Es ist nicht vorbei - BStU
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<strong>Es</strong> <strong>ist</strong> <strong>nicht</strong> <strong>vorbei</strong><br />
sale von den frühen 50ern bis zu den<br />
späten 80er Jahren und er zeigt auch<br />
die nächste Generation, die Kinder der<br />
Inhaftierten, die mit den Folgen dieser<br />
Vergangenheit bis heute zu kämpfen<br />
haben.<br />
Für den Film mussten die Fakten und<br />
Schicksale zu einer Geschichte verdichtet<br />
werden. Gibt es ein direktes Vorbild<br />
für die Figur der Carola Weber? Wie<br />
gingen Sie vor bei der Konstruktion der<br />
Geschichte? Welche Aspekte sind Ihnen<br />
besonders wichtig?<br />
„<strong>Es</strong> <strong>ist</strong> <strong>nicht</strong> <strong>vorbei</strong>“ <strong>ist</strong> kein Biopic. Die<br />
Geschichte, ihre Protagon<strong>ist</strong>en sind frei<br />
erfunden, das möchte ich ausdrücklich<br />
betonen. „Meine“ Carola Weber, ihr<br />
Schick sal, das sich mit dem Haftarzt<br />
Prof. Limberg so unwiderruflich ver-<br />
knüpft, hätte aber genauso stattfinden<br />
können. Hoheneck <strong>ist</strong> die Bruchstelle in<br />
Carolas Leben. Sie kam als junge, vielversprechende<br />
Pian<strong>ist</strong>in ins Gefängnis,<br />
sie hätte Karriere machen können, aber<br />
sie hat gegen den Staat rebelliert und<br />
bekam das System in aller Härte zu<br />
spüren. Das „System“, hinter dem sich<br />
Menschen verbargen, Menschen wie<br />
Prof. Limberg, die ihre Macht ausnutzten,<br />
haben eine andere Carola aus ihr<br />
gemacht.<br />
Sie erzählen die Geschichte einer traumatisierten<br />
Frau und Sie erzählen sie<br />
von heute aus. Wieso haben Sie sich für<br />
diesen dramaturgischen Aufbau entschieden?<br />
Das Schlimmste am Schlimmen <strong>ist</strong>,<br />
<strong>nicht</strong> darüber reden zu können. Die<br />
Scham über das erlittene Unrecht hat<br />
viele der ehemals inhaftierten Frauen<br />
stumm gemacht. Für viele <strong>ist</strong> es ein<br />
jahrelanger Prozess, bis sie sich wieder<br />
öffnen können und beginnen, von<br />
ihrem Leid zu erzählen. Auch deshalb<br />
nimmt das jahrelange Schweigen meiner<br />
Protagon<strong>ist</strong>in ihrem eigenen westdeutschen<br />
Ehemann gegenüber einen<br />
so großen Stellenwert ein und zerstört<br />
fast ihre Ehe. Jochen wirft Carola dieses<br />
Schweigen vor. Aus seiner Perspektive<br />
<strong>ist</strong> es ein massiver Vertrauensbruch,<br />
dass Carola ihm diesen Teil ihrer Vergangenheit<br />
verschwiegen hat. Er ignoriert<br />
ihre Traumatisierung, dass sie<br />
<strong>nicht</strong> reden konnte.<br />
Aus heutiger Sicht zu erzählen, hebt die<br />
h<strong>ist</strong>orische D<strong>ist</strong>anz auf, deshalb habe<br />
ich die Geschichte in der Gegenwart<br />
angesiedelt. Der Film verspricht <strong>nicht</strong><br />
‚<strong>Es</strong> war einmal‘, sondern behauptet ‚<strong>Es</strong><br />
<strong>ist</strong>‘ (<strong>nicht</strong> <strong>vorbei</strong>).<br />
Sie haben als Erzählperspektive die der<br />
Carola Weber gewählt. <strong>Es</strong> wird ja immer<br />
wieder konstatiert, dass die Mediengesellschaft<br />
dazu neigt, ihr Interesse den<br />
Tätern als den Handelnden zuzuwenden<br />
und die Opfer zu vergessen. Wollten Sie<br />
dem etwas entgegensetzen? Oder haben<br />
Sie auch mal erwogen, die Geschichte<br />
aus der Perspektive von Jochen zu<br />
erzählen, die ja, was den Kenntnisstand<br />
betrifft, die des Publikums <strong>ist</strong>?<br />
Carolas fast pathologisch anmutende<br />
Suche nach dem Täter bzw. nach dessen<br />
Entlarvung und das Unvermögen<br />
ihres westdeutschen Ehemanns, damit<br />
umzugehen, waren mir besonders<br />
wichtig. Jochens Erzählperspektive<br />
wäre schlichtweg undramatisch gewesen,<br />
denn er <strong>ist</strong> ja weder der Täter noch<br />
das Opfer. Er gerät zwischen die Fron-<br />
ten, zwischen Carola und Prof. Limberg.<br />
Seine Konflikte beziehen sich auf die<br />
Aspekte Loyalität und Vertrauen.<br />
<strong>Es</strong> stimmt, ich wollte dem allgemeinen<br />
Trend auch etwas entgegensetzen,<br />
denn ich bemerke schon die Tendenz,<br />
die Täter in den Mittelpunkt einer Filmhandlung<br />
zu stellen. Die Nazi-Täter,<br />
die RAF-Täter, den Vergewaltiger, den<br />
Amokläufer. Sie erscheinen auf den ersten<br />
Blick wohl interessanter und wer<br />
identifiziert sich schon freiwillig mit<br />
einem Täter? Wohl kaum einer. <strong>Es</strong> <strong>ist</strong><br />
also einfacher, einem Täter beim Morden<br />
zuzusehen und sich von ihm abzugrenzen,<br />
als einem Opfer bei seiner<br />
Ohnmacht zuzusehen und Empathie zu<br />
entwickeln.<br />
Welche Bedeutung hat Verdrängung bei<br />
den Figuren des Films? <strong>Es</strong> wird ja auch im<br />
Dokumentarfilm immer wieder deutlich,<br />
wie stark die Erlebnisse einem Prozess<br />
des Verdrängens unterworfen wurden,<br />
um es ertragbar zu machen – wie befreiend<br />
es aber andererseits <strong>ist</strong>, frei darüber<br />
reden zu können. Auch Limberg <strong>ist</strong> im<br />
Übrigen eine Figur, die ihre Vergangenheit<br />
verdrängt.<br />
Das <strong>ist</strong> ein wichtiger Punkt. Sowohl<br />
bei den Opfern als auch bei den Tätern<br />
geht es um Verdrängung. Bei den einen<br />
um das verdrängte Leid, bei den anderen<br />
um die verdrängte Schuld bzw. das<br />
hartnäckige Leugnen der persönlichen<br />
Verantwortung. Der Täter sagt: Nicht<br />
ich habe gehandelt, sondern das „System“<br />
hat mir keine andere Wahl gelassen.<br />
Deshalb kann es auch keine „Versöhnung“<br />
zwischen den beiden Lagern<br />
geben. Das würde voraussetzen, dass<br />
beide Seiten das Gespräch suchen. Der<br />
Dialog wird aber einseitig geführt; nur<br />
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