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Es ist nicht vorbei - BStU

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<strong>Es</strong> <strong>ist</strong> <strong>nicht</strong> <strong>vorbei</strong><br />

Firma im Internet unter „www.ho-<br />

heneck.com“ das Schloß Hoheneck als<br />

‚das einzige Frauengefängnis der DDR,<br />

vollständig authentisch erhalten, hart<br />

und schonungslos in seiner Wirkung‘.<br />

Mehr als 20 Jahre nach der friedlichen<br />

Revolution und dem Ende der SED-<br />

Herrschaft scheint also ungeklärt, was<br />

in einigen Jahren von diesem einstigen<br />

Ort der Einsperrung und Rechtlosigkeit<br />

bleiben. Was und wer wird beispielsweise<br />

im Jahr 2050 Zeugnis ablegen<br />

können von dem, was hier zwischen<br />

1945 und 1990 geschehen <strong>ist</strong>?<br />

In den vergangenen 50 Jahren sind<br />

zahlreiche Haftschicksale aufgeschrieben<br />

und somit für immer vor dem Vergessen<br />

bewahrt worden. Wohl das erste<br />

und vielleicht prominenteste Beispiel<br />

<strong>ist</strong> Margarethe Kempowski, die Mutter<br />

von Walter Kempowski, die 1948 von<br />

der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet,<br />

zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt<br />

und dann hierher verschleppt<br />

wurde. 1984 schrieb Ellen Thiemann in<br />

der Bundesrepublik den Erlebnisbericht<br />

„Stell dich mit den Schergen gut“. Und<br />

nach 1990 erschienen zahllose Berichte<br />

über diesen Ort und das Schicksal der<br />

Menschen, die in Hoheneck eingesperrt<br />

waren. Stellvertretend seien genannt:<br />

Birgit Schlicke „Knast-Tagebuch“; Eva-<br />

Maria Neumann „Sie nahmen mir <strong>nicht</strong><br />

nur die Freiheit“. Und schließlich die<br />

Zeugnisse der Hohenecker Kinder, wie<br />

z.B. Ulrich Schachts „Hohenecker Protokolle“<br />

(1984) sowie Alex Latotzkys<br />

„Kindheit hinter Stacheldraht“. Alle diese<br />

Selbstzeugnisse berichten <strong>nicht</strong> nur<br />

über das Gefängnisleben in der DDR,<br />

sondern vor allem über das Wesen des<br />

SED-Staates.<br />

Doch diejenigen, die aus eigenem Erleben<br />

berichten können, werden irgendwann<br />

als Zeitzeugen <strong>nicht</strong> mehr zur<br />

Verfügung stehen. Neben dem, was der<br />

Fachh<strong>ist</strong>oriker als „ego papers“ bezeichnet,<br />

also autobiographisches Material<br />

wie Briefe, Tagebücher und Memoirenliteratur,<br />

sowie den leider gefährdeten<br />

Sachzeugnissen <strong>ist</strong> im Fall Hoheneck<br />

ein weiterer großer Quellenfundus<br />

überliefert. Denn die Täter von einst<br />

haben zahlreiche Spuren hinterlassen.<br />

Die Staatspartei SED, die Strafvollzugsbehörden<br />

und die Geheimpolizei haben<br />

umfangreiche Akten über ihre Opfer<br />

angelegt. Aus Sicht der Wissenschaft<br />

sind dies wertvollste Materialien, denn<br />

es sind sogenannte „Überreste“, d.h. sie<br />

sind unabsichtlich überliefert worden<br />

und geben uns also unverfälscht Auskunft<br />

über das Denken und Handeln<br />

der Täter, über deren Absichten und<br />

über die Zustände in Hoheneck.<br />

Die für Hoheneck zentrale Überlieferung<br />

der Geheimpolizei des SED-<br />

Staates wird heute von einer weltweit<br />

einmaligen Einrichtung verwahrt: Der<br />

„Bundesbeauftragte für die Unterlagen<br />

des Staatssicherheitsdienstes der<br />

ehemaligen DDR“ hat den gesetzlichen<br />

Auftrag, Verfolgten ihre Stasiakten zugänglich<br />

zu machen, die Öffentlichkeit<br />

über die SED-Herrschaft zu informieren<br />

sowie Wissenschaft und Medien bei<br />

ihrer Arbeit zu unterstützen. Anhand<br />

dieser Unterlagen können ehemals<br />

Ver folgte erfahren, wer sie in der DDR<br />

bespitzelt hat oder warum sie in der<br />

DDR keinen Studienplatz bekommen<br />

haben, ehemalige Gefangene können<br />

ihre Unschuld nachweisen oder eine<br />

Opferrente beantragen, Enteignete<br />

eine Entschädigung fordern und Angehörige<br />

Auskunft über das Schicksal<br />

verschleppter Ehemänner oder Kinder<br />

erhalten.<br />

Die <strong>BStU</strong> klärt auf und informiert, aber<br />

sie ermittelt <strong>nicht</strong> und klagt niemanden<br />

an – dies <strong>ist</strong> Aufgabe der Justiz. Denn<br />

anders als DDR-Staatsanwälte und Gerichte<br />

<strong>ist</strong> die Stasiunterlagenbehörde<br />

streng an Recht und Gesetz gebunden.<br />

Und auch die ehemals Verfolgten<br />

haben in den vergangenen 20 Jahren<br />

<strong>nicht</strong> willkürlich, sondern ausnahmslos<br />

klug gehandelt und damit das Vermächtnis<br />

der friedlichen Revolution<br />

weitergetragen: <strong>Es</strong> hat keinen einzigen<br />

Fall von Selbstjustiz gegeben, die früher<br />

Verfolgten haben an ihren nun bekannten<br />

und entmachteten Peinigern keine<br />

Rache oder Siegerjustiz geübt. Vorwürfe,<br />

die Stasiunterlagenbehörde würde<br />

Millionen ehemalige DDR-Bürger verfolgen,<br />

entbehren jeder Grundlage.<br />

Das MfS der DDR hatte etwa 90.000<br />

„hauptamtliche“ sowie weitere ca.<br />

180.000 spitzelnde „inoffizielle Mitarbeiter“.<br />

Die Mehrheit der circa 17 Millionen<br />

Bürgerinnen und Bürger der DDR<br />

hat sich auf eine Zusammenarbeit mit<br />

der Geheimpolizei <strong>nicht</strong> eingelassen<br />

und wurde eben deswegen beobachtet<br />

oder gar drangsaliert.<br />

Die Frauen von Hoheneck haben seinerzeit<br />

Mut bewiesen und ein Zeichen gegen<br />

das Vergessen und für die Zukunft<br />

gesetzt. Im Jahr 1953 traten sie mit dem<br />

Mut der Verzweiflung in einen Hungerstreik,<br />

um bessere Haftbedingungen<br />

und eine Überprüfung ihrer Verurteilungen<br />

zu erreichen. Und vor 20 Jahren,<br />

genau am 26. April 1991, gründeten sie<br />

den „Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen“.<br />

Dr. clemens heitmann<br />

Leiter der <strong>BStU</strong>-Außenstelle Chemnitz<br />

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