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E_1940_Zeitung_Nr.035

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N° 35 — DIENSTAG, 27. AUGUST <strong>1940</strong> AUTOMOBIL-REVUE 3Ji<br />

Sloboda ili Smrt = Freiheit oder Tod<br />

Herkunft, Aufbau und Zweck der Komitadji.<br />

Es war in Belgrad, wo wir am Abend mit<br />

dem Flugzeug aus Athen angekommen waren.<br />

Unser Pilot, ein junger kräftiger Serbe, hatte<br />

uns während dem Flug die Einrichtungen seines<br />

Schaltbrettes erklärt und uns gleichzeitig<br />

lie elementaren Kenntnisse des Fliegens bei-<br />

Sebracht. Da ausser uns Journalisten keine<br />

'assagiere mitflogen und der zweite Pilot am<br />

-Steuer sass, konnten wir uns über allerhand<br />

Wissenswertes und Interessantes informieren,<br />

was man sonst nicht zu hören bekommt, insbesondere<br />

Dinge, die auch das «Presbiro» in<br />

Belgrad verschweigt, wenn ausländische Journalisten<br />

zu neugierig werden.<br />

Auf dem Flugfeld angelangt, verabschiedeten<br />

wir uns und setzten gleichzeitig einen Tag<br />

fest, an welchem wir zusammen ausgehen würden<br />

...<br />

So kam es, dass wir an einem wunderschönen<br />

Augustabend in ein freundliches Gartenlokal,<br />

eine Kavala, ausserhalb der -Stadt<br />

fuhren, wo eine Kapelle slavische Lieder<br />

spielte. Einem ausgiebigen Essen folgte ein<br />

ebenso ausgiebiges Trinkgelage, und als die<br />

«Mariana», das Stadtlied von Belgrad, ertönte,<br />

waren wir schon so weit angeheitert, dass wir<br />

uns alle umarmten und Brüderlichkeit tranken,<br />

indem wir uns abküssten.<br />

«Wie heissest du zum Vornamen?» fragte<br />

ich meinen neuen Freund, und er anwortete<br />

mit einigem Pathos: «Vukac!» (D. h. Wolf.)<br />

Sterben nämlich einer Mutter viele Kinder,<br />

so wird dies dem bösen Einfluss des Werwolfes<br />

zugeschrieben. Um ihn zu besänftigen,<br />

nimmt man ihn zum Paten des Neugeborenen<br />

und das Kind erhält den Namen Wolf oder<br />

Wölfin. Bei-der-Geburt eines Mädchens wird_<br />

einmal und bei der eines Sohnes dreimal gegen<br />

den Wald geschossen und dabei laut gerufen:<br />

«Höre Wolf, es ist dir ein Patenkind<br />

geboren. Gebe Gott, dass es gesund und stark<br />

bleibe wie du!»<br />

Wir hatten alle höflich dieser Erklärung<br />

zugehört und waren dabei, wie das so kommt,<br />

ein wenig stiller geworden. Plötzlich stand<br />

meine neuer Duzfreund auf und sang die<br />

Hymne der Komitadji, denen er, wie ich von<br />

früher wusste, auch angehörte. Ich erinnerte<br />

mich daran, dass er mir im Flugzeug einiges<br />

erzählt hatte, was nicht jeder zu hören bekommt,<br />

und so bat ich ihn, uns jetzt noch weitere<br />

Einzelheiten mitzuteilen, ein Ansinnen,<br />

dem er gerne nachkam und dem er nur die<br />

Bitte anschloss, seinen Namen nicht zu veröffentlichen,<br />

«weil ich für unsere Organisation<br />

noch nicht genug geleistet habe und daher<br />

nicht wert bin, irgendwelchen Ruhm zu ernten.<br />

Hunderte und Tausende haben bei uns Heldentaten<br />

vollbracht, für die Menschen in anderen<br />

Ländern Standbilder aus Granit und Bronze<br />

bekommen würden. In Jugoslavien kennt man<br />

zumeist nicht einmal den Namen ...»<br />

Die Geschichte der Organisation der Komitadji<br />

klingt wie ein Epos, obwohl der ursprüngliche<br />

Zweck rein privater Natur war und viel<br />

verwandte Züge mit der Privatrache in anderen<br />

Balkanländern und in Korsika gemeinsam<br />

hat. Es ist vorwegzunehmen, dass die Organisation<br />

