E_1987_Zeitung_Nr.049
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B n<br />
DESIGN<br />
Sergio Pininfarina, «Chuck» Jordan (GM-Designchef): «Nur für den Cadillac Allante ein Teamwork.»<br />
Schluss von Seite 41<br />
Aber wirklich schnelle Veränderungen<br />
in der Karosserie lassen<br />
sich erst kostengünstig verwirklichen,<br />
wenn wir in den<br />
Aufbauten zukünftig viel mehr<br />
Kunststoff verwenden werden.<br />
Auch die Japaner werden über<br />
die Kosten ihrer häufigen Karosserieveränderungen<br />
nachdenken<br />
müssen. Erst der Kunststoff<br />
wird hier grössere Freiheiten<br />
bringen. Beim Tipo werden<br />
wir eine Kunststoffhecktüre<br />
verwenden. Doch ohne Ausprobieren<br />
geht nichts. Und alle<br />
Vorschläge, von wo immer sie<br />
auch eingeholt werden, werden<br />
gleich exakt bewertet.»<br />
Splendid-Isolation<br />
Andere Konzerne laden Aussenstehende<br />
überhaupt nicht<br />
zur Mitarbeit ein: Gigant General<br />
Motors etwa, wo «Chuck»<br />
Joran Vorstandsdirektor für<br />
Design ist: «Nur für den Cadillac<br />
Allante gingen wir zu Pininfarina,<br />
weil wir einen Cadillac<br />
mit der typisch europäischen<br />
Handschrift Pininfarinas wollten.<br />
Sonst aber machen wir unser<br />
Design und Styling bei Opel<br />
in Europa oder GM in den<br />
USA selbst.»<br />
Der elegante Jordan zum<br />
Einwand, bei den drei Turiner<br />
Design- und Stylingnesen käme<br />
doch das Wissen um die Formentwicklungen<br />
der nächsten<br />
fünf Jahre zusammen: «Die<br />
wissen genausowenig wie wir,<br />
wie sich der Geschmack in fünf<br />
Jahren entwickeln wird. Was sie<br />
so wie wir studieren und wissen,<br />
ist, was die Leute heute wollen<br />
oder nicht wollen.»<br />
Mazdas Entwicklungschef<br />
Takahashi Kuroda umreisst die<br />
Designpolitik seines Hauses<br />
Vor Zwillingen wird gewarnt<br />
Nuccio Bertone: «Niemals Zwillinge offeriert.»<br />
mit: stets etwas anderes als die<br />
anderen bringen, und bedauert,<br />
dass gerade in seinem Land das<br />
Nachahmen des Erfolgreichen<br />
so erfolgreich ist. «Kaum hat einer<br />
etwas Gutes geschaffen,<br />
schon macht es ein anderer<br />
nach, und in zwei Jahren - so<br />
schnell sind wir - haben alle<br />
wieder das gleiche Angebot.<br />
Würden wir nur die Designtrends<br />
in Europa oder Amerika<br />
nachahmen, wie man uns nachsagt,<br />
und danach arbeiten, wären<br />
wir stets fünf Jahre zurück.<br />
Die Form des Autos wird<br />
doch sehr stark vom Geschmack<br />
der jungen Leute, von<br />
der gegenwärtigen Architektur,<br />
ja sogar vom Flugzeug und natürlich<br />
von den elektronischen<br />
Einrichtungen beeinfiusst. In<br />
unserem neuen Studio in Yokohama<br />
wollen wir das Design der<br />
Zukunft entwickeln. Bei den<br />
Designern in Turin geben wir<br />
Studien für bestimmte Wagen<br />
in Auftrag, aber nicht den tatsächlichen<br />
Entwurf des Autos.<br />
So sind der neue 929 oder der<br />
neue 626 zur Gänze unsere eigenen<br />
Entwürfe.»<br />
Vaterschaft angezweifelt<br />
Bei Giugiaro ist man anderer<br />
Meinung: «In die nächsten Listen<br />
unserer Schöpfungen nehmen<br />
wir auch den neuen 929<br />
von Mazda und den bisherigen<br />
626 auf», kündigt Giugiaros<br />
Sprecher Luca Ciferri an.<br />
Ebensowenig wie Pininfanna<br />
und Bertone klagt Giugiaro<br />
