03.03.2013 Aufrufe

Die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für - BStU - Bund.de

Die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für - BStU - Bund.de

Die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für - BStU - Bund.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Anatomie <strong>de</strong>r Staatssicherheit<br />

Geschichte, Struktur und Metho<strong>de</strong>n<br />

— MfS-Handbuch —<br />

Bitte zitieren Sie diese Online-Publikation wie folgt:<br />

Jens Gieseke: <strong>Die</strong> <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />

(MfS-Handbuch). Hg. <strong>BStU</strong>. Berlin 1996.<br />

http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:<strong>de</strong>:0292-97839421302572<br />

Mehr Informationen zur Nutzung von URNs erhalten Sie unter<br />

http://www.persistent-i<strong>de</strong>ntifier.<strong>de</strong>/<br />

einem Portal <strong>de</strong>r Deutschen Nationalbibliothek.


Vorbemerkung<br />

Mit <strong>de</strong>m Sturz <strong>de</strong>r SED-Diktatur for<strong>de</strong>rte die Demokratiebewegung in <strong>de</strong>r ehemaligen<br />

DDR 1989/90 auch die Öffnung <strong>de</strong>r Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes. Das Stasi-<br />

Unterlagen-Gesetz (StUG), am 20. Dezember 1991 mit breiter Mehrheit vom Parlament<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> vereinten Deutschlands verabschie<strong>de</strong>t, schaffte da<strong>für</strong> die Grundlage.<br />

Zu <strong>de</strong>n Aufgaben <strong><strong>de</strong>s</strong> Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>beauftragen <strong>für</strong> die Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes<br />

<strong>de</strong>r ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gehört die "Aufarbeitung <strong>de</strong>r<br />

Tätigkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes durch Unterrichtung <strong>de</strong>r Öffentlichkeit über<br />

Struktur, Metho<strong>de</strong>n und Wirkungsweise <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes" (§ 37 StUG). Dazu<br />

trägt dieses Kompendium "Anatomie <strong>de</strong>r Staatssicherheit" bei. Das vorliegen<strong>de</strong> Handbuch<br />

liefert die grundlegen<strong>de</strong>n Informationen zu Geschichte und Struktur <strong><strong>de</strong>s</strong> wichtigsten<br />

Machtinstruments <strong>de</strong>r SED.<br />

Seit 1993 einer <strong>de</strong>r Schwerpunkte <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>r Abteilung Bildung und Forschung,<br />

gelangen die abgeschlossenen Partien <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS-Handbuches ab Herbst 1995 als<br />

Teillieferungen zur Veröffentlichung. Damit wird <strong>de</strong>m aktuellen Bedarf unterschiedlicher<br />

Institutionen und Interessenten Rechnung getragen: <strong>de</strong>n Opfern <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, die sich – zum<br />

Beispiel durch persönliche Akteneinsicht – jetzt noch einmal mit ihrem Lebensweg<br />

befassen, o<strong>de</strong>r etwa Gerichten und Politikern, die in das konspirative Dickicht <strong>de</strong>r DDR-<br />

Geheimpolizei vordringen wollen, sowie Behör<strong>de</strong>n, Journalisten und interessierten<br />

Bürgern. Schließlich soll es <strong>de</strong>n Historikern dienen; sie können wohl am ehesten<br />

ermessen, welche Anstrengungen erfor<strong>de</strong>rlich sind, binnen kurzer Frist ein Werk wie<br />

dieses zu erarbeiten.<br />

Gemessen an vergleichbaren wissenschaftlichen Publikationen mit Handbuchcharakter,<br />

erscheinen die Teillieferungen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS-Handbuch zu einem sehr frühen Zeitpunkt. <strong>Die</strong><br />

Autoren konnten nicht auf einen fortgeschrittenen Forschungsstand mit entsprechend<br />

gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen zurückgreifen, sie waren vielmehr<br />

gezwungen, grundlegen<strong>de</strong> Befun<strong>de</strong> erst zu erarbeiten. Da die archivische Bearbeitung <strong>de</strong>r<br />

Aktenbestän<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>BStU</strong> noch längst nicht erledigt ist, mußten die Forschungen zum<br />

vorliegen<strong>de</strong>n Werk auf <strong>de</strong>r Grundlage noch nicht vollständig erschlossener Bestän<strong>de</strong><br />

erfolgen. Kleinere Korrekturen und Ergänzungen dürften daher voraussichtlich bis zur<br />

Publikation <strong>de</strong>r <strong>de</strong>finitiven Buchfassung noch anfallen, in <strong>de</strong>r zu gegebener Zeit sämtliche<br />

Teillieferungen zusammengefaßt wer<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Die</strong> nachfolgen<strong>de</strong> Übersicht über das Gesamtwerk ermöglicht die Einordnung <strong>de</strong>r jeweils<br />

vorliegen<strong>de</strong>n Teillieferung (Fettdruck). Bereits erschienene Teile sind in diesem<br />

Inhaltsverzeichnis <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS-Handbuches mit einem Punkt gekennzeichnet (•).<br />

<strong>Die</strong> Herausgeber danken allen, die zur Erarbeitung <strong><strong>de</strong>s</strong> Handbuches beitragen: <strong>de</strong>n<br />

einzelnen Autoren und <strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>innen und <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong>de</strong>r Abteilung Bildung und<br />

Forschung, wo die "Anatomie <strong>de</strong>r Staatssicherheit" entsteht, jenen <strong>de</strong>r Abteilung<br />

Archivbestän<strong>de</strong>, die das Vorhaben mit Engagement unterstützen, sowie <strong>de</strong>n<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>innen und <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong>de</strong>r Abteilung Auskunft und <strong>de</strong>r Außenstellen, <strong>de</strong>nen<br />

wir manchen wertvollen Hinweis verdanken.<br />

<strong>Die</strong> Herausgeber Berlin, August 1995


ÜBERSICHT ÜBER DAS GESAMTWERK<br />

ANATOMIE DER STAATSSICHERHEIT<br />

– MfS-Handbuch –<br />

I. Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes von <strong>de</strong>n Vorläufern bis zur Auflösung<br />

II. Arbeits- und Strukturprinzipien<br />

1. Grundprinzipien <strong>de</strong>r Organisation und Leitung<br />

2. Operative Verfahren<br />

3. Territoriale Strukturen: Bezirksverwaltungen, Kreis- und Objektdienststellen<br />

4. Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n "Bru<strong>de</strong>rorganen"<br />

III. Wichtige <strong>Die</strong>nsteinheiten<br />

1. Arbeitsgruppe <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers (AGM)<br />

2. Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)<br />

3. Abteilung XII: Auskunft, Speicher, Archiv<br />

4. Rechtsstelle<br />

5. Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung<br />

6. Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS (JHS)<br />

7. Hauptabteilung II: Spionageabwehr<br />

8. Hauptabteilung IX: Untersuchungsorgan<br />

9. Abteilung XIV: Untersuchungshaftanstalten<br />

10. Hauptabteilung XVIII: Volkswirtschaft<br />

11. Arbeitsgruppe Bereich Kommerzielle Koordinierung (AG BKK)<br />

12. Hauptabteilung XX: Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund<br />

13. Hauptabteilung I: NVA und Grenztruppen<br />

14. Hauptabteilung VI: Grenzüberschreiten<strong>de</strong>r Verkehr, Tourismus<br />

15. Hauptabteilung VII: Ministerium <strong><strong>de</strong>s</strong> Innern, Deutsche Volkspolizei<br />

• 16. Hauptabteilung XXII: "Terrorabwehr"<br />

• 17. Zentrale Koordinierungsgruppe (ZKG): Flucht, Übersiedlung<br />

18. Hauptverwaltung A (HV A): Auslandsaufklärung<br />

19. Auftragnehmen<strong>de</strong> operative <strong>Die</strong>nsteinheiten: HA VIII, HA III, Abt. M, Abt. 26<br />

20. <strong>Die</strong> Parteiorganisation <strong>de</strong>r SED im MfS<br />

IV. <strong>Mitarbeiter</strong><br />

• 1. <strong>Die</strong> <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong><br />

2. <strong>Die</strong> inoffiziellen <strong>Mitarbeiter</strong><br />

V. Anhang<br />

• 1. Organisationsstruktur <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit 1989<br />

2. Organisationsstruktur <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen 1989<br />

3. Übersicht zur Entwicklung <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten 1950-1989<br />

4. Kurzbiographien<br />

5. Grundsatzdokumente


Jens Gieseke<br />

<strong>Die</strong> <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong><br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />

MfS-Handbuch, Teil IV/1


Der Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>beauftragte<br />

<strong>für</strong> die Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes <strong>de</strong>r ehemaligen<br />

Deutschen Demokratischen Republik<br />

Abteilung Bildung und Forschung<br />

10106 Berlin<br />

E-Mail: publikation@bstu.bund.<strong>de</strong><br />

<strong>Die</strong> Meinungen, die in dieser Schriftenreihe geäußert wer<strong>de</strong>n, geben ausschließlich die Auffassungen<br />

<strong>de</strong>r Autoren wie<strong>de</strong>r. Abdruck und publizistische Nutzung sind nur mit Angabe <strong><strong>de</strong>s</strong> Verfassers<br />

und <strong>de</strong>r Quelle sowie unter Beachtung <strong><strong>de</strong>s</strong> Urheberrechtsgesetzes gestattet.<br />

Schutzgebühr <strong>für</strong> diese Lieferung: 5,00 €<br />

2. Auflage<br />

Berlin 1996<br />

ISBN 978-3-942130-25-7<br />

urn:nbn:<strong>de</strong>:0292-97839421302572


Inhalt<br />

1. Grundlagen <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rpolitik <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS 3<br />

2. Rekrutierung 11<br />

2.1. Normative Grundlagen 11<br />

2.2. Rekrutierungsfel<strong>de</strong>r 14<br />

3. <strong>Mitarbeiter</strong>typen 21<br />

3.1. Berufssoldaten 21<br />

3.2. Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz (OibE) 23<br />

3.3. U-<strong>Mitarbeiter</strong> 26<br />

3.4. Soldaten auf Zeit/Unteroffiziere auf Zeit (SaZ/UaZ) 28<br />

3.5. Angehörige <strong>de</strong>r Deutschen Grenzpolizei, Transportpolizei und<br />

Bereitschaftspolizei (bis 1957) 28<br />

3.6. Zivilbeschäftigte 29<br />

4. Schulung 30<br />

4.1. Schulungsinhalte 31<br />

4.2. Schulungsformen 33<br />

4.3. Phasen <strong>de</strong>r Schulungspolitik 34<br />

5. Personalbestand 37<br />

6. Innere Struktur 46<br />

6.1. Sozialstruktur 46<br />

6.2. Bildungsstruktur 48<br />

6.3. Altersstruktur 49<br />

6.4. Politische Struktur 50<br />

6.5. Frauen im MfS 53<br />

7. Materielle Lage 58


7.1. Besoldung 58<br />

7.2. An<strong>de</strong>re materielle Leistungen 62<br />

8. Motivation 65<br />

9. Disziplinarmaßnahmen 72<br />

9.1. Bestrafungen 72<br />

9.2. Entlassungen 77<br />

9.3. "Verräter" 79<br />

10. Auflösung 1989/1990 82<br />

10.1. Innerer Zustand im Herbst 1989 82<br />

10.2. Amt <strong>für</strong> Nationale Sicherheit 85<br />

10.3. Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong> Personalbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> 89<br />

10.4. <strong>Die</strong> ehemaligen MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> nach <strong>de</strong>r Auflösung 92<br />

11. Statistischer Anhang 96<br />

Verzeichnis <strong>de</strong>r Tabellen und Abbildungen 102<br />

Abkürzungsverzeichnis 104<br />

Beilage: <strong>Mitarbeiter</strong>statistik <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS Berlin 1954 bis 1989 4<br />

2


1. Grundlagen <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rpolitik <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS<br />

3<br />

Aufgabe <strong>de</strong>r zuletzt etwa 91.000 <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />

(MfS) 1 war es, die DDR "auf Befehl <strong>de</strong>r Arbeiter- und Bauern-Regierung gegen je<strong>de</strong>n<br />

Feind zu schützen" und "die Fein<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Sozialismus auch unter Einsatz [ihres] Lebens zu bekämpfen"<br />

- so <strong>de</strong>r Fahneneid <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS. 2 Ihnen kam eine exklusive Rolle als <strong>de</strong>n wichtigsten<br />

und zuverlässigsten Garanten <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrschaftssystems <strong>de</strong>r SED zu. Aus dieser Aufgabe erwuchsen<br />

außergewöhnliche Ansprüche, zugleich genossen sie einen avantgardistischen, gleichsam<br />

elitären Stellenwert im gesellschaftlichen Denken <strong>de</strong>r kommunistischen Führung, <strong>de</strong>r sie über<br />

alle an<strong>de</strong>ren <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatsapparates <strong>de</strong>r DDR hinaushob und im soziopolitischen Herrschaftsgefüge<br />

<strong>de</strong>r DDR auf eine Stufe mit <strong>de</strong>m Apparat <strong>de</strong>r <strong>hauptamtlichen</strong> Parteiarbeiter<br />

stellte. Sie waren, so läßt sich in Abwandlung eines vielzitierten Diktums formulieren, die<br />

"Schildträger" und "Schwertführer" <strong>de</strong>r Partei bzw. ihrer Führung.<br />

Vorbil<strong>de</strong>r <strong>für</strong> die <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS waren die Angehörigen <strong>de</strong>r sowjetischen Geheimpolizei<br />

und -dienste; ikonographisch konzentriert in <strong>de</strong>r Figur ihres Begrün<strong>de</strong>rs Feliks Edmundowitsch<br />

Dzierzynski (1877-1926). Erich Mielke und die <strong>Mitarbeiter</strong> seines Apparates titulierten sich<br />

gern als "Tschekisten", <strong>de</strong>r einge<strong>de</strong>utschten Bezeichnung <strong>für</strong> die <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r im Dezember<br />

1917 gegrün<strong>de</strong>ten revolutionären Geheimpolizei <strong>de</strong>r Bolschewiki "(Vserossijskaja) Tschrezvytschajnaja<br />

Kommissija", abgekürzt: (V)TschK. 3 Ein Dzierzynski zugeschriebener Ausspruch<br />

diente auch zur bildhaften Charakterisierung <strong>de</strong>r Persönlichkeitseigenschaften, über die<br />

hauptamtliche MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> verfügen sollten:<br />

"Tschekist sein kann nur ein Mensch mit kühlem Kopf, heißem Herzen und sauberen<br />

Hän<strong>de</strong>n." 4<br />

1 Der Staatssicherheitsapparat <strong>de</strong>r DDR führte vom 23.7.1953 bis zum 24.11.1955 die Bezeichnung<br />

"Staatssekretariat <strong>für</strong> Staatssicherheit" (SfS o<strong>de</strong>r StfS) und war <strong>de</strong>m Minister <strong><strong>de</strong>s</strong> Innern unterstellt. Im folgen<strong>de</strong>n<br />

wird - außer bei wörtlichen Zitaten - durchgängig die Bezeichnung "Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit"<br />

(MfS) verwen<strong>de</strong>t.<br />

Der vorliegen<strong>de</strong> Beitrag hätte nicht entstehen können ohne die Unterstützung <strong><strong>de</strong>s</strong> Zentralarchivs und <strong>de</strong>r<br />

Außenstellen <strong><strong>de</strong>s</strong> Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>beauftragten. Stellvertretend gilt mein beson<strong>de</strong>rer Dank <strong>de</strong>n Kolleginnen Frau<br />

Puhlmann, Frau Wen<strong>de</strong>rholm und Frau Schuldt.<br />

2 Fahneneid <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit, in: Anlage zur Ordnung 4/83 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über <strong>de</strong>n Verlauf<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Die</strong>nstes im Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit - <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung MfS -; Der Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>beauftragte <strong>für</strong><br />

die Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes <strong>de</strong>r ehemaligen DDR (künftig: <strong>BStU</strong>), Zentralarchiv (künftig:<br />

ZA), Dokumentenstelle (künftig: DSt) 102944, S. 17. <strong>Die</strong> Formulierung ist an <strong>de</strong>n Fahneneid <strong>de</strong>r NVA<br />

angelehnt, <strong>de</strong>r bis zum Erlaß <strong>de</strong>r zitierten Ordnung auch <strong>für</strong> die <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS galt. Vgl. die<br />

<strong>Die</strong>nstvorschriften <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst im Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit aus <strong>de</strong>n Jahren 1964 und<br />

1966; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101364 (künftig: <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung 1964, 1966), S. 21.<br />

3 Zur Tscheka vgl.: Boris Lewytzkyi: Vom roten Terror zur sozialistischen Gesetzlichkeit: <strong>de</strong>r sowjetische<br />

Sicherheitsdienst, München 1961; George Leggett: The Cheka. Lenin´s Political Police, Oxford 1981.<br />

4 Nach: Erich Mielke, Referat zur Verleihung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ehrennamens F.E. Dzierzynski an das Wachregiment Berlin<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, Sekretariat <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers (künftig: SdM) 1421, Bl. 95-103, hier Bl. 99; diese Passage<br />

auch in: Erich Mielke: Sozialismus und Frie<strong>de</strong>n - Sinn unseres Kampfes. Ausgewählte Re<strong>de</strong>n und Aufsätze,<br />

Berlin 1987 (künftig: Mielke: Sozialismus), S. 105-107, hier S. 106.


4<br />

<strong>Die</strong> Funktion <strong>de</strong>r Staatssicherheit als "Schutzmacht <strong>de</strong>r proletarischen Revolution" bil<strong>de</strong>te das<br />

Leitmotiv in <strong>de</strong>r Geschichte seiner <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>, ungeachtet aller Wandlungen,<br />

<strong>de</strong>nen die Ka<strong>de</strong>rpolitik, die personelle Struktur und die Tätigkeiten unterworfen waren.<br />

Dreh- und Angelpunkt zum Verständnis <strong>de</strong>r MfS-Personalstruktur ist <strong>de</strong>r Begriff <strong><strong>de</strong>s</strong> Ka<strong>de</strong>rs.<br />

<strong>Die</strong> Ka<strong>de</strong>r hatten die Aufgabe, die gesellschaftliche Transformation nach <strong>de</strong>n Vorgaben <strong>de</strong>r<br />

Partei durchzusetzen und zu sichern. Ka<strong>de</strong>rpolitik genoß in <strong>de</strong>r SED wie in allen kommunistischen<br />

Parteien seit Lenin einen außeror<strong>de</strong>ntlich hohen machtpolitischen Stellenwert. In Stalins<br />

vielzitiertem Ausspruch "<strong>Die</strong> Ka<strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n alles!" ist ihre Be<strong>de</strong>utung treffend charakterisiert.<br />

5 Entschei<strong>de</strong>n<strong><strong>de</strong>s</strong> Kriterium, das die Ka<strong>de</strong>r von allen an<strong>de</strong>ren Angehörigen <strong>de</strong>r revolutionären<br />

bzw. sozialistischen Gesellschaft abhob, war <strong>de</strong>r Anspruch unbedingter Ergebenheit<br />

gegenüber <strong>de</strong>r Partei, <strong><strong>de</strong>s</strong>sen Ausformungen Georgi Dimitroff 1935 klassisch formulierte:<br />

"Vollkommene Hingabe an die Sache <strong>de</strong>r Arbeiterklasse", "engste Fühlung mit <strong>de</strong>n Massen",<br />

"unerschütterliche Festigkeit in <strong>de</strong>r Durchführung <strong>de</strong>r Beschlüsse" sowie "Disziplin und bolschewistische<br />

Stählung". 6 Ka<strong>de</strong>rpolitik war <strong>für</strong> die SED die "Kernfrage <strong>de</strong>r politischen Lei-<br />

tung". 7<br />

Zu <strong>de</strong>n "Ka<strong>de</strong>rn" in diesem Sinne zählten die Leitungskräfte in allen gesellschaftlichen Bereichen,<br />

außer<strong>de</strong>m wissenschaftlich ausgebil<strong>de</strong>te Spezialisten ohne Leitungsbefugnisse sowie<br />

"hervorragen<strong>de</strong> Werktätige". 8 In <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Praxis <strong><strong>de</strong>s</strong> Kommunismus gewann <strong>de</strong>r<br />

Begriff "Ka<strong>de</strong>r" allerdings noch eine zweite Be<strong>de</strong>utung: Er bezeichnete neben <strong>de</strong>r im Parteiauftrag<br />

tätigen Avantgar<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>n gesamten Personalbestand einer Institution, eines Betriebes<br />

usw. Im Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit fielen bei<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utungen praktisch zusammen, da<br />

aufgrund seiner beson<strong>de</strong>ren Aufgaben <strong>de</strong>r gesamte <strong>Mitarbeiter</strong>bestand <strong>de</strong>n erhöhten<br />

"parteilichen" Anfor<strong>de</strong>rungen zu genügen hatte.<br />

Als zweite Dimension <strong><strong>de</strong>s</strong> Ka<strong>de</strong>rbegriffs gewann neben <strong>de</strong>r Parteiergebenheit im Laufe <strong>de</strong>r Zeit<br />

<strong>de</strong>r Anspruch fachlicher Qualifikation im jeweiligen Aufgabengebiet an Stellenwert. Während<br />

in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren von <strong>de</strong>n - in <strong>de</strong>r Regel in ihrer Position <strong><strong>de</strong>s</strong> Staats- o<strong>de</strong>r Wirt-<br />

5 <strong>Die</strong> machtpolitische Dimension stand bei <strong>de</strong>r Verkündung dieser zum geflügelten Wort avancierten Losung<br />

allerdings nicht im Vor<strong>de</strong>rgrund. Stalin wi<strong>de</strong>rrief damit vielmehr <strong>de</strong>n Leitspruch "<strong>Die</strong> Technik entschei<strong>de</strong>t<br />

alles", <strong>de</strong>r die Prioritäten <strong>de</strong>r zuvor betriebenen Industrialisierungspolitik ausdrücken sollte. Vgl. Josef Stalin,<br />

Re<strong>de</strong> im Kremlpalast vor <strong>de</strong>n Absolventen <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mien <strong>de</strong>r Roten Armee, 4.5.1935; in: <strong>de</strong>rs.: Fragen <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Leninismus, (dt.), Moskau 1947 (nach <strong>de</strong>r 11. russ. Aufl. Moskau 1939), S. 590-596, hier S. 594.<br />

6 Georgi Dimitroff: Für die Einheit <strong>de</strong>r Arbeiterklasse gegen <strong>de</strong>n Faschismus, in: <strong>de</strong>rs.: Ausgewählte Schriften,<br />

Bd. 2, Berlin (DDR) 1958, S. 656-658.<br />

7 Otto Schön: Über unsere gegenwärtigen ka<strong>de</strong>rpolitischen Aufgaben. Referat auf <strong>de</strong>r zentralen Tagung <strong>de</strong>r<br />

Ka<strong>de</strong>rfunktionäre <strong>de</strong>r Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Januar 1952, Berlin 1952, S. 6.<br />

8 Trotz vollständiger Ausblendung <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Rolle <strong><strong>de</strong>s</strong> Repressions- und Sicherheitsapparates grundlegend:<br />

Gert-Joachim Glaeßner: Herrschaft durch Ka<strong>de</strong>r. Leitung <strong>de</strong>r Gesellschaft und Ka<strong>de</strong>rpolitik in <strong>de</strong>r DDR<br />

am Beispiel <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatsapparates, Opla<strong>de</strong>n 1977 (künftig: Glaeßner: Herrschaft); die Forschung bilanzierend:<br />

Hartmut Zimmermann: Überlegungen zur Geschichte <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rpolitik in <strong>de</strong>r SBZ/DDR, in:<br />

Hartmut Kaelble u.a. (Hrsg.): Sozialgeschichte <strong>de</strong>r DDR, Stuttgart 1994, S. 322-356; siehe auch Hans-<br />

Henning Schrö<strong>de</strong>r: Ka<strong>de</strong>r, in: Historisches Lexikon <strong>de</strong>r Sowjetunion 1917/22 bis 1991, München 1993, S.<br />

125-126.


5<br />

schaftsapparates neuen - Leitungska<strong>de</strong>rn lediglich die Bereitschaft erwartet wur<strong>de</strong>, ihre Fach-<br />

kenntnisse und Fertigkeiten ständig zu erweitern, wur<strong>de</strong>n später sukzessiv auch formelle Bil-<br />

dungsvoraussetzungen, etwa Hoch- o<strong>de</strong>r Fachschulabschlüsse, festgeschrieben. "Parteilichkeit<br />

und große Sachkenntnis [...], hohe politische und fachliche Kenntnisse", so <strong>de</strong>r <strong>für</strong> die späte<br />

DDR maßgebliche Beschluß <strong><strong>de</strong>s</strong> ZK-Sekretariats, sollten die Ka<strong>de</strong>r auszeichnen. 9<br />

Extrem formalisierter Ausdruck <strong><strong>de</strong>s</strong> kommunistischen Kontrollanspruchs und <strong>de</strong>r Überzeugung<br />

von <strong>de</strong>r langfristigen Planbarkeit personalpolitischer Prozesse war das System <strong>de</strong>r sogenannten<br />

"Nomenklatur", das im Parteiapparat <strong>de</strong>r SED schon seit 1949, in an<strong>de</strong>ren Bereichen im Laufe<br />

<strong>de</strong>r fünfziger Jahre installiert wur<strong>de</strong>. In ihm waren alle be<strong>de</strong>utsamen Leitungspositionen in<br />

Partei, Staatsapparat und verstaatlichter Wirtschaft erfaßt. Hier war festgelegt, welche übergeordnete<br />

Instanz über die personelle Besetzung <strong>de</strong>r jeweiligen Position zu entschei<strong>de</strong>n bzw. eine<br />

entsprechen<strong>de</strong> Entscheidung zu bestätigen hatte. <strong>Die</strong> Spitzenfunktionen aller gesellschaftlichen<br />

Bereiche bil<strong>de</strong>ten die oberste Ebene dieser Nomenklatur; über sie entschied das Politbüro. Mit<br />

<strong>de</strong>r Nomenklatur verknüpft war ein aufwendiger Planungsmechanismus zur Bildung einer<br />

Ka<strong>de</strong>rreserve, Aufstellung von Ka<strong>de</strong>rprogrammen, Ka<strong>de</strong>rperspektivplänen und Ka<strong>de</strong>rentwicklungsplänen,<br />

durch <strong>de</strong>n eine kontinuierliche Rekrutierung von Nachwuchskräften gesichert<br />

wer<strong>de</strong>n sollte. 10<br />

9 Beschluß <strong><strong>de</strong>s</strong> Sekretariats <strong><strong>de</strong>s</strong> Zentralkomitees über die Arbeit mit <strong>de</strong>n Ka<strong>de</strong>rn vom 7. Juni 1977, in: Neuer<br />

Weg. Organ <strong><strong>de</strong>s</strong> Zentralkomitees <strong>de</strong>r SED <strong>für</strong> Fragen <strong><strong>de</strong>s</strong> Parteilebens, 1977, Beilage zum Heft 13 (1977),<br />

S. 597-601, hier S. 598.<br />

10 Glaeßner: Herrschaft, S. 239-256; die Nomenklaturka<strong>de</strong>r als "herrschen<strong>de</strong> Klasse" <strong>de</strong>utend: Michail Voslensky:<br />

Nomenklatura. <strong>Die</strong> herrschen<strong>de</strong> Klasse <strong>de</strong>r Sowjetunion, Wien, München, Zürich, Innsbruck 1980.


Abbildung 1: Ka<strong>de</strong>rnomenklatur <strong>für</strong> Leitungsfunktionen im MfS 11<br />

Institution Positionen 1953/54 1957 1960<br />

Politbüro Staatssekretär<br />

Stellv. Staatssekretäre<br />

Leiter von Hauptabteilungen<br />

im Generalsrang<br />

Leiter <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen<br />

Leiter <strong>de</strong>r HA Trapo<br />

sowie alle Ernennungen und<br />

Beför<strong>de</strong>rungen von Generälen<br />

(nur <strong>Die</strong>nstgrad)<br />

Sicherheitskommission<br />

beim ZK bzw.<br />

ab 1960<br />

Nationaler<br />

Verteidigungsrat<br />

Sekretariat <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

ZK<br />

Abteilung <strong>für</strong><br />

Sicherheitsfragen<br />

beim<br />

ZK (Kontrollnomenklatur)<br />

6<br />

Minister<br />

Stellv. Minister<br />

Ernennungen und<br />

Beför<strong>de</strong>rungen von Generälen<br />

(nur <strong>Die</strong>nstgrad)<br />

keine Angabe Leiter von Hauptabteilungen<br />

Leiter von<br />

Bezirksverwaltungen<br />

1. Sekretär <strong>de</strong>r SED-<br />

Kreisleitung<br />

Leiter <strong>de</strong>r Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS<br />

Komman<strong>de</strong>ur <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Wachregiments<br />

Politstellvertreter <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Komman<strong>de</strong>urs <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Wachregiments<br />

Leiter von Hauptabteilungen<br />

1. Sekretär <strong>de</strong>r SED-<br />

Parteiorganisation<br />

Leiter von Schulen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS<br />

Komman<strong>de</strong>ur <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Wachregiments<br />

Politstellv. <strong><strong>de</strong>s</strong> Komman<strong>de</strong>ur<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments<br />

Stellv. Leiter <strong>de</strong>r HA Trapo<br />

Stellv. Hauptabteilungsleiter<br />

Parteisekretäre <strong>de</strong>r<br />

Bezirksverwaltungen<br />

keine Angabe keine Angabe<br />

Stellv. Leiter von Hauptabteilungen<br />

Leiter von selbständigen<br />

Abteilungen<br />

Leiter <strong>de</strong>r Schule Teterow<br />

Stellv. Leiter von Bezirksverwaltungen<br />

Sekretäre <strong>de</strong>r SED-Kreisleitung<br />

Parteisekretäre <strong>de</strong>r Hochschule<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, <strong>de</strong>r HV A und <strong>de</strong>r<br />

HA I<br />

Beför<strong>de</strong>rungen zum <strong>Die</strong>nstgrad<br />

Oberst<br />

Minister<br />

Ernennungen, Beför<strong>de</strong>rungen<br />

und Entlassungen von<br />

Generälen (nur <strong>Die</strong>nstgrad)<br />

Stellv. Minister<br />

Leiter <strong>de</strong>r HV B<br />

Stellv. Leiter <strong>de</strong>r HV A<br />

Stellv. Leiter <strong>de</strong>r HV B<br />

Leiter <strong>de</strong>r Hauptabteilungen<br />

und selbständigen Abteilungen<br />

Leiter <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen<br />

und Objektverwaltung<br />

Wismut<br />

Komman<strong>de</strong>ur <strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments<br />

Politstellv. <strong><strong>de</strong>s</strong> Komman<strong>de</strong>urs<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments<br />

keine Angabe<br />

11 Anlage 4 zum Protokoll 68/53 <strong>de</strong>r Sitzung <strong><strong>de</strong>s</strong> Politbüros am 8.9.1953; Stiftung Archiv <strong>de</strong>r Parteien und<br />

Massenorganisationen <strong>de</strong>r DDR (künftig: SAPMO) im Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>archiv (künftig: BA), Zentrales Parteiarchiv<br />

(künftig: ZPA), J IV 2/2/322, Bl. 77; Anlage 3 zum Protokoll 11/54 <strong>de</strong>r Sitzung <strong><strong>de</strong>s</strong> Politbüros am 23.2.1954;<br />

SAPMO-BA, ZPA, J IV 2/2//349, Bl. 33-38; Vorschlag <strong>für</strong> eine Nomenklatur <strong>de</strong>r leiten<strong>de</strong>n Ka<strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

<strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit vom 3.4.1957; BA, Militärisches Zwischenarchiv Potsdam (künftig: MZAP)<br />

VA 01/39557, Bl. 19-20; Protokoll <strong>de</strong>r 1. Sitzung <strong><strong>de</strong>s</strong> NVR, 16.3.1960, S. 3; BA, MZAP VA 01/39458,<br />

Briefwechsel zwischen Mielke und Herger sowie Beschlußvorlage <strong><strong>de</strong>s</strong> NVR von 1986; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 26,<br />

Bl. 58-72.


Institution 1981 ab 1986<br />

Politbüro Minister<br />

Ernennung, Beför<strong>de</strong>rung und Entlassung<br />

von Generälen (nur <strong>Die</strong>nstgrad)<br />

wie 1981<br />

Nationaler<br />

Verteidigungsrat<br />

7<br />

Stellv. Minister<br />

Stellv. Leiter <strong>de</strong>r HV A<br />

Leiter <strong>de</strong>r AGM<br />

Leiter <strong>de</strong>r ZAIG<br />

Leiter <strong>de</strong>r HA I, II, VI, VII, VIII, IX,<br />

XVIII, XIX, XX, PS, KuSch<br />

Leiter <strong>de</strong>r VRD<br />

Rektor <strong>de</strong>r Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS<br />

Leiter <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen/<br />

Verwaltung Wismut<br />

Komman<strong>de</strong>ur <strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments<br />

Sekretariat <strong><strong>de</strong>s</strong> ZK 1. Sekretär <strong>de</strong>r SED-Kreisleitung<br />

2. Sekretär <strong>de</strong>r SED-Kreisleitung<br />

Abteilung <strong>für</strong><br />

Sicherheitsfragen<br />

beim ZK (Kontrollnomenklatur)<br />

Stellv. Leiter <strong>de</strong>r VRD<br />

Stellv. Leiter <strong>de</strong>r HA I, II, III, VI, VII, VIII,<br />

IX, XVIII, XIX, XX, PS, KuSch<br />

Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> OTS, Abt. XI, Abt. XII, Abt. M.,<br />

Abt. N, ZAIG, Abt. Finanzen, ZMD<br />

Leiter <strong>de</strong>r HV A-Abteilungen<br />

Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> SWT <strong>de</strong>r HV A<br />

Leiter <strong>de</strong>r Schule <strong>de</strong>r HV A<br />

1. Stellv. Leiter <strong>de</strong>r AGM<br />

Sekretär <strong>für</strong> Propaganda <strong>de</strong>r SED-KL<br />

Stellv. <strong><strong>de</strong>s</strong> Komman<strong>de</strong>urs und Stabschef<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments<br />

Stellvertreter <strong>de</strong>r BV-Leiter<br />

Stellv. Minister<br />

nur 1. Stellv. Leiter <strong>de</strong>r HV A<br />

Leiter <strong>de</strong>r AGM<br />

Leiter <strong>de</strong>r ZAIG<br />

Leiter <strong>de</strong>r HA I, II, XVIII, XIX<br />

[Leiter <strong>de</strong>r VRD gestrichen]<br />

Rektor <strong>de</strong>r Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS<br />

Leiter <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen<br />

[Verwaltung Wismut entfällt]<br />

Komman<strong>de</strong>ur <strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments<br />

wie 1981<br />

Stellv. Leiter <strong>de</strong>r VRD<br />

Stellv. Leiter <strong>de</strong>r HA I, II, III, VI, VII, VIII,<br />

IX, XVIII, XIX, XX, PS, KuSch<br />

Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> OTS, Abt. N, ZAIG, Abt.<br />

Finanzen, ZMD<br />

1. Stellv. Leiter <strong>de</strong>r AGM<br />

Sekretär <strong>für</strong> Propaganda <strong>de</strong>r SED-KL<br />

Politstellv. und 1. Stellv. <strong><strong>de</strong>s</strong> Komman<strong>de</strong>urs<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments<br />

je 1 Stellv. Operativ <strong>de</strong>r BV-Leiter 12<br />

<strong>Die</strong> SED-Ka<strong>de</strong>rpolitik bil<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n allgemeinen normativen Rahmen <strong>für</strong> die Zusammensetzung<br />

<strong>de</strong>r <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit. Aus <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Auf-<br />

12 <strong>Die</strong> in <strong>de</strong>r NVR-Nomenklatur gestrichenen Leitungsfunktionen (Leiter <strong>de</strong>r HA III, VI, VII, VIII, IX, XX, PS,<br />

KuSch sowie <strong>de</strong>r VRD) sind möglicherweise bei <strong>de</strong>r Abteilung <strong>für</strong> Sicherheitsfragen aufgenommen wor<strong>de</strong>n.


8<br />

gabe und Position <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> im Herrschaftsgefüge <strong>de</strong>r DDR ergaben sich allerdings beson<strong>de</strong>rs<br />

streng ausgelegte bzw. spezifisch formulierte personalpolitische Leitlinien: Das MfS<br />

stellte an seine <strong>Mitarbeiter</strong> ungleich höhere Anfor<strong>de</strong>rungen als im zivilen Bereich o<strong>de</strong>r in an<strong>de</strong>ren<br />

militärisch verfaßten Organen <strong>de</strong>r DDR, sowohl was ihre politische Haltung, als auch was<br />

ihre Persönlichkeitseigenschaften betraf. <strong>Die</strong> Furcht vor <strong>de</strong>m Eindringen "feindlicher Agenturen"<br />

wur<strong>de</strong> in eine Sicherheitsdoktrin umgemünzt, aus <strong>de</strong>r - selbst im Maßstab geheimdienstlich<br />

üblicher Regeln - außergewöhnliche Anfor<strong>de</strong>rungen und Verhaltensmaßgaben <strong>für</strong> die MfS-<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> resultierten. Schließlich waren die ka<strong>de</strong>rpolitischen Normen - auch dies ist eine<br />

Beson<strong>de</strong>rheit - nicht nur auf die Leitungsebene beschränkt, son<strong>de</strong>rn galten bei aller inneren<br />

Differenzierung im Prinzip <strong>für</strong> je<strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, von <strong>de</strong>r Küchenhilfe bis zum Minister.<br />

<strong>Die</strong> Ka<strong>de</strong>rpolitik <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS unterstand <strong>de</strong>r Anleitung und Kontrolle durch die Parteiführung <strong>de</strong>r<br />

SED, die diese Funktion aber offenbar in fortschreitend geringerem Maße wahrnahm. In ihren<br />

allgemeinen Grundzügen sowie bei allen Personalentscheidungen, die Leitungska<strong>de</strong>r<br />

(stellvertreten<strong>de</strong> Abteilungsleiter und höher) betrafen, oblag die Kontrolle <strong>de</strong>r Abteilung <strong>für</strong><br />

Sicherheitsfragen <strong><strong>de</strong>s</strong> Zentralkomitees. Allerdings waren die realen Untersuchungs- und Einflußmöglichkeiten<br />

infolge <strong>de</strong>r fortschreiten<strong>de</strong>n konspirativen Abschirmung <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong><br />

beschränkt; so wur<strong>de</strong> die Kontrollnomenklatur 1986 von 94 auf 37 Leitungsfunktionen gekürzt<br />

(siehe Übersicht). Der Sektor Staatssicherheit <strong>de</strong>r Sicherheitsabteilung fungierte als Verbindungsstelle<br />

zwischen Ministerium und ZK; seine <strong>Mitarbeiter</strong> waren MfS-Offiziere im beson<strong>de</strong>ren<br />

Einsatz. 13 Sie haben aber - so scheint es - eine gewisse Kontrolltätigkeit zum Beispiel<br />

durch Briga<strong>de</strong>einsätze in <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung o<strong>de</strong>r in einzelnen<br />

Bezirksverwaltungen ausgeübt und - im Laufe <strong>de</strong>r Zeit nachlassen<strong>de</strong>n - Einfluß auf die<br />

Ka<strong>de</strong>rpolitik genommen. 14 Das Politbüro <strong><strong>de</strong>s</strong> ZK behielt sich bis zuletzt das Recht vor,<br />

Ernennungen und Beför<strong>de</strong>rungen von Generälen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS zu bestätigen, an<strong>de</strong>re ka<strong>de</strong>rpolitische<br />

Fragen wur<strong>de</strong>n dort seit <strong>de</strong>n fünfziger Jahren offensichtlich nicht mehr thematisiert. 15 In<br />

welchem Maße die Ersten bzw. Generalsekretäre die MfS-Ka<strong>de</strong>rpolitik zum Gegenstand <strong>de</strong>r<br />

persönlichen Anleitung machten, ist nicht belegbar.<br />

Der Ministerrat <strong>de</strong>r DDR, <strong>de</strong>m auch <strong>de</strong>r Minister <strong>für</strong> Staatssicherheit angehörte, hatte keinen<br />

erkennbaren Einfluß auf ka<strong>de</strong>rpolitische Fragen. Von Be<strong>de</strong>utung war staatlicherseits vielmehr<br />

13 Vgl. exemplarisch die Zentralkarteikarten <strong>de</strong>r Sektorenleiter Artur Hofmann, Fritz Renckwitz, Martin<br />

Appelfeller und Fritz Bengelsdorf; <strong>BStU</strong>, ZA.<br />

14 Vgl. z.B.: Abteilung <strong>für</strong> Sicherheitsfragen vom 14.3.1984, Plan <strong>für</strong> einen Briga<strong>de</strong>einsatz [in <strong>de</strong>r BV und <strong>de</strong>r<br />

KD Karl-Marx-Stadt und <strong>de</strong>r HA KuSch]; <strong>BStU</strong>, ZA, Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung (künftig: HA<br />

KuSch) Auswertungs- und Kontrollgruppe (künftig: AKG) 51, unerschlossenes Material; Abteilung <strong>für</strong> Sicherheitsfragen<br />

vom 7.7.1980, Bericht über Erfahrungen, Ergebnisse und Aufgaben zu ausgewählten Problemen<br />

<strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r Parteiorganisation und <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rarbeit in <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung [...];<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1088, Bl. 57-74. <strong>Die</strong> Bestän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Abteilung Sicherheitsfragen im Zentralen Parteiarchiv <strong>de</strong>r<br />

siebziger und achtziger Jahre sind <strong>de</strong>rzeit gesperrt.<br />

15 An<strong>de</strong>re Fragen <strong>de</strong>r MfS-Arbeit wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Anschein nach spätestens seit Mielkes Einzug in das Politbüro<br />

Anfang <strong>de</strong>r siebziger Jahre nur noch in Gesprächen zwischen Mielke und Honecker behan<strong>de</strong>lt.


9<br />

<strong>de</strong>r 1960 aus <strong>de</strong>r Sicherheitskommission <strong><strong>de</strong>s</strong> Zentralkomitees <strong>de</strong>r SED hervorgegangene<br />

Nationale Verteidigungsrat, <strong>de</strong>m das MfS als "bewaffnetes Organ" unterstand. Dort wur<strong>de</strong>n<br />

übergreifen<strong>de</strong> militärische Fragen behan<strong>de</strong>lt und ihm oblag auch eine ka<strong>de</strong>rpolitische Kontrollfunktion.<br />

<strong>Die</strong> wichtigsten Leitungspositionen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS waren in seiner Nomenklatur erfaßt, allerdings<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kreis dieser Positionen immer enger gezogen (siehe Übersicht). 16 Zu Zeiten<br />

<strong>de</strong>r Sicherheitskommission reichten ihre Kompetenzen in Ausnahmefällen weit in die praktischen<br />

Probleme <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rarbeit hinein, wie ein Beschluß über die OibE-Arbeit im Westen<br />

zeigt. 17<br />

Aus <strong>de</strong>m Status <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS als militärisch verfaßter Institution ergaben sich das Befehlsprinzip<br />

und das Prinzip <strong>de</strong>r militärischen Einzelleitung. <strong>Die</strong> MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> führten <strong>Die</strong>nstgra<strong>de</strong>,<br />

schworen bei <strong>de</strong>r Einstellung <strong>de</strong>n eingangs zitierten Eid auf die Fahne <strong>de</strong>r DDR und unterstan<strong>de</strong>n<br />

militärischem Disziplinarrecht.<br />

Determiniert waren die Grundmuster <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rpolitik und Ka<strong>de</strong>rarbeit <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS neben Parteigebun<strong>de</strong>nheit<br />

und militärischer Struktur durch seinen Charakter als zentralisiertem Repressions-<br />

und Sicherheitsapparat, in <strong>de</strong>m geheimdienstliche, polizeiliche und staatsanwaltliche<br />

Funktionen vereint waren. Hieraus ergab sich die extrem große Zahl von <strong>Mitarbeiter</strong>n, die alle<br />

<strong>de</strong>n strengen Sicherheitsanfor<strong>de</strong>rungen genügen mußten. Vor allem aber mußten die <strong>Mitarbeiter</strong><br />

bereit und in <strong>de</strong>r Lage sein, mit <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Staatssicherheit zu arbeiten. Dazu waren<br />

"Tugen<strong>de</strong>n" wie unbedingte Pflichterfüllung und Gehorsam, Verschwiegenheit, Fähigkeit zur<br />

glaubhaften Verkörperung legendierter Biographien, Führungsqualitäten gegenüber inoffiziellen<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>n und Fähigkeiten zur Beeinflussung an<strong>de</strong>rer Menschen, Vermeidung von Angriffspunkten<br />

<strong>für</strong> "feindliche" Kräfte usw. herauszubil<strong>de</strong>n. 18<br />

Aus <strong>de</strong>r Verknüpfung dieser drei Elemente, <strong>de</strong>r Rolle als treue Parteiarbeiter, <strong>de</strong>n militärischen<br />

Ordnungsprinzipien und <strong>de</strong>n geheimdienstlichen Anfor<strong>de</strong>rungen, entsprang die Virulenz und<br />

Selbststilisierung <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit als verschworene Elite.<br />

<strong>Die</strong> <strong>für</strong> die sowjetischen Tschekisten üblichen Titulierungen als "Ritter <strong>de</strong>r Revolution" o<strong>de</strong>r<br />

16 Vgl. Gesetz über die Bildung <strong><strong>de</strong>s</strong> Nationalen Verteidigungsrates <strong>de</strong>r Deutschen Demokratischen Republik<br />

vom 10.2.1960; Gesetzblatt <strong>de</strong>r DDR 1960, Teil I, S. 89. Zur ka<strong>de</strong>rpolitischen Funktion vgl. die nicht veröffentlichte<br />

Anlage 1: Zuständigkeitsbereich und Aufgabengebiet <strong><strong>de</strong>s</strong> Nationalen Verteidigungsrates <strong>de</strong>r Deutschen<br />

Demokratischen Republik; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 408, Bl. 364-367; sowie Otto Wenzel: Kriegsbereit. Der<br />

Nationale Verteidigungsrat <strong>de</strong>r DDR 1960 bis 1989; Köln 1995, S. S. 17-29, S. 46-51 und S. 249-251.<br />

17 Beschluß über die "Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz" <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit und über die<br />

Richtlinie <strong>für</strong> die Parteiarbeit mit <strong>de</strong>n Offizieren im beson<strong>de</strong>ren Einsatz u.a. inoffiziellen <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

<strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit, Anlage 2 zum Protokoll <strong>de</strong>r 14. Sitzung <strong>de</strong>r Sicherheitskommission <strong><strong>de</strong>s</strong> ZK<br />

am 25.2.1957; BA, MZAP, VA - 01/39556.<br />

18 Einige dieser Aspekte sind in <strong>de</strong>n Verpflichtungserklärungen <strong>für</strong> einzustellen<strong>de</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> angesprochen;<br />

vgl. exemplarisch: <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung 1966, Anlage 4. Eine Reihe dieser Eigenschaften erscheinen<br />

- bezogen auf westliche Geheimdienste - in negativ gespiegelter Form in: Juristische Hochschule: Lehrbuch -<br />

<strong>Die</strong> imperialistischen Geheimdienste in <strong>de</strong>r Gegenwart, Teil II: <strong>Die</strong> Arbeitsweise <strong>de</strong>r imperialistischen Geheimdienste<br />

bei <strong>de</strong>r Realisierung ihrer Funktionen, Kapitel 9: Das Geheimdienstpersonal, Potsdam 1988;<br />

[<strong>BStU</strong>, Abt. Bildung und Forschung, Bibliothek], S. 70-115, hier S. 77-87.


10<br />

auch "proletarische Jakobiner" waren zwar <strong>für</strong> das MfS nicht gebräuchlich, sie spiegeln aber<br />

<strong>de</strong>nnoch die Traditionslinien wi<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nen sich die MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> verpflichtet fühlten. 19<br />

<strong>Die</strong> ka<strong>de</strong>rpolitischen Grundsätze <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS waren in dienstlichen Bestimmungen festgeschrie-<br />

ben. <strong>Die</strong> wichtigsten Dokumente sind in diesem Zusammenhang die Ka<strong>de</strong>rordnungen aus <strong>de</strong>n<br />

Jahren 1953, 1964, 1969 und 1989, in <strong>de</strong>nen Einstellung und Entlassung sowie Bildung und<br />

Erziehung, <strong>Die</strong>nstverhältnisse, die MfS-Nomenklatur und an<strong>de</strong>re zentrale Modalitäten <strong>de</strong>r<br />

Ka<strong>de</strong>rarbeit geregelt wur<strong>de</strong>n. Daneben gab es eine Unzahl weiterer dienstlicher Bestimmungen,<br />

die <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> normierten. Um nur die wesentlichen zu nennen: <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnungen,<br />

Besoldungs- und Disziplinarordnungen sowie umfangreiche Bestimmungen<br />

zur Ka<strong>de</strong>rplanung. Während in <strong>de</strong>n fünfziger und frühen sechziger Jahren die ka<strong>de</strong>rpolitische<br />

Entwicklung noch Gegenstand intensiver Beratungen und Diskussionen im Kollegium <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

MfS war, blieb sie später - analog zum allgemeinen Be<strong>de</strong>utungsverlust <strong><strong>de</strong>s</strong> Kollegiums - vorrangig<br />

<strong>de</strong>m Minister und <strong>de</strong>r <strong>für</strong> Personalfragen zuständigen Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung<br />

(HA KuSch) vorbehalten, die umfangreiche Berichte zu fertigen hatte. 20<br />

19 Vgl. Erich Mielke: Feliks Edmundowitsch Dzierzynski - Ritter <strong>de</strong>r Revolution, in: Mielke: Sozialismus,<br />

S. 267-272; Jurij W. Andropov: Kommunistische Überzeugung - Eine große Kraft <strong>de</strong>r Erbauer einer neuen<br />

Welt. Re<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r Festveranstaltung anläßlich <strong><strong>de</strong>s</strong> 100. Geburtstages von Feliks Edmundowitsch Dzierzynski<br />

in Moskau, 9. September 1977, in: <strong>de</strong>rs.: Ausgewählte Re<strong>de</strong>n und Schriften, Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit,<br />

Juristische Hochschule Potsdam 1981, S. 315-332, hier S. 316.<br />

20 Zur HA KuSch vgl. <strong>de</strong>n Beitrag <strong><strong>de</strong>s</strong> Verfassers, in: Anatomie <strong>de</strong>r Staatssicherheit, MfS-Handbuch (künftig:<br />

Handbuch), hrsg. vom <strong>BStU</strong>, Abt. Bildung und Forschung, Berlin 1995 [erscheint <strong>de</strong>mnächst].


2. Rekrutierung<br />

11<br />

<strong>Die</strong> Werbung und Einstellung neuer <strong>Mitarbeiter</strong> hatte aufgrund <strong><strong>de</strong>s</strong> ständigen Wachstums <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Apparates große Be<strong>de</strong>utung. Hinzu kam in <strong>de</strong>n fünfziger und sechziger Jahren eine relativ star-<br />

ke Fluktuation unter <strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>n, die <strong>de</strong>n Ka<strong>de</strong>rbedarf weiter steigerte. So war in <strong>de</strong>n<br />

Ka<strong>de</strong>rordnungen von 1964 und 1969 die Notwendigkeit "kontinuierlicher" bzw. "planmäßiger<br />

und kontinuierlicher Zuführung von neuen Ka<strong>de</strong>rn" festgeschrieben. 21<br />

2.1. Normative Grundlagen<br />

Das MfS verfügte zunächst über keine eigenen normativen Bestimmungen, in <strong>de</strong>nen Einstellungsvoraussetzungen<br />

formuliert gewesen wären. Einem Material <strong>de</strong>r MfS-internen Traditionspflege<br />

zufolge dienten in <strong>de</strong>n ersten Jahren die 1948 maßgeblich vom damaligen Vizepräsi<strong>de</strong>nten<br />

<strong>de</strong>r Deutschen Verwaltung <strong><strong>de</strong>s</strong> Innern, Erich Mielke, auf <strong>de</strong>r "staatspolitischen Konferenz"<br />

in Potsdam-Wer<strong>de</strong>r formulierten Grundanfor<strong>de</strong>rungen an das Personal im Staatsapparat als<br />

Leitlinie. 22 Zum Prüfstein <strong>für</strong> die "fortschrittliche <strong>de</strong>mokratische Gesinnung" war danach das<br />

"Eintreten <strong>für</strong> die <strong>de</strong>mokratische Einheit Deutschlands" und eine "positive Einstellung zur<br />

Sowjetunion und zu <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Volks<strong>de</strong>mokratie" erklärt wor<strong>de</strong>n. Gefragt waren keine<br />

"Berufsbeamten", son<strong>de</strong>rn ein "neuer Typus" von Angestellten: Vor allem Betriebsarbeiter,<br />

Angestellte, Bauern und Angehörige <strong>de</strong>r "fortschrittlichen" Intelligenz sollten <strong>de</strong>n Verwaltungsapparat<br />

stärken. 23 <strong>Die</strong> nähere Ausgestaltung dieser Grundsätze liegt noch weitgehend im<br />

dunkeln. Ein nachhaltiger Einfluß <strong>de</strong>r sowjetischen Instrukteure ist evi<strong>de</strong>nt, aber im einzelnen<br />

schwer nachzuweisen. Programmatische o<strong>de</strong>r normative Dokumente zur Einstellungspolitik <strong>de</strong>r<br />

frühen Jahre liegen nicht vor, so daß die Forschung weitgehend auf die Einstellungspraxis als<br />

Abbild <strong>de</strong>r Normen angewiesen ist.<br />

<strong>Die</strong> ersten überlieferten normativen Bestimmungen erließ <strong>de</strong>r Staatssekretär <strong>für</strong> Staatssicherheit,<br />

Ernst Wollweber, nach <strong>de</strong>r Junikrise im November 1953. Dem entlassenen Minister<br />

Wilhelm Zaisser war vorgeworfen wor<strong>de</strong>n, er habe sein Ministerium gegenüber <strong>de</strong>r Partei<br />

abgeschottet - eine Behauptung, die auch unter ka<strong>de</strong>rpolitischen Aspekten eine Überprüfung<br />

wert wäre. <strong>Die</strong> bislang bekannten Informationen über das Personal <strong>de</strong>r Jahre von <strong>de</strong>r Gründung<br />

bis zur Entlassung Zaissers <strong>de</strong>uten allerdings daraufhin, daß mit <strong>de</strong>r von seinem Nachfolger<br />

21 Bestimmungen [<strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers] <strong>für</strong> die Arbeit mit <strong>de</strong>n Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit vom<br />

31.12.1964 (künftig: Bestimmungen 1964), und vom 1.5.1969 (künftig: Bestimmungen 1969); bei<strong>de</strong> in:<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102241.<br />

22 Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch [o.D.], Vorschlag <strong>für</strong> die Gestaltung <strong><strong>de</strong>s</strong> Traditionszimmers <strong>de</strong>r HA Ka<strong>de</strong>r und Schulung;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Leitung 25, unerschlossenes Material (künftig: Traditionszimmer).<br />

23 Zentralsekretariat <strong>de</strong>r SED, Beschlüsse <strong>de</strong>r Arbeitstagung <strong>für</strong> Verwaltungsfragen und Lan<strong><strong>de</strong>s</strong>politik am 23.<br />

und 24. Juli 1948 in Wer<strong>de</strong>r/Havel; SAPMO-BA, ZPA, Nachlaß 182/1085 [Nachlaß Walter Ulbricht],<br />

Bl. 120; vgl. Erich Mielke: <strong>Die</strong> Personalpolitik in <strong>de</strong>r Verwaltung. Aus <strong>de</strong>m Referat auf <strong>de</strong>r Ersten Staatspolitischen<br />

Konferenz <strong>de</strong>r SED in Wer<strong>de</strong>r (Havel), 23./24.7.1948, in: Mielke: Sozialismus, S. 19-25.


12<br />

Wollweber erlassenen <strong>Die</strong>nstanweisung 43/53 in dieser Hinsicht kein grundsätzlicher<br />

Kurswechsel verbun<strong>de</strong>n war. 24 Als "Einstellungsbedingungen" wur<strong>de</strong>n dort genannt:<br />

"<strong>Die</strong> Einstellung in das Staatssekretariat <strong>für</strong> Staatssicherheit wird aus <strong>de</strong>n überprüften<br />

und politisch einwandfreien Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r SED und FDJ vorgenommen, hauptsächlich<br />

aus <strong>de</strong>n Reihen folgen<strong>de</strong>r Genossen:<br />

1. <strong>Die</strong> aktiv gegen <strong>de</strong>n Faschismus gekämpft haben<br />

2. <strong>Die</strong> wegen kommunistischer Tätigkeit in <strong>de</strong>n faschistischen Konzentrationslagern und<br />

Strafanstalten gesessen und sich bewährt haben<br />

3. <strong>Die</strong> in <strong>de</strong>r Sowjetunion als Emigranten o<strong>de</strong>r Kriegsgefangene gewesen sind und sich<br />

dort gut bewährt haben<br />

4. <strong>Die</strong> aktiv am <strong>de</strong>mokratischen Aufbau Deutschlands teilgenommen haben bzw. nehmen<br />

5. <strong>Die</strong> sich während <strong>de</strong>r Ereignisse <strong><strong>de</strong>s</strong> 17. Juni 1953 treu und ergeben <strong>für</strong> die Partei eingesetzt<br />

haben." 25<br />

<strong>Die</strong>se Auflistung bestimmte recht genau, wer <strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst im MfS geeignet erschien, nämlich<br />

langjährige und im Wi<strong>de</strong>rstandskampf bzw. Exil bewährte Kommunisten. Zugleich ließ ihre<br />

Formulierung aber einige Spielräume offen, die ein pragmatisches Vorgehen bei <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rwerbung<br />

ermöglichten. So war die SED-Mitgliedschaft nicht zwingend, es genügte, in <strong>de</strong>r FDJ<br />

zu sein. Und mit <strong>de</strong>r Gleichsetzung von Emigranten und Kriegsgefangenen eröffnete sich eines<br />

<strong>de</strong>r klassischen Ka<strong>de</strong>rreservoirs <strong>de</strong>r SED in <strong>de</strong>r Nachkriegszeit, nämlich die Absolventen <strong>de</strong>r<br />

Antifa-Schulen in <strong>de</strong>n sowjetischen Kriegsgefangenenlagern. Weitere Vorschriften über die<br />

Eigenschaften eines Werbungskandidaten gab es nicht; er sollte lediglich politisch, fachlich<br />

und moralisch unta<strong>de</strong>lig sein, Verbun<strong>de</strong>nheit mit <strong>de</strong>r Arbeiterklasse, ihrer Partei SED, <strong>de</strong>r<br />

DDR sowie <strong>de</strong>r Sowjetunion und <strong>de</strong>n Volks<strong>de</strong>mokratien zeigen und somit die Gewähr bieten,<br />

daß er sich "zu einem guten <strong>Mitarbeiter</strong> entwickelt".<br />

In <strong>de</strong>n Bestimmungen von 1964 und 1969 wur<strong>de</strong>n die Bedingungen dann neu formuliert. Parteilose<br />

wur<strong>de</strong>n - in Abwandlung <strong>de</strong>r vorherigen FDJ-Regelung - ab 1964 nur noch zugelassen,<br />

wenn sie "aktive Mitglie<strong>de</strong>r von Massenorganisationen" waren, seit 1969 waren sie gänzlich<br />

ausgeschlossen. Ausnahmen waren nur bei Hilfskräften wie Heizern, Lagerarbeitern usw.<br />

möglich. Mit diesen Regelungen waren die Mitglie<strong>de</strong>r von Blockparteien, die in <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rrichtlinien<br />

we<strong>de</strong>r positiv noch negativ erwähnt sind, faktisch ausgeschlossen. Des weiteren<br />

wur<strong>de</strong>n unter an<strong>de</strong>rem verlangt:<br />

− Klassenbewußtsein und Parteiverbun<strong>de</strong>nheit,<br />

− positive Beurteilungen aus <strong>de</strong>m bisherigen Lebensumfeld,<br />

− "Klarheit” in <strong>de</strong>n Grundfragen <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>r Partei,<br />

24 Exemplarisch sei hier auf die Biographien <strong>de</strong>r vor 1953 eingestellten leiten<strong>de</strong>n Offiziere <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS verwiesen,<br />

siehe Biographischer Anhang <strong><strong>de</strong>s</strong> Handbuchs [erscheint <strong>de</strong>mnächst].<br />

25 <strong>Die</strong>nstanweisung 43/53 <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssekretärs, Richtlinien <strong>für</strong> die Ka<strong>de</strong>r- und Schulungsarbeit; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt<br />

100885, S. 5-6.


