E_1928_Zeitung_Nr.099
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— 192R AUTOMOBIL-REVUE<br />
IM SCHÖNEN LAND TIROL.<br />
Unser «Grauchen» ist ein Auto und wir<br />
sefcen ihm aus lauter Zärtlichkeit diesen Kosenamen;<br />
denn mit der Sicherheit eines zuverlässigen<br />
Kameraden führt es uns hinaus in die<br />
weite Welt, nach Süd, Nord, Ost oder West.<br />
Es kommt auch aus einem guten Stall, wenn<br />
auch Serienkarosserie, so doch prima Stammbaum.<br />
Dieses Mal hatte es uns an die Gestade der<br />
blauen Adria geführt, und nachdem wir uns<br />
dort in Sonne und Meer reichlich gebadet hatten,<br />
ging es über die Dolomiten, Brenner und<br />
Arlberg heimwärts. Grauchen wurde aus<br />
dem Stall geholt und mit einer Ladung handlicher-Lederkoffern,<br />
die unsere Kleider, Zahnbürsten<br />
und was sonst noch nötig ist, enthielt,<br />
bepackt, die Mannschaft, die zugleich als<br />
Pfadfinder, Dolmetscher etc. funktionierte,<br />
bestieg Grauehen, unser Steuermann setzte<br />
sich ans Rad, und fort giflg's auf breiter Autostrasse<br />
über Rimini und Forll Ravenna entgegen.<br />
Rechts und links der Strasse schauten<br />
da und dort durch Parkgitter die Sommersitze'<br />
italienischer Granden wie verträumte<br />
Märchen aus dem Grün der alten Parkbäume<br />
hervor. Ueberall dasselbe Bild, gut angepflanzte<br />
Felder, arbeitende, frohe Menschen,<br />
lachende Sonne, blauer Himmel und — keine<br />
Autofallen. Die Strassen in der Romagnola<br />
und im Veneto waren durchweg breit und gut<br />
gepflegt, zum Teil links und rechts mit schattigen<br />
Bäumen bepflanzt Kein Wunder, dass<br />
Grauchen sein Bestes gab und die Stimmung<br />
der Mannschaft mit der sonnigen Umgebung<br />
wetteiferte. Abwechslungsreiche Bilder entroHten<br />
sich unserem Auge. Bald waren es<br />
die zackigen Felskuppen der Dolomiten, die<br />
uns in Enthusiasmus versetzte, bald berichteten<br />
wieder die einsamen Soldatenfriedhöfe<br />
rechts und links der Strasse von Kämpfen<br />
und einsamem Verbluten.<br />
. Allmählich aber weitete sich das Tal und<br />
die fruchtbaren Gelände des Südtirols erfreuten<br />
wieder das Auge, während die Berge<br />
ringsum bedeuteten, dass wir immer mehr<br />
dem Norden entgegenfuhren.<br />
Grauchen nahm Berg- und Talstrassen<br />
mit Würde und Selbstsicherheit. Doch als<br />
wir so gegen die Passhöhe des Brenners hinaufkamen,<br />
fing es an zu erlahmen. Seine<br />
Rasse, mit der es uns immer imponiert hatte,<br />
war dahin, so wie ein müdes Tierchen kroch<br />
es weiter. Die Mannschaft, schien das weiter<br />
f noch•£ar nicht sp :als ungehörig, zu .empfinden,<br />
den- Steuermann aber überkam gelindes<br />
Grauen. Verstopfte Benzinleitung, verdrehte<br />
Dtjsen — Zündungsdefekt — selbst ein erfahrener<br />
Steuermann neigt leicht dazu, sich<br />
mit dem Allerschlimmsten zu erschrecken.<br />
Zum Glück fuhr Grauchen, wenn auch sehr<br />
langsam, unentwegt weiter, und da zudem die<br />
Passhöhe erreicht war, so fing es unserem<br />
Steuermann an, leichter zu werden. Die Passformalitäten<br />
machten keine weitern Schwierigkeiten,<br />
und als wir auf österreichischer<br />
Seite den nicht gerade bescheidenen Strassenzioll<br />
entrichtet hatten, wurde der Schlagbaum,<br />
