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Credit Suisse bulletin, 2001/06
Credit Suisse bulletin, 2001/06
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ECONOMICS & FINANCE<br />
PRIVATE<br />
BANKING<br />
«Wir sind noch nicht durchs Dickicht durch»<br />
Interview mit Burkhard Varnholt,<br />
Global Head of Research Credit Suisse Private Banking<br />
Foto: Pia Zanetti<br />
DANIEL HUBER Vor einem Jahr fand der<br />
Höhenflug der Finanzmärkte ein abruptes<br />
Ende. Seither gings mehrheitlich abwärts.<br />
Wo stehen die Märkte heute?<br />
BURKHARD VARNHOLT Grundsätzlich sind<br />
die Märkte trotz einer Abwertung von 40<br />
Prozent im vergangenen Jahr immer noch<br />
hoch bewertet. Das mag viele erstaunen.<br />
Doch die Unternehmensgewinne sind<br />
durchschnittlich noch tiefer als 40 Prozent<br />
gefallen. Von 1982 bis heute haben sich<br />
Unternehmensgewinne weltweit verdreifacht.<br />
Aber die globalen Aktienmärkte sind<br />
heute immer noch etwa zehnmal höher<br />
bewertet als 1982. Das heisst, die Kurs/<br />
Gewinn-Verhältnisse sind im historischen<br />
Vergleich immer noch hoch.<br />
D.H. Werden also die Kurse noch weiter<br />
fallen?<br />
B.V. Einiges deutet darauf hin, dass<br />
wir noch nicht durchs Dickicht durch sind.<br />
So liegen die Kurs/Gewinn-Verhältnisse<br />
heute durchschnittlich viel höher als 1982,<br />
weil in den letzten zwanzig Jahren erstmals<br />
Privathaushalte, Pensionskassen<br />
und sogar Staaten begannen, in grossem<br />
Stil Aktien zu kaufen. In den nächsten Jahren<br />
wird es schwieriger sein, vergleichbar<br />
grosse Investorenpotenziale zu öffnen.<br />
D.H. Somit haben die Aktien als Anlagemittel<br />
ausgedient?<br />
B.V. Überhaupt nicht. Ausgedient hat<br />
lediglich die Buy-and-Hold-Strategie, welche<br />
in den Achtziger- und Neunzigerjahren<br />
sehr erfolgreich war. Grundsätzlich bin ich<br />
aber überzeugt, dass auf sechs bis neun<br />
Monate hinaus Aktien die bessere Wahl<br />
sind als Obligationen.<br />
D.H. Wie ist das zu verstehen?<br />
B.V. Ich gehe davon aus, dass die Börse<br />
in den nächsten Monaten weiter ein von<br />
Liquidität und Hoffnung auf wirtschaftliche<br />
Erholung getriebenes Hoch erleben<br />
wird. Das sollte man unbedingt ausnutzen,<br />
gerade wenn sich der Markt generell eher<br />
seitwärts bewegt. Deshalb empfehle ich<br />
heute, mit diesem Zeithorizont in aktiv bewirtschaftete<br />
Aktienprodukte zu investieren.<br />
D.H. Mit anderen Worten: Aktien kaufen und<br />
ein waches Auge darauf haben.<br />
B.V. So ist es, aber nicht Einzelaktien<br />
kaufen. Denn kein Mensch kann immer<br />
auf alle Einzelaktien ein waches Auge<br />
haben. Das gegenwärtige Finanzmarktumfeld<br />
ist eher mit den Siebzigerjahren als<br />
mit den Achtziger- und Neunzigerjahren<br />
vergleichbar. Auch damals haben sich<br />
vor allem von Profis aktiv gemanagte<br />
Produkte gelohnt.<br />
D.H. Also ist es für den Privatanleger fast<br />
noch einfacher als früher geworden?<br />
B.V. Das würde ich so nicht sagen. Er<br />
muss entscheiden, ob und wie stark er in<br />
Aktien, alternative Anlagen, Cash oder<br />
Obligationen gehen will. Dieser strategische<br />
Entscheid ist letztendlich für 80 Prozent<br />
der Performance seines Portfolios<br />
verantwortlich.<br />
D.H.Woher kommt die bereits angesprochene<br />
hohe Liquidität in den Finanzmärkten?<br />
B.V. Auf der einen Seite haben aufgrund<br />
der fallenden Inflation und des schwachen<br />
Wirtschaftswachstums die Notenbanken<br />
weltweit die Geldmenge ausgeweitet.<br />
Auf der anderen Seite beansprucht eine<br />
schrumpfende Wirtschaft weniger Geld.<br />
Damit fliesst eine höhere, überschüssige<br />
Geldmenge in die verschiedenen Finanzmärkte.<br />
Bis Ende September hat das zu<br />
einer kräftigen Rally an den Obligationenmärkten<br />
geführt. Weil sich die Obligationenrenditen<br />
aber mittlerweile nur noch<br />
zwischen null und<br />
vier Prozent bewegen,<br />
steigen nun<br />
wieder mehr Investoren<br />
von Obligationen auf Aktien um.<br />
D.H. Somit ist die momentane Erholung der<br />
Aktienmärkte lediglich eine Folge von überschüssigen<br />
Geldern?<br />
B.V.Wahrscheinlich ist diese Überschussliquidität<br />
für einen Teil des momentanen<br />
Aufwärtstrends verantwortlich. Auf der<br />
anderen Seite beurteilen die zukunftsorientierten<br />
Aktienmärkte die Entwicklung der<br />
Weltwirtschaft recht positiv. Sie erwarten<br />
für die zweite Hälfte 2002 eine V-förmige<br />
Erholung, besonders in den USA.<br />
D.H. Teilen Sie diese Meinung?<br />
B.V. Es spricht einiges dafür. Mit dem<br />
jüngsten Anziehen der globalen Zinsen<br />
scheinen auch die Obligationenmärkte<br />
diese Einschätzung zu teilen. Doch wird es<br />
meiner Meinung nach zuerst vor allem die<br />
USA betreffen und erst später Europa.<br />
D.H. Woran liegt das?<br />
B.V. In Europa hat die Geldpolitik erst<br />
später und auch zurückhaltender auf die<br />
wirtschaftliche Abkühlung reagiert. Staatlichen<br />
Konjunkturprogrammen sind engere<br />
Grenzen gesetzt, weil die Budgetdefizite<br />
in Europa bereits höher als die in den<br />
USA sind. Schliesslich behindern stark<br />
regulierte Arbeitsmärkte eine rasche konjunkturelle<br />
Anpassung.<br />
D.H. Und wie geht es nun weiter?<br />
B.V. Das hängt davon ab, wie sich der<br />
Konflikt in Afghanistan entwickelt. Falls<br />
wir jetzt in eine Phase der Normalität<br />
zurückkehren, könnte es an den Märkten<br />
zu einer Rally und bald schon zu einer<br />
echten Konjunkturerholung kommen.<br />
Credit Suisse<br />
Bulletin 6|<strong>01</strong><br />
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