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E_1939_Zeitung_Nr.077

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N° 77 — DIENSTAG, 10. OKTOBER <strong>1939</strong> AUTOMOBIL-REVUE IM<<br />

Unser politischer Kurzbe rieht:<br />

Schlechter Frieden<br />

Wenn heute die ganze Welt das Tun und<br />

^assen der Türkei und seines in Moskau weilenden<br />

Aussenministers mit gespannter Aufmerksamkeit<br />

verfolgt und zu deuten versucht,<br />

so geschieht dies nicht etwa wegen<br />

der Bedeutung ihres Heeres oder des Produktionsapparates,<br />

sondern- einzig, weil sie<br />

die Hüterin des Seeweges ist, der das<br />

Schwarze Meer mit dem Mittelmeer verbindet<br />

und Europa von Asien trennt.<br />

Dieser Seeweg besteht eigentlich aus drei<br />

verschiedenen Teilen: im Osten aus dem<br />

schmalen Bosporus, an deren rechter 'Uferseite<br />

die alte byzantinische Kaiserstadt Konstantinopel<br />

(jetzt Istambul) liegt, in der Mitte<br />

dem Marmarameer und im Westen den Dardanellen,<br />

die nördlich durch die Halbinsel<br />

Gallipoli und südlich durch das asiatische<br />

Vorland Biga begrenzt werden. Von allen<br />

Mit dem Fall Warschaus ist der Krieg im<br />

Osten zu Ende gegangen. Die deutsche Armee<br />

hat ihre ursprüngliche Aulgabe gelöst,<br />

Danzig, der Korridor und Oberschlesien sind<br />

ins Reich heimgekehrt. Und so rufen denn<br />

die deutschen Diplomaten die Frage über die<br />

Grenze: « Was wollt ihr eigentlich noch ?<br />

Was ihr im Osten verhindern wolltet, ist geschehen,<br />

nicht mehr abzuändern. Also Schluss<br />

mit dem Krieg 1»<br />

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Einmischung<br />

Russlands die Sache um die Zukunft<br />

Polens ausserordentlich verschlechtert<br />

hat, und zwar deshalb, weil die Wiedererrichtung<br />

des polnischen Staates in seiner<br />

/früheren Gestalt nicht nur die Bezwingung<br />

des Deutschen Reiches, sondern auch das<br />

Hinauswerfen der Russen aus Weissrussland<br />

und aus der Ukraine notwendig macht. Ein<br />

Ding, an das man schon jetzt nicht, geschweige<br />

denn nach einem langen Krieg,<br />

denken will. Um diesen Punkt aus der Diskussion<br />

auszuschalten, sieht man als Ersatz<br />

für die an Russland gefallenen Landstriche<br />

entsprechend grosse Gebiete Deutschlands<br />

vor, um Polen seine frühere Grosse ohne<br />

einen zusätzlichen russischen Feldzug sichern<br />

zu können.<br />

Gewiss, es ist ein verfrühtes Unterfangen,<br />

heute Über Friedensverträge zu schreiben.<br />

Nicht verfrüht, vielleicht sogar eher zu spät<br />

aber ist es, daran zu erinnern, dass Friedensverträge<br />

die Herde für neuen Unfrieden sein<br />

können. In diesem Zusammenhang sind einige<br />

Hinweise auf Aeusserungen englischer<br />

und französischer Persönlichkeiten, die den<br />

polnischen Korridor schon lange als den Ausgangspunkt<br />

eines kommenden Krieges bezeichnet<br />

haben, nicht ganz unangebracht. So<br />

sagte der englischen <strong>Zeitung</strong>smagnat Lord<br />

Rothermere : « Die Teilung Deutschlands in<br />

zwei ungleiche Teile, um Polen einen Zugang<br />

zur Ostsee zu gewähren, ist der grösste<br />

Fehler der Friedenskonferenz gewesen. Der<br />

SMüssdstetlun#en dec lüeitpoCUik:<br />

Die Dardanellen<br />

dreien sind die Dardanellen die wichtigsten,<br />

