Auswanderer - Einwanderer - Stadt Oberhausen
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Unterhaltung/Kultur<br />
Das Wasser steigt und steigt.<br />
Es hat schon die oberste<br />
Treppenstufe erreicht. Wo<br />
bleibt nur Friedhelm? Er<br />
wollte doch Hilfe holen. Alles<br />
was nicht niet- und nagelfest<br />
in der unteren Etage war,<br />
schwimmt umher. Die roten<br />
Rosen, die Friedhelm mir<br />
zum fünfzigsten Geburtstag<br />
geschenkt hat, breiten sich<br />
wie ein Teppich vor mir aus.<br />
Was ist nur mit dem Klima<br />
los? Das „Ewige Eis“ an den<br />
Polen schmilzt. Überall auf<br />
der Welt hört man von<br />
Unwettern. Bisher wurden<br />
wir immer verschont und nun<br />
kam es über Nacht.<br />
Während ich in Gedanken<br />
versunken war, hat das<br />
Wasser meine Knie erreicht.<br />
Wenn es bis auf Brusthöhe<br />
steht, werde ich mich vom<br />
Rollstuhl lösen können. Auch<br />
wenn mir meine Beine seit<br />
Jahren nicht mehr gehorchen,<br />
in den Armen habe ich<br />
noch Kraft zum Schwimmen.<br />
Das Was-ser ist mein<br />
Element und wird mich in die<br />
Freiheit tragen. Mein Blick<br />
gleitet zum Gürtel, unter den<br />
ich die wichtigsten Papiere<br />
für Haus und Leben, in wasserdichter<br />
Folie, gespannt<br />
habe. Ich bin bereit! Die<br />
Hände umklammern die<br />
Armlehnen des Rollstuhles.<br />
Jetzt wird es Zeit sich hoch-<br />
zustemmen!<br />
Warum gelingt es nicht? Ich<br />
hänge fest! Immer wieder<br />
versuche ich mich zu lösen<br />
bis zur Erschöpfung. Die<br />
Angst steigt langsam in mir<br />
hoch. Soll sie wirklich von<br />
mir Besitz ergreifen?<br />
Nein! Ich habe den Unfall<br />
überlebt, musste den Tod<br />
meiner Tochter verkraften<br />
und habe mit viel Mühe den<br />
Rollstuhl akzeptiert, um jetzt<br />
unterzugehen? Ist meine Lebensuhr<br />
abgelaufen? Judith,<br />
besinne dich auf deine asiatische<br />
Gelassenheit.<br />
Ich schließe die Augen, atme<br />
tief durch, um die Verkrampfung<br />
zu lösen. Das Geschehene<br />
ist nicht zu ändern!<br />
Gehe in Würde! Einen letzten<br />
Gedanken sende ich<br />
noch an meine Lieben, bevor<br />
das Wasser über mich<br />
kommt.<br />
Trotzdem strecke ich meinen<br />
Hals bis zur Schmerzgrenze.<br />
Warum fällt das Loslassen<br />
so schwer?<br />
„Judith, Judith!“ Höre ich das<br />
wirklich? Friedhelm, du bist<br />
gekommen. Ich merke noch,<br />
wie an mir gezerrt wird und<br />
ich ins Licht gezogen werde.<br />
Ich blinzele und erkenne<br />
meinen Nachbarn Franz:“<br />
Du, was machst du noch<br />
hier? Mach, dass du deine<br />
Familie in Sicherheit bringst!“<br />
„Das ist sie schon!“ „Ich<br />
werde nie vergessen, dass<br />
du meinen Sohn gerettet<br />
hast, obwohl deine Tochter<br />
bei dem Unfall umgekommen<br />
ist. Aber das…“ „Judith, jetzt<br />
ist keine Zeit zum Diskutieren!<br />
Komm raus hier.“ Gerade<br />
wollen beide das Haus,<br />
schwimmend durchs Fenster<br />
verlassen, als Friedhelm mit<br />
einem Boot auf sein Zuhause<br />
zusteuert, von dessen<br />
Schönheit nicht mehr viel zu<br />
erkennen ist. „Judith, reich<br />
mir die Hand. Ich ziehe dich<br />
ins Boot.“ Gemeinsam mit<br />
Franz gelingt ihm die<br />
Rettung.<br />
Stillschweigend reichen sich<br />
die beiden Männer die Hand.<br />
Die jahrelange Kälte schmilzt<br />
aus dem Blick.<br />
JuScha<br />
Fehler sind ein Bestandteil des<br />
Lebens,<br />
man kann sie nicht vermeiden.<br />
Man kann nur hoffen,<br />
dass sie einen nicht zu teuer<br />
kommen<br />
und dass man denselben<br />
Fehler nicht zweimal macht.<br />
Lee Iacocca<br />
Wir für Euch 1/2011 13