kilian mit Jungfer<br />
Bonaventura, seiner Wirtschafterin, einen veritablen Weibsteufel eingehandelt.<br />
Diesen „altgebackene[n] Rindskopf“ und „Hauskruntzer“, wie Kasperl ihn nennt, 88<br />
muss man von seiner Torheit gründlich kurieren:<br />
„Margreth: Uh über die graue Zärtlichkeit! Die läst dem Jüngling besser,<br />
als Einen für das Grab reifen. Klotz! doch solche Narren müssen geschraubet<br />
werden, damit Sie die Folgen ihrer Thorheit einsehen lernen.“ 89<br />
„Jackel. Courage! Courage! Courage! Wer einen alten Gecken die Braut wegfischt,<br />
der ist ein gescheider Kerl, und die ganze Welt hilft ihn [!] lachen.“ 90<br />
Auch Branntweinbrenner Schindel aus Kasperl’s neu errichtetes Kaffehaus von Joachim<br />
Perinet ist ein solcher Pantoffelheld – und seine Wirtschafterin Nannette der<br />
im Titel angesprochene Hausteufel. Den lieben langen Tag schreit und streitet sie<br />
mit Schindels Ar<strong>bei</strong>tern herum, schnupft Tabak und stößt Drohungen aus: „wann<br />
sie [gemeint ist ihr Bräutigam Schindel] keine höflicheren, und hübschern Gesellen<br />
86 Hensler, Männerschwäche, S. 100.<br />
87 Huber, Kasperl der lustige Schaafhirt, S. 16.<br />
88 Marinelli, Liebesgeschichte, [8 r ], S. 22 und [10 v ], S. 29.<br />
89 Ebenda, [2 v ], S. 8.<br />
90 Ebenda, [2 r ], S. 5.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
in’s Hauß bringen, so geh ich“, denn „ich muß wen haben, mit dem ich kommandiren<br />
kann, und das müssen die Gesellen seyn“. 91 Unausgesetzt fühlt sie sich angegriffen<br />
– auch wenn Schindel sich nur darum sorgt, sie möge ordentlich essen, sonst<br />
würde sie „vom Fleisch fallen“.<br />
„Nann[ette]. O sie grober impertinenter Socius! ich so dürr, wie ein Weinstecken?<br />
– glauben sie etwa, ich soll auch so ein Kleiderausklopfer wie sie seyn, he?<br />
schnupft Tabak. <strong>Das</strong> ist einmahl wahr, sie haben ihren Nahmen in der That: so<br />
zaundürr wie ein Schindel, und roth wie ein Ziegel – so ein geselchter Postpapier-Bogen,<br />
so ein Skelet mit seinen zwey Elfern, der die Lungensucht, und die<br />
Hektika selbst ist, so ein Windhund, durch den man, wie durch eine Hausenblatter<br />
durchschauen kann, glaubt etwa, ich soll so dürre werden, wie ein Weinstecken<br />
– ach! wann ich nur keinen so kurzen Athem hätte, ich wollte sie schon<br />
auf den Glanz herstellen, daß kein Hund einen Bissen Brod von ihnen nähme!<br />
sinkt wieder auf den Sessel, nachdem sie dieß fast in einem Athem her schrie.“ 92<br />
Aus einer späteren �ußerung geht hervor, dass sich sowohl Schindel als auch die<br />
vermeintlich Angegriffene keine Sorgen zu machen brauchen über die Rundungen<br />
Nannettes, denn die Wirtschafterin ist ein „dicke[r] Mosthäfen“. 93 Schindel weiß<br />
sich nicht zu helfen:<br />
„Was nüzt’s mich [!], wenn ich <strong>bei</strong>ß und knirsch?<br />
Ich bin ein’ gute Seel.<br />
Ich bin verliebt, als wie ein Hirsch;<br />
In meine Haus-Mamsell.<br />
Ich hab kein Willen, und kein Kraft<br />
Bin niemand da im Haus,<br />
Und, wann mir’s Bodenreiben schaft,<br />
Reib’ ich in Gott’snahm’ aus.<br />
––<br />
Mit lauter Brandtwein handl’ ich zwar;<br />
Doch ist kein Feu’r in mir.<br />
Ich weiß, ich bin ein armer Narr,<br />
Und häng ganz ab von ihr.<br />
Zu sagen trau ich mir kein Wort,<br />
Weil ich kein Hausrecht hab.<br />
Wie’n Nudeltaig zieh ich mich fort,<br />
Und hatsch ganz langsam ab.“ 94<br />
Alle die kupplerischen, verschwenderischen, dünkelhaften, genuss- und streitsüchtigen<br />
Mütter, treulosen und zänkischen Bräute, notorisch genas geführten Liebha-<br />
91 Perinet, Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, S. 6.<br />
92 Ebenda, S. 8.<br />
93 Ebenda, S. 20.<br />
94 Ebenda, S. 14.<br />
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ber und pantoffelheldischen „Hörnertrager“ stammen theater- wie auch komikgeschichtlich<br />
aus dem Fundus des europäischen Lachtheaters, der Commedia dell’arte,<br />
dem alten Thé�tre Italien und der hanswurstischen Haupt- und Staatsaktion. <strong>Das</strong>s<br />
sie zugleich Personifikationen von Geschlechterkonzeptionen sind – und höchst sexistische<br />
dazu –, liegt auf der Hand. Weit interessanter als die üblichen Genderaspekte<br />
scheint, dass hier um 1800 selbst in die Komödie der Ernst und damit die<br />
Moral Einzug halten. An die alte karikierende Komisierung der patriarchalischen<br />
Geschlechterkonstruktionen erinnern noch Marinellis Liebesgeschichte in Hirschau<br />
wie auch Perinets Hausteufel, in denen die verkappten Pantalones, Colombines und<br />
Arlecchinos Macht und Ohnmacht, Mann und Frau, Jung und Alt spielerisch verkreuzten,<br />
verkehrten, durcheinanderwirbelten. Indessen sind <strong>bei</strong> Eberl, Hensler und<br />
Huber die Lektionen, die auf der Bühne den haltlosen Frauen und den nachgiebigen<br />
Männern erteilt werden, durchaus ernst grundiert und als Moral gedacht. Am<br />
aller erstaunlichsten scheint, dass die Moral, wie sie hier theatralisiert ist, in ihrer<br />
Verteilung von Gut und Schlecht eindeutig sexistischer und prüder verfährt als die<br />
alte Komödie, in der die Männer den Frauen und die Frauen den Männern nichts<br />
schuldig bleiben. Weiblich, das sind in der Wiener Komödie um 1800 an Lastern die<br />
alten Attribute Herrschsucht, Verschwendung, Geschwätzigkeit und Treulosigkeit;<br />
an männlichen bleibt bloß die sträfliche Nachsicht, mit der der Vater, Ehemann,<br />
Bräutigam den Frauen alles durchgehen lassen. In den Worten des Justizrats Flor<br />
aus Eberls Limonadehütte:<br />
„Wenn wir so die Hand auf’s Herzlegen wollten, und so ganz redlich fragen<br />
möchten, wer ist an den Ausschweifungen der Weiber am meisten Schuld? ...<br />
so dürft es wohl heißen, wir Männer selbst – O! es ist ein großes Studium um<br />
das menschliche Herz.“ 95<br />
Zwischenfazit (2)<br />
<strong>Das</strong>s im Repertoire des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s um 1800 die Hüter der (christlichbürgerlichen)<br />
Moral ausschließlich die Väter und Ehemänner sind und die Gefährdung<br />
der Moral stets von den Müttern und Ehefrauen ausgeht, erklärt die textliche<br />
Zurückdrängung der Kasperl-Komik nur zum Teil. Einesteils scheint klar, dass,<br />
wenn mit Geschlechterrollen und -konzeptionen kein Spaß mehr betrieben wird,<br />
auch jene Figur entbehrlich ist, deren komische Funktion eben darin bestand. Andrerseits<br />
hielten die einstigen Hanswürste und Harlekine noch ganz andre komische<br />
Trümpfe in der Hinterhand; die neben den Obszönitäten zweitwichtigsten: das<br />
Schimpfen, das Drohen und das Prügeln. Noch in den 1780ern zählen sie zum Verhaltensrepetoire<br />
des <strong>Leopoldstädter</strong> Kasperls La Roche – doch auch davon sind in<br />
den Komödien um 1800 kaum mehr als kümmerliche Reste zu fassen: Als eifersüch-<br />
95 Eberl, Limonadehütte, S. 20–21.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
tiger Schuster prügelt er <strong>bei</strong> Leopold Huber sein Weib, ergeht sich in Schimpftiraden<br />
– „Lumpenpack“, „sauberer Lindwurm“, „Strick“, „Schöps“, „unchristlicher<br />
Bärenhäuter“, „boshaftes Krautmanderl“, „Regenwurm“, „Raabenaas“, „eingeschrumpftes<br />
Bärnfell“, „Spitzbuben“, „die alte Kelchpletschen“, „Hundsknecht“,<br />
„schwerenoths Kalbskopf“ –, 96 droht seinem Lehrbuben: „ich schlag dir’s Kreuz <strong>bei</strong>m<br />
