E_1938_Zeitung_Nr.033
E_1938_Zeitung_Nr.033
E_1938_Zeitung_Nr.033
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
"' Natürlich gibt es auch viele Träume, deren<br />
Ursachen kaum eruiert werden können. Man<br />
"welss von Musikern, die ihre schönsten Melodien,<br />
von Schriftstellern, die ihre besten<br />
Motive im Schlaf gefunden haben. Ein Schweifte<br />
& .<br />
BERN, Freitag, 22. April <strong>1938</strong> Automobil-Revue - II. Blatt, Nr. 33 •Hanoi*.»....<br />
s -"<br />
Unglücks, half die Verletzten bergen un<br />
brachte sie in seinem eigenen Wagen in die<br />
nächste Stadt ins Hospital. Die abgestop/te<br />
Dauer des Traumes betrug 20 Sekunden.<br />
Gleiche Reize - verschiedene Wirkungen<br />
Besonders interessant ist, dass der gleicH<br />
Reiz auf verschiedene völlig verschiedene Wirkungen<br />
ausübt und Träume von durchaus ungleichem<br />
Inhalt erzeugt. Einer der berühmtesten<br />
«historischen» Träume dürfte der von<br />
Charles Dickens berichtete sein, der in seinem<br />
Armstuhl eingeschlummert war und träumte,<br />
er wäre gestorben und seine Seele in eine Art<br />
Schreinerwerkstatt geraten, wo ungezählte Arbeiter<br />
viele Stunden lang sägten und hämmerten,<br />
um ein Kästchen herzustellen. Einer der<br />
Arbeiter liess ein Brett fallen, worauf Dickens<br />
seine eigene Wiedergeburt erlebte und — aufwachte.<br />
Noch im Erwachen sah er, wie einem<br />
Arbeiter, der im Garten den Zaun ausbesserte,<br />
mit gewaltigem Gepolter ein Brett aus der Hand<br />
glitt und zu Boden fiel; der ganze Traum<br />
konnte nur Sekundenbruchteile gedauert haben<br />
und war im Augenblick des Erwachens<br />
zustandegekommen.<br />
Träume - bleiben Rätsel<br />
Seite jf<br />
Halt! Ein Ruck, noch einer, dann stehen<br />
wir. «Das ist nichts», sagt mein Abteilgenosse,<br />
«sie ölen die Lokomotive». Derartige Aufenthalte<br />
scheinen hier an der Tagesordnung zu<br />
sein, zumal die Strecke jetzt in die Berge<br />
führt.<br />
Jetzt werden die Rucke immer häufiger, die<br />
zurückgelegten Wegstrecken immer kürzer.<br />
Mitten in einem Tunnel geschieht das Unausbleibliche:<br />
wir sind festgefahren. So sehr sich<br />
der Maschinist bemüht — vergeblich. Er bekommt<br />
die Lokomotive nicht flott. Die wenigen<br />
Reisenden steigen aus, fluchend und<br />
schimpfend tasten sie sich durch den stockdunklen<br />
Tunnel zur Maschine. Der Lokomotivführer<br />
kriecht beim Schein einer Blendlaterne<br />
auf den Schienen herum. Wenn man<br />
wenigstens aus dem Tunnel herauskönnte! Er<br />
versucht, die Bremsen zu lockern, nach rückwärts<br />
zu fahren, dabei flucht er französisch,<br />
korsisch und italienisch, und nach einer halben<br />
Stunde wissen wir, dass wir die Nacht in<br />
dem Tunnel verbringen müssen, falls wir es<br />
nicht vorziehen, bis zur nächsten Station zu<br />
gehen. Schweissbedeckt richtet sich der Lokomotivführer<br />
auf, stellt sich auf das Trittbrett<br />
des Wagens, um wie ein Richter das Verdikt<br />
zu verkünden: «Der Bonifacio-Express kann<br />
nicht weiter ...»<br />
Draussen ist es indessen ebenso dunkel gezer<br />
Feuilletonist wacht häufig am Morgen mit<br />
fix und fertig stilisierten und pointierten Geschichten<br />
auf, die er schleunigst noch im<br />
Schlafanzug niederschreibt, da er die Erfahrung<br />
gemacht hat, dass sie sonst nach höchstens<br />
einer Stunde vollständig aus seinem Gedächtnis<br />
entschwunden sind. Immer handelt<br />
es sich dabei um Motive, die ihn tagsüber in<br />
keiner Weise beschäftigt hatten, und niemals<br />
erweist sich an den Niederschriften auch nur<br />
die kleinste Korrektur als notwendig. Die Gelehrten<br />
erklären solche Träume als Arbeit des<br />
«Unterbewusstseins» ; aber es ist nicht ganz<br />
leicht verständlich, wie das Unterbewusstsein<br />
dazu kommt, sich mit Dingen zu befassen, die<br />
mit der wachen Existenz des Träumers nicht<br />
den entferntesten Zusammenhang haben,<br />
Es ist ja nun allerdings anzunehmen, dass<br />
es der Wissenschaft noch gelingen wird, die<br />
für die Träume verantwortlichen Gehirnwindungen,<br />
Drüsen oder andern Organe aufzuspüren.<br />
Aber ob es begrüssenswert ist, dass<br />
auch in diese wenigstens manchmal sorglosen<br />
Winkel unseres Daseins hineingeleuchtet wird<br />
— das ist eine andere Frage ...<br />
Dr. R. Mont.<br />
Abenteuer<br />
im Bonifacio-Express<br />
Der modernen Wissenschaft ist es vorbehalten<br />
geblieben, den realen Zusammenhang zwischen<br />
Traum und Leben zu ergründen. Insbesondere<br />
in allerletzter Zeit hat sich eine Reihe<br />