weil sie mit den, besonders auf der Nordseite<br />

stark zerklüfteten Ufern, die besten<br />

Voraussetzungen für Verteidigungszwecke<br />

bieten. Für die Länder, die an das Schwarze<br />

Meer anstossen — Russland, Rumänien und<br />

Bulgarien — ist die Frage der Oeffnung und<br />

Schliessung dieser Wasserstrasse von schicksalshafter<br />

Bedeutung. Nicht umsonst bemühen<br />

sie sich mit allen, der jeweiligen Konstellation<br />

angepassten diplomatischen Mitteln,<br />

die Beherrscherin für die eigenen Zwecke zu<br />

gewinnen.<br />

Der europäische Wetterwinkel, als welcher<br />

der Balkan angesprochen wird, ist in seinem<br />

südöstlichen Zipfel seit jeher einer der umstrittensten<br />

Punkte gewesen. Hier und auf<br />

der asiatischen Gegenseite befand sich der<br />

Schauplatz der trojanischen Kriege, hier hat<br />

der Perserfürst Xerxes das Wasser auspeitschen<br />

lassen, weil es die Schiffsbrücke nicht<br />

tragen wollte, die ihm den Vormarsch nach<br />

Griechenland ermöglichen musste, hier ist<br />

die Entscheidung im peloponnesischen Krieg<br />

zwischen Athen und Sparta gefallen, welche<br />

der letztern die Vorherrschaft in Griechenland<br />

sicherte, hier haben Alexander der<br />

Grosse und Friedrich Barbarossa ihren Vormarsch<br />

auf asiatischen Boden getragen und<br />

hier hat die Türkei ihren Einbruch in Europa<br />

begonnen. Venezianer, Russen, Engländer,<br />

Franzosen, Griechen und andere Völker<br />

haben ihre Söhne um diese Vorherrschaft<br />

bluten sehen, lange bevor daraus durch die<br />

Reibungen zwischen Russland und Oesterreich<br />

um die Vorherrschaft im Balkan und<br />

zwischen Deutschland und England um diejenige<br />

zur See aus der Meerenge ein Streitobjekt<br />

geworden ist, das nicht wenig Veranlassung<br />

zum Ausbruch der 1914er Katastrophe<br />

bot.<br />

Welchen Ehtffass die Dardanellen auf die<br />

Werfepolitik und ihre Jetzt« Konsequenz, die<br />

Korridor ist für die Deutschen eine Provokation<br />

und für die Polen eine Gefahr. > Und<br />

der bekannte französische Publizist Wladimir<br />

d'Ormesson war überzeugt davon, dass<br />

«das einzige Problem, das die Befriedung<br />

und die Einigkeit hindert, der Danziger Korridor<br />

ist. »<br />

Auch Churchill, der heute an der Spitze<br />

der englischen Kriegsmarine steht, äusserte<br />

sich vor einigen Jahren im englischen Parlament<br />

wie folgt: « Es wäre sicherer, wenn<br />

Fragen, wie sie der Danziger Korridor darstellt,<br />

mit allen seinen kritischen Schwierigkeiten<br />

kaltblütig und in einer ruhigen Atmosphäre<br />

gelöst würden, solange noch die Siegerstaaten<br />

eine genügende Macht in dieser<br />

Hinsicht besässen und bevor noch zwei<br />

starke Mächte entstünden... sonst könnten<br />

die Ehre und das Recht dazu zwängen, dass<br />

man uns entgegensteht und uns gegen unsern<br />

eigenen Willen und bessere Vernunft in einen<br />

Krieg hineinzieht, welcher wegen der ungerechten<br />

und schwierigen Lage, die Europa<br />

eben zerreisst und zur Aufrüstung Anlass<br />

gibt, notgedrungen entstehen muss. ><br />

Auch vom französischen Marschall Foch<br />

Hegt eine interessante Prophezeiung vor.<br />

Derselbe stand kurz vor seinem Tode mit<br />

Gästen vor einer Europakarte, zeigte mit<br />