Wadel ab!“ 97 und greift zum deftigen Vergleich, wenn es um schlechten Schnaps<br />
geht: „Wird wohl ’n saubers Gesäuff seyn, daß man’s Gedärmreissen kriegt, und ’s<br />
Beuschel abbricht?“ 98 Es ist die einzige Komödie aus dem Textcorpus überhaupt, in<br />
welcher sprachlich und metaphorisch mit der komischen Fallhöhe zwischen Hoch<br />
und Niedrig, Erhaben und Banal, Fein und Brachial operiert wird. Alles in allem ist<br />
Otto Rommel zuzustimmen, dass in der Welt dieser „starkdrähtigen Rührstücke“<br />
der Kasperl „weder gedeihen noch sich wohlfühlen“ konnte, und dass „der allgemeine<br />
Tugendfanatismus auch Kasperl zur Ehrbarkeit“ drängte und seine Komik ganz<br />
entschieden „paralysierte“. „Seine Rollen werden immer kleiner und farbloser.“ 99<br />
Mit den Frauen und seinem Prügel, so ließe sich als zweites Zwischenfazit formulieren,<br />
kommt dem Kasperl um 1800 das Komische abhanden – und dieser selber der<br />
Bühne beziehungsweise dem Text.<br />
Methodologische Zwischenbemerkung (2)<br />
Der Verharmlosung, Zähmung, Rationalisierung, Pädagogisierung des affektiv aufgeladenen<br />
Hanswurst zum besinnlichen Kasperl wird man sich je nach Erkenntnisinteresse<br />
mit unterschiedlichen methodisch-theoretischen Instrumentarien nähern<br />
können; die m. E. am zielführendsten: die politische Geschichte einerseits und<br />
andrerseits die Historische Soziologie (mit der Betonung auf Emotionssoziologie,<br />
Feld- und Habitustheorie, Zivilisationstheorie 100 und Diskurstheorie). Emotionssoziologisch<br />
bedeutsam scheint, dass sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />
die Regeln, nach denen auf der Bühne mit Affekten gespielt, damit das Lachen<br />
96 Huber, Der eifersüchtige Schuster, S. 16, 18, 20, 37, 40, 47, 58, 77, 34.<br />
97 Ebenda, S. 77.<br />
98 Ebenda, S. 49.<br />
99 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 444–445.<br />
100 Am Instrumentarium von Norbert Elias führt hier kein Weg vor<strong>bei</strong>; zur Zivilisationsgeschichte<br />
des Hanswurst bzw. Kasperl vgl. Johann Sonnleitner: Hanswurst, Bernardon,<br />
Kasperl und Staberl. In: Hanswurstiaden. Ein Jahrhundert Wiener Komödie. Hrsg. und<br />
mit einem Nachwort von J. S. Salzburg, Wien: Residenz 1996. (= Eine österreichische Bibliothek.)<br />
S. 331–382; Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl, bes. S. 187–193; Beatrix<br />
Müller-Kampel: Sinnengekröse statt Seelengetöse. Hanswursts halsbrecherische Hatz<br />
auf das Glück. In: <strong>Das</strong> glückliche Leben – und die Schwierigkeit, es darzustellen. Glückskonzeptionen<br />
in der österreichischen Literatur. Beiträge des 14. Österreich-Polnischen<br />
Germanistentreffens Salzburg 2000. Hrsg. von Ulrike Tanzer, Eduard Beutner und Hans<br />
Höller. Wien: Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Literaturhaus<br />
2002. (= ZIRKULAR. Sondernummer 61.) S. 193–208.<br />
127
128<br />
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und mit ihm auch Emotionen im Publikum erzeugt wurden, vergleichsweise schnell<br />
verändert haben müssen – zumindest im süddeutsch-österreichischen Raum, für<br />
den hier die Stücke des <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s stehen. Mit der Feld- und Habitustheorie<br />
Pierre Bourdieus sind nicht nur die unterschiedlichen Positionen und<br />
Positionierungen von <strong>Theater</strong>n, Repertoires, Komik- und Spielformen innerhalb<br />
von übergeordneten Feldern, <strong>bei</strong>spielsweise in jenen der Bildung, Unterhaltung, des<br />
Politischen, der gesamten Kultur überhaupt, zu verstehen, sondern auch die Sonderwege,<br />
die das Alt-Wiener Spaßtheater im Vergleich mit der deutsch-deutschen<br />
Komödie einschlug. Im Sinne der theoretischen Ansätze von Norbert Elias wiederum<br />
scheint bemerkenswert, dass die Veränderung des brachialen Hanswurst zum<br />
Kasperl durchaus ein Phänomen der Zivilisierung, aber auch der zivilisatorischen<br />
Verspätung genannt werden kann – und überdies auch, diskurstheoretisch nach Michel<br />
Foucault formuliert, ein Phänomen der Disziplinierung und Normalisierung<br />
der Sexualitäten auf dem <strong>Theater</strong>.<br />
An einem Fragenkomplex müssten diese Ansätze alle scheitern: Warum ein <strong>Theater</strong><br />
als Lachtheater beliebt und berühmt sein konnte, in dem es, zumindest über die<br />
aufgeschriebenen / konrollierten Mono- und Dialoge, immer weniger zum Lachen<br />
gab, warum das allseits als „Kasperl-<strong>Theater</strong>“ genannte <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> immer<br />
seltener den Kasperl gab und warum das Publikum dennoch eifrig und lauthals<br />
lachte darin. Dies erklärt sich nur aus der politischen Geschichte – nämlich aus der<br />
Zensur.<br />
Kasperl unter Kontrolle<br />
1776, also in jenem Jahr, in dem Josef II. „Spektakelfreiheit“ gewährt hatte, boten<br />
die Straßen Wiens ein buntes Bild geschäftig-theatralen Treibens:<br />
„Sie sollten itzt einmal unser Wien sehen und mit mir an einem öffentlichen<br />
Platze stehen. Eine Feenwelt. Hier stellet sich Ihrem Auge eine ganze papierne<br />
Mauer voller geistigen ergötzenden Schauspiele dar. Da pralet ein Feuerwerkszeddel<br />
Wind und Heldenthaten. Hier steht Wäsers Klavigo neben der<br />
verkehrten Welt und einer Opera pantomime des Harlekin; hinter dieser hüpft<br />
das venetianische Karneval mit allerley Verzierungen – & cetera, & cetera.<br />
Da prangt die schöne Wienerin neben dem 30jährigen Abcschützen; und von<br />
der Gerdeckischen Truppe der Bettler neben der Koppischen Gesellschaft des<br />
beschäftigten Hausregenten. Da kriecht eine Seiltänzernachricht neben dem<br />
Edelknaben von der Hebetingerschen Gesellschaft hervor; dort glänzt ein wälsches<br />
Singspiel mit guter Musik und guten Sängern. Hier liegen alle <strong>Theater</strong>musen<br />
unter einander geworfen, unter ihrer Gesellschaft hat sich Nonsensé,<br />
Farze, Skaramutz, Kasperl, Land Dorf und Stadtabenteuer – gedränget – hi<br />
ha – vous allez voir ce que vous allez voir, hi ha!“ 101<br />
101 Wiener Realzeitung vom 16. Juli 1776, S. 462–463. Für den Beleg danke ich Mat-<br />
thias J. Pernerstorfer.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
In Erwägung, dass in der Habsburger Monarchie zu der Zeit alles Schriftliche, das<br />
auch nur irgendwie als öffentlich zu interpretieren war, und selbstredend auch obiger<br />
Artikel strengster Zensur unterlag, hat man es wohl eher mit binnenexotischkultureller<br />
Genremalerei zu tun als mit einer Reportage. Im Visier der Zensoren<br />
standen nicht zuletzt die genannten Figuren und Typen: der von der Wäserschen<br />
Truppe gegebene Klavigo (von Goethe) wie der Harlekin, die Schöne Wienerin aus<br />
Paul Weidmanns eben uraufgeführtem Lustspiel wie der bereits ältere 30jährige<br />
ABC-Schütz des Joseph Felix von Kurz, Der beschäftigte Hausregent von Philipp<br />
Hafner wie auch die „Nonsensé, Farze, Skaramutz, Kasperl“. Gerade einmal sechs<br />
Jahre zuvor war die Zensur, v. a. auf Betreiben von Joseph von Sonnenfels, dem<br />
wirkmächtigsten reformabsolutistischen Berater von Maria Theresia und Josef II.,<br />
wieder verschärft worden.<br />
Nach dem Bankrott der Direktion Joseph Karl Bender im Jahre 1770 wollte die<br />
