soziologie heute Februar 2009
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8 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>Februar</strong> <strong>2009</strong><br />
Bei der „civic religion“ ist nun die<br />
politische Dimension ganz im Vordergrund,<br />
die politische Integration eines<br />
Gemeinwesens oder zumindest einer<br />
Großgruppe. Bei der Sozialreligion im<br />
weiteren Sinne ist dies nicht so stark<br />
ausgeprägt, weil es hier im Wesentlichen<br />
um gesellschaftlich wirksame<br />
Verhaltensweisen und Überzeugungen<br />
geht, die natürlich auch politisch eine<br />
Bedeutung haben können. Ich denke<br />
dabei an die europäischen Gesellschaften<br />
und den Anspruch der Kirchen an<br />
das Erziehungssystem oder das System<br />
der sozialen Dienste.<br />
<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong>: Letzteres führt uns<br />
ja sicherlich in ein Spannungsfeld – in<br />
das Spannungsfeld von Religion und<br />
Politik.<br />
Fürstenberg: Die Kirchen sind in einer<br />
schwierigen Situation. Sie sollen<br />
selbstverständlich die Gemeinschaft<br />
der Gläubigen repräsentieren, wollen<br />
aber auch gesamtgesellschaftlich wirksam<br />
sein und dies in einer Gesellschaft,<br />
die sich weitgehend getrennt hat von<br />
christlichen Glaubensfundamenten<br />
- was wir ja Säkularisierung nennen.<br />
em. Univ. Prof. Dr. Dr.hc.<br />
Friedrich Fürstenberg<br />
Foto: sparkie, pixelio<br />
Und um nun gesamtgesellschaftlich<br />
wirksam sein zu können, müssen die<br />
Kirchen gleichsam wie Interessensgruppen<br />
auftreten. Sie müssen für ihre<br />
Überzeugungen werben und da geraten<br />
sie in den Wettstreit mit anderen<br />
Interessensgruppen, die ebenfalls Einfluss<br />
nehmen wollen. Nun finden die<br />
Kirchen Bundesgenossen, z. B. unter<br />
den Politikern, die grundsätzlich vielleicht<br />
auch mit dem übereinstimmen,<br />
was die Kirchen repräsentieren, aber<br />
doch im Alltagsgeschäft viele Kompromisse<br />
eingehen müssen. Hier geraten<br />
die Kirchen rasch in die Rolle dessen,<br />
der Werte repräsentiert, zugleich aber<br />
auch das politische Handeln der Anhänger<br />
rechtfertigt. Die Kirche wird<br />
somit nicht nur zum Repräsentationsfaktor<br />
von Werten, sondern auch zum<br />
Rechtfertigungsinstrument. Hier kann<br />
sie relativ schnell in die Kritik geraten<br />
- vor allen Dingen wiederum seitens<br />
derjenigen, die sagen, ja, was hat<br />
denn nun diese spezifische, politisch<br />
relevante Maßnahme eigentlich mit<br />
unseren Grundüberzeugungen, zum<br />
Beispiel mit dem Christentum, zu tun?<br />
Das ist das große Dilemma, in dem<br />
die Kirchen sich befinden, wenn sie<br />
sich zu sehr auf Politik einlassen und<br />
nicht doch eine gewisse Eigenständigkeit<br />
bewahren, die letztlich mit ihrem<br />
Grundauftrag zusammenhängt. Der<br />
Grundauftrag der Kirchen ist ja nicht,<br />
die Gesellschaft zu dominieren und zu<br />
herrschen, sondern der Grundauftrag<br />
ist vielmehr die Repräsentation auf<br />
Gemeinschaftsebene und die Verkündigung<br />
des Glaubens.<br />
<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong>: Welchen Ausweg aus<br />
diesem Dilemma sieht der Soziologe?<br />
Fürstenberg: Erstens müssen wir anerkennen,<br />
dass es sehr unterschiedliche<br />
Einstellungen zur Religion oder unterschiedliche<br />
Formen von Religiosität<br />
gibt. Im kirchlichen Bereich finden wir<br />
den traditionellen Gemeindechristen,<br />
