2013 im Gasometer Oberhausen Christo: BIG AIR ... - Kulturnews
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Kultur//Ruhr: Herr Grütter, seit Anfang 2012 sind Sie Direktor<br />
des Ruhr Museums. Aber ein Ruhrgebiet gibt es doch eigentlich<br />
gar nicht, oder?<br />
Heinrich Theodor Grütter: Das komplizierte am Ruhrgebiet ist,<br />
dass der fünf Millionen Einwohner zählende Ballungsraum – der<br />
größte Westeuropas – dadurch definiert ist, wo ehemals Kohle<br />
gefördert wurde oder heute noch Kohle gefördert wird. Es ist<br />
also eigentlich eine untertägige Definition. Geografisch zerfällt<br />
das Ruhrgebiet mit den Ruhrbergen, der Hellwegzone, dem<br />
Emscherbruch und der Lippezone in sehr unterschiedliche<br />
Räume, und es stellt auch politisch keine Einheit dar. Aber es ist<br />
in den letzten 20 Jahren zu einem<br />
Identifikationsraum geworden,<br />
und deswegen existiert seit 2010,<br />
dem Jahr der Kulturhauptstadt<br />
Ruhr, mit dem Ruhr Museum ein<br />
eigenes Regionalmuseum, das es<br />
vorher so nicht gab.<br />
Kultur//Ruhr: Definiert Ihr Museum<br />
das Ruhrgebiet auch aktiv<br />
mit?<br />
Grütter: Ja, auf eine gewisse Art<br />
sind wir auch eine Identitätsmaschine.<br />
Letztlich haben wir die<br />
Funktion eines He<strong>im</strong>atmuseums,<br />
auch wenn wir ein großer Betrieb<br />
sind und in einem riesigem Gebäude sitzen, dem größten auf<br />
Zollverein. Und als He<strong>im</strong>atmuseum sind wir zwar nicht identitätsstiftend,<br />
das wäre der falsche Begriff, aber wir befördern<br />
Identität und stellen sie auf eine best<strong>im</strong>mte Weise auch her.<br />
Kultur//Ruhr: Wie gelingt Ihnen das?<br />
Grütter:Wir fangen – eigentlich untypisch für ein Museum – in<br />
der Gegenwart an und gehen von dort aus in die Tiefen der<br />
Geschichte, weil wir glauben, dass die Gegenwart des Ruhrgebiets<br />
erst einmal definiert werden muss. Wir müssen praktisch<br />
unseren Gegenstand selbst erfinden und schildern zunächst die<br />
Mythen und Klischees des Ruhrgebiets, jene Vorstellungen, die<br />
die Menschen von außen, aber auch die Bewohner der Region<br />
<strong>im</strong>mer noch <strong>im</strong> Kopf haben. Schwere Arbeit, Kohle, Stahl, Umweltverschmutzung,<br />
Dreck, Hinterhof, soziale Milieus: Zu jeder<br />
These zum Ruhrgebiet gibt es auch sehr schnell die Gegenthese.<br />
Zum Beispiel ist das Ruhrgebiet nicht arm, sondern nur best<strong>im</strong>mte<br />
Bereiche sind sozial prekär. Andere hingegen sind sehr<br />
reich. Der Stadtteil Bredeney <strong>im</strong> Essener Süden war bis 1996<br />
der reichste Stadtteil in Deutschland, der Emscherbruch mit<br />
„Mit Emscherwasser getauft, auf Kohle geboren“:<br />
Das sagt Heinrich Theodor Grütter (* 1957) von sich selbst.<br />
Der Gelsenkirchener lebt, lernte und lehrt <strong>im</strong> Ruhrgebiet und leitet<br />
seit Januar 2012 das Ruhr Museum. Der Historiker arbeitet seit 1989 in<br />
dem Ausstellungshaus, das damals noch Ruhrlandmuseum hieß.<br />
Vor seiner Beförderung zum Direktor leitete er die Öffentlichkeitsarbeit,<br />
