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NPHM_Frühjahr 2016

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WERKEINFÜHRUNG<br />

sprechen ist. In den dazwischenliegenden Teilen zieht der Komponist<br />

die Bilanz seines Schaffens, indem er immer wieder sich selbst zitiert:<br />

zentrale Themen aus seinem Werk tauchen auf, oft bis zur Unkenntlichkeit<br />

verfremdet, und verschwinden wieder. Der größte Teil des Satzes<br />

jagt in atemlosem Tempo dahin, doch in der Mitte gibt es eine Insel der<br />

Ruhe mit einem choralartigen Motiv. Auch hier findet sich ein Selbstzitat,<br />

freilich in umgekehrter Richtung: der auskomponierte Doppelschlag<br />

des Chorals weist voraus auf das Finale.<br />

Vom ersten Ton des Adagio an herrscht eine gänzlich andere Stimmung.<br />

Alles Schrille, alles Groteske ist verschwunden; stattdessen herrschen<br />

Ruhe und ein geradezu klassischer Wohlklang. Die Streicher dominieren<br />

das Klangbild: die Violinen bestreiten die beiden Einleitungstakte, wo<br />

zum ersten Mal der Doppelschlag erklingt, der für den gesamten Satz<br />

so charakteristisch ist. Es folgt ein längerer Abschnitt im fünf- bis sechsstimmig<br />

gesetzten vollen Streichorchester. Die Bläser treten erstmalig<br />

mit einer zweifach aufsteigenden Linie des Fagotts hinzu; dieses Motiv<br />

kehrt später in den Unterstimmen immer wieder. Ähnlich charakteristisch<br />

ist eine zweifach absteigende Linie, mit der sich bald darauf die<br />

Hörner zum ersten Mal zu Wort melden. Das musikalische Gewebe<br />

ist sehr dicht, und es gibt mehrere hochemotionale Ausbrüche der<br />

Leidenschaft, bei denen das volle Orchester einsetzt. Dennoch verweigert<br />

der Komponist eine wirkliche Apotheose, eine auftrumpfende<br />

Siegesgewissheit, sondern verbleibt in einer wehmütigen Abschiedsstimmung,<br />

wie sie ja auch durch das durchgängig ruhige bis gedehnte<br />

Tempo bestimmt ist. Zuletzt reduziert Mahler, der Abschiedssymphonie<br />

von Haydn vergleichbar, die Instrumentalbesetzung mehr und mehr.<br />

Zunächst schweigen die Posaunen, dann endet der Part der Trompeten<br />

und Hörner, und auch die Holzbläser verabschieden sich einer nach<br />

dem anderen. Die letzten 34 Takte der Symphonie werden von den<br />

Streichern alleine bestritten, immer leiser, immer langsamer. Hier zitiert<br />

Mahler deutlich eine Stelle aus seinen Kindertotenliedern („Der Tag ist<br />

schön auf jenen Höh’n“). Durch das extrem gedehnte Tempo scheint<br />

die Zeit wie aufgehoben, und das musikalische Material ist zuletzt auf<br />

den Doppelschlag reduziert, der bis kurz vor Schluss immer wieder zu<br />

hören ist. Im allerletzten Takt verbleibt ein Des-Dur-Akkord der zweiten<br />

Violinen, Bratschen und Celli, der im Nichts verklingt.<br />

Gustav Mahler konnte seine Neunte Symphonie – wie auch das Lied<br />

von der Erde – nicht mehr hören, denn er starb am 18. Mai 1911. Von<br />

der geplanten Zehnten Symphonie lagen zu diesem Zeitpunkt nur

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