weiters den sogenannten mündigen<br />
geb. 1930 in Berlin, 1953 Dr. rer. pol. Universität Tübingen, 1953-1957 Forschungsaufenthalte<br />
in den USA, Großbritannien und Frankreich, 1959-1961 Leiter der Abteilung<br />
Ausbildung in der Zentralverwaltung Daimler-Benz AG, 1961-1963 Geschäftsführer des<br />
Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen, 1962 Habilitation.<br />
1963-1966 Professor für Soziologie TU Clausthal, 1966-1981 Johannes Kepler<br />
Universität Linz/Österreich, 1981-1986 Ruhr-Universität Bochum, seit Herbst 1986<br />
Universität Bonn (1995 Emeritierung). Gastprofessuren an der University of Liverpool,<br />
Universität Gesamthochschule Siegen, Macquarie University, Australien, Keio Universität,<br />
Tokyo, Universität Sofia, Bulgarien, Colegio de Puebla, Mexiko,Tsinghua TU Beijing,<br />
China, TU Wien, Universität Salzburg. 1964-1967 Vorsitzender des Fachausschusses für<br />
Religions<strong>soziologie</strong> der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, 1967-1969 Vorsitzender<br />
der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft, 1983-1986 Präsident der International Industrial<br />
Relations Association, 1988-1998 Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftlicher<br />
Institute. 1991 Ehrendoktorat der Soka Universität Tokyo; Ehrenpräsident<br />
des Berufsverbandes der Soziologinnen und Soziologen Österreichs.<br />
Weltchristen, der gar nicht so viel das<br />
Gemeinschaftsleben der Kirche mit<br />
trägt. Dann haben wir den indifferenten<br />
Nominalchristen oder auch den,<br />
der vollständig der Kirche entfremdet<br />
ist. Wenn wir das jetzt allgemein<br />
betrachten, so gibt es Menschen, die<br />
stark wertbezogen handeln und sich<br />
darüber Gedanken machen und Menschen,<br />
die das eigentlich verdrängen<br />
und gar nicht so wichtig nehmen in<br />
ihrer Alltagspraxis.<br />
Das Erscheinungsbild des religiösen<br />
Lebens ist sehr vielfältig und gehorcht<br />
nicht einer einzigen Regel allein. Hinzu<br />
kommt auch, dass natürlich Vieles<br />
nicht mehr so einheitlich betrachtet<br />
werden kann. Wir leben schließlich<br />
in einer Gesellschaft, in der viele Religionen<br />
präsent sind. Denken Sie nur<br />
mal an den Bau von Moscheen und<br />
dergleichen. Auf der anderen Seite<br />
haben wir eine Gesellschaft, in der<br />
viele Menschen indifferent sind. Der<br />
Ausweg liegt vielleicht darin, dass wir<br />
anstreben müssen, durch Erziehung<br />
und Bildung den Menschen gewisse<br />
Grundwerte zu vermitteln, Werte, die<br />
sie brauchen, um miteinander in Frieden<br />
leben zu können und sich und anderen<br />
den Raum zur Verwirklichung<br />
auch zugestehen. Natürlich muss man<br />
auch etwas Bestandsbewahrung betreiben.<br />
Man möchte ja das, was man<br />
für richtig erkannt hat, auch vertreten<br />
können.<br />
Das heißt also: es muss einen Freiraum<br />
geben für religiöse, für sozialreligiöse<br />
Aktivitäten, aber eben Aktivitäten, die<br />
offen bleiben auch für die Kritik anderer<br />
und für die Selbstkritik.<br />
AUSGEPLAUDERT<br />
Lieblingsspeise:<br />
Tafelspitz mit Kren<br />
Lieblingsgetränk:<br />
mittags gerne Weißwein, abends Rotwein<br />
Lieblingsautor:<br />
Theodor Fontane (Der Stechlin)<br />
Lieblingsmusik:<br />
Klarinettenkonzert von Mozart<br />
Größter Wunsch:<br />
ein friedliches Zusammenleben der Menschen,<br />
indem wir aufeinander zugehen,<br />
voneinander lernen und uns gegenseitig bereichern