<strong>Theater</strong>impresa das deutsche Schauspiel am Kärntnertortheater durch den neuerlichen<br />
Rückgriff auf die – an sich seit 1751 verbotene – extemporierte Volksposse alten<br />
Stils sanieren. 102 Joseph Felix von Kurz, nach der von ihm kreierten Figur Kurz-<br />
Bernardon genannt (1717–1784) und gleichsam Personifikation der extemporierten,<br />
revue-artigen Nonsense-Komödie, wurde 1770 nach Wien zurückgeholt. Man trat<br />
auch mit der in der Provinz und in den Wiener Vorstädten spielenden „Badnerischen<br />
Truppe“ unter Prinzipal Menninger über Gastspiele in Verhandlungen – unter den<br />
Spielern befand sich auch der Kasperl-Darsteller La Roche. 103 Dagegen schritt nun<br />
Joseph von Sonnenfels mit einem barschen Promemoria ein, das vom Dramatiker<br />
Stephanie dem �lteren unterzeichnet wurde und an Maria Theresia weitergegeben<br />
werden sollte. Zugleich reichte Sonnenfels – in eigenem Namen – eine Resolution<br />
Über die Nothwendigkeit, das Extemporieren abzustellen <strong>bei</strong> Hofe ein und ließ sie<br />
in der Brünner Zeitung einrücken. 104 Sonnenfels wurde schließlich 1770 mit der<br />
Reorganisation der <strong>Theater</strong>zensur beauftragt – und war damit zum mächtigsten<br />
Mann im Wiener <strong>Theater</strong>wesen aufgestiegen, 105 der die Schauspieler <strong>bei</strong> der ersten<br />
Übertretung der Zensurvorschriften in den Arrest schicken und <strong>bei</strong> der zweiten ein<br />
102 Vgl. i. d. F. Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl, S. 159–164, und Gustav<br />
Zechmeister: Die Wiener <strong>Theater</strong> nächst der Burg und nächst dem Kärntnerthor. Wien:<br />
Böhlau 1971. (= <strong>Theater</strong>geschichte Österreichs. 3.) S. 90.<br />
103 Vgl. Hilde Haider-Pregler: Nachwort. In: Joseph von Sonnenfels: Briefe über die Wieneri- Wienerische<br />
Schaubühne. Hrsg. von Hilde Haider-Pregler. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt<br />
1988. (= Wiener Neudrucke. 9.) S. 347–428, hier S. 409.<br />
104 Vgl. Hilde Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag<br />
des Berufstheaters im 18. Jahrhundert. München: Jugend und Volk 1980,<br />
S. 344–345.<br />
105 Vgl. ebenda, S. 345.<br />
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Berufsverbot verhängen konnte. 106 Damit nicht genug, wollte Sonnenfels bereits im<br />
Monat seiner Bestellung zum Theatralzensor die Bestimmungen auch auf die Wandertruppen<br />
und die <strong>Theater</strong> der Vorstädte ausdehnen, was allerdings von Josef II.<br />
mit einem schlichten „Reponatur!“ abgewiesen wurde. 107 Bereits nach einem halben<br />
Jahr wurde Sonnenfels aus bis heute ungeklärten Gründen aus seinem Zensorenamt<br />
entlassen. Sonnenfels’ Abberufung bedeutete freilich keineswegs eine Lockerung der<br />
Zensur, berichtete doch dessen Nachfolger Franz Karl Hägelin (1735–1809) über<br />
seinen Aufgabenbereich, dass er neben den deutschsprachigen Schauspielen auch<br />
alle Oratorien, Neujahrswünsche sowie Anschlagzettel von „Spektakeln“, Tierhetzen<br />
und Feuerwerken zu zensurieren hatte. 108<br />
Nach wie vor enthielten sich die zeitgenössischen Wiener <strong>Theater</strong> – es soll bis zu<br />
80, darunter auch private Liebhabertheater, gegeben haben 109 – der ausschließlich<br />
vernünftigen Nachahmung der Natur, des moralisierenden Blicks in das bürgerliche<br />
Heim. Statt dessen wurden Maschinenkomödie und Zauberstück – die sich<br />
per definitionem dem geltenden Rationalismus versagen und auf der Existenz vieler<br />
Welten beharren 110 – mit aufklärerischen Motiven versetzt und der Hanswurst zum<br />
Kasperl gezähmt. Den aufklärerischen josefinischen Kritikern war dies der Versittlichung<br />
und Vernunft nicht genug. In einer 1782 erschienenen <strong>Theater</strong>kronik von der<br />
Sündfluth bis auf den grossen Kasperle in der Leopoldstadt, einem gottschedianischen<br />
Querfeldeinlauf durch die <strong>Theater</strong>geschichte, wird Kasperl einmal mehr als Schädling<br />
des guten Geschmacks denunziert:<br />
„Deutschland, und besonders Wien ist jetzt auf ihre Nationalschaubühne stolz.<br />
Empfindung, Geschmak und Einsicht vereinbaren sich hier <strong>bei</strong> jedem Spielenden,<br />
obwohl die Ehre des wiener Geschmaks durch erniedrigende Furien eines<br />
Kasperltheaters <strong>bei</strong> Gelehrten ziemlich leidet. Den Sommer hindurch genießen<br />
wir Wiener keineswegs die Ehre ihres <strong>Das</strong>eins, aber nach einer gewissen Versicherung<br />
sollte es noch einmal geschehen, dann Gnade uns Gott, was wir da<br />
sehen werden. Diese Leute verhunzen noch obendrein die beßten Stücke mit<br />
106 Siehe das im Wortlaut abgedruckte Promemoria in: Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon,<br />
Kasperl, S. 227–228.<br />
107 Vgl. Haider-Pregler, Nachwort, S. 415.<br />
108 Vgl. Zechmeister, Die Wiener <strong>Theater</strong>, S. 49–50.<br />
109 Vgl. Jürgen Hein: <strong>Das</strong> Wiener Volkstheater. Raimund und Nestroy. 2., aktualisierte und<br />
bibliographisch ergänzte Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1991. (= Erträge<br />
der Forschung. 100.) S. 17.<br />
110 Vgl. Hugo Aust, Peter Haida und Jürgen Hein: Volksstück. Vom Hanswurstspiel zum sozialen<br />
Drama der Gegenwart. Hrsg. von J. H. München: Beck 1989. (= Ar<strong>bei</strong>tsbücher zur<br />
Literaturgeschichte.) S. 108.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
der launichten Person ihres Kasperls, denn aber (Gott seis Dank) der dritte Stok<br />
nicht mehr lang aushalten kann“. 111<br />
Schärfer verfahren zwei Anti-Kasperl-Broschüren aus dem Jahre 1781, Kasperl das<br />
Insekt unseres Zeitalters und Etwas für Kasperls Gönner, in ihren Schmähungen der<br />
Lustigen Figur. Im Kasperl-<strong>Theater</strong> nähre das Publikum seine Seelen an Bildern,<br />
„die aus dem zerronnenen und matten Gehirne“ eines „albernen Gauklers“ herrührten.<br />
112 Kasperl, in dem man „mehr ein Ungeheuer als einen witzigen Schalken<br />
erblicken“ müsse, 113 und der „den neuen Geschmack unserer Nation verpestet und<br />
unsere Mauern mit tollem Getümmel erfüllet“, 114 „dieser elende Possenreisser“ 115<br />
beleidige die Menschen durch seine Worte, 116 die in nichts anderem bestünden als<br />
„Vernunft und Anstand entehrende[m] Gezeug“. 117 Es stehe außer Zweifel, „daß es<br />
gut gesitteten Menschen nicht anstehe, an einem so verderblichen und häßlichen<br />
Abenteuer, wie euer Kasperl ist, ein Vergnügen zu finden.“ 118 Dem Kasperl abzuschwören<br />
sei zum sittlichen Wohle des Staates, denn der<br />
„große Einfluß, den die Schauspiele auf die Sitten des Volkes haben, ist sehr<br />
beträchtlich. Man braucht nur richtige Vernunft und weniger dem Kasperl zugetan<br />
sein, so wird man weit über alle Vorurteile erkennen, daß die National-<br />
Schaubühne, welche der weiseste Monarch, dessen einzige Absicht das Glück<br />
seiner Völker ist, zum Besten der Nation in jenen Stand gesetzt hat, daß sie eine<br />
Schule der edlen Sitten und des guten Geschmacks ist“. 119<br />
111 Joseph Krepler: <strong>Theater</strong>kronik von der Sündfluth bis auf den grossen [!] Kasperle in der<br />
Leopoldstadt. Hrsg. von J. K. Wien: Hartl 1782, S. 18.<br />
112 Kasperl das Insekt unseres Zeitalters. Nebst einer Wahrnung an seine Gönner. Wien: [o. V.]<br />