− aktive Beteiligung am Aufbau <strong><strong>de</strong>s</strong> Sozialismus und vorbildliche Pflichterfüllung,<br />

− die "erfor<strong>de</strong>rlichen" charakterlichen, moralischen und geistigen Voraussetzungen,<br />

13<br />

− gute Berufs- und Produktionserfahrungen, eine gute Allgemeinbildung und gegebenenfalls<br />

eine wissenschaftliche Ausbildung,<br />

− Gesundheit, "Entwicklungsfähigkeit" und möglichst eine militärische Grundausbildung.<br />

<strong>Die</strong> Kandidaten sollten bei Einstellung min<strong><strong>de</strong>s</strong>tens 18 Jahre, beim Einsatz im politisch-operati-<br />

ven o<strong>de</strong>r operativ-technischen <strong>Die</strong>nst min<strong><strong>de</strong>s</strong>tens 21 Jahre alt und möglichst nicht älter als 35<br />

Jahre sein. 26 Bei aller Formelhaftigkeit gab dieser Katalog die Meßlatte vor, an <strong>de</strong>r sich die<br />

Einstellungsvorschläge zu orientieren hatten.<br />

In <strong>de</strong>r letzten, offiziell zum 1. November 1989 in Kraft getretenen Ka<strong>de</strong>rordnung 6/89 beschränkte<br />

sich die MfS-Leitung lapidar darauf, daß die Einstellungskandidaten "über die ka<strong>de</strong>rund<br />

sicherheitspolitischen Voraussetzungen gemäß <strong>de</strong>n Bedingungen zur Einstellung in das<br />

MfS verfügen sowie <strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst im MfS geeignet" sein sollten. 27<br />

Umgekehrt gab es auch eine Reihe von Negativkriterien, nach <strong>de</strong>nen eine Einstellung ausgeschlossen<br />

war. In <strong>de</strong>n ersten Bestimmungen von 1953 machte hierbei das Einstellungsverbot<br />

<strong>für</strong> ehemalige Nationalsozialisten <strong>de</strong>n wichtigsten Komplex aus. So war es verboten, Mitglie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r NSDAP o<strong>de</strong>r ihrer Glie<strong>de</strong>rungen, ehemalige <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r "Vollzugsorgane" bis<br />

1945, also zum Beispiel Gestapo-<strong>Mitarbeiter</strong> zu beschäftigen. Ehemalige "aktive Funktionäre"<br />

<strong>de</strong>r Hitlerjugend und <strong><strong>de</strong>s</strong> Bun<strong><strong>de</strong>s</strong> Deutscher Mä<strong>de</strong>l (BDM) waren ebenfalls ausgeschlossen.<br />

Schließlich durften keine Personen eingestellt wer<strong>de</strong>n, die in <strong>de</strong>n von Nazi<strong>de</strong>utschland besetzten<br />

Län<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>r Unterdrückung <strong>de</strong>r Bevölkerung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Partisanenbekämpfung teilgenommen<br />

hatten.<br />

Der zweite Komplex von Einstellungsverboten umfaßte Personen, bei <strong>de</strong>nen aufgrund ihrer<br />

eigenen Vorgeschichte o<strong>de</strong>r verwandtschaftlicher Verbindungen ein erhöhtes Risikopotential<br />

<strong>für</strong> "feindliche" Agententätigkeit vermutet wur<strong>de</strong>. Hierunter fielen insbeson<strong>de</strong>re Personen, die<br />

"längere Zeit in amerikanischer, englischer, französischer o<strong>de</strong>r jugoslawischer Gefangenschaft<br />

waren" o<strong>de</strong>r dort eine Schule besucht hatten. Außer<strong>de</strong>m kamen auch Verwandte von in <strong>de</strong>r<br />

SBZ bzw. DDR politisch verfolgten Personen, <strong>Mitarbeiter</strong>n west<strong>de</strong>utscher staatlicher bzw.<br />

westalliierter militärischer Stellen sowie republikflüchtigen Straftätern nicht in Frage. Schließlich<br />

wur<strong>de</strong>n auch wegen nicht-politischer Vergehen Vorbestrafte von <strong>de</strong>r Einstellung ausge-<br />

schlossen. 28<br />

26 Bestimmungen 1964, S. 9-10; Bestimmungen 1969, Punkt 2.1.1. bis 2.1.3.<br />

27 Ordnung 9/89 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über die Arbeit mit <strong>de</strong>n Angehörigen im MfS - Ka<strong>de</strong>rordnung -; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt<br />

103613 (künftig: Ka<strong>de</strong>rordnung 1989), Punkt II/1/101. Zwischenzeitlich waren 1984 in einem<br />

"Arbeitsmaterial" die dienstlichen Bestimmungen zur Ka<strong>de</strong>rgewinnung zusammengefaßt und die aktuellen<br />

Entwicklungen berücksichtigt wor<strong>de</strong>n; Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch vom 27.4.1984, Arbeitsmaterial über die Aufgaben<br />

bei <strong>de</strong>r Gewinnung und Einstellung neuer Ka<strong>de</strong>r in das MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103052.<br />

28 <strong>Die</strong>nstanweisung 43/53, S. 6.


14<br />

In <strong>de</strong>n Neufassungen von 1964 und 1969 wur<strong>de</strong> dieser Katalog dann noch erweitert: Personen<br />

mit Kontakten zur Westverwandtschaft wur<strong>de</strong>n generell ausgeschlossen, außer<strong>de</strong>m führten<br />

Verwandte in "revanchistischen Organisationen" sowie solche mit "leiten<strong>de</strong>n Funktionen bei<br />

Konzernen und wissenschaftlichen Institutionen" auch ohne persönlichen Kontakt zum Ausschluß<br />

vom Kreis <strong>de</strong>r potentiellen Einstellungskandidaten. Der Aufenthalt in westlichen bzw.<br />

jugoslawischen Kriegsgefangenenlagern fiel hingegen als Ausschlußgrund weg. Abgeschlossen<br />

wur<strong>de</strong> die Auflistung mit einer Generalklausel, wonach auch "an<strong>de</strong>re", nicht näher <strong>de</strong>finierte<br />

Grün<strong>de</strong> zur Ablehnung führen konnten. 29<br />

Das MfS suchte sich seine Einstellungskandidaten selbst. Personen, die sich aus eigenem Antrieb<br />

zum <strong>Die</strong>nst im MfS anboten, wur<strong>de</strong> entsprechend <strong>de</strong>n Ka<strong>de</strong>rordnungen im Regelfall die<br />

Einstellung verweigert, um das MfS vor gezielten Eindringungsversuchen gegnerischer Geheimdienste<br />

zu schützen. Über solche Selbstbewerber wur<strong>de</strong>n aber intensive Nachforschungen<br />

angestellt, um die Beweggrün<strong>de</strong> <strong>für</strong> die Bewerbung zu ermitteln. Han<strong>de</strong>lte <strong>de</strong>r Bewerber aus<br />

"ehrlicher Überzeugung" und entsprach er <strong>de</strong>n Einstellungsbedingungen, so war ausnahmsweise<br />

die Einstellung zulässig. Von 1968 bis 1975 bewarben sich min<strong><strong>de</strong>s</strong>tens 1.409 Personen<br />

beim MfS, von <strong>de</strong>nen 21 tatsächlich eingestellt wur<strong>de</strong>n. 30<br />

2.2. Rekrutierungsfel<strong>de</strong>r<br />

<strong>Die</strong> ersten MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> stammten aus <strong>de</strong>m bereits vor <strong>de</strong>r offiziellen Gründung im Februar<br />

1950 existieren<strong>de</strong>n Apparat <strong>de</strong>r Hauptverwaltung bzw. Lan<strong><strong>de</strong>s</strong>verwaltungen zum Schutz <strong>de</strong>r<br />

Volkswirtschaft, wo seit Spätsommer 1949 die Angehörigen <strong>de</strong>r politischen Polizei (K 5) und<br />

an<strong>de</strong>re als zuverlässig eingeschätzte Kräfte, vor allem aus an<strong>de</strong>ren Zweigen <strong>de</strong>r Volkspolizei,<br />

zusammengezogen wur<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong>ser personelle Kern <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> war von sowjetischen<br />

Geheimdienstoffizieren und <strong>de</strong>n Ka<strong>de</strong>rpolitikern <strong>de</strong>r SED im wesentlichen aus drei Gruppen<br />

ausgewählt wor<strong>de</strong>n:<br />

− Alte Kommunisten, die schon im illegalen Militärapparat <strong>de</strong>r KPD, als Interbrigadisten im<br />

spanischen Bürgerkrieg, in kommunistischen Wi<strong>de</strong>rstandsgruppen gegen die NS-Diktatur,<br />

als Partisanen o<strong>de</strong>r im sowjetischen Exil ihre Parteitreue und Einsatzbereitschaft bewiesen<br />

hatten. Manche von ihnen hatten - wie die Minister Wilhelm Zaisser und Ernst Wollweber -<br />

29 Bestimmungen 1964, S. 10-11; Bestimmungen 1969, Punkt 2.1.4.<br />

30 <strong>Die</strong>nstanweisung 43/53, S. 11; Bestimmungen 1964, S. 11; Bestimmungen 1969, Punkt 2.2; vgl. Forschungsarbeit<br />

ohne Titel [vermutlich: Horst Bischoff, <strong>Die</strong>trich Harbott, Manfred Kirmse, Günter Möller: Zu<br />

<strong>de</strong>n Angriffen <strong>de</strong>r imperialistischen Geheimdienste gegen das MfS und <strong>de</strong>n wichtigsten vorbeugen<strong>de</strong>n Aufgaben<br />

<strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten zur Gewährleistung <strong>de</strong>r inneren Sicherheit], Diss. A JHS Potsdam 1977; vgl.<br />

Günter Förster: <strong>Die</strong> Dissertationen an <strong>de</strong>r "Juristischen Hochschule" <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS. Eine annotierte Bibliographie,<br />

Reihe A: Nr. 2/1994, hrsg. vom <strong>BStU</strong>, Abt. Bildung und Forschung (künftig: Förster: Dissertationen), S.74<br />

(künftig: Forschungsarbeit innere Sicherheit), Abschnitt 2.3. "<strong>Die</strong> wesentlichen Aufgaben <strong>de</strong>r zuständigen<br />

<strong>Die</strong>nsteinheiten beim Auftreten von Selbstbewerbern <strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst im MfS"; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 4,<br />

unerschlossenes Material. In <strong>de</strong>n Bezirksverwaltungen Erfurt, Schwerin und Frankfurt (O<strong>de</strong>r) wur<strong>de</strong>n<br />

Selbstbewerbungen erst ab 1971/72 erfaßt. Für frühere und spätere Zeiten liegen keine Daten vor.


15<br />

schon im <strong>Die</strong>nst <strong><strong>de</strong>s</strong> NKWD gestan<strong>de</strong>n und so ihre Zuverlässigkeit als Tschekisten unter<br />

Beweis gestellt. 31<br />

− Ehemalige Wehrmachtsangehörige, die in sowjetischer Kriegsgefangenschaft Antifa-Schulen<br />

besucht hatten bzw. <strong>de</strong>m Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) beigetreten<br />

waren; unter ihnen waren auch frühere KPD-Mitglie<strong>de</strong>r, die zur Wehrmacht eingezogen und<br />

dann übergelaufen waren.<br />

− Als dritte Gruppe sind schließlich die jungen, - abgesehen von ihrer Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r<br />

Hitlerjugend bzw. <strong>de</strong>m BDM - "unbelasteten" Kräfte zu nennen, <strong>für</strong> die <strong>de</strong>r Zusammenbruch<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Dritten Reiches zum prägen<strong>de</strong>n Erlebnis ihrer politischen Sozialisation gewor<strong>de</strong>n war<br />

und die sich während <strong>de</strong>r Nachkriegszeit in <strong>de</strong>r FDJ engagierten.<br />

Aus diesen Gruppen rekrutierte sich die Grün<strong>de</strong>rgeneration <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS. <strong>Die</strong> Leitungspositionen<br />

hatten dabei die "bewährten" Kommunisten inne, sie personifizierten das vom MfS beanspruchte<br />

antifaschistische Erbe. Stellvertreten<strong>de</strong> Minister in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren waren (neben<br />

Erich Mielke) Otto Walter (KPD, 12 Jahre KZ), Martin Weikert (KPC ∨<br />

, UdSSR-Emigrant, Partisan),<br />

Otto Last (KPD, 4 Jahre Zuchthaus/KZ, 2 Jahre Strafbataillon 999), Markus Wolf<br />

(UdSSR-Emigrant, KPD) und Bruno Beater (KJVD/RGO, lief 1944 als Oberfeldwebel <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Wehrmacht zur Roten Armee über und wur<strong>de</strong> Mitglied <strong><strong>de</strong>s</strong> NKFD). Von <strong>de</strong>n 20 ersten<br />

Leitern von Abteilungen bzw. Län<strong>de</strong>rverwaltungen <strong>de</strong>r Jahre 1950/51 waren 16 frühere<br />

KPD- bzw. KPC ∨<br />

-Mitglie<strong>de</strong>r, 11 hatten während <strong>de</strong>r NS-Zeit in Zuchthäusern o<strong>de</strong>r KZ gesessen,<br />

4 hatten im spanischen Bürgerkrieg gekämpft, 6 als Partisanen gedient, 4 waren in <strong>de</strong>r<br />

sowjetischen Emigration und 4 waren NKFD-Mitglie<strong>de</strong>r bzw. Antifa-Schüler gewesen. Mit<br />

Josef Gutsche fand sich unter ihnen sogar ein Teilnehmer <strong>de</strong>r Oktoberrevolution. Nur zwei von<br />

ihnen wiesen keines dieser biographischen Merkmale auf. 32<br />

Allerdings war die Zahl solcher kampferprobter Genossen in <strong>de</strong>r frühen DDR beschränkt - und<br />

zuverlässige Ka<strong>de</strong>r brauchte die SED in vielen Bereichen <strong>de</strong>r Gesellschaft. Quantitativ gerieten<br />

die alten Kommunisten <strong><strong>de</strong>s</strong>halb schnell in die Min<strong>de</strong>rheit: Wie eine erste Analyse zeigt, waren<br />

1962 gera<strong>de</strong> noch 1.262 MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> im <strong>Die</strong>nst (6,4 Prozent), die schon vor 1945 Mitglied<br />

<strong>de</strong>r KPD gewesen waren. Es gab noch 14 Spanienkämpfer, 28 Partisanen und 38 UdSSR-Emigranten;<br />

435 MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> waren anerkannte Verfolgte <strong><strong>de</strong>s</strong> Naziregimes. 33<br />

<strong>Die</strong> Ka<strong>de</strong>rwerbung <strong>de</strong>r ersten Jahre konzentrierte sich vor allem auf die dritte Gruppe. Aus <strong>de</strong>m<br />

FDJ-Apparat, staatlichen Institutionen und insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n "bewaffneten Organen", also<br />

31 Vgl. Bernd Kaufmann u.a.: Der Nachrichtendienst <strong>de</strong>r KPD 1919-1937, Berlin 1993; Jan von Flocken und<br />

Michael F. Scholz: Ernst Wollweber. Saboteur - Minister - Unperson, Berlin 1994.<br />

32 Einschließlich Mehrfachnennungen. Vgl. die Biographien Beater, Engelbrecht, Fomferra, Gartmann, Gold,<br />

Gronau, J. Gutsche, Kiefel, Kleinjung, Knoppe, Last, O. Lorenz, Michael, Paczinsky, Rumpelt, Schläwicke,<br />

Scholz, Schürrmann, Weikert, Wichert im Biographischen Anhang <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS-Handbuchs [erscheint <strong>de</strong>mnächst].<br />

33 Jens Gieseke: <strong>Die</strong> Hauptamtlichen 1962. Zur Personalstruktur <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit; BF informiert<br />

1/1994, hrsg. vom <strong>BStU</strong>, Abt. Bildung und Forschung, (künftig: Gieseke: <strong>Die</strong> Hauptamtlichen 1962),<br />

S. 23.


16<br />

Volkspolizei, Kasernierter Volkspolizei, Grenzpolizei usw., aber auch direkt aus Betrieben,<br />

Schulen und Universitäten wur<strong>de</strong>n vor allem junge SED-Mitglie<strong>de</strong>r, aber auch (noch) partei-<br />

lose FDJler <strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst geworben. 34 Insbeson<strong>de</strong>re seit 1952, als im Zuge <strong>de</strong>r 2. Parteikonfe-<br />

renz <strong>de</strong>r SED mit <strong>de</strong>r Verkündung <strong><strong>de</strong>s</strong> "Aufbaus <strong><strong>de</strong>s</strong> Sozialismus" <strong>de</strong>r innenpolitische Kurs<br />

verschärft wur<strong>de</strong>, reichte die individuelle Werbung nicht mehr aus. Mit Hilfe von Parteiaufträ-<br />

gen und Kampagnen unter <strong>de</strong>n FDJ-Mitglie<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r enorme Bedarf an weiteren Kräften<br />

ge<strong>de</strong>ckt. 35 1955 führte das MfS eine eigene Werbekampagne durch, mit <strong>de</strong>r 3.000 neue Mitar-<br />

beiter, vor allem durch die Bezirksverwaltungen, gewonnen wer<strong>de</strong>n sollten. Zu diesem Zweck<br />

sollten die Personalunterlagen von Verwaltungen und Betrieben, Hoch- und Oberschulen sowie<br />

Arbeiter- und Bauernfakultäten nach geeigneten Kandidaten durchgearbeitet wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong><br />

Kreis- und Bezirksleitungen <strong>de</strong>r SED hatten <strong>de</strong>n Kandidaten mit einem entsprechen<strong>de</strong>n Parteiauftrag<br />

die "Notwendigkeit <strong>de</strong>r Arbeit" in <strong>de</strong>n Organen <strong>de</strong>r Staatssicherheit aufzuzeigen. Beson<strong>de</strong>ren<br />

Wert legte man darauf, auch ältere SED-Genossen zu fin<strong>de</strong>n, die zum Beispiel mit<br />

ihren Erfahrungen im "Kampf gegen <strong>de</strong>n Sozial<strong>de</strong>mokratismus" gegen die Arbeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Ostbüros<br />

<strong>de</strong>r SPD eingesetzt wer<strong>de</strong>n sollten. 36<br />

<strong>Die</strong> Bilanz dieser frühen Strategien zur Ka<strong>de</strong>rrekrutierung war zwiespältig: Fachliche Ansprüche<br />

wur<strong>de</strong>n an die Einstellungskandidaten nicht gestellt, es han<strong>de</strong>lte sich um geheimdienstliche<br />

Laien, die bestenfalls als Volkspolizisten eine gewisse Fühlungnahme mit ihrem neuen Arbeitsgebiet<br />

aufgenommen hatten. Politische Zuverlässigkeit und Einsatzbereitschaft hatten bei<br />

<strong>de</strong>r Auswahl absolute Priorität. <strong>Die</strong> Einstellung von "Fachleuten", zum Beispiel aus <strong>de</strong>r<br />

Gestapo, war verboten - und nach <strong>de</strong>rzeitigem Kenntnisstand wur<strong>de</strong> dieses Verbot auch eingehalten.<br />

37 Aber auch diese Ansprüche konnten nur bedingt eingelöst wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> Ermittlungsarbeit<br />

im Vorfeld <strong>de</strong>r Einstellungen steckte noch in <strong>de</strong>n Anfängen. Zunächst beschränkten sich<br />

die Erkundigungen auf das Einholen einiger Beurteilungen <strong><strong>de</strong>s</strong> Vorgesetzten und <strong>de</strong>r zuständigen<br />

Parteiorganisation sowie die Angaben <strong><strong>de</strong>s</strong> Kandidaten. Entsprechend hoch war später die<br />

Quote an disziplinarischen Maßregelungen und Entlassungen. 38<br />

34 Vgl. hierzu: ebenda, sowie die exemplarische Analyse <strong>de</strong>r Verfasser von MfS-Doktorarbeiten bei Jens Gieseke:<br />

Doktoren <strong>de</strong>r Tschekistik. <strong>Die</strong> Promoven<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r "Juristischen Hochschule" <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; BF informiert<br />

6/1994 (künftig: Gieseke: Doktoren).<br />

35 Traditionszimmer; [Heinz Lippmann]: Der 17. Juni im Zentralkomitee <strong>de</strong>r SED, in: Aus Politik und Zeitgeschichte<br />

24/1956, S. 371; Ein Beleg <strong>für</strong> eine indirekte Partizipation an <strong>de</strong>r KVP-Werbekampagne steht bislang<br />

aus; vgl. Beschluß <strong><strong>de</strong>s</strong> Politbüros vom 1.7.1952, in: <strong>Die</strong>rk Hoffmann u.a. (Hrsg.): <strong>Die</strong> DDR vor <strong>de</strong>m<br />

Mauerbau: Dokumente zur Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>utschen Staates 1949-1961, München-Zürich 1993,<br />

S.110 f.<br />

36 <strong>Die</strong>nstanweisung <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatsekretärs vom 30.3.1955; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100958; Auszüge aus <strong>de</strong>r Sitzung <strong>de</strong>r<br />

Sicherheitskommission vom 17.3.1955; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 407, Bl. 9; Hauptaufgaben <strong>de</strong>r HA Ka<strong>de</strong>r und<br />

Schulung 1955 [o.A.], SdM 1924, Bl. 284. Vgl. Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, Studienmaterial zur Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

<strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit (künftig: Studienmaterial zur Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS), Teil III; <strong>BStU</strong>, SA 553,<br />

S. 88; sowie: Deckname Stabil, Stationen aus <strong>de</strong>m Leben und Wirken <strong><strong>de</strong>s</strong> Kommunisten und Tschekisten Paul<br />

Laufer, Leipzig 1988 (MfS-interne Veröffentlichung), S. 73.<br />

37 Vgl. Gieseke: <strong>Die</strong> Hauptamtlichen 1962, S. 24.<br />

38 Vgl. <strong>de</strong>n Abschnitt "9. Disziplinarmaßnahmen".


17<br />

Mit <strong>de</strong>m Erlaß <strong>de</strong>r "Richtlinie über die Werbung von Ka<strong>de</strong>rn auf Perspektive" im Juni 1959<br />

wur<strong>de</strong> erstmals die normative Grundlage einer mittelfristigen Strategie zur Ka<strong>de</strong>rrekrutierung<br />

geschaffen. Potentielle Einstellungskandidaten sollten zunächst umfassend "aufgeklärt" und als<br />

Inoffizielle <strong>Mitarbeiter</strong> angeworben wer<strong>de</strong>n, um die "politische Zuverlässigkeit, Klassenverbun<strong>de</strong>nheit,<br />

geistige Beweglichkeit und Charakterfestigkeit" über einen längeren Zeitraum zu<br />

testen. Dem Kandidaten wur<strong>de</strong> dabei seine vorgesehene Übernahme als hauptamtlicher <strong>Mitarbeiter</strong><br />

zunächst nicht offenbart. Erstmals wur<strong>de</strong> nun auch eine fachliche Qualifikation gefor<strong>de</strong>rt:<br />

Aus <strong>de</strong>n einschlägigen Rekrutierungsgruppen sollten vor allem "Stu<strong>de</strong>nten aus <strong>de</strong>r Arbeiterklasse"<br />

und "qualifizierte Ka<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r NVA o<strong>de</strong>r VP, die gute militärische bzw. polizeiliche<br />

Kenntnisse besitzen o<strong>de</strong>r an Lehrinstituten <strong>de</strong>r NVA bzw. VP ausgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n", angeworben<br />

wer<strong>de</strong>n. Für je<strong>de</strong>n Perspektivka<strong>de</strong>r war ein individueller Qualifizierungsplan zu entwerfen,<br />

<strong>de</strong>r ihn in bestimmte Studienfächer o<strong>de</strong>r an höhere Politschulen lenken sollte. Nach erfolgreichem<br />

Abschluß dieser Ausbildungsgänge konnten die Perspektivka<strong>de</strong>r dann in <strong>de</strong>n<br />

<strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Die</strong>nst <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS aufgenommen wer<strong>de</strong>n - vorausgesetzt, sie hatten sich politisch<br />

und in ihrer Spitzeltätigkeit bewährt. 39<br />

<strong>Die</strong> novellierten Perspektivka<strong>de</strong>r-Richtlinien <strong>de</strong>r Jahre 1973 und 1985 modifzierten diese Vorschriften.<br />

So wur<strong>de</strong> 1985 festgeschrieben, daß vor <strong>de</strong>r Einstellung min<strong><strong>de</strong>s</strong>tens zwei Jahre IM-<br />

Tätigkeit liegen sollten. Außer<strong>de</strong>m legte das MfS Wert darauf, als Perspektivka<strong>de</strong>r vor allem<br />

Kandidaten mit Berufserfahrungen in <strong>de</strong>r "materiellen Produktion" zu gewinnen. 40 <strong>Die</strong> Arbeit<br />

mit Perspektivka<strong>de</strong>rn war vor allem <strong>für</strong> die wachsen<strong>de</strong> Spezialisierung innerhalb <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS von<br />

Be<strong>de</strong>utung: Abiturienten konnten gezielt in bestimmte Ausbildungen, zum Beispiel in naturund<br />

ingenieurwissenschaftlichen Berufen, geschickt wer<strong>de</strong>n und stan<strong>de</strong>n dann später als Fachleute<br />

<strong>für</strong> die operative Arbeit zur Verfügung. 41<br />

<strong>Die</strong> Perspektivka<strong>de</strong>rwerbung kam nur langsam in Gang: 1961 gab es erst 85 bestätigte Perspektivka<strong>de</strong>r,<br />

nach wie vor stan<strong>de</strong>n Direktwerbungen im Vor<strong>de</strong>rgrund. Im Laufe <strong>de</strong>r sechziger<br />

und siebziger Jahre stieg die Zahl aber stetig, 1981 waren es 2.336, <strong>de</strong>r Spitzenwert wur<strong>de</strong><br />

1986 mit 2.779 erreicht. <strong>Die</strong> Quote <strong>de</strong>r später wegen "Nichteignung" abgelehnten Perspektivka<strong>de</strong>r<br />

stieg allerdings ebenfalls. Im Zeitraum 1976 bis 1981 lag sie bei 39 Prozent, 1986 schon<br />

bei 50 Prozent, 1988 schließlich sogar bei 62 Prozent. 42<br />

39 HA KuSch vom 4.6.1959, Richtlinie über die Werbung von Ka<strong>de</strong>rn auf Perspektive zur Schaffung einer<br />

operativen Ka<strong>de</strong>rreserve; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101116.<br />

40 <strong>Die</strong>nstanweisung 1/73 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers: Werbung von neuen Ka<strong>de</strong>rn auf Perspektive; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101088;<br />

<strong>Die</strong>nstanweisung 7/85 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers zur Arbeit mit Perspektivka<strong>de</strong>rn; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103213.<br />

41 Als klassisches Beispiel einer solchen Karriere kann <strong>de</strong>r Wer<strong>de</strong>gang <strong><strong>de</strong>s</strong> Physikers, HVA-Offiziers und späteren<br />

Überläufers Werner Stiller gelten. Vgl. Werner Stiller: Im Zentrum <strong>de</strong>r Macht, Bergisch-Gladbach 1988<br />

(künftig: Stiller, Zentrum); dazu: <strong>BStU</strong>, ZA, KS 32421/90 [Ka<strong>de</strong>rakte Werner Stiller]. Zum Spektrum <strong>de</strong>r<br />

Studiengänge vgl. Gieseke: Doktoren, S. 12.<br />

42 Abt. Ka<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r HA KuSch, Bericht über <strong>de</strong>n Stand <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rarbeit <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS im II. Halbjahr 1960; <strong>BStU</strong>, ZA,<br />

HA KuSch AKG 48; AG Koordinierung <strong>de</strong>r HA KuSch vom 14.12.1981, Zusammenfassen<strong>de</strong> Einschätzung<br />

zum Stand <strong>de</strong>r Werbung von Ka<strong>de</strong>rn auf Perspektive [...]; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Planung 16a,<br />

unerschlossenes Material; HA KuSch, Bericht über Ergebnisse, Erfahrungen und Probleme [...] bei <strong>de</strong>r Ge-


18<br />

Ein weiterer, seit <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>r Wehrpflicht 1962 zunehmend systematisch genutzter Re-<br />

krutierungsweg führte über <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst als Zeitsoldat im Wachregiment <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS bzw. in <strong>de</strong>n<br />

Wach- und Sicherungseinheiten (WSE) <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen zur Einstellung als Berufsof-<br />

fizier bzw. Berufsunteroffizier. Das MfS verfügte über Offiziere in <strong>de</strong>n Wehrkreis- und Wehr-<br />

bezirkskommandos, die auch als offizielle MfS-Vertreter in <strong>de</strong>n Musterungskommissionen<br />

saßen. <strong>Die</strong>se hatten unter an<strong>de</strong>rem die Aufgabe, in <strong>de</strong>n Musterungsjahrgängen nach geeigneten<br />

Kandidaten <strong>für</strong> das Wachregiment Ausschau zu halten. 43<br />

Später setzte die Suche nach potentiellen Offizieren und Unteroffizieren noch früher ein. Im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r Maßnahmen zur "militärischen Nachwuchssicherung <strong>für</strong> die bewaffneten Organe"<br />

schloß das MfS mit <strong>de</strong>m Verteidigungsministerium 1981 eine Vereinbarung, durch die eine<br />

jeweils festzulegen<strong>de</strong> Quote aller potentiellen Offiziers- und Unteroffiziersbewerber <strong>de</strong>m MfS<br />

zustand. Der Auswahlprozeß begann mit <strong>de</strong>r Erstellung von Listen geeigneter Schüler in <strong>de</strong>n<br />

siebten Klassen <strong>de</strong>r Polytechnischen Oberschulen. <strong>Die</strong> Eltern <strong>de</strong>r in Frage kommen<strong>de</strong>n Schüler,<br />

später schon bei <strong>de</strong>n Sechstkläßlern, wur<strong>de</strong>n konsultiert. In <strong>de</strong>r neunten Klasse gaben diese<br />

Schüler gegebenenfalls Bereitschaftserklärungen zur Offiziers- bzw. Unteroffizierslaufbahn im<br />

MfS ab, nach außen wur<strong>de</strong>n sie als NVA-Bewerber geführt. Fortan wur<strong>de</strong>n sie in <strong>de</strong>n "FDJ-<br />

Bewerberkollektiven" gemeinsam mit <strong>de</strong>n tatsächlichen NVA-Kandidaten regelmäßig geschult<br />

und durchliefen in <strong>de</strong>r Gesellschaft <strong>für</strong> Sport und Technik (GST) eine vormilitärische Ausbildung.<br />

Außer<strong>de</strong>m sollten individuelle und kollektive "spezifische Maßnahmen <strong>de</strong>r Berufsvorbereitung"<br />

zur "Traditionspflege <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Arbeiterbewegung" und <strong>de</strong>r "Freund-Feind-Bildvermittlung"<br />

durchgeführt wer<strong>de</strong>n, etwa in "Zirkeln junger Tschekisten". Unmittelbar mit <strong>de</strong>r<br />

Einstellung konnten die Kandidaten dann unter an<strong>de</strong>rem an Offiziershochschulen o<strong>de</strong>r an zivile<br />

Hochschulen <strong>de</strong>legiert wer<strong>de</strong>n. 44<br />

<strong>Die</strong> For<strong>de</strong>rung nach "Werktätigen aus <strong>de</strong>r materiellen Produktion", die die Reihen <strong>de</strong>r MfS-<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> bereichern sollten, wur<strong>de</strong> zwar - beson<strong>de</strong>rs von Erich Mielke - immer wie<strong>de</strong>r erhoben.<br />

45 Eine spezifische Ausrichtung auf die Arbeiterklasse war in <strong>de</strong>r Rekrutierungspraxis <strong>de</strong>r<br />

winnung und Einstellung neuer Ka<strong>de</strong>r im Jahre 1987; ebenda; Bericht über Ergebnisse und Probleme bei <strong>de</strong>r<br />

Planung und Realisierung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ka<strong>de</strong>rersatzbedarfes im Jahre 1988; ebenda.<br />

43 <strong>Die</strong>nstanweisung 2/62 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101038.<br />

44 Vorläufige Ordnung 12/81 <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r HA KuSch über die Aufgaben zur langfristigen Sicherung <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

militärischen Berufsnachwuchses <strong>für</strong> das MfS - Nachwuchssicherungsordnung -; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102789;<br />

darin enthalten: Vereinbarung zwischen <strong>de</strong>m MfNV und <strong>de</strong>m MfS über die Zusammenarbeit bei <strong>de</strong>r Sicherung<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> militärischen Berufsnachwuchses vom 7.5.1981; Ordnung 1/87 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über die Aufgaben zur<br />

langfristigen Sicherung <strong><strong>de</strong>s</strong> militärischen Berufsnachwuchses <strong>für</strong> das MfS - Berufsnachwuchssicherungsordnung<br />

-; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103350; zu <strong>de</strong>n praktischen Problemen vgl. Hannelore<br />

Holzinger: Erfahrungen <strong>de</strong>r Kreisdienststelle Stendal bei <strong>de</strong>r Gewinnung von Jugendlichen <strong>für</strong> einen militärischen<br />

Beruf (BOB/BUB <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS), insbeson<strong>de</strong>re die i<strong>de</strong>ologische und psychologische Einflußnahme zur<br />

Erreichung <strong>de</strong>r Bereitschaftserklärung; Fachschulabschlußarbeit 24.3.1986; <strong>BStU</strong>, ZA, MfS MF VVS 799/85.<br />

45 Vgl. etwa: Ausgewählte Schwerpunktaufgaben <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS im Karl-Marx-Jahr in Auswertung <strong>de</strong>r Beratung <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Sekretariats <strong><strong>de</strong>s</strong> ZK mit <strong>de</strong>n 1. Sekretären. Aus <strong>de</strong>m Referat [<strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers] auf <strong>de</strong>r erweiterten Kollegiumssitzung<br />

vom 4.3.1983; <strong>BStU</strong>, ZA, Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (künftig: ZAIG) 8613<br />

(künftig: Referat Karl-Marx-Jahr), Bl. 139; Referat <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers auf <strong>de</strong>r erweiterten Kollegiumssitzung am<br />

7.6.1985; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1571, Bl. 115.


19<br />

siebziger und achtziger Jahre aber weitgehend verschwun<strong>de</strong>n. Praktisch gab es also zwei<br />

Merkmale, an <strong>de</strong>nen die Verwendbarkeit <strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst im MfS vorrangig gemessen wur<strong>de</strong>:<br />

Erstens Parteitreue bzw. bei jungen Kandidaten, die noch nicht <strong>de</strong>r SED angehörten, aktive<br />

Loyalität zum Staate DDR (dokumentiert durch ein überdurchschnittliches Maß an<br />

"gesellschaftlichen Aktivitäten" namentlich in <strong>de</strong>r FDJ), sowie die Bereitschaft zum Parteieintritt,<br />

zweitens ein Verhalten, das <strong>de</strong>n politischen und charakterlichen Ansprüchen auch bei intensiver<br />

Durchleuchtung <strong><strong>de</strong>s</strong> persönlichen Umfel<strong><strong>de</strong>s</strong> durch die Ka<strong>de</strong>rermittler <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS genügte.<br />

Hinzu kam ein weiterer Faktor, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Einfluß <strong><strong>de</strong>s</strong> Kandidaten mehr o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r entzogen<br />

war: seine Verwandtschaft. Mit großem Argwohn beobachtete das MfS etwaige Westverbindungen<br />

o<strong>de</strong>r unbotmäßiges Verhalten (zum Beispiel durch einen Ausreiseantrag) in <strong>de</strong>r Verwandtschaft<br />

<strong>de</strong>r Kandidaten und ihrer Lebenspartner. Nicht selten wur<strong>de</strong> ein Einstellungsvorschlag<br />

nach langwieriger Vorarbeit hinfällig, wenn <strong>de</strong>r potentielle <strong>Mitarbeiter</strong> eine Freundin<br />

kennenlernte, die nicht bereit war, <strong>de</strong>n Briefkontakt zur Oma o<strong>de</strong>r Tante im Westen aufzugeben.<br />

Bei allen Vorteilen, die das MfS aus <strong>de</strong>r Geheimdienstarbeit "in einem halben Lan<strong>de</strong>" ziehen<br />

konnte, erwiesen sich hier die <strong>de</strong>utsch-<strong>de</strong>utschen Gemeinsamkeiten als Last, die seit <strong>de</strong>r<br />

Intensivierung <strong>de</strong>r Kontakte in <strong>de</strong>n siebziger Jahren immer schwerer wog.<br />

<strong>Die</strong> Ka<strong>de</strong>rwerber <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS griffen daher in wachsen<strong>de</strong>m Maße auf <strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>r DDR-Bevölkerung<br />

zurück, von <strong>de</strong>m sie am sichersten sein konnten, daß er ihren Anfor<strong>de</strong>rungen entsprechen<br />

wür<strong>de</strong>: die Familienangehörigen ihrer eigenen <strong>Mitarbeiter</strong>. Frauen von MfS-Offizieren wur<strong>de</strong>n<br />

gerne in <strong>de</strong>n nicht-operativen Bereichen eingesetzt, Kin<strong>de</strong>r aus MfS-Familien in <strong>de</strong>n achtziger<br />

Jahren schon in <strong>de</strong>r sechsten Klasse durch EDV-Listen erfaßt. Für sie wur<strong>de</strong>n - zusätzlich zur<br />

allgemeinen militärischen Nachwuchssicherung - geson<strong>de</strong>rte Programme zur frühzeitigen Bindung<br />

an das "Organ" entworfen. 46 <strong>Die</strong> Analyse <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rakten zeigt, daß fast je<strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong><br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS einen o<strong>de</strong>r mehrere Familienangehörige hatte, die ebenfalls in <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r Tschekisten<br />

dienten.<br />

In <strong>de</strong>n achtziger Jahren registrierten die Personalplaner <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung<br />

aufmerksam die Symptome einer Krise in <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rwerbung. <strong>Die</strong> Analyse <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

"Ka<strong>de</strong>rersatzbedarfes", berechnet bis zum Jahr 2003, zeigte eine Scherenentwicklung: Während<br />

die Aufbaugeneration <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS <strong>de</strong>m Rentenalter näherrückte, verringerte sich infolge <strong><strong>de</strong>s</strong> Geburtenrückgangs<br />

das Rekrutierungspotential in <strong>de</strong>n Musterungsjahrgängen merklich. Seit Anfang<br />

<strong>de</strong>r achtziger Jahre wur<strong>de</strong> diese Entwicklung prognostiziert und in umfangreichen Gutachten<br />

und Berichten untersucht. 47 Während zuvor etwa 11 Prozent <strong>de</strong>r männlichen Wehrpflichtigen<br />

<strong>für</strong> Militärberufe hätten geworben wer<strong>de</strong>n müssen, so erläuterte <strong>de</strong>r Leiter <strong>de</strong>r<br />

Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung <strong>de</strong>n Ka<strong>de</strong>rfunktionären <strong><strong>de</strong>s</strong> sowjetischen KGB, sei dieser<br />

46 Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch vom 27.2.1985, Arbeitsdokument zur Sicherung <strong><strong>de</strong>s</strong> militärischen Berufsnachwuchses<br />

im MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 342, Bl. 92-117; vgl. Wolfgang Schwanitz: Welche Aufgaben hatte ich als<br />

Leiter <strong>de</strong>r Bezirksverwaltung Berlin <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, in: Zwiegespräch - Beiträge zur Aufarbeitung <strong>de</strong>r Staatssicherheitsvergangenheit<br />

9 (1992), S. 1-14, hier S. 11.<br />

47 Vgl. HA KuSch, Abteilung Plg. 15(3), unerschlossenes Material.


20<br />

Wert <strong>für</strong> 1989 auf 15 Prozent gestiegen, gleichzeitig müßten 30 Prozent als Zeitsoldaten ver-<br />

pflichtet wer<strong>de</strong>n. Da dies we<strong>de</strong>r ökonomisch vertretbar noch praktisch machbar war, wur<strong>de</strong>n<br />

die Einstellungszahlen reduziert und damit mittelfristig die Größe <strong><strong>de</strong>s</strong> Gesamtapparates<br />

zwangsläufig in Frage gestellt. 48 Zu diesem <strong>de</strong>mographischen Problem kamen allerdings<br />

"Aufweichungsten<strong>de</strong>nzen" in <strong>de</strong>r Jugend, die das MfS noch viel mehr beunruhigen mußten:<br />

Mit <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Antragsteller auf ständige Ausreise aus <strong>de</strong>r DDR wuchs die Zahl von DDR-<br />

Bürgern, die aufgrund verwandtschaftlicher Verbindungen <strong>für</strong> das MfS nicht mehr in Frage<br />

kamen. Zugleich sank die Attraktivität militärischer Berufe und beson<strong>de</strong>rs <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS-<strong>Die</strong>nstes<br />

aufgrund pazifistischer und "westlich-<strong>de</strong>ka<strong>de</strong>nter" Wertorientierungen sowie <strong>de</strong>m Arbeitskräftemangel<br />

in <strong>de</strong>r DDR-Wirtschaft, <strong>de</strong>r zu verstärkten Bemühungen <strong>de</strong>r Betriebe führte, ihre<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> durch Anreize zu bin<strong>de</strong>n. 49 <strong>Die</strong> schleichen<strong>de</strong> Erosion <strong>de</strong>r SED-Herrschaft machte<br />

auch vor <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rrekrutierung <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS nicht halt.<br />

48 Vgl. Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch vom 19.4.1989, Vorlage: Erfahrungsaustausch zu ausgewählten Fragen <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rarbeit<br />

zwischen leiten<strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rorgane <strong><strong>de</strong>s</strong> Komitees <strong>für</strong> Staatssicherheit und <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong><br />

<strong>für</strong> Staatssicherheit <strong>de</strong>r DDR; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 53, unerschlossenes Material (künftig:<br />

Erfahrungsaustausch KfS 1989).<br />

49 Für alle "bewaffneten Organe" vgl. <strong>de</strong>n vom MfS aus <strong>de</strong>m MfNV "inoffiziell" beschafften Bericht über Ergebnisse,<br />

Probleme und Aufgaben <strong>de</strong>r Sicherung <strong><strong>de</strong>s</strong> militärischen Nachwuchses - Entwurf - ; eingereicht<br />

vom Mitglied <strong><strong>de</strong>s</strong> Politbüros <strong><strong>de</strong>s</strong> ZK <strong>de</strong>r SED und Minister <strong>für</strong> Nationale Verteidigung Armeegeneral Heinz<br />

Keßler, erarbeitet vom Chef Ka<strong>de</strong>r im MfNV, [handschriftlich]: Quellenschutz beachten! Dezember 1988;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 53, unerschlossenes Material. Für das MfS von zentraler Be<strong>de</strong>utung: Information<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r HA KuSch [vom Juli 1986 <strong>für</strong> die Mitglie<strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>s</strong> Kollegiums] über Probleme und Erfor<strong>de</strong>rnisse<br />

zur Entwicklung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ka<strong>de</strong>rbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> und <strong>de</strong>r Realisierung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ka<strong>de</strong>rbedarfes <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS bis 1990 und<br />

darüber hinaus unter Beachtung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mographischen Entwicklung <strong>de</strong>r DDR; <strong>BStU</strong>, ZA, ZAIG 5345, Bl. 14-<br />

19; Abt. 8 <strong>de</strong>r HA KuSch [o.D.], Fragen, Probleme, Bedingungen und Ten<strong>de</strong>nzen in <strong>de</strong>r Gewinnung von<br />

Soldaten auf Zeit aus <strong>de</strong>m Wachregiment "F. Dzierzynski" Berlin, von Kin<strong>de</strong>rn Angehöriger <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS und<br />

an<strong>de</strong>rer Jugendlicher aus <strong>de</strong>m zivilen Sektor als Berufssoldaten <strong>für</strong> das MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Ltg. 13,<br />

unerschlossenes Material.


3. <strong>Mitarbeiter</strong>typen<br />

21<br />

Einen einheitlichen MfS-Begriff <strong>für</strong> die <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> gab es nicht. Am gebräuchlichsten<br />

war <strong>de</strong>r Begriff "Angehörige <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS". Nach <strong>de</strong>m Wörterbuch <strong>de</strong>r politischoperativen<br />

Arbeit waren dies "alle weiblichen bzw. männlichen <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, die entsprechend<br />

<strong>de</strong>n dienstlichen Bestimmungen in das MfS eingestellt und attestiert wur<strong>de</strong>n und<br />

einen <strong>Die</strong>nstgrad besitzen". 50 Neben diesen - <strong>de</strong>r dienstrechtlichen Form nach militärischen -<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>n gab es noch Zivilbeschäftigte sowie die <strong>hauptamtlichen</strong> Inoffiziellen Mitarbei-<br />

ter. 51<br />

3.1. Berufssoldaten<br />

<strong>Die</strong> ganz überwiegen<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> waren Berufssoldaten. Ihr <strong>Die</strong>nstverhältnis<br />

war entsprechend <strong>de</strong>n NVA-Berufssoldaten gestaltet, seit 1972 betrug die reguläre Min<strong><strong>de</strong>s</strong>tdienstzeit<br />

25 Jahre. 52 Bis 1952 führten die Offiziere und Unteroffiziere die <strong>Die</strong>nstgradbezeichnungen<br />

<strong>de</strong>r Volkspolizei, dann wur<strong>de</strong>n sie neu attestiert, das heißt in ihren Fähigkeiten und<br />

Leistungen beurteilt und in militärische <strong>Die</strong>nstgra<strong>de</strong> eingestuft. 53 1987 wur<strong>de</strong>n zusätzlich<br />

Fähnrich-<strong>Die</strong>nstgra<strong>de</strong> <strong>für</strong> Tätigkeiten eingeführt, bei <strong>de</strong>nen "Facharbeiter mit zusätzlicher<br />

Qualifikation bzw. Spezialkenntnissen" gefor<strong>de</strong>rt waren bzw. bei <strong>de</strong>nen aus Besoldungsgrün<strong>de</strong>n<br />

eine Positionierung oberhalb <strong><strong>de</strong>s</strong> höchsten Unteroffiziersdienstgra<strong><strong>de</strong>s</strong> als notwendig erachtet<br />

wur<strong>de</strong>, ohne sie zu Offizieren zu ernennen. 54<br />

<strong>Die</strong> Tätigkeitsbereiche <strong>de</strong>r Berufssoldaten umfaßten das gesamte Spektrum von MfS-Aufgaben.<br />

Auf eine Darstellung dieser Tätigkeiten im einzelnen muß hier verzichtet wer<strong>de</strong>n. Sie<br />

reichten von <strong>de</strong>n Führungspositionen <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> über die eigentliche geheimdienstliche -<br />

im MfS-Sprachgebrauch "politisch-operative" - Arbeit bis zu administrativen Aufgaben und<br />

Hilfsarbeiten in <strong>de</strong>n "rückwärtigen <strong>Die</strong>nsten". Das MfS unterschied acht Tätigkeitsbereiche:<br />

50 Das Wörterbuch <strong>de</strong>r Staatssicherheit. Definitionen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS zur "politisch-operativen Arbeit", hrsg. vom<br />

<strong>BStU</strong>, Abt. Bildung und Forschung, Reihe A Nr. 1/93, Berlin 1993, S. 16.<br />

51 Zu letzteren vgl. <strong>de</strong>n Handbuch-Beitrag "Inoffizielle <strong>Mitarbeiter</strong>" von Helmut Müller-Enbergs [erscheint<br />

<strong>de</strong>mnächst].<br />

52 <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst im MfS vom 13.7.1972 (künftig: <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung<br />

1972); <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101352, § 25; Ordnung 4/83 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über <strong>de</strong>n Verlauf <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Die</strong>nstes im MfS<br />

[<strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung 1983]; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102944, § 31; in <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnungen von 1964 und<br />

1966 waren 12 bzw. 10 Jahre Min<strong><strong>de</strong>s</strong>tdienstzeit vorgesehen; jeweils § 22.<br />

53 Befehl 212/52 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers vom 15.10.1952 über die Attestierung <strong>de</strong>r Generale und Offiziere <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS <strong>de</strong>r<br />

Deutschen Demokratischen Republik; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100043.<br />

54 Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ordnung 4/83 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über <strong>de</strong>n Verlauf <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Die</strong>nstes im MfS, - <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung<br />

MfS - vom 22.5.1987; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102944; Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r HA KuSch und <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r Abt.<br />

Finanzen an die Leiter <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten vom 29.5.1987; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103376; Rahmenkatalog über<br />

<strong>Die</strong>nststellungen, Tätigkeitsbezeichnungen und <strong>de</strong>ren Bewertung im MfS vom 22.5.1987 (künftig:<br />

Rahmenkatalog 1987); <strong>BStU</strong>, ZA, ZAIG 7933, Bl. 3-37; vgl. auch: Protokoll über die Sitzung <strong><strong>de</strong>s</strong> Kollegiums<br />

am 15.5.1987; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1572, Bl. 128-192, hier Bl. 190.


22<br />

1. Führung und Leitung: Leiter und stellvertreten<strong>de</strong> Leiter von Hauptabteilungen, Abteilungen,<br />

Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen, sowie Referaten im MfS Berlin und in <strong>de</strong>n<br />

Bezirksverwaltungen;<br />

2. Operativer/spezifisch-operativer <strong>Die</strong>nst: IM-führen<strong>de</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>, Beobachter, Ermittler,<br />

Terrorabwehrspezialisten, Haftvollzug, Dolmetscher, Untersucher, Fahn<strong>de</strong>r, Kontrolleure<br />

<strong>de</strong>r Paßkontrolleinheiten;<br />

3. Operativ-technischer <strong>Die</strong>nst: <strong>Mitarbeiter</strong> in Bereichen wie Chiffrierwesen, Funkabwehr/<br />

-aufklärung, Nachrichtenwesen, Datenverarbeitung, Entwicklung und Herstellung von Ge-<br />

heimdiensttechnik;<br />

4. militärisch-operativer <strong>Die</strong>nst: <strong>Mitarbeiter</strong> in Bereichen wie Terrorbekämpfung, Objekt- und<br />

Streckensicherung, Kontrolle <strong><strong>de</strong>s</strong> Personenverkehrs in staatlichen Einrichtungen, Fluggrup-<br />

pe <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, Kurierdienst, Schiffsführer;<br />

5. Wach- und Sicherungsdienst: Leiter und stellvertreten<strong>de</strong> Leiter von Wach- und Sicherungs-<br />

einheiten, Kompaniechefs/Stellvertreter, Zugführer, Innendienstleiter, Gruppenführer, Waf-<br />

fenmeister, Schirrmeister;<br />

6. Rückwärtiger <strong>Die</strong>nst/finanzielle Sicherstellung: <strong>Mitarbeiter</strong> in Bereichen wie chemischer<br />

<strong>Die</strong>nst, Bauwesen, Objektverwaltung, Gebäu<strong>de</strong>wirtschaft, Pionierwesen, Ferienwesen, Be-<br />

kleidung und Ausrüstung, Forstwirtschaft und Gartenbau, Druck und Vervielfältigung,<br />

Brandschutz, Lagerwirtschaft, Kfz-<strong>Die</strong>nste, VS- und Poststellen, Schreibbüros, Sekretariate,<br />

Kraftfahrer, Finanzen und Haushalt;<br />

7. Medizinischer <strong>Die</strong>nst: Ärzte, Schwestern, medizinisch-technisches Personal, Apotheker,<br />

Hygiene-Inspektoren;<br />

8. Bereich Ka<strong>de</strong>r, Bildung, Ausbildung: Ka<strong>de</strong>rinstrukteure, Offiziere <strong>für</strong> Ka<strong>de</strong>rgewinnung,<br />

Lehrkräfte <strong>für</strong> Hoch- und Fachschulausbildung, Rentnerbetreuung, <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>für</strong> Ka<strong>de</strong>r-,<br />

Disziplinar- und Schulungsarbeit, Führung von Karteien und Akten zur Ka<strong>de</strong>rarbeit. 55<br />

Zu ergänzen ist diese Auflistung um die <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>, die in die SED-Parteiorganisationen<br />

sowie die Apparate von FDJ, DSF und FDGB im Ministerium abgeordnet<br />

waren. 56<br />

In <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Übersicht sind einige <strong>für</strong> <strong>de</strong>n jeweiligen <strong>Die</strong>nstgrad in <strong>de</strong>n achtziger Jahren<br />

typische Tätigkeitsfel<strong>de</strong>r aufgeführt. In früheren Zeiten lag das <strong>Die</strong>nstgradgefüge gegenüber<br />

<strong>de</strong>n Tätigkeiten entsprechend niedriger. So hatte zum Beispiel Erich Mielke bei seiner Ernennung<br />

zum Minister 1957 <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nstgrad eines Generalleutnants inne, wur<strong>de</strong> 1959 zum Generaloberst<br />

und 1980 zum Armeegeneral beför<strong>de</strong>rt. 57<br />

55 Rahmenkatalog 1987.<br />

56 1. Sekretär <strong>de</strong>r SED-Kreisleitung vom November 1986, Katalog zur Besoldung <strong>de</strong>r <strong>hauptamtlichen</strong> Parteiarbeiter;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Plg. 8, unerschlossenes Material.<br />

57 Zentralkarteikarte Erich Mielke; <strong>BStU</strong>, ZA.


Abbildung 2: <strong>Die</strong>nstgradbezeichnungen 58<br />

<strong>Die</strong>nstgra<strong>de</strong> Bezeichnung bis 1952 ab 1952 typische <strong>Die</strong>nststellungen/Tätigkeiten<br />

(entsprechend Rahmenkatalog 1987)<br />

Generale<br />

Armeegeneral<br />

Generalinspekteur<br />

Chefinspekteur<br />

59 Minister<br />

Generaloberst stellv. Minister<br />

Generalleutnant HA-Leiter/ BV-Leiter<br />

Generalmajor HA-Leiter/BV-Leiter<br />

Offiziere Inspekteur<br />

Oberst<br />

Stellv. HA-Leiter/Abt.leiter/KD-Leiter<br />

Komman<strong>de</strong>ur Oberstleutnant Abt.leiter/KD-Leiter<br />

Oberrat<br />

Major<br />

Referatsleiter, Offz. <strong>für</strong> Planung, IM-führen<strong>de</strong>r<br />

<strong>Mitarbeiter</strong><br />

Rat<br />

Hauptmann IM-führen<strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong><br />

Oberkommissar Oberleutnant Beobachter/Ermittler<br />

Kommissar<br />

Leutnant<br />

Sekretärin, Krankenschwester<br />

Unterkommissar Unterleutnant Sekretärin<br />

Fähnriche<br />

Stabsoberfähnrich Kraftfahrer bei stellv. Ministern<br />

(ab 1987)<br />

Stabsfähnrich Kraftfahrer bei HA-Leitern<br />

Oberfähnrich <strong>Mitarbeiter</strong> im op.-techn. <strong>Die</strong>nst, Kraftfahrer<br />

Fähnrich<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> im op.-techn. <strong>Die</strong>nst<br />

Unteroffiziere<br />

Offiziersschüler<br />

Stabsfeldwebel Handwerker<br />

Meister<br />

Oberfeldwebel Handwerker<br />

Hauptwachtmeister Feldwebel<br />

(UaZ)<br />

Unterfeldwebel (UaZ)<br />

Oberwachtmeister Unteroffizier (UaZ)<br />

Unteroffiziersschüler (UaZ)<br />

Soldaten<br />

Stabsgefreiter Wachdienst<br />

Wachtmeister Gefreiter<br />

Wachdienst<br />

Unterwachtmeister<br />

Anwärter<br />

Soldat<br />

Wachdienst<br />

23<br />

Auf zwei Son<strong>de</strong>rgruppen unter <strong>de</strong>n Berufssoldaten soll hier näher eingegangen wer<strong>de</strong>n: die<br />

Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz sowie die U-<strong>Mitarbeiter</strong>.<br />

3.2. Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz (OibE)<br />

Zur Durchdringung zentraler gesellschaftlicher Bereiche sowie <strong>für</strong> an<strong>de</strong>re be<strong>de</strong>utsame Aufgaben<br />

bediente sich das MfS nicht nur seiner Inoffiziellen <strong>Mitarbeiter</strong>, son<strong>de</strong>rn setzte auch hauptamtliche<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> als Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz ein. Sie wur<strong>de</strong>n außerhalb <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS-<br />

Apparates, in <strong>de</strong>r Regel in "sicherheitspolitisch be<strong>de</strong>utsamen Positionen im Staatsapparat, <strong>de</strong>r<br />

Volkswirtschaft o<strong>de</strong>r in an<strong>de</strong>ren Bereichen <strong><strong>de</strong>s</strong> gesellschaftlichen Lebens" in <strong>de</strong>r DDR o<strong>de</strong>r im<br />

Ausland (bzw. <strong>de</strong>r Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>republik) eingesetzt und agierten dort, ver<strong>de</strong>ckt und mit einer<br />

58 Bis 1952 nach Klaus Walther: Uniformeffekten <strong>de</strong>r bewaffneten Organe <strong>de</strong>r DDR. Spezialkatalog, Band I:<br />

Ministerium <strong><strong>de</strong>s</strong> Innern 1949-1990, Berlin 1993, Anhang; ab 1952: Befehl 212/52 (siehe Anm. 53); <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung<br />

1972; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101352, § 8; <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung 1983; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102944, §<br />

9; Rahmenkatalog 1987.<br />

59 In <strong>de</strong>r EDV <strong>de</strong>r HA KuSch war außer<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstgrad "Marschall" als unbesetzt ausgewiesen; DORIS-<br />

Standardausgabe, Auftrag Z0Y715, 15.10.1989; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Abt. Plg. 18 III, unerschlossenes<br />

Material.


24<br />

"legendierten" Biographie ausgestattet, im Sinne <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS. 60 <strong>Die</strong> Einsatzgebiete wiesen ein<br />

weites Spektrum auf.<br />

Schwerpunkte waren:<br />

− das System <strong>de</strong>r Sicherheitsbeauftragten in <strong>de</strong>n Betrieben;<br />

− Schlüsselpositionen wie Sicherheitsinspektoren, Ka<strong>de</strong>rleiter, VS-Stellenleiter im Staats- und<br />

Wirtschaftsapparat, zum Beispiel in <strong>de</strong>r Staatlichen Plankommission und in <strong>de</strong>n Ministerien.<br />

Beson<strong>de</strong>ren Stellenwert genossen in diesem Zusammenhang sicherheitsrelevante Positionen<br />

in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren bewaffneten Organen <strong>de</strong>r DDR, also NVA, Volkspolizei, Zoll. Außer<strong>de</strong>m<br />

sollten in Betrieben und Institutionen insbeson<strong>de</strong>re die Stellen mit OibE besetzt wer<strong>de</strong>n, an<br />

<strong>de</strong>nen über <strong>de</strong>n Einsatz von Reiseka<strong>de</strong>rn im westlichen Ausland entschie<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>. 61<br />

− MfS-Vertreter (Resi<strong>de</strong>nten) sowie Wachkräfte in <strong>de</strong>n Auslandsvertretungen <strong>de</strong>r DDR; 62<br />

− technische Kräfte zur Sicherstellung <strong>de</strong>r Regierungs-Nachrichtenverbindungen <strong>de</strong>r DDR.<br />

Daneben gab es eine Vielzahl weiterer Einsatzfel<strong>de</strong>r: von Fahrern in <strong>de</strong>n Postfuhrämtern über<br />

die Bediensteten <strong>de</strong>r DDR-Besucherbüros in West-Berlin bis zu <strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> Sektors<br />

Staatssicherheit <strong>de</strong>r ZK-Abteilung <strong>für</strong> Sicherheitsfragen. Einsätze im Bereich <strong>de</strong>r Kirchen und<br />

<strong>de</strong>r Opposition waren selten. 63 1988 verfügten 27 <strong>Die</strong>nsteinheiten <strong>de</strong>r MfS-Zentrale über 1.856<br />

OibE, von diesen waren mehr als ein Drittel (665) bei <strong>de</strong>r Hauptverwaltung Aufklärung<br />

(Auslandsspionage) und weitere 464 bei <strong>de</strong>n Abteilungen N und XI (Sicherstellung <strong>de</strong>r Nachrichtenverbindungen<br />

bzw. Chiffrierdienst <strong>de</strong>r DDR) beschäftigt. 139 gehörten zur Hauptabteilung<br />

XVIII (Volkswirtschaft) bzw. <strong>de</strong>r AG Bereich Kommerzielle Koordinierung, es folgt die<br />

Hauptabteilung II (Spionageabwehr) mit 115 OibE; weitere 440 wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Bezirksverwaltungen<br />

geführt. 64<br />

60 Ordnung 6/86 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über die Arbeit mit Offizieren im beson<strong>de</strong>ren Einsatz <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS - OibE-Ordnung<br />

6/86 -; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103276, hier S. 3.<br />

61 Major Heinz Brandur, Major Gerhard Bräunig, Major Gerhard Wiegmann: <strong>Die</strong> zweckmäßige Auswahl,<br />

kontinuierliche zielstrebige Erziehung und Befähigung <strong>de</strong>r OibE/A zur effektiven Lösung <strong>de</strong>r politischoperativen<br />

Aufgabenstellung in ihrem spezifischen Anfor<strong>de</strong>rungsbereich; Diplomarbeit JHS 1977; <strong>BStU</strong>, ZA,<br />

S.13-18 (künftig: Brandur u.a.: OibE).<br />

62 Beschluß über die "Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz" <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS und über die Richtlinie <strong>für</strong> die Parteiarbeit mit<br />

<strong>de</strong>n "Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz" u.a. inoffziellen <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; Anlage 2 zum Protokoll <strong>de</strong>r 14.<br />

Sitzung <strong>de</strong>r Sicherheitskommission <strong><strong>de</strong>s</strong> ZK am 25.2.1957; BA, MZAP, VA 01/39556; Abt. IX/B <strong>de</strong>r HV A<br />

vom September 1988, Instruktion über die Zusammenarbeit <strong>de</strong>r HV A und <strong>de</strong>r Abt. XXIII <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS beim<br />

Einsatz von Objektsicherungskräften in Auslandsvertretungen <strong>de</strong>r DDR [...]; <strong>BStU</strong>, ZA, Arbeitsbereich<br />

Neiber 0008, Bl. 330-341; vgl. die autobiographischen Berichte von Rudolf Nitsche: Diplomat im beson<strong>de</strong>ren<br />

Einsatz, Schkeuditz 1994 und Heinz Günther: Wie Spione gemacht wur<strong>de</strong>n, Berlin o.J.<br />

63 <strong>Die</strong> HA XX/4, zuständig <strong>für</strong> Kirchen, verfügte 1987 über 8 OibE, die HA XX/5 und XX/9 hatten keine OibE;<br />

HA XX, Zuarbeit zur Erarbeitung <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rnormative <strong>für</strong> die Hauptabteilung XX; <strong>BStU</strong>, ZA, HA XX AGL<br />

24. Vgl. Harald Schultze und Waltraut Zachhuber: Spionage gegen eine Kirchenleitung. Detlef Hammer -<br />

Stasi-Offizier im Konsistorium Mag<strong>de</strong>burg, Mag<strong>de</strong>burg 1994. Hammer wur<strong>de</strong> offensichtlich unter<br />

Beibehaltung seiner Aufgaben vom IM zum OibE "beför<strong>de</strong>rt"; ebenda, S. 144.<br />

64 Abt. Planung <strong>de</strong>r HA KuSch, Ka<strong>de</strong>rbestandsmeldungen 1988; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Plg. 15 III, unerschlossenes<br />

Material.


