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Wann & Wo 07.01.2018

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WANN & WO Sonntag, 7. Jänner 2018 13<br />

„Dem Erfolg habe ich nie recht getraut. Ich<br />

wollte nicht als verkrachte Existenz enden,<br />

war aber auch immer bereit, etwas<br />

dafür zu tun.“<br />

Arno Geiger über Erfolg<br />

sich im Dorf ab, wo viele Kinder in<br />

der Nachbarschaft lebten. Wir hatten<br />

immer irgendein Projekt. Meine<br />

Jugend war dann wieder anders.<br />

Die habe ich als eng empfunden, in<br />

Vorarlberg kennt jeder jeden. Man<br />

war immer so schnell in einer Rolle<br />

drinnen! Dass ich dann zum Studieren<br />

weg gehen konnte, empfand<br />

ich als befreiend, ich konnte wieder<br />

jemand anderes sein. Das ist der<br />

Nachteil des dörflichen Leben, man<br />

lebt ein bisschen wie im Glashaus.<br />

Wien ist im Vergleich sehr anonym,<br />

das schätze ich. Heimat ist für mich<br />

dort, wo ich die Sprache verstehe.<br />

Das Schrecklichste für mich ist es,<br />

wenn ich irgendwo bin, und kein<br />

<strong>Wo</strong>rt verstehe. Deshalb glaube ich<br />

auch, dass man, wenn sich der<br />

Lebensmittelpunkt ändert, die Sprache<br />

erlernen muss. Sonst wird man<br />

immer ausgegrenzt.<br />

WANN & WO: <strong>Wo</strong>lltest du immer<br />

schon Schriftsteller werden?<br />

Arno Geiger: In der Schule gar<br />

nicht. Ich hatte immer großes Interesse<br />

an Sprache. Einfach, weil ich<br />

nicht so stark in Bildern denke,<br />

Verständigung ist für mich etwas<br />

Grundlegendes. Auch die Schönheiten<br />

einer Sprache war mir schon<br />

als Kind bewusst. Aber während<br />

des Studiums, als ich angefangen<br />

habe zu schreiben, merkte ich<br />

schnell, dass sich etwas entwickelt.<br />

Ich schreibe um des Schreibens<br />

Willen. Es ist die Auseinandersetzung<br />

mit der Welt und mir selbst.<br />

Der Versuch, besser zu verstehen,<br />

was mir widerfährt. Schreiben<br />

schafft für mich in dieser unübersichtlichen<br />

Welt einen Halt.<br />

WANN & WO: Hattest du trotz deines<br />

Erfolgs auch einen Plan B in der<br />

Hinterhand?<br />

Arno Geiger: Erfolg kommt und<br />

geht. Aber das, was ich selbst für<br />

mich aus dem Schreiben gewonnen<br />

habe, nimmt mir so leicht niemand<br />

mehr weg. Tatsächlich ist das mein<br />

Lieblingsleben. Es ist nicht so, dass<br />

ich mir nicht vorstellen könnte,<br />

etwas anderes zu machen, wenn<br />

ich müsste. Ich bin aber so privilegiert,<br />

dass ich davon leben kann.<br />

Allerdings habe ich davor auch<br />

schon als Bühnenarbeiter auf der<br />

Seebühne gearbeitet. Dem Erfolg<br />

habe ich nie recht getraut. Ich<br />

wollte nicht als verkrachte Existenz<br />

enden, war aber auch immer bereit,<br />

etwas dafür zu tun. Ich bin eben<br />

„an echter <strong>Wo</strong>lfurter Buraschädel“.<br />

WANN & WO: „Der Alte König<br />

in seinem Exil“ ist ein sehr persönliches<br />

Buch, in dem du über<br />

die Demenzkrankheit deines Vaters<br />

geschrieben hast. Ist alles davon<br />

wahr?<br />

Arno Geiger: Die Vorgänge waren<br />

gegeben und ich bin der Meinung,<br />

wenn man etwas Autobiografisches<br />

schreibt, muss man das so ehrlich<br />

machen wie möglich. Ehrlichkeit<br />

beschützt einen da auch. Ich bin<br />

sowieso der Meinung, dass man<br />

„Ein schlechter Roman kann schon mal<br />

passieren, aber ein schlechtes Buch über den<br />

eigenen Vater wäre unverzeihlich.“<br />

Arno Geiger über „Der Alte König in seinem Exil“<br />

Der Schriftsteller im Sonntags-Talk mit W&W an der Bregenzer Ache in <strong>Wo</strong>lfurt.<br />