1781. In: Gustav Gugitz: Der Weiland Kasperl (Johann La Roche). Ein Beitrag zur <strong>Theater</strong>-<br />
und Sittengeschichte Alt-Wiens. Wien, Prag und Leipzig: Strache 1920, S. 75–82, hier<br />
S. 77.<br />
113 Ebenda, S. 80.<br />
114 Ebenda, S. 81.<br />
115 Etwas für Kasperls Gönner. Wien: Hartl 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 83–98,<br />
hier S. 85.<br />
116 Vgl. Kasperl das Insekt unseres Zeitalters, S. 80.<br />
117 Etwas für Kasperls Gönner, S. 87.<br />
118 Kasperl das Insekt unseres Zeitalters, S. 77.<br />
119 Etwas für Kasperls Gönner, S. 97.<br />
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Unter dem Motto „Chacun à son goût“ schreitet die Kurze Antwort auf die beyden<br />
Schmähschriften 120 an Kasperl-La Roches Verteidigung. „Kasperl mag manchen<br />
übertrieben, abgeschmackt scheinen, aber viele andere ergötzen sich an ihm. Man<br />
lasse jedem seinen freien Willen.“ 121 Indessen scheinen die Sittlichkeitsgrenzen bereits<br />
so weit vorgedrungen zu sein, dass im Plädoyer für den Kasperl dessen (angeblich<br />
bereits vollzogene) Obrigkeits- und Sittengemäßheit ins Treffen geführt wird:<br />
„Was ist Böses an Kasperl! Wann hat er je etwas Schmutziges oder eine Zote gesagt?<br />
Sind nicht alle Stücke vorgeschrieben, censuriert? Wacht nicht das Ohr der Polizei,<br />
um über jeden Vorfall der hohen Stelle Bericht davon zu geben?“ 122 Karl Marinelli<br />
hatte bereits 1774 von der Bühne aus beteuern lassen, dass alles, „was ohne Beleidigung<br />
der Sitten und des Wohlstandes Beifall und Wohlgefallen verschafft, [...] dem<br />
Zuspruch unsrer Gönner unterworfen sein“ möge. 123<br />
Von 1770 bis 1805 war der genannte Franz Karl Hägelin als spezieller <strong>Theater</strong>zensor<br />
eingesetzt; er hatte den Handlungsverlauf der <strong>Theater</strong>stücke ebenso zu überprüfen<br />
wie deren ästhetische Qualitäten. 124 Am Beginn seiner Tätigkeit hatte als einzige<br />
Richtlinie gegolten, „daß auf dem <strong>Theater</strong> nichts extemporirt werde, keine Prügeleien<br />
stattfänden, auch keine schmutzigen Possen und Grobheiten passirt, sondern<br />
der Residenzstadt würdige Spiele aufgeführt werden“. 125 Hägelins Zensur umfasste<br />
nicht nur das Hofthater, sondern auch die Darstellungen der Nebenbühnen und der<br />
verschiedenen Truppen, denen Josef II. das Kärntnertortheater überlassen hatte. 126<br />
In den ersten Jahren nach dem Tod Josefs II. 1790 erhielten die Lustigen Figuren auf<br />
dem <strong>Theater</strong> wieder größeren Freilauf – zwar regierte die Politik mit eiserner Hand,<br />
hielt sich jedoch <strong>bei</strong> Spaß und Spielen fürs Volk ein wenig zurück. 127 Mit dem von<br />
der Französischen Revolution geradezu traumatisierten Kaiser Franz II./I. war es<br />
damit schon wieder vor<strong>bei</strong>. Mehrere kaiserliche Handschreiben aus den Jahren 1795<br />
120 Kurze Antwort auf die beyden Schmähschriften. I. Kasperl das Insekt unseres Zeitalters.<br />
II. Etwas für Kasperls Gönner. Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 99–<br />
107, hier S. 106.<br />
121 Ebenda, S. 102.<br />
122 Ebenda, S. 102–104.<br />
123 Karl von Marinelli: Der Anfang muß empfehlen. Ein Vorspiel in einem Aufzuge. Wien:<br />
Schulzische Schriften [1774]. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 5–29, hier S. 9.<br />
124 Vgl. i. d .F. Norbert Bachleitner: The Habsburg Monarchy. In: The Frightful Stage. Political<br />
Censorship of the <strong>Theater</strong> in Nineteenth-Century Europe. Hrsg. von Robert Justin<br />
Goldstein. New York, Oxford: Berghahn Books 2009, S. 228-264 und Carl Glossy: Zur<br />
Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur. I. In: Jahrbuch der Grillparzergesellschaft 7 (1897),<br />
S. 238–340.<br />
125 Zit. nach Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 275.<br />
126 Vgl. ebenda, S. 276.<br />
127 Vgl. ebenda, S. 292–293.
Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle<br />
und 1796 mahnten die <strong>Theater</strong>unternehmer v. a. der Provinzen und der Vorstadttheater<br />
auf Einhaltung der Vorzensur wie des Extemporierverbots. Inhaltlich standen<br />
im Mittelpunkt: die „guten Sitten“, die einzuhalten, sowie etwaige „gefährliche<br />
Grundsätze in Rücksicht auf die gute Ordnung und das Wohl des Staates“, die zu<br />
unterlassen waren. 128 Dieser Zusatz zu einem Handschreiben Franz’ II./I. brachte<br />
die <strong>Theater</strong>zensur nach und nach in völlige Abhängigkeit von der Polizei, der alle<br />
für die Vorstadtbühnen zensurierten Stücke zur Revision vorgelegt werden mussten.<br />
Man ging sogar daran, auch ältere, von Josef II. zugelassene Schriften sowie<br />
die unter ihm erschienenen zu „rezensurieren“. Im Zuge dieser „Rezensurierung“<br />
sollen insgesamt 2500 Bücher verboten worden sein. Bezeichnend scheint, dass der<br />
1803 für die Zensoren erstellte Leitfaden als Internum nicht veröffentlich wurde. 129<br />
Binnen weniger Jahre hatte Franz II./I. eines der strengsten Zensursysteme in ganz<br />
Europa etabliert.<br />
Aus einem Denkschreiben 130 des Zensors Franz Karl Hägelin für die Zensur in Ungarn<br />
aus dem Jahr 1795 (neben<strong>bei</strong> ohne es zu wollen eine Normpoetik staats-, konfessions-<br />
und sittenkonformer Dichtung) geht hervor, wie weit die Überwachung<br />
ging: Kontrolliert wurden Stoff, Handlung und „Dialog“ (i. e. Stil, Lexik); geahndet<br />
wurden in allen drei Bereichen „Gebrechen wider die Religion“, „Gebrechen in<br />
politischer Hinsicht, oder wider den Staat“, „Gebrechen in Absicht auf die Sitten“,<br />
wo<strong>bei</strong> das „Gebrechen“ auch in einer Huldigung an das vaterländische Kaiserhaus<br />
bestehen konnte – da das Publikum dies als Satire hätte auffassen können; oder<br />
in der Figur eines katholischen Priesters – da Religion in keinem Detail Gegenstand<br />
des <strong>Theater</strong>s zu sein hatte; oder in Ausrufen wie „Mein Gott!“ oder „Heiliger<br />
Bimbam“ etc., für die Hägelin politisch korrekte �quivalenzvorschläge einbrachte;<br />
oder darin, dass schlicht ein junger Mann und eine junge Frau gemeinsam von der<br />
Bühne gehen – um nicht im Zuschauer entsprechende erotische Bilder aufkommen<br />
zu lassen. Gellerts Kontrollphantasien von einem „geschickten und edelgesinnten<br />
Aufseher [...], dessen Urtheile sie [die Autoren] alle Stücke unterwerfen müßten“,<br />
war in schrecklicher Weise wahr geworden. Gellert hatte sich einen solchen Sitten-<br />
und Dichtungswächter nämlich so imaginiert:<br />
„Dieser vernünftige Mann und Kenner des <strong>Theater</strong>s würde kein mittelmäßiges<br />
Stück, keine närrischen Possenspiele, auf das <strong>Theater</strong> lassen. Er würde sogar<br />
in den guten Stücken die freyen und anstößigen Stellen wegwerfen, und also<br />
sorgen, daß <strong>bei</strong>de Geschlechter ohne Gefahr alle Comödien anhören könnten,<br />
128 Ebenda, S. 295.<br />
129 Vgl. Julius Marx: Die österreichische Zensur im Vormärz. Wien: Verlag für Geschichte und<br />
Politik 1959. (= Schriften des Ar<strong>bei</strong>tskreises für österreichische Geschichte.) S. 12.<br />
130 Vgl. i. d. F. Glossy, Zur Geschichte der Wiener <strong>Theater</strong>zensur, S. 299–327.<br />
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und nie die einen bey dem Händeklatschen der andern die Augen niederschlagen<br />