25<br />

Nicht nur das Beispiel <strong><strong>de</strong>s</strong> bekanntesten OibE, Oberst Alexan<strong>de</strong>r Schalck-Golodkowski, son-<br />

<strong>de</strong>rn auch die Analyse <strong>de</strong>r Führungsetagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staats- und Wirtschaftsapparates zeigen, daß<br />

spätestens in <strong>de</strong>n achtziger Jahren vor allem die Wirtschaftsplanung und -leitung (Staatliche<br />

Plankommission, Ministerrat usw.) mittels <strong>de</strong>r dort angesie<strong>de</strong>lten OibE auf das engste mit <strong>de</strong>m<br />

MfS verquickt war.<br />

Abseits dieser Aufgabengebiete waren die OibE faktisch eine Restkategorie, in die, wie 1977<br />

drei JHS-Diploman<strong>de</strong>n kritisierten, zuweilen auch <strong>Mitarbeiter</strong> abgeschoben wur<strong>de</strong>n, die aus<br />

gesundheitlichen, disziplinarischen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Grün<strong>de</strong>n <strong>für</strong> <strong>de</strong>n regulären <strong>Die</strong>nst nicht mehr<br />

geeignet waren. Das wohl prominenteste Beispiel einer solchen Behandlung lieferte <strong>de</strong>r Fall<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> früheren stellvertreten<strong>de</strong>n Ministers Generalmajor Otto Last, <strong>de</strong>r 1957 im Zuge <strong>de</strong>r Wollweber-Ablösung<br />

zur Objektverwaltung Wismut abgeschoben, 1960 nach disziplinarischen Verfehlungen<br />

<strong>de</strong>gradiert wur<strong>de</strong> und dann noch sechs Jahre lang als OibE Ka<strong>de</strong>rleiter im Kombinat<br />

Schwarze Pumpe war. 65<br />

Tabelle 1: Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz (Ist-Bestand absolut/Anteil am Gesamtka<strong>de</strong>r-<br />

bestand) 66<br />

Jahr absolut in Prozent<br />

1963 263 1,0<br />

1973 1.490 2,8<br />

1983 3.471 4,2<br />

1989 2.232 2,4<br />

<strong>Die</strong> OibE arbeiteten in <strong>de</strong>r Regel aus Sicht <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS als "Einzelkämpfer", waren also nicht in<br />

die Kontrollmechanismen eines "tschekistischen Arbeitskollektivs" eingebun<strong>de</strong>n, woraus beson<strong>de</strong>rs<br />

hohe Anfor<strong>de</strong>rungen hinsichtlich ihrer i<strong>de</strong>ologischen Standfestigkeit erwuchsen. Sie<br />

sollten sich unter an<strong>de</strong>rem durch "bewiesene Treue und Ergebenheit zur Partei <strong>de</strong>r Arbeiterklasse<br />

und feste Verbun<strong>de</strong>nheit mit <strong>de</strong>m MfS auszeichnen", selbständig und eigenverantwortlich<br />

ihre Aufgaben lösen sowie "unter allen Lagebedingungen persönlich unantastbar", also gegen<br />

materielle wie geistige feindliche Einflüsse resistent sein. 67 Zum Einsatz als OibE kamen<br />

längergediente Berufsoffiziere, aber auch Inoffizielle <strong>Mitarbeiter</strong>, die sich als Perspektivka<strong>de</strong>r<br />

bewährt hatten und <strong>de</strong>ren Aufgabengebiet einen direkten Übergang zum Einsatz als OibE -<br />

gewissermaßen als Beför<strong>de</strong>rung - nahelegte, sowie sonstige Einstellungskandidaten. Ein OibE-<br />

Einsatz unmittelbar bei Einstellung erleichterte die Legendierung und ergab sich häufig aus<br />

<strong>de</strong>m vorherigen Tätigkeitsfeld <strong><strong>de</strong>s</strong> Kandidaten, schuf aber Probleme hinsichtlich <strong>de</strong>r inneren<br />

Bindung an das MfS. Im Jahre 1977 setzten sie sich zusammen aus 35 Prozent OibE, die be-<br />

65 Brandur u.a.: OibE, S. 12; Ka<strong>de</strong>rakte Otto Last; <strong>BStU</strong>, ZA, KS 274/66; Zentralkarteikarte Otto Last; <strong>BStU</strong>,<br />

ZA; Brief von Grete Last an Mielke vom 27.12.1960 und Brief von Otto Last an Mielke vom 26.3.1961;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1404, Bl. 13-14.<br />

66 Siehe Statistischer Anhang.<br />

67 OibE-Ordnung 1986, S. 4.


26<br />

reits langjährig in ihrem konspirativen Einsatz waren, 32 Prozent aus <strong>de</strong>m normalen MfS-<br />

<strong>Die</strong>nst zum OibE-Einsatz Abkommandierten, 21 Prozent vorherigen IM und 12 Prozent "DDR-<br />

Bürger[n], die noch nicht mit <strong>de</strong>m MfS zusammengearbeitet haben, jedoch mit ausgeprägten<br />

einsatzobjekt-spezifischen politisch-fachlichen Kenntnissen" ausgestattet waren. 68 Mit Erlaß<br />

<strong>de</strong>r OibE-Ordnung von 1986 wur<strong>de</strong> ein Einsatz ohne vorherige IM-Zusammenarbeit o<strong>de</strong>r<br />

<strong>hauptamtlichen</strong> MfS-<strong>Die</strong>nst ausgeschlossen. 69<br />

3.3. U-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

<strong>Die</strong> U-<strong>Mitarbeiter</strong> waren Berufsoffiziere <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, die unter strengster - auch MfS-interner -<br />

Konspiration beson<strong>de</strong>re Aufgaben zu erfüllen hatten. Sie durften Objekte <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS nicht betreten<br />

und nicht als MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> in Erscheinung treten. Zu diesem Zweck wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel<br />

Einstellungskandidaten, die zuvor als Perspektivka<strong>de</strong>r ihre Zuverlässigkeit bewiesen hatten,<br />

direkt als U-<strong>Mitarbeiter</strong> eingesetzt. Legendiert waren sie in <strong>de</strong>r Regel durch ein Scheindienstverhältnis<br />

bei Organen <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Innern (MdI) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r NVA. Der höchste bislang<br />

bekannte <strong>Die</strong>nstgrad war Major. Formell geregelt wur<strong>de</strong>n die Beson<strong>de</strong>rheiten ihrer Tätigkeit<br />

erstmals durch die im Juni 1986 in Kraft gesetzte U-<strong>Mitarbeiter</strong>-Ordnung, entsprechen<strong>de</strong> <strong>Mitarbeiter</strong><br />

gab es aber schon seit <strong>de</strong>n fünfziger Jahren. 70<br />

Der Einsatz erfolgte auf zwei Gebieten:<br />

Zum einen gab es U-<strong>Mitarbeiter</strong> in <strong>de</strong>r Hauptabteilung VIII und <strong>de</strong>n Abteilungen VIII<br />

(Beobachtung und Ermittlung) sowie <strong>de</strong>n Abteilungen II (Spionageabwehr) einiger Bezirksverwaltungen.<br />

Sie sollten Personenbeobachtungen durchführen, bei <strong>de</strong>nen die MfS-Zugehörigkeit<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Beobachters auf keinen Fall erkennbar sein durfte, insbeson<strong>de</strong>re bei Operationen zur<br />

Abwehr von Spionageaktionen gegen das MfS, gegen <strong>Mitarbeiter</strong> hoher staatlicher Stellen <strong>de</strong>r<br />

DDR sowie Angehörige <strong>de</strong>r bewaffneten Organe, die selbst berechtigt waren, Personen zu<br />

überprüfen. 71<br />

68 Brandur u.a.: OibE, S. 47.<br />

69 OibE-Ordnung 1968; Punkt 1.2.1.3.; OibE-Ordnung 1986, S. 6.<br />

70 In <strong>de</strong>n MfS-Dokumenten erfolgt keine explizite Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong> Begriffs. <strong>Die</strong> U-<strong>Mitarbeiter</strong> wer<strong>de</strong>n aber als<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>finiert, <strong>de</strong>ren Zugehörigkeit zum MfS weitgehend "unbekannt" ist. Ordnung 10/86 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers<br />

über <strong>de</strong>n Einsatz von U-<strong>Mitarbeiter</strong>n im Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit - U-<strong>Mitarbeiter</strong>-Ordnung;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103284; Anweisung VIII/6/82 <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r HA VIII zur Regelung von Verfahrensweisen<br />

bei <strong>de</strong>r Sicherung <strong>de</strong>r medizinischen Betreuung von Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> U-Bereiches sowie von <strong>hauptamtlichen</strong><br />

inoffiziellen <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong>de</strong>r Hauptabteilung VIII; <strong>BStU</strong>, ZA, HA VIII 565, Bl. 444-451; Protokoll über die<br />

<strong>Die</strong>nstbesprechung in <strong>de</strong>r Abteilung VIII am 23.1.1957; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1920, Bl. 105-110, hier S. 109-110;<br />

HA KuSch, Bericht über Ka<strong>de</strong>rfragen an das Kollegium am 18.8.1958; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1554 (künftig:<br />

Bericht 1958), Bl. 231-255, hier Bl. 256; vgl. David Gill und Ulrich Schröter, Das Ministerium <strong>für</strong><br />

Staatssicherheit. Anatomie <strong><strong>de</strong>s</strong> Mielke-Imperiums, Berlin 1991 (künftig: Gill/Schröter: Ministerium), S. 121-<br />

122.<br />

71 Leiter <strong>de</strong>r HA VIII vom 24.7.1986, Orientierung zum Einsatz von U-<strong>Mitarbeiter</strong>n in <strong>de</strong>n Arbeitsprozessen <strong>de</strong>r<br />

Linie VIII in Durchsetzung <strong>de</strong>r Ordnung 10/86 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers, (künftig: Orientierung); <strong>BStU</strong>, ZA, HA VIII<br />

565, Bl. 147-153.


27<br />

Zum an<strong>de</strong>ren wur<strong>de</strong>n sie zur Observation von in Verdacht geratenen MfS-Angehörigen und<br />

ehemaligen MfS-Angehörigen eingesetzt. <strong>Die</strong>se U-<strong>Mitarbeiter</strong> waren in <strong>de</strong>r Abteilung 4 <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Bereichs Disziplinar <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung (sowie einer in <strong>de</strong>r Abteilung<br />

Ka<strong>de</strong>r und Schulung <strong>de</strong>r Bezirksverwaltung Halle) angesie<strong>de</strong>lt. Sie wur<strong>de</strong>n erst 1989 als U-<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> geführt, zuvor waren sie als OibE eingestuft. 72<br />

Tabelle 2: U-<strong>Mitarbeiter</strong> 1986 bis 1989 (Ist-Bestand absolut) 73<br />

<strong>Die</strong>nsteinheit Abteilung 1986 1987 1988 1989<br />

HA KuSch Abteilung Disziplinar 4 - - - 50<br />

HA VIII Abteilung 1 k.A. k.A. k.A. 59<br />

BV Schwerin Abteilung II - 3 3 -<br />

Abteilung VIII 28 22 22 -<br />

BV Potsdam Abteilung II 19 - - -<br />

Abteilung VIII 103 - - -<br />

KD Potsdam 1 - - -<br />

BV Frankfurt Abteilung VIII 12 12 - -<br />

BV Cottbus Abteilung VIII 17 17 - -<br />

BV Halle Abteilung KuSch - - 1 1<br />

KD Zeitz - 2 3 3<br />

BV Suhl Abteilung VIII 8 - - -<br />

BV Dres<strong>de</strong>n Abteilung VIII 6 14 14 14<br />

BV Karl-Marx-Stadt Abteilung VIII 18 18 16 16<br />

BV Berlin Abteilung VIII 57 - - -<br />

gesamt 269 88 59 143<br />

nachrichtlich: Planstellen 230 184 184 132<br />

Nach <strong>de</strong>m Erlaß <strong>de</strong>r U-<strong>Mitarbeiter</strong>-Ordnung wur<strong>de</strong> zunächst eine Vielzahl von entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Planstellen eingerichtet. Im September 1986 waren dies 468, bis Dezember <strong><strong>de</strong>s</strong>selben Jahres<br />

wur<strong>de</strong> ihre Zahl aber auf 230 reduziert und ging auch in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahren stetig zurück.<br />

Analog sank auch die Zahl <strong>de</strong>r tatsächlich vorhan<strong>de</strong>nen U-<strong>Mitarbeiter</strong>, nur im Jahr 1989 stieg<br />

sie infolge <strong>de</strong>r Neuaufnahme <strong>de</strong>r 50 U-<strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Bereiches Disziplinar <strong>de</strong>r Hauptabteilung<br />

Ka<strong>de</strong>r und Schulung wie<strong>de</strong>r an. Der Grund <strong>für</strong> diese Entwicklung lag in <strong>de</strong>r aufwendigen<br />

Legendierung <strong>de</strong>r U-<strong>Mitarbeiter</strong>. So wur<strong>de</strong> es zum Beispiel ausdrücklich untersagt, U-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

zur Bearbeitung <strong>de</strong>r westlichen Militärmissionen o<strong>de</strong>r zur Überwachung <strong>de</strong>r Transitwege<br />

einzusetzen. 74<br />

72 U-<strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Bereiches Disziplinar, Hauptsächliche Aufgabenstellung; Strukturschema U-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

[o.A, o.D.]; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch ohne Signatur, unerschlossenes Material.<br />

73 Jeweils 31.12. <strong><strong>de</strong>s</strong> Jahres, 1989 31.10.; zusammengestellt aus: Ka<strong>de</strong>rbestandsmeldungen 1986-1989; <strong>BStU</strong>,<br />

ZA, HA KuSch Abt. Plg. 15 III, unerschlossenes Material; zu <strong>de</strong>n Zahlen <strong>de</strong>r fünfziger Jahre vgl. <strong>de</strong>n<br />

Statistischen Anhang. <strong>Die</strong> U-<strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r HA VIII sind nur im Planstellenbesetzungsnachweis <strong>de</strong>r<br />

Hauptabteilung, nicht aber in <strong>de</strong>n Ka<strong>de</strong>rbestandsmeldungen ausgewiesen, vgl. <strong>Die</strong> Organisationsstruktur <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

<strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit 1989, in: Handbuch 1995 (künftig: Organisationsstruktur MfS) Abschnitt<br />

HA VIII, hrsg. vom <strong>BStU</strong>, Abt. Bildung und Forschung.<br />

74 Orientierung, Bl. 149; Abt.Ka<strong>de</strong>r 9 <strong>de</strong>r HA KuSch, Zuarbeit zu Ausführungen <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r HA Ka<strong>de</strong>r und<br />

Schulung [...] am 5.12.1986; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 19, unerschlossenes Material.


3.4. Soldaten auf Zeit/Unteroffiziere auf Zeit (SaZ/UaZ)<br />

28<br />

Wehrpflichtige, die sich entsprechend <strong>de</strong>m Wehrdienstgesetz <strong>de</strong>r DDR freiwillig zu einer verlängerten<br />

<strong>Die</strong>nstzeit von drei Jahren verpflichteten, konnten im MfS im Wachregiment Berlin<br />

(ab 1967 "Feliks Dzierzynski") sowie in <strong>de</strong>n Wach- und Sicherungseinheiten (WSE) <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen<br />

eingesetzt wer<strong>de</strong>n. Bis 1983 wur<strong>de</strong>n sie als "Soldaten auf Zeit" (SaZ), danach<br />

als "Unteroffiziere auf Zeit" (UaZ) bezeichnet. 75 Das Hauptaufgabengebiet <strong>de</strong>r Zeitsoldaten<br />

lag im Wach- und Sicherungsdienst in <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nstobjekten <strong>de</strong>r Staatssicherheit. Daneben<br />

wur<strong>de</strong>n sie auch als Fach- und Hilfskräfte in <strong>de</strong>n sogenannten sicherstellen<strong>de</strong>n Bereichen (Kfz-<br />

Instandsetzung, Bau, Küchenpersonal, Heizer, Glas- und Gebäu<strong>de</strong>reinigung), vor allem <strong>de</strong>r<br />

Verwaltung Rückwärtige <strong>Die</strong>nste (VRD) eingesetzt.<br />

<strong>Die</strong> Zahl <strong>de</strong>r Zeitsoldaten in <strong>de</strong>n regulären <strong>Die</strong>nsteinheiten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS (außer <strong>de</strong>m Wachregiment)<br />

lag 1973 noch unter 1.000 Mann und wur<strong>de</strong> bis 1980 auf ein dann konstantes Niveau von<br />

etwa 5.500 Mann gesteigert. Obwohl beim Einsatz <strong>de</strong>r Zeitsoldaten aufgrund <strong>de</strong>r damit<br />

einhergehen<strong>de</strong>n Fluktuation erhebliche Sicherheitsbe<strong>de</strong>nken geltend gemacht wur<strong>de</strong>n, sah sich<br />

das MfS gezwungen, zur Deckung seines Personalbedarfs auf diese Kräfte zurückzugreifen,<br />

zumal die kasernierte Unterbringung und die Nutzung <strong>de</strong>r beruflichen Qualifikationen <strong>de</strong>r<br />

Zeitsoldaten <strong>für</strong> das MfS eine günstige Kosten-Nutzen-Relation implizierten. 76 Zur<br />

Kompensation <strong>de</strong>r Sicherheitsrisiken durften SaZ/UaZ nicht im politisch-operativen <strong>Die</strong>nst<br />

eingesetzt wer<strong>de</strong>n und keine Kenntnisse über operative Vorgänge <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS gewinnen. Daneben<br />

stellten die Zeitsoldaten ein be<strong>de</strong>utsames Ka<strong>de</strong>rreservoir <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Nachwuchs an Berufssoldaten<br />

dar.<br />

3.5. Angehörige <strong>de</strong>r Deutschen Grenzpolizei, Transportpolizei und Bereitschaftspolizei<br />

(bis 1957)<br />

Seit seiner Gründung bis 1957 verfügte das MfS über paramilitärische Polizeitruppen, die bis<br />

1955 als "Wachbataillone" in <strong>de</strong>n (ehemaligen) Lan<strong><strong>de</strong>s</strong>hauptstädten, dann als "Innere Truppen",<br />

schließlich ab 1956 unter <strong>de</strong>r Bezeichnung "Bereitschaftspolizei" geführt wur<strong>de</strong>n. Sie<br />

hatten vor <strong>de</strong>r Unterstellung unter das Ministerium <strong><strong>de</strong>s</strong> Innern im Jahre 1957 etwa eine Stärke<br />

von 18.500 Mann. Von 1952 bis 1953, sowie von 1955 bis 1957 unterstan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m MfS außer<strong>de</strong>m<br />

die Deutsche Grenzpolizei sowie von 1952 bis 1957 die Transportpolizei. <strong>Die</strong>ser - mit <strong>de</strong>n<br />

Worten Wollwebers - "militärische Apparat" umfaßte 1955 etwa "50.000 Mann", 1957 nach<br />

75 <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung 1983, § 19-24.<br />

76 Forschungsarbeit innere Sicherheit (siehe Anm. 30), Abschnitt 2.7, S. 1. Zu <strong>de</strong>n Zahlenangaben siehe Statistischer<br />

Anhang.


29<br />

westlichen Schätzungen ca. 65.000 Mann. 77 Nähere Angaben über die Angehörigen dieser<br />

Formationen liegen <strong>de</strong>rzeit, von einigen Einzelinformationen abgesehen, nicht vor.<br />

3.6. Zivilbeschäftigte<br />

Neben <strong>de</strong>n militärischen Angehörigen arbeiteten <strong>für</strong> die Staatssicherheit auch Zivilbeschäftigte.<br />

Es han<strong>de</strong>lte sich dabei überwiegend um Handwerker und Hilfskräfte, zum Beispiel Küchenhil-<br />

fen, Hausmeister in Ferienobjekten, Kellner, Krankenschwestern in <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>reinrichtungen<br />

und an<strong>de</strong>ren. 1960 aber wur<strong>de</strong> bereits ein Teil <strong>de</strong>r bis dahin tätigen Zivilangestellten "aus<br />

Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r erhöhten Wachsamkeit" in ein militärisches <strong>Die</strong>nstverhältnis übernommen. <strong>Die</strong>s<br />

traf vor allem <strong>Mitarbeiter</strong>, die mit "Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten an und in <strong>de</strong>n<br />

<strong>Die</strong>nstobjekten" betraut waren, zum Beispiel Maurer, Maler, Heizungsmonteure usw. 78 Seit<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r fünfziger Jahre stieg die Zahl <strong>de</strong>r Zivilbeschäftigten, En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r sechziger Jahre bis<br />

Anfang <strong>de</strong>r siebziger Jahre erreichte sie ihren relativen (1969: 5,4 Prozent <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>) und<br />

absoluten (1973: 2.658) Spitzenwert. Mit <strong>de</strong>m Jahresplan 1976 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bestand massiv abgebaut<br />

und die überwiegen<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> als Berufssoldaten attestiert. Von 1975 bis<br />

1977 sank die Zahl von 2.480 auf 491 zivile <strong>Mitarbeiter</strong> und fiel dann weiter bis auf einen<br />

Stand von 185 (1989). 79<br />

An die Zivilbeschäftigten wur<strong>de</strong>n weniger strenge ka<strong>de</strong>rpolitische Anfor<strong>de</strong>rungen gerichtet;<br />

unter an<strong>de</strong>rem mußten sie nicht Mitglied <strong>de</strong>r SED sein. Sie waren im FDGB organisiert, <strong>de</strong>r<br />

seit <strong>de</strong>n siebziger Jahren über eine eigene Kreisorganisation im MfS verfügte; ihre Bezahlung<br />

war in einem eigenen Rahmenkollektivvertrag geregelt. 80<br />

77 Das wörtliche Zitat und die Zahl <strong>für</strong> 1955 in: Referat <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssekretärs auf <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstbesprechung am<br />

5.8.1955; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1921, Bl. 75; die an<strong>de</strong>ren Zahlen nach: Fritz Kopp, Chronik <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rbewaffnung<br />

in Deutschland, Köln 1958 (künftig: Kopp: Chronik <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rbewaffnung), S. 33, 35, 37. <strong>Die</strong> Bereitschaftspolizei<br />

ist mit <strong>de</strong>m vor 1952 existenten KVP-Vorläufer, <strong>de</strong>n VP-Bereitschaften, nicht i<strong>de</strong>ntisch; vgl.<br />

Jörn Steike: <strong>Die</strong> Bereitschaftspolizei <strong>de</strong>r DDR 1950 - 1990: Geschichte - Struktur - Aufgaben - rechtliche<br />

Ausgestaltung, München 1992; Zur Grenzpolizei vgl. Peter Joachim Lapp: Frontdienst im Frie<strong>de</strong>n - <strong>Die</strong><br />

Grenztruppen <strong>de</strong>r DDR. Entwicklung - Struktur - Aufgaben, 2. überarb. u. aktual. Aufl. Koblenz 1987, S. 8-<br />

16.<br />

78 Anordnung 9/60 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers zur Attestierung von Zivilangestellten und neueinzustellen<strong>de</strong>n Arbeitskräften<br />

<strong>für</strong> bestimmte Berufsgruppen im MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101265.<br />

79 AIG <strong>de</strong>r HA KuSch vom 18.11.1976, Einschätzung <strong>de</strong>r Ergebnisse, Erfahrungen und Probleme bei <strong>de</strong>r Umwandlung<br />

von Planstellen <strong>für</strong> Zivilbeschäftigte in Planstellen <strong>für</strong> Berufssoldaten und <strong>de</strong>r Übernahme von<br />

Zivilbeschäftigten in das <strong>Die</strong>nstverhältnis Berufssoldat; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 29; Zahlenangaben siehe<br />

Statistischer Anhang.<br />

80 Grundsätze <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers <strong>für</strong> die Arbeit mit <strong>de</strong>n Zivilbeschäftigten im MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102239, hier S. 8;<br />

Rahmenkollektivvertrag <strong>für</strong> die Zivilbeschäftigten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS vom 1.9.1969; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101457;<br />

Neufassung vom 28.12.1978; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102641.


4. Schulung<br />

30<br />

Schulung war eines <strong>de</strong>r zentralen Dauerthemen <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rarbeit <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS. Ausgehend vom<br />

Grundprinzip <strong>de</strong>r "Einheit von Schulung und Erziehung" 81 bezog sie ihren Stellenwert aus <strong>de</strong>n<br />

ständigen Anstrengungen zur Steigerung <strong><strong>de</strong>s</strong> politisch-i<strong>de</strong>ologischen und geheimdienstlichen<br />

Niveaus <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>. Am Anfang dieser Bemühungen stand ein extrem niedriger Standard<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> geheimdienstlichen Know-hows und <strong>de</strong>r Allgemeinbildung, aber auch die Kenntnisse <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Marxismus-Leninismus waren in <strong>de</strong>r Nachkriegszeit eher oberflächlich und auf die jeweiligen<br />

Tagesparolen sowie die Kenntnis einiger kanonisierter Werke wie Stalins "Kurzen Lehrgang"<br />

beschränkt. Im Gegensatz zu an<strong>de</strong>ren Bereichen <strong>de</strong>r frühen DDR, wie etwa <strong>de</strong>r KVP/NVA,<br />

wur<strong>de</strong> im MfS auf die Zuhilfenahme von "bürgerlichen" Spezialisten zur Vermittlung von geheimpolizeilichen<br />

Fachkenntnissen verzichtet. Basiswissen wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n wenigen erfahrenen<br />

kommunistischen Geheimdienstlern und <strong>de</strong>n sowjetischen "Beratern" vermittelt. Allerdings hat<br />

es nach heutigem Erkenntnisstand keine organisierte Schulung <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> durch sowjetische<br />

Geheimdienstspezialisten gegeben, abgesehen von <strong>de</strong>r Delegierung von etwa 100<br />

leiten<strong>de</strong>n Ka<strong>de</strong>rn 1955/56 zu einem Einjahreslehrgang an die Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> KGB. Vielmehr<br />

bil<strong>de</strong>ten die "sowjetischen Freun<strong>de</strong>", wie es im internen Studienmaterial zur Geschichte <strong>de</strong>r<br />

Staatssicherheit heißt, in <strong>de</strong>r praktischen Arbeit <strong>de</strong>r ersten Jahre einen "Stamm bewährter<br />

Leiter" aus, von <strong>de</strong>nen "die Erfahrensten" dann mit <strong>de</strong>r "Durchführung <strong>de</strong>r wöchentlichen<br />

Fachschulung" beauftragt wur<strong>de</strong>n. 82<br />

Ein weiterer Grundsatz <strong>de</strong>r Schulungsarbeit wur<strong>de</strong> formelhaft unter <strong>de</strong>r "Einheit von Theorie<br />

und Praxis" 83 gefaßt. <strong>Die</strong> Aus- und Weiterbildung sollte in engem Bezug zur operativen Arbeit<br />

stehen. Praktisch be<strong>de</strong>utete dies, daß arbeitsbegleiten<strong>de</strong> Schulungsformen wie Fernstudium,<br />

Selbststudium usw. einen hohen Stellenwert gegenüber einem längeren Direktstudium außerhalb<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> regulären MfS-<strong>Die</strong>nstes genossen. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> Wert darauf gelegt, einerseits die<br />

Leiter von <strong>Die</strong>nsteinheiten zur Ausarbeitung von Lektionen, Vorlesungen usw. in die <strong>Mitarbeiter</strong>schulung<br />

einzubeziehen, an<strong>de</strong>rerseits das Lehrpersonal <strong>de</strong>r MfS-eigenen Schulen an <strong>de</strong>r operativen<br />

Arbeit teilhaben zu lassen. 84 Zumin<strong><strong>de</strong>s</strong>t letzteres wur<strong>de</strong> allerdings nur begrenzt realisiert.<br />

<strong>Die</strong> Professoren und an<strong>de</strong>ren Lehrer <strong>de</strong>r Juristischen Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS kooperierten in<br />

Forschung und Lehre zwar eng mit <strong>de</strong>n operativen <strong>Die</strong>nsteinheiten, ein Einsatz außerhalb <strong>de</strong>r<br />

mit <strong>de</strong>m Nimbus <strong><strong>de</strong>s</strong> "Elfenbeinturms" behafteten Potsdamer Lehranstalt war aber selten und<br />

wur<strong>de</strong> zuweilen als disziplinarische Bewährung, gewissermaßen "in <strong>de</strong>r Produktion", verstan<strong>de</strong>n.<br />

81 [Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch], Disposition zum Erfahrungsaustausch mit Führungska<strong>de</strong>rn <strong><strong>de</strong>s</strong> KfS über die Durchsetzung<br />

<strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rpolitik <strong>de</strong>r Partei im MfS, 14. bis 19.10.1985; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 2, S. 64<br />

(künftig: Erfahrungsaustausch KfS 1985).<br />

82 Vgl. Gieseke: <strong>Die</strong> Hauptamtlichen 1962, S. 18; Studienmaterial zur Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, Teil IV, S. 66 und<br />

68.<br />

83 Erfahrungsaustausch KfS 1985, S. 64.<br />

84 <strong>Die</strong>nstordnung <strong><strong>de</strong>s</strong> StfS vom 1.10.1954; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100935, Abschnitt XV: Fachunterricht.


4.1. Schulungsinhalte<br />

31<br />

Inhaltlich umfaßte die Schulung <strong>de</strong>r <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> vier Richtungen:<br />

Marxistisch-leninistische Politschulung: <strong>Die</strong> Politschulung wur<strong>de</strong> in enger Kooperation mit <strong>de</strong>r<br />

SED-Parteiorganisation im MfS organisiert und fand vor allem im Parteilehrjahr sowie mittels<br />

Delegierungen zu Kreis- und Bezirksparteischulen sowie <strong>de</strong>r Parteihochschule "Karl Marx"<br />

statt. Zusätzlich unterhielt die SED im MfS eine eigene Parteischule. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong><br />

Marxismus-Leninismus in allen Ausbildungsgängen <strong>de</strong>r MfS-Schulen unterrichtet. Entsprechen<strong>de</strong><br />

Abschlüsse waren Voraussetzung <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Aufstieg in bestimmte Leitungspositionen.<br />

In <strong>de</strong>n Anfangsjahren war <strong>de</strong>r Aufbau einer geson<strong>de</strong>rten politischen Schulung durchaus<br />

umstritten, da sich aus <strong>de</strong>m tschekistischen Verständnis eine enge Verknüpfung von geheimdienstlicher<br />

und politischer Ausbildung ergab. 85 Theorie und operative Praxis sollten<br />

Hand in Hand gehen, wie es in einer Einschätzung <strong><strong>de</strong>s</strong> Bildungsniveaus aus <strong>de</strong>m Jahre 1963<br />

heißt:<br />

"Bei <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Grundausbildung in <strong>de</strong>r marxistisch-leninistischen Philosophie<br />

[wird] Wert darauf gelegt, daß die Kursanten die Fähigkeit erwerben, feindliche<br />

Auffassungen in ihrem Wesen zu erkennen, ihre Rolle in <strong>de</strong>r politisch-i<strong>de</strong>ologischen Diversion<br />

einzuschätzen vermögen und sich mit ihnen wissenschaftlich polemisch ausein-<br />

an<strong>de</strong>rzusetzen." 86<br />

<strong>Die</strong> Politschulung diente vor allem <strong>de</strong>r Feindbildvermittlung und <strong>de</strong>r Erläuterung <strong>de</strong>r offiziellen<br />

parteilichen Sichtweise aktueller Ereignisse und Entwicklungen. In <strong>de</strong>n ersten Jahren wur<strong>de</strong><br />

etwa die Hälfte <strong>de</strong>r Unterrichtszeit an <strong>de</strong>n Schulen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS <strong>für</strong> Politschulung aufgewen<strong>de</strong>t,<br />

später sank <strong>de</strong>r Anteil gegenüber <strong>de</strong>r Fachschulung, blieb aber immer von zentraler Be<strong>de</strong>utung.<br />

So schlug Minister Wollweber 1957 vor, an <strong>de</strong>r Schule <strong>de</strong>r Hauptabteilung VIII<br />

(Beobachtung/Ermittlung), wo die <strong>Mitarbeiter</strong> in erster Linie Observationstechniken erlernen<br />

sollten, <strong>de</strong>n Anteil <strong>de</strong>r ML-Schulung "auf ein Drittel" zu reduzieren sowie <strong>de</strong>n Lehrplan von<br />

theoretischen Inhalten zu entrümpeln und aktuelle Themen in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund zu rücken. 1989<br />

betrug <strong>de</strong>r Anteil <strong><strong>de</strong>s</strong> "marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums" und <strong><strong>de</strong>s</strong> "Studiums <strong>de</strong>r<br />

Parteibeschlüsse" in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Studienplänen und Lehrprogrammen ebenfalls ein<br />

Drittel. 87<br />

Fachausbildung: <strong>Die</strong>ser Begriff umfaßte alle Schulungsmaßnahmen, die mit <strong>de</strong>r geheimpolizeilichen<br />

und geheimdienstlichen Arbeit <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS zusammenhingen. Entsprechend <strong>de</strong>m breiten<br />

Spektrum <strong>de</strong>r MfS-Aufgaben gab es in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Linien unterschiedliche Schulungsinhalte.<br />

So verfügte die Hauptverwaltung Aufklärung seit ihrer Gründung als<br />

85 Protokoll <strong>de</strong>r 23. Kollegiumssitzung am 17.1.1956; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1901, Bl. 131-132.<br />

86 HA KuSch vom Dezember 1963, Bürovorlage: Einschätzung <strong><strong>de</strong>s</strong> Bildungsniveaus im MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, HA<br />

KuSch AKG 48, S. 3.<br />

87 Protokoll <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstbesprechung in <strong>de</strong>r Abteilung VIII am 23.1.1957; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1920, Bl. 109; Erfahrungsaustausch<br />

KfS 1989, S. 55.


32<br />

"Außenpolitischer Nachrichtendienst" 1951 über eine eigene Schule zur Ausbildung in <strong>de</strong>r<br />

Auslandsspionage, ebenso gab es in einigen an<strong>de</strong>ren <strong>Die</strong>nsteinheiten eigene Schulen. Das zentrale<br />

Thema in <strong>de</strong>n operativen <strong>Die</strong>nsteinheiten war die Arbeit mit <strong>de</strong>n Inoffiziellen <strong>Mitarbeiter</strong>n,<br />

von allgemeinen Grundsätzen bis zu <strong>de</strong>n Spezifika <strong>de</strong>r jeweiligen Abteilungen, also zum<br />

Beispiel Problemen bei <strong>de</strong>r Führung von IM, die zur Bekämpfung <strong>de</strong>r "politisch-i<strong>de</strong>ologischen<br />

Diversion" eingesetzt wur<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r IM-Anleitung zur Ermittlung von Antragstellern auf<br />

Ausreise aus <strong>de</strong>r DDR. <strong>Die</strong>se Spezialthemen wur<strong>de</strong>n auch in <strong>de</strong>r sogenannten Breitenschulung,<br />

also <strong>de</strong>n regelmäßigen Schulungen im laufen<strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nstbetrieb unterrichtet. Daneben gab es<br />

auch übergreifen<strong>de</strong> Themen wie zum Beispiel 1958 das Strafrechtsergänzungsgesetz, das in<br />

allen <strong>Die</strong>nsteinheiten gelehrt wur<strong>de</strong>. 88<br />

Allgemeinbildung und Berufsausbildung: Angesichts <strong><strong>de</strong>s</strong> niedrigen Bildungsstan<strong><strong>de</strong>s</strong> wur<strong>de</strong>, vor<br />

allem in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren, das Augenmerk auch auf die Allgemeinbildung <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong><br />

gerichtet. So wur<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Schule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS in Eiche 1954 noch Deutsch-Unterricht <strong>für</strong> die<br />

Lehrgangsteilnehmer erteilt. Mit <strong>de</strong>r Steigerung <strong><strong>de</strong>s</strong> Niveaus unter <strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>n und <strong>de</strong>r<br />

zunehmen<strong>de</strong>n Rekrutierung von Abiturienten sowie Hoch- und Fachschulabsolventen verlor<br />

diese Basisschulung an Be<strong>de</strong>utung. Den letzten entsprechen<strong>de</strong>n Kursus bot die Hauptabteilung<br />

Ka<strong>de</strong>r und Schulung 1965 mit "Konsultationslehrgängen Deutsche Sprache und Literatur" sowie<br />

einem "Lehrgang mündlicher und schriftlicher Ausdruck" an. 89 Seit <strong>de</strong>n sechziger Jahren<br />

legte das MfS Wert darauf, seine Ausbildungsgänge so zu gestalten, daß diese kompatibel mit<br />

<strong>de</strong>m "einheitlichen sozialistischen Bildungssystem" <strong>de</strong>r DDR waren.<br />

Militärische Ausbildung: Nach<strong>de</strong>m 1957 die militärischen Verbän<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS <strong>de</strong>m Ministerium<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Innern unterstellt wor<strong>de</strong>n waren, begann in <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nsteinheiten auch eine systematische<br />

militärische Ausbildung <strong>für</strong> alle Unteroffiziere und Offiziere bis zum 40. Lebensjahr, die vor<br />

allem die Ausbildung an <strong>de</strong>r Waffe und <strong>Die</strong>nstsport umfaßte. 90 Neben dieser Grundausbildung<br />

wur<strong>de</strong>n die <strong>Mitarbeiter</strong> mit einer "militärisch-tschekistischen Einzelkämpferausbildung" o<strong>de</strong>r<br />

mit einer militärischen Spezialausbildung versehen, die vor allem auf Bürgerkriegsbedingungen,<br />

Sabotageakte im Hinterland u.ä. ausgerichtet war (Fallschirmspringen, Tauchen, Sprengen).<br />

<strong>Die</strong> weiblichen <strong>Mitarbeiter</strong> wur<strong>de</strong>n schwerpunktmäßig, neben Schieß- und Schutzausbildung<br />

sowie <strong>Die</strong>nstsport, mit Sanitäts- und Nachrichtenaufgaben vertraut gemacht. 91<br />

88 Bericht 1958, Bl. 259.<br />

89 HA KuSch vom Januar 1965, Vorläufiger Katalog über die Bildungsmöglichkeiten <strong>de</strong>r Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102238 (künftig: Bildungskatalog 1965), hier Punkt 3.3.1. bis 3.3.3.<br />

90 Befehl 183/57 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers, Militärische Ausbildung <strong>für</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100193. <strong>Die</strong><br />

Altersgrenzen <strong>für</strong> die verschie<strong>de</strong>nen Ausbildungselementen variierten später.<br />

91 <strong>Die</strong>nstanweisung 1/71 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers zur Organisation und Durchführung <strong>de</strong>r militärischen Ausbildung im<br />

MfS in <strong>de</strong>n Jahren 1971 bis 1975; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101081.


4.2. Schulungsformen<br />

33<br />

<strong>Die</strong> Schulung vollzog sich in vielerlei Formen, von <strong>de</strong>r eintägigen Kurzschulung über das in-<br />

dividuelle Selbststudium bis zu mehrjährigen Direktstudiengängen. Dabei lassen sich grob drei<br />

Schulungsarten unterschei<strong>de</strong>n:<br />

− die praxisbegleiten<strong>de</strong> Fach- und Breitenschulung in <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nsteinheiten sowie die monatli-<br />

chen Sitzungen <strong><strong>de</strong>s</strong> SED-Parteilehrjahrs;<br />

− Lehrgänge sowie Direkt-, Fern- und Externstudiengänge an <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Ausbil-<br />

dungsstätten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r "Bildungszentrale unseres <strong>Ministeriums</strong>", <strong>de</strong>r Juri-<br />

stischen Hochschule Potsdam-Eiche; 92<br />

− Teilnahme bzw. Delegierungen zu Lehrgängen und Direktstudiengängen sowie Fernstudien<br />

an Bildungseinrichtungen außerhalb <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS. Hierunter fallen zivile Hoch- und Fachschu-<br />

len <strong>de</strong>r DDR, die Zentrale Bildungsaka<strong>de</strong>mie beim Ministerrat, die Schulen <strong>de</strong>r SED und<br />

FDJ, sowie die Schulen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren bewaffneten Organe wie NVA und DVP, schließlich<br />

entsprechen<strong>de</strong> Ausbildungsstätten in an<strong>de</strong>ren realsozialistischen Län<strong>de</strong>rn, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r<br />

Sowjetunion. 93<br />

Eine beson<strong>de</strong>re Rolle unter diesen Bildungseinrichtungen spielte die Sektion Kriminalistik <strong>de</strong>r<br />

Humboldt-Universität, <strong>de</strong>ren Ausbildungsgang zum Diplomkriminalisten "in Abstimmung mit<br />

<strong>de</strong>m MdI und <strong>de</strong>r Zollverwaltung inhaltlich vom MfS gesteuert" wur<strong>de</strong>. 94 <strong>Die</strong>se Steuerung<br />

wur<strong>de</strong> durch eine Gruppe von MfS-Offizieren im beson<strong>de</strong>ren Einsatz realisiert, die zum aka<strong>de</strong>mischen<br />

Lehrpersonal <strong>de</strong>r Sektion zählten, darunter auch <strong>de</strong>r langjährige Sektionsdirektor<br />

Prof. Dr. Hans-Ehrenfried Stelzer. <strong>Die</strong>se Gruppe wur<strong>de</strong> MfS-intern unter <strong>de</strong>r Bezeichnung<br />

"Sektion K" als eigenständige Unterglie<strong>de</strong>rung <strong><strong>de</strong>s</strong> Bereiches Schulung <strong>de</strong>r Hauptabteilung<br />

Ka<strong>de</strong>r und Schulung mit 25 OibE-Planstellen geführt. 95<br />

92 Re<strong>de</strong> [Mielkes] auf <strong>de</strong>r Festveranstaltung <strong>de</strong>r Juristischen Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS anläßlich <strong><strong>de</strong>s</strong> 75. Geburtstages<br />

Walter Ulbrichts (verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Verleihung <strong><strong>de</strong>s</strong> Promotionsrechts) - Entwurf - vom 21.6.1968; <strong>BStU</strong>,<br />

ZA, ZAIG 4720, Bl. 32. Vgl. <strong>de</strong>n Handbuch-Beitrag zur Juristischen Hochschule von Günter Förster<br />

[erscheint <strong>de</strong>mnächst].<br />

93 Für die sechziger und siebziger Jahre vgl. die Bildungskataloge. Zur Ausbildung im Ausland vgl. Einschätzung<br />

<strong>de</strong>r AIG <strong>de</strong>r HA KuSch vom 12.2.1976, Einschätzung einiger Probleme <strong>de</strong>r Arbeit mit Absolventen<br />

sowjetischer Hochschulen im MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, KuSch AKG 29, unerschlossenes Material.<br />

94 Erfahrungsaustausch KfS 1985, S. 63.<br />

95 Der <strong>Die</strong>nsteinheitenschlüssel lautete 99 40 40. Der Strukturplan weist die Positionen <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r Sektion<br />

und seines Stellvertreters, sowie die Stellen von 2 Lehrstuhlleitern, 4 Dozenten, 13 Hochschullehrern, <strong>de</strong>r<br />

Sekretärin <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters sowie drei weiterer <strong>Mitarbeiter</strong> als MfS-Stellen aus; Struktur- und Stellenplan <strong>de</strong>r<br />

Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung 1989; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Plg. 4 I, unerschlossenes Material, S. 63;<br />

vgl. Rainer Eckert: <strong>Die</strong> Berliner Humboldt-Universität und das Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit, in:<br />

Deutschland Archiv 7 (1993), S. 770-785, hier S. 778, Anm. 53.


34<br />

Abbildung 3: Ausbildungsstätten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS (ohne Parteischulen) 96<br />

Ausbildungsstätten Zeitraum Bemerkungen<br />

Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS (Potsdam-<br />

Eiche)<br />

(1951-55 Schule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, 1955-65<br />

Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, ab 1965<br />

Juristische Hochschule Potsdam -<br />

Eiche [intern: Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS])<br />

1951-89 Hochschulstudium Rechtswissenschaft (und Vorläufer)<br />

ab 1989 auch Fernstudium Staatswissenschaft<br />

Schule Eberswal<strong>de</strong> 1953-55 Qualifizierung <strong>de</strong>r KD- und Referatsleiter<br />

Fachschule Teterow 1956-58 Qualifizierungslehrgänge<br />

Schule Gransee 1958-89 Politisch-operative Grundlehrgänge, Ergänzungsstudium <strong>für</strong><br />

Neueingestellte<br />

Juristische Fachschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS<br />

(Potsdam-Eiche)<br />

Schule <strong>de</strong>r HV A Belzig, ab 1986<br />

Gosen<br />

Schule <strong>de</strong>r HA III "Bruno Beater" bis 1989 Funkausbildung<br />

1970-89 Fachschulstudium Rechts-/Staatswissenschaft<br />

1951-90 Ausbildung <strong>für</strong> Auslandsspionage, Teile <strong><strong>de</strong>s</strong> JHS-Studiums<br />

<strong>für</strong> HVA-Angehörige<br />

Schule <strong>de</strong>r HA KuSch ? Militärische Ausbildung <strong>für</strong> Unteroffiziere<br />

(Fach-)Schule WSE Ahrensfel<strong>de</strong> bis 1989 Ausbildung im Wach- und Sicherungsdienst<br />

Institut <strong>für</strong> Fremdsprachen-<br />

ausbildung Dammsmühle<br />

1967-86 Fremdsprachenausbildung, 1986 mit Schule <strong>de</strong>r HV A<br />

zusammengelegt<br />

Schule <strong>de</strong>r HA VIII 1954-89 Ausbildung zur Beobachtung und Ermittlung<br />

Schule <strong>de</strong>r HA VI bis 1989 Paßkontrollausbildung<br />

Schule <strong>de</strong>r HA II/20 bis 1989 Ausbildung im Missionsschutz<br />

Schule <strong>de</strong>r HA PS bis 1989 Ausbildung im Personenschutz<br />

4.3. Phasen <strong>de</strong>r Schulungspolitik<br />

<strong>Die</strong> Forschung zur schulungspolitischen Entwicklung im MfS steht aufgrund <strong>de</strong>r Vielgestaltigkeit<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> "komplexen System[s] von Bildungswegen und -einrichtungen" 97 erst am Anfang.<br />

Gleichwohl lassen sich - hypothetisch und <strong>de</strong>nkbar grob - vier Phasen unterschei<strong>de</strong>n:<br />

<strong>Die</strong> erste Phase von <strong>de</strong>r Gründung bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r fünfziger Jahre war geprägt von einer politischen,<br />

fachlichen und allgemeinen Grundausbildung <strong>für</strong> die Masse <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>. <strong>Die</strong> Ausbildungsgänge<br />

waren kurz, nicht selten hochgradig improvisiert und immer wie<strong>de</strong>r unterbro-<br />

96 Daneben gab es auch in an<strong>de</strong>ren <strong>Die</strong>nsteinheiten mehr o<strong>de</strong>r weniger formalisierte Ausbildungsstätten; vgl.<br />

Bildungskatalog 1965; Katalog über die Möglichkeiten <strong>de</strong>r Aus- und Weiterbildung <strong>de</strong>r Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

MfS, Dezember 1967; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102238; ebensolche 1971 und 1975; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102237 (künftig:<br />

Bildungskatalog 1971 bzw. 1975); Traditionszimmer (siehe Anm. 22); Organisationsstruktur MfS; zur<br />

Fachschule Teterow: Brief von Mielke an Honecker vom 7.1.1958, Schule Teterow; Honecker an die Abt. <strong>für</strong><br />

Sicherheitsfragen, Stellungnahme zum Schulobjekt Teterow <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; SAPMO-BA, ZPA, 2/12/110, Bl. 8-9<br />

und 14. Zur Parteischulung vgl. <strong>de</strong>n Handbuch-Beitrag zur SED-Parteiorganisation im MfS von Silke<br />

Schumann [erscheint <strong>de</strong>mnächst].<br />

97 Erfahrungsaustausch 1989, S. 49.


35<br />

chen von operativen "Feuerwehreinsätzen". Der Leiter <strong>de</strong>r Schule in Potsdam-Eiche berichtete<br />

1954, daß das Unterrichtsjahr <strong>de</strong>r dortigen Einjahreslehrgänge nur zu zwei Dritteln tatsächlich<br />

stattgefun<strong>de</strong>n hätte, die übrige Zeit wäre durch "Urlaub und längere Einsätze in Berlin" blokkiert<br />

gewesen. 98 Nur allmählich konnte das Leitungspersonal zu ausgiebigeren Lehrgängen geschickt<br />

wer<strong>de</strong>n. 99<br />

Mit <strong>de</strong>r Inkraftsetzung <strong>de</strong>r Perspektivka<strong>de</strong>rrichtlinie und <strong>de</strong>r Ausgabe einer "Arbeitsrichtlinie<br />

<strong>für</strong> die Auswahl und Delegierung von <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS zum Direkt- und Fernstudium an<br />

Hoch- und Fachschulen" im Jahre 1959, <strong>de</strong>r Verlängerung <strong><strong>de</strong>s</strong> JHS-Direktstudiums auf drei<br />

Jahre sowie <strong>de</strong>r Einrichtung eines fünfjährigen Fernstudiums wur<strong>de</strong> eine zweite Phase mit einer<br />

<strong>de</strong>utlichen Annäherung <strong>de</strong>r Ausbildung an das Hochschulniveau eingeleitet (zweite Phase). In<br />

<strong>de</strong>r ersten Hälfte <strong>de</strong>r sechziger Jahre wur<strong>de</strong>n im Fernstudium vor allem die Leitungska<strong>de</strong>r wie<br />

Kreisdienststellen- o<strong>de</strong>r Abteilungsleiter einer systematischen Ausbildung unterzogen.<br />

Formaler Ausdruck dieser "Aka<strong>de</strong>misierung" <strong>de</strong>r Schulungsarbeit war die offizielle Verleihung<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Titels einer "Hochschule <strong>für</strong> die juristische Ausbildung" durch das Staatssekretariat <strong>für</strong><br />

Hoch- und Fachschulwesen im Jahre 1965 an die seit 1955 (etwas voreilig) schon intern so bezeichnete<br />

Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS. 100<br />

In das Jahr 1965 fällt auch ein wichtiges Signal zur Systematisierung <strong>de</strong>r Schulungsanstrengungen<br />

und damit <strong>de</strong>r Übergang zu einer dritten Phase: Mit <strong>de</strong>r Anweisung zur Erarbeitung<br />

von Ka<strong>de</strong>rprogrammen, die die individuellen Aus- und Weiterbildungsanfor<strong>de</strong>rungen <strong>für</strong> je<strong>de</strong>n<br />

Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS festschreiben sollten, wur<strong>de</strong> eine neue Qualität <strong>de</strong>r Qualifizierungspolitik<br />

erreicht. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> seit 1968 auch die zweite Aka<strong>de</strong>misierungsetappe in Angriff genommen:<br />

<strong>Die</strong> Juristische Hochschule bekam das Recht, selbst Promotionsverfahren durchzuführen<br />

und konnte so die Qualifikation ihres Lehrpersonals formal hochschulüblichen Standards<br />

angleichen. 101 Wie die zahlreichen Bildungskataloge zeigen, war diese dritte Phase von<br />

einem nachhaltigen Interesse an Aus- und Weiterbildung <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> gekennzeichnet.<br />

<strong>Die</strong> gesamte Entwicklung bis Mitte <strong>de</strong>r siebziger Jahre war von <strong>de</strong>r ka<strong>de</strong>rpolitischen Maxime<br />

einer unabdingbaren Steigerung <strong><strong>de</strong>s</strong> Qualifikationsniveaus gekennzeichnet. In das Jahr 1977<br />

fällt das erste Symptom einer Trendwen<strong>de</strong> zur vierten und letzten Phase. Unter <strong>de</strong>m Stichwort<br />

"Bildungsökonomie" mahnten die Schulungsplaner <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS eine zielgerichtetere und effektivere<br />

Aus- und Weiterbildung <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> an: Es gäbe "nach wie vor (wenn auch nicht allgemein<br />

typisch) solche Erscheinungen [...] wie: schlechthin auszubil<strong>de</strong>n und egal wo und was;<br />

98 Mit weiteren Berichten aus an<strong>de</strong>ren Lehrgängen: [Staatssekretärs <strong>für</strong> Staatssicherheit], Vermerk über die<br />

<strong>Die</strong>nstbesprechung mit Oberstleutnant Bein, Hellwig, Engmann, Becher, Oberst Harnisch und Hauptmann<br />

Rüdiger; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1920, Bl. 6-9, hier Bl. 7.<br />

99 Als Bilanz dieser Phase zu lesen: Bericht 1958; vgl. auch die in <strong>de</strong>r Diktion <strong>de</strong>r MfS-Traditionsarbeit formulierte<br />

Beurteilung in: Studienmaterial zur Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, Teil IV, S. 66.<br />

100 Vgl. Gieseke: Doktoren, S. 3.<br />

101 Ebenda, S. 4; <strong>Die</strong>nstanweisung 6/65 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers, Erarbeitung von Ka<strong>de</strong>rprogrammen im MfS; <strong>BStU</strong>, ZA,<br />

DSt 101061.


36<br />

laufend o<strong>de</strong>r mehrmals befin<strong>de</strong>n sich dieselben Angehörigen in <strong>de</strong>r Ausbildung; nicht in allen<br />

Fällen erfolgt <strong>de</strong>r Einsatz entsprechend <strong>de</strong>r Ausbildung bzw. es wird nach <strong>de</strong>r Ausbildung auch<br />

nicht wirksamer gearbeitet". Im übrigen habe die "Qualifizierung im Prozeß <strong>de</strong>r Arbeit<br />

(Parteilehrjahr, Fachschulung) nach wie vor eine Hauptmetho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erziehung und Befähigung<br />

<strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>r" zu sein, es gehe "in <strong>de</strong>r Bildung <strong>de</strong>r Angehörigen nicht um mehr (keine Anbetung<br />

<strong>de</strong>r Bildung und Schulbesuche), son<strong>de</strong>rn um überlegtere, rationellere und wirksamere Bildungsmaßnahmen".<br />

102 Damit <strong>de</strong>uteten sich die Grenzen <strong><strong>de</strong>s</strong> Wachstums, die in <strong>de</strong>n achtziger<br />

Jahren <strong>für</strong> die Ka<strong>de</strong>rpolitik <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS bestimmend wur<strong>de</strong>n, bereits an. <strong>Die</strong> Aus- und Weiterbildung<br />

sollte "ökonomisch effektiv gestaltet wer<strong>de</strong>n": "zweckmäßigste und kürzeste Bildungswege<br />

- keine Über- und Unterqualifikation zulassen", lautete fortan die Maxime in <strong>de</strong>r Schu-<br />

lungsarbeit. 103<br />

102 Unklarer Satzbau im Original; Abt. Schulung [<strong>de</strong>r HA KuSch] vom September 1977, Zum Problem <strong>de</strong>r Bildungsökonomie<br />

und ihre stärkere Beachtung bei <strong>de</strong>r Planung und Realisierung <strong>de</strong>r Aus- und Weiterbildung<br />

<strong>de</strong>r Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 32, unerschlossenes Material, S. 5, 10 und 27.<br />

103 Erfahrungsaustausch 1989, S. 49.


5. Personalbestand<br />

37<br />

<strong>Die</strong> Zahl <strong>de</strong>r <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS gehörte zu <strong>de</strong>n bestgehüteten Geheimnissen<br />

<strong>de</strong>r DDR. <strong>Die</strong> westlichen Schätzungen <strong>für</strong> die fünfziger Jahre glichen einem Stochern im<br />

Nebel, in <strong>de</strong>n Veröffentlichungen <strong>de</strong>r achtziger Jahren bewegten sich die Vermutungen unter<br />

Berufung auf "Experten", also westliche Geheimdienste, bei etwa 25.000 <strong>Mitarbeiter</strong>n. 104<br />

Offensichtlich ist es <strong>de</strong>r Staatssicherheit gelungen, ihren voluminösen Apparat so geschickt zu<br />

tarnen, daß aus <strong>de</strong>n Angaben von Überläufern nicht einmal die Größenordnung zutreffend<br />

hochgerechnet wur<strong>de</strong>.<br />

Aber auch in <strong>de</strong>r DDR war die Zahl <strong>de</strong>rer, die sich eine Vorstellung vom Umfang <strong><strong>de</strong>s</strong> Apparates<br />

machen konnten, begrenzt. Selbst Erich Honecker will sich mit lapidaren (und unzutreffen<strong>de</strong>n)<br />

Auskünften seines Ministers <strong>für</strong> Staatssicherheit zufrie<strong>de</strong>n gegeben haben:<br />

"Es wird <strong>für</strong> je<strong>de</strong>n überraschend sein, [...] daß [...] we<strong>de</strong>r im Politbüro noch im Nationalen<br />

Verteidigungsrat [...] jemals die personelle Stärke <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />

festgelegt wur<strong>de</strong>, so daß ich die Anzahl <strong>de</strong>r <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>, einschließlich<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments "Feliks Dzierzynski", so ungefähr auf 35.000 <strong>Mitarbeiter</strong><br />

schätzte. Über die Anzahl 85.000 hauptamtlicher und 100.000 ehrenamtlicher <strong>Mitarbeiter</strong><br />

war ich sehr überrascht. [...] Ich fragte Mielke mehrmals, wie stark die Anzahl <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong><br />

<strong>de</strong>r Staatssicherheit ist, um einen Überblick zu bekommen. Und er sagte mir damals:<br />

35.000." 105<br />

<strong>Die</strong>se Aussage erscheint wenig plausibel. Es wäre bei aller Konspiration sehr ungewöhnlich,<br />

wenn das Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit in eigener Verantwortung über die Größe seines<br />

Personalbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> hätte verfügen können. <strong>Die</strong> Eckdaten hinsichtlich <strong>de</strong>r materiellen und<br />

finanziellen Ausstattung waren vermutlich Gegenstand <strong>de</strong>r Gespräche zwischen Honecker und<br />

Mielke, außer<strong>de</strong>m war die Kooperation mit <strong>de</strong>n staatlichen Planungsinstitutionen in einigen<br />

Punkten unabdingbar. Ein Beleg <strong>für</strong> Art und Maß <strong>de</strong>r Behandlung dieser Fragen in <strong>de</strong>r Parteispitze<br />

steht allerdings bislang aus. 106 Der letzte <strong>für</strong> das MfS verantwortliche ZK-Sekretär, Egon<br />

Krenz, bestreitet ebenfalls, die Zahl <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> gekannt, geschweige <strong>de</strong>nn, darüber<br />

entschie<strong>de</strong>n zu haben. 107<br />

104 Vgl. <strong>für</strong> die fünfziger Jahre die Übersicht <strong>de</strong>r Schätzungen in: Gieseke: <strong>Die</strong> Hauptamtlichen 1962, S. 6; <strong>für</strong><br />

die achtziger Jahre: Karl Wilhelm Fricke: <strong>Die</strong> DDR-Staatssicherheit, 2. aktual. Aufl. Köln 1984 (künftig:<br />

Fricke: Staatssicherheit), S. 51.<br />

105 Reinhold An<strong>de</strong>rt und Wolfgang Herzberg: Der Sturz. Erich Honecker im Kreuzverhör, Berlin/Weimar 1990,<br />

S. 369-370.<br />

106 Ausweislich <strong>de</strong>r Protokolle <strong><strong>de</strong>s</strong> Politbüros wur<strong>de</strong> dort über Strukturdaten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS-Innenlebens nicht gesprochen.<br />

Dem ehemaligen Leiter <strong>de</strong>r BV Erfurt zufolge wur<strong>de</strong> Honecker von Mielke über die <strong>Mitarbeiter</strong>zahlen<br />

informiert, die Entscheidungsgewalt lag danach bei Mielke; vgl. Josef Schwarz: Bis zum bitteren En<strong>de</strong>. 35<br />

Jahre im <strong>Die</strong>nste <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit - Eine DDR-Biographie, Schkeuditz 1994, S. 137.<br />

107 Egon Krenz: Wenn Mauern fallen, Wien 1990, S. 124.


38<br />

Inwiefern die Planungsinstanzen <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministerrates, <strong>de</strong>m das MfS ja formal unterstand, einen<br />

Überblick über die finanzielle und materielle Gesamtausstattung <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staats-<br />

sicherheit hatten, ist <strong>de</strong>rzeit nicht abschließend zu beantworten. Gegenüber <strong>de</strong>r Staatlichen<br />

Plankommission genoß das MfS (wie das Ministerium <strong>für</strong> Nationale Verteidigung) eine relative<br />

Planungshoheit; es hatte das Recht, auf <strong>de</strong>r Basis vorgegebener Orientierungsziffern <strong>für</strong> das<br />

Gesamtwachstum eigene Pläne aufzustellen und lediglich Bedarfsmeldungen an die Plankommission<br />

zu geben, die diese wie<strong>de</strong>rum mit Vorrang in <strong>de</strong>n Staatsplan "einzuordnen" hatte. 108<br />

Der Personalbedarf wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Plankommission nicht direkt gemel<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn im Ministerium<br />

<strong>für</strong> Nationale Verteidigung zu einer Gesamtzahl <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Militär- und Sicherheitsbereich zusammengefaßt.<br />

109 Ein 1989 an <strong>de</strong>n Minister <strong>für</strong> Staatssicherheit gerichtetes Ansinnen <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Staatlichen Plankommission auf Herausgabe <strong>de</strong>r Globaldaten zur Arbeitskräfteplanung<br />

und <strong>de</strong>n Personalkosten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n zuständigen ZK-Sekretären Mittag<br />

und Krenz auf Intervention Mielkes hin <strong>für</strong> "gegenstandslos" erklärt. 110<br />

Im Ministerium selbst wur<strong>de</strong> die Zahl <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> getreu <strong>de</strong>m geheimdienstlichen Grundsatz,<br />

daß je<strong>de</strong>r nur soviel wissen dürfe, wie <strong>für</strong> die Erfüllung seiner Aufgaben notwendig sei,<br />

ebenfalls nicht verbreitet. Einen präzisen Gesamtüberblick hatte die Abteilung Planung <strong>de</strong>r<br />

Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung bzw. ihre Vorläufer; dort wur<strong>de</strong> penibel über die Entwicklung<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Personalbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> und seine innere Zusammensetzung Buch geführt. Außer<strong>de</strong>m<br />

verfügte die Soldbuchhaltung <strong>de</strong>r Abteilung Finanzen über entsprechen<strong>de</strong> Daten.<br />

Mit <strong>de</strong>r Auflösung <strong>de</strong>r Staatssicherheit drangen erstmals Zahlen an die Öffentlichkeit. Sie<br />

übertrafen die Schätzungen um ein vielfaches und bewegten sich zwischen 85.000 und 100.000<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>n. Erstere Angabe wur<strong>de</strong> vom Regierungsbeauftragten <strong>für</strong> die Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong> Amtes<br />

<strong>für</strong> Nationale Sicherheit, Peter Koch, am 5. Januar 1990 bekannt gegeben. 111 Sie gab <strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>stand<br />

<strong>für</strong> En<strong>de</strong> November 1989 an, wie ihn die Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung an<br />

<strong>de</strong>n Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> Amtes <strong>für</strong> nationale Sicherheit, Generalleutnant Wolfgang Schwanitz, gemel<strong>de</strong>t<br />

hatte. <strong>Die</strong> im September 1990 auftauchen<strong>de</strong> Schätzung von 100.000 <strong>Mitarbeiter</strong>n beruhte, soweit<br />

rekonstruierbar, auf einer Fortschreibung <strong>de</strong>r Wachstumsraten <strong>de</strong>r Jahre 1973 bis 1982. 112<br />

Auf <strong>de</strong>r Basis einiger Indizien und prozentualer Wachstumsdaten <strong>für</strong> die Jahre nach 1983 ließ<br />

108 Was hinhalten<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Plankommission gegen die For<strong>de</strong>rungen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS nicht ausschloß; vgl.: Wir<br />

waren die Rechner, immer verpönt. Gespräch mit Dr. Gerhard Schürer und Siegfried Wenzel, Berlin 25.2. und<br />

21.5.1993, in: Theo Pirker u.a.: Der Plan als Befehl und Fiktion. Wirtschaftsführung in <strong>de</strong>r DDR, Opla<strong>de</strong>n<br />

1995 (künftig: Pirker u.a.: Plan), S. 67-120, hier S. 107-108.<br />

109 Schreiben <strong>de</strong>r HA KuSch an die ZAIG, OSL [Oberstleutnant] Treischel vom 25.4.1981; <strong>BStU</strong>, ZA, HA<br />

KuSch Ltg. 13, unerschlossenes Material.<br />

110 Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r SPK an <strong>de</strong>n Minister <strong>für</strong> Staatssicherheit vom 9.2.1989, mit Vermerk vom<br />

15.2.1989; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 60, Bl. 13-15.<br />

111 Vgl. Walter Süß: Entmachtung und Verfall <strong>de</strong>r Staatssicherheit. Ein Kapitel aus <strong>de</strong>m Spätherbst 1989; BF<br />

informiert 5/1994, hrsg. vom <strong>BStU</strong>, Abt. Bildung und Forschung, Berlin 1994 (künftig: Süß: Entmachtung),<br />

S. 25.<br />

112 Vgl. Neue Zahlen über Stasi-Bestand, in: Neue Zeit vom 26.9.1990; Anne Worst: Das En<strong>de</strong> eines Geheimdienstes,<br />

Berlin 1991, S. 17; Gill/Schröter: Ministerium, S. 34-35.