der Pfeife auf den polnischen Korridor und<br />

sagte : « Dort, meine Herren, liegt die Wurzel<br />

zu einem neuen Krieg. ><br />

Wahrscheinlich kommen die Worte «mir<br />

graut nicht vor dem Krieg, aber vor dem<br />

Frieden», nicht ganz von ungefähr.<br />

Kriegsführung ausüben, ist jedoch nie deutlicher<br />

zutage getreten als in den Jahren 1914<br />

bis 1916. In den ersten Tagen des Konflikts<br />

war es Deutschland gelungen, die Türkei<br />

zum Abschluss eines Bündnisses zu bewegen,<br />

dessen erste Auswirkung sich darin<br />

zeigte, dass zwei deutsche Kriegsschiffe, die<br />

« Gaben » und die « Breslau > im Hafen von<br />

Konstantinopel Aufnahme und Schutz suchten<br />

und fanden. Doch auch die Westmächte<br />

hatten ein ungeheures Interesse daran, nach<br />

Gutfinden in das Schwarze Meer einfahren<br />

zu können, weil sich bei ihrem Verbündeten<br />

und Mitkämpfer Russland bereits in den ersten<br />

Kriegsmonaten ein fühlbarer Mangel an<br />

Offizieren, Gewehren und Artilleriemunition<br />

gezeigt hatte und die Belieferung als dringend<br />

notwendig erschien. Da die Türkei nicht gewillt<br />

war, den Durchgang freizugeben, kam<br />

es Mitte November zur Kriegserklärung.<br />

Noch war sich das Osmanische Reich der<br />

Bedeutung der Meerenge für die gesamte<br />

Kriegsentwicklung nicht im vollen Umfang<br />

bewusst, trotzdem es seit zwei Jahren den<br />

Ausbau der Befestigungen unter der Leitung<br />

des deutschen Generals Liman von Sanders<br />

nach Kräften gefördert hatte. Im nördlichen<br />

Balkan kämpften die Serben und Rumänen<br />

gegen die vorrückenden Deutschen und<br />

Oesterreicher, wodurch die Verbindung zwischen<br />

den beiden Zentralmächten und der<br />

Türkei wenigstens vorerst unterbrochen<br />

blieb. Eine West-Ostverbindung zwischen<br />

zwischen Russland und den Alliierten durch<br />

die Dardanellen hätte für deren Kriegsfü'hrung<br />

den grossen Vorteil gehabt, das erstere instand<br />

zu setzen, die gegnerische Balkanfront<br />

aus der Flanke anzufallen und vielleicht aufzurollen.<br />

Aus diesen Ueberlegungen heraus<br />

entschlossen sich die vereinigten französischenglischen<br />

Streitkräfte Mitte März 1916 zu<br />

einer Flottenaktion mit dem Zweck, den<br />

Durchgang zu erzwingen und ihre Trappen<br />

an Land zu setzen. Der Vorstoss misslaag.<br />

Obschon die Türken ihn vorausgesehen haben,<br />

überraschte er doch durch die Höhe des<br />

Einsatzes und gab ihnen Klarheit darüber,<br />

wie sehr dem Feind die Erreichung seines<br />

Ziels am Herzen lag. Die Zeit, die die Alliierten<br />

nun benötigten, um aus Aegypten Verstärkungen<br />

heranzuziehen, genügte den Beherrschern<br />

der Dardanellen, auch ihrerseits<br />

die notwendigen Vorsorgen zu treffen.<br />

Als gegen Ende April ein Landungsversuch<br />

auf grösserer Basis unternommen wurde,<br />

bei dem die Engländer vornehmlich die<br />

Besetzung der Halbinsel Galliipoli, die Franzosen<br />

diejenige des asiatischen Vorlandes<br />

übernommen hatten, war die Verteidigung<br />

bereits zu stark ausgebaut, als dass nennenswerte<br />

Resultate zu erzielen gewesen wären.<br />

Weitere, an Umfang und Intensität immer<br />

stärker werdende Attacken im Verlauf der<br />

Monate Juli und August waren ebensowenig<br />

von Erfolg begleitet.<br />