noch heute besteht und vollständig ausgebaut<br />

ist.<br />

Als Mitte des vorigen Jahrhunderts die Türken<br />

im heutigen Jugoslavien herrschten und<br />

die Einwohner versklavten, Frauen und Töchter<br />

schändeten und Bauern von ihren Höfen<br />

vertrieben, kam es hin und wieder vor, dass<br />

ein Entehrter und ein Entrechteter zum Haiduk<br />

wurde und in den Wald floh. «Der Wald!»<br />

Er ist das Alpha und das Omega jeder slavischen<br />

Erzählung, aller Märchen und aller Sitten.<br />

Aus dem Wald kommt die Fruchtbarkeit,<br />

der Wald schützt die Dörfer, im Wald wohnen<br />

die guten Geister, und deshalb flieht man in<br />

den Wald, wenn man Hilfe und Rettung sucht.<br />

Diese Ausgestossenen, die «Waldräuber», hatten<br />

nur ein Ziel: Rache an den Türken zu nehmen<br />

und sich für das erlittene Unrecht schadlos<br />

zu halten. Der Wald war ihre Wohnung<br />

geworden. Sie hausten dort und hatten als<br />

einzigen Schutz ihre immer schussbereiten<br />

Flinten, Nahrung aber legten ihnen ihre Freunde<br />

zu im voraus -bestimmten Zeiten und an<br />

bestimmten Orten nieder. Im Laufe der Wochen<br />

und Monate häuften sich die Greuel der<br />

türkischen Insurgenten, und immer mehr Haiduken<br />

gingen in den Wald, wo sie sich zusammenschlössen<br />

und einen Anführer wählten.<br />

Jetzt nannten sie sich Komitadji, das heisst<br />

weiterbauen !<br />

aufbauen!<br />

in wörtlicher Uebersetzung: «Weg von der Gesellschaft.»<br />

Sie organisierten Ueberfälle auf<br />

Dörfer, die von den Türken besetzt gehalten<br />

wurden, schössen, wo ein roter Fez auftauchte<br />

und trafen zumeist vorzüglich.<br />

Jahre vergingen und die Organisation wurde<br />

stärker. Beinahe hatte man schon das alte Ziel<br />

des Privathasses vergessen, und der Kampf<br />

begann sich gegen jede Art der Unterdrückung<br />

und der Fremdherrschaft zu wenden, ein Gebiet,<br />

wo es schon damals bis in unsere Tage<br />

allerhand zu regeln gab, wenn auch heute das<br />

Kampfbeil zwischen den beiden innigsten Gegnern,<br />

den bulgarischen und den jugoslavischen<br />

Komitadji, begraben ist. Der bulgaro-jugoslavische<br />

Freundschaftspakt, der am 23. Januar<br />

1937 zwischen dem damaligen jugoslavischen<br />

Ministerpräsidenten Stojadinovic und dem<br />

bulgarischen Ministerpräsidenten Kjosseiwanoff<br />

ratifiziert wurde, hat nach aussen hin der<br />

Tätigkeit der Komitadji ein Ende bereitet.<br />

Nach diesem Vertrag wird zwischen Bulgarien<br />

und Jugoslavien unverletzlicher Friede und<br />

ewige Freundschaft herrschen, Von Mazedonien<br />

wurde damals wenig gesprochen .., Dieser<br />

Landstrich im Süden gehört heute grösstenteils<br />

zu Jugoslavien und seine Bewohner<br />

fühlen sich als Slaven. Der beste Beweis dafür<br />

ist, dass sie und die Serben als einzige Völkergruppen<br />

im Balkan Krsna Slava, das jugoslavische<br />

Familienfest, kennen, das auf uralte<br />

heidnische Bräuche zurückgeht,<br />

Was wollen die Komitadji?<br />

Ihre Losung ist «Freiheit», Ihre Fahne ein<br />

Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen auf<br />

schwarzem Grund. Ihre Tätigkeit richtet sich<br />

gegen jeden Feind des Landes, wo immer er<br />

sich befindet. Es sind also gewisse Züge, die<br />

an die mittelalterliche Feme erinnern. Allerdings<br />

haben die Komitadji keinerlei persönlichen<br />

Gewinn, sondern handeln einzig und<br />

allein, um ihrem Vaterland zu nützen. Sie<br />