amerikanischer Forscher damit beschäftigt,<br />
den äusseren Anlässen für bestimmte Träume<br />
nachzugehea und auch die tatsächliche Dauer<br />
von Träumen durch «Tests» festzustellen. Die<br />
beiden Forschungsgebiete sind innerlich voneinander<br />
abhängig;' denn erst seit man die Ursachen<br />
der Träume kennt, kann man durch<br />
deren künstliche Erzeugung die Dauer dieser<br />
Träume förmlich abstoppen. So erzeugte das<br />
schwirrende Geräusch eines elektrischen Ventilators<br />
bei einer Versuchsperson einen Traum<br />
von einer längeren Flugzeugreise; die Berührung<br />
der Hand des Schlafenden mit einem<br />
feuchten Wattebausch verursachte den Traum<br />
von einem Kampf mit einem tollen Hund; die<br />
Entzündung eines Schwefelhölzchens vor seiner<br />
Nase versetzte einen Träumenden zurück<br />
ins Trommelfeuer des Weltkrieges; ein roter<br />
Lichtschein, der auf seine Augen gerichtet<br />
wurde, Hess einen Schläfer furchtbare Aengste<br />
in einem Schneesturm ausstehen. Bei den<br />
durchgeführten Versuchen ergab es sich, dass<br />
Jean Chatbuxn. Photo M. G. M.<br />
Träume<br />
mit der Stoppuhr<br />
mehr als 60 Prozent aller Träume auf optische<br />
Eindrücke zurückzuführen sind; akustische<br />
Ursachen kommen an zweiter Stelle, während<br />
der Geruchs- und Geschmackssinn wesentlich<br />
seltener den Anlass zu Träumen bildet.<br />
Träume dauern nur Sekunden<br />
Die Forschungen des amerikanischen Arztes<br />
Dr. Klein betreffen in erster Linie die Dauer<br />
der Träume. Zu ihrer Feststellung werden die<br />
Versuchspersonen in hypnotischen Schlaf versetzt,<br />
nachdem man sie aufgefordert hat, gut<br />
auf ihre Träume zu achten. Während des<br />
Schlafes werden sie irgendeinem Reiz ausgesetzt<br />
und so rasch wie möglich geweckt. Die<br />
Zeit zwischen der Ausübung des Reizes und<br />
dem Erwachen wird mit der Stoppuhr gemessen.<br />
Bei den bisher durchgeführten Tests wurden<br />
Träume von einer Dauer zwischen 5 und<br />
90 Sekunden registriert; im Traum aber hatte<br />
der Schläfer häufig Erlebnisse, die sich über<br />
viele Stunden erstreckten. So wurde ein Student,<br />
dem das Wort «Hilfe!» zugerufen wurde,<br />
im Traum Zeuge eines furchtbaren Auto-<br />
Der Bonifacio-Express rast mit der Stundengeschwindigkeit<br />
von 23 Kilometer durch das<br />
südliche Korsika. Seine zwei mittelalterlichen<br />
Waggons werden von einer Liliputlokomotive<br />
gezogen, die fortwährend angehalten und geölt<br />
werden muss, um die Strecke zu bewältigen.<br />
Wenn der Bonifacio-Express um zehn<br />
Uhr früh in Ajaccio wegfährt, weiss man niemals,<br />
ob er am Abend dieses Tages wohlbehalten<br />
in Bonifacio ankommen wird.<br />
Vor diesem Zug wird man gewarnt. Von<br />
den Freunden in Marseille, denn sein Ruf<br />
ist bis auf den Kontinent gedrungen, von den<br />
Reiseführern, Hotelwirten und Kellnern. Wiederholt<br />
sei er entgleist oder gar nicht angekommen,<br />
man werde darin seekrank, riskiere<br />
Ueberfälle durch die korsischen Banditen, der<br />
Zug sei schmutzig, der Kohlenstaub dringe in<br />
die Augen — kurz und gut, Auto oder Autobus<br />
seien bequemer.<br />
Ich bin trotzdem mit dem Bonifacio-Express<br />
gefahren, und ich habe es nicht bereut. Es<br />
mag beschwerlicher sein als mit dem Auto,<br />
aber man sieht so viel, dass man die Strapazen<br />
nicht bedauert. Im Bonifacio-Express<br />
war es, wo ich die unbekannteste Sehenswürdigkeit<br />
Korsikas kennenlernte.<br />
Anfangs, in der Tiefebene von Ajaccio, geht<br />
alles gut. Man fährt durch Stationen, wo<br />
schwarz gekleidete Frauen Stationsvorstand<br />
spielen, die den Bonifacio-Express zwischen<br />
ihrer häuslichen Tätigkeit abfertigen, sozusagen<br />
mit dem Kochlöffel in der Hand. Oft<br />
fährt der Zug einfach durch, wenn keine Passagiere<br />
warten, hält er gar nicht an, der<br />
Schaffner wirft der Frau Stationsvorstand den<br />
Postsack vor die Füsse, sie macht es mit<br />
ihrem umgekehrt. Dafür bleibt, der Express 30<br />
Meter weiter auf offener Strecke stehen, weil<br />
jemand einsteigen will. Ab und zu fährt man<br />
an einem brennenden Wald vorbei. Kleine<br />
Brände, von den Hirten gelegt, die in drei<br />
Tagen aufhören und den Boden fruchtbarer<br />
machen sollen. Niemand schenkt ihnen Beachtung.<br />
Von unten winkt das Mittelmeer herauf,<br />
die leichte, salzige Luft und verlassene,<br />
gespenstig anmutende Steindörfer gleiten vorbei.<br />
Ueber allem die Sonne des Südens. Wer<br />
hat gesagt, dass diese Fahrt unangenehm ist?