39<br />

sich <strong>de</strong>r Zahlenkorridor später noch etwas begrenzen; es ergab sich eine maximale Größe von<br />

etwa 96.000 <strong>Mitarbeiter</strong>n. 113<br />

Abbildung 4: <strong>Mitarbeiter</strong>bestand <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS 1950 bis 1989 114<br />

Anzahl<br />

100000<br />

90000<br />

80000<br />

70000<br />

60000<br />

50000<br />

40000<br />

30000<br />

20000<br />

10000<br />

0<br />

HIM<br />

Wachregiment<br />

Hauptamtl. <strong>Mitarbeiter</strong> (ohne WR u. HIM)<br />

50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89<br />

<strong>Die</strong> Angaben zur Personalentwicklung sind auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rbestandsstatistik, wie<br />

sie in <strong>de</strong>r Abteilung Planung <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung geführt wur<strong>de</strong>, rekonstruiert<br />

wor<strong>de</strong>n (siehe Statistischer Anhang). Für die Jahre vor 1954 liegen keine Originaldaten<br />

vor. <strong>Die</strong> angegebenen Werte <strong>de</strong>r Jahre 1949/50 bis 1953 beruhen auf Schätzungen anhand <strong>de</strong>r<br />

zumin<strong><strong>de</strong>s</strong>t annäherungsweise bekannten Zuwachsraten. 115 Bei <strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>r Daten ist zu<br />

beachten, daß die MfS-eigenen Berechnungsgrundlagen mehrmals verän<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n, was bei<br />

<strong>de</strong>r Erstellung <strong>de</strong>r Statistik nicht vollständig durch Nachberechnungen kompensiert wer<strong>de</strong>n<br />

konnte. <strong>Die</strong> militärischen Formationen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS einschließlich <strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments Berlin sowie<br />

die zeitweilig <strong>de</strong>m MfS unterstellte Deutsche Grenzpolizei und Transportpolizei sind bis 1962<br />

nicht erfaßt. <strong>Die</strong> Daten <strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments ab 1963 wer<strong>de</strong>n daher geson<strong>de</strong>rt ausgewiesen. Ab<br />

1987 sind in <strong>de</strong>n Statistiken auch die <strong>hauptamtlichen</strong> Inoffiziellen <strong>Mitarbeiter</strong> (HIM) geführt,<br />

was einen sprunghaften Anstieg <strong>de</strong>r Gesamtmitarbeiterzahl von 1986 auf 1987 zur Folge hat.<br />

113 Gieseke: <strong>Die</strong> Hauptamtlichen 1962, S. 5; Hansjörg Geiger: Einführung, in: StUG, Stasi-Unterlagen-Gesetz,<br />

(Beck-Texte im dtv), München 1993, S. XIII.<br />

114 Quelle: Ka<strong>de</strong>rbestandsmeldungen, siehe Statistischer Anhang.<br />

115 Näheres vgl. Gieseke: <strong>Die</strong> Hauptamtlichen 1962, S. 7-8. In <strong>de</strong>n MfS-Quellen (Statistiken, Ka<strong>de</strong>rakten usw.)<br />

wird das Jahr 1949 regelmäßig als erstes Jahr <strong>de</strong>r MfS-Existenz aufgeführt. <strong>Die</strong> jeweiligen Angaben beziehen<br />

sich nach <strong>de</strong>rzeitigem Kenntnisstand auf die <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r Hauptverwaltung bzw. <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>rverwaltungen<br />

zum Schutze <strong>de</strong>r Volkswirtschaft, also <strong>de</strong>m direkten institutionellen Vorläufer <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; vgl. die Beiträge im<br />

Handbuch zur Vor- und Frühgeschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS von Monika Tantzscher und Helmut Müller-Enbergs<br />

[erscheint <strong>de</strong>mnächst].


40<br />

<strong>Die</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>zahl <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS unterlag bis zum Amtsantritt Mielkes als Minister 1957 wechsel-<br />

haften Konjunkturen, danach wuchs <strong>de</strong>r Apparat bis Anfang <strong>de</strong>r achtziger Jahre mit bemer-<br />

kenswerter Kontinuität. <strong>Die</strong> folgen<strong>de</strong> Graphik gibt die jährlichen Verän<strong>de</strong>rungen wie<strong>de</strong>r.<br />

Abbildung 5: Verän<strong>de</strong>rung <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>bestan<strong><strong>de</strong>s</strong> zum Vorjahr 1950 bis 1989 (absolut) 116<br />

6000<br />

5000<br />

4000<br />

3000<br />

2000<br />

1000<br />

-1000<br />

0<br />

Wachregiment neu<br />

HIM neu<br />

51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89<br />

In <strong>de</strong>n fünfziger Jahren war die Personalentwicklung relativ starken Schwankungen unterwor-<br />

fen. Zunächst wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Apparat schnell aufgebaut; ein - allerdings nur geschätzter - Spitzenwert<br />

wur<strong>de</strong> 1952 mit einer ungefähren Verdoppelung erreicht. Da<strong>für</strong> waren zwei Grün<strong>de</strong> von<br />

Be<strong>de</strong>utung: Im Vorfeld und Kontext <strong><strong>de</strong>s</strong> auf <strong>de</strong>r 2. Parteikonferenz <strong>de</strong>r SED ausgerufenen<br />

"Aufbaus <strong><strong>de</strong>s</strong> Sozialismus" wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r innenpolitische Kurs verschärft und durch die Bildung<br />

<strong>de</strong>r KVP und <strong>de</strong>r GST die Militarisierung <strong>de</strong>r DDR vorangetrieben. Außer<strong>de</strong>m knüpfte das<br />

MfS im Zuge <strong>de</strong>r Gebietsreform sein territoriales Netz enger und zentralisierte durch die Beseitigung<br />

<strong>de</strong>r letzten fö<strong>de</strong>ralistischen Relikte indirekt <strong>de</strong>n Apparat. An die Stelle <strong>de</strong>r fünf Län<strong>de</strong>rverwaltungen<br />

traten die vierzehn Bezirksverwaltungen (die Verwaltung Groß-Berlin sowie<br />

die seit 1951 bestehen<strong>de</strong> Objektverwaltung Wismut blieben erhalten), außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r<br />

Zahl <strong>de</strong>r Kreise auch die <strong>de</strong>r MfS-<strong>Die</strong>nststellen von 132 auf 217 erhöht und <strong>de</strong>r Personalbestand<br />

zur Besetzung aller Funktionen aufgestockt. 117<br />

116 Für das Jahr 1963 ist das Wachregiment, <strong>für</strong> das Jahr 1986 sind die HIM geson<strong>de</strong>rt ausgewiesen, da diese<br />

Gruppen in diesen Jahren erstmals in <strong>de</strong>r Statistik aufgeführt sind. In <strong>de</strong>n jeweils folgen<strong>de</strong>n Jahren sind sie<br />

ebenfalls enthalten, aber nicht separat gekennzeichnet.<br />

117 Studienmaterial zur Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, Teil III, S. 61, 65; Kopp: Chronik <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rbewaffnung, S. 77;<br />

Rolf Badstübner (Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> Autorenkollektivs): Geschichte <strong>de</strong>r Deutschen Demokratischen Republik, 3. Aufl.<br />

Berlin 1987, S. 150-152; Ministerium <strong><strong>de</strong>s</strong> Innern (Hrsg.): Geschichte <strong>de</strong>r Deutschen Volkspolizei, Bd. 1:<br />

1945-1961, 2. Aufl. Berlin 1987, S. 204-213; Torsten <strong>Die</strong>drich: Aufrüstungsvorbereitung und -finanzierung<br />

in <strong>de</strong>r SBZ/DDR in <strong>de</strong>n Jahren 1948 bis 1953 und <strong>de</strong>ren Rückwirkungen auf die Wirtschaft, in: Bruno Thoß<br />

(Hrsg.): Volksarmee schaffen - ohne Geschrei! Studien zu <strong>de</strong>n Anfängen einer "ver<strong>de</strong>ckten Aufrüstung" in<br />

<strong>de</strong>r SBZ/DDR 1947-1952, München 1994 (Beiträge zur Militärgeschichte, hrsg. vom Militärgeschichtlichen<br />

Forschungsamt, Bd. 51), S. 326-336.


41<br />

<strong>Die</strong> <strong>für</strong> das MfS katastrophal verlaufene Juni-Krise 1953 hatte, im Unterschied zu <strong>de</strong>n perso-<br />

nellen Konsequenzen an <strong>de</strong>r Spitze und trotz <strong>de</strong>r formalen Herabstufung zum Staatssekretariat,<br />

offenbar keine größere Säuberungs- und Entlassungswelle bzw. eine Reduzierung <strong><strong>de</strong>s</strong> Perso-<br />

nalbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> zur Folge. Im Gegenteil - bis 1955 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Apparat jährlich um ca. zweitausend<br />

zusätzliche Ka<strong>de</strong>r ausgebaut. Zu einem Rückgang <strong>de</strong>r Zahlen kam es hingegen infolge eines<br />

von Minister Wollweber verfügten Moratoriums in <strong>de</strong>n Jahren 1956 und 1957, über <strong><strong>de</strong>s</strong>sen<br />

Grün<strong>de</strong> noch keine Aussage getroffen wer<strong>de</strong>n kann. Es durften lediglich entlassene <strong>Mitarbeiter</strong><br />

ersetzt wer<strong>de</strong>n, eine personelle Ausweitung war nicht zulässig, was insbeson<strong>de</strong>re - bei fortdau-<br />

ern<strong>de</strong>r Versetzung befähigter Ka<strong>de</strong>r in die Zentrale - in <strong>de</strong>n Bezirksverwaltungen zu einer si-<br />

gnifikanten Personalreduktion führte (1956: - 4,1 Prozent; 1957: - 1,1 Prozent). 118<br />

Seit <strong>de</strong>r Entmachtung Wollwebers und <strong>de</strong>m Amtsantritt Mielkes wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Personalbestand<br />

wie<strong>de</strong>r beständig ausgeweitet, jährlich in einer Größenordnung von etwa tausend und mehr<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>n. Ab 1968 stiegen die Wachstumsraten merklich an: Um fast zehn Prozent wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Personalbestand in diesem Jahr aufgestockt. Der absolute Spitzenwert wur<strong>de</strong> im Jahr 1972<br />

mit 4.608 zusätzlichen <strong>Mitarbeiter</strong>n erreicht. <strong>Die</strong>se Blütezeit hielt bis 1982 an, in <strong>de</strong>n "langen"<br />

siebziger Jahren von 1968 bis 1982 wuchs <strong>de</strong>r Bestand um 122,9 Prozent.<br />

<strong>Die</strong> Frage nach <strong>de</strong>n Triebkräften läßt sich <strong>de</strong>rzeit nicht abschließend beantworten. <strong>Die</strong> hohe<br />

Kontinuität seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r fünfziger bis Anfang <strong>de</strong>r achtziger Jahre, aber auch <strong>de</strong>r lange Vorlauf<br />

<strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rrekrutierung und die Planungszeiträume <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> lassen es zweifelhaft erscheinen,<br />

daß einzelne politische Ereignisse starken Einfluß auf die Einstellungszahlen hatten.<br />

So ist es etwa nach <strong>de</strong>m Mauerbau 1961, <strong>de</strong>r ja eine sicherheitspolitische Lageentspannung mit<br />

sich brachte, keineswegs zu einer Einschränkung <strong>de</strong>r Personalrekrutierung gekommen. Im Jahr<br />

1971 gab es zwar einen Rückgang, über <strong><strong>de</strong>s</strong>sen Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Machtwechsel<br />

Ulbricht/Honecker sich spekulieren ließe. Er wur<strong>de</strong> aber im Folgejahr voll kompensiert.<br />

Zur Erklärung <strong><strong>de</strong>s</strong> massiven Zuwachses in <strong>de</strong>n siebziger Jahren (<strong>de</strong>r aber tatsächlich schon<br />

1968 einsetzte) ist hypothetisch auf die Entspannungspolitik und ihre Folgen, etwa <strong>de</strong>n Übergang<br />

zu arbeitsaufwendigeren "Zersetzungsmetho<strong>de</strong>n" gegen Oppositionelle, hingewiesen<br />

wor<strong>de</strong>n, außer<strong>de</strong>m auf die wachsen<strong>de</strong> Rolle <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS als "Schmiermittel <strong>de</strong>r Gesellschaft". 119 In<br />

<strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>r Staatssicherheit fin<strong>de</strong>n sich aber regelmäßig nur sehr allgemeine, wie<br />

selbstverständlich formulierte Hinweise auf <strong>de</strong>n "hohen Ka<strong>de</strong>rbedarf". 120 Be<strong>de</strong>utung hatte<br />

118 Bislang liegt als dienstliche Bestimmung nur vor: Befehl 50/57 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers: Einstellungen und Entlassungen<br />

in <strong>de</strong>n Bezirksverwaltungen <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100181.<br />

119 Vgl. die Diskussionsbeiträge von Lutz Niethammer, Roger Engelmann und Clemens Vollnhals in: Klaus-<br />

<strong>Die</strong>tmar Henke, Roger Engelmann (Hrsg.): Aktenlage. <strong>Die</strong> Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes<br />

<strong>für</strong> die Zeitgeschichtsforschung, Berlin 1995, S. 189-191 und 231.<br />

120 Z.B.: HA KuSch vom 11.10.1967, Einschätzung <strong><strong>de</strong>s</strong> gegenwärtigen Stan<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>de</strong>r Realisierung <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n<br />

<strong>Die</strong>nsteinheiten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS erarbeiteten Ka<strong>de</strong>rprogramme; <strong>BStU</strong>, ZA, KL SED, unerschlossenes Material, Bl.<br />

180-200 (künftig: HA KuSch, Einschätzung Ka<strong>de</strong>rprogramme), hier Bl. 193; Forschungsarbeit innere<br />

Sicherheit, S. 25 (siehe Anm. 30).


42<br />

offenbar die 1965 initiierte Aufstellung von Ka<strong>de</strong>rprogrammen in <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nsteinheiten <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

MfS, die mit einer großzügigen Ausweitung <strong>de</strong>r Stellenpläne einherging. 121<br />

In <strong>de</strong>n siebziger Jahren wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m MfS aufgrund verän<strong>de</strong>rter politischer Rahmenbedingun-<br />

gen neue Aufgaben zugewiesen bzw. die schon vorhan<strong>de</strong>nen Arbeitsgebiete ausgebaut. Hier<br />

sind vor allem die Konsequenzen <strong><strong>de</strong>s</strong> Grundlagenvertrages und <strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>nen inter-<br />

nationalen Anerkennung <strong>de</strong>r DDR zu beachten. Das MfS <strong>de</strong>finierte als neue Aufgaben die<br />

Kontrolle und Sicherung <strong>de</strong>r neu eingerichteten diplomatischen Vertretungen und ihrer Mitar-<br />

beiter sowie die Bearbeitung von DDR-Bürgern, die Kontakt mit westlichen Vertretungen aufnehmen<br />

wollten; 122 damit einher gingen die Überwachung <strong>de</strong>r akkreditierten Journalisten<br />

sowie die Kontrolle <strong><strong>de</strong>s</strong> wachsen<strong>de</strong>n Besucher- und Transitverkehrs aus West<strong>de</strong>utschland. 123<br />

Unter <strong>de</strong>n operativen <strong>Die</strong>nsteinheiten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS betrafen diese Aufgabenstellungen vor allem die<br />

Hauptabteilung II, mit ihrer im MfS-Verständnis breit <strong>de</strong>finierten Aufgabenstellung<br />

"Spionageabwehr", die sich gegen alle nun verstärkt ins Land strömen<strong>de</strong>n Diplomaten, Journalisten<br />

und sonstigen Besucher aus <strong>de</strong>m Westen richtete. <strong>Die</strong> Hauptabteilung II wuchs von 1968<br />

bis 1982 auf mehr als das Dreifache von 214 (plus 42 in <strong>de</strong>n später eingeglie<strong>de</strong>rten <strong>Die</strong>nsteinheiten<br />

Büro <strong>de</strong>r Leitung II und Abteilung XXI) auf 988 <strong>Mitarbeiter</strong> (286 Prozent). Schon<br />

Ulbrichts Wertung <strong>de</strong>r Neuen Ostpolitik als "Aggression auf Filzlatschen" verweist auf die<br />

tiefe Unruhe, die die Sicherheitsstrategen <strong>de</strong>r SED im Zuge <strong>de</strong>r als notwendig erachteten und<br />

als Erfolg gewerteten partiellen Öffnung zum Westen erfaßte.<br />

Ten<strong>de</strong>nziell wuchsen alle <strong>Die</strong>nsteinheiten, wenngleich die Zuwachsraten an<strong>de</strong>rer wichtiger<br />

<strong>Die</strong>nsteinheiten wie <strong>de</strong>r Hauptabteilungen XVIII (Volkswirtschaft: 106 Prozent), XIX<br />

(Verkehr: 104 Prozent) und XX (Staatsapparat, Kirchen, Untergrund: 78 Prozent) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Hauptverwaltung Aufklärung unter <strong>de</strong>m Gesamtwachstum von 123 Prozent lagen. Stark ins<br />

Gewicht fielen - neben <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rverwaltung (406 Prozent) - <strong>Die</strong>nsteinheiten, die eher am<br />

Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r geheimpolizeilichen und -dienstlichen Aufgabenstellung lagen, wie <strong>de</strong>r Personenschutz<br />

(135 Prozent) und die Abteilung N (Sicherung <strong>de</strong>r Regierungsnachrichtenverbindungen,<br />

308 Prozent), aber auch operativ-technische <strong>Die</strong>nsteinheiten wie die Abteilung Bewaffnung/Chemischer<br />

<strong>Die</strong>nst (315 Prozent) o<strong>de</strong>r die Abteilung 26 (Telefonüberwachung, 271 Pro-<br />

zent). 124<br />

121 HA KuSch, Einschätzung Ka<strong>de</strong>rprogramme, Bl. 193-194; HA KuSch vom 28.4.1969, Einschätzung <strong>de</strong>r Ergebnisse<br />

und Erfahrungen bei <strong>de</strong>r Überarbeitung <strong>de</strong>r Funktions- und Qualifikationsmerkmale und <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rprogramme<br />

[...]; <strong>BStU</strong>, HA KuSch AKG 48, unerschlossenes Material.<br />

122 Referat [Mielkes] <strong>für</strong> die <strong>Die</strong>nstkonferenz zur zentralen Planvorgabe 1975; <strong>BStU</strong>, ZA, ZAIG 8642, (künftig:<br />

Mielke, <strong>Die</strong>nstkonferenz 1975), Bl. 94-95.<br />

123 Vgl. Gunter Holzweißig: Klassenfein<strong>de</strong> und "Entspannungsfreun<strong>de</strong>". West-Medien im Fa<strong>de</strong>nkreuz von SED<br />

und MfS, Berlin 1995 (Schriftenreihe <strong><strong>de</strong>s</strong> Berliner Lan<strong><strong>de</strong>s</strong>beauftragten <strong>für</strong> die Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes<br />

<strong>de</strong>r ehemaligen DDR, Bd. 2).<br />

124 Jeweils Wachstum 1982 zu 1968 (fiktives Rechenbeispiel 1968: 100 <strong>Mitarbeiter</strong>, 1982: 215 <strong>Mitarbeiter</strong>,<br />

Wachstum: 115 Prozent). Vgl. <strong>Mitarbeiter</strong>statistik <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS Berlin 1954-1989.


43<br />

Zugleich gewann die Berliner Zentrale leicht an Gewicht gegenüber <strong>de</strong>n territorialen Struktur-<br />

einheiten: Bis 1982 sank <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> in <strong>de</strong>n Bezirksverwaltungen und Kreis-<br />

dienststellen von 48,5 Prozent (1968) auf 44,9 Prozent. Möglicherweise lagen die Schwerpunkte<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Wachstums dort an<strong>de</strong>rs, weil etwa auf die an <strong>de</strong>r "Basis" stärker vertretenen Linien <strong>de</strong>r<br />

inneren Überwachung und Kontrolle (XVIII, XIX, XX) ein größerer Anteil zusätzlichen Personals<br />

entfiel. Schließlich kam es auch noch zu Neugründungen von <strong>Die</strong>nsteinheiten wie <strong>de</strong>r<br />

Abteilung XXII (Terrorabwehr).<br />

Ungeachtet <strong>de</strong>r weiter zu untersuchen<strong>de</strong>n konkreten Entscheidungskriterien läßt sich festhalten:<br />

<strong>Die</strong> Personalentwicklung <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit erscheint als Ausdruck <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

ständig wachsen<strong>de</strong>n Sicherheitsbedürfnisses <strong>de</strong>r Staats- und Parteiführung <strong>de</strong>r DDR, das von<br />

einem allzeit präsenten Grundmißtrauen gegen die eigene Bevölkerung und <strong>de</strong>ren Anfälligkeit<br />

<strong>für</strong> westliche Anfechtungen, seien sie nun politischer, materieller o<strong>de</strong>r auch geheimdienstlicher<br />

Art, gespeist war. Eine direkte Rückkopplung mit aktuellen Machtgefährdungen spielte <strong>für</strong> die<br />

Personalpolitik keine Rolle, da die Staatssicherheit immer stärker "präventiv" agierte. Der<br />

MfS-Apparat wuchs am schnellsten in <strong>de</strong>n Zeiten internationaler Entspannung und zunehmen<strong>de</strong>r<br />

Anerkennung <strong>de</strong>r DDR. Vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r Zuwachsraten dieser Jahre nehmen sich<br />

die <strong>Mitarbeiter</strong>zahlen in <strong>de</strong>n "kältesten" Zeiten <strong><strong>de</strong>s</strong> Kalten Krieges beschei<strong>de</strong>n aus: Zu<br />

Honeckers "entwickelter sozialistischer Gesellschaft" gehörte Mielkes umso kräftiger<br />

entwickelter Überwachungsapparat. Regulierend scheinen lediglich die personellen und<br />

materiellen Möglichkeiten gewirkt zu haben, und auch dies nur in begrenztem Maße, <strong>de</strong>nn die<br />

Staatssicherheit stand außerhalb <strong>de</strong>r regulären Planungsmechanismen.<br />

Erst als Anfang <strong>de</strong>r achtziger Jahre die volkswirtschaftlichen Probleme massiv wur<strong>de</strong>n, mußte<br />

die Staatssicherheit kürzer treten. Mit seinem Schreiben vom 25. Januar 1983 setzte <strong>de</strong>r Minister<br />

Mielke die seit 1981 gültigen "Richtwerte zur Erweiterung <strong><strong>de</strong>s</strong> Planstellenvolumens" <strong>für</strong><br />

1983 bis 1985 außer Kraft und verfügte, daß <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>bestand per 28. Februar 1983<br />

"grundsätzlich nicht zu überschreiten" sei. Nur bei "neuen, zusätzlichen o<strong>de</strong>r erweiterten Aufgabenstellungen,<br />

die nach verantwortungsbewußter Prüfung nicht mit <strong>de</strong>n vorhan<strong>de</strong>nen Kräften<br />

gelöst wer<strong>de</strong>n können", sollten Stellenplanerweiterungen möglich sein. Durch Umgruppierung<br />

<strong>de</strong>r Kräfte, Zusammenfassung gleicher o<strong>de</strong>r ähnlicher Aufgaben sowie Versetzung von entsprechend<br />

befähigten <strong>Mitarbeiter</strong>n zur "politisch-operativen Arbeit am Feind" sollte die Arbeit<br />

mit <strong>de</strong>m vorhan<strong>de</strong>nen Personal effektiviert wer<strong>de</strong>n. 125<br />

Mehr o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r formale Ermahnungen zur "Stellenplandisziplin" und Sparsamkeit, zur Beschränkung<br />

auf <strong>de</strong>n vorhan<strong>de</strong>nen Ka<strong>de</strong>rbestand usw. hatte es auch zu früheren Zeitpunkten im<br />

MfS gegeben. 126 Aber mit <strong>de</strong>r ultimativen Form beschritt Mielke Neuland. Zum Hintergrund<br />

<strong>de</strong>r Entscheidung nahm er einige Tage nach Erlaß <strong>de</strong>r Weisung Stellung: Er nannte die "äußerst<br />

125 Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers vom 25.1.1983; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102910.<br />

126 Vgl. Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers an die Leiter <strong>de</strong>r HA, selbst. Abteilung und BV/V vom 14.2.1961: Neueinstellungen<br />

in das Ministerium; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101644; Mielke, <strong>Die</strong>nstkonferenz 1975, Bl. 231-232.


44<br />

anspruchsvollen volkswirtschaftlichen Aufgaben", vor <strong>de</strong>nen die DDR stün<strong>de</strong>, das Nachrücken<br />

<strong>de</strong>r geburtenschwachen Jahrgänge sowie "Reduzierungen <strong>de</strong>r geplanten materiellen und<br />

finanziellen Mittel", die "nicht ohne Konsequenzen <strong>für</strong> <strong>de</strong>n künftigen Umfang und die<br />

Entwicklung <strong><strong>de</strong>s</strong> Gehalts- und Prämienfonds, <strong>de</strong>r Versorgung mit <strong>Die</strong>nsträumen, Wohnungen,<br />

Unterkünften und an<strong>de</strong>ren sozialen Leistungen bleiben" könnten. Außer<strong>de</strong>m erhöhe <strong>de</strong>r große<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>bestand auch die Sicherheitsrisiken. 127 <strong>Die</strong> Statistik freilich zeigt, daß die Wirkung<br />

<strong>de</strong>r Anweisung gering blieb. In <strong>de</strong>n Folgejahren sank die jährliche Zuwachsrate von etwa vier<br />

Prozent auf unter zwei Prozent, von einem Stellenstopp aber konnte keine Re<strong>de</strong> sein.<br />

1986 wur<strong>de</strong>n dann ein neuer Anlauf genommen, um die Weisung von 1983 in die Realität umzusetzen.<br />

Auf <strong>de</strong>r Grundlage einer Analyse <strong>de</strong>r Probleme <strong>de</strong>r Nachwuchsgewinnung und <strong>de</strong>r<br />

Altersstruktur <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS beschloß das Kollegium im Juli 1986 die Bildung einer Son<strong>de</strong>rkommission<br />

unter Vorsitz <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung, Generalmajor<br />

Günter Möller, die nach Einsparungsmöglichkeiten im Apparat suchen sollte. Dabei sollte das<br />

"Ressort<strong>de</strong>nken" überwun<strong>de</strong>n und eine Erweiterung <strong><strong>de</strong>s</strong> vorhan<strong>de</strong>nen Gesamtplanstellenvolumens<br />

ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n. 128 Ab 1987 konnte das Wachstum <strong><strong>de</strong>s</strong> Gesamtbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> dann tatsächlich<br />

gestoppt wer<strong>de</strong>n. Allerdings wuchs die Zahl <strong>de</strong>r Berufssoldaten weiter, statt <strong><strong>de</strong>s</strong>sen<br />

wur<strong>de</strong> die Zahl <strong>de</strong>r OibE und <strong>de</strong>r HIM - offenbar durchaus bewußt - durch Übernahmen in <strong>de</strong>n<br />

normalen MfS-<strong>Die</strong>nst gesenkt. 129<br />

Am 31. Oktober 1989 verfügte das Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit über 91.015 hauptamtliche<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> (Berufssoldaten einschließlich OibE und U-<strong>Mitarbeiter</strong>n, Zeitsoldaten, HIM und<br />

Zivilbeschäftigten). 130 Davon hatten etwa 51 Prozent operative Aufgaben im weiteren Sinne<br />

(Leitung, operativer <strong>Die</strong>nst, spezifisch-operativer <strong>Die</strong>nst, operativ-technischer <strong>Die</strong>nst), <strong>de</strong>r Rest<br />

war mit diversen Tätigkeiten zur Unterstützung und Absicherung dieser eigentlichen geheimdienstlichen<br />

und geheimpolizeilichen Arbeit betraut o<strong>de</strong>r befand sich in <strong>de</strong>r Ausbildung.<br />

127 [Mielke] vom 31.1.1983, Referat auf <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstbesprechung in <strong>de</strong>r HA KuSch zur Verabschiedung <strong><strong>de</strong>s</strong> Generalmajor<br />

Otto und zur Einführung <strong><strong>de</strong>s</strong> Oberst Möller als Leiter <strong>de</strong>r HA Ka<strong>de</strong>r und Schulung; <strong>BStU</strong>, ZA,<br />

ZAIG 4815, Bl. 14.<br />

128 Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch von 1986, Information über Probleme und Erfor<strong>de</strong>rnisse zur Entwicklung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ka<strong>de</strong>rbestan<strong><strong>de</strong>s</strong><br />

und <strong>de</strong>r Realisierung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ka<strong>de</strong>rbedarfs <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS bis 1990 und darüber hinaus [...]; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM<br />

1964; (künftig: Information 1986) Bl. 39-44; Auszug aus <strong>de</strong>r vom Minister auf <strong>de</strong>r Kollegiumssitzung am<br />

2.7.1986 behan<strong>de</strong>lten "Vorlage zu Aufgaben <strong>für</strong> die weitere Entwicklung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ka<strong>de</strong>rbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> sowie die<br />

Realisierung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ka<strong>de</strong>rbedarfes"; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch <strong>BStU</strong>-Nr. 63; Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch, Konzeption zur<br />

Erschließung weiterer Reserven <strong>für</strong> die Erhöhung <strong>de</strong>r Kampfkraft <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; ebenda; Protokoll über die<br />

Sitzung <strong><strong>de</strong>s</strong> Kollegiums am 2.7.1986; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1567, Bl. 103.<br />

129 Vgl. Statistischer Anhang; Abt. Planung <strong>de</strong>r HA KuSch vom 27.1.1989, Einschätzung <strong>de</strong>r Entwicklung <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Gesamtka<strong>de</strong>rbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS im Jahre 1988; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 265, Bl. 11-18.<br />

130 Nicht enthalten sind die Angehörigen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m MfS nachgeordneten Betriebe, die nicht in einem <strong>Die</strong>nstverhältnis<br />

mit <strong>de</strong>m MfS stan<strong>de</strong>n (soweit sie dort nicht als OibE eingesetzt waren): VEB Spezialhochbau, VEB<br />

Raumkunst, Institut <strong>für</strong> technische Untersuchungen (ITU), Institut <strong>für</strong> Wissenschaftlich-Technische Entwicklung<br />

(IWTE) sowie <strong>de</strong>r Staatliche Forstwirtschaftsbetrieb Neuhaus.


45<br />

Tabelle 3: Tätigkeiten <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> (achtziger Jahre) 131<br />

Tätigkeit<br />

darunter<br />

Anteil in<br />

Prozent<br />

1. Führung und Leitung 8,9<br />

2. Operativer/operativ-technischer <strong>Die</strong>nst politisch-operativer <strong>Mitarbeiter</strong> 15,0<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> Paßkontrolle/Fahndung 5,6<br />

sonstige <strong>Mitarbeiter</strong> 5,5<br />

3. Operativ-technischer <strong>Die</strong>nst Funk/Nachrichtenübertragung 3,0<br />

sonstige operativ-technische <strong>Mitarbeiter</strong> 8,0<br />

4. Militärisch-operativer <strong>Die</strong>nst 5,0<br />

5. Wach- und Sicherungsdienst 22,0<br />

6. Rückwärtiger <strong>Die</strong>nst Schreibarbeiten 6,7<br />

rückwärtige Tätigkeiten 13,6<br />

sonstige administrative Tätigkeiten 1,3<br />

7. Medizinischer <strong>Die</strong>nst 1,5<br />

8. Bereich Ka<strong>de</strong>r, Bildung 1,9<br />

9. Direktstu<strong>de</strong>nten 1,4<br />

10. Politisch-i<strong>de</strong>ologische Erziehung 0,6<br />

131 EDV-Analyse <strong>de</strong>r Abteilung Planung <strong>de</strong>r HA KuSch [von 1985]; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch, Bereich EDV, Plg.<br />

16a, unerschlossenes Material; Angaben <strong>de</strong>r Auflösungszeit bestätigen die Proportionen dieser Verteilung:<br />

Aufglie<strong>de</strong>rung <strong><strong>de</strong>s</strong> Kräftebestan<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> ehem. MfS/Amt <strong>für</strong> Nat[ionale] Sicherheit [o.A.], vom 10.1.1990;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Abt. Plg. 15 III, unerschlossenes Material.


6. Innere Struktur<br />

6.1. Sozialstruktur<br />

46<br />

In internen Analysen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS spielte die soziale Zusammensetzung seiner <strong>Mitarbeiter</strong> trotz <strong>de</strong>r<br />

nominell betonten Bindung an die "Arbeiterklasse" eine eher untergeordnete Rolle. Individualdaten<br />

wur<strong>de</strong>n zwar erhoben und statistisch erfaßt, waren aber nicht Gegenstand regelmäßiger<br />

Berichterstattung an die <strong>Ministeriums</strong>spitze. Nur zu beson<strong>de</strong>ren Anlässen, etwa zur Gestaltung<br />

<strong>de</strong>r Traditionsstätte an <strong>de</strong>r Juristischen Hochschule 1984, wur<strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong> Zahlen zusammengestellt<br />

und ausgewertet. 132 Dabei wur<strong>de</strong>, wie in <strong>de</strong>r DDR üblich, zwischen "sozialer<br />

Herkunft" und "sozialer Stellung vor Eintritt in die bewaffneten Organe" unterschie<strong>de</strong>n - bei<strong><strong>de</strong>s</strong><br />

<strong>de</strong>finiert nach marxistisch-leninistischen Kriterien.<br />

Tabelle 4: Soziale Herkunft (nach MfS-Angaben, in Prozent) 133<br />

1950 1962 1975 1988<br />

Arbeiter 96,5 92,3 85,4 78,9<br />

Angestellte 1,5 3,9 8,7 10,6<br />

Einzelbauern 0,9 1,9 1,0 0,5<br />

LPG-Bauern 0,1 - 1,9 2,6<br />

Intelligenz<br />

Selbständige Handwerker<br />

- 0,6 2,2 6,6<br />

o<strong>de</strong>r Gewerbetreiben<strong>de</strong><br />

1,0 1,4 0,8 0,6<br />

Mitglie<strong>de</strong>r von PGH 0,1 - 0,03 0,6<br />

sonstige - - 0,04 0,02<br />

<strong>Die</strong> soziale Herkunft war durch die soziale Zugehörigkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Elternhauses, in <strong>de</strong>r Regel durch<br />

<strong>de</strong>n Beruf <strong><strong>de</strong>s</strong> Vaters <strong>de</strong>finiert. Vergleicht man diese Zuordnung anhand von Ka<strong>de</strong>rakten mit<br />

<strong>de</strong>m realen Beruf <strong>de</strong>r Väter von MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n, so zeigt sich, daß <strong>de</strong>r Grad an systematischer<br />

o<strong>de</strong>r diffuser Abweichung unter zwanzig Prozent lag, die Daten also zumin<strong><strong>de</strong>s</strong>t Ten<strong>de</strong>nzaussagen<br />

zulassen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Aufstiegsprozesse, wie sie <strong>für</strong> die Generation<br />

<strong>de</strong>r Väter von MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n typisch waren, durch die übliche Definition <strong>de</strong>r<br />

"sozialen Herkunft" nicht erfaßt wur<strong>de</strong>n und somit eine statistische "Proletarisierung" erreicht<br />

wur<strong>de</strong>. 134 <strong>Die</strong>se Vorbehalte schränken die Aussagekraft <strong>de</strong>r MfS-Zahlen erheblich ein, gleichwohl<br />

lassen sie einen zunächst hohen, aber sukzessiv sinken<strong>de</strong>n Anteil von Arbeiterkin<strong>de</strong>rn er-<br />

132 Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r HA KuSch an <strong>de</strong>n Rektor <strong>de</strong>r Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS vom 31.3.1982; <strong>BStU</strong>, ZA, HA<br />

KuSch 243, Bl. 227; Schreiben <strong>de</strong>r AKG <strong>de</strong>r HA KuSch an <strong>de</strong>n Leiter <strong>de</strong>r AG Arbeit mit <strong>de</strong>n Ka<strong>de</strong>rn <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Instituts <strong>für</strong> politisch-operative Leitung <strong>de</strong>r Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS vom 10.7.1984; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG<br />

51, unerschlossenes Material (künftig: Schreiben 1984), Anlage 1: Soziale Herkunft <strong>de</strong>r Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

MfS.<br />

133 1950: ebenda; 1962 (ohne Wachregiment): Gieseke: <strong>Die</strong> Hauptamtlichen 1962, Anhang; 1975, 1988: EDV-<br />

Ausdrucke Auswertung 16; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Abt. Plg. 18 III, unerschlossenes Material. Rundungsdifferenzen<br />

zu 100 Prozent in <strong>de</strong>n Originaldaten.<br />

134 Vgl. <strong>de</strong>n Abschnitt 3: "Soziale Herkunft" - zur sozialstatistischen Praxis <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, in: Gieseke: Doktoren,<br />

S. 13-17.


47<br />

kennen, während <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r aus Angestellten- und Intelligenzfamilien stammen<strong>de</strong>n MfS-<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> beständig stieg.<br />

Tabelle 5: Soziale Stellung vor Eintritt in die bewaffneten Organe (nach MfS-Angaben,<br />

in Prozent)<br />

1962 1975 1988<br />

Arbeiter 76,2 74,6 75,2<br />

Angestellte 16,8 15,4 12,2<br />

PGH u.ä. - 0,04 0,1<br />

Einzelbauern 0,2 0,1 0,03<br />

Intelligenz 2,7 4,0 4,1<br />

LPG u.ä. - 0,8 0,7<br />

Gewerbetreiben<strong>de</strong> u.ä. 0,1 0,1 0,02<br />

Stu<strong>de</strong>nten ⎫ zus. 1,8 1,5<br />

Schüler ⎭ 4,0 3,3 6,2<br />

Mit <strong>de</strong>r "sozialen Stellung vor Eintritt in die bewaffneten Organe" wur<strong>de</strong> die frühere berufliche<br />

Tätigkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>s erfaßt. Zuletzt als Funktionäre <strong>de</strong>r Partei und <strong>de</strong>r Massenorganisationen<br />

Tätige wur<strong>de</strong>n hierbei nach <strong>de</strong>r zuvor "überwiegend ausgeübten" Tätigkeit eingestuft.<br />

Der Anteil früherer Arbeiter lag hier schon <strong>de</strong>utlich unter <strong>de</strong>n Angaben zur "sozialen Herkunft"<br />

und bewegte sich relativ konstant bei etwa drei Viertel <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>, während <strong>de</strong>r Angestelltenanteil<br />

sogar sank. Eine steigen<strong>de</strong> Ten<strong>de</strong>nz wies hingegen <strong>de</strong>r Schüleranteil auf.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r Staatssicherheit wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r offiziellen Sozialstatistik <strong>de</strong>r DDR nicht<br />

ausgewiesen. Wie bei allen Angehörigen <strong>de</strong>r bewaffneten Organe hatte ihre statistische Zuordnung<br />

entsprechend <strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m <strong>Die</strong>nstantritt überwiegend ausgeübten Tätigkeit zu erfolgen,<br />

wodurch sie faktisch zum ganz überwiegen<strong>de</strong>n Teil als Angehörige <strong>de</strong>r "Arbeiterklasse" gezählt<br />

wur<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Die</strong> reale Zusammensetzung <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>bestan<strong><strong>de</strong>s</strong> und ihre Problemlagen wird durch solcherart<br />

Sozialstatistik eher ver<strong>de</strong>ckt als offengelegt. Auf <strong>de</strong>r Basis von Primärdaten aus <strong>de</strong>n<br />

Ka<strong>de</strong>runterlagen lassen sich aber charakteristische Phänomene wie die starke Mobilität aus<br />

unterprivilegierten Verhältnissen in die, zumin<strong><strong>de</strong>s</strong>t offiziell, hochangesehene tschekistische<br />

Elite herausarbeiten. <strong>Die</strong> Analyse <strong>de</strong>r Lebensläufe von 400 Doktoran<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r JHS bestätigt, daß<br />

bei <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren eingestellten MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n <strong>de</strong>r Anteil von Arbeiterkin<strong>de</strong>rn<br />

mit 91,2 Prozent (1949 bis 1954) hoch war, dieser später aber auf 51,8 Prozent (Einstellungen<br />

1975 bis 1979) sank. Unmittelbar vor <strong>de</strong>r Einstellung waren die Doktoran<strong>de</strong>n nur noch zu 13,1<br />

Prozent selbst als Arbeiter tätig gewesen. Dahinter stan<strong>de</strong>n eine ganze Reihe unterschiedlicher<br />

Karrierewege durch die Institutionen und Organisationen <strong>de</strong>r frühen DDR (Bewaffnete Organe:<br />

15,6 Prozent, Staatsapparat/Justiz/Bildung u. Wissenschaft: 15,3 Prozent, Volkseigene Wirtschaft:<br />

8,9 Prozent; FDJ-Apparat: 7,9 Prozent; Apparate von SED sowie an<strong>de</strong>ren Massenorga-


48<br />

nisationen: 2,0 Prozent). Fast ein Drittel (31,7 Prozent) <strong>de</strong>r Untersuchungsgruppe ist direkt als<br />

Schüler o<strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>nten angeworben wor<strong>de</strong>n. 135<br />

Von beson<strong>de</strong>rem Stellenwert als Karrierestation und - aus MfS-Sicht - Rekrutierungsfeld waren<br />

die bewaffneten Organe: 1962 hatten 40,7 Prozent aller MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> zuvor in an<strong>de</strong>ren<br />

Organen (einschließlich <strong><strong>de</strong>s</strong> hier getrennt aufgeführten Wachregiments <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS) gedient. In<br />

späteren Jahren spielten - neben <strong>de</strong>r internen Rekrutierung von MfS-Zeitsoldaten (1975: 32,0<br />

Prozent; 1988: 39,6 Prozent) - die NVA (incl. Grenztruppen, 1975: 21,5 Prozent, 1988: 20,7<br />

Prozent) sowie die Volkspolizei (1975: 2,5 Prozent; 1988: 2,7 Prozent) eine große Rolle. Der<br />

von 1952 bis 1956 bestehen<strong>de</strong> NVA-Vorläufer Kasernierte Volkspolizei und die Zollorgane<br />

brachten es zusammen auf 2,2 Prozent (1975) und 0,9 Prozent (1988). 136<br />

6.2. Bildungsstruktur<br />

Mit <strong>de</strong>n Aktivitäten zur Steigerung <strong><strong>de</strong>s</strong> Bildungsniveaus, die ein zentraler Gegenstand <strong>de</strong>r MfS-<br />

Ka<strong>de</strong>rpolitik war, ging auch eine intensive regelmäßige Analysetätigkeit einher. In <strong>de</strong>n jährli-<br />

chen Berichten zum Stand <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rarbeit wur<strong>de</strong> dieser Frage breite Aufmerksamkeit ge-<br />

schenkt.<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung <strong>de</strong>r Bildungsstruktur spiegelt <strong>de</strong>utlich die verschie<strong>de</strong>nen Phasen <strong>de</strong>r MfS-<br />

Schulungspolitik von <strong>de</strong>r Schaffung elementarer Bildungsvoraussetzungen in <strong>de</strong>n fünfziger<br />

Jahren bis zu einem - gemessen an DDR-Verhältnissen - weit überdurchschnittlichen Qualifikationsniveau<br />

in <strong>de</strong>n achtziger Jahren wi<strong>de</strong>r. <strong>Die</strong> Daten zeigen eine Umkehrung <strong>de</strong>r Verhältnisse:<br />

Bis in die sechziger Jahre verfügten über achtzig Prozent <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> nur über einen<br />

Volksschulabschluß, 1988 besaß ein ebenso hoher Anteil min<strong><strong>de</strong>s</strong>tens einen Abschluß <strong>de</strong>r Polytechnischen<br />

Oberschule, darunter mehr als zwanzig Prozent Abiturienten. Eine systematische<br />

Rekrutierung von - bzw. dienstbegleiten<strong>de</strong> Ausbildung zu - Hoch- und Fachschulka<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong><br />

bis 1962 nicht betrieben. Erst danach wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>utlich gesteigert. Nach 1975<br />

schwächte sich dann <strong>de</strong>r Zuwachs an Hochschulabsolventen <strong>de</strong>utlich ab; offensichtlich trat ein<br />

gewisser Sättigungseffekt in <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Positionen <strong>de</strong>r MfS-Hierarchie ein.<br />

Tabelle 6: Allgemeinbildung (in Prozent) 137<br />

196<br />

2<br />

1969 1975 1988<br />

ohne Abschluß ⎫ zus. 5,2 3,4 1,6<br />

8. Klasse ⎭ 84,2 57,2 37,7 15,7<br />

10. Klasse 6,2 25,4 43,9 61,6<br />

Abitur 9,6 12,2 14,8 20,9<br />

135 Gieseke: Doktoren, S. 20.<br />

136 Siehe Anm. 133.<br />

137 Siehe Anm. 133; <strong>für</strong> 1969: [Analyse:] Schulbildung <strong>de</strong>r Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, Stand: März 1969; <strong>BStU</strong>, ZA,<br />

HA KuSch 623, unerschlossenes Material; Rundungsdifferenzen zu 100 Prozent in <strong>de</strong>n Originaldaten.


49<br />

Tabelle 7: Anteil <strong>de</strong>r Hoch- und Fachschulabsolventen am <strong>Mitarbeiter</strong>bestand (in Prozent) 138<br />

1950 1962 1969 1975 1988<br />

Fachschule 4,4 5,0 5,7 10,9 15,1<br />

Hochschule 1,6 1,9 4,9 9,1 11,9<br />

Nach einer Analyse aus <strong>de</strong>m Jahre 1986 hatten 35,7 Prozent <strong>de</strong>r Hochschulabsolventen<br />

Rechtswissenschaften studiert, <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong> Teil an <strong>de</strong>r MfS-eigenen Juristischen Hochschule<br />

Potsdam-Eiche. Es folgten technische Wissenschaften (13,2 Prozent), Militärwesen<br />

(11,8 Prozent), Wirtschaftswissenschaften (9,9 Prozent), Kriminalistik (8,2 Prozent), Pädagogik<br />

(4,8 Prozent), Philosophie (4,6 Prozent), Mathematik und Naturwissenschaften (4,4 Prozent).<br />

139 Bis 1984 wur<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Juristischen Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS 2.739 Diplomjuristen sowie<br />

7.613 Fachschuljuristen ausgebil<strong>de</strong>t. 140<br />

6.3. Altersstruktur<br />

Das Durchschnittsalter <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> war durchgängig im Steigen begriffen. 1950 lag es<br />

<strong>für</strong> die Berufssoldaten bei 28,0 Jahren, 1960 waren schon 30,4 Jahre erreicht. <strong>Die</strong>ser Wert<br />

erhöhte sich 1970 auf 33,2 Jahre und 1980 auf 35,2 Jahre. <strong>Die</strong> letzten Daten liegen <strong>für</strong> das Jahr<br />

1983 vor, danach lag es bei 35,7 Jahren. 141 Hinter diesen Werten verbirgt sich eine<br />

Altersstruktur, aus <strong>de</strong>r die hohe personelle Kontinuität bei gleichzeitigem ständigem Zufluß<br />

junger Ka<strong>de</strong>r abzulesen ist.<br />

Tabelle 8: Altersstruktur (in Prozent) 142<br />

Alter 1950 1962 1975 1988<br />

bis 20 ⎫ zus. 3,5 5,1 8,9<br />

21-25 ⎭ 42,9 21,9 21,3 22,7<br />

26-30 23,5 22,7 17,6 14,7<br />

31-35 ⎫ 19,6 17,8 16,4<br />

36-40 ⎪ zus. 8,1 14,1 10,7<br />

41-45 ⎬ 31,5 5,9 11,7 10,3<br />

46-50 ⎭ 5,0 6,7 7,9<br />

51-55 ⎫ 6,4 3,4 5,7<br />

56-60 ⎪ zus. 5,0 1,2 2,1<br />

61-65 ⎬ 2,1 1,6 0,8 0,3<br />

über 65 ⎭ 0,1 0,1 0,02<br />

138 Siehe Anm. 137; Rundungsdifferenzen zu 100 Prozent in <strong>de</strong>n Originaldaten.<br />

139 Sonstige: 7,4 Prozent; Verteilung <strong>de</strong>r H[och]S[chul]-Absolventen auf die Hauptfachrichtungen [o.A., o.D.];<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Abt. Plg. 16 a, unerschlossenes Material.<br />

140 Förster: Dissertationen, S. 14.<br />

141 Schreiben 1984, Anlage: Durchschnittsalter <strong>de</strong>r Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS.<br />

142 Siehe Anm. 137.


50<br />

Schon 1950 war die Mehrheit <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> jünger als 31 Jahre, also in einem Alter, das eine<br />

vorherige Bewährung als kommunistische Ka<strong>de</strong>r weitgehend ausschloß. <strong>Die</strong>ser hohe Anteil<br />

sehr junger Ka<strong>de</strong>r blieb in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren bestehen. Nach einem Bericht <strong><strong>de</strong>s</strong> Sektors MfS<br />

beim ZK waren 1957 mehr als 50 Prozent <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> unter 25 Jahren alt. Beson<strong>de</strong>rs an <strong>de</strong>r<br />

Basis, in <strong>de</strong>n Kreisdienststellen, wirkte sich dies aus. So lag in <strong>de</strong>r Kreisdienststelle Seehausen<br />

(Bezirk Mag<strong>de</strong>burg) das Durchschnittsalter bei 22 Jahren. Ein großer Teil <strong>de</strong>r Kreisdienststellenleiter<br />

war unter 30 Jahren alt. 143<br />

Während im Zuge <strong>de</strong>r Personalausweitung ein ständiger Zufluß an Nachwuchs gesichert war,<br />

stellte die Generation <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren eingestellten <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>n personellen<br />

Kernbestand <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, aus <strong>de</strong>m Ka<strong>de</strong>r in die Leitungspositionen aufrückten und diese in <strong>de</strong>n<br />

achtziger Jahren, abgesehen von <strong>de</strong>r Position <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers, komplett besetzten. Aus <strong>de</strong>r<br />

Altersstruktur ist außer<strong>de</strong>m zu erkennen, daß ein nicht geringer Anteil von MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n<br />

vorzeitig pensioniert wur<strong>de</strong> und nicht bis zum regulären Rentenalter <strong>Die</strong>nst tat. <strong>Die</strong><br />

<strong>Die</strong>nstaltersverteilung dokumentiert diese Generationenstruktur. Trotz <strong>de</strong>r ständigen Zufuhr<br />

neuer Ka<strong>de</strong>r sank <strong>de</strong>r relative Anteil von MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n geringen <strong>Die</strong>nstalters kontinuierlich.<br />

Tabelle 9: <strong>Die</strong>nstalterstruktur (in Prozent) 144<br />

1962 1969 1975 1988<br />

bis 5 Jahre 44,0 42,0 36,8 31,7<br />

6-10 43,6 22,1 23,6 18,5<br />

11-15 12,4 18,1 16,0 17,1<br />

16-20 - 17,8 10,0 14,0<br />

21-25 - - 10,1 8,3<br />

26 und mehr - - 3,5 10,4<br />

Durchschnitt 6,0 k.A. 12,1 12,1<br />

<strong>Die</strong> Überalterung <strong><strong>de</strong>s</strong> Personalbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> und die vermehrt auftreten<strong>de</strong>n Ausfälle im Leistungsvermögen<br />

<strong>de</strong>r Leitungska<strong>de</strong>r höheren Alters waren seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r siebziger Jahre Gegenstand<br />

intensiver Analysetätigkeit <strong>de</strong>r Personalplaner in <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rverwaltung <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS.<br />

6.4. Politische Struktur<br />

Aus <strong>de</strong>r Funktion als "Schild und Schwert <strong>de</strong>r Partei" ergab sich, daß die MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r<br />

SED angehörten. Der tatsächliche Anteil <strong>de</strong>r Parteimitglie<strong>de</strong>r wich im Laufe <strong>de</strong>r Zeit in unterschiedlichem<br />

Maße von dieser Norm ab. Dabei ist zu beachten, daß auch die Zeitsoldaten, insbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments, gezählt sind, bei <strong>de</strong>nen eine SED-Mitgliedschaft nicht vorgeschrieben<br />

und <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Parteilosen beson<strong>de</strong>rs hoch war. 1981 lag <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Parteilo-<br />

143 Sektor MfS [<strong>de</strong>r Abt. <strong>für</strong> Sicherheitsfragen beim ZK] vom 9.7.1957 [ohne Titel]; SAPMO-BA, ZPA IV<br />

2/12/103, Bl. 209-213, hier 213.<br />

144 Siehe Anm. 137.


51<br />

sen unter <strong>de</strong>n Zeitsoldaten (ohne Wachregiment) bei 56 Prozent. 145 Im ersten Zweijahreslehr-<br />

gang an <strong>de</strong>r Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS (1956/57) waren bei Einstellung "noch 49 Kursanten partei-<br />

los, 96 waren Kandidaten und nur 47 Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Partei". Zum Lehrgangsabschluß stellte<br />

<strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong> Minister Erich Mielke befriedigt fest: "Heute sind bis auf einen Kursanten<br />

alle Mitglie<strong>de</strong>r und Kandidaten <strong>de</strong>r Partei." Später war es üblich, daß auch junge Berufssolda-<br />

ten erst ein Jahr in ihrem "tschekistischen Kollektiv" arbeiteten, ehe sie in <strong>de</strong>n Kandidatenstand<br />

aufgenommen wur<strong>de</strong>n. 146 Außer<strong>de</strong>m unterlag die Parteiorganisation im MfS zuweilen <strong>de</strong>n<br />

Aufnahmebeschränkungen <strong>de</strong>r SED <strong>für</strong> Angehörige bestimmter sozialer Gruppen, die von <strong>de</strong>m<br />

Bemühen bestimmt waren, <strong>de</strong>n Arbeiteranteil in <strong>de</strong>r Partei hoch zu halten. 147 Nach einer Analyse<br />

<strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> (ohne Wachregiment) im Alter bis zu 25 Jahren aus <strong>de</strong>m Jahre 1976<br />

waren damals 25 Prozent parteilos. 148<br />

Tabelle 10: SED-Mitglie<strong>de</strong>ranteil (in Prozent) 149<br />

Anteil am Ka<strong>de</strong>rbestand 1959 (o. WR) 1961 (o. WR) 1971 1975 1981 1987<br />

Mitglie<strong>de</strong>r 90,0 90,0 83,7 k.A. k.A. k.A.<br />

Kandidaten 3,0 3,3 5,2 k.A. k.A. k.A.<br />

gesamt 93,0 93,3 88,9 76,2 78,5 81,2<br />

Für die politisch-i<strong>de</strong>ologische Lage im Ministerium spielten die Parteilosen keine Rolle. <strong>Die</strong><br />

Führung durch die SED wur<strong>de</strong> von nieman<strong>de</strong>n in Zweifel gezogen, die Anre<strong>de</strong> "Genosse" war<br />

<strong>für</strong> alle <strong>Mitarbeiter</strong> üblich. Aufgrund ihrer großen Zahl hatten die Tschekisten auch in <strong>de</strong>r Gesamtpartei<br />

ein gewisses Gewicht: Zuletzt waren 3,2 Prozent aller SED-Mitglie<strong>de</strong>r hauptamtliche<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS.<br />

Von außeror<strong>de</strong>ntlicher Be<strong>de</strong>utung <strong>für</strong> das Selbstbild <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, <strong>für</strong> die Motivierung <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong><br />

und nicht zuletzt die Legitimationsstrategien in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit war seine betonte<br />

Verwurzelung in <strong>de</strong>r kommunistischen Arbeiterbewegung und insbeson<strong>de</strong>re im<br />

"antifaschistischen Wi<strong>de</strong>rstandskampf". Zwar waren die Leitungspositionen in <strong>de</strong>n fünfziger<br />

Jahren überwiegend mit bewährten Kommunisten besetzt (vgl. Abschnitt Rekrutierung), <strong>de</strong>r<br />

reale Anteil am <strong>Mitarbeiter</strong>bestand war aber schon in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren minimal: Den jun-<br />

145 AKG <strong>de</strong>r HA KuSch, Übersicht: Parteilose Soldaten auf Zeit, Stichtag: 30.11.1981; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch<br />

243, Bl. 215-217. Für das Wachregiment liegen keine Daten vor.<br />

146 [Jäkel, SED-Kreisleitung] vom 29.11.1977, Einige Probleme zur Aufnahmetätigkeit von Kandidaten; <strong>BStU</strong>,<br />

ZA, KL SED 934, unerschlossenes Material, Bl. 108.<br />

147 [Jäkel, SED-Kreisleitung] vom 30.12.1972, Einige Hinweise zur Kandidatenarbeit innerhalb <strong>de</strong>r Kreisparteiorganisation<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, KL SED 246, unerschlossenes Material, Bl. 146-149, hier Bl. 146.<br />

148 Referat <strong><strong>de</strong>s</strong> Generalleutnant [Mielke] zum Lehrgangsabschluß <strong>de</strong>r Hochschule Eiche am 8. Jahrestag <strong>de</strong>r<br />

Gründung <strong>de</strong>r DDR am 7.10.1957; <strong>BStU</strong>, ZA, ZAIG 5604, Bl. 256; HA KuSch, Zur Ka<strong>de</strong>rstruktur <strong>de</strong>r Berufssoldaten<br />

und Soldaten auf Zeit im Alter bis zu 25 Jahren, 19.5.1976; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 29,<br />

unerschlossenes Material.<br />

149 Errechnet nach: Kreisleitung <strong>de</strong>r SED im MfS, Statistische Jahresberichte bzw. Än<strong>de</strong>rungsmeldungen; <strong>für</strong><br />

1959: <strong>BStU</strong>, ZA, KL SED 97, unerschlossenes Material, Bl. 944 und 1362; übrige Jahre: KL SED 923, unerschlossenes<br />

Material, Bl. 293, 569, 749, 1053.