dürften.“ 131<br />
Was hatte auf einer solchen Bühne der alte Lotterbube Kasperl eigentlich noch zu<br />
suchen außer weitestgehend schweigend moralisch zu sein?<br />
Selbst das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> war um 1800 als des sittlichen Bürgers Abendschule<br />
(Hilde Haider-Pregler) 132 formiert – zumindest in und nach den uns vorliegenden<br />
Texten. Was der Zensor Hägelin ausformuliert und seine Kommissäre im <strong>Theater</strong><br />
exekutieren, entspricht einerseits dem nunmehr auch in Wien gültigen Diskurs<br />
bürgerlich-rationaler Forderungen nach sittlicher Vernunft. Alles deutet darauf hin,<br />
dass darin auch ein zivilisatorischer Prozess der Affektregulierung und der Affektdämpfung<br />
sichtbar wurde. Andrerseits übertrifft der zensorische Zwang zu Vernunft<br />
und Sittlichkeit unter Ausschluss des lauthalsen Lachens den Selbstzwang in<br />
einem Ausmaß, dass er als repressives, diktatorisches, terroristisches und vor allem<br />
geheimes Joch gefürchtet wird. Unter ihm beugten sich, wie das <strong>Leopoldstädter</strong><br />
Repertoire es zeigt, die Autoren und übten präventive Selbstzensur. Und der Kasperl<br />
Johann Josef La Roche? Warum das Publikum dennoch weiter lachte über ihn, und<br />
vermutlich mit Grund, erklären die auf uns gekommenen Texte nicht. In Zeiten der<br />
Überwachung und Bestrafung zog sich Kasperls Komik vielleicht ins stumme Spiel<br />
und den wortlosen Laut zurück. Was, wenn Kasperl-La Roche die Komik <strong>bei</strong> diesen<br />
Zeitläuften wieder einmal ins Extempore verlegt hätte und sich da<strong>bei</strong> eins lachte?<br />
Oder wenn sich La Roche und das über ihn lachende Publikum an überkommene<br />
komische Kanones von Gestik und Mimik gehalten hätten, die die zeitgenössischen<br />
Rollenfächer bereit hielten? Vielleicht brauchte La Roche körpersprachlich<br />
auch nur er selber zu bleiben, mit jenem unverwechselbaren Bewegungsrepertoire,<br />
das er sich für seinen Kasperl „im Prozeß ständiger selektiver Abschleifung durch<br />
das Publikum“ über Jahrzehnte hinweg angeeignet hatte und das nun als unverwechselbare<br />
„Körperidentität“ zum Lachen brachte. Nach Daniela Weiss-Schletterer<br />
„handelt und agiert der Schauspieler“ in einer solchen Körperidentität „häufig ein<br />
<strong>Theater</strong>leben lang, so daß im Idealfall der Name des Komödianten mit jenem des<br />
verkörperten Typus gleichgesetzt und stets in einem Atemzug genannt wird. Harlekin<br />
Müller, Hanswurst Schuch oder Kurz-Bernardon sind einige, wenige Beispiele<br />
im deutschsprachigen <strong>Theater</strong> des 18. Jahrhunderts, die diesen Grad an Popularität<br />
erreichten.“ 133 Kasperl-La Roche auch. Doch ihrer aller komischen Körpergeschichten<br />
sind erst zu schreiben.<br />
131 Christian Fürchtegott Gellert: Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten<br />
Geschmacke in Briefen. Leipzig 1751. In: Ch. F. G.: Sämmtliche Schriften. Neue rechtmäßige<br />
Ausgabe. Bd. 4. Berlin: Weidmann 1840, S. 131–132.<br />
132 Haider-Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule.<br />
133 Beides Daniela Weiss-Schletterer: <strong>Das</strong> Laster des Lachens. Ein Beitrag zur Genese der<br />
Ernsthaftigkeit im deutschen Bürgertum des 18. Jahrhunderts. Wien, Köln und Weimar:<br />
Böhlau 2005. (= Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des<br />
18. Jahrhunderts. 11.) S. 71.
Literaturverzeichnis 1<br />
Quellen<br />
[Bäuerle, Adolf:] Alt Wiener Kulturbilder. Aus Adolf Bäuerle’s Memoiren. Hrsg.<br />
von Josef Bindtner. Wien: Steyrermühl 1926. (= Tagblatt-Bibliothek. 322. 323.)<br />
Bauernfeld, Eduard: Gesammelte Schriften. Bd. 12. Aus Alt- und Neu-Wien.<br />
Wien: Braumüller 1873.<br />
Bitte an die Damen Wiens das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong> betreffend. Wien:<br />
[o. V.] 1789.<br />
Brandner-Kapfer, Andrea [Hrsg.]: Johann Joseph Felix von Kurz. <strong>Das</strong> Komödienwerk.<br />
Historisch-Kritische Edition. Graz, Univ., Diss. 2007.<br />
Brandner-Kapfer, Andrea und Großauer-Zöbinger, Jennyfer [Hrsg.]: Mäzene<br />
des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des <strong>Leopoldstädter</strong><br />
<strong>Theater</strong>s. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung (2008/09).<br />
Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/maezene_startseite.html [Stand 2009].<br />
Brukner, Fritz [Hrsg.]: Die Gründungsakten der <strong>Leopoldstädter</strong> Schaubühne.<br />
Aufgefunden und bear<strong>bei</strong>tet von Franz Hadamowsky. Wien: [o. V.] 1928.<br />
Castelli, Ignaz Franz: Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Erfundenes.<br />
Erlebtes und Erstrebtes. Mit einer Einleitung und Anmerkungen neu herausgegeben<br />
von Josef Bindtner. Bd. 1 und Bd. 2. München: Müller [o. J.]. (= Denkwürdigkeiten<br />
aus Alt-Österreich. 9.)<br />
Coeln, Friedrich von: Wien und Berlin in Parallele. Nebst Bemerkungen auf der<br />
Reise von Berlin nach Wien durch Schlesien über die Felder des Krieges. Ein Seitenstück<br />
zu der Schrift: Vertraute Briefe über die innern Verhältnisse am preußischen<br />
Hofe seit dem Tode Friedrichs II. Amsterdam und Cölln: Hammer 1808.<br />
Eberl, Ferdinand: Abgedrungene Antwort auf das im zweiten Vierteljahre des<br />
kritischen <strong>Theater</strong>-Journals erschienene sechste Stück. Wien: [o. V.] 1789.<br />
Eberl, Ferdinand: Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner<br />
Portion. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Wallishausser 1789. Hrsg. von<br />
Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://<br />
lithes.uni-graz.at/maezene/eberl_mandolettikraemer.html [Stand 2009].<br />
Eberl, Ferdinand: Die Limonadehütte. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Wien:<br />
Meyer und Patzowsky 1793. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene<br />
des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/eberl_limonadehuette.html<br />
[Stand 2009].<br />
1 In: Andrea Brandner-Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger und Beatrix Müller-Kampel:<br />
Kasperl-La Roche. Seine Kunst, seine Komik und das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>. Graz:<br />
<strong>LiTheS</strong> 2010. (= <strong>LiTheS</strong>. Zeitschrift für Literatur- und <strong>Theater</strong>soziologie. Sonderband 1.)<br />
S. 135–146.<br />
135
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
136<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
[Eberl, Ferdinand:] <strong>Das</strong> listige Stubenmädchen oder Der Betrug von hinten. Ein<br />
Original-Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: [o. V.] 1784.<br />
Eberl, Ferdinand: Der Tode und seine Hausfreunde. Posse in einem Aufzug.<br />
Wien: Meyer und Patzowsky 1793. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene<br />
des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/eberl_tode.<br />
html [Stand 2009].<br />
[Engelschall, Joseph Heinrich:] Zufällige Gedanken über die deutsche Schaubühne<br />
zu Wien, von einem Verehrer des guten Geschmacks und guter Sitten. In:<br />
Philipp Hafner. Burlesken und Prosa (hrsg. von Johann Sonnleitner), S. 251–271.<br />
Etwas für Kasperls Gönner. Wien: Hartl 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl,<br />
S. 83–98.<br />