der die Strasse versperrte, zurückgezogen<br />
und wir durften unbehelligt einziehen ins<br />
schöne Land Tirol. Grauchen schien sich<br />
nach dieser Ruhepause auch wieder erholt zu<br />
haben und trug uns mit seiner gewohnten Sicherhett<br />
das Tal hinunter. Unser Steuermann<br />
atmete erleichtert auf; denn die Bremsen<br />
funktionierten einwandfrei und das viele<br />
Bergsteigen glaubten wir nun Gott sei Dank<br />
hinter uns zu haben. Nach Innsbruck kam die<br />
erste Autopanne. Grauchen hatte plötzlich<br />
einen Plattfuss. Flugs wurde das Rad gewechselt<br />
und hernach ging's Landeck entgegen,<br />
wo wir nächtigen wollten.<br />
Doch der Mensch denkt, das Auto aber —.<br />
Die Strasse war längst nicht mehr so breit<br />
und gutgepflegt wie in Italien und zum Teil<br />
im Südtirol. Sie wurde immer schmäler, kurvig,<br />
bergauf, bergab, holperig und ungepflegt.<br />
Bergwärts lahmte Grauchen wieder ganz bedenklich<br />
und zum Ueberfluss bemerkten wir<br />
einen recht eigentümlichen Geruch, wie von<br />
angebranntem Leder im Wagen. Weit und<br />
breit kein Dorf, kein menschliches Wesen.<br />
Unser Steuermann kletterte aus dem Wagen,<br />
hob die Motorhaube auf, schraubte die Kerzen<br />
heraus, setzte den Motor wieder in Funktion,<br />
er lief ruhig wie immer. Es Hess sich<br />
einfach nichts finden. Auf einmal, — wir<br />
rechneten eben aus, dass wir bis Landeck<br />
noch 18 km hätten, blieb Grauchen nach einigen<br />
Metern plötzlich stehen. Der Motor arbeitete<br />
zwar wie sonst, doch der Wagen wollte<br />
einfach nicht vorwärts. Jetzt merkten wir,<br />
aha die Kupplung!<br />
Wir stiegen aus und betrachteten unseren<br />
Reisekameraden, der uns nun so kurzerhand<br />
im Stiche Hess.<br />
Da, wie aus dem Erdboden gewachsen, erschienen<br />
zwei Eingeborne in Lederhosen, das<br />
Pfeifchen im Mund und glotzten uns an.<br />
»Schiebens den Wagen doch r'über.» Jetzt<br />
erst sahen wir, dass weiter seitwärts ein grösseres<br />
Bauerngehöft war, zu dem unsere bei-<br />
"den Zuschauer wohl gehörten. Wir fragten<br />
sie, ob in der Nähe ein Bahnhof oder sonst<br />
die Möglichkeit sei, zu telephonieren. Sie verneinten.<br />
Wenn jetzt kein Auto kommt, so haben<br />
wir zum Schluss unserer glänzenden<br />
Fahrt noch das Vergnügen, im Auto zu nächtigen.<br />
Wir warteten und warteten, doch nirgends<br />
Hessen sich so verheissungsvolle Lichter<br />
blicken. Unser Steuermann und eine Abteilung<br />
unserer Mannschaft gingen nun dem<br />
Hause zu und wollten etwas Milch und Brot<br />
kaufen; denn unsere Rationen waren aufgezehrt.<br />
Ein menschenähnliches Wesen bedeutete<br />
ihm, man hätte keine «Automilch». Nun<br />
bat man, ob die zwei weiblichen GUeder unserer<br />
Mannschaft in der Wohnstube nächtigen<br />
dürften. Das Ansuchen wurde wegen Platzmangel<br />
abgewiesen. Dabei hätten sich in der<br />
Stube etliche Paare im Walzer drehen können<br />
und Stühle gab es auch um den Tisch herum.<br />
Menschenfreundlichkeit, du holdes Blümerl<br />
gedeihst scheint's auch nicht überall im<br />
Tirolerland. Nun machten wir es uns, so gut<br />
es ging im Wagen bequem und dachten an<br />
nichts anderes mehr, als ans Schlafen; müde<br />
genug waren wir. Wenn nur nicht dieser eck-<br />
Hge Geruch im Wagen gewesen wäre, so dass<br />
