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Flüchtlingsschicksale - Wie acht afghanische Jungen in Düsseldorf ein neues Leben beginnen wollten

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"küssen = mit den Lippen berühren", schreibt die Lehrer<strong>in</strong> ungerührt an die<br />

weiße Tafel. Sie lässt die Flüchtl<strong>in</strong>ge beim Besuch im Baumarkt Wörter wie<br />

Rüttelschüttler lernen, und für e<strong>in</strong>e der folgenden Wochen hat sie e<strong>in</strong><br />

Speeddat<strong>in</strong>g organisiert. Zum E<strong>in</strong>stand neulich waren fast 40 Gäste<br />

gekommen, persischer Pop und R&B bis <strong>in</strong> den Abend, Biertische neben den<br />

Sträuchern im Garten, und Jörg Haas, der Hausbesitzer, freute sich, weil auch<br />

Nachbarn kl<strong>in</strong>gelten, die ihn zuvor gefragt hatten, ob die Jungs nicht Unordnung<br />

<strong>in</strong>s Viertel brächten. Gleichaltrige aber hatten gefehlt. Nun sollen die Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />

endlich mehr Jugendliche aus dem Stadtteil kennenlernen.<br />

"Wir üben noch e<strong>in</strong>mal", ruft die Lehrer<strong>in</strong>. "Ashraf!" Verlegen zieht der Junge<br />

das Hemd glatt. Dann weist er freundlich auf die eigene Brust. "Guten Tag, ich<br />

b<strong>in</strong> Ashraf", sagt er vorsichtig. "Und du? Ich freue mich, dich kennenzulernen."<br />

Später, beim Speeddat<strong>in</strong>g, muss er sich immer wieder räuspern. Aber alle, sagt<br />

er nachher stolz, hätten geantwortet. Noch gibt fast die Hälfte der Deutschen <strong>in</strong><br />

Umfragen an, sich für Flüchtl<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>zusetzen. Manchmal br<strong>in</strong>gen Anwohner<br />

Kleider im Haus vorbei, andere spenden Handtücher. Und wie als Gegengabe<br />

sammeln die <strong>Jungen</strong> beim "Dreck-weg-Tag" im Viertel den Müll auf. Es ist, auch<br />

diese Worte lernen sie, der Zauber e<strong>in</strong>es Anfangs.<br />

Mai 2016, Herr Sameeian ruft die Teenager im Garten zusammen. Fliederduft<br />

hängt über dem sonnigen Rasen, bis Masoom e<strong>in</strong>e Zigarette anzündet. Der<br />

Pädagoge hockt sich mit <strong>in</strong>s Gras, dann legt er los. "So geht es nicht", sagt er.<br />

"Ihr müsst die Regeln e<strong>in</strong>halten." 50 Euro dürfen sie geme<strong>in</strong>sam am Tag für<br />

<strong>Leben</strong>smittel ausgeben, dennoch kommt immer wieder e<strong>in</strong>er mit Chips statt<br />

Kartoffeln vom E<strong>in</strong>kauf zurück. Der Nächste verschläft den Deutschunterricht,<br />

e<strong>in</strong> anderer den Term<strong>in</strong> im Jugendamt. "Wir werden aufhören, euch zu<br />

wecken", kündigt Herr Sameeian an. "Und benutzt e<strong>in</strong>en Wochenplaner!" Erst<br />

als die <strong>Jungen</strong> protestieren, merkt er, dass die meisten noch nie e<strong>in</strong>en Kalender<br />

<strong>in</strong> den Händen gehalten haben.<br />

Nach fünf Monaten kommt es ihm oft noch vor, als lebe er mit Unbekannten. Es<br />

geht ihm nicht darum, ob die Flüchtl<strong>in</strong>ge bei der E<strong>in</strong>reise vielleicht falsche<br />

Geburtsdaten angegeben haben. Er ist Pädagoge, die <strong>Jungen</strong> brauchen Hilfe,<br />

sie benehmen sich wie Teenager - das reicht ihm. Ihre Biografien allerd<strong>in</strong>gs<br />

bleiben ihm e<strong>in</strong> Rätsel. Die Betreuer sollen nicht <strong>in</strong> Vergangenem bohren, um<br />

ke<strong>in</strong>e Traumata wiederzubeleben. Er könne nur aufmerksam beob<strong>acht</strong>en und<br />

zuhören, sagt Herr Sameeian. Es bleiben Bruchstücke.<br />

Jamil spricht am besten Deutsch.<br />

Abdullah scherzt viel, schreckt aber kaltgeschwitzt aus Albträumen auf.<br />

http://www.spiegel.de/spiegel/fluechtl<strong>in</strong>ge-<strong>in</strong>-duesseldorf-wol…e-afghanen-e<strong>in</strong>-<strong>neues</strong>-leben-beg<strong>in</strong>nen-a-1195395-druck.html<br />

28.02.18, 11C03<br />

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