Gedrängter Auszug aus dem Leben des verstorbenen Johann La Roche,<br />
sogenannten Kasperls. In: La Roche’s Todtenfeyer, oder des sogenannten Kasperls<br />
Gespräch am jenseitigen Ufer des Styxs mit dem Schatten einer seiner Directeure. In<br />
Knittelversen. Wien: Rehm 1806. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 109–122.<br />
Gellert, Christian Fürchtegott: Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung<br />
von dem guten Geschmacke in Briefen. Leipzig 1751. In: Ch. F. G.: Sämmtliche<br />
Schriften. Neue rechtmäßige Ausgabe. Bd. 4. Berlin: Weidmann 1840, S. 131–<br />
132.<br />
Görner, Karl: Der Hans Wurst-Streit in Wien und Joseph von Sonnenfels. Wien:<br />
Konegen 1884.<br />
Grillparzer, Franz: Sämtliche Werke. Hrsg. und mit Einleitungen versehen von<br />
August Sauer. Bd. 19. Stuttgart: Cotta [1893].<br />
Großauer-Zöbinger, Jennyfer: siehe Brandner-Kapfer, Andrea.<br />
Gugitz, Gustav: Die Totenprotokolle der Stadt Wien als Quelle zur Wiener <strong>Theater</strong>geschichte<br />
des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Wiener<br />
<strong>Theater</strong>forschung 1953/54 (1958), S. 114–145.<br />
Gugitz, Gustav: Der Weiland Kasperl (Johann La Roche). Ein Beitrag zur <strong>Theater</strong>-<br />
und Sittengeschichte Alt-Wiens. Wien, Prag und Leipzig: Strache 1920.<br />
Philipp Hafners Gesammelte Werke. Eingeleitet und hrsg. von Ernst Baum.<br />
Bd. 1 und Bd. 2. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1914, 1915.<br />
(= Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 19. 21.)<br />
Hafner, Philipp: Komödien. Hrsg. und mit einem Nachwort von Johann Sonnleitner.<br />
Wien: Lehner 2001. (= Texte und Studien zur österreichischen Literaturund<br />
<strong>Theater</strong>geschichte. 1.)<br />
Hafner, Philipp: Burlesken und Prosa. Mit Materialien zur Wiener <strong>Theater</strong>debatte.<br />
Herausgegeben von Johann Sonnleitner. Wien: Lehner 2007. (= Texte und<br />
Studien zur österreichischen Literatur- und <strong>Theater</strong>geschichte. 2.)<br />
Hafner, Philipp: Die Bürgerliche Dame, oder die bezämmten Ausschweiffungen<br />
eines zügellosen Eheweibes, mit Hannswurst und Colombina, zweyen Mustern heu-
Literaturverzeichnis<br />
tiger Dienstbothen. Verfaßt vom Philipp Hafner. Aufgeführt in dem k. k. privilegirten<br />
<strong>Theater</strong>. Wien: Kurzböcken 1763. In: Hafner (hrsg. von Ernst Baum), Bd. 2,<br />
S. 279–363; dasselbe auch in: Hafner, Komödien (hrsg. von Johann Sonnleitner),<br />
S. 171–233.<br />
Hafner, Philipp: Der förchterlichen Hexe Megära zweyter Theil; unter dem Titel:<br />
die in eine dauerhaffte Freundschaft sich verwandelnde Rache. Von Philipp Hafner.<br />
Aufgeführt auf dem k. k. <strong>Theater</strong>. Wien: Kurtzböck 1765. In: Hafner (hrsg. von<br />
Ernst Baum), Bd. 2, S. 5–101; dasselbe auch in: Hafner, Burlesken und Prosa (hrsg.<br />
von Johann Sonnleitner), S. 95–163.<br />
Hafner, Philipp: Ein neues Zauberlustspiel, betitelt: Mägera, die förchterliche<br />
Hexe, oder das bezauberte Schloß des Herrn von Einhorn. Verfaßt von Philipp<br />
Hafner, aufgeführt auf dem kaiserl. königl. <strong>Theater</strong>. Wien: Kurtzböck [1764]. In:<br />
Hafner (hrsg. von Ernst Baum), Bd. 1, S. 115–212; dasselbe auch in: Hafner, Komödien<br />
(hrsg. von Johann Sonnleitner), S. 81–149.<br />
Hensler, Karl Friedrich: <strong>Das</strong> Donauweibchen. Erster Theil. Ein romantischkomisches<br />
Volksmährchen mit Gesang in drey Aufzügen, nach einer Sage der Vorzeit<br />
für die k. k. priv. Marinellische Schaubühne. Wien: Kamesina 1798. In: Die<br />
romantisch-komischen Volksmärchen (hrsg. von Otto Rommel), S. 97–158.<br />
Hensler, Karl Friedrich: Der Großvater, oder Die 50 jährige Hochzeitfeyer. Ein<br />
Originallustspiel in 4 Aufzügen, mit Gesang und Tanz für die Marinellische Schaubühne.<br />
Wien: Goldhannsche Schriften 1792. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer.<br />
In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_grossvater.html<br />
[Stand 2009].<br />
Hensler, Karl Friedrich: Kasperl der unruhige Wanderer. Zweyter und letzter<br />
Theil. Ein Original-Feemärchen mit Gesang in drey Aufzügen für die Marinellische<br />
Schaubühne. Wien: Schmidt 1799. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene<br />
des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_wanderer_2.html<br />
[Stand 2009].<br />
Hensler, Karl Friedrich: Männerschwäche und ihre Folgen, oder Die Krida.<br />
Ein Originallustspiel in drey Aufzügen. Wien: Wallishausser 1791. Hrsg. von<br />
Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.<br />
uni-graz.at/maezene/hensler_maennerschwaeche.html [Stand 2009].<br />
Hensler, Karl Friedrich: Der Schornsteinfeger. Ein Original Lustspiel in drey<br />
Aufzügen. Wien: Wallishauser 1791. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene<br />
des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_<br />
schornsteinfeger.html [Stand 2009].<br />
Hensler, Karl Friedrich: Der unruhige Wanderer, oder Kasperls lezter Tag. Erster<br />
Theil. Ein Original-Feemärchen in vier Aufzügen für die Marinellische Schaubühne.<br />
Wien: Schmidt 1796. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des<br />
Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_wanderer_1.<br />
html [Stand 2009].<br />
Huber, Leopold: Der eifersüchtige Schuster. Ein Lustspiel in drei Aufzügen.<br />
Wien: Goldhann 1791. In: Sammlung einiger ganz neuen <strong>Theater</strong>stücke. Drittes<br />
137
138<br />
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
Bändchen. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09).<br />
Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/huber_schuster.html [Stand 2009].<br />
Huber, Leopold: Kasperl der lustige Schaafhirt, oder das Mayfest auf den Alpen.<br />
Ein komisches Singspiel in zwey Aufzügen für die Marinellische Kinderschule. Die<br />
Musik ist von Ferdinand Kauer. Wien: Goldhann 1791. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer.<br />
In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/<br />
maezene/huber_mayfest.html [Stand 2009].<br />
Kaiser, Friedrich: Unter fünfzehn <strong>Theater</strong>-Direktoren. Bunte Bilder aus der Wiener<br />
Bühnenwelt. Wien: Waldheim 1870.<br />
Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters. Nebst einer Wahrnung an seine Gönner.<br />
Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 75–82.<br />
Krepler, Joseph: <strong>Theater</strong>chronik von der Sündfluth bis auf den grossen Kasperle<br />
in der Leopoldstadt. Wien: Hartl 1782.<br />
Kritisches <strong>Theater</strong>journal von Wien. Eine Wochenschrift. Wien: Ludwig<br />
1788/89.<br />
Kurz, Johann Joseph Felix von: <strong>Das</strong> Komödienwerk. Historisch-kritische Edition.<br />
Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. Graz, Univ., Diss. 2007.<br />
Kurz, Johann Joseph Felix von: Der aufs neue begeisterte und belebte Bernardon.<br />
Nebst Zweyen Pantomimischen Kinder-Balletten: Der durch Magische Kraft<br />
und durch Würkung der Göttin Lachasis wieder aufs neue belebte Bernardon. <strong>Das</strong><br />
wankelmütige Frauenzimmer oder: La Fille Coquette. In: Kurz (hrsg. von Andrea<br />
Brandner-Kapfer), S. 166–176.<br />
Kurz, Johann Joseph Felix von: Bernardon der 30jährige A, b, c Schütz: oder<br />