über die Zwänge des Windkanals,<br />
die doch stets als Schuldiger<br />
für das einheitliche Aussehen<br />
der Autos herhalten müssen.<br />
«Der Windkanal, das ist<br />
die mathematische Seite. Sie<br />
schreibt die Proportionen.eines<br />
(Fotos: Georg Auer)<br />
Wagens vor. Aber in ihrem<br />
Rahmen kann sich die Phantasie<br />
frei bewegen», sagen die<br />
Meister aus Turin.<br />
Giugiaro bemüht die Schöpfung:<br />
«Alle Menschen sind<br />
nach dem gleichen mathematischen<br />
Prinzip zusammengesetzt,<br />
etwa in gleichen Grössenrelationen<br />
der Bestandteile zueinander.<br />
Und doch, obwohl auch<br />
nur ein Minimum an verschiedenen<br />
Farben verwendet wird,<br />
sieht kaum einer aus wie der andere.»<br />
Zu den Kunden, die seine<br />
Studien total verändern, sagt<br />
Giugiaro: «Würde jemand ihren<br />
Artikel total umschreiben,<br />
dann wäre das nicht mehr Ihr<br />
Artikel. Ihre Persönlichkeit wäre<br />
beim Teufel. Das geschieht<br />
im allgemeinen bei unseren japanischen<br />
Kunden. Wenn sie<br />
viele Modifikationen machen,<br />
dann verändern oder verlieren<br />
sie die Persönlichkeit.<br />
Emotion und Mathematik<br />
«Styling ist doch eine im wesentlichen<br />
emotionale Tätigkeit»,<br />
sagt dazu VAG-Chefentwickler<br />
Ernst Fialä. «Design<br />
hingegen besteht aus den vier<br />
klaren Elementen: der Ergonomie,<br />
der Funktion, der Technologie<br />
der Aufbautenherstellung<br />
und dem Geschmack plus Mode.<br />
An diesen Entscheidungen<br />
kann sich kein Management<br />
vorbeischwindeln. Wir entscheiden<br />
eben, so gut wir können.<br />
Mit der Ratio allein ist da<br />
nichts zu holen. Die Japaner haben<br />
ein kulturelles Problem: Sie<br />
entwerfen noch nicht für ihre<br />
Kultur, sondern für ihnen noch<br />
fremde Kulturen.<br />
Den Einfluss der Turiner Designer<br />
soll man nicht überschätzen.<br />
Er ist sicher kleiner, als allgemein<br />
angenommen wird.<br />
Man weiss ja nicht, ob nicht<br />
zweimal das gleiche empfohlen<br />
wird. Sie sind eine Börse, an der<br />
man prüft, was auf dem Markt<br />
ist und was kommt. Man sichert<br />
sich bei ihnen ab, dass man<br />
nichts versäumt.»<br />
Niemals Zwillingsentwürfe<br />
mmim<br />
Viele Entwürfe für den Ftitmo-Nachfolger Doch Idea schuf den originellsten Tipo!<br />
Ähnlichkeit führte zum Prozess: Pininfarina-geformter Peugeot 404.<br />
Ähnlichkeiten zu Audi entdeckt, vor allem im Fensterbereich: neuer Mazda 626.<br />
Nuccio Bertone, der älteste der<br />
drei Turiner Designer, widerspricht<br />
Ernst Fialas Meinung,<br />
man wisse nie, ob man in Turin<br />
nicht das gleiche Design wie ein<br />
anderer bekäme. «Würden wir<br />
gleiche Entwürfe an zwei Auftraggeber<br />
liefern, würden wir<br />
das Vertrauen der Welt verlieren.<br />
Alle erhalten eine einmalige<br />
Originalform. Die soll originell,<br />
modern, aber doch der<br />
Tradition des Hauses entsprechen.<br />
Das ist dann eine gemeinsame<br />
Arbeit von uns und dem<br />
Hersteller. Keiner sollte da isoliert<br />
vorgehen.<br />
Aber wie das Design in fünf<br />
Jahren aussehen wird, das können<br />
sie nicht aus einem Computer<br />
herausholen. Sie können alle<br />
Daten eingeben, aber am Ende<br />
liegen sie sicher falsch. Das Erfüllen<br />
der Trends geschieht aufgrund<br />