52<br />

gen <strong>Mitarbeiter</strong>n stehe, so <strong>de</strong>r bereits zitierte Bericht <strong><strong>de</strong>s</strong> Sektors MfS <strong><strong>de</strong>s</strong> ZK, "nur ein ganz<br />

geringer Anteil älterer Genossen gegenüber, die vor 1933 Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Partei o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Mas-<br />

senorganisationen <strong>de</strong>r Arbeiterklasse waren. Der größte Teil dieser älteren Genossen ist nicht<br />

in <strong>de</strong>r operativen, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Verwaltungsarbeit tätig." 150 <strong>Die</strong> überwiegen<strong>de</strong> Mehrheit <strong>de</strong>r<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> war erst in <strong>de</strong>r Nachkriegszeit zur kommunistischen Bewegung gestoßen; in <strong>de</strong>n<br />

sechziger Jahren schie<strong>de</strong>n fast alle "alten Kämpfer" aus <strong>de</strong>m aktiven <strong>Die</strong>nst aus. Vor 1945<br />

Mitglied <strong>de</strong>r KPD waren 1962 6,4 Prozent, 1975 nur noch 1,5 Prozent <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>, drei<br />

Viertel waren erst seit 1955 in die SED aufgenommen wor<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n späten achtziger Jahren<br />

wirkte die Kontinuität nur noch in <strong>de</strong>r Person <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers fort.<br />

Tabelle 11: Parteialter <strong>de</strong>r SED-Mitglie<strong>de</strong>r (in Prozent) 151<br />

Parteialter 1975 1988<br />

bis 5 Jahre 23,0 19,2<br />

6-10 Jahre 20,0 14,9<br />

11-15 Jahre 17,0 14,3<br />

16-20 Jahre 15,1 15,2<br />

21-25 Jahre 6,7 8,2<br />

26-30 Jahre 7,6 8,3<br />

31-35 Jahre 0,0 4,9<br />

36-40 Jahre 0,0 1,3<br />

41-45 Jahre 0,1 0,8<br />

46-50 Jahre 1,4 0,0 (abs.: 1)<br />

Durchschnitt 13,4 Jahre 14,7 Jahre<br />

Neben <strong>de</strong>n (Noch-)Parteilosen in <strong>de</strong>n Reihen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS gab es we<strong>de</strong>r normativ noch real Spielraum<br />

<strong>für</strong> blockpolitische Zugeständnisse. Mitglie<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer Parteien <strong>de</strong>r DDR waren im MfS<br />

nicht vorgesehen und konnten bislang nicht festgestellt wer<strong>de</strong>n. Selbst innerhalb <strong><strong>de</strong>s</strong> Spektrums<br />

<strong>de</strong>r SED, das ja nominal auch ehemalige Sozial<strong>de</strong>mokraten sowie außerhalb <strong>de</strong>r kommunistischen<br />

Orthodoxie stehen<strong>de</strong> Linkssozialisten umfassen sollte, war das schon vor 1945 politisch<br />

aktive MfS-Personal nahezu ausschließlich auf Kommunisten begrenzt. 1962 gab es 138 ehemalige,<br />

offenbar im kommunistischen Sinne geläuterte Sozial<strong>de</strong>mokraten (0,7 Prozent) im<br />

MfS. Überraschen kann dieser minimale Anteil nicht, <strong>de</strong>nn insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r spätstalinistischen<br />

Phase bis 1953 gehörte es zu <strong>de</strong>n Aufgaben <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, Vertreter solcher Strömungen in<br />

Kooperation mit <strong>de</strong>r SED-Parteikontrollkommission zu verfolgen. Allerdings, und dies scheint<br />

eine Beson<strong>de</strong>rheit <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS gewesen zu sein, blieben die in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren ansonsten<br />

weitgehend aus verantwortlichen Positionen entfernten Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r illegalen KPD-Lagerleitung<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> KZ Buchenwald im Ministerium von Säuberungen verschont (Richard Großkopf, unter<br />

an<strong>de</strong>rem 1959 bis 1961 Leiter <strong>de</strong>r HVA-Abteilung VI; Rolf Markert, 1953 bis 1981 Leiter<br />

150 Siehe Anm. 143.<br />

151 Siehe Anm. 137.


53<br />

<strong>de</strong>r Bezirksverwaltung Dres<strong>de</strong>n; Heinz Gronau, unter an<strong>de</strong>rem 1962 bis 1972 Komman<strong>de</strong>ur <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Wachregiments). 152<br />

Das Einstellungsverbot <strong>für</strong> ehemalige Nationalsozialisten wur<strong>de</strong> offenbar grundsätzlich einge-<br />

halten. <strong>Die</strong> in <strong>de</strong>r Literatur bis in jüngste Zeit als Gegenbeweis genannten drei Personen konn-<br />

ten anhand <strong>de</strong>r MfS-Akten bislang nicht als <strong>Mitarbeiter</strong> i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n, möglicherweise<br />

wur<strong>de</strong>n sie unter falschem Namen geführt. 153 Ausnahmen gab es lediglich bei wenigen <strong>Mitarbeiter</strong>n,<br />

die als Jugendliche in <strong>de</strong>r Endphase <strong><strong>de</strong>s</strong> Zweiten Weltkrieges als NSDAP-Mitglie<strong>de</strong>r<br />

registriert wur<strong>de</strong>n. So waren <strong>de</strong>r letzte Leiter <strong>de</strong>r Bezirksverwaltung Leipzig, Generalmajor<br />

Manfred Hummitzsch, zum Führergeburtstag 1943 im Alter von 14 Jahren in die NSDAP aufgenommen<br />

wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r langjährige Leiter <strong>de</strong>r Abteilung Agitation, Oberst Günter Halle, genau<br />

ein Jahr später mit 17 Jahren. Generalleutnant Franz Gold, Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> Personenschutzes und<br />

langjähriges Mitglied <strong>de</strong>r tschechischen KP, war 1938 während einer Inhaftierung als NSDAP-<br />

Mitglied registriert wor<strong>de</strong>n. Eine MfS-interne Untersuchung nach einer entsprechen<strong>de</strong>n westlichen<br />

Presseveröffentlichung kam zu <strong>de</strong>m Ergebnis, daß dies ohne Wissen Golds auf Initiative<br />

seines Onkels, eines aktiven Nazis geschehen sei. 154 Hatten MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> bei <strong>de</strong>r Einstellung<br />

eine NS-Belastung verschwiegen, so zog dies bei späteren Hinweisen eine intensive Überprüfung<br />

und gegebenenfalls die Entlassung nach sich. Eine systematische Übernahme von einschlägigem<br />

Personal aus NS-Organisationen hat es im MfS nicht gegeben. 155<br />

6.5. Frauen im MfS<br />

Frauen waren im MfS extrem unterrepräsentiert. Ihr Anteil lag 1954 bei 25 Prozent (ohne<br />

Wachregiment) und sank dann sukzessiv bis Anfang <strong>de</strong>r sechziger Jahre. 1962 wur<strong>de</strong>n im Gefolge<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Kommuniqués <strong><strong>de</strong>s</strong> Politbüros "<strong>Die</strong> Frauen - <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Sozialismus" auch<br />

152 Vgl. Biographischen Anhang <strong><strong>de</strong>s</strong> Handbuchs; Lutz Niethammer (Hrsg.): Der "gesäuberte" Antifaschismus.<br />

<strong>Die</strong> SED und die roten Kapos von Buchenwald, Berlin 1994 (künftig: Niethammer: Antifaschismus), S. 91;<br />

zum Hintergrund: Hermann Weber, <strong>Die</strong>trich Staritz (Hrsg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten.<br />

Stalinistischer Terror und "Säuberungen" in <strong>de</strong>n kommunistischen Parteien Europas seit <strong>de</strong>n dreißiger Jahren,<br />

Berlin 1993.<br />

153 Vgl. Heinz Höhne und Hermann Zölling: Pullach intern, Hamburg 1971, S. 253 f. (mit weiteren Literaturnachweisen);<br />

zuletzt zitiert in: Für ehrliche Zusammenarbeit, in: Der Spiegel 19 (1994). <strong>Die</strong> Angaben gehen<br />

auf die Aussagen von Überläufern zurück; vgl. Dokument 43, in: Der Staatssicherheitsdienst. Ein Instrument<br />

<strong>de</strong>r politischen Verfolgung in <strong>de</strong>r Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, hrsg. vom Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>ministerium<br />

<strong>für</strong> Gesamt<strong>de</strong>utsche Fragen, Bonn/Berlin 1962, S. 216. David Childs hat jüngst unter Bezugnahme auf<br />

Materialien <strong><strong>de</strong>s</strong> Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen auf eine weitere Person hingewiesen, auch<br />

in diesem Fall konnte eine hauptamtliche Tätigkeit nicht bestätigt wer<strong>de</strong>n; vgl. David Childs: Der Zorn war<br />

nur geheuchelt (Leserbrief), in: Berliner Zeitung vom 4.5.1995.<br />

154 Vgl. Biographischen Anhang; Ka<strong>de</strong>rakte Franz Gold; <strong>BStU</strong>, ZA, KS I 20/84, Bd. 3, Bl. 106, 126-129. Zur<br />

Diskussion über die Möglichkeit eines unfreiwilligen NSDAP-Beitritts vgl. Henning Krumrey: Hans-<strong>Die</strong>trich<br />

Genscher. Das Denkmal bröselt, in: Focus 27 (1994), S.27-28.<br />

155 Vgl. z.B.: Direktive 49/55 <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssekretärs über die Mängel in <strong>de</strong>r Erziehungsarbeit leiten<strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong><br />

mit <strong>de</strong>n ihnen unterstellten <strong>Mitarbeiter</strong>n vom 19.10.1955; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101140; Befehl 380/55 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers<br />

vom 23.12.1955; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100138. So auch Fricke: Staatssicherheit, S. 193-194.


54<br />

im MfS Maßnahmen zur Frauenför<strong>de</strong>rung ergriffen, so daß <strong>de</strong>r Frauenanteil leicht stieg. 156 Er<br />

bewegte sich dann zwischen 13,4 Prozent (1965) und 16,5 Prozent (1977), danach sank er wie-<br />

<strong>de</strong>r leicht. 1988 gab es 14.102 Frauen im MfS, das entsprach 15,8 Prozent. 157<br />

<strong>Die</strong> typischen Aufgabenfel<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>innen folgten traditionellen weiblichen Berufsrollen:<br />

1962 waren 30 Prozent als Sekretärinnen bzw. Schreibkräfte eingesetzt. An <strong>de</strong>r<br />

Spitze <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten mit hohem weiblichen Anteil stan<strong>de</strong>n die Abteilung M<br />

(Postkontrolle) und <strong>de</strong>r Medizinische <strong>Die</strong>nst mit jeweils 79 Prozent Frauen. Es folgten die<br />

Abteilung XII (Zentrale Auskunft/Speicher, 49 Prozent) und die Hauptabteilung Verwaltung<br />

und Wirtschaft (33 Prozent). 158 1989 wiesen nicht-operative <strong>Die</strong>nsteinheiten wie <strong>de</strong>r Zentrale<br />

Medizinische <strong>Die</strong>nst mit 65,5 Prozent, die Abteilung X (Internationale Verbindungen) mit 50<br />

Prozent, sowie die Abteilung Finanzen (46,6 Prozent) die höchsten Werte auf. Den in absoluten<br />

Zahlen größten weiblichen <strong>Mitarbeiter</strong>bestand hatte die Verwaltung Rückwärtige <strong>Die</strong>nste mit<br />

934 Frauen (28,4 Prozent). Allerdings wiesen auch operativ be<strong>de</strong>utsame <strong>Die</strong>nsteinheiten wie<br />

die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (34,7 Prozent), die Zentrale Koordinierungsgruppe<br />

Übersiedlung (27,3 Prozent) und die Hauptabteilung VI (Paßkontrolle/Tourismus,<br />

23,6 Prozent) überdurchschnittliche Anteile auf. 159<br />

<strong>Die</strong> operative Arbeit sowie die Führung und Leitung <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> waren nachgera<strong>de</strong> absolute<br />

Männerdomänen. In die Generalität rückte niemals eine Frau auf, was auch normativ seinen<br />

Nie<strong>de</strong>rschlag fand: In <strong>de</strong>r Bekleidungsordnung von 1981 war eine weibliche Generalsdienstkleidung<br />

gar nicht erst vorgesehen. 160 1979 bil<strong>de</strong>ten 13 Oberstleutnants die Spitze <strong>de</strong>r<br />

weiblichen Offizierspyrami<strong>de</strong>. Zuletzt waren <strong>de</strong>r Offizier im beson<strong>de</strong>ren Einsatz Oberst Sigrid<br />

Schalck-Golodkowski, die am 1. Oktober 1989 beför<strong>de</strong>rte Leiterin <strong>de</strong>r Abteilung Studienangelegenheiten<br />

<strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung, Oberst Christa Wieland, sowie die stellvertreten<strong>de</strong><br />

Leiterin <strong><strong>de</strong>s</strong> Bereiches Planung <strong>de</strong>r VRD, Oberst Monika Kretzschmar, die ranghöchsten<br />

Frauen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS. 161 In leiten<strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nststellungen, vor allem als (stellvertreten<strong>de</strong>) Referatsleiterinnen,<br />

waren 1962 20 Frauen beschäftigt; 1964 kam man auf 60 weibliche Leitungs-<br />

156 <strong>Die</strong> Frauen - <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Sozialismus; Kommuniqué <strong><strong>de</strong>s</strong> Politbüros <strong><strong>de</strong>s</strong> ZK <strong>de</strong>r SED vom 16.12.1961;<br />

in: Dokumente <strong>de</strong>r Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Band VIII, Berlin [Ost] 1962, S. 504-509;<br />

Befehl 177/62 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100343.<br />

157 Zu <strong>de</strong>n absoluten jährlichen Daten vgl. Statistischen Anhang. Aufgrund <strong><strong>de</strong>s</strong> geringen Frauenanteil im ab 1963<br />

statistisch berücksichtigten Wachregiment sank <strong>de</strong>r Gesamtanteil in diesem Jahr entsprechend. <strong>Die</strong> früher<br />

zitierte Angabe Mielkes von 19 Prozent <strong>für</strong> 1986 bezieht sich offenbar ebenfalls auf <strong>de</strong>n Personalbestand<br />

ohne Wachregiment; vgl. Gieseke: <strong>Die</strong> Hauptamtlichen 1962, S. 15.<br />

158 Zusammenfassung <strong>de</strong>r Vorschläge ... [zur Durchführung <strong>de</strong>r Aufgaben aus <strong>de</strong>m Kommuniqué "<strong>Die</strong> Frauen -<br />

<strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Sozialismus", o.A.] von 1962; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 48, unerschlossenes Material,<br />

S. 2-3.<br />

159 <strong>Die</strong> - sehr kleinen - Sekretariate <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers und seiner Stellvertreter wur<strong>de</strong>n hier nicht berücksichtigt;<br />

Ka<strong>de</strong>rbestandsmeldung vom 30.9.1989; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Abt. Plg. 15, unerschlossenes Material.<br />

160 Ordnung 9/81 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über die Trageweise <strong>de</strong>r Bekleidung und Ausrüstung im MfS - B/A-Ordnung;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102792.<br />

161 Zentralkarteikarten Sigrid Schalck-Golodkowski, Christa Wieland; <strong>BStU</strong>, ZA; Organisationsstruktur MfS,<br />

Abschnitt VRD.


55<br />

ka<strong>de</strong>r. 1975 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Anteil auf 2,8 Prozent, also etwa 190 weibliche Angehörige beziffert. 162<br />

1988 waren 1,8 Prozent <strong>de</strong>r Abteilungsleiter und 2,8 Prozent <strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong>n Abteilungs-<br />

leiter weiblichen Geschlechts. Auf <strong>de</strong>r niedrigeren Position eines Referatsleiters fan<strong>de</strong>n sich<br />

4,8 Prozent Frauen; <strong>de</strong>r weibliche Anteil unter <strong>de</strong>n stellvertreten<strong>de</strong>n Referatsleitern lag bei 6,8<br />

Prozent. 163<br />

In <strong>de</strong>r Besoldungsliste <strong>de</strong>r "oberen Zweitausend" <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS von 1989 sind 48 Frauen genannt,<br />

von <strong>de</strong>nen nur 4 aus operativ tätigen <strong>Die</strong>nsteinheiten kamen: <strong>de</strong>r bereits erwähnte OibE <strong>de</strong>r AG<br />

Bereich Kommerzielle Koordinierung, Sigrid Schalck-Golodkowski, die stellvertreten<strong>de</strong> Leiterin<br />

<strong>de</strong>r Abteilung VIII (Beobachtung/Ermittlung) <strong>de</strong>r Bezirksverwaltung Cottbus, Oberstleutnant<br />

Christel Bergmann, die Leiterin <strong>de</strong>r AG Ka<strong>de</strong>r und Schulung <strong>de</strong>r Hauptabteilung VIII<br />

(Beobachtung/Ermittlung), Oberstleutnant E<strong>de</strong>ltraud Sarge, sowie <strong>de</strong>r Sekretär <strong>de</strong>r SED-<br />

Grundorganisation <strong>de</strong>r Abteilung 26 (Telefonkontrolle), Oberstleutnant Helga Höfner. 164<br />

Tabelle 12: Frauen unter <strong>de</strong>n "oberen Zweitausend" 165 <strong>de</strong>r Besoldungsliste <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS<br />

<strong>Die</strong>nsteinheit Anzahl<br />

Medizinischer <strong>Die</strong>nst (Zentrale/Bezirksverwaltungen) 31<br />

Juristische Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS 3<br />

Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung 3<br />

SED-Kreisleitung 1<br />

AG Bereich Kommerzielle Koordinierung 1<br />

Hauptabteilung/BV-Abteilungen VIII (Beobachtung/Ermittlung) 2<br />

Abteilung 26 (Telefonüberwachung) 1<br />

SV Dynamo 6<br />

Der Frauenanteil an <strong>de</strong>n operativen und insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n IM-führen<strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>n ist <strong>de</strong>rzeit<br />

nicht genau zu ermitteln, er war aber <strong>de</strong>nkbar gering. So gab es in <strong>de</strong>r Bezirksverwaltung Gera<br />

1989 vier Frauen mit <strong>de</strong>m Status einer operativen <strong>Mitarbeiter</strong>in - sie waren sämtlich in <strong>de</strong>r<br />

Auswertungs- und Kontrollgruppe mit <strong>de</strong>r Eingabe von Informationen in die Datenspeicher <strong>de</strong>r<br />

Bezirksverwaltung beschäftigt. 166 Zwar wiesen die dienstlichen Grundsätze keine geschlechtsspezifischen<br />

Unterscheidungen auf, wie <strong>de</strong>r Leiter <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung als<br />

"wichtiges Ergebnis <strong>de</strong>r Durchsetzung <strong>de</strong>r Frauenpolitik <strong>de</strong>r Partei im MfS" 1979 selbstgefällig<br />

162 HA KuSch vom 22.7.1964, Fragen <strong>de</strong>r Durchsetzung <strong><strong>de</strong>s</strong> Frauenkommuniques und <strong>de</strong>r Auswertung <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Frauenkongresses im MfS (künftig: KuSch, Fragen 1964); <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 48, S. 2-3; AIG <strong>de</strong>r<br />

HA KuSch vom 18.6.1975, Gesichtspunkte, die aus <strong>de</strong>m Zahlenmaterial <strong>de</strong>r Auswertung über die weiblichen<br />

Angehörigen und Zivilbeschäftigten [...] <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 29, unerschlossenes<br />

Material, S. 4a.<br />

163 Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> 1. Sekretärs <strong>de</strong>r SED-Kreisleitung, Felber, an <strong>de</strong>n Leiter <strong>de</strong>r Abteilung <strong>für</strong> Sicherheitsfragen<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> ZK, Herger, vom 10.8.1988; <strong>BStU</strong>, ZA, KL SED 685, unerschlossenes Material.<br />

164 Nach <strong>de</strong>n Zentralkarteikarten <strong>de</strong>r genannten <strong>Mitarbeiter</strong>innen; <strong>BStU</strong>, ZA; vgl. "<strong>Die</strong> oberen Zweitausend auf<br />

<strong>de</strong>n Gehaltslisten <strong>de</strong>r Stasi", in: <strong>Die</strong> An<strong>de</strong>re - 12 (1991), Beilage (künftig: <strong>Die</strong> oberen Zweitausend); <strong>de</strong>r hohe<br />

Anteil <strong><strong>de</strong>s</strong> Medizinischen <strong>Die</strong>nstes resultiert u.a. aus <strong>de</strong>n Gehaltszuschlägen <strong>für</strong> MfS-Ärzte.<br />

165 Gemeint sind die zweitausend MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> mit <strong>de</strong>n höchsten Jahresgehältern, ausgewiesen in: ebenda.<br />

Oberst Monika Kretzschmar ist in dieser Liste nicht aufgeführt.<br />

166 Renate Ellmenreich: Operativ-psychologische Strategien gegen Frauen, in: Frauen im Visier <strong>de</strong>r Stasi, hrsg.<br />

von <strong>de</strong>r Redaktion "Weibblick", Unabhängiger Frauenverband, Berlin 1995, S. 8-17, hier S. 9.


56<br />

festhielt. Aber noch 1986 ließ sein Nachfolger das Vorhan<strong>de</strong>nsein beson<strong>de</strong>rer "<strong>für</strong> weibliche<br />

Angehörige geeignete[r] Tätigkeiten" im operativen Bereich prüfen, um "männliche Angehö-<br />

rige <strong>für</strong> die Lösung von Schwerpunktaufgaben freizusetzen". 167<br />

Das patriarchale Rollenverständnis im MfS speiste sich aus drei Quellen: Zum einen wur<strong>de</strong>n<br />

Frauen in <strong>de</strong>m militärisch verfaßten Männerbund mit seinen informellen Normen und Ritualen<br />

als Fremdkörper betrachtet. Zwar hatte die praktische Arbeit <strong>de</strong>r Staatssicherheit, sieht man<br />

von Vorbereitungen auf <strong>de</strong>n Spannungsfall ab, nichts mit militärischen Arbeiten im<br />

eigentlichen Sinne zu tun und es gab nur in Ausnahmefällen Situationen, wo eine männliche<br />

körperliche Überlegenheit eine Rolle hätte spielen können. <strong>Die</strong> Vorstellung aber, ein<br />

weiblicher Offizier hätte einen männlichen IM zu führen o<strong>de</strong>r männliche MfS-Angehörige als<br />

Vorgesetzte anzuleiten, erfüllte offensichtlich viele Vorgesetzte mit Wi<strong>de</strong>rwillen.<br />

Zum zweiten erschien die übliche Dreifachbelastung <strong>de</strong>r Frauen in <strong>de</strong>r DDR als Berufstätige,<br />

Ehefrauen und Mütter nicht vereinbar mit <strong>de</strong>n dienstlichen Erfor<strong>de</strong>rnissen wie dauern<strong>de</strong>r Einsatzbereitschaft<br />

und permanenten Überstun<strong>de</strong>n. Wichtigstes Thema <strong>de</strong>r Maßnahmen zur Frauenför<strong>de</strong>rung<br />

war <strong>de</strong>nn auch die Schaffung von "Erleichterungen" wie <strong>de</strong>r Erweiterung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rgartenplätze<br />

und besseren Einkaufsmöglichkeiten. Auf einer SED-Delegiertenkonferenz im<br />

MfS im Jahre 1967 empörte sich die Leiterin <strong>de</strong>r Frauenkommission <strong>de</strong>r Kreisparteileitung,<br />

Margot Hecker, über diese Logik:<br />

"Wir befin<strong>de</strong>n uns mitten in <strong>de</strong>r Ablösung jahrtausen<strong>de</strong>alter Lebensformen und Familienbeziehungen,<br />

die von ökonomischer Abhängigkeit und Entrechtung <strong>de</strong>r Frau geprägt<br />

war. [...] Dabei ergeben sich notwendigerweise Konflikte und Schwierigkeiten - <strong>de</strong>r Zusammenstoß<br />

von alten Lebens- und Denkgewohnheiten mit <strong>de</strong>n neuen. Niemand ist ganz<br />

frei von <strong>de</strong>n Wirkungen <strong>de</strong>r alten Traditionen. Worin zeigt sich das unter an<strong>de</strong>rem? Z.B.<br />

wenn von Erleichterungen <strong>für</strong> die Hausarbeiten gesprochen wird, dann heißt es<br />

'Erleichterungen <strong>für</strong> die Frauen' (<strong>de</strong>r Mann hilft im Haushalt bestenfalls!); Kin<strong>de</strong>rgärten<br />

'<strong>für</strong> die Frauen' (haben Männer keine Kin<strong>de</strong>r?); die Versorgung durch die Betriebsverkaufsstelle<br />

klappt nicht, 'Soll sich die Frauenkommission darum kümmern'. Ist das tatsächlich<br />

nur <strong>für</strong> die Frauen? Es geht darum, die Konsequenzen einer gesellschaftlichen<br />

Verän<strong>de</strong>rung voll bewußt zu machen, die längst eingetreten ist, und die von uns allen,<br />

Frauen und Männern, neue Denk- und Verhaltensweisen verlangt, noch mehr genutzt<br />

bzw. weiter entwickelt wer<strong>de</strong>n muß." 168<br />

Schließlich gab es wohl auch eine gehörige Portion Zweifel, ob Frauen die <strong>für</strong> die operative<br />

Arbeit als notwendig erachteten tschekistischen Persönlichkeitsmerkmale wie Verschwiegen-<br />

167 Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch vom 15.8.1979, Zu wichtigen Ergebnissen <strong>de</strong>r Durchsetzung <strong>de</strong>r Frauenpolitik <strong>de</strong>r<br />

Partei im MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 32, unerschlossenes Material; Information 1986 (siehe Anm.<br />

128), Bl. 43.<br />

168 Re<strong>de</strong> Margot Hecker - GO I/1 auf <strong>de</strong>r Kreis<strong>de</strong>legiertenkonferenz <strong>de</strong>r SED im MfS 1967; <strong>BStU</strong>, ZA, KL SED<br />

933, unerschlossenes Material, Bl. 862-867, hier Bl. 868.


57<br />

heit und Härte in ausreichen<strong>de</strong>m Maße aufbringen wür<strong>de</strong>n. Für "Schwatzhaftigkeit", eine <strong>de</strong>r<br />

verpöntesten Charaktereigenschaften, galten Frauen als beson<strong>de</strong>rs anfällig. Nur als<br />

"funktionieren<strong>de</strong> Schräubchen", so die resümieren<strong>de</strong> Formulierung einer ehemaligen MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>in,<br />

fan<strong>de</strong>n die Frauen ihren Platz im MfS - <strong>de</strong>m "Patriarchat im Patriarchat". 169<br />

169 <strong>Die</strong> Stasi - das Patriarchat im Patriarchat. Interview mit einer ehemaligen Hauptamtlichen zur Arbeit von<br />

Frauen im MfS, in: <strong>Die</strong> Tageszeitung vom 8.3.1993.


7. Materielle Lage<br />

58<br />

<strong>Die</strong> materielle Lage <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> war von verschie<strong>de</strong>nen Faktoren bestimmt. Hier sind<br />

neben <strong>de</strong>r eigentlichen Besoldung zu nennen: weitere finanzielle Leistungen durch Prämien,<br />

Auszeichnungen usw., die kostenlose bzw. subventionierte Bereitstellung von <strong>Die</strong>nstleistungen,<br />

außer<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Zugang zu Waren und <strong>Die</strong>nstleistungen, die in <strong>de</strong>r DDR ansonsten gar nicht<br />

o<strong>de</strong>r nur sehr schwer zu erhalten waren. Das MfS baute zur Versorgung seiner <strong>Mitarbeiter</strong> im<br />

Laufe <strong>de</strong>r Zeit ein System von Einrichtungen auf, das zwar <strong>de</strong>r Form nach <strong>de</strong>n üblichen Einrichtungen<br />

in DDR-Betrieben und -Institutionen entsprach, faktisch aber in vielfältiger Hinsicht<br />

die Basis einer ausgesprochen privilegierten Lage <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> bil<strong>de</strong>te. Das vielzitierte und<br />

in an<strong>de</strong>rer Hinsicht irreführen<strong>de</strong> Diktum vom "Staat im Staate" hat in diesem Zusammenhang<br />

insofern seine Berechtigung, als mit <strong>de</strong>m Versorgungssystem eine nachgera<strong>de</strong> komplette<br />

Lebenswelt geschaffen wur<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>r die <strong>Mitarbeiter</strong> und ihre Familien von <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rbetreuung<br />

bis zur Ferienreise versorgt wur<strong>de</strong>n. Das <strong>für</strong> das Selbstverständnis <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

konstitutive Machtbewußtsein, sowie die <strong>de</strong>m "Klassenauftrag" geschul<strong>de</strong>te Opferbereitschaft<br />

in persönlichen Angelegenheiten mutierten in <strong>de</strong>r Versorgungspolitik zu einer kollektiven<br />

Selbstbedienungsmentalität. Dem konnte auch durch die in <strong>de</strong>r internen Erziehungsarbeit propagierte<br />

persönliche Beschei<strong>de</strong>nheit und Anspruchslosigkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers Mielke und seiner<br />

Kampfgefährten aus <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>rgeneration nur bedingt entgegengewirkt wer<strong>de</strong>n, nicht zuletzt,<br />

weil die interne Hierarchisierung fortschritt und <strong>de</strong>r tatsächliche Lebensstil nicht weniger Leiter<br />

diesem Bild kaum entsprach.<br />

7.1. Besoldung<br />

Der Sold <strong>de</strong>r Zeit- und Berufssoldaten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS setzte sich aus mehreren Elementen zusammen:<br />

<strong>de</strong>n Vergütungen <strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nstgrad, <strong>für</strong> die <strong>Die</strong>nststellung sowie einem prozentualen Aufschlag<br />

entsprechend <strong>de</strong>m <strong>Die</strong>nstalter. Außer<strong>de</strong>m gab es Zulagen und Zuschläge <strong>für</strong> bestimmte<br />

Tätigkeiten. Vom MfS <strong>de</strong>legierte Stu<strong>de</strong>nten erhielten ein Stipendium. Sofern sie schon vorher<br />

einen darüber hinausgehen<strong>de</strong>n Sold bezogen hatten, wur<strong>de</strong> statt <strong><strong>de</strong>s</strong>sen dieser weitergezahlt.<br />

<strong>Die</strong> Zivilbeschäftigten wur<strong>de</strong>n geson<strong>de</strong>rt, ab 1969 nach einem mit <strong>de</strong>r FDGB-Leitung im Ministerium<br />

abgeschlossenen Rahmenkollektivvertrag, bezahlt. 170<br />

170 <strong>Die</strong> wichtigsten Regelungen: Anordnung 2/59 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers: Arbeitsrechtliche Stellung und Gehaltsregelung<br />

<strong>für</strong> Zivilbeschäftigte im <strong>Die</strong>nstbereich <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100069; Rahmenkollektivvertrag <strong>für</strong> Zivilbeschäftigte<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS vom 1.9.1969; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101457; Rahmenkollektivvertrag <strong>für</strong> die Zivilbeschäftigten<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS von 1980; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 102641; jeweils mit diversen Än<strong>de</strong>rungen und Nachträgen.


Tabelle 13: Vergütung <strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nstgrad (Berufssoldaten, in Mark) 171<br />

59<br />

<strong>Die</strong>nstgrad 1969 1975 1987<br />

Soldat 120 220 220<br />

Gefreiter 130 230 230<br />

Stabsgefreiter 150 250 250<br />

Unteroffizier 180 275 275<br />

Unterfeldwebel 200 300 300<br />

Feldwebel 225 325 325<br />

Oberfeldwebel 250 375 375<br />

Stabsfeldwebel 300 400 400-475*<br />

Fähnrich - - 450<br />

Oberfähnrich - - 500<br />

Stabsfähnrich - - 550<br />

Stabsoberfähnrich - - 600<br />

Unterleutnant 300 400 400<br />

Leutnant 350 450 450<br />

Oberleutnant 400 500 500<br />

Hauptmann 450 550 550<br />

Major 550 600 600<br />

Oberstleutnant 600 650 650<br />

Oberst 800 800 800<br />

Generalmajor 1.000 1.000 1.000<br />

Generalleutnant 1.200 1.200 1.200<br />

Generaloberst 1.400 1.400 1.400<br />

* nach 10 <strong>Die</strong>nstjahren: 425<br />

nach 15 <strong>Die</strong>nstjahren: 450<br />

nach 20 <strong>Die</strong>nstjahren: 475<br />

Beim zweiten Element, <strong>de</strong>r Vergütung <strong>für</strong> die <strong>Die</strong>nststellung, wur<strong>de</strong> die Tätigkeit entsprechend<br />

eines Bewertungskatalogs einer bestimmten Vergütungsstufe zugeordnet. Sie bestimmte die<br />

Endvergütung in <strong>de</strong>r jeweiligen Position; in <strong>de</strong>r Regel wur<strong>de</strong>n die <strong>Mitarbeiter</strong> zunächst eine bis<br />

zwei Stufen niedriger bezahlt und nach einiger Zeit höhergruppiert. Bei <strong>de</strong>n Beträgen wur<strong>de</strong><br />

zwischen <strong>de</strong>m MfS Berlin und <strong>de</strong>n Bezirksverwaltungen (einschließlich Kreisdienststellen)<br />

unterschie<strong>de</strong>n. Für die Berliner Bezirksverwaltung und das Wachregiment wur<strong>de</strong>n später ebenfalls<br />

die Sätze <strong>de</strong>r Zentrale zugrun<strong>de</strong>gelegt, nach<strong>de</strong>m zuvor bereits eine "Hauptstadtzulage" gezahlt<br />

wor<strong>de</strong>n war.<br />

171 Ordnung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über die Besoldung <strong>de</strong>r Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS - Besoldungsordnung<br />

-; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101130 (künftig: Besoldungsordnung 1969), Än<strong>de</strong>rung 1975; Ordnung 3/87 <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Ministers über die Besoldung <strong>de</strong>r Berufsoffiziere, Fähnriche, Berufsunteroffiziere und Unteroffiziere auf Zeit<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS - Besoldungsordnung -; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103377 (künftig: Besoldungsordnung 1987).


Tabelle 14: Vergütung <strong>für</strong> die <strong>Die</strong>nststellung (Berufssoldaten, in Mark) 172<br />

Vergütungsstufe<br />

(VS)<br />

60<br />

Tätigkeiten (Beispiele) MfS<br />

Berlin BV/V<br />

1969 1987<br />

MfS/BV<br />

Berlin, WR<br />

an<strong>de</strong>re<br />

BV<br />

I Wachkräfte 350 300 600 500<br />

II Funktionsunteroffizier im Wachdienst 380 330 650 550<br />

III Teilfacharbeiter Versorgungsbereich 410 360 700 600<br />

IV Teilfacharbeiter Versorgungsbereich 450 400 750 650<br />

V Teilfacharbeiter Versorgungsbereich 500 450 800 700<br />

VI Teilfacharbeiter Versorgungsbereich 550 500 850 750<br />

VII Facharbeiter im operativ-technischen <strong>Die</strong>nst 600 550 900 800<br />

VIII Facharbeiter im operativ-technischen <strong>Die</strong>nst 650 600 950 850<br />

IX Facharbeiter mit Spezialkenntnissen " 700 650 1.000 900<br />

X <strong>Mitarbeiter</strong> im Haftvollzug 750 700 1.050 950<br />

XI Operativer Karteimitarbeiter 800 750 1.100 1.000<br />

XII Operativer Beobachter 850 800 1.150 1.050<br />

XIII Operativer <strong>Mitarbeiter</strong> (IM-führend) 900 850 1.200 1.100<br />

XIV Operativer <strong>Mitarbeiter</strong> (IM-führend) 950 900 1.250 1.150<br />

XV Operativer MA bei Schwerpunktaufgaben 1.000 950 1.300 1.200<br />

XVI Referatsleiter, stellv. KD-Leiter 1.100 1.000 1.400 1.300<br />

XVII Leiter eines selbständigen Referates in BV, 1.250 1.100 1.550 1.450<br />

stellv. KD-Leiter<br />

XVIII Stellv. Abteilungs-Leiter in HA und BV 1.400 1.200 1.700 1.600<br />

XIX Abteilungs-Leiter in HA und BV; KD-Leiter 1.500 1.300 1.850 1.750<br />

XX Bereichsleiter in HA 1.700 1.500 2.000 1.900<br />

XXI Stellv. HA-Leiter, stellv. BV-Leiter 1.800 1.600 2.150 2.050<br />

XXII 1. Stellv. HA-Leiter, 1. Stellv. BV-Leiter 1.900 1.700 2.300 2.200<br />

XXIII HA-Leiter, BV-Leiter; 1. Stellv. Leiter HV A 2.000 1.900 2.450 2.350<br />

- Stellvertreten<strong>de</strong>r Minister k.A. - 3.350 -<br />

1985 wur<strong>de</strong>n als "Mittel zur weiteren Erhöhung <strong>de</strong>r Qualität und Effektivität in <strong>de</strong>r Arbeit mit<br />

IM" Von-Bis-Spannen <strong>für</strong> IM-führen<strong>de</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> eingeführt (Hauptverwaltung Aufklärung:<br />

Vergütungsstufe XI-XV, MfS Berlin außer HV A: Vergütungsstufe X-XII, Bezirksverwaltungen/Kreis-<br />

und Objektdienststellen: Vergütungsstufe IX-XI). Zu diesem Zweck hatten die Leiter<br />

<strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nsteinheiten jährlich die Leistungen <strong>de</strong>r einzelnen <strong>Mitarbeiter</strong> in <strong>de</strong>r<br />

IM-Arbeit zu beurteilen - dabei sollten auch Rückstufungen bei mangeln<strong>de</strong>r Qualität nicht ausgeschlossen<br />

sein. 173 Der Minister erläuterte: "Je<strong>de</strong> ungenügen<strong>de</strong> Beachtung dieser Zielsetzung,<br />

je<strong>de</strong> unobjektive und undifferenzierte Bewertung <strong>de</strong>r tatsächlichen Arbeitsergebnisse, jegliche<br />

Gleichmacherei ist auszuschalten." 174 1987 ermahnte <strong>de</strong>r Minister die Kollegiumsmitglie<strong>de</strong>r,<br />

daß die "jeweils höchste Vergütungsstufe nur <strong>de</strong>n Angehörigen zu gewähren ist, die auch tat-<br />

172 jeweils Endvergütung; Besoldungsordnung 1969; Tätigkeiten und Angaben 1987 nach: Rahmenkatalog 1987<br />

(siehe Anm. 54).<br />

173 Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r HA KuSch an <strong>de</strong>n Leiter <strong>de</strong>r HV A sowie <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren <strong>Die</strong>nsteinheiten vom<br />

2.3.1985; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103152.<br />

174 Referat Mielkes auf <strong>de</strong>r erweiterten Kollegiumssitzung zur weiteren Vorbereitung <strong><strong>de</strong>s</strong> XI. Parteitages <strong>de</strong>r<br />

SED am 7.6.1985; <strong>BStU</strong>, ZA, ZAIG 8664, Bl. 1-115, hier Bl. 101.


61<br />

sächlich Arbeitsergebnisse von hoher Qualität aufzuweisen haben", Spezialisten und Führungs-<br />

offiziere beson<strong>de</strong>rs be<strong>de</strong>utsamer IM seien "noch umfassen<strong>de</strong>r zu stimulieren". 175<br />

Das dritte Element <strong>de</strong>r Bezahlung war <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstalterzuschlag, mit <strong>de</strong>m das Gehalt bis zu<br />

einem Viertel erhöht wur<strong>de</strong>. Bei <strong>de</strong>r Berechnung <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Die</strong>nstalters wur<strong>de</strong> nicht nur <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nst<br />

im MfS, son<strong>de</strong>rn auch in an<strong>de</strong>ren bewaffneten Organen <strong>de</strong>r DDR, zuweilen auch vorherige IM-<br />

Tätigkeiten, Haftzeiten und an<strong>de</strong>re honorierenswert erscheinen<strong>de</strong> Sachverhalte berücksich-<br />

tigt. 176<br />

Tabelle 15: <strong>Die</strong>nstalterzuschlag (in Prozent <strong>de</strong>r monatlichen Vergütung <strong>für</strong> <strong>Die</strong>nstgrad, <strong>Die</strong>nststellung<br />

und Zulagen)<br />

nach Ablauf von Zuschlag<br />

in Prozent<br />

3 <strong>Die</strong>nstjahren 8<br />

5 <strong>Die</strong>nstjahren 10<br />

10 <strong>Die</strong>nstjahren 15<br />

15 <strong>Die</strong>nstjahren 20<br />

20 <strong>Die</strong>nstjahren 25<br />

Neben diesen Standar<strong>de</strong>lementen <strong>de</strong>r Besoldungssystematik gab es noch Zulagen unterschiedlicher<br />

Höhe, zum Beispiel <strong>für</strong> Kraftfahrer (50 bis 150 Mark), Flugpersonal (250 bis 550 Mark),<br />

Ärzte, Zahnärzte und Apotheker (100 bis 600 Mark) sowie die Hochschullehrer und wissenschaftlichen<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r Juristischen Hochschule (Differenz zur Vergütung von Hochschullehrern<br />

und Wissenschaftlern an zivilen Hochschulen <strong>de</strong>r DDR). 177 Zuschläge wur<strong>de</strong>n zur<br />

Kompensation "beson<strong>de</strong>rer physischer und psychischer Belastungen", wie Schicht- und<br />

Grenzdienst, gezahlt. Mit <strong>de</strong>r leistungsabhängigen "Von-bis-Vergütung" wur<strong>de</strong> 1985 außer<strong>de</strong>m<br />

eine Zulage <strong>für</strong> IM-führen<strong>de</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> und Leiter IM-führen<strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten von 150<br />

Mark eingeführt. 178 Das Einkommen <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> war weitgehend steuerfrei, lediglich<br />

die Vergütung <strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nstgrad unterlag <strong>de</strong>r Lohnsteuerpflicht. Außer<strong>de</strong>m zahlten die<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> zehn Prozent <strong><strong>de</strong>s</strong> Bruttolohns als Beitrag zur Son<strong>de</strong>rversorgungskasse <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS.<br />

Hieraus bezogen sie später ihre - infolge <strong><strong>de</strong>s</strong> Gehaltsniveaus und <strong>de</strong>r Trennung von <strong>de</strong>r<br />

allgemeinen Rentenkasse - recht hohe Altersversorgung (75 Prozent vom Bruttoverdienst). 179<br />

Neueingestellte Offiziersschüler, die im MfS-Auftrag studierten, erhielten pauschalierte<br />

<strong>Die</strong>nstbezüge (1. <strong>Die</strong>nstjahr: 675 Mark, 2. <strong>Die</strong>nstjahr: 725 Mark, 3. <strong>Die</strong>nstjahr: 775 Mark, 4.<br />

175 Hinweise [Mielkes] zum Punkt 2 <strong>de</strong>r Kollegiumssitzung am 15.5.1987 - Erlaß von Bestimmungen zur Ka<strong>de</strong>rarbeit;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1987, Bl. 184-192, hier Bl. 189.<br />

176 Beschluß <strong>de</strong>r Sicherheitskommission <strong><strong>de</strong>s</strong> Politbüros vom 5.11.1959; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 408, Bl. 174.<br />

177 Beträge nach <strong>de</strong>m Stand <strong>de</strong>r Besoldungsordnung 1987.<br />

178 Siehe Anm. 173.<br />

179 Vgl. Gunnar Winkler (Hrsg.): Sozialreport ´90. Daten und Fakten zur sozialen Lage in <strong>de</strong>r DDR, Berlin 1990<br />

(künftig: Winkler: Sozialreport 90), S. 330 f.


62<br />

<strong>Die</strong>nstjahr: 850 Mark). Offiziersschüler, die zuvor als Unteroffiziere gedient hatten, erhielten<br />

ganz o<strong>de</strong>r teilweise ihren bisherigen Sold, sofern er höher als die genannten Sätze lag. 180<br />

<strong>Die</strong> Gehälter <strong>de</strong>r Generalität <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS bewegten sich ausweislich <strong>de</strong>r geschil<strong>de</strong>rten Systematik<br />

und <strong>de</strong>r Besoldungsliste 1989 in einer Größenordnung von etwa 4.000 bis 6.500 Mark, je nach<br />

Rang und Funktion. An <strong>de</strong>r Spitze stand <strong>de</strong>r Minister Erich Mielke mit einem Jahreseinkom-<br />

men von zuletzt 79.062,50 Mark. 181 Ein als Führungsoffizier <strong>für</strong> IM eingesetzter Hauptmann<br />

mit min<strong><strong>de</strong>s</strong>tens zehn <strong>Die</strong>nstjahren kam mit <strong>de</strong>n oben beschriebenen Elementen auf bis zu<br />

2.242,50 Mark, je nach Einstufung seiner Leistung. Zum Vergleich: Das durchschnittliche<br />

monatliche Arbeitseinkommen betrug 1989 in <strong>de</strong>r DDR 1.172 Mark (volkseigener produzieren<strong>de</strong>r<br />

Bereich, ohne Prämien), Hoch- und Fachschulka<strong>de</strong>r im Industrie- und Bausektor verdienten<br />

1988 im Durchschnitt 1.477 Mark. 182 Innerhalb <strong>de</strong>r relativ nivellierten Einkommensverteilung<br />

<strong>de</strong>r DDR war die Mehrzahl <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r Staatssicherheit damit <strong>de</strong>utlich oberhalb<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Durchschnitts plaziert. 183<br />

Zu <strong>de</strong>n regulären Gehaltszahlungen kamen noch weitere Faktoren. So wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n nicht kaserniert<br />

untergebrachten Berufssoldaten Wohn-, Bekleidungs- und Verpflegungsgeld gezahlt,<br />

hinzu kamen außer<strong>de</strong>m mit Auszeichnungen verbun<strong>de</strong>ne finanzielle Gratifikationen.<br />

Seit 1974 verfügte das MfS über eine eigene Sparkasse, bei <strong>de</strong>r die <strong>Mitarbeiter</strong> ihre Gehaltsund<br />

Sparkonten führten und auch Kredite aufnehmen konnten. Sie diente nicht nur <strong>de</strong>r konspirativen<br />

Ab<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r Gehaltszahlungen an die <strong>Mitarbeiter</strong>, son<strong>de</strong>rn auch zur Kontrolle ihrer<br />

finanziellen Verhältnissen. Größere und längere Kontoüberziehungen wur<strong>de</strong>n als Indiz <strong>für</strong><br />

Finanzschwierigkeiten gewertet und aufgrund <strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>nen potentiellen<br />

Angriffspunkte feindlicher Geheimdienste disziplinarisch geahn<strong>de</strong>t. 184<br />

7.2. An<strong>de</strong>re materielle Leistungen<br />

<strong>Die</strong> Besoldung allein ist <strong>für</strong> die Bestimmung <strong>de</strong>r realen materiellen Lage nur bedingt aussagekräftig,<br />

da <strong>de</strong>n vorhan<strong>de</strong>nen finanziellen Mitteln in <strong>de</strong>r DDR kein quantitativ und qualitativ<br />

adäquates Warenangebot gegenüberstand. Entschei<strong>de</strong>nd waren die Zugangsmöglichkeiten zu<br />

knappen o<strong>de</strong>r regulär gar nicht erhältlichen Waren und <strong>Die</strong>nstleistungen. Einer <strong>de</strong>r mehr o<strong>de</strong>r<br />

weniger informellen Beschaffungswege war <strong>de</strong>n MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n aufgrund <strong><strong>de</strong>s</strong> Verbots von<br />

180 Besoldungsordnung 1987, Bl. 301.<br />

181 <strong>Die</strong> oberen Zweitausend, S. III.<br />

182 Winkler: Sozialreport 90, S.113, 116.<br />

183 Zur Einkommensverteilung vgl. die "Lorenzkurve", in: Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>ministerium <strong>für</strong> inner<strong>de</strong>utsche Beziehungen<br />

(Hrsg.): Materialien zum Bericht zur Lage <strong>de</strong>r Nation im geteilten Deutschland 1987, Bonn 1987, S. 503.<br />

184 Vereinbarung zwischen <strong>de</strong>m MfS <strong>de</strong>r DDR und <strong>de</strong>r Staatsbank <strong>de</strong>r DDR über die Bildung von Betriebssparkassen<br />

im Bereich <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, 31.1.1974; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 423, Bl. 196-200. Zuvor gab es bereits eine eigene<br />

Sparkasse beim Wachregiment; Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r Abt. Finanzen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS an das Sekretariat <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Ministers vom 4.3.1974; ebenda, Bl. 193. Zu <strong>de</strong>n Kontoüberziehungen vgl. die im Abschnitt Disziplinarmaßnahmen<br />

zitierten Berichte.


63<br />

privaten Westkontakten erschwert: <strong>de</strong>r Erwerb und Einsatz von Devisen. <strong>Die</strong>ses Manko wur<strong>de</strong><br />

durch ein System eigener Versorgungseinrichtungen kompensiert, in <strong>de</strong>m sich MfS-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

vieles leicht beschaffen konnten, was <strong>de</strong>n normalen DDR-Bürger einige Mühe kostete. So<br />

wur<strong>de</strong>n die Betriebsverkaufsstellen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, wie es schon 1964 hieß, "durch Warenlieferungen<br />

<strong>de</strong>r H[aupt]A[bteilung] Verwaltung und Wirtschaft unterstützt". Damals gab es allerdings vor<br />

allem bei "hochwertigen Nahrungsmitteln sowie Genußmitteln" noch "Sortimentslücken". 185<br />

Hier wur<strong>de</strong>n offenbar auch beschlagnahmte Waren aus <strong>de</strong>r Kontrolle von Westpaketen angeboten.<br />

186 Den Spitzenka<strong>de</strong>rn <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS stand darüber hinaus <strong>de</strong>r sogenannte "Leitershop", eine<br />

Verkaufseinrichtung in <strong>de</strong>r MfS-Zentrale offen, in <strong>de</strong>r sie sich mit Produkten versorgen konnten,<br />

die gemeinhin nur gegen Devisen im Intershop erhältlich waren. Außer<strong>de</strong>m hatten sie die<br />

Möglichkeit, im "Centrum"-Warenhaus am Berliner Alexan<strong>de</strong>rplatz mit "Son<strong>de</strong>rberechtigung"<br />

begehrte Produkte zu erstehen. Der Zugang zu Luxusgütern im engeren Sinne, wie etwa Fahrzeuge<br />

o<strong>de</strong>r ausgefallene Wohnungseinrichtungen aus Westproduktion (bis hin zu Sauna und<br />

Solarium), waren allerdings weitgehend dieser kleinen Spitzengruppe vorbehalten. 187<br />

Das MfS gehörte zu <strong>de</strong>n Nutznießern <strong>de</strong>r Wohnungsbauprogramme, die insbeson<strong>de</strong>re seit <strong>de</strong>m<br />

VIII. Parteitag 1971 in Angriff genommen wur<strong>de</strong>n. Eine eigene Wohnungsverwaltung war <strong>für</strong><br />

die Vergabe von Neubauwohnungen in <strong>de</strong>n geson<strong>de</strong>rten Wohngebieten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS zuständig.<br />

Schon in <strong>de</strong>n sechziger Jahren verfügte die Staatssicherheit über eine große Zahl von<br />

Wohnobjekten <strong>für</strong> ihre <strong>Mitarbeiter</strong>. In Berlin gab es bereits 1967 min<strong><strong>de</strong>s</strong>tens 527 Wohnhäuser<br />

<strong>für</strong> MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>, damals vor allem in <strong>de</strong>n Bezirken Weißensee, Lichtenberg und Treptow.<br />

1987 wur<strong>de</strong>n durch die Verwaltung Rückwärtige <strong>Die</strong>nste (VRD) insgesamt 18.500 Wohnungen<br />

verwaltet, zum gleichen Zeitpunkt gab es aber noch 4.846 Anträge auf Zuweisung von Wohnraum<br />

- <strong>de</strong>nnoch wertete <strong>de</strong>r Leiter <strong>de</strong>r Verwaltung diesen "hohen Versorgungsgrad" als<br />

"wirksamen Beitrag zur Lösung <strong>de</strong>r Wohnungsfrage als soziales Problem auch im MfS". 188<br />

Legitimiert wur<strong>de</strong> (und wird) die großzügige finanzielle und materielle Versorgung mit <strong>de</strong>n<br />

beson<strong>de</strong>rs wichtigen Aufgaben <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> und <strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>nen hohen Belastung<br />

durch Überstun<strong>de</strong>n und <strong>Die</strong>nstbereitschaften. Schon in <strong>de</strong>r "Vorläufigen Geschäfts- und Büroordnung"<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS vom April 1950 wies <strong>de</strong>r Minister Zaisser an, daß über die damals gelten<strong>de</strong><br />

Wochenarbeitszeit von 48 Stun<strong>de</strong>n hinaus "im Interesse <strong><strong>de</strong>s</strong> Aufbaus <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> [...]<br />

je<strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> verpflichtet" sei, Mehrarbeit - ohne zusätzliche Vergütung - zu leisten. 189 In<br />

185 HA KuSch, Fragen 1964 (siehe Anm. 162), S. 8.<br />

186 Vgl. Uwe Bastian: Postraub, in: Wochenpost vom 17.8.1995, S. 56.<br />

187 Honecker gibt an, 14 Westautos, die er als Geschenke bei Auslandsreisen erhalten habe, <strong>de</strong>m MfS - vermutlich<br />

als <strong>Die</strong>nstwagen - überlassen zu haben; An<strong>de</strong>rt/Herzberg: Der Sturz, S. 383; Vgl. Talk im Turm I, in: Der<br />

Spiegel 42 (1990).<br />

188 Aus <strong>de</strong>r zitierten Quelle geht nicht hervor, ob sich diese Angaben auf Berlin o<strong>de</strong>r das gesamte MfS beziehen;<br />

Berichterstattung <strong><strong>de</strong>s</strong> Mitglieds <strong><strong>de</strong>s</strong> Sekretariats <strong>de</strong>r Kreisleitung und Leiters <strong>de</strong>r VRD zur Durchsetzung <strong>de</strong>r<br />

Sozialpolitik <strong>de</strong>r SED vor <strong>de</strong>m Sekretariat <strong>de</strong>r Kreisleitung am 14.7.1987; <strong>BStU</strong>, ZA, KL SED 106,<br />

unerschlossenes Material, Bl. 4-21, hier Bl. 6-7.<br />

189 Vorläufige Geschäfts- und Büroordnung <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit vom 18.4.1950; <strong>BStU</strong>, ZA,<br />

DSt 101157, § 9.


64<br />

<strong>de</strong>n siebziger Jahren zitierten leiten<strong>de</strong> MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> in einer Forschungsarbeit Fälle von<br />

neueingestellten <strong>Mitarbeiter</strong>n, die vorwiegend aus materiellen Motiven zum MfS gekommen<br />

wären und sich <strong>de</strong>n hohen Arbeitsanfor<strong>de</strong>rungen dann nicht gewachsen gefühlt hätten. 190<br />

<strong>Die</strong> Vergünstigungen hielten MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> nicht davon ab, zuweilen ihre dienstlichen<br />

Befugnisse zur persönlichen Bereicherung in einem Maße zu mißbrauchen, das über die in <strong>de</strong>r<br />

DDR übliche Nutzung persönlicher Beziehungen weit hinaus ging. 191 Zwar drohten diesen<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>n scharfe disziplinarische Sanktionen, es muß aber von einer hohen Dunkelziffer,<br />

insbeson<strong>de</strong>re unter leiten<strong>de</strong>n Ka<strong>de</strong>rn und operativen <strong>Mitarbeiter</strong>n ausgegangen wer<strong>de</strong>n. Für die<br />

Beschaffung von Westprodukten durch mit Operativgeld ausgestattete IM, die Versorgung von<br />

Familienangehörigen mit gutdotierten Arbeitsstellen, aber auch die Nutzung von Untergebenen<br />

als kostenlose Arbeitskräfte gibt es eine Reihe von Belegen. 192<br />

190 Forschungsarbeit innere Sicherheit, S.48.<br />

191 Vgl. <strong>de</strong>n Überblick über die Konjunkturen dieser Schattenökonomie bei Jörn Schütrumpf: Alltag in <strong>de</strong>r DDR.<br />

Beobachtungen, in: <strong>Die</strong>tmar Keller u.a. (Hrsg.): Ansichten zur Geschichte <strong>de</strong>r DDR, Band III, Bonn, Berlin<br />

1994, S. 257-282.<br />

192 Vgl. Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch vom 28.12.1983, Bericht über Beeinträchtigungen <strong>de</strong>r inneren Sicherheit <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 275, Bl. 1-18; zahlreiche Einzelfälle sind in <strong>de</strong>n Disziplinarakten dokumentiert.


8. Motivation<br />

65<br />

Eine Rekonstruktion <strong>de</strong>r Motivationslagen von <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong>de</strong>r Staatssicherheit ist schwierig,<br />

zumal Motive innere Geisteshaltungen sind, die sich kaum objektivierbar festhalten o<strong>de</strong>r gar in<br />

<strong>de</strong>r rückblicken<strong>de</strong>n Betrachtung rekonstruieren lassen. Noch dazu ist die Forschung fast aus-<br />

schließlich auf Erinnerungen <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> angewiesen, die naturgemäß <strong>de</strong>r bewußten und<br />

unbewußten Umwertung zurückliegen<strong>de</strong>r Vorgänge unterliegen. An<strong>de</strong>re Quellen wie zum Beispiel<br />

MfS-interne zeitgenössische Untersuchungen bieten ein gewisses Korrektiv, sind aber<br />

selber hochgradig i<strong>de</strong>ologisch <strong>de</strong>terminiert und verstärken zuweilen noch das Verzerrungspotential,<br />

etwa hinsichtlich <strong>de</strong>r Betonung "hoher I<strong>de</strong>ale" gegenüber privaten, pragmatischen<br />

Handlungsantrieben. <strong>Die</strong>se Vorbehalte sind bei <strong>de</strong>r Skizzierung <strong>de</strong>r Motivlage <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong><br />

<strong>für</strong> ihren <strong>Die</strong>nst bei <strong>de</strong>r Staatssicherheit nicht außer acht zu lassen.<br />

<strong>Die</strong> Entscheidung, als hauptamtlicher <strong>Mitarbeiter</strong> in <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />

zu treten, implizierte eine in <strong>de</strong>r Regel lebenslange Bindung an das "Organ". Den<br />

Motiven bei dieser Berufswahl, aber auch <strong>de</strong>r Motivation im späteren <strong>Die</strong>nst kam daher zentrale<br />

Be<strong>de</strong>utung zu. Wie bei je<strong>de</strong>r zentralen Lebensentscheidung war es ein Bün<strong>de</strong>l unterschiedlicher<br />

Faktoren, das <strong>de</strong>n Ausschlag zum Eintritt in die Reihen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS gab: Interessen, Gefühle,<br />

Einstellungen, darunter im gesellschaftlichen Leben hoch angesehene Motive, aber auch<br />

ganz private. <strong>Die</strong> Theoretiker <strong>de</strong>r Juristischen Hochschule folgerten:<br />

"Bei <strong>de</strong>r Feststellung und Beurteilung von Motiven operativ-interessanter Verhaltensweisen<br />

ist immer <strong>de</strong>r Komplexcharakter (Motivationsgefüge, 'Motivationsbün<strong>de</strong>l', Motivkomplexe)<br />

zu beachten, <strong>de</strong>r im Verflochtensein und gleichzeitigem Aufeinan<strong>de</strong>rwirken<br />

verschie<strong>de</strong>ner, z.T. gegensätzlicher Motive im Prozeß <strong>de</strong>r Entstehung einer Handlung<br />

besteht. Das Entwickeln und Festigen gesellschaftlich be<strong>de</strong>utsamer und <strong>de</strong>r Lösung politisch-operativer<br />

Aufgaben dienen<strong>de</strong>r Motive ist ständiger Bestandteil <strong>de</strong>r klassenmäßigen<br />

Erziehung <strong>de</strong>r Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS." 193<br />

Im Zentrum dieser Erziehung, die schon mit <strong>de</strong>r Auswahl und Anwerbung von Kandidaten <strong>für</strong><br />

<strong>de</strong>n <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Die</strong>nst einsetzte, stand die Herausbildung <strong><strong>de</strong>s</strong> "sozialistischen Wehrmotivs",<br />

also <strong>de</strong>r "Gesamtheit <strong>de</strong>r politisch-moralischen Beweggrün<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Willens <strong>de</strong>r Bürger <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

sozialistischen Staates, ihren persönlichen Beitrag zur Vervollkommnung <strong>de</strong>r Lan<strong><strong>de</strong>s</strong>verteidigung<br />

zu leisten [...]". Es beinhaltete verschie<strong>de</strong>ne Elemente wie die Überzeugung von <strong>de</strong>r<br />

Verteidigungswürdigkeit und historischen Überlegenheit <strong><strong>de</strong>s</strong> Sozialismus, <strong>de</strong>r Gesetzmäßigkeit<br />

seines Sieges, <strong>de</strong>r Freundschaft mit <strong>de</strong>r Sowjetunion und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sozialistischen Län<strong>de</strong>rn,<br />

aber auch <strong>de</strong>m "Haß auf die Fein<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Sozialismus". 194<br />

193 JHS: Wörterbuch <strong>für</strong> die politisch-operative Arbeit, Potsdam 1969; <strong>BStU</strong>, ZA, JHS GVS 300/69, S. 178-179.<br />

In <strong>de</strong>r vom <strong>BStU</strong> veröffentlichten zweiten Auflage ist das Stichwort nicht mehr enthalten.<br />

194 Kleines Politisches Wörterbuch, 3. überarb. Aufl. Berlin [Ost] 1978, S. 839.


66<br />

Das sozialistische Wehrmotiv zielte in erster Linie auf die militärische Verteidigungsbereit-<br />

schaft im engeren Sinne. <strong>Die</strong> MfS-Tätigkeit wur<strong>de</strong> aber ebenfalls als Element <strong><strong>de</strong>s</strong> "Systems <strong>de</strong>r<br />

Lan<strong><strong>de</strong>s</strong>verteidigung" im Kalten Krieg begriffen, gerichtet gegen <strong>de</strong>n im Inneren und von außen<br />

subversiv wirken<strong>de</strong>n "Feind". Im Gegensatz zur NVA, die ja in Frie<strong>de</strong>nszeiten lediglich prä-<br />

ventive Aufgaben hatte, stan<strong>de</strong>n die <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS - so das Selbstverständnis - in ihrer<br />

tagtäglichen Arbeit in direktem Feindkontakt und mußten über eine entsprechend hohe und ge-<br />

festigte Motivation verfügen.<br />

Voraussetzung einer entsprechen<strong>de</strong>n Wehrmotivation war eine positive Grun<strong>de</strong>instellung zum<br />

gesellschaftlichen System <strong>de</strong>r DDR und zur herrschen<strong>de</strong>n I<strong>de</strong>ologie. Aufgrund <strong>de</strong>r strengen<br />

Auswahlkriterien <strong>de</strong>r MfS-Werber und ihrer vorrangigen Kandidatensuche in Elternhäusern,<br />

<strong>de</strong>ren Erziehung systembejahen<strong>de</strong> Werte und Einstellungen för<strong>de</strong>rte, war eine solche<br />

"fortschrittliche Einstellung" unter <strong>de</strong>n Werbungskandidaten gleichsam selbstverständlich. Sowohl<br />

in zeitgenössischen als auch in retrospektiven Äußerungen von MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n über<br />

ihre Motive <strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst steht an erster Stelle dieser Wunsch, <strong>de</strong>n sozialistischen Staat zu<br />

schützen und zu verteidigen. <strong>Die</strong> DDR zählte <strong>für</strong> sie zu <strong>de</strong>n "Siegern <strong>de</strong>r Geschichte", wie sich<br />

ein ehemaliger <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r Hauptabteilung VII erinnert. 195 <strong>Die</strong> unter <strong>de</strong>m Oberbegriff <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

sozialistischen Wehrmotivs gefaßten konkreten Motivationselemente und Überzeugungen<br />

konnten individuell sehr unterschiedlichen Stellenwert haben. <strong>Die</strong> Gewichte zwischen ihnen<br />

verschoben sich im Laufe <strong>de</strong>r Zeit.<br />

<strong>Die</strong> Altkommunisten, die in <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>rgeneration die Leitungspositionen einnahmen, bezogen<br />

ihre Motive <strong>für</strong> <strong>de</strong>n MfS-<strong>Die</strong>nst aus ihrem Lebensweg, <strong>de</strong>r sie in <strong>de</strong>r Zeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Nationalsozialismus<br />

mit <strong>de</strong>r kommunistischen Partei, nicht selten unter härtesten Bedingungen, verbun<strong>de</strong>n<br />

hatte. Sie dienten <strong>de</strong>r SED, in Einzelfällen sogar trotz selbst erlittener stalinistischer Verfolgung<br />

im sowjetischen Exil, in parteisoldatischem Bewußtsein, das in <strong>de</strong>m Spruch "Ich diene<br />

dort, wo die Partei mich hinstellt" seinen Ausdruck fand und empfan<strong>de</strong>n es als beson<strong>de</strong>rs<br />

ehrenhaft, an so zentraler Stelle das System, das die Verwirklichung ihres Lebensziels darstellte,<br />

gegen seine Fein<strong>de</strong> verteidigen zu können.<br />

Für die überwiegen<strong>de</strong> Mehrheit <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>, die nicht selbst an <strong>de</strong>n prägen<strong>de</strong>n Kämpfen <strong>de</strong>r<br />

Weimarer Republik und <strong><strong>de</strong>s</strong> Nationalsozialismus teilgenommen hatte, lag die Be<strong>de</strong>utung<br />

dieser Gruppe in ihrer Vorbildfunktion. Bis zuletzt bil<strong>de</strong>ten die - freilich im Sinne <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

"gesäuberten" Antifaschismus stilisierten196 - I<strong>de</strong>ale und Schicksale dieser "alten Kämpfer" <strong>de</strong>n<br />

Dreh- und Angelpunkt <strong>de</strong>r propagierten, und zu einem guten Teil auch internalisierten,<br />

Wertvorstellungen <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>. Noch zum vierzigsten Jahrestag <strong>de</strong>r MfS-Gründung sollten<br />

"Lebensbil<strong>de</strong>r und Episo<strong>de</strong>n" einiger im MfS-Sinne beson<strong>de</strong>rs verdienter "Aktivisten <strong>de</strong>r ersten<br />

Stun<strong>de</strong>" in einer dreibändigen Minibuch-Kassette die Erinnerung an "Leben und Kampf <strong>de</strong>r<br />

195 Ralf Peters: Wir haben das eigene Volk zum Feind gemacht, in: Zwiegespräch 7 (1992), (künftig: Peters in<br />

Zwiegespräch), S. 24.<br />

196 Vgl. Niethammer: Antifaschismus.


67<br />

Genossen als Internationalisten in <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r Interbriga<strong>de</strong>n, als Partisanen und Kundschafter<br />

an <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r Roten Armee, als Angehörige antifaschistischer Wi<strong>de</strong>rstandsorganisationen<br />

in Deutschland sowie als Tschekisten beim Aufbau und bei <strong>de</strong>r Sicherung <strong>de</strong>r DDR" bei <strong>de</strong>n<br />

MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n wachhalten. 197<br />

Beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren wirkte das persönliche Vorbild <strong>de</strong>r KPD-Ka<strong>de</strong>r noch stark.<br />

<strong>Die</strong> damalige junge Generation, die später selbst in die Leitungspositionen nachrückte und<br />

diese bis zur Auflösung besetzte, erlebte diese alten Genossen in <strong>de</strong>r unmittelbaren Arbeit und<br />

i<strong>de</strong>ntifizierte sich mit ihnen:<br />

"Dürfen wir davon absehen, daß es sich bei vielen Betroffenen [d.i.: MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n]<br />

um ein reales Moment ihrer konkreten Sozialisation han<strong>de</strong>lt, die zum Beispiel in KZ und<br />

in <strong>de</strong>r Emigration stattfand? Und die sich teilweise auf die Folgegeneration vererbte? Ich<br />

selbst habe unter <strong>de</strong>n Nazis - sieht man von <strong>de</strong>n Kriegswirkungen ab - nichts erlitten.<br />

Aber ich war empfindsam genug nachzuerlei<strong>de</strong>n, was meine politischen Väter in<br />

Buchenwald und Auschwitz erlitten, in <strong>de</strong>r Emigration in <strong>de</strong>r Sowjetunion, in Frankreich,<br />

China, Israel [sic!] und Mexiko erlebten, und in <strong>de</strong>n Schützengräben Spaniens, im<br />

Maquis in Frankreich und an an<strong>de</strong>ren Orten bestan<strong>de</strong>n. [...] Einen Teil <strong>de</strong>r Härte und<br />

Konsequenz meiner politischen Väter habe ich bewußt übernommen." 198<br />

Beson<strong>de</strong>rs MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>, die in <strong>de</strong>n letzten Kriegsjahren noch mit jugendlicher Begeisterung<br />

selbst zur Wehrmacht gegangen waren, empfan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst als tätige Reue. Der stellvertreten<strong>de</strong><br />

Minister Rudi Mittig erinnert sich:<br />

"Meine damaligen Vorgesetzten, ich lege Wert auf die Betonung militärische Vorgesetzte,<br />

waren durchweg antifaschistische Wi<strong>de</strong>rstandskämpfer, die teilgenommen hatten am<br />

spanischen Bürgerkrieg, am Kampf <strong>de</strong>r Roten Armee gegen <strong>de</strong>n Faschismus, die im<br />

Konzentrationslager waren. Alles Menschen, die aktiv gegen <strong>de</strong>n Faschismus gekämpft<br />

hatten, <strong>de</strong>nen ich, was ihr Leben betrifft, ihren Einsatz gegen <strong>de</strong>n Faschismus, ihre ganze<br />

Persönlichkeit, volles Vertrauen schenkte. [...] Ja, ich hatte große Achtung. Sie hatten<br />

sich - im Gegensatz zu mir - in <strong>de</strong>r Zeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Faschismus bewährt." 199<br />

Dem starken Bedürfnis nach weltanschaulicher Orientierung aufgrund <strong>de</strong>r Kriegs- und Zusammenbruchserfahrung<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Jahres 1945 kam die SED mit ihrem gesellschaftspolitischen<br />

Mo<strong>de</strong>ll, das Frie<strong>de</strong>n und soziale Gerechtigkeit verhieß, entgegen, insbeson<strong>de</strong>re bei vormals<br />

unterprivilegierten Bevölkerungsschichten, <strong>für</strong> die sich attraktive Perspektiven - <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nst in<br />

197 Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r ZAIG an <strong>de</strong>n Minister vom 20.10.1986, Minibuchkassette zum 40. Jahrestag <strong>de</strong>r<br />

Bildung <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, HA IX, SV 257/87, Bl. 6-8; Aktivisten <strong>de</strong>r ersten Stun<strong>de</strong>, 3 B<strong>de</strong>., Berlin 1989<br />

[MfS-interne Veröffentlichung].<br />

198 Wolfgang Hartmann: Immer noch: "Ja, aber" o<strong>de</strong>r: Der arge Weg <strong>de</strong>r Erkenntnis, in: Zwiegespräch Nr. 17<br />

[1993], S. 15-24, hier S. 18 - 19.<br />

199 Interview mit Rudi Mittig, in: Ariane Riecker, Annett Schwarz und Dirk Schnei<strong>de</strong>r: Stasi intim. Gespräche<br />

mit ehemaligen MfS-Angehörigen, Leipzig 1990 (künftig: Riecker u.a.: Stasi intim], S. 166-167.