Hanswurst der reiche Bauer und Pantalon der arme Edelmann. In: Kurz (hrsg. von<br />
Andrea Brandner-Kapfer), S. 338–365.<br />
Kurz, Johann Joseph Felix von: Der neue Krumme Teufel. Eine Opera-Comique<br />
von zwey Aufzügen; nebst einer Kinder-Pantomime, betitult: Arlequin, der neue<br />
Abgott Ram in America. In: Kurz (hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer), S. 93–130.<br />
Kurze Antwort auf die beyden Schmähschriften. I. Kasperl das Insekt unseres<br />
Zeitalters. II. Etwas für Kasperls Gönner. Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz, Der<br />
Weiland Kasperl, S. 99–107.<br />
La Roche’s Todtenfeyer, oder des sogenannten Kasperls Gespräch am jenseitigen<br />
Ufer des Styx mit dem Schatten einer seiner Directeure. In Knittelversen. Vorher ein<br />
gedrängter Auszug aus seinem Leben. Wien: Rehm 1806. In: Gugitz, Der Weiland<br />
Kasperl, S. 111–115.<br />
Mansfeld, Herbert: <strong>Theater</strong>leute in den Totenbeschauprotokollen des Archivs<br />
der Stadt Wien von 1800–1813. In: Jahrbuch der Gesellschaft für <strong>Theater</strong>forschung<br />
14 (1963), S. 117–145.<br />
Marinelli, Karl von: Aller Anfang ist schwer. Ein Gelegenheitsstück in einem<br />
Aufzuge. Bey Eröfnung des neuerbauten Schauspielhauses in der Leopoldstadt.<br />
Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 53–73.
Literaturverzeichnis<br />
Marinelli, Karl von: Der Anfang muß empfehlen. Ein Vorspiel in einem Aufzuge.<br />
Bey Eröffnung der Schaubühne in der Leopoldstadt, von den Unternehmern<br />
Menninger, und Marinelli. Wien: Schulz [1777]. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl,<br />
S. 7–29.<br />
Marinelli, Karl von: Dom Juan, oder Der steinerne Gast. Lustspiel in vier Aufzügen<br />
nach Molieren, und dem spanischen des Tirso de Molina „el Combidado de<br />
piedra“ für dies <strong>Theater</strong> [d. i. das <strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>, Wien] bear<strong>bei</strong>tet mit Kaspars<br />
Lustbarkeit. [Wien 1783.] In: Die romantisch-komischen Volksmärchen (hrsg.<br />
von Otto Rommel), S. 53–96.<br />
[Marinelli, Karl von:] Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Kasperle in sechserley<br />
Gestalten ein Lustspiel in drei Aufzügen. [Wien, den 10ten Jänner 1780].<br />
Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online:<br />
http://lithes.uni-graz.at/maezene/marinelli_liebesgeschichte.html [Stand 2009].<br />
Die Maschinenkomödie. Hrsg. von Otto Rommel. Leipzig: Reclam 1935.<br />
(= Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in<br />
Entwicklungsreihen. Reihe Barock. Barocktradition im österreichisch-bayrischen<br />
Volkstheater. 1.)<br />
Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des<br />
<strong>Leopoldstädter</strong> <strong>Theater</strong>s. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung.<br />
Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer und Jennyfer Großauer-Zöbinger (2008/09).<br />
Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/maezene_startseite.html [Stand 2009].<br />
Müller, Johann Heinrich Friedrich: Theatral-Neuigkeiten. Nebst einem Lustspiele<br />
und der dazu gehörigen Musik, wie auch die in Kupfer gestochenen Vorstellungen,<br />
des <strong>Theater</strong>s. Wien: Ghelen 1773.<br />
Müller, Wenzel: Tagebuch. Übertragen aus der Handschrift der Wiener Stadtund<br />
Landesbibliothek von Girid und Walter Schlögl. Bd. 1 und Bd. 2. Wien: [Typoskript<br />
i. d. Wienbibliothek] [o. J.].<br />
Neuestes Sittengemälde von Wien. Wien: Pichler 1801.<br />
Perinet, Joachim: 29 Aergernisse. Wien: Torricella 1786.<br />
Perinet, Joachim: Die Eifersucht nach dem Tode. Ein Lustspiel in drey Aufzügen.<br />
Wien: Schmidt 1791. In: Theatralische Sammlung. 262. Wien: [o. V.] 1797, S. 71–<br />
158. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09).<br />
Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_eifersucht.html [Stand 2009].<br />
Perinet, Joachim: Kaspar, der Fagottist, oder: die Zauberzither. Ein Singspiel in<br />
drey Aufzügen. Die Musik ist von Wenzel Müller. Wien: Schmidt 1791. In: Die<br />
Maschinenkomödie (hrsg. von Otto Rommel), S. 206–262.<br />
Perinet, Joachim: Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder Der Hausteufel.<br />
Eine komische Oper in drey Aufzügen nach einem Manuskripte für die k. k. privil.<br />
Schaubühne in der Leopoldstadt frey bearb. Die Musik ist von Wenzel Müller.<br />
Wien: Schmidt 1803. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls<br />
(2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_kaffeehaus.html<br />
[Stand 2009].<br />
139
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
140<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
Perinet, Joachim: Megera. Erster Theil. Eine Zauberoper in drey Aufzügen,<br />
nach Weil[and] Hafner neu bearb. Wien: Wallishausser 1806. Hrsg. von Jennyfer<br />
Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.unigraz.at/maezene/perinet_maegere_2.html<br />
[Stand 2009].<br />
Perinet, Joachim: Pizichi, oder: Fortsetzung Kaspars des Fagottisten. Ein Original-Singspiel<br />
in drey Aufzügen mit Maschinen und Flugwerken. Wien: Schmidt<br />
1792. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09).<br />
Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_pizichi.html [Stand 2009].<br />
Perinet, Joachim: Theatralischer Guckkasten mit Dekorationen vergangener, gegenwärtiger<br />
und künftiger Zeit. Wien: [o. V.] 1807.<br />
Pezzl, Johann: Mahlerische Darstellung der k. k. Haupt- und Residenz-Stadt<br />
Wien, oder kurzgefaßte Geschichte derselben von ihrem Ursprunge bis auf den gegenwärtigen<br />
Augenblick. Wien: Müller 1822.<br />
Pezzl, Johann: Skizze von Wien. Ein Kultur- und Sittenbild aus der josefinischen<br />
Zeit. Hrsg. von Gustav Gugitz und Anton Schlossar. Graz: Leykam 1923.<br />
Richter, Joseph: Die Eipeldauer Briefe 1785–1797. In Auswahl hrsg., eingeleitet<br />
und mit Anmerkungen versehen von Eugen Pannel. Bd. 1 und Bd. 2. München:<br />
Müller 1917.<br />
Riesbeck, Johann Kaspar: Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an<br />
seinen Bruder in Paris. Bd. 1. [o. O.]: [o. V.] 1784.<br />
Die romantisch-komischen Volksmärchen. Hrsg. von Otto Rommel. Leipzig:<br />
Reclam 1936. (= Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler<br />
in Entwicklungsreihen. Reihe Barock. Barocktradition im österreichischbayrischen<br />
Volkstheater. 2.)<br />
Schink, Johann Friedrich von: Dramatische und andere Skizzen nebst Briefen<br />
über das <strong>Theater</strong>wesen zu Wien. Wien: Sonnleithner 1783.<br />
Schink, Johann Friedrich: Dramaturgische Fragmente. 4 Bände. Graz: [o. V.]<br />
1781–1784.<br />
Schink, Johann Friedrich: Dramaturgische Monate. Erster Band. Schwerin:<br />
Bödner 1790.<br />
Schlögl, Friedrich: Vom Wiener Volkstheater. Erinnerungen und Aufzeichnungen.<br />
Wien und Teschen: Prochaska 1883.<br />
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. In: J. G. S.:<br />
Werke in zwei Bänden. Hrsg. von Jörg Drews. Bd. 1. Frankfurt am Main: Deutscher<br />
Klassiker Verlag 1993. (= Bibliothek deutscher Klassiker. 85.) S. 155–540.<br />
Seyfried, Ferdinand Ritter von: Rückschau in das <strong>Theater</strong>leben Wiens seit den<br />
letzten fünfzig Jahren. Wien: Selbstverlag des Verfassers 1864.<br />
Sonnenfels, Joseph von: Gesammelte Schriften. Bd. 3. Wien: Baumeister 1783.
