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Wachter, Zingulum - Leseprobe

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Dezember 2008<br />

Fürwahr eine seltsame Gestalt, die an dem klirrend<br />

kalten Winterabend am Landsteiner Bahnhof<br />

aus dem Intercity 419 stieg: fast zwei Meter groß, hager,<br />

das lange, graue Haar zu einem Zopf gebunden<br />

– und Tätowierungen, die ihn zweifellos als Knastbruder<br />

stigmatisierten. Drei Steherpunkte zwischen<br />

Daumen und Zeigefinger, ein Schlangenkopf am<br />

Nacken und Knasttränen unter dem rechten Auge<br />

zeugten von einer langen Haft – die er bis zum letzten<br />

Tag abgesessen hatte.<br />

Johannes Eder ging ins Bahnhofsrestaurant, bestellte<br />

ein Bier, stand dann an der Theke, schwieg<br />

und beobachtete die auf den nächsten Zug wartenden<br />

Fahrgäste und die Landsteiner Trunkenbolde,<br />

die, wie früher, Tag für Tag wie angewurzelt an derselben<br />

Stelle am Buffet lungerten. Einige erkannte er<br />

wieder; dieselben versoffenen Gesichter wie damals<br />

– als er seine Heimatstadt verlassen hatte –, nur ein<br />

wenig älter und viel verlebter. Sie schienen ihn nach<br />

all den Jahren wiederzuerkennen, wandten sich aber<br />

ab, sprachen kein Wort mit ihm und wichen seinen<br />

Blicken aus.<br />

Er war zurückgekehrt.<br />

Johannes, der Sonderling, mit dem schon damals<br />

niemand etwas tun haben wollte. Nicht das Geringste.<br />

Nach einer abgebrochenen Schlosserlehre hatte es<br />

ihn nach München gezogen, wo er auf Großbaustellen<br />

gearbeitet, natürlich ausgesprochen gut verdient<br />

und sich ein flottes, ausschweifendes Leben geleistet<br />

hatte. Einen Opel Manta hatte er sich gegönnt, in sei-<br />

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