68<br />

<strong>de</strong>n bewaffneten Organen gehörte dazu - eröffneten. <strong>Die</strong> späteren <strong>Mitarbeiter</strong>, die ihre politische<br />

Sozialisation in <strong>de</strong>r DDR erlebten, begriffen <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst im MfS als Verpflichtung gegenüber<br />

<strong>de</strong>n Vorvätern <strong><strong>de</strong>s</strong> Antifa-Kampfes, aber auch gegenüber <strong>de</strong>m System als ganzem, das<br />

ihnen nicht nur abstrakt als das bedrohte "bessere Deutschland" erschien, son<strong>de</strong>rn das ihnen<br />

auch konkrete berufliche und persönliche Lebenschancen und Entwicklungsmöglichkeiten bot:<br />

"Für mich war also die DDR mein Vaterland, mit <strong>de</strong>m ich mich voll und ganz i<strong>de</strong>ntifizierte.<br />

Aus dieser Haltung heraus hatte ich viele Grün<strong>de</strong> <strong>für</strong> meinen Eintritt in das Ministerium<br />

<strong>für</strong> Staatssicherheit. Da gab es <strong>de</strong>n offenen und ver<strong>de</strong>ckten Wirtschaftskrieg<br />

gegen die DDR. Tausen<strong>de</strong> gut ausgebil<strong>de</strong>te Fachkräfte wan<strong>de</strong>rten gen Westen. Der Weltfrie<strong>de</strong>n<br />

war durch blutige kriegerische Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen auf vielen Schauplätzen gefähr<strong>de</strong>t.<br />

Ich dagegen war wohlbehütet aufgewachsen. Der innere Wunsch, selbst einen<br />

Beitrag <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Schutz und die Sicherung dieses meines Lan<strong><strong>de</strong>s</strong> leisten zu wollen, erwuchs<br />

daraus mit mehr o<strong>de</strong>r weniger logischer Konsequenz und <strong>de</strong>ckte sich mit <strong>de</strong>n<br />

Werbebemühungen <strong>de</strong>r Staatssicherheit." 200<br />

Im Bewußtsein <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> spielte dabei die Vorstellung, daß mit <strong>de</strong>r Existenz <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

politischen Systems auch <strong>de</strong>r staatliche Bestand <strong>de</strong>r DDR verknüpft war, eine beson<strong>de</strong>re Rolle:<br />

"Ich war mein ganzes Leben lang davon motiviert, eine Arbeit zu leisten, die das verhin<strong>de</strong>rt,<br />

was nun mit unserem Land geschehen ist." 201<br />

Im MfS zu dienen, wur<strong>de</strong> als Auszeichnung und Ehre begriffen. 202 <strong>Die</strong> Argumente <strong>für</strong> <strong>de</strong>n<br />

MfS-<strong>Die</strong>nst, so <strong>de</strong>r HVA-Mann Heinz Günther, seien ihm gegenüber an<strong>de</strong>ren bewaffneten<br />

Organen "irgendwie be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r" erschienen. 203 Man hoffte, wie <strong>de</strong>r vormalige Lehrer Udo<br />

M., dort mehr als an an<strong>de</strong>rer Stelle <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Sozialismus tun zu können, 204 o<strong>de</strong>r empfand es als<br />

Bestätigung <strong>de</strong>r vorherigen Arbeit bei an<strong>de</strong>ren "bewaffneten Organen", <strong>für</strong> das MfS geworben<br />

zu wer<strong>de</strong>n. 205 Und auch <strong>de</strong>r HVA-Chef Markus Wolf stellt fest: "Ich hielt diese Arbeit <strong>für</strong><br />

wichtig und ehrenvoll. Wir waren doch damals absolut motiviert. Schon durch <strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>raufrüstung." 206<br />

Beson<strong>de</strong>rs angesprochen wur<strong>de</strong> dieses Ehrgefühl durch das gleichsam als Initiationsritus wirken<strong>de</strong><br />

Werbungsgepräch. Allein <strong>de</strong>r Umstand, von Vertretern seines künftigen <strong>Die</strong>nstherrn<br />

persönlich angesprochen zu wer<strong>de</strong>n, wirkte nachhaltig auf das Selbstwertgefühl <strong>de</strong>r Kandidaten.<br />

Sie werteten das Angebot als Vertrauensbeweis und Bestätigung <strong>de</strong>r bisherigen schuli-<br />

200 Peters in Zwiegespräch, S. 24-25.<br />

201 Heinz K., geb. 1937, in: Gisela Karau: Stasiprotokolle. Gespräche mit ehemaligen <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> "<strong>Ministeriums</strong><br />

<strong>für</strong> Staatssicherheit" <strong>de</strong>r DDR, Frankfurt/M. 1992 (künftig: Karau, Stasiprotokolle), S. 168.<br />

202 Bodo Germann, Interview, in: Zwiegespräch Nr. 1 [1991], S. 19-27, (künftig: Germann: Interview) hier S. 19.<br />

203 Heinz Günther: Wie Spione gemacht wur<strong>de</strong>n, Berlin o.J. [1990], S. 7-8.<br />

204 Udo M., geb. 1948, Einstellung 1974, in: Karau: Stasiprotokolle, S. 9.<br />

205 So ein <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r HA XIX, seit 1955 bei <strong>de</strong>r Trapo, seit 1961 beim MfS; in: Riecker u.a.: Stasi intim,<br />

S. 248.<br />

206 Irene Runge und Uwe Stelbrink: Markus Wolf. "Ich bin kein Spion", Berlin 1990, S 19.


69<br />

schen, beruflichen und politischen Leistungen und Aktivitäten, zuweilen als "einen <strong>de</strong>r Höhe-<br />

punkte meines Lebens". 207 Der persönliche Referent <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r Bezirksverwaltung Leipzig<br />

berichtet, er sei seinerzeit stolz gewesen, "einer <strong>de</strong>rjenigen zu sein, die entschei<strong>de</strong>nd <strong>für</strong> die<br />

Entwicklung in unserer Republik und <strong>für</strong> die Sicherheit wirken [...], sagen zu können, jetzt ist<br />

jemand zu mir gekommen, und hat mich gefragt, willst Du dort arbeiten". 208 Aufgrund <strong>de</strong>r<br />

intensiven Überprüfungen vor <strong>de</strong>r persönlichen Ansprache waren die MfS-Werber in <strong>de</strong>r Lage,<br />

mit ihrer Offerte sehr genau auf die Bedürfnisstruktur <strong><strong>de</strong>s</strong> Kandidaten einzugehen und die von<br />

ihnen antizipierten Ansatzpunkte zur Motivation zu nutzen. <strong>Die</strong> auch in <strong>de</strong>r IM-Werbung zunehmend<br />

genutzten Kenntnisse <strong>de</strong>r "operativen Psychologie" kamen ihnen dabei zugute.<br />

Neben diesen politischen I<strong>de</strong>alen lassen sich weitere Motive vermuten. Frühere <strong>Mitarbeiter</strong><br />

bestreiten, daß die Zugehörigkeit zu einer "elitären Einrichtung" 209 ein Antrieb <strong>für</strong> sie gewesen<br />

sei. Durchweg betonen sie ihre Rolle als "<strong>Die</strong>nen<strong>de</strong>" und das Gefühl <strong>de</strong>r Verpflichtung. Zugleich<br />

aber prägte sie durchaus das Bewußtsein, im Ergebnis eines Ausleseprozesses geworben<br />

wor<strong>de</strong>n zu sein. So erinnert sich Oberstleutnant Heinz K., Leiter <strong>de</strong>r Spionageabwehr in Halle,<br />

daß die Werber ihm 1955 mitgeteilt hätten, er sei einer <strong>de</strong>r "Auserwählten [...], die <strong>für</strong> das MfS<br />

in Frage kommen". 210 Und auch <strong>de</strong>r persönliche Referent <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r Leipziger Bezirksverwaltung<br />

empfand es "als eine Ehre, mit da<strong>für</strong> ausgewählt zu sein". 211 <strong>Die</strong>se Haltung korrespondierte<br />

mit <strong>de</strong>m dienen<strong>de</strong>n Gestus <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS gegenüber <strong>de</strong>r SED, die sich wie<strong>de</strong>rum selbst<br />

als - im Leninschen Sinne mit avantgardistischem Son<strong>de</strong>rbewußtsein ausgestattete - "Partei <strong>de</strong>r<br />

Arbeiterklasse" legitimiert sah. Insofern be<strong>de</strong>utete <strong>de</strong>r Eintritt in <strong>de</strong>n MfS-<strong>Die</strong>nst eine Teilhabe<br />

am kollektiven Machtbewußtsein als "Schild und Schwert", das sich insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n fünfziger<br />

Jahren in <strong>de</strong>r intern immer wie<strong>de</strong>r beklagten "Überheblichkeit" <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> und einem<br />

arroganten und äußerst rü<strong>de</strong>n, zuweilen brutalen Umgang mit Verfolgten nie<strong>de</strong>rschlug.<br />

Da die <strong>Mitarbeiter</strong> bei <strong>de</strong>r Anwerbung in aller Regel nur eine sehr unpräzise Vorstellung davon<br />

haben konnten, was ihre spätere Aufgabe bei <strong>de</strong>r Staatssicherheit sein wür<strong>de</strong>, spielte auch das<br />

Bild, das in <strong>de</strong>r DDR über das MfS bestand, eine gewisse Rolle. So wur<strong>de</strong> durch Berichte und<br />

Filme über "Kundschafter", etwa Richard Sorge, in späteren Jahren auch Günther Guillaume,<br />

die Abenteuerlust und das Interesse an <strong>de</strong>r geheimnisvollen Welt <strong>de</strong>r Spionage angeregt. Zugleich<br />

dienten solche Agitationsinstrumente dazu, <strong>de</strong>n anrüchigen Charakter <strong>de</strong>r Institution zu<br />

überspielen und sie zu legitimieren.<br />

207 "Nach<strong>de</strong>m ich Abitur gemacht hatte und eigentlich nach Leningrad zum Studium wollte, ich sollte ein richtiges<br />

Finanzerlein wer<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong> mir gesagt: <strong>Die</strong> ganzen Finanzen taugen nichts, wenn die Macht nicht gesichert<br />

ist [...], als die Kamera<strong>de</strong>n vom MfS kamen und sagten, ob ich nicht das und das wer<strong>de</strong>n wolle. Es war<br />

einer <strong>de</strong>r Höhepunkte meines Lebens, da mach ich auch heute noch kein Hehl daraus." Horst R., geb. 1931,<br />

Oberst in <strong>de</strong>r HA XVIII, in: Karau: Stasiprotokolle, S. 20-21; weitere entsprechen<strong>de</strong> Äußerungen: ebenda, S.<br />

37; Riecker u.a.: Stasi intim, S. 35, 166, 248.<br />

208 Riecker u.a.: Stasi intim, S. 35.<br />

209 So die Formulierung <strong>de</strong>r Interviewer in Riecker u.a.: Stasi intim, S. 35.<br />

210 Karau: Stasiprotokolle, S. 168.<br />

211 Riecker u.a.: Stasi intim, S. 35.


70<br />

Für einen Teil <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> spielte die Weiterentwicklung in ihrem Beruf eine Rolle bei <strong>de</strong>r<br />

Entscheidung <strong>für</strong> die MfS-Mitarbeit. <strong>Die</strong>s betraf, insbeson<strong>de</strong>re seit <strong>de</strong>n sechziger Jahren, vor<br />

allem technisch ausgebil<strong>de</strong>te Kräfte, die in <strong>de</strong>n operativ-technischen Bereichen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS einge-<br />

setzt wur<strong>de</strong>n, aber auch Spezialisten und Hochschulka<strong>de</strong>r, die ihre Fachkenntnisse zum Beispiel<br />

in <strong>de</strong>r wissenschaftlich-technischen Spionage o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n <strong>für</strong> Volkswirtschaft und Verkehr<br />

zuständigen <strong>Die</strong>nsteinheiten einsetzen sollten. Außer<strong>de</strong>m konnte das MfS <strong>de</strong>n Weg in<br />

Studiengänge eröffnen, die sonst nur schwer zu erreichen gewesen wären.<br />

Eine an <strong>de</strong>r Juristischen Hochschule 1979 erstellte Untersuchung über die Motive von Zeitsoldaten<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, sich zum <strong>Die</strong>nst als Berufssoldaten bereitzuerklären, ver<strong>de</strong>utlicht die Breite <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Spektrums: Neben <strong>de</strong>r "Überzeugtheit von <strong>de</strong>r Notwendigkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> bewaffneten Schutzes <strong>de</strong>r<br />

DDR" und <strong>de</strong>m "Stolz auf die Zugehörigkeit zum MfS" nannten die Soldaten auf Zeit das<br />

"Sehen einer gesicherten persönlichen Perspektive", die Aussicht, "verantwortungsvolle Aufgaben<br />

zu erfüllen und sich selbst zu for<strong>de</strong>rn", aber auch die "Möglichkeit <strong>de</strong>r Verbindung <strong>de</strong>r<br />

Berufsausbildung mit <strong>de</strong>n dienstlichen Aufgaben" sowie ein "Interesse an einer Tätigkeit (auch<br />

Berufssoldat) im Raum Berlin, da zwischenzeitlich eine Partnerin gefun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> und Absicht<br />

<strong>de</strong>r Seßhaftmachung in Berlin besteht". Es sei die absolute Ausnahme, so die Autoren, daß sich<br />

Zeitsoldaten allein aus politischer Überzeugung <strong>für</strong> <strong>de</strong>n dauerhaften <strong>Die</strong>nst entschie<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong><br />

Werbetätigkeit müsse vielmehr die Verknüpfung politischer mit persönlichen Motiven berück-<br />

sichtigen. 212<br />

Trotz <strong>de</strong>r <strong>de</strong>monstrativen Nähe zum militärischen Regularium gab es auch einige <strong>Mitarbeiter</strong>,<br />

die es gera<strong>de</strong> vermei<strong>de</strong>n wollten, in KVP bzw. NVA zu dienen. So zogen in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren<br />

auch junge <strong>Mitarbeiter</strong>, ungeachtet ihres Einsatzwillens <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Sozialismus <strong>de</strong>n MfS-<br />

<strong>Die</strong>nst, aufgrund negativer Kriegserfahrungen <strong>de</strong>n kollektiven "Freiwilligmeldungen" zum<br />

Militärdienst vor. Nach <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>r Wehrpflicht be<strong>de</strong>utete <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nst "beim 'Feliks'<br />

[also <strong>de</strong>m Wachregiment <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS] mehr Urlaub, besseren Verdienst und ein zivileres Armeeleben"<br />

und führte die Wehrpflichtigen zugleich an <strong>de</strong>n regulären MfS-<strong>Die</strong>nst heran. 213<br />

<strong>Die</strong> privilegierte materielle Lage <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> wird von ehemaligen <strong>Mitarbeiter</strong>n in <strong>de</strong>r<br />

Regel als Motiv <strong>für</strong> die eigene Entscheidung <strong>für</strong> das MfS bestritten. Gleichwohl war ihnen das<br />

überdurchschnittliche Gehaltsniveau auch schon vor <strong>de</strong>r Einstellung bewußt. So berichtet ein<br />

1989 im Studium befindlicher Perspektivka<strong>de</strong>r, er habe sich zwar überlegt, daß er später mal<br />

ein gutes Einkommen haben wer<strong>de</strong>, <strong>für</strong> seine Zusage sei dies - wie er betont - jedoch nicht<br />

bestimmend gewesen. 214 <strong>Mitarbeiter</strong> schätzen aber auch ein, daß es Genossen gegeben hätte,<br />

212 Gunter Bittner und Wolfgang Popek: Erarbeitung von Erkenntnissen über Motivationen junger Angehöriger<br />

im <strong>Die</strong>nstverhältnis Soldat auf Zeit im MfS, welche die Bereitschaft und <strong>de</strong>n Willen dieser bestimmen, Berufssoldat<br />

im MfS zu wer<strong>de</strong>n bzw. über Motivationen, die zur Ablehnung dieses <strong>Die</strong>nstverhältnisses führen;<br />

Fachschulabschlußarbeit JHS 1979; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Abt. Ka<strong>de</strong>r 6/9, unerschlossenes Material, S. 21-<br />

23.<br />

213 So ein 1985 zum Wachregiment eingezogener späterer Perspektivka<strong>de</strong>r; Riecker u.a.: Stasi intim, S. 196.<br />

214 Ebenda.


71<br />

die sich "nur <strong>für</strong> ihr Geld" interessierten, die "ihre Arbeit auch beim Verfassungsschutz o<strong>de</strong>r<br />

beim BND machen" wür<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> 1985 eingeführten "differenzierten Einkommenserhöhungen"<br />

sowie die Massierung von mit Prämien verbun<strong>de</strong>nen Auszeichnungen hätte <strong>de</strong>r Minister Mielke<br />

sogar bewußt eingesetzt, um diese <strong>Mitarbeiter</strong> bei <strong>de</strong>r Stange zu halten. 215 Vor allem in <strong>de</strong>n<br />

achtziger Jahren hätte <strong>de</strong>r Stellenwert <strong>de</strong>r materiellen Anreize zugenommen, wie ein Oberleutnant<br />

<strong>de</strong>r Militärabwehr schil<strong>de</strong>rt: "Ich muß [...] sagen, daß die Geldfrage <strong>für</strong> mich nicht so eine<br />

große Rolle gespielt hat, damals war die Einstellung zur Sache das Herausragen<strong>de</strong>, später hatte<br />

ich dann <strong>de</strong>n Eindruck, daß vieles über Geld abgewickelt wur<strong>de</strong>. Aus heutiger Sicht sage ich<br />

mir, je wackliger das System wur<strong>de</strong>, <strong><strong>de</strong>s</strong>to mehr war es angewiesen auf Massenanwerbungen<br />

und Versprechungen aus materieller Sicht, Geld, Studium, Karriere." 216<br />

Trotz dieser wachsen<strong>de</strong>n Rolle materieller Motive scheint auch in <strong>de</strong>n achtziger Jahren eine<br />

Mischung von Machtbewußtsein, elitärem Korpsgeist und politischer Überzeugung die Basis<br />

<strong>de</strong>r tschekistischen Motivation gebil<strong>de</strong>t zu haben. Der vorzeitig ausgeschie<strong>de</strong>ne <strong>Mitarbeiter</strong><br />

Wanja Abramowski hat die Stimmungslage beschrieben:<br />

"<strong>Die</strong> MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r 80er Jahre waren aufgrund ihres Ausbildungsstan<strong><strong>de</strong>s</strong>, ihrer<br />

politischen und persönlichen Entwicklung fachlich versiert und in <strong>de</strong>r Mehrzahl <strong>de</strong>r SED-<br />

Führungsspitze und <strong>de</strong>r gesamten Hierarchie treu geblieben. Sie i<strong>de</strong>ntifizierten sich mit<br />

<strong>de</strong>m Marxismus-Leninismus ebenso wie mit <strong>de</strong>r sozialistischen Wirklichkeit und<br />

akzeptierten die ihnen vorgegebenen Mechanismen <strong>de</strong>r Macht bedingungslos. Aus diesen<br />

persönlichen Voraussetzungen zur Mitarbeit konstituierte sich im Prozeß <strong>de</strong>r operativen<br />

Tätigkeit eine psychologische Grundsituation, die auf <strong>de</strong>m Gefühl basierte, 'Sieger <strong>de</strong>r<br />

Geschichte' zu sein. <strong>Die</strong>s führte zu einem einerseits selbstherrlichen, an<strong>de</strong>rerseits unterwürfigen<br />

Umgang mit dieser Macht. [...] Dermaßen politisch-psychologisch motiviert traf<br />

man sich bei <strong>Die</strong>nstbesprechungen o<strong>de</strong>r am Mittagstisch mit <strong>de</strong>m Gefühl und Anspruch:<br />

'Wir sind über alles informiert. <strong>Die</strong> Partei entschei<strong>de</strong>t, ob, wann und wo etwas<br />

passiert'." 217<br />

215 Germann: Interview, S. 11.<br />

216 Gerd R., in: Karau: Stasiprotokolle, S. 37.<br />

217 Wanja Abramowski: Im Labyrinth <strong>de</strong>r Macht. Innenansichten aus <strong>de</strong>m Stasi-Apparat, in: Bernd Florath u.a.<br />

(Hrsg.): <strong>Die</strong> Ohnmacht <strong>de</strong>r Allmächtigen. Geheimdienste und politische Polizei in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Gesellschaft,<br />

Berlin 1992, S. 212-233, hier S. 213.


9. Disziplinarmaßnahmen<br />

9.1. Bestrafungen<br />

72<br />

<strong>Die</strong> tschekistischen Verhaltensregeln, und damit das Spektrum möglicher disziplinarischer<br />

Verstöße gegen sie, waren nicht auf (geheim-)dienstliche und politische Angelegenheiten beschränkt,<br />

son<strong>de</strong>rn umfaßten ebenso die zwischenmenschlichen Beziehungen und Lebensgewohnheiten<br />

<strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> und ihrer Angehörigen, die <strong>de</strong>n "Werten und Normen <strong>de</strong>r sozialistischen<br />

Lebensweise" zu entsprechen hatten. Offizieller Leitgedanke war dabei, jeglichen<br />

Ansatzpunkt <strong>für</strong> das Eindringen - gemäß <strong>de</strong>r kommunistischen Sicherheitsdoktrin sehr weit<br />

<strong>de</strong>finierter - feindlicher Kräfte auszuschalten.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> unterlagen einer mehrfachen Kontrolle. Neben <strong>de</strong>m militärischen Disziplinarrecht<br />

waren die SED-Mitglie<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r Parteidisziplin unterworfen. Im Apparat waren mehrere<br />

Institutionen, die unter <strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>n "ebenso bekannt wie ge<strong>für</strong>chtet" 218 waren, mit <strong>de</strong>r<br />

Kontrolle und Überwachung befaßt.<br />

− Der Bereich Disziplinar <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung (bzw. seine Vorläufer) war<br />

fe<strong>de</strong>rführend in <strong>de</strong>r Disziplinararbeit <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, er führte Untersuchungen zu<br />

"sicherheitspolitisch relevanten Sachverhalten" im Zusammenhang mit <strong>Mitarbeiter</strong>n und<br />

ihren Angehörigen durch, fahn<strong>de</strong>te unter an<strong>de</strong>rem nach vom <strong>Die</strong>nst ferngebliebenen <strong>Mitarbeiter</strong>n<br />

und hatte die Aufgabe, tödliche Unglücksfälle mit MfS-Beteiligung zu untersuchen.<br />

219 Für ihre Aufgaben stan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Abteilung 4 <strong><strong>de</strong>s</strong> Bereiches 50 OibE bzw. U-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

(1989) zur Verfügung, die ver<strong>de</strong>ckt gegen ihre Kollegen eingesetzt wer<strong>de</strong>n konnten.<br />

− <strong>Die</strong> Abteilung 1 <strong>de</strong>r Hauptabteilung II war <strong>für</strong> die innere Spionageabwehr im MfS-Apparat<br />

verantwortlich. Hier wur<strong>de</strong>n unter an<strong>de</strong>rem Untersuchungen gegen tatsächliche o<strong>de</strong>r vermeintliche<br />

"Verräter" in <strong>de</strong>n eigenen Reihen geführt. Von 1960 bis 1980 wur<strong>de</strong>n die entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Aufgaben von <strong>de</strong>r Abteilung bzw. Hauptabteilung XXI (Innere Sicherheit)<br />

wahrgenommen.<br />

− <strong>Die</strong> Abteilung 5 <strong>de</strong>r Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan) führte Ermittlungsverfahren<br />

gegen MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> durch, <strong>de</strong>nen staatsfeindliche o<strong>de</strong>r auch gewöhnliche kriminelle<br />

Delikte vorgeworfen wur<strong>de</strong>n.<br />

− <strong>Die</strong> Zentrale Kontrollgruppe (Arbeitsgruppe 1 <strong><strong>de</strong>s</strong> Bereiches 2 <strong>de</strong>r Zentralen Auswertungsund<br />

Informationsgruppe) konnte mit drei Kontrollbriga<strong>de</strong>n die Arbeit in <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nsteinheiten<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS untersuchen. Ihre Arbeit zielte zwar auf die Analyse von Problemen in <strong>de</strong>n operati-<br />

218 Vgl. Gerd Knauer: Innere Opposition im Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit?, in: Deutschland Archiv 7 (1992),<br />

S. 718-727 (künftig: Knauer: Innere Opposition), hier S. 721.<br />

219 Struktur- und Stellenplan <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung 1989; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Plg. 4,<br />

unerschlossenes Material, S. 49. <strong>Die</strong> institutionellen Vorläufer reichen bis in das Jahr 1951 zurück, vgl. <strong>de</strong>n<br />

Handbuch-Beitrag zur HA KuSch [erscheint <strong>de</strong>mnächst].


73<br />

ven Arbeitsprozessen, gleichwohl gaben sie aber bei diesen Einsätzen festgestellte Disziplinverstöße<br />

an <strong>de</strong>n Bereich Disziplinar <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung weiter. 220<br />

− Schließlich sind die Kontrollinstanzen <strong>de</strong>r SED zu nennen, an <strong>de</strong>ren Spitze die Kreisparteikontrollkommission<br />

stand. Sie führten, nicht selten parallel zu dienstlichen Disiziplinarverfahren,<br />

Parteiverfahren gegen die SED-Genossen unter <strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>n durch. 221<br />

Das Instrumentarium <strong><strong>de</strong>s</strong> militärischen Disziplinarrechts umfaßte folgen<strong>de</strong> Strafen: Ta<strong>de</strong>l (ab<br />

1964), Zusatzdienste und Urlaubs-/Ausgangssperren (nur Zeitsoldaten sowie Unteroffiziersund<br />

Offiziersschüler im Lehrgang), Verweis, strenger Verweis, Hausarrest (nur männliche<br />

Offiziere bis Hauptmann), Arrest in <strong>de</strong>r Arrestanstalt (nicht <strong>für</strong> Frauen und Offiziere), Aberkennung<br />

von Auszeichnungen (1964 bis 1985, nicht <strong>für</strong> Offiziere), Verwarnung (ab 1964),<br />

Herabsetzung in <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nststellung sowie im <strong>Die</strong>nstgrad (letzteres 1964 bis 1985 nicht <strong>für</strong> Generale),<br />

bis zur Entlassung (1964 bis 1985 nicht <strong>für</strong> Generale). <strong>Die</strong> Arreststrafen wur<strong>de</strong>n 1964<br />

von zwanzig auf zehn Tage begrenzt. 222 <strong>Die</strong> Zivilbeschäftigten unterlagen einem geson<strong>de</strong>rten<br />

Disziplinarrecht, das <strong>de</strong>r Form nach <strong>de</strong>n Regelungen <strong><strong>de</strong>s</strong> Arbeitsgesetzbuches entsprach. 223<br />

Für die politisch wechselhaften fünfziger Jahre liegen nur vereinzelte Angaben über das Disziplinargeschehen<br />

vor. Das JHS-Studienmaterial zur Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS verrät <strong>de</strong>m Leser:<br />

"<strong>Die</strong> i<strong>de</strong>ologischen Probleme <strong>de</strong>r Gesamtpartei in jenen Jahren [nach <strong>de</strong>m III. SED-Parteitag<br />

1950] wi<strong>de</strong>rspiegelten sich auch in <strong>de</strong>r Parteiorganisation <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS" - näheres wird aber nicht<br />

offenbart. 224 Insbeson<strong>de</strong>re die personellen Konsequenzen <strong>de</strong>r Junikrise 1953 und <strong>de</strong>r Ablösung<br />

Zaissers liegen noch weitgehend im dunkeln. Das vorliegen<strong>de</strong> Material <strong>de</strong>utet daraufhin, daß es<br />

zwar Bestrafungen gegen <strong>Mitarbeiter</strong> gegeben hat, die sich nicht adäquat verhalten haben, eine<br />

Entlassungswelle aber ausblieb. 225 <strong>Die</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>r Staatssicherheit, so die von Ulbricht auf<br />

<strong>de</strong>m 15. ZK-Plenum ausgegebene offizielle Linie, seien in erster Linie <strong>de</strong>m Mißbrauch <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Apparates durch <strong>de</strong>n ehemaligen Minister Zaisser zum Opfer gefallen. 226<br />

Konkrete Daten aus diesen frühen Jahren liegen nur punktuell vor; sie <strong>de</strong>uten daraufhin, daß<br />

damals relativ viele <strong>Mitarbeiter</strong> von <strong>de</strong>n an sie gestellten Erwartungen noch recht weit entfernt<br />

waren. So gab es in <strong>de</strong>r Bezirksverwaltung Dres<strong>de</strong>n 1955 bei etwas über tausend <strong>Mitarbeiter</strong>n<br />

220 Vgl. <strong>de</strong>n Handbuch-Beitrag zur ZAIG von Roger Engelmann und Frank Joestel [erscheint <strong>de</strong>mnächst].<br />

221 Vgl. <strong>de</strong>n Handbuch-Beitrag zur Parteiorganisation im MfS von Silke Schumann [erscheint <strong>de</strong>mnächst].<br />

222 Vorläufige Anweisung <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssekretärs über die Rechte <strong><strong>de</strong>s</strong> Vorgesetzten zur Belobigung und Bestrafung,<br />

Anhang zur <strong>Die</strong>nstanweisung 43/53; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100885; Disziplinarvorschrift <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS vom 1.4.1964;<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101363; Ordnung 14/85 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über Disziplinarbefugnisse und disziplinarische Verantwortlichkeit<br />

im MfS - Disziplinarordnung -; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103201.<br />

223 Ordnung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über die Rechte und Pflichten <strong>de</strong>r Zivilbeschäftigten im MfS - Disziplinarordnung -<br />

vom 1.2.1969; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101326.<br />

224 Studienmaterial zur Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, Teil III, S. 43.<br />

225 So wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Leiter <strong>de</strong>r BV Potsdam, Emil Wagner, <strong>de</strong>r am 17. Juni seinen Urlaub nicht unterbrochen hatte,<br />

da<strong>für</strong> zur SED-Bezirksleitung zitiert, aber schon im November 1953 beför<strong>de</strong>rt; <strong>BStU</strong>, ZA, KS 9985/90, Bl. 3-<br />

4; siehe auch: <strong>BStU</strong>, ZA, KS 23483/90, Bl. 59 und 80.<br />

226 Vgl. die Debatten auf <strong>de</strong>r SED-Kreis<strong>de</strong>legiertenkonferenz im MfS zur Vorbereitung <strong><strong>de</strong>s</strong> IV. Parteitages im<br />

März 1954; <strong>BStU</strong>, ZA, KL SED 815, unerschlossenes Material. Dort ist von 19 Parteiverfahren die Re<strong>de</strong>,<br />

ebenda, Bl. 49.


74<br />

77 disziplinarische Bestrafungen und 15 Entlassungen, was einer Quote von knapp 9 Prozent<br />

entspricht, parallel wur<strong>de</strong>n 22 Parteiverfahren durchgeführt. 227 Der Ka<strong>de</strong>rchef <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministe-<br />

riums, Robert Mühlpforte, bilanzierte das Jahr 1957 mit einer <strong>de</strong>utlich höheren Quote: 18 Pro-<br />

zent <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS seien bestraft wor<strong>de</strong>n, davon wur<strong>de</strong> die Hälfte, also etwa 1.300<br />

Personen, aus <strong>de</strong>m <strong>Die</strong>nst entlassen. <strong>Die</strong>se "ungesun<strong>de</strong> Erscheinung" resultiere aus ungenügen<strong>de</strong>r<br />

politischer Erziehung und <strong>de</strong>r Einstellung von <strong>Mitarbeiter</strong>n, die "<strong>de</strong>n Bedingungen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS<br />

nicht entsprachen". 228<br />

Seit 1962 wur<strong>de</strong>n im Gefolge <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstanweisung 5/62, die <strong>de</strong>n Leitern <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten<br />

verstärkte erzieherische Verantwortung zuwies, die disziplinarischen Verfehlungen in regelmäßigen<br />

Berichten bilanziert. 1961 lag <strong>de</strong>r prozentuale Anteil <strong>de</strong>r Bestrafungen bei 5,7 Prozent<br />

<strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>, er wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahren bis 1966 auf einen Wert von 3,3 Prozent gesenkt.<br />

Danach bewegte sich <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Disziplinierten kontinuierlich um etwa 3 Prozent. 229<br />

<strong>Die</strong> Zahlen <strong>für</strong> 1988/89 weisen allerdings Werte unter zwei Prozent aus. <strong>Die</strong>se Quote vermittelt<br />

nur einen provisorischen Eindruck vom inneren Zustand <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, da die Disziplinarpraxis<br />

durch Konjunkturen "harter" und "weicher" Kurse, zum Beispiel nach beson<strong>de</strong>rs aufsehenerregen<strong>de</strong>n<br />

Vorfällen, beeinflußt wur<strong>de</strong> und die Dunkelziffer nicht zur Bestrafung gelangter Verfehlungen<br />

nicht abzuschätzen ist. 230 Gleichwohl vermitteln die Berichte <strong>de</strong>n Eindruck eines bis<br />

Mitte <strong>de</strong>r sechziger Jahre fortschreiten<strong>de</strong>n inneren Festigungs- und Säuberungsprozesses, durch<br />

<strong>de</strong>n ein recht stabiles Niveau an Normentreue erreicht wur<strong>de</strong>. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r permanente<br />

Zustrom von Nachwuchska<strong>de</strong>rn, die sich an die disziplinarischen Maßstäbe erst gewöhnen<br />

mußten, sorgte in <strong>de</strong>n "langen" siebziger Jahren aber weiterhin <strong>für</strong> eine gewisse Bestrafungsquote.<br />

231 Daneben wur<strong>de</strong>n auch bei langgedienten Tschekisten immer wie<strong>de</strong>r Verfehlungen<br />

aufge<strong>de</strong>ckt, wovon die Leitungsebene <strong><strong>de</strong>s</strong> Apparates nicht verschont blieb: Regelmäßig wur<strong>de</strong><br />

in <strong>de</strong>n Berichten zur disziplinarischen Lage beklagt, daß <strong>de</strong>r Anteil von Leitungspersonal an<br />

<strong>de</strong>n Bestraften konstant bei etwa 10 Prozent <strong>de</strong>r Bestraften lag und damit im Verhältnis zur<br />

Gesamtmitarbeiterzahl sogar leicht überdurchschnittlich war (vgl. Tabelle 3). 232<br />

227 SED-Parteiorganisation <strong>de</strong>r BV Dres<strong>de</strong>n, Rechenschaftsbericht [vermutlich abgegeben auf <strong>de</strong>r Delegiertenkonferenz<br />

<strong>de</strong>r Parteiorganisation am 11.2.1956]; SAPMO-BA, ZPA, 2/12/102, Bl. 48-49.<br />

228 Protokoll <strong>de</strong>r Kollegiumssitzung am 11.3.1958; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1554, Bl. 140.<br />

229 <strong>Die</strong>nstanweisung 5/62 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers vom 26.4.1962 und Instruktion zur <strong>Die</strong>nstanweisung 5/62 vom<br />

17.2.1964; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101040; vgl. die Einschätzungen und Berichte zum politisch-i<strong>de</strong>ologischen und<br />

politisch-moralischen Zustand <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS in: <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 487, Bl. 1-11; sowie:<br />

Bün<strong>de</strong>l AKG 29, AKG 47 und AKG 48, unerschlossenes Material.<br />

230 HA KuSch vom April 1967, Einschätzung einiger Seiten <strong><strong>de</strong>s</strong> politisch-i<strong>de</strong>ologischen und politisch-moralischen<br />

Zustan<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS im Jahre 1966; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 47, S. 19-20; Einige<br />

Bemerkungen zur Disziplinarpraxis im MfS und <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung <strong>für</strong> die innere Ordnung und Sicherheit,<br />

[o.A. o.D., ca. 1980]; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 275, Bl. 104-105.<br />

231 Vgl. z.B.: Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch vom 19.4.1977, Bericht an das Sekretariat <strong>de</strong>r SED-Kreisleitung zur Entwicklung<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> politisch-i<strong>de</strong>ologischen und moralischen Zustan<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS im Jahre 1976; <strong>BStU</strong>, ZA, HA<br />

KuSch AKG 29 (künftig: Bericht 1976), S. 11.<br />

232 Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch vom 19.6.1976, Probleme <strong><strong>de</strong>s</strong> Stan<strong><strong>de</strong>s</strong> und <strong>de</strong>r erreichten Ergebnisse bei <strong>de</strong>r weiteren<br />

Festigung <strong>de</strong>r sozialistischen militärischen Disziplin im MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1576, Bl. 18-96, hier Bl. 26;


75<br />

Tabelle 16: Bestrafungsgrün<strong>de</strong> 1989 (in Prozent) 233<br />

Delikte Anteil<br />

Verletzung dienstlicher Pflichten, Befehle und Weisungen 18,6<br />

strafrechtlich relevante Handlungen 10,7<br />

wie<strong>de</strong>rholte Kontoüberziehung 10,1<br />

Schädigung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ansehens <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS 9,5<br />

Verstöße gegen Befehl 13/85 [Alkohol im <strong>Die</strong>nst] 9,5<br />

fahrlässiger Umgang mit <strong>Die</strong>nstausweisen, Dokumenten, Waffen 8,5<br />

Verstoß gegen Mel<strong>de</strong>pflicht von Kontakten und Verbindungen 7,6<br />

Verkehrs<strong>de</strong>likte in Verbindung mit Alkohol 5,5<br />

unerlaubte Entfernung/Fernbleiben vom <strong>Die</strong>nst 4,9<br />

Schwatzhaftigkeit 4,6<br />

Wachvergehen 3,0<br />

Herbeiführung von Verkehrsunfällen 2,7<br />

Verstoß gegen Operativgeldordnung 2,1<br />

Wi<strong>de</strong>rstand gegen die Volkspolizei 1,5<br />

moralwidriges Verhalten 1,2<br />

gesamt 100<br />

(nachrichtlich: Bestrafungen) (absolut: 1301)<br />

Eine <strong>de</strong>taillierte Untersuchung <strong>de</strong>r Bestrafungsgrün<strong>de</strong> und dahinter stehen<strong>de</strong>r Sachverhalte<br />

kann hier nicht vorgenommen wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> in Tabelle 16 dokumentierten Deliktgruppen vermitteln<br />

aber einen Eindruck von <strong>de</strong>r Breite <strong>de</strong>r möglichen Tatbestän<strong>de</strong>. Politische Disziplinierungen<br />

im engeren Sinne spielten ganz offenkundig eine untergeordnete Rolle. Verletzungen<br />

dienstlicher Normen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Konspirationsregeln, stan<strong>de</strong>n im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>r<br />

Bestrafungen. Eine beson<strong>de</strong>re Rolle spielte Alkoholeinfluß bei Disziplinarvergehen. Schon<br />

1958 stellte das Kollegium <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS kategorisch fest: "<strong>Die</strong> Trinkereien sind zu unterbin<strong>de</strong>n, beson<strong>de</strong>rs<br />

in <strong>de</strong>n KD [Kreisdienststellen]." Aber noch 1989 konstatierte <strong>de</strong>r Bereich Disziplinar,<br />

daß "Fehlverhalten im Zusammenhang mit Alkoholgenuß [...] einen wesentlichen Anteil <strong>de</strong>r<br />

erzieherischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS" bil<strong>de</strong>te, ihr Anteil hätte bei<br />

24,5 Prozent aller Bestrafungen gelegen. 234 <strong>Die</strong> "Möglichkeiten und Grenzen zur Eindämmung<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Alkoholismus" betrachtete <strong>de</strong>r Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> Zentralen Medizinischen <strong>Die</strong>nstes, Generalmajor<br />

Dr. Günter Kempe, 1984 in einem Memorandum als eines <strong>de</strong>r wichtigsten Probleme <strong>de</strong>r medizinischen<br />

Betreuung <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>. 235<br />

Ahndungen von Übergriffen gegen Häftlinge, Festgenommene u.ä. tauchen in <strong>de</strong>n Disziplinarstatistiken<br />

nur in wenigen Fällen, dann als "Verstöße gegen die <strong>de</strong>mokratische bzw. sozialisti-<br />

[Vortrag an <strong>de</strong>r Hochschule, o.A., o.D., ca. 1984], <strong>Die</strong> Disziplinarpraxis im MfS und ihr Einfluß auf die<br />

Gewährleistung <strong>de</strong>r inneren Sicherheit; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 182, Bl. 81-87, hier Bl. 86.<br />

233 Ohne Wachregiment, Stand 30.9.1989: Bereich Disziplinar <strong>de</strong>r HA KuSch vom 10.10.1989 [ohne Titel];<br />

<strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 487, Bl. 1-11.<br />

234 Ebenda, Bl. 2; Protokoll <strong>de</strong>r Kollegiumssitzung am 11.3.1958; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 1554, Bl. 141.<br />

235 <strong>Die</strong>nstkonferenz <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong><strong>de</strong>s</strong> ZMD am 5.12.1984 in Wünsdorf; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 248, Bl. 56-86, hier<br />

Bl. 61; siehe auch: HA KuSch und ZMD vom Juni 1987, Zu sozialen, medizinischen und ka<strong>de</strong>rpolitischen<br />

Aspekten <strong><strong>de</strong>s</strong> Alkoholmißbrauchs und <strong>de</strong>r Alkoholabhängigkeit; <strong>BStU</strong>, HA KuSch Abt. K 6/9, unerschlossenes<br />

Material.


76<br />

sche Gesetzlichkeit", auf. Zwar hat es in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren einige Entlassungen aufgrund<br />

solcher Brutalitäten gegeben, in <strong>de</strong>r Regel wur<strong>de</strong>n Mißhandlungen, Nötigungen usw. aber<br />

offenbar nicht verfolgt.<br />

Seit <strong>de</strong>n siebziger Jahren, vor allem aber seit 1984 gewann das Problem <strong>de</strong>r Westkontakte eine<br />

neue Dimension: Kontakte und Verbindungen von Familienangehörigen <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> in <strong>de</strong>n<br />

Westen nahmen sprunghaft zu. Übersiedlungen, Fluchtversuche und vor allem die seit 1986<br />

"aufgrund politischer Notwendigkeit und <strong>de</strong>r Dialogpolitik unserer Partei" in völlig neuen<br />

Größenordnungen genehmigten Reisen in dringen<strong>de</strong>n Familienangelegenheiten sowie<br />

Touristik-Reisen in <strong>de</strong>n Westen ließen die Zahl von MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n, <strong>de</strong>ren Verwandte über<br />

aktive Westverbindungen verfügten, in die Höhe schnellen - und nicht je<strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> kam<br />

<strong>de</strong>r Mel<strong>de</strong>pflicht nach. Eine Reihe von <strong>Mitarbeiter</strong>n unterhielten sogar, auch wenn sie nicht<br />

reisen durften, selbst entsprechen<strong>de</strong> Verbindungen, überwiegend zwecks "Erlangung westlicher<br />

Konsumgüter", wie das MfS analysierte. 236<br />

Eine beson<strong>de</strong>re Rolle spielte das dizisplinarische Geschehen unter <strong>de</strong>n Zeitsoldaten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS.<br />

Dort spielten Kamera<strong>de</strong>ndiebstähle, Entfernungen von <strong>de</strong>r Truppe u.ä. unter <strong>de</strong>n Delikten die<br />

größte Rolle. Auch die in <strong>de</strong>r NVA verbreitete sogenannte "Entlassungskandidaten-Bewegung",<br />

also die Drangsalierung von Rekruten durch dienstältere Wehrpflichtige, "bis hin zu<br />

körperlichen Mißhandlungen" wur<strong>de</strong> beklagt. 237 Nach einer Untersuchung <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rverwaltung<br />

aus <strong>de</strong>m Jahr 1988 gab es unter <strong>de</strong>n Zeitsoldaten sogar zahlreiche Fälle, in <strong>de</strong>nen<br />

"faschistische o<strong>de</strong>r nationalistische, militante, rassistische, chauvinistische,<br />

antikommunistische bzw. antisemitische Äußerungen" wie das "Singen <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

'Deutschlandlie<strong><strong>de</strong>s</strong>'" o<strong>de</strong>r die "Anwendung <strong><strong>de</strong>s</strong> 'Hitler-Grußes'" verfolgt wer<strong>de</strong>n mußten.<br />

Außer<strong>de</strong>m gebe es eine ganze Reihe von Soldaten, die "Auffassungen <strong>de</strong>r Kirche und an<strong>de</strong>rer<br />

antisozialistischer Kräfte, insbeson<strong>de</strong>re hinsichtlich <strong>de</strong>r Umweltproblematik, <strong>de</strong>r<br />

Menschenrechtsfragen, <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nsarbeit o<strong>de</strong>r Meinungsfreiheit" vertreten wür<strong>de</strong>n. Bei knapp<br />

einem Viertel <strong>de</strong>r UaZ wären "Wirkungserscheinungen <strong>de</strong>r piD [politisch-i<strong>de</strong>ologischen<br />

Diversion]", wie "Feindsen<strong>de</strong>rempfang" festgestellt wor<strong>de</strong>n. 238<br />

236 Abt. 3 <strong><strong>de</strong>s</strong> Bereiches Disziplinar <strong>de</strong>r HA KuSch, Zuarbeit zum Grundsatzreferat <strong><strong>de</strong>s</strong> Generalmajor Möller <strong>für</strong><br />

die Ka<strong>de</strong>rleitertagung am 5.12.1986; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 19, S. 2, 6-7, 10-11.<br />

237 Referat Karl-Marx-Jahr, Bl. 121. Vgl. zum analogen, ungleich schärfer ausgeprägten Phänomen in <strong>de</strong>n sowjetischen<br />

Streitkräften: Alexei Lewinson: Kasernenterror. Zur Soziologie <strong>de</strong>r "Dedowschtschina", in:<br />

Rußland verstehen, Kursbuch 103 (1991), S. 139-148.<br />

238 Abt. Ka<strong>de</strong>r 15 <strong>de</strong>r HA KuSch vom 22.3.1988, Einschätzung über bekanntgewor<strong>de</strong>ne Hinweise zu UaZ <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Aufgabenbereiches, die mit neofaschistischen Äußerungen, Gedankengut sowie angrenzen<strong>de</strong>n negativen<br />

Verhaltensweisen o<strong>de</strong>r Vorfel<strong>de</strong>rscheinungen auftraten; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 33, unerschlossenes<br />

Material.


9.2. Entlassungen<br />

77<br />

Neben <strong>de</strong>n regulären Entlassungen aus Altersgrün<strong>de</strong>n sowie wegen zeitweiliger o<strong>de</strong>r dauern<strong>de</strong>r<br />

<strong>Die</strong>nstuntauglichkeit aus gesundheitlichen Grün<strong>de</strong>n gab es unterschiedliche Formen <strong>de</strong>r vorzeitigen<br />

Entlassung:<br />

− <strong>Die</strong> Entlassung konnte als Disziplinarstrafe verhängt wer<strong>de</strong>n. Mit dieser - wie es in <strong>de</strong>n<br />

fünfziger Jahren hieß - "Ausstoßung aus <strong>de</strong>m Organ" ging nicht selten eine Verfolgung<br />

durch die Strafjustiz einher.<br />

− Wegen "Nichteignung" wur<strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong> entlassen, die <strong>de</strong>n "politischen, charakterlichmoralischen<br />

sowie ka<strong>de</strong>r- und sicherheitspolitischen Anfor<strong>de</strong>rungen" nicht mehr genügten.<br />

239 So wur<strong>de</strong> zum Beispiel bei weniger gravieren<strong>de</strong>n Disziplinwidrigkeiten eine Disziplinarstrafe<br />

mit <strong>de</strong>r Entlassung wegen Nichteignung verbun<strong>de</strong>n240 o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Feststellung<br />

von Homosexualität eines <strong>Mitarbeiter</strong>s dieser - ohne disziplinarische Bestrafung - auf diesem<br />

Wege entlassen. 241 Als "nicht geeignet" wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel auch <strong>Mitarbeiter</strong> eingestuft,<br />

die selbst ein Entlassungsgesuch einreichten. 242 Für in <strong>de</strong>r Ausbildung o<strong>de</strong>r Einarbeitung<br />

befindliche <strong>Mitarbeiter</strong> wur<strong>de</strong> ab 1983 die Variante <strong>de</strong>r "ungenügen<strong>de</strong>n Voraussetzungen<br />

<strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst" eingeführt, außer<strong>de</strong>m konnten ab diesem Zeitpunkt <strong>Mitarbeiter</strong> auch<br />

wegen "mangelhafter Erfüllung <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstpflichten" entlassen wer<strong>de</strong>n. Schließlich wur<strong>de</strong><br />

neu eingestellten <strong>Mitarbeiter</strong>n in <strong>de</strong>n ersten vier Wochen ihres <strong>Die</strong>nstes eine Art Rücktrittsrecht<br />

zugesprochen. Lehnten sie - unter <strong>de</strong>m Eindruck <strong>de</strong>r konkreten Aufgaben und Belastungen<br />

- die Einhaltung ihrer Verpflichtung ab, so konnten sie ebenfalls entlassen wer<strong>de</strong>n.<br />

− Daneben waren als weitere Grün<strong>de</strong> <strong>für</strong> Entlassungen auch "außergewöhnlich schwierige<br />

persönliche Verhältnisse", "strukturelle Verän<strong>de</strong>rungen" und "fehlen<strong>de</strong> Einsatzmöglichkeiten<br />

im MfS" sowie die "Übernahme wichtiger staatlicher und gesellschaftlicher Funktionen"<br />

vorgesehen, 243 die aber quantitativ eine untergeordnete Rolle spielten.<br />

Da die vorzeitige Entlassung von Geheimnisträgern immer ein Risiko <strong>für</strong> das MfS be<strong>de</strong>utete,<br />

sollte ihre Zahl möglichst gering gehalten wer<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re bei Entlassungsgesuchen versuchten<br />

die Vorgesetzten und Ka<strong>de</strong>rleiter daher, <strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong> - je nach Motivlage - durch<br />

Versetzungsangebote, Mahnungen an seine Parteidisziplin o<strong>de</strong>r auch Drohungen von seiner<br />

Absicht abzubringen. War bei <strong>Mitarbeiter</strong>n aus beson<strong>de</strong>rs "sensiblen" Bereichen die Beendigung<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> regulären <strong>Die</strong>nstes unabwendbar, so konnte auch die Variante einer Entsendung als<br />

OibE, zum Beispiel als Sicherheitsbeauftragter in einen Betrieb, in Frage kommen, was <strong>für</strong> <strong>de</strong>n<br />

239 Ka<strong>de</strong>rordnung 1989, Abschnitt IV/201, Bl. 1-2.<br />

240 Bericht 1976, S. 13.<br />

241 Bereich Disziplinar <strong>de</strong>r HA KuSch vom 16.1.1989, Auswertung/Information, Analyse zu Erscheinungen <strong>de</strong>r<br />

Homosexualität unter Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 487, Bl. 143-152.<br />

242 Vgl. z.B. <strong>BStU</strong>, ZA, KS II 639/89, Bl. 4-13 und 52.<br />

243 Vgl. <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung 1964, §§ 25 und 34; <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung 1966, § 34; <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung<br />

1972, § 29; <strong>Die</strong>nstlaufbahnordnung 1983, §§ 18, 24, 32.


78<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>n Erhalt seines (materiellen) Status´ und <strong>für</strong> das MfS optimale Kontrollmöglichkeiten<br />

bot - gewissermaßen als Entlassung ohne Entlassung.<br />

Mit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> aktiven <strong>Die</strong>nstes en<strong>de</strong>te die Bindung an das MfS keineswegs. <strong>Die</strong> ehemaligen<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> unterlagen auch fortan <strong>de</strong>r Betreuung und Kontrolle. 244 Das MfS belehrte sie<br />

beim Ausschei<strong>de</strong>n eindringlich über die fortbestehen<strong>de</strong> Schweigepflicht und sorgte - soweit sie<br />

nicht in Rente gingen - <strong>für</strong> ihre berufliche Zukunft. Entsprechend <strong>de</strong>n För<strong>de</strong>rungsrichtlinien <strong>de</strong>r<br />

NVA hatten die Entlassenen Anspruch auf Unterstützung bei <strong>de</strong>r Einglie<strong>de</strong>rung ins zivile<br />

Arbeitsleben. Das MfS stattete sie mit Arbeitspapieren, die sie als ehemalige <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Ministerium <strong><strong>de</strong>s</strong> Innern auswiesen, aus und wies ihnen eine Arbeitsstelle zu. <strong>Die</strong> ausgeschie<strong>de</strong>nen<br />

Berufssoldaten wur<strong>de</strong>n "zur vorbeugen<strong>de</strong>n Verhin<strong>de</strong>rung von Konfliktsituationen" sowie<br />

<strong>de</strong>r "Vermeidung von begünstigen<strong>de</strong>n Bedingungen <strong>für</strong> feindliche Angriffe" mittels Inoffizieller<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> in ihrem neuen Umfeld unter Kontrolle gehalten und sollten, wenn irgend möglich,<br />

auch selbst als IM vom MfS geführt wer<strong>de</strong>n. Gab es Anzeichen "negativen" Verhaltens, so<br />

nahm die Staatssicherheit sie unter operative Bearbeitung (Operative Personenkontrollen, in<br />

schweren Fällen Son<strong>de</strong>r-Operativ-Vorgänge) und schritt gegebenenfalls ein. 245<br />

Tabelle 17: Entlassungsgrün<strong>de</strong> bei Berufssoldaten 1988 und 1989 (absolut/in Prozent) 246<br />

1988 1989<br />

Grün<strong>de</strong> absolut in Prozent absolut in Prozent<br />

Erreichen <strong>de</strong>r Altersgrenze/Erfüllung <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstzeit 278 14,4 267 15,3<br />

<strong>Die</strong>nstuntauglichkeit<br />

Nichteignung / ungenügen<strong>de</strong> Voraussetzungen /<br />

mangeln<strong>de</strong> Erfüllung <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstpflichten / Nichteinhaltung<br />

873 45,1 714 40,9<br />

<strong>de</strong>r Verpflichtung bis 4 Wochen 661 34,2<br />

disziplinarische Grün<strong>de</strong> 54 2,8 84 4,8<br />

Übernahme staatlicher und gesellschaftlicher Aufgaben 9 0,5 5 0,3<br />

außergewöhnlich schwierige persönliche Verhältnisse 44 2,3 41 2,3<br />

strukturelle Verän<strong>de</strong>rungen 15 1,3 29 1,7<br />

gesamt 1934 100 1745 100<br />

In <strong>de</strong>n achtziger Jahren bestimmte vor allem <strong>de</strong>r hohe Anteil älterer MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>, die <strong>de</strong>n<br />

Belastungen <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Die</strong>nstes physisch nicht mehr gewachsen waren, die Entlassungszahlen: Annähernd<br />

die Hälfte <strong>de</strong>r Entlassungen erfolgte wegen <strong>Die</strong>nstuntauglichkeit. Aber auch die nachlassen<strong>de</strong><br />

"Kampfbereitschaft" und i<strong>de</strong>ologische Bindungskraft zeigte Wirkung: <strong>Die</strong> Entlassungsgesuche<br />

und daraus resultierend die Entlassungen wegen Nichteignung nahmen zu. Der Leiter<br />

244 So schon die - offenbar nicht hinreichend umgesetzte - Anweisung Zaissers: Anweisung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers vom<br />

10.3.1952: Ehemalige <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfSt. [MfS], sowie die Ermahnung zur Durchführung <strong>de</strong>r Anweisung<br />

vom 22.3.1952; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101384; Anweisung <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r HA KuSch zur Erfassung <strong>de</strong>r ehemaligen<br />

Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS vom Januar 1970; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 101471.<br />

245 Erfahrungsaustausch KfS 1985, S. 58. Vgl. exemplarisch: Abt. 15 <strong>de</strong>r HA III vom 2.3.1989, Maßnahmeplan<br />

zur operativen Absicherung <strong><strong>de</strong>s</strong> ehemaligen Angehörigen <strong>de</strong>r HA III; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 2248, Bl. 85-87;<br />

<strong>Die</strong>nstanweisung 5/84 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers über die politisch-operative Sicherung und Kontrolle <strong>de</strong>r ehemaligen<br />

Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS vom 1.11.1984; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103106.<br />

246 1989 bis Oktober; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Abt. Plg. 15 III, unerschlossenes Material.<br />

605<br />

34,7


79<br />

<strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung berichtete <strong>de</strong>r Parteileitung <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> 1986,<br />

daß 56 Prozent aller Entlassungen wegen Nichteignung auf Entlassungsgesuche zurückgingen.<br />

<strong>Die</strong>s sei eine Zunahme von zehn Prozent zum Vorjahr. "Politisch-i<strong>de</strong>ologische Unklarheiten",<br />

aber auch "übersteigertes Besitz- und Vorteilsstreben" sowie die "Überbewertung <strong>de</strong>r eigenen<br />

Persönlichkeit" stün<strong>de</strong>n hinter dieser be<strong>de</strong>nklichen Ten<strong>de</strong>nz. "Verbitterung über persönlich<br />

verspürte Mängel in <strong>de</strong>r Leitungs- und Erziehungsarbeit" sei ebenso eine Ursache wie die<br />

nachlassen<strong>de</strong> <strong>Die</strong>nstbereitschaft: "Eine wesentliche Rolle spielen bei Entlassungsgesuchen<br />

auch die Perspektiven, die <strong>de</strong>n Angehörigen im Zivilbereich geboten wer<strong>de</strong>n und ihnen im Vergleich<br />

mit <strong>de</strong>n im MfS gebotenen Entwicklungswegen günstiger erscheinen, zumal diese oftmals<br />

mit weniger Mühe sowie Konsequenzen <strong>für</strong> das persönliche Leben verbun<strong>de</strong>n sind." 247<br />

9.3. "Verräter"<br />

Der Verrat, also die Spionage <strong>für</strong> gegnerische Geheimdienste bzw. das Überlaufen zu solchen<br />

<strong>Die</strong>nsten, war das schlimmste <strong>de</strong>nkbare Vergehen eines MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>s - bis 1987 stand darauf<br />

die To<strong><strong>de</strong>s</strong>strafe. Am Tage <strong>de</strong>r vermutlich ersten Exekution eines geflüchteten MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>s,<br />

Paul Rebenstock, durch die DDR-Justiz248 erklärte <strong>de</strong>r Staatssekretär Ernst Wollweber:<br />

"Für Schwanken<strong>de</strong>, Feige und Verräter ist kein Platz in <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r Organe <strong>de</strong>r Staatssicherheit.<br />

Es gibt nichts Schlechteres als Verrat an <strong>de</strong>r Sache <strong>de</strong>r Partei, <strong>de</strong>r Arbeiterklasse und<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Sozialismus." 249 1955 drohte er anläßlich zweier weiterer To<strong><strong>de</strong>s</strong>urteile gegen Bruno und<br />

Susanne Krüger allen Überläufern: "Je<strong>de</strong>n Verräter an unserer gerechten Sache ereilt sein verdientes<br />

Schicksal. Er wird genau wie die bei<strong>de</strong>n Krüger ergriffen, auch wenn er sich in einem<br />

noch so sicheren Versteck zu befin<strong>de</strong>n glaubt, und entgeht in keinem Fall seiner gerechten<br />

Strafe, <strong>de</strong>nn die Macht <strong>de</strong>r Arbeiterklasse reicht über alle Grenzen hinaus." 250 In bislang sieben<br />

bekannten Fällen wur<strong>de</strong> diese Drohung wahrgemacht und geflüchtete <strong>Mitarbeiter</strong> aus <strong>de</strong>m<br />

Westen entführt, abgeurteilt und hingerichtet. In drei weiteren Fällen traf MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>, die<br />

Spionage betrieben o<strong>de</strong>r nur vorbereitet hatten, ebenfalls die To<strong><strong>de</strong>s</strong>strafe. 251<br />

Entführungen und Hinrichtungen dienten vor allem <strong>de</strong>r internen Abschreckung. Entgegen <strong>de</strong>n<br />

martialischen Drohungen Wollwebers konnten in <strong>de</strong>n fünfziger und sechziger Jahren nämlich<br />

247 Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch vom Juni 1987, Ausführungen vor <strong>de</strong>m Sekretariat <strong>de</strong>r Kreisleitung; <strong>BStU</strong>, ZA, KL<br />

SED 583, S. 10-12.<br />

248 Von <strong>de</strong>r Sowjetischen Kontrollkommission (SKK) waren vor 1953 u.a. zwei abtrünnige MfS-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

bestraft wor<strong>de</strong>n, die To<strong><strong>de</strong>s</strong>strafe ist hier nicht auszuschließen; vgl. <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch, Bereich Disziplinar,<br />

A/I 628.<br />

249 Befehl 78/54 <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssekretärs, Strafverfahren gegen <strong>de</strong>n ehemaligen <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssekretariats <strong>für</strong><br />

Staatssicherheit, <strong>de</strong>n Verräter Rebenstock; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100082, S. 2.<br />

250 Befehl 224/55 <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssekretärs vom 5.8.1955; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 100128.<br />

251 Vgl. ausführlich zum Komplex Entführungen und To<strong><strong>de</strong>s</strong>urteile Karl Wilhelm Fricke: "Je<strong>de</strong>n Verräter ereilt<br />

sein Schicksal". <strong>Die</strong> gna<strong>de</strong>nlose Verfolgung abtrünniger MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>, in: Deutschland Archiv 3 (1994),<br />

S. 258-265; geringfügig erweitert auch erschienen als: <strong>de</strong>rs.: Das Phänomen <strong><strong>de</strong>s</strong> Verrats in <strong>de</strong>r DDR-Staatssicherheit,<br />

in: <strong>de</strong>rs. und Bernhard Marquardt: DDR Staatssicherheit: Das Phänomen <strong><strong>de</strong>s</strong> Verrats, die Zusammenarbeit<br />

zwischen MfS und KGB, Bochum 1995, S. 9-49.