Literaturverzeichnis<br />
Sonnenfels, Joseph von: Briefe über die Wienerische Schaubühne. Hrsg. von Hilde<br />
Haider-Pregler. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1988. (= Wiener<br />
Neudrucke. 9.)<br />
Sonnenfels, Joseph von: Der Mann ohne Vorurtheil. Eine Wochenschrift. Wien:<br />
Trattner 1766.<br />
Der Spion von Wien. Eine Wochenschrift. Bd. 1 und Bd. 2. Wien: [o. V.] 1789.<br />
Stranden, Gotthold August von Der: Unpartheyische Betrachtungen über das<br />
neuerbaute Schauspielhaus in der Leopoldstadt, und die sämtlichen Glieder der Gesellschaft.<br />
Von Gotthold August von der Stranden, gewesener Unternehmer einer<br />
Schauspielergesellschaft, nebst dessen Lebensgeschichte. Wien: Hartl und Grund<br />
1781.<br />
[Stranitzky, Joseph Anton:] Der Besiegte Obsieger Adalbertus König in Wälschlandt<br />
oder Die Wurckungen deß Betruchs bey gezwungener Liebe Mit HW: Den<br />
betrogenen breutigam, verwihrten Auffstecher, übl belohnten alten Weiber Spotter,<br />
gezwungenen Ehmann, Allamodischen Ambasadeur, sehenden Blinden und hörenden<br />
Tauben ec. ec. Componirt Ao+ 1724 von einem Comico. In: Wiener Hauptund<br />
Staatsaktionen (hrsg. von Rudolf Payer von Thurn), Bd. 2, S. 185–250.<br />
[Stranitzky, Joseph Anton:] Der Großmüthige Überwinder Seiner selbst mit<br />
HW: den übl belohnten Liebhaber vieller Weibsbilder oder Hw der Meister, böse<br />
Weiber gutt zu machen. Mehrers wird die Action selbst dem geneigten Leser vorstellen.<br />
In Wienn den 7 August 1724. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg.<br />
von Rudolf Payer von Thurn), Bd. 1, S. 403–457.<br />
[Stranitzky, Joseph Anton:] Nicht diesem, den es zugedacht, Sondern dem daß<br />
Glücke lacht oder Der großmüthige Frauenwechsel unter Königlichen Personen mit<br />
Hanß Wurst den verrathenen Intriganten und übel belohnten Liebs-Envoye. Viennae<br />
Die 21 Julij Anno MDCCXXIV. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg.<br />
von Rudolf Payer von Thurn), Bd. 1, S. 203–261.<br />
[Stranitzky, Joseph Anton:] Der Tempel Dianae oder Der Spiegl wahrer und<br />
treuer Freundschafft mit H:W: Den sehr übl geplagten Jungengesellen von zwey<br />
alten Weiberen Componirt Von eInen In Vienn an WesenDen CoMICo. Monsieur<br />
stranützkü minu [?]. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Rudolf Payer<br />
von Thurn), Bd. 2, S. 1–62.<br />
[Stranitzky, Joseph Anton:] Triumph Römischer Tugendt und Tapferkeit oder<br />
GORDIANVS der Grosse Mit Hanß Wurst den lächerlichen Liebes-Ambaßadeur,<br />
curieusen Befelchshaber, vermeinten Todten, ungeschickten Mörder, gezwungenen<br />
Spion ec. und waß noch mehr die Comoedie selbsten erkhlaren wirdt. Componirt<br />
In diesen 1724 JAHR, den 23 Jenner. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg.<br />
von Rudolf Payer von Thurn), Bd. 1, S. 1–67.<br />
[Stranitzky, Joseph Anton:] Die Verfolgung auß Liebe oder Die grausame Königin<br />
der Tegeanten ATALANTA Mit Hanß Wurscht Den lächerlichen Liebs-Ambasadeur,<br />
betrognen Curiositäten-Seher, einfältigen Meichlmörder, Intressirten Kammerdiener,<br />
übl belohnten Beederachsltrager, unschuldigen Arrestanten, Intresirten<br />
Aufstecher, wohl exercirten Soldaten und Inspector über die bey Hoff auf der Stie-<br />
141
<strong>LiTheS</strong> Sonderband Nr. 1 (Juni 2010)<br />
142<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html<br />
gen Esßende Gallantomo. ec. ec. Im Jahr 1724, den 10 July. In: Wiener Haupt- und<br />
Staatsaktionen (hrsg. von Rudolf Payer von Thurn), Bd. 1, S. 133–201.<br />
Teutsche Arien, Welche auf dem Kayserlich-privilegirten Wienerischen Theatro<br />
in unterschiedlich producirten Comoedien, deren Titul hier jedesmahl beygerucket,<br />
gesungen worden. Cod. ms. 12706–12709 der Wiener Nationalbibliothek. Mit Einl.<br />
und Anmerkungen hrsg. von Max Pirker. Bd. 1. Wien, Prag, Leipzig: Strache 1927.<br />
(= Museion. Veröffentlichungen aus der Nationalbibliothek in Wien. Erstausgaben<br />
und Neudrucke. 2. [1].)<br />
<strong>Theater</strong>zettel des <strong>Theater</strong>s in der Wiener Leopoldstadt. Bd. 1–3. Wien:<br />
[o. V.] 1781–1808.<br />
Wieland, Christoph Martin: Nachlass des Diogenes von Sinope. Aus einer alten<br />
Handschrift. In: C. M. Wielands sämtliche Werke. Bd. 13. Leipzig: Göschen 1795,<br />
S. 3–148.<br />
Der Weyland Casperl aus der Leopoldstadt, im Reiche der Todten. Ein<br />
auferbauliches Gespräch in Knittelreimen zwischen ihm, Charon, Prehauser, Stranitzky,<br />
Bernardon, Brenner und noch einem Schatten. Hrsg. von Joachim Perinet.<br />
Wien: [o. V.] 1806. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 123–237.<br />
Wiener Haupt- und Staatsaktionen. Eingel. und hrsg. von Rudolf Payer von<br />
Thurn. Bd. 1 und Bd. 2. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1908, 1910.<br />
(= Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 10. 13.)<br />
Wiener Realzeitung vom 16. Juli 1776.<br />
Wiener <strong>Theater</strong> Almanach auf das Jahr 1803, 1804 und 1806. Hrsg. von Joachim<br />
Perinet. Wien: Riedl 1803, 1804 und 1806.<br />
Wiener <strong>Theater</strong>almanach für das Jahr 1794. Wien: Kurzbeck 1794.<br />
Wiener <strong>Theater</strong> Almanach für das Jahr 1795 und 1796. Wien: Camesina 1795<br />
und 1796.<br />
Wiener <strong>Theater</strong>zeitung. Hrsg. von Adolf Bäuerle. 2 (1806) vom 8. Juli 1806,<br />
14 (1807) vom 3. Oktober 1807 und vom 5. Oktober 1811.<br />
Zeitung für <strong>Theater</strong>, Musik und Poesie vom 3. Oktober 1807.<br />
Forschungsliteratur<br />
Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen<br />
Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders<br />
aber der Oberdeutschen. 2., vermehrte und verbesserte Auflage. Bd. 3. Leipzig:<br />
Breitkopf und Compagnie 1793–1801. Elektronische Volltext- und Faksimile-Edition<br />
nach der Ausgabe letzter Hand. Online: http://www.zeno.org/Adelung-1793/-/<br />
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