sind keine Nationalisten, sondern Patrioten,<br />

die einen heiligen Ehrenkodex kennen. Wer<br />

ihn verletzt, stirbt, wie jeder andere Feind des<br />

Vaterlandes.<br />

Die Tradition hat hier Wunder vollbracht<br />

und die Fähigkeit des treffsicheren Schiessens<br />

vererbt sich vom Vater auf den Sohn oder auf<br />

die Tochter. Kleine Kinder spielen Komitadji<br />

und der heisse Wunsch des Jünglings ist es,<br />

sich würdig zu erweisen, in die Organisation<br />

aufgenommen zu werden.<br />

«Wieviel Komitadji gibt es in Jugoslavien?»<br />

fragte ich.<br />

«Das ist unmöglich zu sagen, weil wir keine<br />

Mitgliederlisten haben. Im Notfall jedoch werdendes<br />

16 Millionen sein, d. h. ebensoviele<br />

als unser Land Einwohner hat.»<br />

Der heutige Chef ist Vojvod Petschanac, der<br />

schon in der Hauptblütezeit von 1905—1914<br />

tätig war und die Organisation von 1918 bis<br />

zum heutigen Tage leitete. Von ihm wird ein<br />

tolles Stück erzählt. Als nämlich im letzten<br />

Krieg die österreichischen Armeen einmarschierten,<br />

um das Land zu besetzen, war es<br />

bekannt geworden, dass sich mitten im besetzten<br />

Teil auf einem Gebiet von etwa 20<br />

Quadratkilometern, Komitadji befanden, die<br />

zum äussersten Widerstand entschlossen, jedoch<br />

nicht organisiert waren. Petschanac bestieg<br />

ein Flugzeug, dessen Pilot ebenfalls der<br />

Organisation angehörte und landete auf jenem<br />

Flecken, der 'nicht aufgegeben werden durfte.<br />

Und in der Tat gelang es den österreichischen<br />

Divisionen nicht, dieses zumeist von<br />

Wald bestandene Gebiet einzunehmen.<br />

Zur selben Zeit hatten andere Komitadji<br />

im Süden des Landes gegen eine überwältigende<br />

Mehrheit von Feinden zu kämpfen.<br />

Langsam zogen sie sich auf eine kleine Anhöhe<br />

zurück und machten ihre letzten Patronen<br />

zurecht. Die Bomben trugen sie in den<br />

Taschen, bereit, sie dem Feind entgegenzuschleudern,<br />

wenn die Munition nicht ausreichen<br />

sollte. Schliesslich wurde der Kampf<br />

aussichtslos, da von der Gruppe von 130<br />

Männern noch 12 übrig geblieben waren, von<br />

denen der jüngste 14 Jahre zählte. Sie bildeten<br />

nun einen Kreis, wobei der Jüngling in<br />

der Mitte stand. Dann beteten sie ein Vaterunser<br />

und steckten die Köpfe zusammen. Als<br />

sie geendet hatten, nahm der Junge den Zündkopf<br />

seiner letzten Bombe zwischen die Zähne<br />

und — es blieben 12 Leichen am Platz. Denn<br />

schändlich ist es, sich dem Feind zu übergeben,<br />

wenn man noch die Möglichkeit hat,<br />

vorher zu sterben.<br />

der Serbe seinem Gegner auf den Kopf zusagte,<br />

was für ein Gespräch er verbreitet habe,<br />

«Ist das wahr?», fragte der Obmann, Der<br />

andere bejahte. «Dann erschiess ihn, denn er<br />

ist ein Hund!» Der Serbe tat es, verliess das<br />

Lokal und das Dorf auf der Mitte der Strasse.<br />

Keine Hand hob sich gegen ihn.<br />

Diese wilde und ungestüme Art einer Abrechnung<br />

zeugt von einer Ritterlichkeit, die<br />

wir im übrigen Europa kaum kennen, aber<br />

auch von einem Heroismus, zu dem der «zivilisierte»<br />

Mensch nicht mehr ohne weiteres<br />

fähig ist.<br />

Einen weiteren Beweis unerhörter Willensstärke<br />

bildet die Geschichte des Serben<br />

Krstitsch, der von den Türken gefangen genommen<br />

und zu lebenslänglichem Zuchthaus<br />

verurteilt worden war, weil er als serbischer<br />

Komitadji gegen die Bulgaren gekämpft hatte,<br />

obwohl er angeblich bulgarischer Abstammung<br />