80<br />

eine ganze Reihe von MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n in <strong>de</strong>n Westen flüchten und sich erfolgreich <strong>de</strong>m Zu-<br />

griff <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS entziehen (siehe Tabelle 18). Seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r sechziger Jahre hatte die Staats-<br />

sicherheit die interne Lage dann nahezu vollständig im Griff. <strong>Die</strong> letzte erfolgreiche Flucht<br />

gelang im Januar 1979 <strong>de</strong>m im Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) <strong>de</strong>r Hauptverwaltung<br />

Aufklärung tätigen Oberleutnant Werner Stiller - <strong>für</strong> seine Ergreifung lobte Mielke ein Kopfgeld<br />

von einer Million Mark aus. 252 Im Mai <strong><strong>de</strong>s</strong> gleichen Jahres wur<strong>de</strong> die Ausschleusung eines<br />

Offiziers <strong>de</strong>r Bezirksverwaltung Potsdam, Major Gert Trebeljahr, vereitelt, sowie 1980 <strong>de</strong>r<br />

ebenfalls in <strong>de</strong>r HV A dienen<strong>de</strong> Hauptmann Dr. Werner Teske wegen Spionage und Fluchtvorbereitungen<br />

verhaftet; bei<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n zum To<strong>de</strong> verurteilt. <strong>Die</strong> Hinrichtung Teskes am 26. Juni<br />

1981 war die letzte bislang bekannte Vollstreckung eines To<strong><strong>de</strong>s</strong>urteils in <strong>de</strong>r DDR. 253 Mielke<br />

bekräftigte nach dieser neuerlichen Häufung von Fällen versuchten o<strong>de</strong>r vollzogenen Verrats<br />

die Drohung gegen alle MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>: "Wir sind nicht davor gefeit, daß wir mal einen<br />

Schuft unter uns haben. Wenn ich das schon jetzt wüßte, wür<strong>de</strong> er ab morgen nicht mehr leben.<br />

Kurzen Prozeß. Weil ich Humanist bin. Deshalb hab ich solche Auffassung. [...] Das ganze Geschwafel,<br />

von wegen nicht hinrichten und nicht To<strong><strong>de</strong>s</strong>urteil - alles Käse, Genossen. Hinrichten,<br />

wenn notwendig auch ohne Gerichtsurteil." 254<br />

252 Zum Fall Stiller vgl.: Stiller, Zentrum (siehe Anm. 41); Guido Knopp und Peter Adler: Der Überläufer, in:<br />

Guido Knopp: Top-Spione. Verräter im geheimen Krieg, München 1994, S. 289-334; Serie in: Der Spiegel,<br />

13-15 (1992). <strong>Die</strong> Prämie bestätigt <strong>de</strong>r ehemals <strong>für</strong> die Verfolgung von Überläufern verantwortliche Leiter<br />

<strong>de</strong>r Spionageabwehr, Günter Kratsch, in: "Zwei Todfein<strong>de</strong> an einem Tisch", in: Der Stern vom 13.10.1994.<br />

253 Vgl. Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>ministerium <strong>de</strong>r Justiz (Hrsg.): Im Namen <strong><strong>de</strong>s</strong> Volkes. Über die Justiz im Staat <strong>de</strong>r SED, Katalog<br />

zur Ausstellung, Leipzig 1994, S. 217. <strong>Die</strong> To<strong><strong>de</strong>s</strong>strafe wur<strong>de</strong> 1987 abgeschafft.<br />

254 Mielke, Schlußwort auf <strong>de</strong>r Kollegiumssitzung am 19.2.1982; <strong>BStU</strong>, ZA, ZAIG/Tb/1[Tonbandprotokoll]; das<br />

Zitat bezieht sich ganz offenkundig auf Verräter in <strong>de</strong>n eigenen Reihen <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>, insofern ist die<br />

Verwendung im Zusammenhang mit an<strong>de</strong>ren von <strong>de</strong>r Staatssicherheit "bearbeiteten" Personen nicht zutreffend;<br />

vgl. Bürgerkomitee Leipzig (Hrsg.): Stasi intern. Macht und Banalität, Leipzig 1991, S. 216 und<br />

zuletzt: Hinrichten, notfalls ohne Urteil, in: Der Spiegel 19 (1995), S. 56.


81<br />

Tabelle 18: Fahnenfluchten, Republikfluchten, Übersiedlungen von <strong>Mitarbeiter</strong>n und ehema-<br />

ligen <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS 1950 bis 1988 (absolut) 255<br />

1950-60 1961-70 1971-80 1981-88 gesamt<br />

Fahnen- und Republikfluchten von <strong>Mitarbeiter</strong>n<br />

(davon operative <strong>Mitarbeiter</strong>)<br />

Republikfluchten von ehemaligen Mitar-<br />

92 (51) 17 (11) 2 (2)<br />

beitern (davon operative <strong>Mitarbeiter</strong>) 308 (57) 54 (54) 5 (1)<br />

0 111 (64)<br />

6 (k.A.) 373 (68)<br />

gesamt 400 (108) 71 (21) 7 (3) 6 (k.A.) 484 (132)<br />

davon "zurück" 108 12 1 k.A. 120<br />

davon To<strong><strong>de</strong>s</strong>strafe 7 - - k.A. 7<br />

Haftentlassungen/Übersiedlungen ehemaliger<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> nach West<strong>de</strong>utschland 1 3 3<br />

Das von Wollweber und Mielke erzeugte - und von westlichen Beobachtern unter umgekehrten<br />

Vorzeichen reproduzierte - Bild einer allgegenwärtigen, gna<strong>de</strong>nlosen Verfolgungsmacht ist an<br />

einigen Punkten zu relativieren. <strong>Die</strong> MfS-interne Nachweisführung belegt fast 500 Fälle von -<br />

z.T. bereits zuvor aus <strong>de</strong>m <strong>Die</strong>nst entlassenen - MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n, die Republikflucht begingen,<br />

darunter 132 operative <strong>Mitarbeiter</strong>. Davon wur<strong>de</strong>n 120 wie<strong>de</strong>r in die DDR "zurückgeholt"<br />

und in <strong>de</strong>r Regel zu Zuchthausstrafen verurteilt. In drei dieser Fälle vermerkte <strong>de</strong>r Bereich<br />

Disziplinar eine freiwillige Rückkehr, woraus sich schließen läßt, daß sie in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Fällen<br />

unter Zwang erfolgte. 256 <strong>Die</strong> an<strong>de</strong>ren erreichte <strong>de</strong>r lange Arm <strong>de</strong>r Staatssicherheit nicht, unter<br />

an<strong>de</strong>rem aufgrund aufwendiger Abschirmungsmaßnahmen westlicher <strong>Die</strong>nste.<br />

Gegenüber <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren geflüchteten <strong>Mitarbeiter</strong>n ließ die Verfolgungsenergie<br />

später nach. In einer 1988 erstellten Übersicht sind bei etwa einem Viertel <strong>de</strong>r Registrierten<br />

sogar regelmäßige, offenkundig unbehelligte Besuchsreisen in die DDR vermerkt. 257 Selbst die<br />

Übersiedlung ehemaliger MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> in die Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>republik wur<strong>de</strong> seit <strong>de</strong>r Ausreisewelle<br />

von 1984 genehmigt. Von 369 entsprechen<strong>de</strong>n Antragstellern (1981 bis 1988), darunter 112<br />

ehemaligen Berufssoldaten, konnten 105 in die Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>republik übersie<strong>de</strong>ln.<br />

255 Ohne Versuche, <strong>für</strong> 1989 liegen <strong>de</strong>rzeit keine Angaben vor. Zusammengestellt aus: Ordner Flüchtige <strong>Mitarbeiter</strong><br />

und ehemalige <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch, Bereich Disziplinar A/I 628, unerschlossenes<br />

Material (künftig: Ordner Flüchtige <strong>Mitarbeiter</strong>). <strong>Die</strong> Angaben zu Übersiedlungen 1981-88 nach: Bereich<br />

Disziplinar <strong>de</strong>r HA KuSch, A/I, Zu Erscheinungen von Übersiedlungsersuchen unter ehemaligen Angehörigen<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, 23.6.1988; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 33; Bereich Disziplinar <strong>de</strong>r HA KuSch vom<br />

24.6.1988, Analyse zur Entwicklung <strong>de</strong>r privaten Ausreisetätigkeit Verwandter von Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS<br />

Berlin; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG 33, S. 10.<br />

256 Alle Angaben entsprechend <strong>de</strong>r Nachweisführung <strong><strong>de</strong>s</strong> Bereiches Disziplinar <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; Ordner Flüchtige<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>. Eine umfassen<strong>de</strong> Untersuchung <strong>de</strong>r einzelnen Fälle steht noch aus.<br />

257 AKG <strong>de</strong>r HA KuSch vom 24.4.1988, Flüchtige E[hemalige] M[itarbeiter]; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 472.<br />

105<br />

112


10. Auflösung 1989/1990<br />

10.1. Innerer Zustand im Herbst 1989<br />

82<br />

Bilanziert man <strong>de</strong>n inneren Zustand <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>bestands En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r achtziger Jahre, so<br />

sind Symptome einer inneren Erosion nicht zu übersehen. Probleme bei <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rrekrutierung,<br />

die Überalterung <strong><strong>de</strong>s</strong> Personalbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> und <strong>de</strong>r Führung, aber auch die zunehmen<strong>de</strong>n Westkontakte<br />

im Umfeld <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> und die damit verbun<strong>de</strong>nen Einflüsse schufen strukturelle<br />

Defizite, die - mit <strong>de</strong>m heutigen Wissen um <strong>de</strong>n Zusammenbruch <strong><strong>de</strong>s</strong> Apparates - als Vorboten<br />

<strong>de</strong>r finalen Krise erscheinen. Gleichwohl sollte nicht übersehen wer<strong>de</strong>n, daß die militärische<br />

Hierarchie bis in <strong>de</strong>n Herbst 1989 hinein intakt war und die enge Führung durch die SED kaum<br />

Spielraum zur Artikulation und Rückkopplung innerer Desintegrationsprozesse im <strong>Mitarbeiter</strong>bestand<br />

ließ. Sich nicht gegen die Partei zu stellen, das war oberste Maxime unter <strong>de</strong>n MfS-<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>n - und wenn die Partei, sprich ihre Führung, es befohlen hätte, hätten die <strong>Mitarbeiter</strong><br />

vermutlich etwaige Skrupel überwun<strong>de</strong>n und wären zum Einsatz gegen die Demokratiebewegung<br />

mit allen ihnen zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n Mitteln bereit gewesen.<br />

Aber <strong>de</strong>r vermeintlich monolithische Block hatte bereits Risse. Beson<strong>de</strong>rs die Nachwuchs-<br />

Tschekisten machten sich wenig Illusionen über das Ansehen <strong>de</strong>r Staatssicherheit in <strong>de</strong>r Bevölkerung.<br />

So befragte ein Absolvent <strong>de</strong>r JHS <strong>für</strong> eine im April 1989 abgeschlossene Diplomarbeit<br />

über das "tschekistische Feindbild und damit verbun<strong>de</strong>ne Probleme bei <strong>de</strong>r Herausbildung<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Berufsethos" Offiziersschüler <strong>de</strong>r Hochschule. Um ihre Meinung über die Auffassungen in<br />

<strong>de</strong>r DDR-Bevölkerung zur Arbeit <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS gebeten, zeichneten die Befragten ein zwiespältiges<br />

Bild: Zwar schätzten 42 <strong>de</strong>r befragten 62 Offiziersschüler (67,7 Prozent) ein, die DDR-Bürger<br />

wür<strong>de</strong>n die angebotene Aussage "MfS ist notwendig und wichtig <strong>für</strong> Frie<strong>de</strong>nssicherung" als<br />

ganz o<strong>de</strong>r teilweise zutreffend bewerten, und 32 (51,6 Prozent) meinten, <strong>de</strong>r "MfS-Beruf"<br />

wer<strong>de</strong> als "verantwortungsvoller <strong>Die</strong>nst an Volk und Staat" gesehen. Zugleich gaben aber 44<br />

(70 Prozent) an, <strong>de</strong>r eine negative Konnotation nicht ausschließen<strong>de</strong> Satz "MfS ist geheimnisvoll<br />

und nur etwas <strong>für</strong> Spezialisten" wür<strong>de</strong> min<strong><strong>de</strong>s</strong>tens teilweise Zustimmung fin<strong>de</strong>n - und 47<br />

Offiziersschüler (75,8 Prozent) waren <strong>de</strong>r Ansicht, daß die Position, "MfS-Arbeit" sei<br />

"Spitzeltätigkeit gegen das eigene Volk" auf volle o<strong>de</strong>r teilweise Zustimmung in <strong>de</strong>r DDR-Bevölkerung<br />

stoßen wür<strong>de</strong>. Daß MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> als "Menschen wie du und ich" betrachtet wür<strong>de</strong>n,<br />

glaubten nur 36 (58,1 Prozent) <strong>de</strong>r befragten Offiziersschüler. Stellt man in Rechnung, daß<br />

die Befragungsbedingungen eher eine im offiziellen Sinn beschönigen<strong>de</strong> Wirkung erwarten<br />

lassen, geben die Daten doch einen Eindruck vom Legitimations<strong>de</strong>fizit, das diese Offiziersschüler<br />

verspürten. 258<br />

258 <strong>Die</strong> weitere Befragung dokumentiert selbstverständlich auch die psychischen Kompensationsstrategien <strong>de</strong>r<br />

Offiziersschüler zur Überwindung solcher Zweifel; Uwe Hasenbein: Zum tschekistischen Feindbild und damit<br />

verbun<strong>de</strong>ne Probleme bei <strong>de</strong>r Herausbildung <strong><strong>de</strong>s</strong> Berufsethos bei Offiziersschülern <strong>de</strong>r Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS;<br />

Diplomarbeit, JHS Potsdam-Eiche 1989; <strong>BStU</strong>, ZA, JHS 21431, hier S. 181-182.


83<br />

Aus <strong>de</strong>n zunehmen<strong>de</strong>n Differenzen zwischen <strong>de</strong>r SED und <strong>de</strong>r zuvor immer als Vorbild ge-<br />

priesenen sowjetischen Führung, jetzt unter Gorbatschow, resultierte zu<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Verlust einer<br />

einheitlichen i<strong>de</strong>ologischen Linie, an die sich die <strong>Mitarbeiter</strong> im Zweifel hätten halten können.<br />

Mit <strong>de</strong>m Ausschei<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> stellvertreten<strong>de</strong>n Ministers Generaloberst Markus Wolf 1986 und<br />

seiner darauf folgen<strong>de</strong>n öffentlichen Profilierung als gorbatschowistischer Schriftsteller personalisierten<br />

sich diese Differenzen sogar in <strong>de</strong>r MfS-Führung. 259 <strong>Die</strong> Berichterstattung aus <strong>de</strong>n<br />

Versammlungen <strong>de</strong>r Partei- und Grundorganisationen <strong>de</strong>r SED zeigt, daß die Bereitschaft, Kritik<br />

zu äußern, im Jahre 1989 trotz drohen<strong>de</strong>r Parteiverfahren recht groß war. So wur<strong>de</strong>n die<br />

Versorgungslage, die ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu Devisen, die unrealistischen Berichte<br />

<strong>de</strong>r DDR-Medien u.ä. moniert und an einigen Punkten auch Ursachenforschung im<br />

DDR-System sowie "etwas mehr Umgestaltung" angemahnt. 260 In einer FDJ-Wahlversammlung<br />

an <strong>de</strong>r Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS machte sich das dortige "Lie<strong>de</strong>rtheater" unter "starkem Beifall"<br />

<strong>de</strong>r Versammlung über das - auch von Wolf in einem Interview <strong><strong>de</strong>s</strong> Westfernsehens kritisierte<br />

- Verbot <strong>de</strong>r sowjetischen Zeitschrift "Sputnik" in <strong>de</strong>r DDR lustig. 261<strong>Die</strong> latente Unruhe<br />

wur<strong>de</strong> manifest, als in <strong>de</strong>n Wochen nach <strong>de</strong>m 7. Oktober die Parteiführung vor einer<br />

gewaltsamen Nie<strong>de</strong>rschlagung von Demonstrationen und Protesten zurückschreckte und <strong>de</strong>r<br />

neue SED-Generalsekretär Egon Krenz eine Politik <strong><strong>de</strong>s</strong> "Dialogs" und <strong>de</strong>r "Wen<strong>de</strong>"<br />

proklamierte. <strong>Die</strong>ser Kurswechsel verurteilte das MfS zu zähneknirschen<strong>de</strong>r Passivität, außer<strong>de</strong>m<br />

gelang es <strong>de</strong>r SED unter <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r wachsen<strong>de</strong>n Bürgerbewegung nicht mehr, eine<br />

gültige Parteilinie neu zu formulieren - schon gar nicht, was die Staatssicherheit betraf. Mit<br />

<strong>de</strong>m Verbot <strong><strong>de</strong>s</strong> Schußwaffengebrauchs gegen Demonstranten und <strong>de</strong>n ersten Anordnungen zur<br />

Vernichtung von dienstlichen Materialien wur<strong>de</strong>n die MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> in eine Defensivposition<br />

gerückt, die in tiefem Gegensatz zu <strong>de</strong>r vom Minister zuvor verkün<strong>de</strong>ten tschekistischen<br />

Kampfbereitschaft stand. 262 In einem am 2. November verbreiteten Brief an alle <strong>Mitarbeiter</strong><br />

blieb Mielke nichts übrig, als ihnen in tiefer Ratlosigkeit <strong>für</strong> ihre "standhafte Haltung und verantwortungsvolle<br />

Pflichterfüllung in diesen schweren Tagen" und ihre Selbstbeherrschung angesichts<br />

von "ständig zunehmen<strong>de</strong>n Verleumdungen, Diskriminierungen und Beleidigungen bis<br />

hin zu Gewaltandrohungen gegen <strong>Die</strong>nststellen und Angehörige, gegen Euch, in Einzelfällen<br />

gegen Eure Familien und selbst gegen Eure Kin<strong>de</strong>r" zu danken. Er und alle MfS-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

wür<strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>n neuen Anfor<strong>de</strong>rungen aus <strong>de</strong>r "Politik <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>" stellen und die<br />

259 Ob die Grün<strong>de</strong> <strong>für</strong> das Ausschei<strong>de</strong>n Wolfs tatsächlich in seinen politischen Differenzen bzw. Ambitionen<br />

lagen, kann hier nicht behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n; vgl. Markus Wolf: <strong>Die</strong> Troika, Berlin/Weimar 1989; <strong>de</strong>rs.: Im eigenen<br />

Auftrag, München 1991; vgl. Süß: Entmachtung, S. 30-32, beson<strong>de</strong>rs Anm. 99.<br />

260 Zur Auflösungsgeschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS vgl. die Darstellung bei Süß, auf die hier Bezug genommen wird; Süß:<br />

Entmachtung, hier S. 16-17. Zum DDR-Kontext vgl. Konrad Jarausch: <strong>Die</strong> unverhoffte Einheit 1989-1990,<br />

Frankfurt/M. 1995.<br />

261 <strong>Die</strong> Verantwortlichen wur<strong>de</strong>n da<strong>für</strong> ausdrücklich nicht gemaßregelt, son<strong>de</strong>rn sollten durch politisch-i<strong>de</strong>ologische<br />

"Stählung und Erziehung" von <strong>de</strong>r Verwerflichkeit ihres Tuns überzeugt wer<strong>de</strong>n; Parteikontrollkommission<br />

<strong>de</strong>r Parteiorganisation im MfS vom 28.12.1988, Bericht zum unparteilichen Verhalten von<br />

Parteimitglie<strong>de</strong>rn im Rahmen ihrer Tätigkeit in <strong>de</strong>r Singebewegung und im dritten Offiziersschülerlehrgang<br />

<strong>de</strong>r Hochschule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS; <strong>BStU</strong>, ZA, KL SED 493, unerschlossenes Material.<br />

262 Süß: Entmachtung, S. 8-10.


84<br />

"erfor<strong>de</strong>rlichen Schlußfolgerungen ableiten und durchsetzen" - wie diese aussehen sollten, ließ<br />

er allerdings offen. 263<br />

Ungestraft mußten die <strong>Mitarbeiter</strong> sich von Demonstranten als "Faulenzer, Parasiten, faules<br />

Pack, Volksverräter" titulieren lassen, die "in die Produktion" geschickt wer<strong>de</strong>n sollten. 264 <strong>Die</strong><br />

Demonstrationen, die in <strong>de</strong>n Kreis- und Bezirksstädten häufig direkt an <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nststellen <strong>de</strong>r<br />

Staatssicherheit vorbei führten, sowie die ausbleiben<strong>de</strong>n Gegenmaßnahmen <strong>de</strong>r Partei- und<br />

<strong>Ministeriums</strong>führung stürzten die <strong>Mitarbeiter</strong> in "Verwirrung und wachsen<strong>de</strong> Verbitterung". 265<br />

Beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n Kreisstädten <strong>de</strong>r DDR, wo die MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> nicht die Anonymität wie in<br />

<strong>de</strong>n Bezirksstädten und Ost-Berlin genossen, verbreitete sich Unruhe. 266 Den entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Schlag versetzte <strong>de</strong>r am 7. November als Minister zurückgetretene Erich Mielke <strong>de</strong>r Moral seiner<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> allerdings selbst mit seinem jämmerlichen Auftritt vor <strong>de</strong>r Volkskammer am<br />

13. November 1989. "Bestürzung, innere Verzweiflung und Betroffenheit", hieß es aus <strong>de</strong>r<br />

Abteilung XI, hätte das Gestammel bei ihnen ausgelöst. 267 Auch aus zahlreichen an<strong>de</strong>ren Abteilungen<br />

und territorialen Glie<strong>de</strong>rungen mel<strong>de</strong>ten sich die <strong>Mitarbeiter</strong>, um ihrer Erschütterung,<br />

aber auch <strong>de</strong>r Wut über <strong>de</strong>n katastrophalen Abgang ihrer jahrzehntelangen Leitfigur Ausdruck<br />

zu geben.<br />

Allein die Tatsache, daß viele einzelne <strong>Mitarbeiter</strong> und "<strong>Die</strong>nstkollektive" seit Mitte Oktober<br />

begannen, ihre Meinungen ungefragt <strong>de</strong>n Parteiinstanzen und auch ranghohen Vorgesetzten in<br />

teilweise scharfer Form kundzutun, dokumentiert die wachsen<strong>de</strong> Zersetzung <strong>de</strong>r quasi-militärischen<br />

Hierarchie. Innere Wi<strong>de</strong>rsprüche zwischen privilegierter Generalität und sonstigen <strong>Mitarbeiter</strong>n,<br />

zwischen Leitern und Untergebenen, zwischen <strong>de</strong>r Zentrale und <strong>de</strong>n "Tschekisten"<br />

<strong>de</strong>r regionalen Glie<strong>de</strong>rungen brachen nun offen hervor. Als innenpolitischer Faktor war <strong>de</strong>r<br />

Apparat damit zunehmend paralysiert. Nach <strong>de</strong>n bislang vorliegen<strong>de</strong>n Erkundungen hat es nur<br />

in Ausnahmefällen eigene Initiativen gegeben, das Ru<strong>de</strong>r - zur Not auch gegen <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>r<br />

263 Persönliches Schreiben [<strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers] an alle Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS vom 2.11.1989; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch<br />

440, Bl. 1-4; auch abgedruckt in: Bürgerkomitee Leipzig (Hrsg.): Stasi intern. Macht und Banalität, Leipzig<br />

1991, S. 338-339.<br />

264 Vgl. die Auflistung <strong>de</strong>r Parolen in: "Übersicht"; <strong>BStU</strong>, ZA, AGM 1654, Bl. 1-27; auch zitiert bei Süß: Entmachtung,<br />

S. 11.<br />

265 Süß: Entmachtung, S. 21.<br />

266 Vgl. als Beispiel Günter Siegel: <strong>Die</strong> Kreisdienststelle Mühlhausen <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit <strong>de</strong>r<br />

DDR im Herbst 1989, in: Josef Lütke Al<strong>de</strong>nhövel u.a. (Hrsg.): Mühlhausen 1989/1990. <strong>Die</strong> Wen<strong>de</strong> in einer<br />

thüringischen Kleinstadt, 2. Aufl. Münster 1993, S. 197-228, hier S. 216; sowie die Einschätzung <strong><strong>de</strong>s</strong> stellvertreten<strong>de</strong>n<br />

Ministers Rudi Mittig am 21. November; <strong>Die</strong>nstbesprechung am 21.11.1989 (künftig: <strong>Die</strong>nstbesprechung<br />

21.11.89); <strong>BStU</strong>, ZA, ZAIG 4886, Bl. 1-68, hier Bl. 57, auch zitiert bei Süß: Entmachtung, S.<br />

11.<br />

267 Abt. XI GO XI, Schreiben an Generalleutnant Schwanitz vom 14.11.1989; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 2336, Bl. 192;<br />

weitere Zitate bei Süß: Entmachtung.


85<br />

SED-Führung - mit einem gewaltsamen Schlag gegen die Demokratiebewegung herumzurei-<br />

ßen. 268<br />

10.2. Amt <strong>für</strong> Nationale Sicherheit<br />

In seiner Regierungserklärung vom 17. November 1989 kündigte <strong>de</strong>r neu gewählte Minister-<br />

präsi<strong>de</strong>nt Hans Modrow unter an<strong>de</strong>rem die Umwandlung <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS in ein Amt <strong>für</strong> Nationale<br />

Sicherheit (AfNS) an. Damit sollte auch eine "Verringerung <strong><strong>de</strong>s</strong> Aufwan<strong><strong>de</strong>s</strong>" verbun<strong>de</strong>n<br />

sein. 269 Der am folgen<strong>de</strong>n Tag gewählte neue Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> AfNS, <strong>de</strong>r vormalige stellvertreten<strong>de</strong><br />

Minister Generalleutnant Wolfgang Schwanitz, 270 sprach wenige Tage später von einer Verrin-<br />

gerung um etwa 8.000 Stellen, ohne die absolute Größe <strong><strong>de</strong>s</strong> Apparates zu nennen. 271 Intern<br />

hatte er bereits am 15. November die Notwendigkeit <strong>de</strong>r "Freisetzung bzw. Umgruppierung<br />

von Ka<strong>de</strong>rn in erheblichen Größenordnungen" herausgehoben, was von <strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>n als<br />

"Abschiedsbrief" aufgefaßt wur<strong>de</strong>. 272<br />

Wenngleich sich ihre Be<strong>für</strong>chtungen wenig später als zutreffend erweisen sollten, so taten sie<br />

ihrem neuen Leiter damit doch Unrecht. <strong>Die</strong> Überlegungen von Schwanitz zur personellen<br />

Umgestaltung waren nämlich an Leitlinien orientiert, die <strong>de</strong>n meisten <strong>Mitarbeiter</strong>n eine gesicherte<br />

Perspektive geboten hätten. Auf einer <strong>Die</strong>nstbesprechung am 21. November versuchte er<br />

zu beruhigen. Sorge bereiteten ihm in erster Linie die individuellen Aktivitäten vor allem jüngerer<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>, die sich frühzeitig nach neuen Arbeitsplätzen umsahen:<br />

"Wir brauchen ein schlagkräftiges Staatssicherheitsorgan mit diesem Amt. Mit einem<br />

hervorragen<strong>de</strong>n Stamm guter Tschekisten, die gut kämpfen können, die Erfahrungs- und<br />

Kenntnisträger sind, wo die richtige altersmäßige Zusammensetzung gewährleistet ist.<br />

[...] Nicht daß uns jetzt alles anarchisch auseinan<strong>de</strong>rrennt. Es gibt viele Aktivitäten von<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>n sich zum Beispiel selbst neue Arbeitsstellen zu suchen, viele reichen Entpflichtungen<br />

ein. Wie gesagt, wir dürfen keine Anarchie zulassen. Wer natürlich unbedingt<br />

in dieser Situation gehen will, <strong>de</strong>n soll man selbstverständlich nun auch nicht mit<br />

Krampf halten. Aber um die besten Ka<strong>de</strong>r müssen wir auch ringen, das sage ich ganz<br />

268 Bekannt gewor<strong>de</strong>n ist vor allem das Fernschreiben aus <strong>de</strong>r BV Gera vom 9. Dezember: Ein Nasi [AfNS]-<br />

Fernschreiben, das Staub aufwirbelte, in: Nationalzeitung vom 10.1.1990, vgl. Süß: Entmachtung, S. 20-22,<br />

S. 66.<br />

269 Hans Modrow, Regierungserklärung in <strong>de</strong>r Volkskammer am 17.11.1989, abgedruckt in: Deutschland Archiv<br />

1 (1990), S. 122-135, hier S. 131.<br />

270 Generalmajor Dr. jur. Wolfgang Schwanitz, Jahrgang 1930, seit 1951 beim MfS tätig, leitete von 1974 bis<br />

1986 die Bezirksverwaltung Berlin und wur<strong>de</strong> dann stellvertreten<strong>de</strong>r Minister <strong>für</strong> Staatssicherheit, verantwortlich<br />

<strong>für</strong> die technischen <strong>Die</strong>nsteinheiten (Funkaufklärung, Operative Technik, Nachrichtenverbindungen,<br />

Chiffrierdienst, Bewaffnung/Chemischer <strong>Die</strong>nst, Telefonüberwachung). Seit 1986 war Schwanitz Kandidat<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Zentralkomitees <strong>de</strong>r SED.<br />

271 Neues Deutschland vom 23.11.1989.<br />

272 Erklärung <strong><strong>de</strong>s</strong> Kollegiums <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit vom 15.11.1989; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 627,<br />

Bl. 67-77, hier Bl. 69; Protokoll <strong>de</strong>r Sitzung <strong>de</strong>r SED-Kreisleitung am 18.11.1989; <strong>BStU</strong>, ZA, KL SED 570,<br />

unerschlossenes Material, Bl. 782-865, hier Bl. 824.


86<br />

<strong>de</strong>utlich. [...] <strong>Die</strong> Leiter müssen darauf Einfluß nehmen, daß die zuverlässigen und qua-<br />

lifizierten, jungen und leistungsfähigen <strong>Mitarbeiter</strong> im Amt bleiben." 273<br />

Zu diesem Zeitpunkt waren die Vorstellungen über die weitere Personalpolitik noch nicht weit<br />

gediehen. Klar war das Ziel, <strong>de</strong>n Apparat durch eine Verkleinerung zu mo<strong>de</strong>rnisieren, insbe-<br />

son<strong>de</strong>re jüngere Ka<strong>de</strong>r zum Zuge kommen zu lassen. Aber die Vorstellungen, was mit <strong>de</strong>m<br />

überzähligen Personal zu geschehen habe, waren noch sehr vage formuliert. Lediglich die Ab-<br />

gabe von etwa 6.000 bis 7.000 <strong>Mitarbeiter</strong>n an die Zollverwaltung zur Deckung <strong><strong>de</strong>s</strong> durch die<br />

Grenzöffnung sprunghaft gestiegenen Personalbedarfs stand bereits fest. <strong>Die</strong> Kooperation mit<br />

<strong>de</strong>m Leiter <strong>de</strong>r Zollverwaltung (und Offizier im beson<strong>de</strong>ren Einsatz), Gerhard Stauch, laufe, so<br />

Schwanitz, "eigentlich sehr gut", obwohl, wie <strong>de</strong>r Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> Leipziger Bezirksamtes, Generalleutnant<br />

Manfred Hummitzsch, klagte, sich dort Argwohn über ein Eindringen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS in <strong>de</strong>n<br />

Zoll verbreite. 274 Ansonsten erwartete Schwanitz weitere Ka<strong>de</strong>ranfor<strong>de</strong>rungen aus <strong>de</strong>r Kommunalverwaltung<br />

sowie <strong>de</strong>m Verkehrs- und <strong>Die</strong>nstleistungssektor. 275<br />

In <strong>de</strong>n darauffolgen<strong>de</strong>n Tagen wur<strong>de</strong>n die Pläne konkretisiert. Am 24. November gab <strong>de</strong>r Personalchef,<br />

Generalleutnant Günter Möller, als Maxime aus, daß "kein Genosse [...] sich selbst<br />

überlassen bleiben" dürfte, "je<strong>de</strong>m einzelnen" sei zu helfen. 276 Zur zentralen "Kräftelenkung im<br />

Amt" wur<strong>de</strong>n fünf Arbeitsgruppen gebil<strong>de</strong>t. Vier Tage später stellte er in einer "internen Voraborientierung"<br />

eine Reduzierung <strong><strong>de</strong>s</strong> Personalbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> um min<strong><strong>de</strong>s</strong>tens fünfzig Prozent in<br />

Aussicht. 277 Schwanitz gab als Leitzahl eine Größenordnung von 43.000 <strong>Mitarbeiter</strong>n vor. 278<br />

<strong>Die</strong>se Zahlen klangen allerdings dramatischer als sie sich real darstellten. Ein beträchtlicher<br />

Teil <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>bestan<strong><strong>de</strong>s</strong> sollte durch die Auslagerung ganzer <strong>Die</strong>nsteinheiten aus <strong>de</strong>m<br />

Amt abgebaut wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> Linie VI (Paßkontrolle, Tourismus, Interhotel) sollte mit etwa<br />

10.000 <strong>Mitarbeiter</strong>n zu <strong>de</strong>n Grenztruppen kommen, die umfänglichen <strong>Die</strong>nstleistungsbereiche<br />

("Fotolabors, Wäschereien, Werkstätten" und an<strong>de</strong>re) in <strong>de</strong>n zivilen Sektor ausgelagert wer-<br />

<strong>de</strong>n. 279<br />

Daneben gewannen die Pläne <strong>für</strong> Versetzungen in an<strong>de</strong>re bewaffnete Organe (insbeson<strong>de</strong>re die<br />

Zollverwaltung sowie die Volkspolizei) an Kontur. Das Ministerium <strong>für</strong> Innere Angelegenheiten<br />

signalisierte En<strong>de</strong> November 792 freie Planstellen zur Besetzung durch MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>. 280<br />

273 <strong>Die</strong>nstbesprechung 21.11.1989, Bl. 46-47.<br />

274 Ebenda, Bl. 66-67.<br />

275 Ebenda, Bl. 56.<br />

276 AKG <strong>de</strong>r HA KuSch vom 24.11.1989, Beratung - Leiter <strong>de</strong>r Hauptabteilung mit <strong>de</strong>n Leitern <strong>de</strong>r Abteilungen<br />

Ka<strong>de</strong>r und Schulung <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 260, Bl. 122-126, hier Bl. 122.<br />

277 AKG <strong>de</strong>r HA KuSch vom 28.11.1989, Beratung - Leiter <strong>de</strong>r Hauptabteilung mit Leitern <strong>de</strong>r Abteilungen<br />

Ka<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Hauptabteilung (künftig: Beratung 28.11.1989); <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 260, Bl. 117-121, hier<br />

Bl. 117.<br />

278 Konzeption zur Bestimmung <strong>de</strong>r grundsätzlichen Aufgaben und Struktur <strong><strong>de</strong>s</strong> Amtes <strong>für</strong> Nationale Sicherheit<br />

vom 29.11.1989; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 2289, Bl. 655-667.<br />

279 Beratung 28.11.1989, Bl. 117-118.<br />

280 HA KuSch vom 24.11.1989, Vermerk [über ein Gespräch <strong><strong>de</strong>s</strong> stellv. HA-Leiters Oberst Ganßauge mit <strong>de</strong>m<br />

Leiter Ka<strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>s</strong> MfIA, Generalleutnant Reinecke]; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Ltg. 13, unerschlossenes Material.


87<br />

Auch die Kriminalistik-Stu<strong>de</strong>nten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS sollten vom Innenministerium übernommen wer-<br />

<strong>de</strong>n. 281<br />

Für die Vermittlung in zivile Arbeitsverhältnisse seien, so <strong>de</strong>r Leiter <strong>de</strong>r zuständigen Arbeitsgruppe,<br />

"Direktbeziehungen" zu Ka<strong>de</strong>rleitern von Großbetrieben und Einrichtungen wie <strong>de</strong>r<br />

Druckerei <strong><strong>de</strong>s</strong> "Neuen Deutschland", <strong>de</strong>m VEB Autotrans sowie <strong>de</strong>n Berliner Verkehrsbetrieben<br />

aufgenommen wer<strong>de</strong>n, dabei hätte er "großes Entgegenkommen" gespürt. Über die Linie<br />

XVIII sollte die Kooperation mit <strong>de</strong>n Ämtern <strong>für</strong> Arbeit organisiert wer<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>r Leitung<br />

<strong>de</strong>r Hauptabteilung XVIII diskutierte <strong>de</strong>r zuständige Ka<strong>de</strong>rinstrukteur Varianten zur effektiveren<br />

Auslagerung von Personal: Zum einen wur<strong>de</strong> darüber nachgedacht, Volkseigene Betriebe<br />

u.ä. "mit abzubauen<strong>de</strong>n Fonds", also materiellen und finanziellen Mitteln <strong><strong>de</strong>s</strong> Amtes, zu grün<strong>de</strong>n,<br />

in <strong>de</strong>nen dann vorrangig ehemalige <strong>Mitarbeiter</strong> eingestellt wer<strong>de</strong>n sollten. Zum an<strong>de</strong>ren<br />

wur<strong>de</strong> angeregt, legendierte Arbeitsnachweise von zivilen Stellen zu benutzen, da die beim<br />

Ausschei<strong>de</strong>n übliche Legendierung als <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministerium <strong><strong>de</strong>s</strong> Innern keine hinreichen<strong>de</strong><br />

Tarnung mehr böte und die <strong>Mitarbeiter</strong> in <strong>de</strong>n Betrieben auf Ablehnung stoßen wür-<br />

<strong>de</strong>n. 282<br />

In <strong>de</strong>r Öffentlichkeit sollte die Reformwilligkeit <strong>de</strong>r AfNS-Führung durch die Auflösung <strong>de</strong>r<br />

Kreisdienststellen <strong>de</strong>monstriert wer<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen etwa 10.500 <strong>Mitarbeiter</strong> dienten, die häufig<br />

vor Ort auch bekannt waren. Welcher Anteil dieser <strong>Mitarbeiter</strong> tatsächlich <strong>für</strong> die Einglie<strong>de</strong>rung<br />

in <strong>de</strong>n "Arbeitsprozeß" vorgesehen war und wieviele in <strong>de</strong>n neu zu schaffen<strong>de</strong>n<br />

"Außenstellen <strong>de</strong>r Bezirksämter" weiter ihren tschekistischen Pflichten nachgehen sollten, ließ<br />

Schwanitz offen. Hinter dieser Verringerung <strong>de</strong>r institutionellen Präsenz stand wohl mehr <strong>de</strong>r<br />

Wunsch nach einer effektvollen Geste und <strong>de</strong>r gleichzeitigen Schaffung neuer ver<strong>de</strong>ckter<br />

Handlungsmöglichkeiten als die reale Bereitschaft, <strong>de</strong>n flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n Kontrollanspruch<br />

aufzugeben. 283<br />

Eine reale Reduktion <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>zahlen erfolgte in <strong>de</strong>n ersten Wochen nach <strong>de</strong>r "Wen<strong>de</strong>"<br />

kaum. Zwar wur<strong>de</strong> <strong>für</strong> <strong>de</strong>n 30. November eine <strong>Mitarbeiter</strong>zahl von 85.447 festgestellt, die dann<br />

später auch Grundlage <strong>de</strong>r ersten veröffentlichten Angaben wur<strong>de</strong>. <strong>Die</strong> Senkung gegenüber<br />

Oktober um gut 6.000 <strong>Mitarbeiter</strong> war aber offensichtlich zum größten Teil das Ergebnis eines<br />

(nicht nur) statistischen Tricks: <strong>Die</strong> 2.232 Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz, sowie die 2.118<br />

<strong>hauptamtlichen</strong> Inoffiziellen <strong>Mitarbeiter</strong> wur<strong>de</strong>n nicht mehr berücksichtigt. Tatsächlich seien,<br />

281 HA KuSch vom 23.11.1989, Vermerk [über ein Gespräch <strong><strong>de</strong>s</strong> stellv. HA-Leiters Oberst Hempel mit <strong>de</strong>m<br />

stellv. Leiter <strong>de</strong>r HA Kriminalpolizei <strong><strong>de</strong>s</strong> MfIA, Oberst Neumann]; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Ltg. 13, unerschlossenes<br />

Material.<br />

282 HA XVIII vom 22.11.1989, Protokoll über die Beratung zu <strong>de</strong>n gegenwärtigen Ka<strong>de</strong>rverän<strong>de</strong>rungen im Bestand<br />

<strong>de</strong>r Hauptabteilung XVIII; <strong>BStU</strong>, ZA, HA XVIII 442, Bl. 1-2, hier Bl. 2; dieses Dokument ist abgedruckt<br />

in: Uwe Bastian: Auf zum letzten Gefecht ... Dokumentation über die Vorbereitung <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS auf <strong>de</strong>n<br />

Zusammenbruch <strong>de</strong>r DDR-Wirtschaft. Arbeitspapiere <strong><strong>de</strong>s</strong> Forschungsverbun<strong><strong>de</strong>s</strong> SED-Staat an <strong>de</strong>r FU Berlin,<br />

Nr. 9/1994 (künftig: Bastian: Gefecht).<br />

283 Näheres bei Süß: Entmachtung, S. 41-42.


88<br />

so mel<strong>de</strong>te die Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung, bis zum 8. Dezember "ca. 1.000"<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> entlassen wor<strong>de</strong>n. 284<br />

<strong>Die</strong> Äußerung von Schwanitz am 21. November, wonach ein erfahrener, leistungsfähiger und<br />

qualifizierter, aber auch junger "Stamm guter Tschekisten" gehalten wer<strong>de</strong>n sollte, ver<strong>de</strong>utlicht,<br />

daß er sich zwar einiger personeller Lasten <strong>de</strong>r achtziger Jahren entledigen wollte, <strong>de</strong>r<br />

Gedanke <strong>de</strong>r Kontinuität jedoch ganz offensichtlich Vorrang vor einer grundlegen<strong>de</strong>n<br />

Umorientierung <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rpolitik hatte. Zwar sollte das MfS nominell <strong>für</strong> Mitglie<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer<br />

Parteien geöffnet wer<strong>de</strong>n, das gefor<strong>de</strong>rte "uneingeschränkte Bekenntnis zum Sozialismus, <strong><strong>de</strong>s</strong>sen<br />

verfassungsmäßigen Grundlagen und <strong>de</strong>r Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r Koalitionsregierung", so<br />

die Formulierung <strong>de</strong>r "Arbeitsgruppe Ka<strong>de</strong>rarbeit", setzte <strong>de</strong>r neuen Pluralität aber enge Grenzen.<br />

Im mo<strong>de</strong>rnisierten und effektivierten Apparat sollten nur noch Hoch- und Fachschulabsolventen<br />

beschäftigt wer<strong>de</strong>n. Angesichts <strong>de</strong>r in Aussicht stehen<strong>de</strong>n Kontrolle durch parlamentarische<br />

Gremien wur<strong>de</strong>n neue Anfor<strong>de</strong>rungen an die Leiterpersönlichkeiten formuliert: Fähigkeiten<br />

wie "Argumentationsfähigkeit, Sprachgewandtheit, Kritikverträglichkeit" und "persönliche<br />

Integrität" bekamen einen "neuen Stellenwert". Gleichsam mit spitzen Fingern näherte sich die<br />

Arbeitsgruppe <strong>de</strong>m scheinbar Unvermeidlichen:<br />

"Es ist nicht auszuschließen, daß sich ein Leiter im AfNS zukünftig auch auf ein Kollektiv<br />

stützen muß, in <strong>de</strong>m nicht alle Kollektivmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r SED angehören bzw. in <strong>de</strong>m<br />

unterschiedliche, auch i<strong>de</strong>ologische Positionen bestehen. Unter diesen Bedingungen ist<br />

die Fähigkeit zu entwickeln, einen Konsens im Sinne <strong><strong>de</strong>s</strong> einheitlichen Han<strong>de</strong>lns zu<br />

schaffen. So gewinnen Überzeugungsfähigkeit, subjektive Autorität, Beherrschung <strong>de</strong>r<br />

Gesprächsführung, Fähigkeit zur Konfliktlösung, Fähigkeit zur Nutzung unterschiedlicher<br />

I<strong>de</strong>en zur Ausarbeitung akzeptierbarer Lösungen an Be<strong>de</strong>utung." 285<br />

<strong>Die</strong> unter <strong>de</strong>r Ägi<strong>de</strong> von Schwanitz entstan<strong>de</strong>nen Konzepte sind von <strong>de</strong>m Bestreben gekennzeichnet,<br />

über einige technokratische Reformen, symbolische Zugeständnisse und vor<strong>de</strong>rgründige<br />

Zustimmung zur Notwendigkeit <strong>de</strong>r "Wen<strong>de</strong>" hinaus, die Kernstrukturen möglichst weitgehend<br />

zu erhalten. <strong>Die</strong>s gilt nicht nur <strong>für</strong> das Netz <strong>de</strong>r Inoffiziellen <strong>Mitarbeiter</strong> und die Exekutivbefugnisse,<br />

son<strong>de</strong>rn auch auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Ka<strong>de</strong>rpolitik.<br />

<strong>Die</strong> systematische Darstellung <strong>de</strong>r ka<strong>de</strong>rpolitischen Konzepte dieser Tage suggeriert ein übertriebenes<br />

Bild von Planmäßigkeit im Vorgehen. <strong>Die</strong> Entwicklung von Entlassungs- und Umstrukturierungsplänen<br />

geschah nicht nur unter ständig steigen<strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r erwachen<strong>de</strong>n Öffentlichkeit,<br />

son<strong>de</strong>rn auch unter eskalieren<strong>de</strong>n inneren Verhältnissen im Apparat. <strong>Die</strong> Enthül-<br />

284 HA KuSch vom 8.12.1989, Aufglie<strong>de</strong>rung <strong><strong>de</strong>s</strong> Personalbestan<strong><strong>de</strong>s</strong>; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Plg. 15 III,<br />

unerschlossenes Material (künftig: Aufglie<strong>de</strong>rung 8.12.1989); das Fehlen <strong>de</strong>r OibE und HIM in <strong>de</strong>r November-Statistik<br />

ist aus <strong>de</strong>m Vergleich <strong>de</strong>r OiBE/HIM-führen<strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nsteinheiten mit <strong>de</strong>n Oktober-Daten abzulesen;<br />

vgl. ebenda und Statistischer Anhang.<br />

285 Arbeitsgruppe Ka<strong>de</strong>rarbeit vom 24.11.1989, [Überlegungen zu einigen Aspekten künftiger Arbeit mit <strong>de</strong>n<br />

Angehörigen]; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 260, Bl. 42-47.


89<br />

lungen über <strong>de</strong>n Lebensstil <strong>de</strong>r Parteiführung fügten sich zusammen mit <strong>de</strong>n nun offen kriti-<br />

sierten Privilegien <strong>de</strong>r MfS-Generalität (eigene Verkaufsstelle, Westautos und an<strong>de</strong>res) und<br />

raubten <strong>de</strong>n hochgehaltenen i<strong>de</strong>alistischen Motiven die Basis. Nach einer Falschmeldung <strong>de</strong>r<br />

Berliner Zeitung, daß nun auch MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> in <strong>de</strong>n Westen fahren dürften, bil<strong>de</strong>ten sich<br />

Schlangen in <strong>de</strong>r Visastelle <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS. Der Ka<strong>de</strong>rbestand <strong><strong>de</strong>s</strong> Bezirksamtes Erfurt und seiner<br />

Kreisämter sei in einem "<strong><strong>de</strong>s</strong>olaten Zustand", berichtete <strong>de</strong>r dortige Ka<strong>de</strong>rleiter: "<strong>Mitarbeiter</strong><br />

sind nicht zu halten, es wer<strong>de</strong>n keine Argumente angenommen; einige Leiter spielen verrückt,<br />

hier wer<strong>de</strong>n Entlassungen vorbereitet." 286 <strong>Die</strong> Stimmung schwankte zwischen Ohnmacht und<br />

Wut und bekam zuweilen auch aggressive Züge, die sich aber vor allem gegen die Partei und<br />

die Regierung richteten, von <strong>de</strong>nen sich die <strong>Mitarbeiter</strong> im Stich gelassen fühlten. 287 In <strong>de</strong>r<br />

zugespitzten Situation <strong><strong>de</strong>s</strong> 4. und 5. Dezember 1989, als in einigen Bezirksstädten die<br />

<strong>Die</strong>nststellen <strong>de</strong>r Staatssicherheit besetzt wur<strong>de</strong>n, gingen die Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments<br />

daran, Soldatenräte als Interessenvertreter gegenüber <strong>de</strong>n Komman<strong>de</strong>uren zu wählen. Und die<br />

Soldaten seines Kommandos 3 klagten bei einer Kundgebung auf <strong>de</strong>m Exerzierplatz in <strong>de</strong>r<br />

Nacht vom 4. zum 5. Dezember, ihren <strong>Die</strong>nst "im Namen von Verbrechern" geleistet zu haben<br />

und von "Fein<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> Volkes mißbraucht" wor<strong>de</strong>n zu sein. Danach schickten sie sich an, "mit<br />

Kerzen zur Autobahn zu marschieren und damit <strong>de</strong>n Verkehr zu blockieren" (was aber noch<br />

abgewen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>). <strong>Die</strong> interne Bewachung <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstgebäu<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m<br />

Wachregiment am 4. Dezember entzogen. Drei Tage später schätzte die AfNS-Führung <strong>de</strong>n<br />

"Kampfwert gleich Null" ein und löste <strong>de</strong>n Komman<strong>de</strong>ur, Generalmajor Manfred Döring,<br />

ab. 288<br />

10.3. Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong> Personalbestan<strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Mit <strong>de</strong>m geschlossenen Rücktritt <strong><strong>de</strong>s</strong> Kollegiums am 4. Dezember und <strong>de</strong>r Entbindung von<br />

achtzehn Spitzenka<strong>de</strong>rn von ihren Funktionen am 6. Dezember gab die Führung <strong>de</strong>m Druck<br />

nun doch nach. Nur wenige Angehörige <strong>de</strong>r alten Generalität blieben im Amt. Aber am folgen<strong>de</strong>n<br />

Tag for<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r zentrale Run<strong>de</strong> Tisch die Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong> AfNS und "die berufliche Einglie<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r ausschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>", was <strong>de</strong>r Ministerrat am 14. Dezember dann auch<br />

beschloß. Zugleich wur<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Verfassungsschutz <strong>de</strong>r DDR und <strong>de</strong>m Nachrichtendienst<br />

<strong>de</strong>r DDR zwei Nachfolgeinstitutionen eingerichtet, die sich nach Aufgabenstellung und Struktur,<br />

aber auch personell von <strong>de</strong>r bisherigen Staatssicherheit <strong>de</strong>utlich abheben sollten. 289<br />

Hinter <strong>de</strong>r beschlossenen, auf <strong>de</strong>n ersten Blick drastischen Personalreduktion beim Verfassungsschutz<br />

auf 10.000 <strong>Mitarbeiter</strong>, beim Nachrichtendienst auf 4.000 <strong>Mitarbeiter</strong> stand aller-<br />

286 Beratung 24.11.1989, Bl. 124.<br />

287 Vgl. die Dokumente in: Stasi intern, S. 354-356 und Süß: Entmachtung, S. 64-70.<br />

288 Vgl. Süß: Entmachtung, S. 69-70.<br />

289 Beschluß <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministerrats über die Bildung <strong><strong>de</strong>s</strong> Nachrichtendienstes <strong>de</strong>r DDR und <strong><strong>de</strong>s</strong> Verfassungsschutzes<br />

<strong>de</strong>r DDR [14.12.1989, Entwurf]; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 2039, Bl. 6-11 (künftig: Beschluß 14.12.1989).


90<br />

dings ein Plan zur Auslagerung von Aufgabenbereichen, <strong>de</strong>r an die En<strong>de</strong> November entwickel-<br />

ten Überlegungen anschloß. Außer<strong>de</strong>m war es vorgesehen, zivile <strong>Die</strong>nstbezeichnungen in<br />

Nachrichtendienst und Verfassungssschutz einzuführen. Als Vorbild <strong>de</strong>r Neustrukturierung<br />

diente offensichtlich <strong>de</strong>r west<strong>de</strong>utsche Sicherheitsapparat. 290 Nach einer bereits am 8. Dezem-<br />

ber entworfenen Übersicht sollten die <strong>Mitarbeiter</strong> wie folgt verteilt wer<strong>de</strong>n:<br />

Abbildung 6: Plan zur Verteilung <strong>de</strong>r AfNS-<strong>Mitarbeiter</strong>, 8. Dezember 1989291 Linie Bezirksämter AfNS Berlin gesamt Institution<br />

Linie VI (Paßkontrollen) 7.200 4.800 12.000 Grenztruppen<br />

Linie I (Militärabwehr) - 2.300 2.300 Min. <strong>für</strong> Nationale Verteidigung<br />

Linie Aufklärung292 - 4.000 4.000 Nachrichtendienst <strong>de</strong>r DDR<br />

Linie Verfassungs- und<br />

Staatsschutz<br />

5.000 5.000 10.000 Verfassungsschutz <strong>de</strong>r DDR<br />

Linie Funk (Nachrichtenverbindungen)<br />

- 300 300 Ministerrat<br />

Linie III [Funkabwehr/-<br />

- 2.500 2.500 [Verfassungsschutz/<br />

aufklärung]<br />

Nachrichtendienst] 293<br />

Rückwärtige <strong>Die</strong>nste - 2.000 2.000 Versorgungseinrichtung <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Ministerrats<br />

[aus diversen Linien] 5.000 2.000 7.000 Zoll<br />

Übernahmen gesamt 17.200 22.900 40.100<br />

Entlassungen von UaZ 4.400 8.600 13.073<br />

Entlassungen von<br />

Berufssoldaten<br />

19.600 12.300 31.900<br />

gesamt 41.200 43.800 85.000<br />

Punkt 15 <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministerratsbeschlusses sah vor, in <strong>de</strong>n Verfassungsschutz "grundsätzlich keine<br />

Führungskräfte (Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> Amtes, Stellvertreter, Leiter von Verwaltungen und Hauptabteilungen)"<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> AfNS zu übernehmen - eine Formulierung, die die Leiter <strong>de</strong>r Bezirksämter ausklammerte,<br />

<strong>de</strong>nn als Leiter <strong><strong>de</strong>s</strong> Verfassungsschutzes war <strong>de</strong>r bisherige MfS/AfNS-Bezirkschef<br />

von Frankfurt/O<strong>de</strong>r, Generalmajor Heinz Engelhardt, vorgesehen, auf <strong>de</strong>n die Wahl nach eige-<br />

290 Dem Beschlußentwurf <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministerrates ist eine Information über Personalstärke und Etat <strong><strong>de</strong>s</strong> Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>nachrichtendienstes,<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Verfassungsschutzes, <strong><strong>de</strong>s</strong> Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>kriminalamtes und <strong><strong>de</strong>s</strong> Militärischen Abschirmdienstes<br />

<strong>de</strong>r BRD beigefügt; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 2039, Bl. 12-14. Das fö<strong>de</strong>rale Element fehlte allerdings in <strong>de</strong>n AfNS-<br />

Plänen.<br />

291 Nach: Aufglie<strong>de</strong>rung 8.12.1989 (siehe Anm. 284).<br />

292 Über die beabsichtigte Verwendung <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> aus Bezirksämtern und Kreisdienststellen liegen keine<br />

Angaben vor. Der Nachrichtendienst sollte aber über Außenstellen in <strong>de</strong>n Bezirken verfügen; vgl. Beschluß<br />

14.12.1989, Punkt 3.<br />

293 Nach <strong>de</strong>m Ministerratsbeschluß vom selben Tag sollte die Funkabwehr zum Verfassungsschutz, die Funkaufklärung<br />

zum Nachrichtendienst verlagert wer<strong>de</strong>n, über die Verteilung <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> ist keine Angabe<br />

enthalten, bei Übernahme <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> wären die Festlegungen zur Personalstärke überschritten wor<strong>de</strong>n;<br />

vgl. Beschluß 14.12.1989.