Unterdessen hatte sich weiter nördlich die<br />

serbische Tragödie vollzogen. Die Armee<br />

war geschlagen, ihr Durchbruch nach Saloniki,<br />

wo sich ein französisches Expeditionskorps<br />

um die Herstellung einer Verbindung<br />

bemühte, vereitelt. Für die Deutschen und<br />

Oesterreicher stand die Bahn nach Konstantinopel<br />

offen. Widerwillig und nur nach langen<br />

Erwägungen entschloss sich die britische<br />

Heeresleitung, den Versuch, der gewaltige<br />

Opfer an Menschenleben und Material gefordert<br />

hatte, abzubrechen. — Damit war aber<br />

auch die Unmöglichkeit zugegeben, den<br />

Russen Entsatz und materielle Unterstützung<br />

bringen zu können, die sie instand gestellt<br />

hätten, durch einen vermehrten Druck von<br />

Osten her die kriegerischen Aktionen der<br />

Alliierten zu unterstützen. Wenn der Krieg<br />

im ganzen mehr als vier Jahre gedauert hat,<br />

so ist dies weitgehend auf die hermetische<br />

Abschliessung der Dardanellen zurückzuführen.<br />

Damit ist eigentlich auch die Bedeutung<br />

dieser Seeverbindung bereits skizziert: Sie<br />

entscheidet weitgehend über den praktischen<br />

Wert der militärischen Bündnisse, an welchen<br />

AnstÖsser an das Schwarze Meer beteiligt<br />

sind. So kann die Dardanellenfrage<br />

beispielsweise für Rumänien zur Schicksalswende<br />

werden. Stellt sich die Türkei auf die<br />

Seite der Westmächte, so haben diese die<br />

Möglichkeit, das Land gegen eventuelle territoriale<br />

Ansprüche des russischen Bären zu<br />

schützen und die Schwarzmeer-Interessen<br />

dieses letzteren zu bedrohen. Revisionswünsche<br />

der Bulgaren in bezug auf die Dobrudscha<br />

wären dann wohl kaum mehr zu<br />

befürchten. Schliesst dagegen die Türkei die<br />

Meerenge, so gibt sie dadurch Russland das<br />

freie Verfügungsrecht über die anderen<br />

Schwarzmeerstaaten in die Hand. Greift Russland<br />

aktiv in die Ereignisse ein, so bedeutet<br />

die Stellungnahme der Türkei nichts anderes<br />

als die Entscheidung darüber, ob die russische<br />

Schwarzmeerflotte hinter dem Bosporus<br />

konsigniert bleibt. Macht das erstere jedoch<br />

rechtsumkehrt, so sind die Westmächte die<br />

Nutzniesser, weil sie damit nicht nur die<br />

Möglichkeit haben, das so begehrte Oel und<br />

den Weizen nach ihren Häfen zu verschiffen,<br />

sondern auch die russische Kriegsindustrie<br />

für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Dabei<br />

sehen wir ganz von der Rolle ab, die Italien<br />

zu spielen in der Lage ist, wenn es seine<br />

gegenwärtige Haltung aufgeben sollte. Denn<br />

es sitzt mit seinen gut ausgebauten Festungen<br />

und Flottenstützpunkten im Dodekanes<br />

dem türkischen Beherrscher der Dardanellen<br />

unangenehm dicht auf dem Nacken.<br />

Die politische Lage ist zu verworren, als<br />

dass sie irgendwelche Prognosen erlauben<br />

würde. Welche Richtungen die einzelnen<br />

Völker in der nächsten Zukunft auch einschlagen<br />

mögen, spielt keine Rolle für die<br />

Tatsache, dass die Dardanellen auch im heutigen<br />

Kampf um die politische und wirtschaftliche<br />

Machtstellung eine ganz gewaltige<br />

Bedeutung hat und damit der Türkei die<br />

Möglichkeit gibt, den Lauf der Dinge entscheidend<br />

zu beeinflussen. ' 0

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