war. Nachdem er die ersten 10 Jahre verbüsst<br />

hatte, führte man ihn vor den Kadi, der ihm<br />

die Freiheit versprach, wenn er seinen Namen<br />

von Krstitsch in Krstof umwandle. (D, h,<br />

Bulgare werde, da «itsch» die serbische, «of»<br />

'aber die bulgarische Form des Namens bildet.)<br />

Der Serbe antwortete nicht, sondern gab seinen<br />

Wärtern ein Zeichen, ihn in die Zelle<br />

zurückzubringen, wo er schliesslich starb.<br />

Unsere Mentalität hätte uns -vielleicht geraten,<br />

für einen Moment den Namen zu wechseln,<br />

da man als freier Mensch den Kampf<br />

gegen die Unterdrücker wieder aufnehmen<br />

kann, als Leiche jedoch niemandem nützt. Der<br />

Serbe aber kannte nur das Ziel, seine persönliche<br />

Ehre, die Ehre seiner Familie und<br />

die seiner Organisation zu retten. Denn auf<br />

Lebenszeit hinaus hätte man ihm vorgehalten,<br />

durch lügnerische Machenschaften die Freiheit<br />

erlangt zu haben.<br />

Komitadji kann jeder werden, der sich einer<br />

Prüfung unterzieht und sie bestanden hat. Die<br />

Tracht besteht aus einem serbischen Bauernkostüm.<br />

Es gibt keine Parolen, keine geschriebenen<br />

Mitteilungen und keine Korrespondenz,<br />

Befehle werden mündlich erteilt und müssen<br />

innert bestimmter Frist ausgeführt sein, da<br />

sonst der Betreffende sein eigenes Leben verwirkt.<br />

Heute umfasst die Organisation Bauern,<br />

Professoren, Militärs, Diplomaten und Handwerker,<br />

die auf Lebzeiten Mitglied bleiben,<br />

1 aber nur während einer bestimmten Zeit (zumeist<br />

2 Jahre) aktiv arbeiten. Während dieser<br />

Zeit bekommen sie keine finanziellen Leistungen,<br />

da die Organisation über keine Kasse<br />

verfügt, sondern sie werden, sofern sie auf<br />

dem Land arbeiten, in jedem Dorf mit Freuden<br />

von den Bauern aufgenommen,<br />

Freiheit oder Tod heisst die Losung, die<br />

noch heute wie vor 100 Jahren gilt und die<br />

von jedem Neueintretenden beschworen wird,<br />

Eines Tages war einem serbischen Komitadji<br />

hinterbracht worden, dass im feindlichen welcher eine Pistole und ein kurzes Jagd-<br />

indem seine Hand eine Bibel berührt, auf<br />

Lager einer behauptet habe, diesen Serben in messer im Zeichen des Kreuzes übereinander<br />

seiner Gewalt gehabt, ihn aber dann laufen liegen. Wer einmal aufgenommen wurde, bleibt<br />

gelassen habe, weil er um sein Leben gewinselt<br />

hätte. Ein solcher Kerl sei nicht einmal hat den Befehl, der ihm zukommt, auszufüh-<br />

sein Leben lang an den Schwur gebunden und<br />

würdig, den männlichen Tod des Erschiessens<br />

zu sterben. Der Serbe forschte nach und amerika befinde.<br />

ren, ob er sich in Serbien oder in Zentral-<br />

erfuhr schliesslich nach Monaten, in welchem<br />

Dies ist die Organisation, die illegale und<br />

Dorf der Feind wohnte. Trotz des heftigsten<br />

doch anerkannte Privatarmee eines freien<br />

Abratens seiner Freunde, die ihn für verrückt<br />

Volkes, gegen welche keine Regierung vorgehen<br />

wird, da in ihr der Bestand des Staates<br />

erklärten, ging er am hellichten Tag über die<br />

Grenze und suchte seinen Mann. Im Dorf angelangt,<br />

wandte er sich an den Obmann der<br />

garantiert liegt.<br />

feindlichen Komitadji und erzählte ihm, was<br />

vorgefallen sei. Dieser berief seine Gefolgsmänner<br />

zu einer Versammlung ein, an welcher Nachdruck, auch auszugsweise,<br />

Copyright by Universum Press.<br />

verboten.

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