91<br />

ner Einschätzung aufgrund seiner physischen und psychischen Stabilität und seines relativ ge-<br />

ringen Alters fiel. Engelhardt wur<strong>de</strong> zugleich auch mit <strong>de</strong>r Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong> AfNS beauftragt. 294<br />

Hingegen sollte <strong>de</strong>r Nachrichtendienst nicht nur vom bisherigen Leiter <strong>de</strong>r Hauptverwaltung<br />

Aufklärung, Generaloberst Werner Großmann, weitergeführt wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch personell<br />

weitgehend erhalten bleiben. Von <strong>de</strong>n etwa 5.000 beim MfS auf <strong>de</strong>r Linie Auslandsaufklärung<br />

beschäftigten <strong>Mitarbeiter</strong>n sollten 4.000 in <strong>de</strong>n Nachrichtendienst übernommen wer<strong>de</strong>n, was<br />

sogar eine reale Personalausweitung be<strong>de</strong>utet hätte, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>n Oktoberzahlen waren noch 700<br />

HIM und 700 OibE enthalten, die ja später nicht mehr aufgeführt wur<strong>de</strong>n. Für Leitungspositionen<br />

waren größtenteils die früheren Abteilungsleiter <strong>de</strong>r Hauptverwaltung Aufklärung vorge-<br />

sehen. 295<br />

<strong>Die</strong>se Pläne hatten nicht lange Bestand. Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Modrow gab wenige Wochen später<br />

<strong>de</strong>n öffentlichen Protesten nach und erklärte am 12. Januar in <strong>de</strong>r Volkskammer, daß vor <strong>de</strong>n<br />

geplanten Wahlen keine neuen Geheimdienste mehr eingerichtet wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n. Damit transformierten<br />

sich die - noch nicht ganz aufgegebenen - Pläne zur ver<strong>de</strong>ckten Konservierung <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Kernbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> in ein reales Szenario <strong>de</strong>r Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS/AfNS-Apparates. Ab Mitte Januar<br />

kontrollierten auch in <strong>de</strong>r Zentrale die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Bürgerkomitees diesen Auflösungsprozeß,<br />

so gut es ihre Kräfte zuließen.<br />

Da sich die Hauptstoßrichtung <strong>de</strong>r Anti-Stasi-Bewegung <strong><strong>de</strong>s</strong> Herbstes 1989 gegen <strong>de</strong>n inneren<br />

Repressionsapparat richtete und die Legitimität <strong>de</strong>r Auslandsspionage zumin<strong><strong>de</strong>s</strong>t nicht von<br />

vornherein bestritten wur<strong>de</strong>, bekam die Hauptverwaltung Aufklärung die Gelegenheit, sich<br />

selbst bis zum Juni 1990 aufzulösen. <strong>Die</strong> geplanten Auslagerungen ganzer <strong>Die</strong>nsteinheiten<br />

samt <strong>Mitarbeiter</strong>n wur<strong>de</strong>n noch teilweise realisiert. Während die Militärabwehr (Linie I) im<br />

Januar 1990 aufgelöst wur<strong>de</strong>, wur<strong>de</strong>n die Paßkontrolleinheiten, unter Kontrolle <strong>de</strong>r örtlichen<br />

Bürgerkomitees, tatsächlich übernommen. Am 1. März 1990 waren 6.566 ehemalige AfNS-<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> bei <strong>de</strong>n Grenztruppen im <strong>Die</strong>nst - durften dort aber keine Leitungsfunktionen ausüben<br />

und auch nicht in kompletten Struktureinheiten übernommen wer<strong>de</strong>n. 296<br />

<strong>Die</strong> Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong> Personalbestan<strong><strong>de</strong>s</strong> begann zunächst vornehmlich in <strong>de</strong>n Bezirks- und Kreisämtern.<br />

Dort gab es im Dezember 1989 bereits 13.158 Entlassungen, <strong>de</strong>nen 5.963 Entlassungen<br />

im AfNS Berlin gegenüberstan<strong>de</strong>n. Bis zum 24. Januar mußten 35.633 <strong>Mitarbeiter</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst<br />

294 "Ohne uns geht es einfach nicht". Stasi-General Heinz Engelhardt über die Auflösung <strong>de</strong>r Mielke-Truppe, in:<br />

Der Spiegel 6 (1990), S. 62. Generalmajor Heinz Engelhardt, Jahrgang 1944, trat 1962 nach <strong>de</strong>m Abitur in<br />

<strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nst <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS und war seit 1987 Leiter <strong>de</strong>r Bezirksverwaltung Frankfurt/O<strong>de</strong>r.<br />

295 Das Personal <strong>de</strong>r Auslandsspionage verteilte sich am 31.10.1989 wie folgt (incl. HIM/OibE): HV A<br />

(Zentrale): 3988. Abteilungen XV <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen: zusammen 756, dazu etwa 220 <strong>Mitarbeiter</strong> in<br />

<strong>de</strong>n Kreisdienststellen; vgl. die Übersicht zum Leitungspersonal bei Peter Siebenmorgen: "Staatssicherheit"<br />

<strong>de</strong>r DDR. Der Westen im Fa<strong>de</strong>nkreuz <strong>de</strong>r Stasi, Bonn 1993, S. 330-331.<br />

296 Über eine Übernahme <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> Rückwärtige <strong>Die</strong>nste liegen <strong>de</strong>rzeit keine Informationen vor; vgl.<br />

Zwischenbericht <strong><strong>de</strong>s</strong> Regierungsbeauftragten zur Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong> Amtes <strong>für</strong> Nationale Sicherheit vor <strong>de</strong>m<br />

Run<strong>de</strong>n Tisch, 15.1.1990; BA Abt.en Potsdam, C-20 I/3-2892, Bl. 59-69, hier Bl. 59-62; Gill/Schröter: Ministerium,<br />

S. 215.


92<br />

quittieren, im Februar folgten allein in <strong>de</strong>r Zentrale täglich 500 bis 1.000 <strong>Mitarbeiter</strong>. Am 13.<br />

März, <strong>de</strong>m letzten dokumentierten <strong>Mitarbeiter</strong>stand, warteten dort noch 3.338 Angehörige <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Apparats auf ihren Abschied, <strong>de</strong>r bis zum En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Monats erfolgte. 297 Wie David Gill und<br />

Ulrich Schröter berichten, haben sich 23 <strong>Mitarbeiter</strong> trotz Auffor<strong>de</strong>rung nicht gemel<strong>de</strong>t, um<br />

ihre Entlassungspapiere in Empfang zu nehmen; wo sie blieben, ist nicht bekannt. 298<br />

Zur Mitwirkung bei <strong>de</strong>r Auflösung <strong>de</strong>r Staatssicherheit wur<strong>de</strong>n insgesamt 672 ehemalige MfS-<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> vom Staatlichen Auflösungskomitee angestellt (darunter 250 Angehörige <strong>de</strong>r<br />

Hauptverwaltung Aufklärung zur selbständigen Auflösung ihres Apparates). An <strong>de</strong>r Spitze dieser<br />

Totengräber ihres eigenen Apparates stan<strong>de</strong>n bis zu ihrer Entlassung im Mai 1990 die vier<br />

vormaligen MfS-Generäle Generalmajor Heinz Engelhardt, Generalmajor Edgar Braun (zuvor<br />

Leiter <strong>de</strong>r HA XIX), Generalleutnant Günter Möller (Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch), und Generalmajor<br />

Niebling (Leiter <strong>de</strong>r ZKG). Nur Edgar Braun blieb weiter im <strong>Die</strong>nst <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatlichen Komi-<br />

tees. 299<br />

10.4. <strong>Die</strong> ehemaligen MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> nach <strong>de</strong>r Auflösung<br />

Innerhalb von vier Monaten wur<strong>de</strong> einer <strong>de</strong>r größten geheimpolizeilichen und geheimdienstlichen<br />

Apparate mit über 90.000 <strong>Mitarbeiter</strong>n aufgelöst. Das weitere Schicksal <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

in <strong>de</strong>r Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>republik Deutschland wäre ein eigenes Thema, das hier nicht behan<strong>de</strong>lt<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Gleichwohl sollen die Perspektiven, die sich <strong>de</strong>n <strong>Mitarbeiter</strong>n 1990 eröffneten,<br />

skizziert wer<strong>de</strong>n.<br />

Eine <strong>de</strong>r ersten Fragen, die die MfS- bzw. AfNS-Führung schon im November 1989 angesichts<br />

zu erwarten<strong>de</strong>r Personalreduktionen anging, war die materielle Versorgung <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong>.<br />

Am 13. November gab die amtieren<strong>de</strong> Leitung eine Anweisung zur "sozialen Sicherstellung"<br />

entlassener <strong>Mitarbeiter</strong> heraus. Zwei Tage später lagen die <strong>de</strong>taillierten Regelungen vor, auf<br />

<strong>de</strong>ren Basis ab 1. Dezember Zahlungen vorgenommen wer<strong>de</strong>n sollten. Neben verschie<strong>de</strong>nen<br />

Regelungen zur vorzeitigen Berentung waren zwei Maßnahmen von Be<strong>de</strong>utung: Zum einen<br />

sollten alle <strong>Mitarbeiter</strong>, die nicht in Rente gingen, <strong>für</strong> bis zu 36 Monate "Übergangsbeihilfen"<br />

erhalten, mit <strong>de</strong>nen ihre zukünftigen Nettoeinkommen in an<strong>de</strong>ren Arbeitsverhältnissen bzw. als<br />

Arbeitslose auf 80 Prozent <strong>de</strong>r bisherigen Nettodienstbezüge aufgestockt wer<strong>de</strong>n sollten. Und<br />

zum zweiten wur<strong>de</strong>n "geson<strong>de</strong>rte Übergangsgebührnisse" gezahlt, die - nach <strong>Die</strong>nstalter und<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnis gestaffelt - zwischen 600 Mark (UaZ) und 10.500 Mark (Berufssoldaten nach<br />

297 Entlassungsstatistiken <strong>de</strong>r HA KuSch, Januar bis März 1990; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch Abt. Plg. 15 III,<br />

unerschlossenes Material; vgl. <strong>de</strong>n Bericht <strong>de</strong>r Arbeitsgruppe Sicherheit vor <strong>de</strong>m Zentralen Run<strong>de</strong>n Tisch <strong>de</strong>r<br />

DDR am 12.3.1990, in: Gill/Schröter: Ministerium, S. 235-252, hier S. 240.<br />

298 Gill/Schröter: Ministerium, S. 206.<br />

299 Gill/Schröter: Ministerium, S. 255. Von diesen ehemaligen <strong>Mitarbeiter</strong>n wur<strong>de</strong>n 16 später vom <strong>BStU</strong> zur<br />

Unterstützung bei Recherchen übernommen; vgl. Frankfurter Rundschau vom 9.7.1993, S. 1.


93<br />

20 <strong>Die</strong>nstjahren) betrugen. 300 Der Ministerrat bestätigte diese Regelungen im Kern am 14.<br />

Dezember 1989. 301 Da bei <strong>de</strong>n Demonstrationen gegen das MfS die Privilegien <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong><br />

immer eine beson<strong>de</strong>re Rolle spielten, wur<strong>de</strong> allen <strong>Mitarbeiter</strong>n eingeschärft, über die entspre-<br />

chen<strong>de</strong>n Regelungen nach außen strengstes Stillschweigen zu bewahren. 302 Am 10. Januar be-<br />

grenzte die Regierung nach Bürgerprotesten die Übergangszahlungen auf zwölf Monate. Und<br />

En<strong>de</strong> Februar wur<strong>de</strong>n die Son<strong>de</strong>rregelungen aufgehoben, ab sofort bekamen MfS-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

wie alle DDR-Bürger ein Arbeitslosengeld von 70 Prozent <strong><strong>de</strong>s</strong> letzten Nettogehalts, das nach<br />

unten auf 495 Mark, nach oben aber - die <strong>für</strong> MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> be<strong>de</strong>utsamere Beschränkung -<br />

auf 990 Mark begrenzt war. Das geson<strong>de</strong>rte Rentensystem <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, das <strong>de</strong>n ehemaligen <strong>Mitarbeiter</strong>n<br />

eine teilweise opulente Altersversorgung zusicherte, wur<strong>de</strong> zum 30. Juni 1990 aufgehoben<br />

und in die allgemeine Rentenversicherung überführt, zugleich wur<strong>de</strong> unter an<strong>de</strong>rem die<br />

Obergrenze auf 990 Mark festgelegt. 303 Ein Jahr später wur<strong>de</strong>n die Renten nochmals auf 802<br />

DM gesenkt.<br />

<strong>Die</strong> anfangs gehegten Bemühungen, die großzügigen Starthilfen in ein neues Leben geheim zu<br />

halten, wur<strong>de</strong>n schon im Dezember 1989 durch die Auflösung <strong>de</strong>r MfS-eigenen Sparkasse<br />

konterkariert, auf <strong>de</strong>r die MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> offensichtlich größere Sparbeträge <strong>de</strong>poniert hatten.<br />

Da sie Angst hatten, bei Überweisungen wür<strong>de</strong> die Angabe <strong>de</strong>r MfS-Sparkasse als kontoführen<strong>de</strong><br />

Stelle ihre Bemühungen um unerkannte Einglie<strong>de</strong>rung ins Zivilleben gefähr<strong>de</strong>n, hoben<br />

sie Spareinlagen komplett ab und zahlten sie bar bei <strong>de</strong>n zivilen Sparkassen ein, was aufgrund<br />

<strong>de</strong>r hohen Beträge erst recht Aufmerksamkeit erregte und <strong>de</strong>n verbreiteten Argwohn über ihre<br />

Finanzlage noch steigerte. 304<br />

Über <strong>de</strong>n weiteren Weg <strong>de</strong>r ehemaligen <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> in <strong>de</strong>n letzten Monaten<br />

<strong>de</strong>r DDR und in <strong>de</strong>r Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>republik Deutschland, über ihre soziale Lage, beruflichen Betätigungsfel<strong>de</strong>r<br />

und politischen Einstellungen liegen keine umfassen<strong>de</strong>n Informationen vor. Es<br />

wäre zu untersuchen, welchen Platz sie im westlichen System einnehmen, das sie zuvor so erbittert<br />

bekämpften. Nach Presseberichten sind einige von ihnen weiterhin im Metier <strong>de</strong>r<br />

300 AKG <strong>de</strong>r HA KuSch vom 15.11.1989, Maßnahmen zur sozialen Sicherstellung in <strong>de</strong>r Erklärung <strong><strong>de</strong>s</strong> Kollegiums<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS gestellter Aufgaben [sic!]; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 260, Bl. 131-137; Besoldungsordnung 1987<br />

(siehe Anm. 171), Punkt VII/311 und 321.<br />

301 Beschluß <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministerrats über Festlegungen zur sozialen Sicherstellung von Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> Amtes <strong>für</strong><br />

Nationale Sicherheit, die im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong>selben aus <strong>de</strong>m <strong>Die</strong>nst ausschei<strong>de</strong>n, vom<br />

14.12.1989; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch 260, Bl. 165-169; Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r HA KuSch und <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters<br />

<strong>de</strong>r Abt. Finanzen an die Ka<strong>de</strong>r- und Finanzorgane vom 15.12.1989; <strong>BStU</strong>, ZA, DSt 103419.<br />

302 Siehe z.B. ebenda, S. 2-3; sowie die <strong>de</strong>m Ministerratsbeschluß beigefügte "Argumentation über Festlegungen<br />

zur sozialen Sicherstellung von Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> Amtes <strong>für</strong> Nationale Sicherheit, die im Zusammenhang mit<br />

<strong>de</strong>r Auflösung <strong><strong>de</strong>s</strong>selben aus <strong>de</strong>m <strong>Die</strong>nst ausschei<strong>de</strong>n"; <strong>BStU</strong>, ZA, SdM 2039, Bl. 22-26.<br />

303 Für die <strong>de</strong>taillierten Verän<strong>de</strong>rungen vgl. Gill/Schröter: Ministerium, S. 270-274.<br />

304 Vgl. Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters <strong>de</strong>r Abt. Finanzen an die Leiter <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten vom 13.12.1989; Bareinzahlungen<br />

von Angehörigen <strong><strong>de</strong>s</strong> Amtes <strong>für</strong> Nationale Sicherheit in zivilen Sparkassen, in: Bastian: Gefecht (ohne<br />

Seitenzählung). Als Beleg <strong>für</strong> Bastians These über Finanzmanipulationen im Zuge <strong>de</strong>r MfS-Auflösung kann<br />

dieses Schreiben m.E. nicht dienen. Es dokumentiert vielmehr <strong>de</strong>n Kaufkraftüberhang, <strong>de</strong>r sich infolge <strong>de</strong>r<br />

hohen Gehälter bei <strong>de</strong>n MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> angehäuft hatte.


94<br />

"inneren Sicherheit" tätig. Eine wichtige Rolle spielen Detekteien und private Sicherheitsdien-<br />

ste, die zu Beginn <strong>de</strong>r neunziger Jahre ein starkes Wachstum erlebten und in Ost<strong>de</strong>utschland<br />

offenbar maßgeblich von ehemaligen MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> aufgebaut wur<strong>de</strong>n. Hier können sie ihr<br />

"Handwerk" betreiben, ohne eine Überprüfung <strong>für</strong>chten zu müssen.<br />

Auch <strong>de</strong>r staatliche Sicherheitssektor, wie Polizei, Grenzschutz und Zoll, übernahm zunächst<br />

zahlreiche <strong>Mitarbeiter</strong>, beson<strong>de</strong>rs sogenannte Spezialisten (zum Beispiel aus <strong>de</strong>m Personenschutz<br />

und <strong>de</strong>r Terrorabwehr), <strong>de</strong>nen aber aufgrund <strong>de</strong>r späteren Überprüfung <strong><strong>de</strong>s</strong> Öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nstes zumin<strong><strong>de</strong>s</strong>t teilweise wie<strong>de</strong>r gekündigt wur<strong>de</strong>. Auch in an<strong>de</strong>ren Zweigen <strong><strong>de</strong>s</strong> staatlichen<br />

Sektors, unter an<strong>de</strong>rem im Bildungsbereich, bei <strong>de</strong>r Post und bei <strong>de</strong>r Interflug sind nach<br />

Medienmeldungen ehemalige <strong>Mitarbeiter</strong> eingestellt wor<strong>de</strong>n. Daneben konnten die im MfS<br />

früh formulierten Pläne, materielle und finanzielle Mittel <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> in Wirtschaftsunternehmen<br />

fließen zu lassen, wohl in einem <strong>de</strong>rzeit nicht bestimmbaren Umfang realisiert wer<strong>de</strong>n.<br />

In diesen Unternehmen wur<strong>de</strong>n dann wie<strong>de</strong>rum ehemalige MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> eingestellt.<br />

Bei <strong>de</strong>r Arbeitsplatzversorgung konnten auch die vormaligen operativen Kontakte zu <strong>de</strong>n Ämtern<br />

<strong>für</strong> Arbeit <strong>de</strong>r DDR genutzt wer<strong>de</strong>n. 305 Nach Presseberichten sollen MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> ihr<br />

geistiges und materielles Kapital sowie ihre Kontakte auch als Immobilienmakler, Unternehmensberater,<br />

Reisekaufleute und an<strong>de</strong>ren freiberuflichen Tätigkeiten einsetzen.<br />

Wieviele (und welche) <strong>Mitarbeiter</strong> nicht soviel Anpassungsfähigkeit und Flexibilität beweisen<br />

konnten und auch sonst keinen sanften Übergang in die bun<strong><strong>de</strong>s</strong>republikanische Gesellschaft<br />

fan<strong>de</strong>n, ist nicht zu bestimmen. Über die Entwicklung <strong>de</strong>r Arbeitslosenquote unter <strong>de</strong>n ehemaligen<br />

MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>n liegen ebensowenig Angaben vor wie über die Zahl <strong>de</strong>rer, die tatsächlich<br />

nur mit <strong>de</strong>r begrenzten Rente ihr Dasein fristen müssen.<br />

Der politische Standort <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong> ist ebenfalls schwierig exakt zu bestimmen. Schon im<br />

Januar 1990 ging die ehemalige SED-Kreisleitung daran, gemeinsam mit <strong>de</strong>r NVA einen<br />

"Verband <strong>de</strong>r Berufssoldaten <strong>de</strong>r DDR" als Interessenvertretung ins Leben zu rufen, was aber<br />

nicht von Dauer war. 306 Mittlerweile existieren mehrere Vereinigungen ehemaliger MfS-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

(z.T. unter Einschluß von ehemaligen Angehörigen an<strong>de</strong>rer bewaffneter Organe). <strong>Die</strong><br />

größte öffentliche Wirkung hat das 1992 gegrün<strong>de</strong>te "Insi<strong>de</strong>rkomitee zur Aufarbeitung <strong>de</strong>r<br />

Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS e.V.", das sich gegen "Verklärung o<strong>de</strong>r Nostalgie", aber auch gegen<br />

305 Vgl. die Anhörung zum "Thema Seilschaften in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>län<strong>de</strong>rn", in: Protokoll <strong>de</strong>r 45. Sitzung <strong>de</strong>r<br />

Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen <strong>de</strong>r SED-Diktatur in Deutschland" <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Deutschen Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>tages vom 27.9.1993, beson<strong>de</strong>rs die Berichte von Dr. Erbe (Staatsanwaltschaft Berlin),<br />

Manfred Wegener (Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>anstalt <strong>für</strong> Arbeit) und Manfred Kittlaus (Zentrale Ermittlungsstelle <strong>für</strong> Regierungs-<br />

und Vereinigungskriminalität), S. 11, 13-14, 28-31, 39-40. Lei<strong>de</strong>r beschränken sich die Berichterstatter<br />

<strong>de</strong>r Ermittlungsorgane auf Beispiele und machen keine Angaben über <strong>de</strong>n Umfang <strong>de</strong>r genannten Manipulationen.<br />

306 Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> 1. Sekretärs <strong>de</strong>r Parteiorganisation 18-01, Scheffel, an <strong>de</strong>n Leiter <strong>de</strong>r HA KuSch, Möller, vom<br />

8.1.1990; <strong>BStU</strong>, ZA, HA KuSch AKG ohne Signatur, unerschlossenes Material.


95<br />

"ungerechtfertigte Anschuldigungen" wen<strong>de</strong>n wollte, in neueren Publikationen aber zur mehr<br />

o<strong>de</strong>r weniger platten Apologie ihrer Vergangenheit tendiert. 307<br />

Daneben existieren mehrere Interessenvereinigungen wie die "Initiativgemeinschaft zum<br />

Schutze <strong>de</strong>r sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger <strong>de</strong>r bewaffneten Organe und <strong>de</strong>r Zollverwaltung<br />

<strong>de</strong>r DDR (ISOR)" mit angeblich 15.000 Mitglie<strong>de</strong>rn, 308 die 1993 gegrün<strong>de</strong>te<br />

"Gesellschaft <strong>für</strong> Rechtliche und Humanitäre Hilfe (GRH)" sowie weitere mehr o<strong>de</strong>r weniger<br />

formalisierte Zusammenschlüsse, <strong>de</strong>ren Programmatik sich vor allem gegen das<br />

"Rentenstrafrecht" und die Strafverfolgung ehemaliger <strong>Mitarbeiter</strong> richtet. Parteipolitische<br />

Unterstützung erfahren diese Organisationen durch die PDS, obwohl die ehemaligen MfS-<strong>Mitarbeiter</strong><br />

ihre Interessen dort aufgrund <strong>de</strong>r ambivalenten Haltung <strong>de</strong>r Partei zur Stasi-Debatte<br />

nur bedingt vertreten sehen. 309<br />

Wenn auch die materielle Lage weniger schlecht sein mag, als sie nach außen dargestellt wird,<br />

befin<strong>de</strong>n sich die ehemaligen MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> weitgehend in einer soziopolitischen Position<br />

am Ran<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> bun<strong><strong>de</strong>s</strong>republikanischen gesellschaftlichen Lebens. Ihre öffentliche Isolierung<br />

und Ausgrenzung begünstigt faktisch die Ten<strong>de</strong>nz, unter sich zu bleiben, Leben und Arbeit in<br />

<strong>de</strong>n eigenen Reihen zu organisieren, tschekistischen Korpsgeist zu konservieren und Ressentiments<br />

gegen das Gesellschaftssystem, in <strong>de</strong>m sie nun leben, zu pflegen. <strong>Die</strong> Ansätze zur<br />

selbstkritischen Reflexion ihrer Rolle im realsozialistischen System, wie sie im Herbst 1989<br />

aus manchen Äußerungen zu entnehmen waren, sind nahezu vollends verschüttet; nur wenige<br />

sind bereit, sich <strong>de</strong>n - allerdings recht spärlichen - Gesprächsangeboten zu stellen. 310<br />

307 Aufruf zur Bildung eines "Insi<strong>de</strong>r-Komitees zur Aufarbeitung" [o.D.], Nachdruck in: IK-Korr Spezial, Köln<br />

1994, S. 4. Vgl. die Antwort <strong><strong>de</strong>s</strong> Insi<strong>de</strong>r-Komitee-Sprechers Klaus Eichner auf Rolf Gössner, <strong>de</strong>r in einem<br />

Artikel u.a. konstatierte, das MfS habe <strong>de</strong>n Versuch unternommen, die DDR-Gesellschaft "relativ flächen<strong>de</strong>ckend<br />

zu infiltrieren": Klaus Eichner: Zum Artikel "<strong>Die</strong> Problematik <strong>de</strong>r personellen Abrechnung", in:<br />

Geheim 1/1995, S. 17-19.<br />

308 "Wie geht <strong>de</strong>nn das? Ein Stasi-General wur<strong>de</strong> Menschenrechtler", in: Chemnitzer Morgenpost vom<br />

22.7.1993.<br />

309 Vgl. Patrick Moreau und Jürgen Lang: Was will die PDS?, Frankfurt/M., Berlin 1994, S.140-141; "Wie in <strong>de</strong>r<br />

SED". PDS-Vorstandsmitglied Karin Dörre über die Parteispitze, in: Der Spiegel 37 (1994), S. 23-25, hier<br />

S. 24.<br />

310 Entsprechen<strong>de</strong> Bemühungen sind dokumentiert in <strong>de</strong>r von <strong>Die</strong>ter Mechtel und Ulrich Schröter herausgegebenen<br />

Zeitschrift "Zwiegespräch. Beiträge zum Umgang mit <strong>de</strong>r Staatssicherheitsvergangenheit", (1991 ff.),<br />

Berlin.


11. Statistischer Anhang<br />

96<br />

<strong>Die</strong> Zusammenstellung basiert auf Ka<strong>de</strong>rbestandsstatistiken <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und<br />

Schulung <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS. Es han<strong>de</strong>lt sich dabei um monatsweise erstellte Übersichten, <strong>de</strong>ren Kategorien<br />

einige Male verän<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n und bei <strong>de</strong>r Zusammenstellung <strong>de</strong>r Zeitreihen nicht vollständig<br />

durch Nachberechnungen kompensiert wer<strong>de</strong>n konnten (zum Beispiel die Einbeziehung<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments erst ab 1963 o<strong>de</strong>r die geson<strong>de</strong>rte Zählung <strong>de</strong>r OibE). Alle Daten geben <strong>de</strong>n<br />

Ist-Bestand, also die tatsächlich vorhan<strong>de</strong>nen und gezählten <strong>Mitarbeiter</strong> wie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ren Zahl in<br />

unterschiedlichem Maße vom Soll-Planstellenvolumen abwich.<br />

Für die Jahre vor 1954 liegen keine überlieferten Daten vor; die Angaben wur<strong>de</strong>n vom Verfasser<br />

auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstaltersstatistik, die die Einstellungskonjunkturen erkennen läßt,<br />

zurückgerechnet. <strong>Die</strong> <strong>de</strong>m Staatssekretär bzw. Minister <strong>für</strong> Staatssicherheit von 1952 bis 1957<br />

unterstellten militärischen und polizeilichen Einheiten (Grenzpolizei, Trapo, Kasernierte<br />

Wacheinheiten) sind nicht berücksichtigt. Bis 1962 liegen <strong>für</strong> das Wachregiment nur verstreute<br />

Angaben vor (in Klammern genannt), in die Gesamtzahl wird es erst ab 1963 einbezogen. Für<br />

die Hauptverwaltung Aufklärung bzw. ihren 1953 eingeglie<strong>de</strong>rten Vorläufer Hauptabteilung<br />

XV liegen Daten erst ab 1958 vor und fehlen also auch in <strong>de</strong>n MfS-Gesamtzahlen <strong>de</strong>r Jahre<br />

1953 bis 1957. <strong>Die</strong> Aufschlüsselung nach <strong>Die</strong>nstverhältnissen ist insbeson<strong>de</strong>re <strong>für</strong> die fünfziger<br />

Jahre noch kaum möglich, die überwiegen<strong>de</strong> Mehrheit war aber auch in diesen Jahren Berufssoldaten.<br />

Zur <strong>Die</strong>nsteinheiten-Statistik <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS Berlin (Beilage): Alle Daten beziehen sich auf <strong>de</strong>n 31.<br />

Dezember <strong><strong>de</strong>s</strong> jeweiligen Jahres, <strong>für</strong> 1989 auf <strong>de</strong>n 31. Oktober. <strong>Die</strong> Aufschlüsselung <strong>de</strong>r <strong>Mitarbeiter</strong><br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS Berlin ist alphanumerisch nach <strong>de</strong>n 1989 bestehen<strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nsteinheiten geordnet.<br />

Oberhalb dieser fettgedruckten <strong>Die</strong>nsteinheiten sind jeweils die organisatorischen Vorläufer<br />

aufgelistet. Am Schluß <strong>de</strong>r Auflistung folgen die <strong>Die</strong>nsteinheiten, die keinen institutionellen<br />

Nachfolger hatten. <strong>Die</strong>nsteinheiten, die nur umbenannt wur<strong>de</strong>n (zum Beispiel 1964 HA V in<br />

HA XX), wer<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>r späteren Bezeichnung geführt; frühere Bezeichnungen sind dahinter<br />

genannt. <strong>Die</strong> zeitweilig selbständigen <strong>Die</strong>nsteinheiten Abt. 31, 32, 33, 35, Bildstelle, TMB,<br />

ZBE, AG C311 sind beim OTS gezählt, die AGM/U und AGM/B bei <strong>de</strong>r AGM. Kurzfristig<br />

bestehen<strong>de</strong> Ad-hoc-<strong>Die</strong>nsteinheiten (Baustab 1961: 26 <strong>Mitarbeiter</strong>; Operativdienst 1971 bis<br />

1972: 24 bzw. 21 <strong>Mitarbeiter</strong>; Objekt 100 [Krankenhausbau Berlin-Buch] 1977 bis 1978: 23<br />

bzw. 90 <strong>Mitarbeiter</strong>) sind hier nicht aufgeführt, ihre <strong>Mitarbeiter</strong> sind in <strong>de</strong>r Zeile<br />

"Freistellungen/ohne Zuordnung" gezählt.<br />

Für einige <strong>Die</strong>nsteinheiten liegen aus an<strong>de</strong>ren Quellen differieren<strong>de</strong> Zahlenangaben vor, die<br />

hier zur Wahrung <strong>de</strong>r Einheitlichkeit <strong>de</strong>r Zahlenreihen nicht berücksichtigt wur<strong>de</strong>n. Auf eine<br />

umfassen<strong>de</strong> quellenkritische Bewertung <strong>de</strong>r Daten und Kommentierung <strong>de</strong>r zahlreichen Um-<br />

311 <strong>Die</strong> Auflösung <strong>de</strong>r Abkürzungen ist <strong>de</strong>rzeit nicht möglich.


97<br />

strukturierungen muß hier verzichtet wer<strong>de</strong>n. Der Verfasser verweist auf die Handbuch-<br />

Beiträge zu <strong>de</strong>n einzelnen <strong>Die</strong>nsteinheiten sowie die diachrone Übersicht <strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nsteinheiten<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS (erscheint <strong>de</strong>mnächst). Sprünge ergeben sich unter an<strong>de</strong>rem aus <strong>de</strong>r teilweise fehlen-<br />

<strong>de</strong>n Zuordnung <strong>de</strong>r OibE zu ihren <strong>Die</strong>nsteinheiten bis 1975 sowie <strong>de</strong>r Einbeziehung <strong>de</strong>r HIM<br />

ab 1986. Freigestellte <strong>Mitarbeiter</strong> (Ausbildung, Babyjahr und an<strong>de</strong>res) sind nicht <strong>de</strong>n<br />

<strong>Die</strong>nsteinheiten zugerechnet. Alle diese <strong>Mitarbeiter</strong> sind in <strong>de</strong>r vorletzten Zeile<br />

(Freistellungen/ohne Zuordnung) gezählt.<br />

Quellen:<br />

Ka<strong>de</strong>rbestandsmeldungen <strong>de</strong>r Abt. Planung <strong>de</strong>r Hauptabteilung Ka<strong>de</strong>r und Schulung; <strong>BStU</strong>,<br />

ZA, HA KuSch Abt. Plg., 8 III, 9 III, 15 III, <strong>BStU</strong>-Nr. 2, <strong>BStU</strong>-Nr. 13, <strong>BStU</strong>-Nr. 14, unerschlossenes<br />

Material.<br />

Zeichenerklärung <strong>Mitarbeiter</strong>statistik:<br />

. Zahlenwert unbekannt<br />

( ) Aussagewert eingeschränkt, da die Angabe relativ unsicher ist, bei Gesamtzahl nicht berücksichtigt<br />

- nicht vorhan<strong>de</strong>n<br />

... Angabe fällt später an<br />

| Än<strong>de</strong>rung innerhalb <strong>de</strong>r Reihe, die <strong>de</strong>n zeitlichen Vergleich beeinträchtigt<br />

kursiv Schätzung


MfS-<strong>Mitarbeiter</strong>statistik<br />

98<br />

(wenn nicht an<strong>de</strong>rs angegeben, jeweils 31.12.) [1949] a 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957<br />

Bemerkungen | bis 1962 ohne Wachregiment, bis 1957 ohne HA XV/HVA<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> gesamt [1.150] 2.700 4.500 8.800 10.700 12.823 14.869 14.764 14.442<br />

Verän<strong>de</strong>rung zu Vorjahr absolut 1.550 1.800 4.300 1.900 2.123 2.046 -105 -322<br />

Verän<strong>de</strong>rung zu Vorjahr in Prozent 135 67 96 22 20 16,0 -0,7 -2,2<br />

Frauenanteil absolut . . . . 3.207 3.471 3.282 2.953<br />

Frauenanteil in Prozent . . . . 25,0 23,3 22,2 20,4<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnis<br />

Berufsoffiziere/Berufsunteroffiziere b . . . . . . . .<br />

Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz . . . . . . . .<br />

Hauptamtliche IM (ab 1986) ... ... ... ... ... ... ... ...<br />

U-<strong>Mitarbeiter</strong> . . . . 297 391 375 347<br />

Unteroffiziere auf Zeit (bis 1982: Soldaten auf Zeit)<br />

Zivilbeschäftigte . . . . 763 779 784 756<br />

[nachrichtlich: Freistellungen] - - - - - - - -<br />

Territoriale Verteilung<br />

MfS Berlin . . . 2.528 2.929 3.670 3.803 3.689<br />

Wachregiment . . . . . (1.475) . (2.445)<br />

[nachr.: Kursanten <strong>de</strong>r Schule <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS c ] ... ... ... ... 384 199 405 317<br />

Bezirksverwaltungen d<br />

Rostock ... ... . . 536 628 617 642<br />

Schwerin ... ... . . 441 512 479 490<br />

Neubran<strong>de</strong>nburg ... ... . . 446 543 524 513<br />

Potsdam ... ... . . 635 700 672 662<br />

Frankfurt/O<strong>de</strong>r ... ... . . 391 435 420 407<br />

Cottbus ... ... . . 490 536 548 538<br />

Mag<strong>de</strong>burg ... ... . . 749 889 817 802<br />

Halle ... ... . . 861 989 958 918<br />

Erfurt ... ... . . 698 815 775 805<br />

Gera ... ... . . 467 547 514 508<br />

Suhl ... ... . . 390 448 443 433<br />

Dres<strong>de</strong>n ... ... . . 869 1.046 985 964<br />

Leipzig ... ... . . 660 773 759 753<br />

Karl-Marx-Stadt e ... ... . . 846 1.018 981 977<br />

Berlin ... ... . . 558 650 679 665<br />

Objektverwaltung "Wismut" (bis 1982) ... . . . 473 471 385 359<br />

[nachrichtlich: nicht zuzuordnen] - - - - - - - -<br />

Bezirksverwaltungen gesamt . ... ... . . 9510 11.000 10.556 10.436<br />

Anteil <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen in Prozent . ... ... . . 74,2 74,0 71,5 72,3<br />

a Das Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit wur<strong>de</strong> offiziell am 8.2.1950 gebil<strong>de</strong>t.<br />

b Ohne OibE.<br />

c Nur 1954 bis 1961 geson<strong>de</strong>rt gezählt.<br />

d Einschließlich Kreisdienststellen; <strong>für</strong> die bis 1952 existieren<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rverwaltungen liegen keine Angaben<br />

vor.<br />

e Bis 5.5.1953 Bezirksverwaltung Chemnitz.


99<br />

1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970<br />

| ab 1963 einschließlich Wachregiment<br />

⎜ 15.686 16.613 18.471 19.130 20.527 | 25.435 28.148 29.137 30.717 32.912 36.555 40.328 43.311<br />

⎢ 1.244 927 1.858 659 1.397 | 4.908 2.713 989 1.580 2.195 3.643 3.773 2.983<br />

⎢ 8,6 5,9 11,2 3,6 7,3 | 23,9 10,7 3,5 5,4 7,1 11,1 10,3 7,4<br />

⎢ 3.047 3.187 3.486 3.502 3.612 | 3.601 3.821 3.914 4.330 4.663 5.198 5.811 .<br />

⎢ 19,4 19,2 19,3 18,3 17,6 | 14,2 13,6 13,4 14,1 14,2 14,2 14,4 .<br />

. . . . . 24.103 26.733 27.684 28.888 30.895 34.217 37.566 40.312<br />

. . . 271 233 263 296 336 443 489 529 588 797<br />

... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ...<br />

. . . . . . . . . . . . .<br />

. . . . . . . . . . . . .<br />

838 915 956 711 734 | 1.069 1.119 1.117 1.386 1.528 1.809 2.174 2.202<br />

- - - - - - - - - - - - -<br />

4.633 5.108 6.151 7.002 7.774 8.191 9.301 9.753 10.414 11.238 12.191 13.269 14.331<br />

. . (4.372) . . 4.617 4.897 5.121 5.216 5.705 6.626 7.351 7.924<br />

250 136 - - - - - - - - - - -<br />

718 771 818 828 825 932 1.109 1.146 1.215 1.317 1.430 1.604 1.930<br />

525 554 600 603 620 623 678 701 737 793 891 974 1.074<br />

524 541 571 581 592 579 624 639 660 723 773 863 894<br />

661 686 714 717 747 754 978 1.015 1.108 1.201 1.423 1.553 1.708<br />

407 448 522 542 558 552 674 704 748 822 893 1.005 1.065<br />

583 640 713 721 744 766 802 775 813 902 931 993 1.030<br />

856 942 971 973 994 1.004 1.193 1.247 1.350 1.457 1.704 1.908 2.131<br />

963 1.001 1.063 1.068 1.100 1.087 1.096 1.101 1.140 1.208 1.273 1.421 1.487<br />

803 825 846 851 870 897 988 988 1.037 1.104 1.198 1.332 1.414<br />

524 541 600 605 647 637 710 748 852 960 1.090 1.222 1.253<br />

437 460 497 499 494 532 531 560 581 632 661 714 751<br />

1.002 1.025 1.071 1.067 1.101 1.086 1.249 1.275 1.334 1.430 1.486 1.628 1.742<br />

773 810 885 884 885 881 905 926 956 1.002 1.075 1.165 1.231<br />

991 1.034 1.067 1.081 1.112 1.123 1.192 1.237 1.258 1.338 1.488 1.736 1.884<br />

675 699 684 718 734 733 767 765 803 837 851 908 972<br />

361 392 402 390 313 245 242 247 249 268 282 348 382<br />

- - 296 . 417 196 212 242 246 275 289 334 108<br />

10.803 11.369 12.320 ⎜ 12.128 ⎜ 12.753 12.627 13.950 14.316 15.087 16.269 17.738 19.708 21.056<br />

68,9 68,4 66,7 ⎜ 65,2 ⎜ 62,1 | 49,6 49,6 49,1 49,1 49,4 48,5 48,9 48,6


MfS - <strong>Mitarbeiter</strong>statistik (Fortsetzung)<br />

100<br />

(wenn nicht an<strong>de</strong>rs angegeben, jeweils 31.12.) 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978<br />

Bemerkungen<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> gesamt 45.580 48.786 52.707 55.766 59.514 62.868 66.510 69.593<br />

Verän<strong>de</strong>rung zu Vorjahr absolut 2269 3.206 3.921 4.153 3.748 3.354 3.642 3.083<br />

Verän<strong>de</strong>rung zu Vorjahr in Prozent 5,2 7,0 8,0 8,0 6,7 5,6 5,8 4,6<br />

Frauenanteil absolut 7.186 7.835 8.623 9.129 9.652 10.273 10.951 11.412<br />

Frauenanteil in Prozent 15,8 16,1 16,4 16,4 16,2 16,3 16,5 16,4<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnis<br />

Berufsoffiziere/Berufsunteroffiziere a<br />

42.076 44.079 | 47.191 b 48.342 b 50.735 b 54.506 b 57.775 b 60.265 b<br />

Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz 1.215 1.282 1.490 1.676 1.937 2.268 2.526 2.723<br />

Hauptamtliche IM (ab 1986) ... ... ... ... ... ... ... ...<br />

U-<strong>Mitarbeiter</strong> . . . . . . . .<br />

Unteroffiziere auf Zeit (bis 1982: Soldaten auf Zeit) . . 1.343 c 2.022 c 3.189 c 3.788 c 4.207 c 4.543 c<br />

Zivilbeschäftigte 2.289 2.452 2.683 2.647 2.480 1.009 491 390<br />

[nachrichtlich: Freistellungen] - 973 - 1.079 1.173 1.297 1.511 1.672<br />

Territoriale Verteilung<br />

MfS Berlin 15928 17.161 18.943 20.631 22.312 24.107 25.885 27.761<br />

Wachregiment 7.980 8.194 8.601 8.839 9.245 9.215 9.683 9.919<br />

Bezirksverwaltungen d<br />

Rostock 2.107 2.218 2.337 2.419 2.616 2.709 2.837 2.927<br />

Schwerin 1.110 1.130 1.196 1.288 1.359 1.431 1.477 1.533<br />

Neubran<strong>de</strong>nburg 917 997 1.077 1.127 1.212 1.289 1.386 1.450<br />

Potsdam 1.761 1.929 2.058 2.170 2.271 2.369 2.507 2.564<br />

Frankfurt/O<strong>de</strong>r 1.157 1.220 1.329 1.424 1.557 1.692 1.762 1.798<br />

Cottbus 1.067 1.156 1.253 1.367 1.469 1.552 1.636 1.664<br />

Mag<strong>de</strong>burg 2.191 2.347 2.612 2.657 2.811 2.939 3.003 3.014<br />

Halle 1.545 1.632 1.742 1.816 1.972 2.070 2.153 2.183<br />

Erfurt 1.465 1.568 1.759 1.791 1.928 2.037 2.112 2.167<br />

Gera 1.327 1.417 1.526 1.592 1.671 1.779 1.823 1.858<br />

Suhl 782 799 1.029 1.069 1.131 1.180 1.220 1.264<br />

Dres<strong>de</strong>n 1.819 1.854 2.007 2.067 2.135 2.290 2.412 2.466<br />

Leipzig 1.247 1.292 1.413 1.431 1.511 1.599 1.671 1.756<br />

Karl-Marx-Stadt 1.930 2.092 2.215 2.238 2.302 2.480 2.654 2.757<br />

Berlin 1.006 1.040 1.114 1.146 1.197 1.265 1.319 1.439<br />

Objektverwaltung "Wismut" (bis 1982) 405 437 450 487 551 590 621 642<br />

[nachrichtlich: nicht zuzuordnen] - 303 46 207 264 275 349 431<br />

Bezirksverwaltung gesamt 21.670 23.431 25.163 26.296 27.957 29.546 30.942 31.913<br />

Anteil <strong>de</strong>r Bezirksverwaltungen in Prozent 47,5 48,0 47.7 47,1 47.0 47,0 46,5 45,9<br />

a Ohne OibE; ab 1987 auch Fähnriche.<br />

b Einschließlich Soldaten auf Zeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments.<br />

c Ohne Soldaten auf Zeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Wachregiments.<br />

d Einschließlich Kreisdienststellen.


101<br />

1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989<br />

| ab 1986 einschl. HIM 31.10.<br />

72.227 75.138 78.529 81.495 82.684 83.460 85.263 | 90.577 90.554 90.257 91.015<br />

2.634 2.911 3.391 2.966 1.189 776 1.803 | 5.314 -23 -297 758<br />

3,8 4,0 4,5 3,8 1,5 0,9 2,2 | 6,2 -0,03 -0,3 0,8<br />

11.839 12.251 12.740 13.155 13.189 13.156 13.296 | 14.282 14.216 14.102 14.259<br />

16,4 16,3 16,2 16,1 15,9 15,8 15,6 | 15,8 15,7 15,6 15,7<br />

62.145 b | 56.499 59.316 61.708 62.970 64.215 65.937 67.378 69.612 70.241 71.292<br />

2.921 3.090 3.295 3.443 3.471 2.986 3.003 2.894 2.505 2.296 2.232<br />

... ... ... ... ... ... ... 3.553 2.369 1.702 2.118<br />

. . . . . . . 269 88 59 84<br />

5.122 c | 13.464 13.863 13.956 13.880 13.658 13.597 13.448 13.415 13.132 13.073<br />

329 281 248 217 193 211 188 180 173 186 185<br />

1.710 1.804 1.807 2.171 2.170 2.390 2.538 2.855 2.392 2.641 2.031<br />

29.407 31.166 32.551 34.481 35.010 35.133 35.860 | 37.698 37.943 37.665 36.421<br />

9.952 10.082 10.539 10.437 10.400 10.203 10.298 | 10.306 10.254 9.861 11.426<br />

2.957 3.072 3.200 3.385 3.453 3.549 3.607 | 3.769 3.818 3.815 3.827<br />

1.595 1.709 1.795 1.907 1.950 1.988 2.025 | 2.251 2.226 2.249 2.268<br />

1.529 1.620 1.694 1.716 1.738 1.773 1.805 | 1.924 1.898 1.912 1.926<br />

2.678 2.753 2.971 3.230 3.322 3.411 3.448 | 3.755 3.780 3.872 3.926<br />

1.876 1.943 2.050 2.101 2.124 2.143 2.193 | 2.347 2.305 2.327 2.362<br />

1.731 1.764 1.842 1.894 1.935 2.017 2.039 | 2.283 2.257 2.259 2.286<br />

3.049 3.060 3.143 3.187 3.222 3.291 3.320 | 3.701 3.602 3.644 3.684<br />

2.242 2.340 2.444 2.496 2.526 2.705 2.815 | 3.118 3.117 3.151 3.152<br />

2.286 2.367 2.430 2.495 2.533 2.647 2.714 | 2.959 2.934 2.936 2.988<br />

1.912 1.953 2.000 2.064 2.083 2.139 2.173 | 2.342 2.321 2.336 2.383<br />

1.302 1.319 1.385 1.439 1.470 1.507 1.541 | 1.683 1.723 1.735 1.739<br />

2.515 2.611 2.805 3.012 3.088 3.246 3.341 | 3.586 3.522 3.579 3.591<br />

1.806 1.828 1.917 1.985 2.023 2.062 2.158 | 2.432 2.436 2.435 2.440<br />

2.758 2.811 2.929 | 3.342 3.394 3.510 3.569 | 3.747 3.744 3.792 3.821<br />

1.530 1.646 1.744 1.881 1.975 2.136 2.239 | 2.676 2.674 2.689 2.775<br />

675 681 669 e - - - - - - - -<br />

427 413 421 443 438 - - - - - -<br />

32.868 33.890 35.439 36.577 37.274 38.124 38.987 | 42.573 42.357 42.731 43.168<br />

45,5 45,1 45,1 44,9 45,1 45,7 45,8 | 47,0 46,8 47,3 47,4<br />

e In Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt eingeglie<strong>de</strong>rt.


102<br />

Verzeichnis <strong>de</strong>r Tabellen und Abbildungen<br />

Tabellen<br />

Tabelle 1 Offiziere im beson<strong>de</strong>ren Einsatz (Ist-Bestand absolut/Anteil am<br />

Gesamtka<strong>de</strong>rbestand) 25<br />

Tabelle 2 U-<strong>Mitarbeiter</strong> 1986 bis 1989 (Ist-Bestand absolut) 27<br />

Tabelle 3 Tätigkeiten <strong>de</strong>r MfS-<strong>Mitarbeiter</strong> (achtziger Jahre) 45<br />

Tabelle 4 Soziale Herkunft (nach MfS-Angaben, in Prozent) 46<br />

Tabelle 5 Soziale Stellung vor Eintritt in die bewaffneten Organe (nach MfS-<br />

Angaben, in Prozent) 47<br />

Tabelle 6 Allgemeinbildung (in Prozent) 48<br />

Tabelle 7 Anteil <strong>de</strong>r Hoch- und Fachschulabsolventen im <strong>Mitarbeiter</strong>bestand<br />

(in Prozent) 49<br />

Tabelle 8 Altersstruktur (in Prozent) 49<br />

Tabelle 9 <strong>Die</strong>nstalterstruktur (in Prozent) 50<br />

Tabelle 10 SED-Mitglie<strong>de</strong>ranteil (in Prozent) 51<br />

Tabelle 11 Parteialter <strong>de</strong>r SED-Mitglie<strong>de</strong>r (in Prozent) 52<br />

Tabelle 12 Frauen unter <strong>de</strong>n "oberen Zweitausend" <strong>de</strong>r Besoldungsliste <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

MfS 55<br />

Tabelle 13 Vergütung <strong>für</strong> <strong>de</strong>n <strong>Die</strong>nstgrad (Berufssoldaten, in Mark) 59<br />

Tabelle 14 Vergütung <strong>für</strong> die <strong>Die</strong>nststellung (Berufssoldaten, in Mark) 60<br />

Tabelle 15 <strong>Die</strong>nstalterzuschlag (in Prozent <strong>de</strong>r monatlichen Vergütung <strong>für</strong><br />

<strong>Die</strong>nstgrad, <strong>Die</strong>nststellung und Zulagen) 61<br />

Tabelle 16 Bestrafungsgrün<strong>de</strong> 1989 (in Prozent) 75<br />

Tabelle 17 Entlassungsgrün<strong>de</strong> bei Berufssoldaten 1988 und 1989 (absolut/in<br />

Prozent) 78<br />

Tabelle 18 Fahnenfluchten, Republikfluchten, Übersiedlungen von <strong>Mitarbeiter</strong>n<br />

und ehemaligen <strong>Mitarbeiter</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS 1950 bis 1988 (absolut) 81


Abbildungen<br />

103<br />

Abbildung 1 Ka<strong>de</strong>rnomenklatur <strong>für</strong> Leitungsfunktionen im MfS 6<br />

Abbildung 2 <strong>Die</strong>nstgradbezeichnungen 23<br />

Abbildung 3 Ausbildungsstätten <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS (ohne Parteischulen) 34<br />

Abbildung 4 <strong>Mitarbeiter</strong>bestand <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS 1950 bis 1989 39<br />

Abbildung 5 Verän<strong>de</strong>rung <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>bestan<strong><strong>de</strong>s</strong> zum Vorjahr 1950 bis 1989<br />

(absolut) 40<br />

Abbildung 6 Plan zur Verteilung <strong>de</strong>r AfNS-<strong>Mitarbeiter</strong>, 8. Dezember 1989 90


Abkürzungsverzeichnis<br />

Abt. Abteilung<br />

AfNS Amt <strong>für</strong> Nationale Sicherheit<br />

AG Arbeitsgruppe<br />

AGL Arbeitsgruppe <strong><strong>de</strong>s</strong> Leiters<br />

AGM Arbeitsgruppe <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers<br />

A/I Auswertung/Information<br />

104<br />

AIG Auswertungs- und Informationsgruppe<br />

AKG Auswertungs- und Kontrollgruppe<br />

Anm. Anmerkung<br />

BA Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>archiv<br />

BCD Bewaffnung/Chemischer <strong>Die</strong>nst<br />

BdL Büro <strong>de</strong>r Leitung<br />

BDM <strong>Bund</strong> <strong>de</strong>utscher Mä<strong>de</strong>l<br />

BKK Bereich Kommerzielle Koordinierung<br />

BND Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>nachrichtendienst<br />

BO Berufsoffizier<br />

BOB Berufsoffiziersbewerber<br />

<strong>BStU</strong> Der Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>beauftragte <strong>für</strong> die Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes <strong>de</strong>r<br />

ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik<br />

BU Berufsunteroffizier<br />

BUB Berufsunteroffiziersbewerber<br />

BV Bezirksverwaltung<br />

DSF Gesellschaft <strong>für</strong> Deutsch-Sowjetische Freundschaft<br />

DSt Dokumentenstelle<br />

DVP Deutsche Volkspolizei<br />

EDV Elektronische Datenverarbeitung<br />

F Fähnrich


105<br />

FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund<br />

FDJ Freie Deutsche Jugend<br />

FS Fachschule<br />

Gestapo Geheime Staatspolizei<br />

GRH Gesellschaft <strong>für</strong> Rechtliche und Humanitäre Hilfe<br />

GST Gesellschaft <strong>für</strong> Sport und Technik<br />

GVS Geheime Verschlußsache<br />

GO Grundorganisation<br />

HA Hauptabteilung<br />

HIM hauptamtlicher Inoffizieller <strong>Mitarbeiter</strong><br />

HV Hauptverwaltung<br />

HV A Hauptverwaltung A (Aufklärung, äußere Spionageabwehr, "aktive Maßnahmen"<br />

im Operationsgebiet)<br />

HV B (Bewirtschaftung)<br />

IM Inoffizieller <strong>Mitarbeiter</strong><br />

ISOR Initiativgemeinschaft zum Schutze <strong>de</strong>r sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger<br />

<strong>de</strong>r bewaffneten Organe und <strong>de</strong>r Zollverwaltung <strong>de</strong>r DDR<br />

ITU Institut <strong>für</strong> technische Untersuchungen<br />

IWTE Institut <strong>für</strong> Wissenschaftlich-Technische Entwicklung<br />

JHS Juristische Hochschule<br />

k.A. keine Angabe<br />

KD Kreisdienststelle<br />

KfS siehe KGB<br />

KGB russ.: Komitet Gosudarstvennyj Bezopasnosti (Komitee <strong>für</strong> Staatssicherheit)<br />

KJVD Kommunistischer Jugendverband Deutschlands<br />

KL Kreisleitung<br />

KPC ∨<br />

Kommunistische Partei <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

KPD Kommunistische Partei Deutschlands<br />

KS Ka<strong>de</strong>r und Schulung<br />

KuSch Ka<strong>de</strong>r und Schulung


KVP Kasernierte Volkspolizei<br />

KZ Konzentrationslager<br />

106<br />

LPG Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft<br />

Ltg. Leitung<br />

Ltr. Leiter<br />

MA <strong>Mitarbeiter</strong><br />

MdI Ministerium <strong><strong>de</strong>s</strong> Innern<br />

MfIA Ministerium <strong>für</strong> Innere Angelegenheiten<br />

MfNV Ministerium <strong>für</strong> Nationale Verteidigung<br />

MfS Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />

ML Marxismus-Leninismus<br />

MZAP Militärisches Zwischenarchiv Potsdam<br />

N Nachrichten<br />

NKFD Nationalkomitee Freies Deutschland<br />

NKWD russ.: Narodnyj Kommissariat vnutrennych <strong>de</strong>l´ (Volkskommissariat <strong>für</strong> Innere<br />

Angelegenheiten)<br />

NS Nationalsozialismus<br />

NSA Nichtsozialistisches Ausland<br />

NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei<br />

NVA Nationale Volksarmee<br />

NVR Nationaler Verteidigungsrat<br />

o.A. ohne Autor<br />

o.D. ohne Datum<br />

OibE Offizier im beson<strong>de</strong>ren Einsatz<br />

OTS Operativ-technischer Sektor<br />

PDS Partei <strong><strong>de</strong>s</strong> Demokratischen Sozialismus<br />

PGH Produktionsgenossenschaft <strong><strong>de</strong>s</strong> Handwerks<br />

piD politisch-i<strong>de</strong>ologische Diversion<br />

Plg. Planung<br />

PS Personenschutz


107<br />

RGO Revolutionäre Gewerkschaftsopposition<br />

SAPMO-BA Stiftung Archiv <strong>de</strong>r Parteien und Massenorganisationen <strong>de</strong>r DDR im Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>archiv<br />

SaZ Soldat auf Zeit<br />

SBZ Sowjetische Besatzungszone<br />

SdM Sekretariat <strong><strong>de</strong>s</strong> Ministers<br />

SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands<br />

SKK Sowjetische Kontrollkommission<br />

SPK Staatliche Plankommission<br />

StfS Staatssekretariat <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />

SWT Sektor Wissenschaft und Technik<br />

Trapo Transportpolizei<br />

UaZ Unteroffizier auf Zeit<br />

U-<strong>Mitarbeiter</strong> Unbekannter <strong>Mitarbeiter</strong><br />

V Verwaltung<br />

VEB Volkseigener Betrieb<br />

VP Volkspolizei<br />

VRD Verwaltung Rückwärtige <strong>Die</strong>nste<br />

VS Verschlußsache bzw. Vergütungsstufe<br />

VVS Vertrauliche Verschlußsache<br />

WR Wachregiment<br />

WSE Wach- und Sicherungseinheit<br />

ZA Zentralarchiv<br />

ZAIG Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe<br />

ZK Zentralkomitee<br />

ZMD Zentraler Medizinischer <strong>Die</strong>nst


Der Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>beauftragte<br />

<strong>für</strong> die Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes<br />

<strong>de</strong>r ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik<br />

Abteilung Bildung und Forschung<br />

Das Stasi-Unterlagen-Gesetz vom 20. Dezember 1991 verpflichtet <strong>de</strong>n Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>beauftragten zur<br />

"Aufarbeitung <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes durch Unterrichtung <strong>de</strong>r<br />

Öffentlichkeit über Struktur, Metho<strong>de</strong>n und Wirkungsweise <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes" (§<br />

37).<br />

Zu diesem Zweck betreibt die Abteilung Bildung und Forschung (BF) neben politischer<br />

Bildung und <strong>de</strong>r Einrichtung von Informations- und Dokumentationszentren auch eigene<br />

wissenschaftliche Forschung. <strong>Die</strong> Ergebnisse wer<strong>de</strong>n im Christoph Links Verlag, Berlin, und in<br />

drei Behör<strong>de</strong>nreihen vorgelegt. Ein Hauptprojekt ist die Erarbeitung eines MfS-Handbuches,<br />

das ab Oktober 1995 in ca. 25 Teillieferungen erscheint.<br />

Analysen und Dokumente<br />

Wissenschaftliche Reihe <strong><strong>de</strong>s</strong> Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>beauftragten im Ch. Links Verlag, Berlin<br />

(Redaktion: Klaus-<strong>Die</strong>tmar Henke, Siegfried Suckut, Clemens Vollnhals, Walter Süß, Roger<br />

Engelmann)<br />

Band 1: Klaus-<strong>Die</strong>tmar Henke, Roger Engelmann (Hrsg.): Aktenlage. <strong>Die</strong> Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />

Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes <strong>für</strong> die Zeitgeschichtsforschung, 272 S.,<br />

30,-- DM<br />

Band 2: Karl Wilhelm Fricke: Akten-Einsicht. Rekonstruktion einer politischen Verfolgung.<br />

Mit einem Vorwort von Joachim Gauck, 304 S., 34,-- DM<br />

Band 3: Helmut Müller-Enbergs (Hrsg.): Inoffizielle <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit.<br />

Richtlinien und Durchführungsbestimmungen, ca. 500 S., 40,-- DM<br />

Band 4: Matthias Braun: Drama um eine Komödie. Das Ensemble von SED und Staatssicherheit,<br />

FDJ und Kulturministerium gegen Heiner Müllers "<strong>Die</strong> Umsiedlerin o<strong>de</strong>r Das Leben<br />

auf <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>" im Oktober 1961, 176 S., 24,-- DM<br />

In Vorbereitung:<br />

Band 5: Siegfried Suckut (Hrsg.): Das Wörterbuch <strong>de</strong>r Staatssicherheit. Definitionen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS<br />

zur "politisch-operativen Arbeit"<br />

Band 6: Sonja Süß: Politisch mißbraucht? DDR-Psychiatrie im Spiegel <strong>de</strong>r MfS-Akten<br />

Band 7: Clemens Vollnhals (Hrsg.): Zur Kirchenpolitik von SED und MfS<br />

Band 8: Walter Süß (Hrsg.): Zerfall und Auflösung <strong>de</strong>r Staatssicherheit<br />

Anatomie <strong>de</strong>r Staatssicherheit. Geschichte, Struktur, Metho<strong>de</strong>n<br />

(MfS-Handbuch)<br />

Herausgegeben von Klaus-<strong>Die</strong>tmar Henke, Siegfried Suckut, Clemens Vollnhals, Walter Süß,<br />

Roger Engelmann. Ca. 25 Teillieferungen.<br />

Im Oktober 1995 erscheinen:<br />

<strong>Die</strong> Organisationsstruktur <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit 1989. 408 S., Schutzgebühr<br />

20,-- DM<br />

Jens Gieseke: <strong>Die</strong> <strong>hauptamtlichen</strong> <strong>Mitarbeiter</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit,<br />

ca. 107 S., Schutzgebühr 10,-- DM<br />

Bernd Eisenfeld: <strong>Die</strong> Zentrale Koordinierungsgruppe: Bekämpfung von Flucht und<br />

Übersiedlung, 52 S., Schutzgebühr 10,-- DM<br />

Tobias Wunschik: Hauptabteilung XXII (Terrorabwehr), ca. 75 S.,<br />

Schutzgebühr 10,-- DM<br />

In Vorbereitung:


Maria Haendcke-Hoppe-Arndt: Hauptabteilung XVIII (Volkswirtschaft)<br />

Hanna Labrenz-Weiß: Hauptabteilung II (Spionageabwehr)<br />

Behör<strong>de</strong>nreihen <strong>de</strong>r Abteilung Bildung und Forschung<br />

Seit 1993 erschienen u.a.:<br />

Dokumente<br />

Das Wörterbuch <strong>de</strong>r Staatssicherheit. Definitionen <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS zur "politisch-operativen Arbeit",<br />

Schutzgebühr 20,-- DM<br />

<strong>Die</strong> Organisationsstruktur <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong> Staatssicherheit 1989. Vorläufiger Aufriß nach<br />

<strong>de</strong>m Erkenntnisstand von Juni 1993 (vergriffen)<br />

<strong>Die</strong> Dissertationen an <strong>de</strong>r "Juristischen Hochschule" <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS: Eine annotierte Bibliographie<br />

von Günter Förster, Schutzgebühr 10,-- DM<br />

Silke Schumann: Vernichten o<strong>de</strong>r Offenlegen? Zur Entstehung <strong><strong>de</strong>s</strong> Stasi-Unterlagen-Gesetzes.<br />

Eine Dokumentation <strong>de</strong>r öffentlichen Debatte 1990/1991, Schutzgebühr 10,-- DM<br />

Analysen und Berichte<br />

Walter Süß: Zu Wahrnehmung und Interpretation <strong><strong>de</strong>s</strong> Rechtsextremismus in <strong>de</strong>r DDR durch<br />

das MfS (vergriffen)<br />

Helmut Müller-Enbergs: Das Zusammenspiel von Staatssicherheitsdienst und SED nach <strong>de</strong>r<br />

Selbstverbrennung <strong><strong>de</strong>s</strong> Pfarrers Oskar Brüsewitz aus Rippicha am 18. August 1976 (vergriffen)<br />

Monika Tantzscher: "Maßnahme Donau und Einsatz Genesung". <strong>Die</strong> Nie<strong>de</strong>rschlagung <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Prager Frühlings 1968/69 im Spiegel <strong>de</strong>r MfS-Akten, Schutzgebühr 10,-- DM<br />

Thomas Auerbach unter Mitarbeit von Wolf-<strong>Die</strong>ter Sailer: Vorbereitung auf <strong>de</strong>n Tag X. <strong>Die</strong><br />

geplanten Isolierungslager <strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, Schutzgebühr 10,-- DM<br />

BF informiert<br />

Erich Mielke und KGB-Vize Leonid Schebarschin über <strong>de</strong>n drohen<strong>de</strong>n Untergang <strong><strong>de</strong>s</strong> Sozialistischen<br />

Lagers. Mitschrift eines Streitgesprächs am 7. April 1989 (ediert von Walter Süß,<br />

vergriffen)<br />

Joachim Walther und Gesine von Prittwitz: Staatssicherheit und Schriftsteller. Bericht zum<br />

Forschungsprojekt (vergriffen)<br />

Helmut Müller-Enbergs: IM-Statistik 1985 - 1989, Schutzgebühr 3,-- DM<br />

Jens Gieseke: <strong>Die</strong> Hauptamtlichen 1962. Zur Personalstruktur <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong><br />

Staatssicherheit (vergriffen)<br />

Jürgen Fuchs: Unter Nutzung <strong>de</strong>r Angst. <strong>Die</strong> "leise Form" <strong><strong>de</strong>s</strong> Terrors - Zersetzungsmaßnahmen<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> MfS, Schutzgebühr 3,-- DM<br />

Roger Engelmann: Zu Struktur, Charakter und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Ministeriums</strong> <strong>für</strong><br />

Staatssicherheit, Schutzgebühr 5,-- DM<br />

Bibliographie zum Staatssicherheitsdienst <strong>de</strong>r DDR (zusammengestellt von Hil<strong>de</strong>gard von<br />

Zastrow, vergriffen)<br />

Walter Süß: Entmachtung und Verfall <strong>de</strong>r Staatssicherheit. Ein Kapitel aus <strong>de</strong>m Spätherbst<br />

1989 (vergriffen)


Jens Gieseke: Doktoren <strong>de</strong>r Tschekistik. <strong>Die</strong> Promoven<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r "Juristischen Hochschule" <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

MfS, Schutzgebühr 5,-- DM<br />

Clemens Vollnhals: Das Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit. Ein Instrument totalitärer Herrschaftsausübung,<br />

Schutzgebühr 3,-- DM<br />

Handbuchlieferungen und Schriften <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>nreihen sind zu bestellen bei:<br />

Der Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>beauftragte <strong>für</strong> die Unterlagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Staatssicherheitsdienstes<br />

<strong>de</strong>r ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik<br />

Abteilung Bildung und Forschung<br />

Postfach 218<br />

10106 Berlin

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!