wir die Fenster nicht schliessen konnten und<br />
die Nacht war, gegenüber der Wärme, die wir<br />
von Mittel-Italien gewohnt waren, reichlich<br />
kühl. Plötzlich, es war noch keine Stunde vergangen,<br />
leuchtete der Horizont auf.<br />
Ein Auto! Vor Freude wurden alle wieder<br />
wach. Nach kurzer Zeit stehen die Lichter<br />
dicht vor uns. Ein Bierlastwagen! Der Chauffeur<br />
war bereit, uns angeseilt mitzuschleppen.<br />
Leider fuhr er nicht nach Landeck, so dass<br />
wir wieder nach Imst zurückkehren mussten,<br />
woher wir kamen. Doch wir waren heilfroh,<br />
wenigstens vom Fleck zu kommen. Um Mitternacht<br />
langten wir vor dem Gasthof zur<br />
Post im Imst an. Doch bittere Enttäuschung!<br />
Das Gasthaus war im Umbau begriffen und<br />
kein Zimmer zu bekommen. Die Wirtin gab<br />
uns nun den Hausknecht mit und so zogen<br />
wir in mitternächtlicher Stunde durch die<br />
Gassen Imsts ein Nachtquartier suchend.<br />
Plötzlich ertönte von der Höhe eines Hauses<br />
herab eine Stimme, die uns die vier so ersehnten<br />
Lager verhiess. Grauchen schöben<br />
wir erst in einen Schopf, deckten ihn mit Tüchern<br />
gut zu, gaben ihm zum Abschied einen<br />
freundschaftlichen Klaps und marschierten<br />
dann unserem Nachtquartier entgegen.<br />
•.".In.einem, urcnlgen tirolerhaüs kamen wir<br />
über eine steile, dunkle Treppe auf einen langen<br />
Gang aus Steinfliesen. Erstaunt sahen<br />
wir, dass auf ihm grosse Haufen Schwalbenkot<br />
lagen. Verwundert fragten wir unseren<br />
Führer, der uns mit einer Kerze voranleuchtete,<br />
warum man hierzulande diese Dinger an<br />
einem Samstag nicht entferne? Doch ganz<br />
entsetzt sagte er uns: «Das tut man nicht,<br />
das bringt doch Glück!» Nun schauten wir die<br />
Dinger schon von einem anderen Gesichtswinkel<br />
an, nahmen grosse Schritte darüber<br />
und hofften im Stillen, sie möchten nun auch<br />
uns Glück bringen zum morgigen Start. (Trotz<br />
dem grossen Schritt!)<br />
Am anderen Tag, einem Sonntag morgen,<br />
telephonierten wir einer Auto-Reparaturwerkstätte<br />
nach Landeck. Wir hatten vorerst in<br />
Imst schon beim einzigen Mechaniker, den es<br />
dort gab, unser Glück versucht und ihn gebeten,<br />
er möchte uns einige Blechstücklein beim<br />
Kuppelleder einschieben, damit das ganze<br />
wieder anpacke. Doch er erklärte, keine Zeit<br />
zu haben, da er für eine Sitzung ein Protokoll<br />
abfassen müsse. «Wartemer also geduldigl»<br />
Nach reichlich zwei Stunden, während welchen<br />
wir bereits halb Imst als Gaffer um unser<br />
Auto versammelt hatten und Grauchen<br />
sich ordentlich schämte, dass es nicht auf und<br />
davon entfliehen konnte, sauste etwas auf einem<br />
Motorrad daher. Es war unser Helfer in<br />
der Not. Flugs klemmte er uns etliche Blechlein<br />
zwischen das Kuppelleder und meinte<br />
dann, wir sollen jetzt nur langsam voran fahren,<br />
er komme dann nach. Erst wollte er natürlich<br />
noch eine Stärkung nehmen.<br />
Anfangs fuhr Grauchen frisch drauflos,<br />
doch als die Strasse ziemlich lang steil aufwärts<br />
ging, stand es plötzlich wieder still.<br />
Nun musste der gute Mann wohl oder übel<br />
doch auf seinen Imbis verzichten und mit uns<br />
fahren. Erst klemmte er noch mehr Blechlein<br />