ehrlich sein sollte im Leben. In<br />

diesem Buch hatte ich enge Spielräume,<br />

die Krankheit war schon<br />

da, in all seiner Kraft. Ich wusste,<br />

hier passiert etwas mit uns. Da<br />

war etwas Kräftiges – im negativen<br />

Sinne. Aber auch im positiven<br />

Sinne, etwas das uns zusammenrücken<br />

ließ.<br />

WANN & WO: Hast du deine Familie<br />

gefragt, ob du darüber schreiben<br />

darfst?<br />

Arno Geiger: Ja, klar. Das ist eine<br />

Vertrauensfrage, aber letztlich zeigt<br />

es, dass die Familienverhältnisse<br />

intakt sind. Ich bin sehr dankbar<br />

für das Vertrauen, das ich von<br />

meiner Familie bekommen habe.<br />

Ich selbst war verpflichtet, es so<br />

gut wie möglich zu machen. Ein<br />

schlechter Roman kann schon<br />

mal passieren, aber ein schlechtes<br />

Buch über den eigenen Vater wäre<br />

unverzeihlich. Dessen war ich mir<br />

aber auch bewusst, das durfte nicht<br />

schiefgehen.<br />

WANN & WO: War das für dich ein<br />

Verarbeitungsprozess?<br />

Arno Geiger: Nein, gar nicht. Ich<br />

wusste, ich darf das Buch erst<br />

schreiben, wenn ich mit mir im<br />

Klaren bin. Man braucht Distanz.<br />

Wenn ich emotional zu stark involviert<br />

bin, dann wird das nichts. Ich<br />

Fotos: MiK<br />

glaube nicht an therapeutisches<br />

Schreiben, jedenfalls nicht, wenn es<br />

zur Veröffentlichung bestimmt ist.<br />

WANN & WO: Wieso denkst du,<br />

war das Buch so erfolgreich?<br />

Arno Geiger: Es zeigt, dass gewisse<br />

Dinge grundsätzlich menschlich<br />

sind. Ob wir jetzt in China oder<br />

in <strong>Wo</strong>lfurt leben, ist egal. Das ist<br />

schon verrückt. Es zeigt, wie klein<br />

die Welt letztlich ist. Das wir alle<br />

in der gleichen Welt leben, mit den<br />

gleichen Problemen, dem Älterwerden.<br />

Das Ende des Lebens ist eben<br />

auch Leben. Früher hat man das<br />

versteckt, nicht darüber gesprochen,<br />

was das Leid noch vergrößert<br />

hat. Je mehr sich dazu äußern,<br />

ganz entspannt, desto besser wird<br />

es auch. Die Entwicklung ist extrem<br />

positiv, es tut sich etwas in unserer<br />

Gesellschaft. Als Schriftsteller freut<br />

es mich, einen gesellschaftlichen<br />

Beitrag leisten zu können.<br />

WANN & WO: Wie bist du persönlich<br />

mit der Krankheit deines Vaters<br />

umgegangen?<br />

Arno Geiger: Anfangs war es hart,<br />

aber mit der Zeit hat sich das geändert.<br />

Ich hatte das Gefühl, dass<br />

mich absolut gar nichts mehr überrascht<br />

– egal, was noch kommt.<br />

Ich war nicht mehr im Konflikt mit<br />

dem Schicksalsschlag. Die Krankheit<br />

konnte ich nicht ändern. Nur<br />

meine Einstellung, und das habe<br />

ich auch getan. Ich kämpfte nicht<br />

gegen Krankheit, sondern solidarisierte<br />

mich mit meinem Vater. Später<br />

war er dann im Altersheim in<br />

<strong>Wo</strong>lfurt, ab diesem Zeitpunkt sind<br />

viele Belastungen für die Familie<br />

weggefallen. Das hätten wir einfach<br />

früher machen sollen. Die Betreuung<br />

zuhause war so anstrengend,<br />

dass diese Energie nicht für Papa<br />

zur Verfügung stand.<br />

WANN & WO: Morgen erscheint<br />

dein neues Buch „Unter der Drachenwand“.<br />

Bist du nervös?<br />

Arno Geiger: Mein neues Buch<br />

spielt am Mondsee in Oberösterreich<br />

und ist ein Gesellschaftsroman<br />

über das Jahr 1944, es spielt also<br />

im zweiten Weltkrieg. Ich wollte<br />

wissen, wie es sich angefühlt haben<br />

könnte, im fünften oder sechsten<br />

Kriegsjahr zu leben – ohne zu wissen,<br />

wie lange es noch dauern würde.<br />

Natürlich bin ich schon aufgeregt,<br />

klar. Ich habe lange an diesem<br />

Herzens projekt gearbeitet. Jetzt bin<br />

ich gespannt und neugierig, wie es<br />

bei den Lesern ankommt. Aber ich<br />

habe ein extrem gutes Gefühl.<br />

WORDRAP<br />

Bregenzer Ache: Ich kenne den Fluss<br />

dort, wo er klein ist und dort, wo er in<br />

den See fließt.<br />

Familie: Im besten Fall Geborgenheit,<br />

aber auch etwas Gefährliches. Mit die<br />

wichtigsten Beziehungen im Leben sind<br />

die in der Familie.<br />

Geschwister: Längste Beziehungen im<br />

Leben, unbezahlbar.<br />

Natur: Ich mag, dass sie mich nicht<br />

braucht. Natur interessiert sich nicht<br />

für mich. Stärkste Empfindung von<br />

Schönheit.

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