soziologie heute Februar 2009
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26 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>Februar</strong> <strong>2009</strong><br />
Beobachten, Abtasten, Festhalten, Heranziehen, Verdauen - unsere Überwachungsgesellschaft<br />
lässt bei manchem das Gefühl aufkommen, einer mythischen<br />
Riesenkrake ausgeliefert zu sein.<br />
in seinem 2005 erschienenen Buch<br />
„Die Überwachungsmafia“ auf den oft<br />
leichtsinnigen Umgang mit der Informationstechnologie<br />
aufmerksam gemacht.<br />
Die Profilerstellung von Flugpassagieren<br />
– von amerikanischen<br />
Bürgerrechtsorganisationen und dem<br />
EU-Parlament stark angegriffen – ist<br />
ein Beispiel dafür, wie Klassen von<br />
Menschen erzeugt werden können, die<br />
ihrer Rechte permanent beraubt sind.<br />
Ein Überwachungssystem, welches<br />
bislang nur in Spionagefilmen erwähnt<br />
wurde und dessen Existenz von den betreibenden<br />
Ländern USA, Großbritannien,<br />
Kanada, Australien und Neuseeland<br />
niemals offiziell bestätigt wurde,<br />
ist „Echolon“. Dieses globale Spionagesystem<br />
überwacht Telefongespräche,<br />
Faxmeldungen, E-Mails, Fernschreiben,<br />
Videokonferenzen und die Funksprechkommunikation.<br />
2001 verabschiedete<br />
das Europaparlament eine Resolution,<br />
welche die Existenz Echolons bestätigte<br />
und auf die ernste Verletzung der<br />
Privatsphäre von Menschen, welche<br />
im Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />
garantiert ist,<br />
hinwies. Ström weist darauf hin, dass<br />
Echolon entgegen der ursprünglichen<br />
Intention auch für Wirtschaftsspionage,<br />
die Überwachung von politischen<br />
Gegnern und ideellen Organisationen<br />
(Greenpeace, Amnesty International)<br />
verwendet wird.<br />
Dass Mobiltelefone – sobald sie eingeschaltet<br />
sind – den Standort des<br />
Benutzers in Großstädten bis auf wenige<br />
hundert Meter genau verraten,<br />
ist vielen bekannt. Zur Standortüberwachung<br />
oder auch zur Personenkontrolle<br />
werden neuerdings jedoch<br />
immer mehr Mikrochips verwendet.<br />
„Gechippt” zu sein soll offenbar das<br />
Leben einfacher machen – nicht nur<br />
bei der Reise, sondern auch beim<br />
Geld abheben oder beim Einloggen<br />
in den Computer. Zur Überwachung<br />
von Kindern werden bereits „persönliche<br />
Lokalisatoren“, Armbänder mit<br />
integrierter GPS-Navigation angeboten.<br />
6 Auf schleichende – bestimmte<br />
Bedürfnisse und Vorteile für den Konsumenten<br />
betonende – Art und Weise<br />
macht sich die neue Technik bei uns<br />
breit und wird – ehe man sich versieht<br />
– zur Selbstverständlichkeit. Einmal<br />
akzeptiert ist sie Bestandteil unseres<br />
täglichen Lebens. Die elektronische<br />
Überwachung im öffentlichen Raum,<br />
am Arbeitsplatz, ja sogar im eigenen<br />
Haushalt – all dies ist für uns schon<br />
Realität.<br />
Seit der Gewaltenteilungslehre von<br />
Charles de Montesquieu (1689 – 1755)<br />
steht fest, dass die Bürger vor unangemessenem<br />
Zugriff des Staates zu<br />
schützen sind. Die Terrorattacken der<br />
letzten Jahre haben jedoch die Sehnsucht<br />
nach einem starken Staat, der<br />
Foto (Octopus): Miginfo, pixelio; Bearbeitung: <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong><br />
Sicherheit garantiert, wieder aufleben<br />
lassen und den eigentlichen Sinn von<br />
Montesquieus „Geist der Gesetze“ in<br />
den Hintergrund gedrängt. Der seinerzeit<br />
gefährliche, übermächtige Staat<br />
ist in den Augen der heutigen Bürger<br />
ein Verbündeter im Kampf gegen das<br />
Böse schlechthin. Im Kampf gegen<br />
den Terror droht unser Staat zu einem<br />
Präventionsstaat zu werden, welcher<br />
Polizei und Geheimdiensten nie dagewesene<br />
Eingriffsmöglichkeiten in<br />
unser Privatleben gewährt und unsere<br />
Rechtstraditionen in Frage stellt.<br />
Jüngstes Beispiel dafür ist u. a. auch<br />
der Einsatz von Trojanern in private<br />
Computersysteme bzw. die in Großbritannien<br />
ab Mitte März startende<br />
Vorratsdatenspeicherung von sämtlichen<br />
(auch privaten) Emails. Mit der<br />
Begründung, es sei zum Besten der<br />
BürgerInnen, werden Gesundheits-,<br />
Ausbildungs-, Finanzdaten etc. elektronisch<br />
erfasst und verwaltet. Bedenklich<br />
wird dies vor allem dadurch,<br />
dass immer mehr Institutionen Daten<br />
mithilfe der Sozialversicherungsnummer<br />
der BürgerInnen abrufen und miteinander<br />
verbinden. Verstärkt werden<br />
die Bedenken durch jüngste - in den<br />
Medien gemeldete - Vorfälle, wo Datenträger<br />
aus öffentlichen Einrichtungen<br />
mit hochsensiblen BürgerInnendaten<br />
verschwinden oder zum Kauf angeboten<br />
werden.<br />
Totale Sicherheit in Freiheit ist eine<br />
Illusion und die Suggerierung dieses<br />
Begriffs verleugnet das eigentliche<br />
Grundproblem, das es zu lösen gilt:<br />
Welches Risiko ist die Gesellschaft bereit,<br />
im Interesse ihrer Freiheit in Kauf<br />
zu nehmen? Statt das Sicherheitsgefühl<br />
der Bevölkerung zu stärken, zeichnet<br />
sich eine Entwicklung ab, bei welcher<br />
der zunehmend verunsicherte Bürger<br />
einem immer undurchschaubareren<br />
und vermehrt auch unberechenbareren<br />
Leviathan ausgeliefert wird.<br />
Der Angstbegriff „Terror“ scheint<br />
<strong>heute</strong> zu einer sich selbst erfüllenden<br />
Prophezeiung zu werden – ergänzt<br />
durch den neu belebten Begriff<br />
„Überwachungsgesellschaft“. Durch<br />
die zahlreicher werdenden Kontrollen<br />
zum Schutz vor „Terror“ werden<br />
gleichzeitig die in der Vergangenheit<br />
oft mühsam erkämpften Freiheitsrechte<br />
unserer (westlichen) Mehrheitsgesellschaft<br />
sukzessive eingeschränkt.<br />
Es scheint fast so, dass aus<br />
dem „Krieg gegen den Terror“ ein