zwischen das Kuppelleder und fuhr uns dann<br />
in ganz langsamem Tempo bis Landeck. Noch<br />
nie hat uns eine Strasse so lange gedünkt, wie<br />
diese und der Sinn für die Schönheiten des<br />
Landes Tirol ging bei der Mannschaft ganz<br />
verloren. Da.es Sonntag war, wurde Grauchen<br />
in Landeck in die Garage gestellt, und<br />
wir hatten das Vergnügen, so in nächster<br />
Nähe der Schweizergrenze noch einmal unfreiwillig<br />
festzusitzen. Wir fügten uns ins<br />
Unvermeidliche, schauten uns den Ort die<br />
kreuz und quer an, machten einen Aufstieg<br />
aufs Schloss und hatten am Abend noch die<br />
erfreuliche Ueberraschung, plötzlich auf einer<br />
Bergwiese, deren Hintergrund zackige Felsen<br />
waren, die sich wie riesige Kulissen vom Blauschwarz<br />
des nächtlichen Himmels abhoben,<br />
ein mächtig beleuchtetes weisses Kreuz im roten<br />
Feld zu sehen. «Unser Schweizerwappen»,<br />
riefen wir hellerfreut. Auf unser Nachfragen<br />
erfuhren wir, dass heute, es war der 1. August,<br />
die Schweizerkolonie in Landeck ihren<br />
Nationaltag so begehe.<br />
Am Montag morgen ging's dann gemütlich<br />
an die Reparatur. 6 Uhr Abends wurde es, bis<br />
das neue Kuppelleder ersetzt und alles wieder<br />
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zusammengeschraubt war. Nicht mehr als<br />
zwei neue Leder mussten geschnitten werden,<br />
da sie immer zu kurz abgeschnitten waren<br />
und mit dem Strecken und Ziehen ging viel<br />
Zeit verloren. Als Grauchen endlich wieder<br />
startbereit war und man den Motor probierte,<br />
klopften die Kolben fürchterlich. Der Mechaniker<br />
orakelte: «Mit dem Wagen kommen Sie<br />
keine 100 Meter weit.» Nun, unser Steuermann<br />
war anderer Meinung. Er behauptete, Grauchen<br />
habe zu kalt gehabt, daher das Klopfen.<br />
Wir alle hatten Landeck und die ganze Tirolergemütlichkeit<br />
so satt, dass wir uns kurzerhand<br />
entschlossen, noch um 6 Uhr abends<br />
über den Arlberg zu fahren. Allerdings nahmen<br />
wir den Mechaniker bis Stuben mit. Unser<br />
Steuermann hatte recht behalten. Das<br />
Klopfen gab während des Fahrens nach,<br />
Grauchen fuhr ruhig seine Strasse. Immer<br />
mehr ging es in die Höhe, immer mehr in die<br />
Berge hinein. Ueber grüne Wiesen sprangen<br />
die neugierigen Kühe, um Grauchen zu begrüssen.<br />
Auf breiter, guter Strasse ging es<br />
hinauf zur Passhöhe, mitten in einen dichten<br />
Nebel hinein. Von den Bergen keine Spur. Nur<br />
langsam fuhren wir abwärts, knapp 2 Meter<br />
nebelfreie Bahn vor uns. Weiter unten' teilten<br />
sich die Nebelschleier allmählich, um dann<br />
ganz zu verschwinden. Im Tale angelangt,<br />
konnten wir nun mit unseren guten Lichtern<br />
sicher vorwärts fahren und um 11 Uhr nachts<br />
Feldkirch erreichen. Wir stärkten unsere<br />
müden Lebensgeister an einem appetitlichen<br />
Abendessen und, als die aufmerksame Wirtin<br />
uns noch eine Schweizer-<strong>Zeitung</strong> auf den<br />
Tisch legte, fühlten wir schon Heimatluft uns<br />
umwehen.<br />
Am anderen Morgen früh fuhren wir heimwärts.<br />
Grauchen musste wohl auch fühlen,<br />
dass es dem Stalle zuging. Mit der alten Zuverlässigkeit<br />
führte es uns unserer Heimat<br />
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