entwickelte Ausstellungsprojekte war maßgeblich beteiligt<br />
am Umzug in die Kohlenwäsche auf Zollverein und der Entwicklung<br />
der neuen, fünf Millionen teuren Dauerausstellung.<br />
„Wir sind eine<br />
Identitätsmaschine“<br />
Ein Museum fürs ganze Ruhrgebiet? Keine leichte Aufgabe.<br />
Doch Heinrich Theodor Grütter, der neue Direktor des Ruhr<br />
Museums, liebt an seiner He<strong>im</strong>at gerade die Widersprüchlichkeit.<br />
Interview: Katharina Behrendsen<br />
MUSEEN// RUHR<br />
Städten wie Gelsenkirchen und Herne gehört zu den ärmsten<br />
Regionen des Landes. Das Ruhrgebiet ist widersprüchlich, die<br />
Unterschiedlichkeit ist da. Aber es gibt große Gemeinsamkeiten.<br />
Eine davon ist der gemeinsame Kulturbegriff.<br />
Kultur//Ruhr: Was unterscheidet die Kultur <strong>im</strong> Ruhrgebiet denn<br />
von der in der restlichen Republik?<br />
Grütter: Die Industrieproduktion und die Arbeitsbedingungen<br />
definieren hier Kultur. Und von daher gibt es durchaus eine<br />
gemeinsame, von Dortmund bis Duisburg geltende Vorstellung<br />
von Kultur, die eine andere ist als in großbürgerlichen Zusammenhängen<br />
oder in Agrargebieten. Georg Költzsch, ehemaliger<br />
Leiter des Folkwangmuseums<br />
und Erfinder der Kulturhauptstadt,<br />
hat einmal gesagt, <strong>im</strong><br />
Ruhrgebiet sei die Kultur nie<br />
geschenkt worden, sondern<br />
<strong>im</strong>mer erarbeitet. Der Kulturbegriff<br />
ist <strong>im</strong>mer eng verbunden<br />
mit der Arbeitsleistung der<br />
Menschen, weil wir hier kein<br />
großbürgerliches oder feudales<br />
Mäzenatentum wie in den<br />
alten Residenzstädten hatten.<br />
Unsere Kultur ist da stark, wo<br />
serielle Produktion wichtig ist.<br />
Industriereform und Design<br />
spielen eine wichtige Rolle und natürlich auch die Epoche der<br />
Moderne, die <strong>im</strong> Ruhrgebiet vor rund hundert Jahren mit dem<br />
Folkwang-Museum begann, das 1902 – mehr als 20 Jahre vor<br />
dem New Yorker MoMa – eröffnet wurde.<br />
Kultur//Ruhr: Tatsächlich wird das Ruhrgebiet <strong>im</strong>mer stärker<br />
über seine Kultur wahrgenommen. Man denkt zuerst jedoch<br />
meist an Kunst und Theater. Schließen die historischen und<br />
weiteren Museen jetzt auf?<br />
Grütter: Neben der langen Tradition, die moderne Kunst und<br />
Avantgarde <strong>im</strong> Ruhrgebiet haben, gibt es die jüngere Entwicklung<br />
von Industriekultur und -geschichte, die <strong>im</strong> Zuge der<br />
internationalen Bauausstellung Emscherpark in den 1990er-<br />
Jahren begonnen hat. Besucherzahlenmäßig liegen die großen<br />
Industrieausstellungen wie „Feuer & Flamme – 150 Jahre<br />
Ruhrgebiet“ und die großen Kunstausstellungen wie Van Gogh,<br />
Turner oder Caspar David Friedrich übrigens in etwa gleich. In<br />
den 1970er-Jahren gab es <strong>im</strong> Ruhrgebiet 30 Museen, heute sind<br />
es 250. Die Museumslandschaft Ruhrgebiet muss sich hinter<br />
keiner in Deutschland verstecken.<br />
Foto: © Ruhr Museum,<br />
Rainer Rothenberg<br />
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