Flüchtlingsschicksale - Wie acht afghanische Jungen in Düsseldorf ein neues Leben beginnen wollten
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Sie müssten das eigene Verhalten ändern, appelliert Cramer an die Betreuer.<br />
"Lasst die Jungs nach Wohnungen suchen, wenn sie meckern. Lasst sie Preise<br />
herausf<strong>in</strong>den und mit Vermietern reden. Sie brauchen dr<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong>en<br />
Realitätscheck."<br />
An e<strong>in</strong>em der letzten Adventstage ziehen die Flüchtl<strong>in</strong>ge los. Sie wollen e<strong>in</strong>en<br />
Weihn<strong>acht</strong>sbaum kaufen. Die Stimmung müsse wieder besser werden, f<strong>in</strong>det<br />
Jamil. Jörg Haas, der Unternehmer, begleitet die Teenager; auch se<strong>in</strong>e Frau<br />
und die K<strong>in</strong>der kommen mit.<br />
Zwei Kilometer weit laufen sie zum Stand mit den Tannen, Afghanen und<br />
Deutsche, lachend, erzählend, auf dem Rückweg schultern die <strong>Jungen</strong> den<br />
Baum. E<strong>in</strong> Lagerfeuer im Garten, Suppe, anschließend hängen alle geme<strong>in</strong>sam<br />
goldene Kugeln an die Zweige. Vone<strong>in</strong>ander erfahren, andere Perspektiven<br />
gew<strong>in</strong>nen: Auf solche Momente hatte Haas gehofft. Noch immer s<strong>in</strong>d sie selten.<br />
Wenn die Flüchtl<strong>in</strong>ge mit ihm Fußball spielen oder e<strong>in</strong> Werkzeug ausleihen,<br />
scherzen sie, und es begeistert ihn, dass sie immer besser Deutsch sprechen.<br />
An manchen Tagen hilft er bei den Hausaufgaben. Aber die <strong>Jungen</strong> bleiben ihm<br />
fremder, als er es sich gewünscht hat.<br />
"Wir tasten uns ane<strong>in</strong>ander heran", sagt Jörg Haas. "Es dauert viel länger, als<br />
ich es mir vorgestellt hätte."<br />
Januar 2017. Seit Abdullah tra<strong>in</strong>iert, se<strong>in</strong> <strong>Leben</strong> zu erzählen, quälen ihn<br />
n<strong>acht</strong>s wieder die Er<strong>in</strong>nerungen. Ashraf und er werden bald 18. Ihnen steht, wie<br />
die Freunde me<strong>in</strong>en, das wichtigste Jahr ihres <strong>Leben</strong>s bevor.<br />
Sie haben die Wohnung geputzt, neben e<strong>in</strong>em Becher Tee mit Kardamom liegt<br />
auf dem Fensterbrett e<strong>in</strong> Leitfaden für Flüchtl<strong>in</strong>ge. Regelmäßig üben die<br />
<strong>Jungen</strong> nun, <strong>in</strong> lauter E<strong>in</strong>zelheiten über ihre Vergangenheit zu sprechen. Sie<br />
lernen auch viel für die Schule <strong>in</strong> diesen Tagen, unter Abdullahs Tests <strong>in</strong><br />
Biologie und Erdkunde steht "sehr gut". Ke<strong>in</strong>e andere Prüfung bereiten sie<br />
jedoch so sorgfältig vor wie den Term<strong>in</strong> im Bundesamt. Jedes Detail, so haben<br />
sie erfahren, steigere die Glaubwürdigkeit.<br />
Ashraf und Abdullah haben ihre Asylanträge gestellt. Anhörer werden sie<br />
anhören, Dolmetscher dolmetschen, Entscheider entscheiden; mittlerweile s<strong>in</strong>d<br />
den <strong>Jungen</strong> die Vokabeln geläufig. Ihre Träume haben sie verschoben. Arzt<br />
oder Bankkaufmann könnten sie vielleicht später noch werden. Sie wollen jetzt<br />
schnell e<strong>in</strong>e Lehrstelle f<strong>in</strong>den. Sollten ihre Asylanträge abgelehnt werden,<br />
könnte ihnen e<strong>in</strong>e Ausbildungsduldung gewährt werden, auch dieses Wort<br />
kennen sie <strong>in</strong>zwischen.<br />
http://www.spiegel.de/spiegel/fluechtl<strong>in</strong>ge-<strong>in</strong>-duesseldorf-wol…e-afghanen-e<strong>in</strong>-<strong>neues</strong>-leben-beg<strong>in</strong>nen-a-1195395-druck.html<br />
28.02.18, 11C03<br />
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