soziologie heute Februar 2009
Das erste und einzige illustrierte soziologische Fachmagazin im deutschsprachigen Raum. Wollen Sie mehr über Soziologie erfahren? www.soziologie-heute.at
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18 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>Februar</strong> <strong>2009</strong><br />
Mein Mandant,<br />
das Pferd!<br />
Der Tierprozess als Indikator der<br />
Kulturentwicklung<br />
Georg W. Oesterdiekhoff<br />
und<br />
Hermann Strasser<br />
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt, Akteur und Institution,<br />
Mensch und Gesellschaft ist ein Grundproblem der Soziologie.<br />
Seit langem ist man sich in der soziologischen Theoriedebatte<br />
einig, dass erst eine solide ausgearbeitete Mikro<strong>soziologie</strong>,<br />
also Handlungs- und Verhaltenstheorie, den Schlüssel<br />
für ein Verständnis makrosoziologischer Phänomene liefern<br />
kann. Erst dieses Verständnis vom denkenden und handelnden<br />
Menschen liefert den Schlüssel zur Erklärung des sozialen<br />
Wandels und der Entwicklung der Kultur.<br />
Die Konferenz der Tiere - nach Erich Kästner (Foto: augustine, pixelio)<br />
Die Versäumnisse der Soziologie<br />
Die Soziologie schwankt seit ihren<br />
Anfängen zwischen Ansätzen, die auf<br />
weitgehend reaktiven Verhaltensannahmen<br />
basieren, in denen menschliches<br />
Denken und Handeln rezeptiv<br />
verstanden wird, und solchen, die<br />
eine weitgehende Plastizität der<br />
menschlichen Natur annehmen. In<br />
welchen Gesellschaften der Mensch<br />
auch immer gelebt und gewirkt hat,<br />
seine grundlegenden Handlungs- und<br />
Denkmechanismen bleiben beispielsweise<br />
nach der Rational-Choice-Theorie<br />
immer gleich, nämlich bestimmt<br />
durch „Rationalität“ und „Nutzenmaximierung“.<br />
Deren Annahmen lassen<br />
nur geringe Unterschiede in der Art<br />
und Weise zu, wie sich das menschliche<br />
Handeln in der Gesellschaft<br />
auswirkt. Nicht nur Kenner der Kulturgeschichte<br />
und Ethnologie geben<br />
sich jedoch nicht mit einer so sparsamen<br />
und generalisierenden Handlungstheorie<br />
zufrieden.<br />
Das menschliche Handeln in vormodernen<br />
Gesellschaften unterscheidet<br />
sich von dem in modernen Gesellschaften<br />
ganz entscheidend, so<br />
dass Rational-Choice-Annahmen<br />
überfordert sind, diese Unterschiede<br />
des Menschseins einzufangen<br />
und wiederzugeben. Damit soll nicht<br />
die Wertlosigkeit derartiger Ansätze<br />
behauptet werden. Auf Grund ihrer<br />
Allgemeinheit und stellenweisen<br />
Oberflächlichkeit werden sie der<br />
Wirklichkeit menschlichen Handelns<br />
in Kultur und Geschichte aber nicht<br />
gerecht.<br />
Auf der Suche nach einer Weiterentwicklung<br />
und Lösung der Rationalitätsdebatte<br />
in der Kulturanthropologie,<br />
die u.a. mit den Namen Franz<br />
Boas, Lucien Lévy-Bruhl und James<br />
Frazer verbunden ist, und nach einer<br />
allgemeinen Handlungstheorie<br />
für Soziologie und Psychologie haben<br />
Feldforscher seit den 1930er<br />
Jahren Hunderte von empirischen<br />
Studien in unterschiedlichen Weltregionen<br />
und Kulturmilieus durchgeführt,<br />
um den Entwicklungsstand<br />
von Menschen zu messen. In einigen<br />
Fachkreisen wurde immer klarer,<br />
dass die Entwicklungspsychologie,<br />
insbesondere über die Stadientheorie<br />
von Jean Piaget, geeignet sei, die<br />
klassischen Fragen nach der historischen<br />
Entwicklung der menschlichen<br />
Natur zu beantworten. Für sie