NPHM_Frühjahr 2016
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WERKEINFÜHRUNG<br />
der einen Seite die hohen Streich- und Blasinstrumente einschließlich<br />
der Hörner für die freundlichen Stimmungen, auf der anderen Seite<br />
Bassklarinette, Posaunen, Basstuba und Pauken für die düster-gespenstische<br />
Welt, für die apokalyptischen Klangbilder.<br />
Der zweite Satz trägt die Überschrift Im Tempo eines gemächlichen<br />
Ländlers mit der Vortragsanweisung Etwas täppisch und sehr derb. Hier<br />
verwendet der Komponist drei österreichische Tanztypen – Ländler,<br />
Walzer und Steirischer Ländler –, allerdings ins Groteske verzerrt. Schwerfällig,<br />
wie Fiedeln lautet die Spielvorschrift für die Ländlermelodie, die mit<br />
simplen Floskeln und gelegentlichen „falschen“ Harmonien an dilettantisches<br />
Musizieren erinnert. Noch greller, schriller und dissonanter wird<br />
die Musik beim schnellen Walzer; manchmal könnte man meinen, das<br />
Orchester habe völlig die Orientierung verloren, und jeder Musiker spiele<br />
nach Gutdünken. Der Walzer wird zum Totentanz. Der steirische Ländler<br />
hingegen beginnt ruhig, fast tröstlich, doch diese Stimmung hält nicht<br />
lange vor, und bald schon zieht das Tempo wieder an. Aus diesen drei<br />
Tänzen, von Dieter Schnebel als „komponierte Ruinen“ bezeichnet, baut<br />
Mahler einen Satz auf, in dem die klassische Struktur eines Scherzos<br />
nur mehr ansatzweise zu erkennen ist. Das ständige Wechselbad der<br />
Tempi, Tonarten und Stimmungen verwirrt den Hörer. Zuletzt löst sich<br />
die Musik gänzlich in ihre Bestandteile auf, und der Satz endet ohne<br />
überzeugenden, affirmativen Schluss.<br />
Dann folgt ein Rondo – Burleske. Dieser Satz ist harmonisch wie kontrapunktisch<br />
wohl das Kühnste, was Mahler geschrieben hat. „Der Tonalität<br />
geht es ans Leben“, konstatiert Theodor W. Adorno. „Die verselbständigten<br />
Stufen dissoziieren sich in ihrer unmittelbaren Folge; nur gewaltsam wären<br />
sie noch mit Riemannschen Mitteln zu analysieren.“ Auch die polyphone<br />
Struktur entzieht sich einer Analyse. Die Instrumente agieren wie selbstständig;<br />
ständig werden scheinbar unmotiviert Themenfragmente und<br />
kleinste Motive in das musikalische Geflecht eingeworfen, überlagern<br />
sich, brechen wieder ab. Und doch fügt sich alles wundersam zu einem<br />
Ganzen zusammen. Diese kompositionstechnischen Raffinessen machen<br />
zugleich die enorme Schwierigkeit für das Orchester aus. Adorno<br />
nennt den Satz „Mahlers einziges Virtuosenstück“ und fügt hinzu: „Virtuosität<br />
und Verzweiflung aber ziehen sich an. Denn jene balanciert stets am<br />
Rand des Misslingens, des Sturzes wie von der Kuppel im Zirkus; in jedem<br />
Augenblick kann der Virtuos sich vergreifen.“ Der Satz beginnt mit einem<br />
dissonanten Motiv in der Trompete, das immer wiederkehrt und in<br />
seiner Kürze von nur drei Tönen doch als der Refrain des Rondos anzu-