langjähriger Professionalität,<br />
der Intuition des Spezialisten.<br />
Es ist sehr schwierig, die Entwicklung<br />
der Trends zu erfühlen.<br />
Aber da ist nichts Mathematisches,<br />
nichts, was man planen,<br />
mit den Augen der Logik<br />
voraussehen könnte. Manchmal<br />
muss man sogar etwas machen,<br />
was jeder Logik zu entbehren<br />
scheint. Aber das kann schon<br />
sehr bald sehr logisch sein. Es<br />
ist eben ein grosses Mass an Intuition<br />
beteiligt.»<br />
Das Design einer Zeit<br />
Doch Sergio Pininfarina musste<br />
einmal vor Gericht, weil der<br />
von ihm entworfene Peugeot<br />
404 und die gleichzeitig in Auftrag<br />
gegebenen, gleich grossen<br />
Austin Cambridge und Morris<br />
Oxford fast identische Formen<br />
erhielten. «Ich bleibe dabei, was<br />
ich damals sagte: Zu einer Zeit<br />
kann es für einen Typ von Wagen<br />
nur eine beste Lösung geben.<br />
Geht die Ähnlichkeit zu<br />
weit, ist das unser Fehler. Ich<br />
halte es daher für sehr wichtig,<br />
dass das Image einer Automarke<br />
beibehalten wird, auch wenn<br />
zwei von Pininfarina entworfene<br />
Wagen eine gewisse Ähnlichkeit<br />
haben.»<br />
Auch Pininfarina hält den<br />
Glauben für übertrieben, die<br />
Turiner Designer wüssten schon<br />
heute, was 1995 en vogue sein<br />
werde: «Wir haben nicht wirklich<br />
die totale Information darüber,<br />
was auf dem gesamten<br />
Markt geschieht, sondern nur<br />
über einen Teil des Markts. Wir<br />
versuchen nur, uns nicht zu sehr<br />
vom Heute bei unseren Entwürfen<br />
für Wagen, die erst in fünf<br />
Jahren auf die Strasse kommen<br />
werden, beeinflussen zu lassen.<br />
Für falsch aber halte ich es zu<br />
sagen, die Japaner führten niemals<br />
in Designfragen. Jedes Industrieland<br />
hat seine eigene<br />
Tradition, seinen Geschmack.<br />
Der Markt fällt das Urteil.»<br />
Bissig bemerkt man in bezug<br />
auf Japan bei Giugiaro' «Als<br />
wir in Frankfurt, auf der vergangenen<br />
Autoausstellung, herumgingen,<br />
fragten wir uns<br />
plötzlich, was macht der Audi<br />
80 auf dem Mazda-Stand? Das<br />
war der neue 626. Sie haben die<br />
Verglasungsmethode angewendet,<br />
die wir Audi für den 100er<br />
verkauften. Dadurch entstand<br />
eine gewisse Ähnlichkeit.»<br />
Dass auch bei kleinen Wagen<br />
die Individualität im Windkanal<br />
nicht abgegeben werden<br />
muss, zeigt Fiats Maioli an Bildern.<br />
Der erste Uno-Entwurf<br />
Giugiaros hatte noch nicht das<br />
steile Heck. «Wir arbeiteten<br />
daran. Schliesslich sah der Wagen<br />
unverwechselbar aus.»<br />
Die Grenzen verschwimmen<br />
Paul Bracq, Altmeister des Designs<br />
bei Peugeot, vorher der<br />
Mann, der die moderne BMW-<br />
Grundform schuf, meint: «Wir<br />
arbeiten so gut mit Pininfarina<br />
zusammen und ändern gemeinsam,<br />
dass man am Ende niemals<br />
sagen kann, dieses Auto ist<br />
von uns, jenes von Pininfarina.<br />
Aber alle haben unsere unverwechselbare<br />
Firmenidentität.»<br />
Fiala fasst Glück und Unglück<br />
aller Formschöpfer zusammen.<br />
«Was nicht gefällt<br />
oder qualitativ nicht entspricht,<br />
stürzt ein, wird abgerissen oder<br />
verschwindet vom Markt.»<br />
Georg Auer<br />
Nr. 49/3. Dezember <strong>1987</strong><br />
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