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E_1940_Zeitung_Nr.045

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BERN, Dienstag, 5. November <strong>1940</strong><br />

Automobil-Revue - II. Blatt, Nr. 45<br />

Von Johanne Buri<br />

Das Foyer vom dritten Rang: die banalen<br />

Sessel und Tische sind in einer Ecke aufgestapelt.<br />

Auf dem Bartisch steht die Tanzmeisterin<br />

und schlägt auf dem Tambourin den<br />

Rhythmus zum... zum Morgentraining ihrer<br />

Ballerinnen.<br />

Acht verschlafene Wesen stehen den Wänden<br />

entlang:<br />

1. Position: Vier «plies!» 2. Position; 3. —<br />

Sechzehn kleine Battements rondes de jambe<br />

— grosse Battements...<br />

Kaum ist man ausgeruht von der gestrigen<br />

Premiere! Aber nach der mühevollen Arbeit<br />

an der Ballettstange geht alles leichter, die<br />

Beine sind wieder warm und gelenkig.<br />

Zwei Minuten Pause!<br />

Die Meisterin springt vom hohen Platz herunter:<br />

«Musik!»<br />

Und aus den acht Wesen werden tanzende<br />

Mädchen; dem leuchtenden Vorbild folgend<br />

schreiten, hüpfen, springen, wirbeln und balancieren<br />

sie durch den Saal.<br />

Zwölf Stunden später:<br />

Acht Paar schlanke Beine schlenkern im hellen<br />

Rampensonnenlicht über die Bühne, acht<br />

frische, lachende Gesichter, wehendes Lockenhaar,<br />

kurze weisse Röcklein.<br />

Applaus — Verbeugung.<br />

Der Tanz muss wiederholt werden!<br />

Einmal, vor langer Zeit — vielleicht sind's<br />

bald zwei Wochen — ist diese Nummer nach<br />

der täglichen Trainingsstunde aus der Erde gestampft<br />

worden, dann stundenlang geübt, bis<br />

alle Beine im gleichen Augenblick die gleiche<br />

Höhe erreichten, bis die Reihe da war — dann<br />

kamen nicht endenwollende Bühnenproben;<br />

doch jetzt tanzen die acht, und alles andere<br />

ist vergessen — ernten wohlverdienten Beifall<br />

und gehen strahlend ab.<br />

Fünf Minuten später in der Garderobe. Ursel<br />

sitzt auf ihrer Tischecke und betrachtet nachdenklich<br />

die Kolleginnen: die lachenden Girls<br />

haben sich in italienische Bauernmädchen verwandelt,<br />

die alle brav an ihrem Platz im hellen<br />

Raum sitzen. — «Wir sind doch eine komische<br />

Rasse!»<br />

Erstaunte, fragende Gesichter.<br />

«Ich meine, wir Ballettmädchen sind doch<br />

ein ganz spezieller Typ. Sind gezwungen,<br />

immer achtzehnjährig auszusehen, schmal,<br />

sorglos und lebendig, und oft ist mir gar nicht<br />

darnach zumut!»<br />

Lotte blickte von ihrem geliebten Musset auf:<br />

«O ja. Wenn ich denke, wie gern ich ein paar<br />

Kinder hätte! Meine Mutter war in meinem<br />

Alter längst verheiratet und über jedes Jungmädchenproblem<br />

erhaben.»<br />

«Tanzen ist der allerschönste Beruf», erklärt<br />

Paulchen mit Bestimmtheit. Sie hat ihr Kreuzworträtsel<br />

aufgegeben und verfolgt mit Interesse<br />

die Diskussion der Grossen:<br />

«Das ist es ja! Einmal beim Theater, kommt<br />

man nicht mehr los.»<br />

«Sehnt sich ewig nach einem beschaulichen<br />

Leben ohne Existenzsorgen, und eines Tages<br />

kommt einer, bietet dir das alles und mehr —<br />

Resultat: du lehnst ab, seine schwer erkämpfte<br />

Selbständigkeit gibt man nicht wieder auf.»<br />

«Auf jeden Fall ein sonderbares Leben voller<br />

Abwechslung. Wisst ihr, dass wir nächstens im<br />

Schauspiel Medizinstudentinnen spielen?!»<br />

«Und wenn schlanke Pagen oder schöne<br />

Sklavinnen gebraucht werden, was macht man<br />

da: man nimmt das Ballett!»<br />

«Wisst ihr noch, wie wir, geharnischt mit<br />

Barten, römische Krieger darstellten?»<br />

«Und in allen Volksszenen wimmeln wir herum<br />

und schreien für fünfzig oder mehr Menschen<br />

!»<br />

«Und haben die kleinste Gage vom ganzen<br />

Theater und werden von vielen um unser sorgloses<br />

Dasein beneidet.»<br />

«Und sind in klassischer Literatur besser bewandert<br />

als mancher Bürger, verstehen sogar<br />

was von Musik und schwärmen für gotische<br />

Plastik.»<br />

«Ich sage es ja: eine komische Rasse voller<br />

Widersprüche! Kinder, es hat geklingelt!»<br />

Zur Freude des Publikums tanzen acht Mädchen<br />

eine rassige Tarantella: Inbegriff von<br />

südlichem Temperament und Grazie.<br />

Wann werden die acht Paar müdgetanzten<br />

Füsse zur Ruhe kommen?<br />

Bild links: Ballett-Exercice an der Stange.<br />

Bilder rechts von oben nach unten:<br />

Akrobatik, eine selbstverständliche Voraussetzung<br />

einer jeden Ballett-Tänzerin. — Umkleiden! Es<br />

muss rasch gehen und die Garderobiere im Hintergrund<br />

hat alle Hände voll zu tun. — Das Schminken<br />

ist eine Kunst, die eine geschickte Hand und<br />

viel Erfahrung erfordert. — Eine Tanzszene aus<br />

« Carmen ».<br />

Bild unten: Konzert-Tanz aus einer Matinee.

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